Die Akte Deutsche Bank - Ulrich Novak - E-Book

Die Akte Deutsche Bank E-Book

Ulrich Novak

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Beschreibung

Die Gier und das Versagen. Der schäbige Auftritt des Rolf Breuer bei Bloomberg TV, Ackermanns Victory-Pose vor Gericht, die Razzien und Ungereimtheiten der letzten Zeit, der Top-Dealer Peter Young, der in London vor Gericht in Frauenkleidern erschien, Edson Mitchell, der sich für Gott hielt und dann unter ungeklärten Umständen verstarb … Es gibt keine Firma, die derart skandalträchtig wahrgenommen wird. Die Autoren schildern hier nicht nur die Geschichte der Deutschen Bank und ihre Vernetzung in die internationalen Finanzmarktgeschäfte, das Buch erlaubt auch einen Ausblick auf die Zukunft des Unternehmens.

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Seitenzahl: 630

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© für die Originalausgabe und das eBook: 2016 F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

Satz: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

eBook-Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-7766-8256-4

Inhalt

1. Die Deutschen und das Geld und ihre Banken – Eine Einleitung

2. Die Deutsche Bank – Eine bewegte Geschichte

Vorbemerkung

Die Jahre vor der Gründung

Die Gründung 1870

Action in Übersee und das Inlandsgeschäft

Eisenbahnen und internationale Beteiligungen

Orient, Öl und anderes mehr

Der Erste Weltkrieg und das Ende der Kaiserzeit

Zwanziger Jahre, »Drittes Reich« und Zweiter Weltkrieg

Revolution, Republik und Weltwirtschaftskrise

»Drittes Reich« und der 2. Weltkrieg

Wiederaufbau und Wirtschaftswunderzeit

Biografische Abrisse

Alfred Herrhausen

Hilmar Kopper

Rolf-Ernst Breuer und die Konquistadoren

Ackermann, Jain und Fitschen

3. Leitung, die Leiden schafft – Prozesse rund um den Globus

Freundaufklärung – Thoma und die Rechtsabteilung

Das teuerste Interview der Welt – Die Kirch-Prozesse

Libor oben oder unten – Zinsmanipulationen und Rekordstrafen

Seltsame Mautgebühren – Tricks am Devisenmarkt

Gold und Silber lieb ich sehr – Manipulationen am Edelmetallmarkt

Bonus statt Bonität – US-Hypothekenkredite

Wer hat’s erfunden? – Steuerhinterziehung in der Schweiz

Viel Schmutz – Betrug beim Emissionshandel

Spieglein, Spieglein – Geldwäsche in Russland

Verbotene Früchte – Verstoß gegen US-Sanktionen

Kölsche Klüngel – Die Oppenheim-Esch-Fonds

The Best of the Rest – Wo es sonst noch kriselt

4. Geschäft, Ethik und Moral – Unternehmenskultur am Scheideweg

Gutes Geld – Gewinn und Verantwortung

Zwangsweises Umdenken – Unternehmensführung

Alles neu macht der Cryan – Struktur- und Führungswechsel

»Wir müssen einfach besser werden.« – Strategie 2020

Investment plus oder minus – Zwischen Ackermann und Cryan

Typisch oder untypisch – Cryan und Achleitner

Zäsur ohne Zinsen – Hauptversammlung 2016

Grau ist alle Theorie – Nach der Hauptversammlung

Zwischen Diversity und Klimaschutz – Selbstverständnis der Unternehmenskultur

Soros und Trump – Randnotizen zum Schluss

5. Deutsche Bank – was nun?

Richtige strategische Entscheidung

Mangelhafte Implementierung

Die »Fremdenlegion« der Bank

Der Ritt auf der Kreditwelle

Neue Herausforderungen

Was nun?

6. Deutsche Bank – aktuelle Entwicklungen und Ausblick unter besonderer Berücksichtigung der Strategie 2020

Einleitung

Systemrelevanz und weltweite Verflechtungen des Bankhauses

Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bank

Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten im Umbruch 

Megatrends und Möglichkeiten profitablen  Wachstums

Wohlstand schaffen in Emerging Markets vs. Wohlstand erhalten in entwickelten Ländern

Infrastrukturfinanzierungen

Wachstum außerhalb des Bankensektors

Strategie 2020 der Deutschen Bank – ein kritischer Blick zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit

Eine Herkulesaufgabe für den Vorstand und eine nervenaufreibende Zeit für alle Stakeholder

Zum Schluss

7. Das Kapital – Fakten und Begriffserklärungen

Allgemein

Aktionärsstruktur

Großaktionäre

Nettoertrag (Umsatz) ausgewählter Tochtergesellschaften und Niederlassungen im Jahr 2015:

Glossar

1. Die Deutschen und das Geld und ihre Banken – Eine Einleitung

»Unser Versprechen – Was unsere Zielgruppen von unserer Marke erwarten können: Kundenorientierte Lösungen, unterschiedliche Kundenbedürfnisse verstehen, Mehrwert bieten, Vertrauen bilden und anhaltende Partnerschaften aufbauen.«[1]

Frankfurt am Main. Nähert man sich dem Weichbild der Stadt, ob mit dem Auto oder der Bahn, so taucht aus dem Dunst der Abgase schon von Weitem die viel gerühmte, im Sonnenlicht schimmernde Skyline der City auf. Ein Wolkenkratzer neben dem anderen, vorneweg der »Commerzbank Tower« mit seinen 259 Metern Höhe, ragt in den Stadthimmel. Mainhattan oder auch Bankfurt heißt die Stadt im Volksmund und suggeriert so, worum es in Frankfurt mittlerweile hauptsächlich geht, um das Geschäft mit dem Geld. Frankfurt heißt es, ist eine Stadt, in der vorwiegend gearbeitet wird, und eine heimelige Altstadtidylle lässt sich deshalb und wegen der schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und der kühlen, lediglich zweckmäßigen Nachkriegsarchitektur auch nur noch an wenigen Orten erahnen. Wer nachts die Mainzer Landstraße entlangfährt und wenig später nach den dunklen Fassaden der Bürogebäude abbiegt, der fährt in eine andere, ebenfalls wenig ansprechende Welt. Direkt hinter den seriös nichtssagenden, verschwiegen anmutenden Glasfronten der Bankverwaltungen liegen Bahnhofsviertel und das Westend mit diversen Rotlichtbetrieben. Ein Rockerkrieg zwischen traditionellen, autochthonen Hells Angels und türkischen Höllenengeln tobte dort unlängst mit Schlägereien und Schusswechseln auf offener Straße und konnte dann, intern allerdings, beigelegt werden. Geld, käuflicher Sex und Gewalt gehen offenkundig eine städtebauliche Liaison ein. Das Bindeglied dieser offenbar funktionierenden Symbiose scheint die Gier zu sein. Zumindest liegt diese Vermutung nahe.

Fast 75000 Menschen arbeiten aktuell in Frankfurt im Finanz- und Versicherungssektor der dort ansässigen Wirtschaft, und 196 Kreditinstitute haben sich am Mainstrand niedergelassen. Bei der Europäischen Zentralbank angefangen, über die DZ Bank, die UBS, die Dresdner und viele andere mehr – sie alle hausen in den mehr oder weniger spektakulären Hochhäusern der Frankfurter City.

Frankfurt am Main ist nach London und Paris der Finanzplatz Nummer drei in Europa[2], und es wundert deshalb nicht, dass sich neben der bedeutendsten deutschen Börse, der Börse Frankfurt, das ehemals renommierteste deutsche Geldinstitut, die Deutsche Bank, am Main niedergelassen hat. Die Stadt, die Goethes Geburtsort ist und auch Schauplatz seiner nach dem Studium lustlos vorangetriebenen und vom Dichter als öde empfundenen Advokatenkarriere, bevor es an den Weimarer Hof mit seinen glänzenden Zukunftsaussichten ging, diese Stadt war in der deutschen Wirtschaftsgeschichte lange Zeit neben Leipzig der Messeplatz schlechthin[3]. Drehten sich in der Neuzeit hauptsächlich in Berlin die politischen Räder Deutschlands, so war Frankfurt die Stadt des Handels, der Finanzmärkte und seiner Repräsentanzen. Nirgendwo in Deutschland gab und gibt es einen derart voluminösen Handelsplatz für Finanzprodukte und das dazugehörige Umfeld.

Dabei hatte der Umgang mit Geld[4], die Kreditwirtschaft, einen in Deutschland traditionell schlechten Ruf. Mit den Zins- und Tauschgeschäften der Wechselstuben, den Vorläufern der Banken, konnten die meisten Deutschen wenig bis nichts anfangen. Anders als beispielsweise in Italien, wo der Handel sehr bald eine volkswirtschaftlich bedeutsame und deshalb relativ unangefochtene Stellung innehatte, galten die sogenannten Wuchergeschäfte als anrüchig und ihren Betreibern hielt man zweifelhafte Moral vor[5]. Dazu kam, dass es unverständlich erschien, dass »große Firmen plötzlich mit großem Vermögen dastanden«[6]. Die Entwicklung in Richtung der schon im Mittelmeerraum früher entwickelten Wirtschaftsformen der Handelsgeschäfte war allerdings nicht aufzuhalten, denn der Geldumlauf während des großen Aufschwungs von Handel und Produktion im 15. und 16. Jahrhundert entsprach auch in Deutschland bald nicht mehr dem wachsenden Güteraustausch. Die Handelsgeschäfte mussten in der Regel nicht zuletzt auch wegen der herrschenden »Münzverwirrung« bargeldlos abgewickelt werden. Die einheitliche Reichsmünze der deutschen Kaiser blieb vorerst ein Traum. Der kurze Zeit gültige Rheinische Gulden[7], der aufgrund seines nur langsam sinkenden Edelmetallgehaltes recht beliebt war, wurde als Haupthandelsmünze und Recheneinheit vom Taler abgelöst. Die regionalen und lokalen Münzen liefen nebenher, was die allgemeine Desorientierung und eine gewisse Willkür bei Preisgestaltungen und Verrechnungen beförderte. Wenig vertrauensbildend sollten sich auch ansteigende Getreidepreise auswirken, denn die Diskrepanz zwischen umlaufendem Geld und dem Warenangebot nahm durch die immer ergiebigere Silberförderung in den Bergwerken seit dem Ende des 15. Jahrhunderts zu. Vor allem auch das verstärkte Aufkommen der Städte und deren wirtschaftliches und politisches Erstarken machte eine Fernversorgung der sich dort akkumulierenden Bevölkerung mit allen möglichen agrarwirtschaftlich erzeugten Gütern notwendig. Während die Realeinkommen sanken, verteuerte sich allerdings das Getreide. Nicht ganz zu Unrecht wurden dahinter Spekulationen und Wechselgeschäfte unter anderem der Bergwerksgesellschaften vermutet. Auch diese Entwicklung zeigt, dass die Entwicklung des Bankenwesens und des Kredits untrennbar mit den immer internationaler werdenden Handelsgeschäften verbunden waren.

Großen Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hatte neben den Tätigkeiten der Hanse und der Entdeckung der Seewege nach Ost- und Westindien vor allem der Dreißigjährige Krieg. Nürnberg büßte in dieser Zeit durch die Bevölkerungsverluste seine Handelsposition europaweit ein, und allein in Augsburg verloren die Bürger 75% ihres Vermögens. Deutschland benötigte mehr als einhundert Jahre, bis 1750, um mit der Bevölkerungszahl den Stand von 1618 zu erreichen; der Bevölkerungsverlust durch Seuchen, Hungersnöte und Kriegshandlungen betrug landesweit annähernd 40%. Die Nachkriegszeit war schwer, die Kontributionen der feindlichen Kriegsparteien lasteten auf der Volkswirtschaft. Neue Formen der Finanzierung wurden gesucht und entwickelt. Der sogenannte »jüdische Hoffaktor« als neuer Bankierstyp war zunehmend Motor der Finanzangelegenheiten der absolutistischen Staaten Deutschlands[8]. Mit dem Aufstieg der Hoffaktoren war auch gleichzeitig der erste wichtige Schritt zum Privatbankgeschäft mit seiner Konzentration auf Bankdienstleistungen getan. Die bekanntesten Namen in diesem Zusammenhang waren Samuel Oppenheimer, Samson Wertheimer, Meyer Amschel Rothschild, Josef Süß Oppenheimer[9] sowie, gewissermaßen als Ausnahmeerscheinung, Karoline Kaulla – die seinerzeit als reichste Frau Deutschlands galt und die spätere Mitbegründerin der Königlich Württembergischen Hofbank war.

Die Deutschen wussten zwar handwerkliche, agrarwirtschaftliche und industriell produktive Wirtschaftsleistungen zu würdigen, der Zugang zur Welt der Finanzwirtschaft war aber letztlich von Misstrauen und von tiefsitzendem Vertrauensverlust geprägt[10]. Besonders die Finanzkrisen der heutigen Zeit, der Zusammenbruch des Neuen Marktes 2000, die Dotcom-Blase, die gutgläubigen Anlegern um die Ohren flog, die Skandale und Unwägbarkeiten bezüglich der von Banken in den Markt gedrückten Finanzprodukte, die die Gier der Kunden stillen sollten, aber letztlich die Gier der Banken stillten, all das und noch vieles mehr lassen wahrscheinlich vor allem den Deutschen argwöhnisch auf das blicken, was die da in Frankfurt so treiben. Denn wenn eingangs die Rede von der Skyline von Mainhattan war, so wird auch gleichzeitig die Erinnerung an den Imtech-Skandal wach. Die Zwillingstürme des Headquarters der Deutschen Bank wurden 2011 nach einer Renovierung für ungefähr 200 Millionen Euro wiedereröffnet, und doch waren Mitarbeiter des Generalauftragnehmers Imtech[11] von Managern der 35 Subunternehmen u.a. wohl mit Bordellbesuchen bestochen worden. Versuchte auch der VW-Konzern diese Praxis schon 2005 bei seinem Betriebsrat in abgewandelter Form in den Rang der Normalität zu erheben, so wurde und wird sie dadurch nicht anständiger, zumal die korrupten Manager der Subunternehmen unzulässig deutlich mehr Arbeitsstunden abrechnen durften als tatsächlich geleistet, denn die korrupten Imtech-Mitarbeiter drückten auf der Baustelle natürlich ein Auge zu. Noch pikanter wurde es zusätzlich, als der Baukonzern für interne Ermittlungen rund um die skandalösen Vorgänge einen Wirtschaftskriminalisten verpflichtete, der zwar Ergebnisse lieferte, aber auch eine bunte Vergangenheit aufwies: Es handelte sich um Thomas Wüppesahl[12], einen ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Fraktion »Die Grünen«, der auch die »Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten« in Hamburg gegründet hatte und zusätzlich im Jahre 2005 rechtskräftig zu viereinhalb Jahren Haft wegen der Vorbereitung und des Versuchs der Beteiligung an einem Raubmord und Verstoßes gegen das Waffengesetz verurteilt wurde. Es ist erstaunlich, wie auch diese Geschichte rund um ein harmloses Bauvorhaben der Deutschen Bank auf jeden Fall eines widerspiegelt, nämlich den gigantischen Reputationsverlust einer Institution, die doch nach außen alles vermitteln soll, was denjenigen ruhig schlafen lässt, der eben dieser sein Geld anvertraute. Geld als Wertbemessungs-, Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel ist letztlich die Achillesferse des materiell verorteten Menschen heute, und immerhin hatten die Deutschen zwei große Kriege mit den entsprechenden Verlusten hinter sich. Geld ist etwas Intimes, es ist im besten Falle werthaltig und speichert wie eine Batterie unsere Arbeitsleistung, unser Erbe und unsere Zukunft und die der mit uns verbundenen Personen. Angesichts der deutschen Wirtschaftsgeschichte und angesichts der jüngeren Entwicklungen stellt sich dabei die Frage, wie ein Geldinstitut mit einer derart hochwertigen Expertise so tief fallen konnte, wie uns das heute suggeriert wird, oder vielmehr, wie wir es medial transportiert wahrnehmen müssen.

Die Deutsche Bank gibt uns viele Rätsel auf. Dieser Koloss von einem Bankhaus, der an sich den Anspruch stellt, »die führende kundenorientierte globale Universalbank zu sein«[13], dieses riesige Unternehmen mit fast 100000 Mitarbeitern weltweit steht wie ein dunkles, verwirrendes und bedrohliches Monument des Mammon vor uns. Skandalumwitterte Zockerbude, skrupellose Investmentbanker, Arroganz der Vorstände, Bank der Industrie, der Politik – völlig haltlos werden Klischees und Vorurteile gemischt, meist, so kommt es einem vor, ohne Sachkenntnis. Eine hausinterne Kommunikationsstrategie, die offenbar Verschwiegenheit und Intransparenz zu Ikonen erhebt, macht es nicht einfacher, ein realistisches angemessenes Bild der Lage zu bekommen. Stattdessen ergehen sich die Öffentlichkeitsarbeiter der Deutschen Bank in Worthülsen, die umso verlogener wirken, je beliebiger und platter sie daherkommen. Es bleibt zu prüfen, wie es tatsächlich aussieht in den Zwillingstürmen, die weithin sichtbar in den häufig trüben Himmel der Rhein-Main-Region wie stählern-gläserne Schwurfinger weisen. Ist alles nur ein irrsinniges Missverständnis? Ein Versagen der Kommunikation oder eine böswillige, beabsichtigte Demontage einer großen deutschen Firma, die ihren lebensnotwendigen Geschäftsinteressen folgen muss und deshalb mit harten Bandagen kämpft? Gerne hätten wir Vertrauen in die Ehrwürdigkeit eines Geldinstituts, die sich aus langer Geschichte ableitet, die auf sauberen Geschäftserfolgen beruht und moralisch gefestigt scheint, denn »mit der Komplexität der Gesellschaft wächst die Kontingenz der Zukunft und letztlich die Höhe ihrer Risiken. Die so entstehende Unsicherheit lässt sich weder ertragen noch beherrschen. Vertrauen ist ein Ausweg aus dem Dilemma, denn es setzt sich über fehlende Informationen hinweg und »interpretiert die Welt selektiv«. »Wer Vertrauen erweist, nimmt Zukunft vorweg, er handelt so, als ob er der Zukunft sicher wäre. Man könnte meinen, er überwinde die Zeit.«[14]

[1] https://www.db.com/de/content/company/Vision-und-Marke.htm

[2] Xinhua-Dow Jones International Financial Centers Development Index (2013): http://www.sh.xinhuanet.com/shstatics/images2013/IFCD2013_En.pdf

[3] »Frankfurt hatte sich im Spätmittelalter zur Drehscheibe des Fernhandels mit England, Frankreich und den Niederlanden sowie des oberdeutschen Handels mit dem Westen, Norden und Nordosten entwickelt … Leipzig, dessen Aufstieg mit der Intensivierung des Nürnberger Osthandels und dem Aufschwung des erzgebirgischen Silberbergbaus verbunden war, übernahm eine Frankfurt vergleichbare Funktion 400 km weiter östlich. … Im 16. Jh. profitierten beide Messestädte vom Aufschwung des europäischen Handels. Dabei stand Frankfurt in enger Verbindung zu Antwerpen und erbte nach der Eroberung dieser Stadt durch die Spanier und nach der Blockade der Scheldemündung (1585) auch einen Teil der emigrierenden Kaufmannschaft mit ihrem Handel (Schmuck und Edelsteine) und den überlegenen Kredittechniken. Der Rückschlag kam mit dem Dreißigjährigen Krieg, als nicht nur der kontinentale Handel zusammenbrach, sondern auch die kaiserlichen Handelssperren gegen Frankreich eine Erholung erschwerten.« M. North (Hrsg.), Deutsche Wirtschaftsgeschichte – Ein Jahrtausend im Überblick, München 2000, S.159

[4] »Was als Geld verwendet wird, ist völlig gleichgültig: Geld ist, was als solches akzeptiert wird. In Russland benutzte man z.B. im 12. Jh. besonders präparierte Eichhörnchenfelle als Kleingeld. Obwohl sie durch den Umlauf von Hand zu Hand ihren Haarbesatz fast vollständig verloren und folglich keinen Sachwert mehr besaßen, entsprachen 18 Eichhörnchenfelle einem Dirhem, einer arabischen Münze, die fast 2 ½ g Silber enthielt.« Ebd., S.77 f.

[5] »Der Kampf gegen die Monopole und gegen die neuen Wirtschaftsformen und den neuen Wirtschaftsgeist des Frühkapitalismus führte auch zu Fragen, mit denen sich die Wirtschaftsethik und Morallehre der kirchlichen Konfessionen beschäftigen musste. Diese, wie die Öffentlichkeit, legten immer noch mittelalterliche Wertmaßstäbe an die wirtschaftliche Handlungsweise an und sahen insbesondere im Nehmen des Zinses ein Wuchergeschäft.« G. Droege, Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Frankfurt a.M. 1972, S.99

[6] Ebd., S.99 ff.

[7] Der Rheinische Gulden wurde in der kurzen Zeit um 1425 in Frankfurt, Nürnberg und Nördlingen geprägt und hieß auch im Volksmund wegen des Wappens auf der Rückseite »Apfelgulden«. Der Taler, auch Thaler, wurde im böhmischen Joachimsthal geschlagen. In Hall in Tirol wurden 1486 die ersten Silbermünzen geprägt, die einen ähnlichen »inneren« Wert wie die Goldmünzen hatten. Der »innere« (Edelmetallgehalt) wurde erst später durch den »äußeren« (d.h. staatlich garantierten) Wert der Münzen abgelöst. Zum Thema s.a. die digitalisierte »Ökonomische Encyklopädie des Johann Georg Krünitz«, http://www.kruenitz1.uni-trier.de/xxx/t/kt03434.htm, dort: Artikel Thaler und Gulden

[8] »Während die Mehrheit der Kaufleutebankiers in den Reichsstädten, z.B. Nürnberg oder Augsburg, während des Dreißigjährigen Krieges finanzielle Verluste erlitten hatte und weder bereit noch in der Lage war, Kredite an die Fürsten zu geben, hatten jüdische Geldverleiher, in einem eher feindlichen Umfeld, kaum eine andere Chance, als das Schicksal ihres Handels- und Geldgeschäfts an den fürstlichen Finanzbedarf zu binden. … Indem die Hoffaktoren die notwendigen Finanzmittel zur Verfügung stellten, machten sie die Herrscher weitgehend unabhängig von der ständischen Zustimmung in Finanzangelegenheiten und beschränkten damit auch die politische Partizipation der Stände.« M. North, a.a.O., S.166 ff.

[9] Josef Süß Oppenheimer (1689–1738) wurde ein Opfer der »ausgebooteten« Stände: Nach dem Tod des Herzogs Karl Alexander von Württemberg, dessen absolutistische Herrschaft er finanziell befestigte, wurde er »für Dinge verantwortlich gemacht, die man eher seinem Dienstherrn hätte vorwerfen sollen, der ein bekanntermaßen verschwenderischer und anspruchsvoller Mensch war. Noch an dem gleichen Tag, an dem Karl Alexander 1737 starb, wurde Süß-Oppenheimer verhaftet, in aller Eile des Hochverrats schuldig gesprochen in einem sehr anfechtbaren Prozess, bei dem Richter das Urteil sprachen, die seine persönlichen Feinde waren, und durch den Strang hingerichtet.« Gordon A. Craig, Über die Deutschen, München 1983, S.131

[10] »Deutschland ist Exportnation, hiesige Autokonzerne und viele Maschinenbauer gelten international als das Maß der Dinge. Doch wenn’s um Geld geht, ist die Bankenbranche global weit abgeschlagen. … Die geringe Beliebtheit der Institute mag sicher mit der Finanzkrise zu tun haben. Einen mäßigen Ruf hatten die Kreditinstitute aber schon lange vorher. Die Großbanken galten gerade in den siebziger Jahren bei einigen als unheimliche Macht und Strippenzieher im Hintergrund, weil ihre Manager in Aufsichtsräten wichtiger Industrieunternehmen saßen. … Der Ruf der Banken mag vor allem im 21. Jahrhundert ruiniert worden sein, der Abstieg der hiesigen Institute hat nach Ansicht von Experten aber eigentlich schon vorher begonnen. »International gibt vor allem das Investmentbanking den Ton an, und das hat in Deutschland keine Tradition«, sagt der Bielefelder Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser. Ernsthaft betrieben wird es nur von der Deutschen Bank, und selbst dort wirkt es eher aufgepfropft: Es kommt nicht von ungefähr, dass die Bank dieses Geschäft vor allem in New York und London betreibt. … Fast die Hälfte der deutschen Privatbanken war in jüdischem Besitz. Ihre Inhaber wurden in den dreißiger Jahren verfolgt, ein Großteil der Banken geschlossen. »So ist in Deutschland sehr viel Börsenexpertise verloren gegangen, die nach 1945 wertvoll gewesen wäre«, sagt Ingo Köhler, Prof für Wirtschaftsgeschichte an der Uni Göttingen. Er sieht darin einen wichtigen Grund dafür, dass das Investmentbanking in Deutschland jahrzehntelang nicht Fuß fassen konnte. Zumal die verbliebenen Banken nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs voll damit ausgelastet waren, das von der Industrie geprägte Wirtschaftswunder zu finanzieren.« Sebastian Joost, Anne Kunz »Warum die Deutschen ihre Banken so verachten« unter http://www.welt.de/wirtschaft/article140548289/Warum-die-Deutschen-ihre-Banken-so-sehr-verachten.html

[11] »Imtech ist mit 4700 Beschäftigten und mehr als einer Milliarde Euro Umsatz einer der führenden Baukonzerne in Deutschland. Am Konzernsitz in Hamburg ist Imtech Namensgeber der Imtech-Arena, in der der Hamburger Sportverein spielt.« S.a. http://www.handelsblatt.com/unternehmen/banken-versicherungen/baufirma-imtech-prueft-korruption-bei-umbau-der-deutschen-bank-in-frankfurt/3876206.html. Heute ist Imtech, bzw. Royal Imtech – nach dem »Ritterschlag« der niederländischen Königin –, pleite. Den Insolvenzanträgen in den Niederlanden und in Deutschland waren u.a. auch Bauskandale rund um die Dauerbaustelle des BER vorangegangen.

[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Wüppesahl

[13] https://www.db.com/de/content/company/Unternehmen.htm

[14] N. Luhmann, Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, Stuttgart 1989, Zitate dort S.33 und 8 nach H. Berghoff und J. Vogl (Hrsg.), Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte – Dimensionen eines Perspektivwechsels, Frankfurt a.M. 2004, S.144

2. Die Deutsche Bank – Eine bewegte Geschichte

»Den Blick zurückzutun in die Vergangenheit ist uns kein Selbstzweck und kein museales Vergnügen. Zu erfahren, wie die Deutsche Bank wurde, was sie ist, fordert die Gegenwart.«

Hilmar Kopper[15]

Vorbemerkung

Man kann der Deutschen Bank viel vorwerfen, aber eines nicht, sie hätte sich nicht ihrer Geschichte gestellt: »Am 29. August 1961, beschloss der Vorstand der Deutschen Bank den Aufbau eines eigenen Historischen Archivs in der Frankfurter Zentrale. Das Archiv der Deutschen Bank ist damit das älteste professionelle Unternehmensarchiv in der deutschen Finanzwirtschaft. Heute umfasst es mehr als sechs Kilometer an Geschäfts- und Personalakten, Dokumenten, Fotos, Filmen, Werbemitteln und Wertpapieren der Deutschen Bank und ihrer Vorgängerinstitute.«[16] Die Geschichte der Deutschen Bank soll uns Hilmar Kopper zufolge möglicherweise nicht nur den Ist-Zustand erklären, sondern auch eine Einschätzung der Zukunft ermöglichen. Eine Zukunft, die nicht nur für die Deutsche Bank gilt, sondern das Bankgeschäft insgesamt betrifft. Dabei erstaunt, in welcher Art und Weise sich das Alltagsgeschäft der Banken allgemein und das der Deutschen Bank im Besonderen im Zuge der fast 150 letzten Jahre entwickelt hat. Denn die Szenarien, die für die Zukunft des Bankgeschäfts entworfen werden, haben dabei vordergründig betrachtet nichts mehr zu tun mit dem traditionellen Geschäftsbetrieb, den es in der Gründungszeit der Deutschen Bank gab. Es gibt allerdings auch Dinge, die zunehmend wiederentdeckt werden, und die auch heute wieder – man lese und staune – als offenkundig wichtig bewertet werden. Dazu gehört insbesondere die vom Normalkonsumenten eigentlich für selbstverständlich gehaltene Tatsache, dass der Kunde wieder in den Fokus der bankgeschäftlichen Interessen rücken soll.

Wer sich als schlangestehender und vielleicht sogar konfus beratener Bankkunde lange missachtet fühlte, darf laut einer Studie[17] aufatmen[18]: »Der Kunde steht bei den Banken immer stärker im Mittelpunkt. Vor allem die Wiederherstellung ihres Images beziehungsweise die Wahrung ihrer Reputation stellen für 40,4 Prozent der Befragten sehr große Herausforderungen dar. Dies ist eine Folge der Finanzmarktkrise aus dem Jahr 2009. Weitere 25 Prozent halten das Thema immerhin für relevant. Die mittlere Bewertung der Befragten liegt bei 3,0. Hierbei wird deutlich, dass aus Sicht der befragten Bankmanager die Reputation noch nicht vollständig wiederhergestellt worden ist und weitere Anstrengungen in diesem Bereich nötig sind. Die abnehmende Kundenloyalität und die erhöhte Wechselbereitschaft der Kunden zählen mit einer Bewertung von 2,9 im statistischen Mittel ebenso zu den dringenden Herausforderungen, wie »veränderte Kundenbedürfnisse in Bezug auf Servicequalität«. Vor dem Hintergrund des steigenden Wettbewerbsdrucks, mit dem sich die Branche konfrontiert sieht, werden Bankinstitute den Kunden auch stärker in den Fokus rücken müssen.«[19] Dazu kommt, dass der Filialbetrieb irgendwann auch anderen Vertriebskanälen wird weichen müssen, zumal mittlerweile längst völlig neue Technologien in die Kundenkommunikation Einzug gehalten haben. So wollen die befragten Bankmanager stark oder sogar sehr stark in die mobilen Plattformen für den Vertrieb von Bankprodukten, die Interaktion über Onlinekanäle beziehungsweise in Technologien für Mobile Business, die Industrialisierung und die Automatisierung von Geschäftsprozessen investieren. Hier wird dringender Handlungsbedarf gesehen. Und doch, »die Bank von morgen ist heute schon von gestern. Loungebereich, Videoberater und Kuschelecke: Die Banken wollen mit modernen Vorzeigefilialen Finanzgeschäfte zum Erlebnis machen. Dabei kann das Smartphone künftig jede Bank ersetzen.«[20]

Schlägt der vernachlässigte Kunde zurück? Verselbstständigt sich der bisher auf die Filiale angewiesen Kunde und nutzt seine erhöhte Mobilität zu einer Art Emanzipation? »Zudem rüsten sich die Internetgiganten […], ihre gewaltigen Kundenstämme, ihre technische Leistungsfähigkeit und ihre Erfolge im Sammeln von Daten auszunutzen, um ihrerseits den Banken Konkurrenz zu machen. Zuletzt sorgte eine geplante Kooperation zwischen der chinesischen Internetplattform Alibaba und Apple für Schlagzeilen – die Revolution des Zahlungsverkehrs lockt die Großen offenbar sehr. ›Die Banken sind gut beraten, das im Auge zu behalten‹, heißt es in einer Studie der Deutschen Bank.«[21] Die Banken werden also nicht umhin kommen, letztlich den Rückzug aus der analogen Fläche hinein in die digitale Welt zu vollziehen. Über die Zukunft des Filialgeschäfts wird seit geraumer Zeit gestritten[22]; mal wird es für extrem wichtig befunden, da nur hier persönlicher Kontakt und ein essenziell Vertrauen schaffender Kontakt zum Bankkunden entstehe, mal wieder infrage gestellt von der unaufhaltsamen Entwicklung hin zu digitalisierten Geschäftsprozessen und der Forderung nach kundenorientierter digitaler Omnipräsenz. Hinzu kommen Fragen rund um die Bankenregulierung, Verwaltungsaufwand, Recruiting und Einbindung der FinTechs[23], jener Startups, die all diejenigen Bizztools und Programmfeatures entwickeln, mit deren Hilfe das »analoge« Filialgeschäft dem eBusiness irgendwann endgültig wird weichen müssen.

Bezeichnenderweise wechselte der ehemalige Co-Chef der Deutschen Bank, Anshu Jain, zum milliardenschweren Online-Geldverleiher Social Finance ins Silicon Valley. Nicht nur, dass Jain dort erst als Berater, dann mit einem Posten im Verwaltungsrat gut versorgt wird, es zeigt sich auch, dass der ehemalige Vorzeige-Banker hervorragende geschäftliche Perspektiven sieht: »Es ist eine große Freude, bei SoFi zu beginnen. Als ein rapide wachsender Verleiher ist SoFi eine der dynamischsten Kräfte in diesem Sektor.«[24] Damit hat der zuletzt bei der Deutschen Bank glücklos agierende Jain nicht untertrieben, denn SoFis Geschäft ist es, zu günstigen Bedingungen die Refinanzierung von Studien- oder Hauskrediten anzubieten und alleine damit 2014 etwa eine Milliarde Dollar an Investorengeldern einzusammeln. »Die aktuelle Bewertung liegt derzeit bei vier Milliarden Dollar und macht SoFi zu einem der größten FinTech-Startups weltweit. Pro Jahr werden rund acht Milliarden Dollar an die Kunden verliehen.«[25] Der CEO der jungen Firma, Mike Cagney, spricht sogar von einem kaputten Banksystem, das er, bzw. die von ihm geführte Company mit ihrem Geschäftsmodell grundlegend ändern möchte. Ein Anspruch, der Anfang 2016 von Experten optimistisch beurteilt wurde. Auf jeden Fall bemerkenswert, dass jemand wie Jain scheinbar völlig die Seiten wechselt, denn »Don’t bank« ist einer der Werbesprüche von SoFi Inc.[26] Identifikation mit den Werten und der Geschichte des traditionsreichen deutschen Bankhauses, dem der einstige angebliche »Regenmacher« Anshu Jain[27] diente, sieht anders aus. Möglicherweise ist nicht nur in diesem Fall Loyalität als innerer Haltungsbestandteil entweder nicht vorhanden oder bereits auch zur Ware, zum Handelsgut verkommen: Manager-Etagen als Laufhausflure.

Die Jahre vor der Gründung

Traditionsreich, geschichtsträchtig, manch einer würde auch sagen, ehrwürdig, das sind jedenfalls neben den vielen negativ zu bewertenden Seiten Attribute, die sich die Deutsche Bank im Laufe ihrer Unternehmensgeschichte als Meriten auch verdiente. Wenn man davon absieht, dass die ganz grundsätzlichen geschäftlichen Mechaniken des Bankbetriebes über die Jahrzehnte die gleichen geblieben sind, so war doch das politische, wirtschaftliche Szenario jener Tage, in denen die Deutsche Bank gegründet wurde, ein völlig anderes als das, was uns aktuell Herausforderungen aufbürdet. Auch schien die charakterliche Fasson des Managements in den Gründerjahren eine fast vorbildliche zu sein. Der wohl bekannteste Wirtschaftsjournalist der Nachkriegsjahre, Kurt Pritzkoleit, schrieb über eine der Gründerpersönlichkeiten der Deutschen Bank: »Gewiss – Ludwig Bamberger war ein großer Geschäftsmann, aber wie so viele seiner nicht minder erfolgreichen Zeitgenossen – wie Friedrich Harkort[28] und David Hansemann[29], wie Ludolf Camphausen[30] und Carl Fürstenberg[31] – war er vor allem anderen ein glühender Patriot. Vaterlandsliebe und Weltbürgertum, Bürgerstolz und grandseigneurale Haltung, Gelehrsamkeit und praktischer Sinn durchdrangen in ihm zur Einheit einer starken und seltenen Persönlichkeit. Der fünfundzwanzigjährige Mainzer, Jurist und begeisterter Volkswirt, war 1848 wegen revolutionärer Umtriebe[32] in absentia zu einer hohen Zuchthausstrafe, später sogar zum Tode verurteilt worden.«[33]

Die moderne Wirtschaftsgesellschaft in Deutschland hat ihre Ursprünge besonders in den preußischen Reformen des 19. Jahrhunderts. Ein einheitliches Wirtschaftsgebiet wurde durch den 1834 gegründeten Zollverein geschaffen. Hauptinitiator der auch Stein-Hardenberg’sche Reformen genannten Neuerungen war Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein, der mit eiserner Konsequenz die ständisch-korporativen Bindungen beseitigte, die allgemeine Freizügigkeit einführte und dafür sorgte, dass das Geburtsprivileg zugunsten des Bildungs- und Besitzprivilegs zurückgedrängt werden konnte[34]. »Auf einem einzigen Bogen durchstreicht er [Stein, d. Verf.] die Leibeigenschaft der preußischen Bauern, auf einem zweiten gibt er allen Städten Selbstverwaltung, auf einem dritten dehnt er die Wehrpflicht von den unteren Ständen auf alle, auch den Adel aus, auf einem vierten wird der Stockprügel abgeschafft und jedem gemeinen Soldaten die Offizierslaufbahn eröffnet, ein fünfter streicht die Kabinettsregierung aus, ein sechster macht Ost- und Westpreußens Domänenbauern zu freien Eigentümern, ein siebenter streicht alle höheren Gehälter im Staat einschließlich des Königs auf die Hälfte zusammen …«[35] – so fasste Emil Ludwig, der stets einwandfrei quellenbasiert schrieb, die Maßnahmen zusammen, die der große preußische Reformer als Basis für eine durchgehende Industrialisierung[36] in Deutschland veranlasste. Doch es waren nicht nur soziale Mobilität und freie Marktwirtschaft, die als Meilensteine die deutsche Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts maßgeblich markieren, es ist eine technische Erfindung, die den großen Durchbruch vom Agrar- zum Industriestaat praktisch erzwang: die Dampfmaschine. Sie und viele ergänzende technische Innovationen ermöglichten »den Eintritt in das ›Zeitalter des Industrialismus‹ … Mit der Dampfkraft und einer weitgehenden Mechanisierung der Arbeitsgänge konnte nun eine rentable Massenproduktion aufgenommen werden. … Die moderne Fabrikationstechnik trat nach England, Frankreich und Belgien nun auch in Deutschland einen einzigartigen Siegeszug an.«[37]

Im seinerzeit höchst populären Gemälde »Das Eisenwalzwerk« des Malers Adolph v. Menzel wird erkennbar, wie die Arbeitswelt der damaligen Zeit ausgesehen haben muss[38]. Auch in die Literatur des aufkommenden Realismus fanden Motive und Szenarien der neuen Arbeitswelt Eingang. »Einen Augenblick blieb Etienne, betäubt und geblendet, unbeweglich stehen. Eisig durchschauerte ihn der von überallher eindringende Luftzug, die Maschine mit ihren funkelnden Stahl- und Kupferteilen hatte es ihm angetan, und er ging ein paar Schritte auf sie zu. Sie befand sich etwa fünfundzwanzig Meter hinter der Schachtmündung in einem höher gelegenen saalartigen Raum und ruhte so fest auf ihrem Backsteinunterbau, dass ihre vierhundert Pferdekräfte mit vollem Dampf arbeiteten, ohne durch das Auf und Nieder der riesigen, gut geölten Pleuelstange die Wände auch nur im Geringsten zu erschüttern. […]Bei jeder Einfahrt drehten sich, sobald sich die Maschine in Bewegung setzte, die Seiltrommeln, zwei mächtige Räder von fünf Meter Durchmesser, über die sich die beiden Drahtseile einander entgegenlaufend mit einer derartigen Geschwindigkeit auf- und abrollten, dass sie wie grauer Staub wirkten.«[39] Die literarisch aufgegriffene Dynamik der Maschinen, der rastlosen Arbeitswelt, die offenen sozialkritischen Ansätze zum Beispiel 1892 durch Gerhard Hauptmann mit dem seinerzeit umstrittenen Drama »Die Weber« über deren Aufstand 1844 gegen die immer stärker mechanisierte Textilindustrie korrespondierten mit den ideengeschichtlich wichtigen Entwürfen der damaligen Zeit. Karl Marx schrieb sein »Das Kapital«, und Bismarck forcierte die Sozialistengesetze, aber auch die Sozialgesetzgebung. Diese bewegte Zeit mit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870-1871, den Ansätzen der Demokratie in der Paulskirche[40] und den großen nationalen Einigungsbestrebungen nicht nur in Deutschland[41] war nach der Integration der Dampfmaschine in die Arbeitswelt vor allem durch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung gekennzeichnet, die dazu führte, dass die Produktivität der Arbeit, die Produktionsvolumina der mechanisierten Betriebe, die Betriebsgrößen und Arbeiterzahlen in atemberaubender Geschwindigkeit wuchsen.

Selbstverständlich ist unter der Industrialisierung[42] nicht ausschließlich die Steigerung des realen Volkseinkommens zu verstehen, es ist damit in der aktuellen Industrialisierungsforschung vor allem ein Prozess umfassender Modernisierung gemeint, »der die Fesseln der der traditionellen gewerblichen, aber auch landwirtschaftlichen Wirtschaftsweisen sprengt. Dieser qualitative Modernisierungsprozess setzt den quantitativ messbaren Wachstumsprozess in Gang, mit dem die Industriealisierung im Allgemeinen beschrieben wird. Modernisierung und Wachstum können sich aber nicht gleichmäßig in allen Branchen und Wirtschaftsregionen durchsetzen. Sie erfolgen vielmehr sowohl sektoral als auch regional ungleichzeitig und ungleichgewichtig.«[43] Was wiederum dazu führte, dass bei der Analyse der geschichtlichen Entwicklung Wirtschaftshistoriker bestimmte wirtschaftliche Sektoren als sogenannte »Führungssektoren« definieren, die als Indikatoren der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung gelten. Kriterien für einen Führungssektor sind überdurchschnittliches Wachstum, zunehmend gesamtwirtschaftliches Gewicht, hohe Präsenz technischen Fortschritts in der Branche, der für überdurchschnittliche Produktivitätssteigerung sorgt, »starke Ausbreitungseffekte (spread effects) – vom Wachstumssektor ausgehend – auf andere (abhängige) Sektoren«[44] sowie sinkende Produktionspreise, die mit steigender Produktqualität einhergehen.

Eine Schlüsselaufgabe kam in der sogenannten Take-off-Phase der deutschen Industrialisierung der Eisenbahn zu, die eindeutig alle genannten Kriterien erfüllte. Auch das gesamte Zahlenwerk rund um Streckenlängen, Tonnen- und Personenkilometer zeigten eine expansive Tendenz: »Nachdem in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre die ersten Eisenbahnstrecken in Deutschland eröffnet worden waren und sich im Jahr 1840 noch nicht einmal 500 km in Betrieb befanden, stieg die Streckenlänge der deutschen Eisenbahnen nur zehn Jahre später auf fast 6000 km und bis zum Jahr 1870 auf fast 20000 km. Noch eindrucksvoller ist das Wachstum der Leistungsabgabe der Eisenbahnen, die von 62 Mio. Personenkilometern (pkm) und 3 Mio. Tonnenkilometern (tkm) im Jahr 1840 innerhalb von zehn Jahren auf 783 Mio. pkm und 303 Mio. tkm anstieg. Im Jahr 1870 hatte das Verkehrsaufkommen dann 4,4 Mrd. pkm und 5,9 Mrd. tkm erreicht. Dieses Outputwachstum übertraf damit in der Zeit des industriellen Take-off nicht nur deutlich das durchschnittliche Outputwachstum aller Industriebranchen, sondern auch das anderer schnell wachsender Sektoren wie der Garnproduktion, der Roheisenerzeugung oder der Steinkohleförderung.«[45] Als bedeutendste Impulsgeber für das unglaubliche Wirtschaftswachstum lassen sich also die frühere Urbanisierung, die Vielzahl an technischen und technologischen Innovationen, aber auch besonders die Herausbildung und Modernisierung des Verkehrswesens – in diesem Fall durch die Eisenbahn – ausmachen. Der Vorleistungscharakter des Eisenbahnsektors bestand darin, dass durch die Verbilligung der Frachttarife zum Beispiel die anderen Sektoren profitieren konnten. Arbeitskräfte und Handelsgüter wurden mobiler, technologische und organisatorische Modernisierung erst so im großen Umfang möglich[46].

Importsubstitution zum Beispiel bei der Steinkohle[47] war ebenfalls ein extrem wichtiger Wachstumsfaktor, und so konnte seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts etwa die Ruhrkohle die englische Steinkohle zurückdrängen, indem mittel- und norddeutsche Märkte mit dem billigen Massengut versorgt werden konnten. Anstelle der klassischen Industrien traten die sog. neuen Industrien wie etwa die Elektro- und Chemieindustrie oder auch die optische und Autoindustrie.[48]

Aber egal ob klassische oder neue Industrien, mit dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum und den gewaltigen Vorwärtskupplungseffekten wuchsen auch die Rückkopplungseffekte, also die aus der realen Investitionsnachfrage resultierenden Impulse, die vor allem erst einmal Arbeitskräfte, Energie, Baumaterial und Betriebsmittel, aber später auch Geld und Kapital umfassten. In der wirtschaftsgeschichtlichen Forschung wird daher auch in kapitalintensive und weniger kapitalintensive Industrien unterschieden.

Die Textilindustrie beispielsweise, die nach englischem Vorbild die Industrialisierung Deutschlands einläutete, gilt eher als arbeitsintensiv, während der Bergbau als kapitalintensiv bewertet wird: »Als Franz Haniel[49], … im Jahre 1837 das Kohlendeckgebirge an der Ruhr durchstieß und damit als Erster anstelle des Stollenbaus den Tiefschachtbau an der Ruhr einführte, verlangte das einen Aufwand von 137000 Talern. Der Kauf einer Dampfmaschine mit einer Leistung von 100 bis 200 PS erforderte zwischen 15000 und 25000 Taler. Ein mittleres Bergwerk machte also Investitionen von mehreren Hunderttausend Talern notwendig. Demgegenüber lagen die Kosten für die Errichtung einer Spinnerei oder Weberei mit 100 Arbeitern bei 50000 Talern. Gegenüber älteren Auffassungen ist zu betonen, dass in Deutschland das Kapital für die Errichtung von Großindustrien vorhanden war und nur die Furcht vor einem zu großen Risiko bisher seine Anlage in der Landwirtschaft oder in Staatsanleihen statt in der Industrie bewirkt hatte. Der Eisenbahnbau, der bis 1850 Investitionen in Höhe von annähernd 300 Millionen Talern notwendig gemacht hatte, die mit Leichtigkeit aufgebracht worden waren, hatte den Bann zuerst gebrochen.«[50] Aber nicht überall. Nicht alle Gebiete in Deutschland waren von der Industrialisierung in gleichem Maße geprägt. Das einst blühende Oberschlesien lag zum Beispiel verkehrsungünstig, Sachsen vor allem rund um Chemnitz, dem sogenannten »sächsischen Manchester«[51], und das Ruhrgebiet dagegen florierten.

Neue Führungsregionen bildeten sich heraus und ließen die agrarisch geprägten Gebiete in vieler Hinsicht hinter sich. Auch die Bankenlandschaft veränderte sich zunehmend. Die traditionellen Standorte des deutschen Bankwesens, nämlich Frankfurt und Hamburg, verloren in gewisser Hinsicht an Bedeutung. Denn mit dem Wachstum der Führungssektoren Stahlerzeugung, Montanindustrie und Maschinenbau verlagerte sich auch das geschäftliche Engagement der Banken. Allerdings zeigten die etablierten Bankhäuser an der Industriefinanzierung, die den Kapitalbedarf der prosperierenden Wirtschaftssektoren abdecken sollte, vorerst wenig Interesse. Der Schwerpunkt der Hamburger und Frankfurter Banken lag vor allem im Bereich der Finanzgeschäfte rund um den Handel in Übersee, aber auch in den Staatsfinanzierungen[52] und Devisengeschäften, die aufgrund der Vielzahl an Münzen, die in Europa im Zahlungsverkehr unterwegs waren, immer noch lukrativ waren.

»Es blieb deshalb ›Newcomern‹ aus der Provinz überlassen, diese Märkte zu entwickeln und Erfahrungen zu sammeln, die ihnen später einen entscheidenden Vorsprung vor den etablierten Häusern des frühen 19. Jhs. sichern sollten. Die wichtigsten »provinziellen« Finanzplätze wie Köln und Berlin sowie mit Abstrichen auch Breslau, Elberfeld und Leipzig waren zugleich Zentren des frühen Eisenbahnbaus. Dort waren örtliche Bankiers frühzeitig als Gründer von Eisenbahngesellschaften in Erscheinung getreten, die diese Gesellschaften dann auch maßgeblich finanzierten: Oppenheim, Schaaffhausen und Stein in Köln, Schickler, anfangs auch Mendelssohn und später Bleichröder in Berlin, von der Heydt-Kersten in Elberfeld, Ruffer und Heimann in Breslau. Diese Bankiers gaben einerseits langfristige Kredite und brachten die Aktien bei ihren Kunden unter, andererseits waren sie aber auch bereit, selber Aktien zu halten, wenn der Markt einmal nicht aufnahmefähig war.«[53]

Der Umbruch des gesamten Bankwesens wurde besonders durch das Aufkommen der Aktiengesellschaften im Banksektor deutlich. Die enorme Nachfrage nach Investitionsmitteln war von den älteren Privatbanken allein längst nicht mehr zu bewältigen[54], es mussten Banken auf Aktienbasis geschaffen werden. Gleichzeitig auch wurden Industrieaktionärsgesellschaften errichtet, hinter denen die Aktienbanken standen. Sie lösten immer häufiger die selbstständigen Unternehmer ab, und es trat an ihre Stelle der von den Banken bestellte Generaldirektor als Betriebsführer der jeweiligen Großbetriebe[55]. Begünstigt wurde die Gründung der Aktiengesellschaften[56] durch die 1870 durchgeführte Liberalisierung des Aktiengesetzes im 1866/67 gebildeten Norddeutschen Bund. Vorher hatte das preußische Aktiengesetz von 1843 zwar grundsätzlich und branchenunabhängig die Gründung von Aktiengesellschaften erlaubt, doch war der Bankensektor davon nicht betroffen. Erst mit der Liberalisierung des Aktiengesetzes war auch die Gründung von Aktienbanken möglich geworden. Auch wenn der Gesellschaftsvertrag der Kapitalgesellschaften immer noch vom König genehmigt werden musste und die Einrichtung eines Aufsichtsrates verbindlich sowie der Mindestnennbetrag der Namensaktien festgesetzt war[57], so war die Abschaffung des Konzessionssystems so etwas wie ein Startschuss. Ein Gründungsboom ungeahnten Ausmaßes setzte ein.

Die Gründung 1870

Doch die Gründerväter der Deutschen Bank hatten darauf nicht gewartet. Sie hatten die Zeichen der Zeit längst erkannt und die Weiterentwicklung des traditionellen Bankgeschäfts, das den Bedürfnissen der Industrie folgen musste, vorangetrieben.

Als treibende Kraft der Bankgründung wird Adelbert Delbrück angesehen[58]. Der aus angesehener Beamtenfamilie stammende Jurist »hatte 1854 unter Mitwirkung rheinischer Kaufleute und Bankiers das Bankhaus Delbrück Leo & Co. gegründet.«[59] Er scharte andere Gründungsmitglieder um sich, unter anderem den in Bank- sowie nationalen und internationalen Geldangelegenheiten ebenfalls hoch versierten und eingangs erwähnten Ludwig Bamberger, und am 22. Januar 1870 konnten die Statuten der Deutschen Bank verabschiedet werden. Durch »Allerhöchsten Erlass Sr. Majestät des Königs von Preußen« wurde der ersten Aktienbank in Berlin und der zweiten in Preußen überhaupt am 10. März die Konzession erteilt[60]. Der Zweck der neu gegründeten Bank und auch ihr Name ließen sich aus der Finanzierung des deutschen Außenhandels einerseits, aber auch andererseits aus dem erstarkten Bewusstsein des Bürgertums für nationale Belange und politische Selbstbehauptung ableiten[61]. »Wie sich die Erwartungen und Hoffnungen der Zeitgenossen, vor allem aus dem Bürgertum, aber auch weit über dieses hinaus, in jenen Jahren in spezieller Weise auf die Begründung eines Nationalstaates richteten, so waren sie, auch wo sie sich zum Freihandel bekannten, ganz selbstverständlich geneigt, die Wirtschaft, das wirtschaftliche Leben, in solchen Kategorien zu sehen und zu denken; man sprach nun fast allgemein von Volkswirtschaft, von Nationalökonomie. Was lag da näher, als für die Finanzierung des deutschen Außenhandels, die bisher im Wesentlichen in den Händen von englischen und französischen Banken gelegen hatte, eine deutsche Bank mit Sitz im Zentrum der Vormacht des Deutschen Zollvereins und des bisherigen Norddeutschen Bundes zu gründen – mit der Perspektive, auch weitere Finanzierungsaufgaben in einer offenkundig so außerordentlich prosperierenden Wirtschaft zu übernehmen? Folgerichtig erhielt das neue Finanzierungsinstitut den schlichten Namen ›Deutsche Bank‹.«[62]

Häufig führte diese Namensgebung dazu, dass die neue Aktienbank für die Notenbank gehalten wurde. Auch der Gründungsstandort Berlin und das Firmenzeichen, der Adler, der dem preußischen und später dem Reichsadler ziemlich ähnlich sah, trugen zu dieser Fehleinschätzung bei. Den Hautgout des Quasi-Staatsbetriebes, des in auch obskure Staatsgeschäfte verwickelten Bankinstituts, das als Hilfswilliger dunkle Waffen- und sonstige Geschäfte für gewissenlose kapitalistische Politschergen plante, durchführte und gnadenlos durchexekutierte, wurde »die Deutsche« nie wieder los. Das sollte immer Futter der Kapitalismuskritiker bleiben, die meist an der Sache vorbei klassenkämpferische Dunkelmännerverschwörungen für ihre Polemiken inszenierten.

Und doch stand die »Deutsche Bank« bei ihrer Gründung offenkundig in gewisser Hinsicht unter dem Patronat[63] der preußischen Regierung bzw. nach der Reichsgründung auch in deutlicher Nähe zum Hegemon des Reiches, Preußen. Nicht zuletzt lag das an den ausgezeichneten Beziehungen der Familie Delbrück zum Bundeskanzler Otto von Bismarck[64], aber auch an der Tatsache, dass Ludwig Bamberger für die Nationalliberalen nach 1871 bis 1893 im Reichstag als Abgeordneter saß. Zu ihm pflegte Bismarck eine besondere Beziehung, da Bamberger während des Deutsch-Französischen Krieges als Kenner der französischen Verhältnisse zu seinem persönlichen Berater ernannt worden war. Die Bedeutung des Auslandgeschäfts, die auch in den Statuten der Deutschen Bank besonders hervorgehoben wurde, und der anfänglich wohl starke Frankreich-Bezug wurden in zwei Dingen sichtbar:

Zum einen war das – und das mag ein Zufall gewesen sein – die Tatsache, dass die neugegründete Bank am »9. April in der Französischen Straße 21, unweit vom Gendarmenmarkt und Französischem Dom und nahe der Prachtstraße »Unter den Linden«, in den gemieteten Räumen eines eher bescheidenen Hauses den Geschäftsbetrieb auf(nahm) – die Zeit der repräsentativen Bankbauten war noch nicht gekommen. Die Lage in der Nähe der Börse und im entstehenden Bankenviertel jedoch günstig und mit Bedacht gewählt.«[65]Zum anderen konnten, ganz dem Gründungsgedanken folgend, von Hamburg und Bremen aus die geschäftlichen Bemühungen in Richtung Übersee starten[66].

Action in Übersee und das Inlandsgeschäft

In Europa insgesamt war London der Dreh- und Angelpunkt für alle Ambitionen, die jenseits des »Großen Teiches«, aber auch in Fernost lagen. Das zwingend notwendige Engagement über eine Niederlassung in der Finanz- und Welthandelsmetropole wurde zwar aufgrund angeblich rechtlicher Probleme anfänglich schwierig, konnte jedoch bald, nämlich im März 1871, durch die Gründung der German Bank of London ermöglicht werden. An dem Institut besaß die Deutsche Bank allerdings nur eine 40-prozentige Beteiligung[67], der eng gesteckte Kreditrahmen und das geringe Eigenkapital machten wirklich erfolgreiches geschäftliches Handeln zudem extrem schwierig. Das sollte geändert werden, und 1873 konnte nach auch diplomatischen Verhandlungen endlich eine Zweigniederlassung, die »Deutsche Bank (Berlin) London Agency«, eröffnet werden. Die ursprüngliche Beteiligung wurde mit nicht unerheblichem Verlust veräußert. Dann ging es in Übersee weiter. An den damals bedeutendsten Handelsplätzen Ostasiens, in Shanghai und Yokohama, konnte die Deutsche Bank Vertretungen einrichten, die allerdings nur bis 1872 Gewinne ausweisen konnten: »[Die Vertretungen, d. Verf.] gerieten schon im folgenden Jahr durch die Entwertung der Silbervaluten[68], auf denen ihr Betriebskapital beruhte, in die Verlustzone. Die Filialen mussten daher bereits 1875 wieder geschlossen werden.«[69] Weitere Engagements im Ausland erschienen ebenfalls recht glücklos. Beteiligungen der Deutschen Bank als Kommanditist[70] am New Yorker Bankhaus Knoblauch & Lichtenstein und bei Weissweiler, Goldschmidt & Co. in Paris scheiterten: »1877 wurde die Kommandite in Paris aufgelöst, und nach missglückten Effektenspekulationen[71] musste 1882 auch die New Yorker Kommandite liquidiert werden.«[72] Die Pechsträhne setzte sich scheinbar fort, als die Deutsche Bank mit ihrer Beteiligung an der Deutsch-Belgischen La Plata Bank, die vorwiegend in Uruguay und Argentinien agierte, versuchte, den für Deutschland damals wichtigen südamerikanischen Markt zu erschließen. 1885 wurde die La Plata Bank bereits wieder liquidiert, weil die Geschäfte durch wiederholte Revolutionen in den südamerikanischen Ländern behindert wurden und sehr schlecht liefen. Auch diese Staaten waren nämlich starken Veränderungen unterworfen, die aufgrund ihrer »Eigenarten«[73] zum Teil hausgemacht waren, aber auch von Europa aus initiiert wurden. Die sich einigenden südamerikanischen Staaten hatten mit Klassen- und Parteikämpfen, aber auch Rassenunruhen zu tun. Vor allem der britische und der nordamerikanische Kapitalzufluss leiten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine neue, in gewisser Hinsicht destabilisierende Entwicklung ein: »Anstieg europäischer Einwanderung, Eisenbahnbau, Entwicklung der Getreide-, Vieh- und Plantagenwirtschaft, Rohstoffgewinnung (Salpeter, Zinn, Kupfer). In Argentinien, Süd-Brasilien, Chile (ABC-Staaten) entstehen ein weißes Kleinbürgertum und eine Arbeiterklasse. Politische Spannungen und Kriege ergeben sich aus Grenzforderungen.«[74] Ein unsicheres Terrain, in das sich die Berliner Bankangestellten vorwagten, denn neben den Auseinandersetzungen zwischen Unitarieren und Föderalisten, Liberalen und Klerikalen in den diversen Staaten kam es vor der Abschaffung der Sklaverei in Brasilien im Jahr 1888 zum sogenannten Salpeter-Krieg, der die ganze Region in Peru, Chile, Bolivien zwischen 1879 und 1883 destabilisierte. Erst danach, nämlich 1886, gelang es der Deutschen Bank, mit Gründung der Deutschen Uebersee-Bank (1893 umbenannt in Deutsche Ueberseeische Bank) in einem neuen Anlauf den südamerikanischen Markt zu erschließen.

Den Schwierigkeiten im Auslandsgeschäft waren auch interne Probleme vorangegangen. Mit den ersten Direktoren der Deutschen Bank, neben Wilhelm Platenius[75] besonders Georg Siemens[76] und Hermann Wallich[77], die alle drei vom sogenannten Verwaltungsrat der Bank ernannt worden waren, entstanden auch langjährige Querelen in den wahrscheinlich eher alltäglich unspektakulären Arbeitsabläufen des Bankhauses. »Die Auseinandersetzungen zwischen Siemens und Wallich auf der einen Seite und dem Verwaltungsrat mit Adelbert Delbrück an der Spitze auf der anderen Seite während der Jahre 1870 und 1884 kennzeichnen den Übergang vom ›Bankier‹ zum modernen ›Manager‹ im Bankgeschäft. Das Jahr 1884 kann als die ›Geburtsstunde‹ des Bankmanagers bezeichnet werden. Siemens und Wallich verkörperten diesen neuen Typus in der Geschäftsleitung bereits in Reinkultur. Beide prägten die Entwicklung der Deutschen Bank während der ersten Jahrzehnte ihres Bestehens.« Interessant ist daran nicht nur der spannende Kontrast dieser beiden völlig unterschiedlichen Typen in der Geschäftsleitung – der bedächtige, ruhige Wallich einerseits, der risikofreudige, unkonventionell agierende Siemens andererseits, der damit kokettierte, dass er vom Bankgeschäft eigentlich gar nichts verstünde[78]. Interessant ist auch, dass gerade in der Gründungsphase der Deutschen Bank ja offenbar echte Typen mit Ecken und Kanten das Sagen hatten, dass aus dem Umfeld der Deutschen Bank der Typus eines neuen Geschäftsmannes entstand, dass im Laufe der Emanzipation von der Vorherrschaft der englischen und französischen Banken in Europa das extrem risikobehaftete Geschäft auch in fernsten Ländern gesucht wurde, und dass unter der Ägide der zwei genannten Geschäftsleiter ein weiterer lukrativer Geschäftszweig aufgebaut wurde, der in Deutschland bis dato noch gar nicht in den Fokus anderer Banken gerückt war, nämlich das Depositengeschäft, das bis dahin vorwiegend den Sparkassen vorbehalten war.

Die Idee dazu stammte von Siemens, der schnell erkannt hatte, dass die Deutsche Bank die Finanzierung des Außenhandels nur dann bewältigen könnte, wenn sie ein zweites Standbein, eine breitere Geschäftsgrundlage aufbauen würde. Zwar hatten auch die anderen Banken dazu die Möglichkeit, doch die etablierten Privatbankiers und Großbanken ließen die Finger davon und schufen ihre Finanzierungen meist aus dem Eigenkapital ihres Instituts, wobei die Aktienbanken hier durch die Möglichkeit zur Kapitalerhöhungen und über Aktienverkäufe anpassungsfähiger waren. Das Geschäft galt als zu wenig lukrativ und zudem mit dem Risiko behaftet, dass Einlagen ja nun auch mit einem Schlag wieder abgezogen werden könnten. Siemens, der während seines Englandaufenthaltes gesehen hatte, dass sich mit dem Geschäft rund um die Bareinlagen, das dort verbunden mit regem Scheckverkehr üblich war, doch einiges erwirtschaften ließ, setzte mit Wallich ein Zeichen und eröffnete 1879 in Berlin die erste Depositenkasse im deutschen Bankwesen überhaupt. Vorher hatte das Einlagengeschäft allerdings auch nur zögernd begonnen: »Für 1870 weist der Geschäftsbericht lediglich einen Bestand von knapp 22000 Talern aus – mit dem entschuldigenden Hinweis, ›dass alle neuen Einrichtungen erst nach längerem Bestehen sich Eingang verschaffen‹. 1899 übertrafen die Depositengelder das Grundkapital, 1901 das gesamte Eigenkapital und bildeten bald die entscheidende Grundlage des Passivgeschäfts.«[79]

Doch die junge Bank hatte nicht nur den mehr oder weniger erfolgreichen Auf- und Ausbau der in den Statuten festgelegten und der sich aus der Notwendigkeit ergebenden Geschäftsfelder zu bewältigen, im Jahre 1873 kam auch gleich die erste große Krise auf die Berliner Banker zu. Es war der große Gründungskrach, der mittelbar der Liberalisierung des Aktiengesetzes in Form der oben erwähnten Aufhebung der Konzessionspflicht folgte. Nach zwei Jahrzehnten ununterbrochener Hochkonjunktur kam auch noch durch die Reparationszahlungen Frankreichs aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 ein Geldstrom ins Land, der das »große Gründen« zusätzlich erleichterte. »Das Gründungsfieber erfasste auch das Kreditwesen und die an sich eher zur Vorsicht neigenden Bankiers. So wurden in den Jahren 1870–1872 in Deutschland 107 Aktienbanken gegründet, von denen jedoch die meisten nur eine kurze Lebensdauer hatten. Bis zum Jahr 1879 waren 73 der Neugründungen wieder liquidiert worden, der überhitzten Konjunktur und den wilden Spekulationen folgte der große Zusammenbruch. Die Aktie, noch eben angeblicher Garantieschein für Wohlstand und Sicherheit, geriet in Mißkredit.«[80] Ausgelöst hatte den großen Gründungskrach, gewissermaßen als Initialzündung, der Börsenkrach in Wien am »schwarzen Freitag«, dem 9. Mai 1873. Fortschrittsoptimismus und die rasant ansteigende Konjunktur der »Gründerjahre« fanden ein schnelles Ende, als die österreichische Creditanstalt, von Gerüchten einer in Paris bevorstehenden Börsenpanik verunsichert, Ende April 1873 20 Millionen Gulden in einer Blitzaktion in Wertpapieren veräußerte. »Wenige Tage später … meldete ein angesehenes Wiener Kommissionshaus Insolvenz an. Allein 120 Firmen gingen in Österreich-Ungarn an diesem Tag in Konkurs. Die Aktienkurse stürzten von durchschnittlich 180 auf zehn Gulden, die Wiener Börse brach zusammen. Im Sommer 1873 erfasste die Krise London und New York, im Oktober 1873 erreichte sie auch Berlin.«[81] Dort hatte die Vereinsbank Quistorp & Co. failliert, und der Kurswert von 444 deutschen Aktiengesellschaften sank gegenüber von 1872 um 46 Prozent, wobei es den Bankensektor besonders hart traf, da von den 107 Aktienbanken nur noch 34 übrig blieben.[82] Doch die Deutsche Bank kam relativ ungeschoren davon. Vor allem Hermann Wallich, dem die Jagd nach dem schnellen Geld zuwider war und der dem Gründungsfieber höchst skeptisch gegenüberstand[83], schaffte es offenbar, nicht nur Siemens, sondern alle Direktoren »einzubremsen«, sodass man sich auf sogenannte »solide« Geschäfte beschränkte, wie etwa die Übernahme von Staats- und Kommunalanleihen sowie Eisenbahnwerten.[84] Mit der ersten großen Konzentrierung in der deutschen Bankenlandschaft brachten die Jahre nach 1873 der Deutschen Bank auch einige Übernahmen, wie etwa die Deutsche Union-Bank und den Berliner Banken-Verein, und damit den Sprung des Bankhauses in die Liga der »großen Banken«. Nicht genug damit, bald war die Deutsche nicht zuletzt auch wegen der vielen Übernahmen die größte Bank Deutschlands, das führende und das mächtigste Geldinstitut des Kaiserreiches.[85]

Eisenbahnen und internationale Beteiligungen

Das Zeitalter der Industrialisierung(en) war zugleich auch das »Jahrhundert der Verkehrsrevolution«. Im 19. Jahrhundert musste sich, damit die Volkswirtschaft überhaupt die erwähnten Sprünge machen konnte, zuallererst die Verkehrssituation deutlich verbessern, denn das Verkehrswesen war Anfang des Jahrhunderts noch unterentwickelt. Zwar war der Chausseebau, der Landstraßenbau mit festem Steinunterbau, während der napoleonischen Besetzung entscheidend weiterentwickelt worden, doch fand der wirklich rege Güteraustausch vorerst nur an den Meeresküsten und entlang der Flüsse und Kanäle statt. »Das Aufkommen des Eisenbahnbaus brachte eine zunehmende Konkurrenz für die Straßen. Die erste deutsche Eisenbahn war sechs Kilometer lang und fuhr von Nürnberg nach Fürth (1835). Die erste bedeutende längere Eisenbahnlinie verband Leipzig und Dresden. … Das Ergebnis des Eisenbahnbaus war die Bildung eines einheitlichen Verkehrsgebietes und eines einheitlichen Marktes. Erst mit der Schaffung eines Eisenbahnnetzes ist einem großen Teil der modernen Industrie der Markt für einen Massenabsatz und damit der Massenproduktion gesichert worden.«[86] Mit der Verstaatlichung der Eisenbahnen ab 1888, dem Wachstum regionaler, staatlich geförderter Bahnnetze, der Vereinheitlichung der Währung sowie Einführung des Goldstandards[87] und der Gründung der Reichsbank nach der Reichsgründung als Nachfolgerin der Preußischen Bank bzw. 1876 als zentrale Notenbank mit Sitz in Berlin[88] zeigte sich das Deutsche Reich unter dem Eindruck des Gründerkrachs beeindruckt und schaffte in gewisser Hinsicht eine Abkehr vom nahezu uneingeschränkten Liberalismus. Es gelang in Deutschland – früher, als es anderen Industrieländern gelang – der Sprung zum modernen Interventionsstaat. »Diese Gleichzeitigkeit von (politischer) Rückständigkeit und (wirtschaftlicher) Modernität gehört zu den bedeutsamsten Charakteristika des Kaiserreichs.«[89] Aber diese vermeintliche Rückständigkeit, die teilweise als politischer »Rollback« empfunden und bewertet wird, schuf in den späteren Jahren des 19. Jahrhunderts auch die Voraussetzungen für die fortschrittlichste Sozialpolitik Europas, denn zwar »enthielt sich der Staat direkter Eingriffe in das Verhältnis von Arbeitnehmern und Arbeitgebern«[90], doch er begann mit dem Aufbau einer modernen Sozialgesetzgebung. Denn der Einfluss der erstarkenden Arbeiterbewegung und auch der freien Gewerkschaften hatte unter dem Eindruck der brennenden sozialen Fragen erheblich zugenommen. Die zeitweise Verelendung der Massen als Folge des Gründerkrachs nach dem »schwarzen Freitag«, die Tatsache, dass die Industrialisierung zunächst eine jahrhundertealte Arbeits- und Sozialverfassung über den Haufen stürzte, das alles bewegte nicht nur den liberal gesinnten Ruhrindustriellen Friedrich Harkort[91] dazu, die Schwierigkeiten anzugehen. Er war einer der Ersten, die sich bei den sozialen Problemen um Lösungen bemühten, »der in seinen Eisen- und Kupferwerken und Maschinenbauanstalten aus dem Bewusstsein, für seine Arbeiter sorgen zu müssen, soziale Einrichtungen schuf, aber es auch nicht unterließ, den Staat zu regulierendem Eingreifen über den Einzelbetrieb hinaus zu veranlassen.«[92] Den Gewerkschaften gelang es von 1885 über die Jahrhundertwende bis 1910, eine fast 100-prozentige Steigerung des Realeinkommens der Arbeiter zu erreichen.

Aber es war nicht nur die konsequente Abkehr von einer Freihandelspolitik zur Schutzzollpolitik in jenen Jahren, die die damalige politische Führung dazu bewegte, Sozialpolitik zum Schutz der Arbeiterschaft in Angriff zu nehmen, es war besonders auch die Angst vor der Radikalisierung der Massen, und es wurde deshalb auch die Zeit der Sozialistengesetze, die Bismarck initiierte, um den Arbeiter an den Staat zu binden, aber dessen politische Vertretung in Form der Sozialdemokratie auszuschalten. Ganz nebenbei hatte sich neben der »Arbeiterklasse« auch die soziale Gruppe der Angestellten und der Beamten[93] mit den zunehmenden administrativen Herausforderungen und dem starken Aufkommen der Handelsgeschäfte und auch der Entwicklung der Aktien- und Großbanken etabliert. »Mit der Expansion der Aktienbanken und der Verdrängung der Privatbankhäuser wurde die Stellung als Angestellter für eine wachsende Zahl von Bankbediensteten zum dauerhaften Zustand. Der Handlungsgehilfe war nicht mehr nur für ein paar Jahre angestellt, sondern hatte eine Lebensstellung als ›Bankbeamter‹.«[94] Deswegen und weil sich die Entwicklung der Bezeichnungen »Beamter« und »Angestellter« synchron entwickelten, auch die Arbeitsbedingungen des Bankbediensteten in den sich entwickelnden industriellen Großbetrieben denen der Staatsdiener glichen, kam der Begriff des »Privatbeamten« auf: »Durchgehend umgab den Begriff eine Aura von Würde, Respekt, Treue und Pflicht, die auch jeder gewollt und ungewollt beschwor, der den Begriff auf einen Teil des industriellen Personals anwendete.« Diese Reputationstradition, die ihre Ursprünge unzweifelhaft im Berufsethos der preußischen Beamtenschaft hat, wurde nun also auch von den braven Bankangestellten der Deutschen Bank verinnerlicht und gelebt. Die Aktenlage für das Bankhaus in der Zeit des Kaiserreichs ist allerdings seltsamerweise »beamten-untypisch« lückenhaft. Die Zahl der gesamten Mitarbeiter wird erstmals 1894, also ganze 24 Jahre nach der Gründung, im Geschäftsbericht erwähnt – 1072 Menschen arbeiteten zu dieser Zeit für das Geldinstitut.

Die Zeiten waren in vielerlei Hinsicht andere. Der Arbeitsalltag der Bankangestellten in der Berliner Dependance der Deutschen Bank sah noch 1872 nach Schilderung eines aus dem Dienst scheidenden Abteilungsleiters der Deutschen Bank [Karl Wichmann, d. Verf.] in den »Monatsheften für die Beamten der Deutschen Bank«[95] aus wie ein Szenario in einer anderen Welt: »Im Großraumbüro … saßen zunächst die beiden Börsenvertreter der Bank, es folgten die Pulte für vier Korrespondenten, das Memorial, Effekten- und Devisen-Rechnerei, Journal und Hauptbuch, zwei Kontokorrentisten, Wechsel- und Devisen-Abteilung (vier Mann), Hauptkasse (›Rendant‹ Martini und ein Kassenschreiber). … An die Hauptkasse schloss sich die Sortenkasse: Alter, treuer Feldwebel Mogwitz! Ich sehe Dich noch in Deiner ganzen Größe von 6 Fuß 7 Zoll mit der Narbe von dem Granatsplitter auf dem Kopf und dem Eisernen Kreuz I. Klasse auf der Brust, die Du Dir beide an der Spitze eines Zuges der Königsgrenadiere geholt hast, als Ihr die erste französische Batterie erobertet. (…) wir waren alle stolz auf Dich, auch wenn Du gelegentlich in der Uniform der Königsgrenadiere erschienst. Und Du hast das anfangs noch fremde Gebiet zuverlässig bearbeitet, hast unsere alten ›Thaler‹ nach Indien und China expediert und an deren Stelle Goldbarren und Goldmünzen hereingenommen, hast Rubelpakete mit 180 und mit 280 verkloppt und ›Greenbacks‹ mit 3,20 bezahlt. (…) – Also neben der Sortenkasse war die Depositenabteilung aufgemacht. Vorsteher Herr Reimer, im Felde Premierleutnant der Reserve-Kavallerie, bei uns Kassierer und Buchhalter in einer Person. Dann kam die Kuponkasse, ein Beamter mit einem Blechkasten für die Kupons und einem für die Kasse, dann das ›lebende‹ Depotbuch, geführt vom ältesten Lehrling, und schließlich die Effekten-Abteilung unter Herrn Milow mit fünf Mann. Diese schloss mit dem Tresor ab, in dem vier Effektenschränke damaliger Konstruktion standen. In einem hinteren Nebenraum war dann noch die Briefexpedition untergebracht, in der der … alte ehrliche Bach das Zepter führte. Er trug damals die Portokasse einfach in der Hosentasche, und wenn es ans Bezahlen ging, steckte er die fette Hand einfach in die Hosentasche und brachte sie gefüllt mit Gold- und Silberstücken wieder zum Vorschein. Tempi passati!«[96]

Nicht nur vergangene, vielleicht auch selige Zeiten, selbst die Mitarbeiterzahl lag in den Anfangsjahren bei ungenau überlieferten 30 bis 50 Bankbeamten. Was in der Namensgebung so pompös daherkam, die Deutsche Bank, sie hatte damals nicht nur, was die Geschäftsräume und deren Besetzung anging, sondern auch bezüglich ihres personellen Umfangs einen fast exquisiten Privatbank-Charme. Die Niederlassung der in Luxemburg ansässigen und wegen der sog. »Panama Papers« erst kürzlich ins Gerede gekommenen Banque Privée Edmond de Rothschild[97] vermittelt einem eine ähnliche Aura. Und doch, wie hier, darf die fast schlichte, wenig imposante Fassade nicht täuschen, denn die Beschäftigungszahlen der Deutschen Bank stiegen schnell: Waren es 1880 bereits 341 Angestellte, von denen 270 in Berlin arbeiteten, so waren es zehn Jahre später bereits über 1000 (1020) Beschäftigte. 1896 waren es 1340, 1898 arbeiteten schon 1625 Personen unter dem Dach der Bank, und um 1900 waren es bereits 2063. 1914 hatte die Deutsche Bank sogar 8475 Bankbeamte, eine Zahl, die sich bis heute mehr als verzehnfachen sollte.[98] Die Expansion des Personalbestandes spiegelte also auch die geschäftliche Entwicklung des Bankhauses wider: »Wenn man Ende des 19. Jahrhunderts viel Geld verdienen wollte, dann investierte man in Eisenbahnen. Sie ließen alle Wirtschaftszweige aufblühen, indem sie große Mengen von Gütern zur rechten Zeit an den rechten Ort transportierten, sie schufen die Verbindungen zwischen den Wirtschaftszentren, den Häfen und dem Hinterland. Der Transport über die Straßen bildete auch noch sieben Jahrzehnte später keine adäquate Alternative zur Eisenbahn.«[99]

Folgerichtigerweise suchte die Deutsche Bank nach den oben genannten diversen Übernahmen anderer Bankhäuser, die dem Bankhaus die notwendigen breiten, kapitalkräftigen Schultern verleihen sollten[100], nach weiteren lukrativen Geschäftsfeldern. Das Depositengeschäft, das sich neben den Auslandsfinanzierungen recht gut entwickelt hatte, brauchte nachgeschaltet, um »sexy« zu sein, »naturgemäß das Emissionsgeschäft für gute zinstragende Papiere«[101]. Geschäftspolitisch stellten die verantwortlichen Direktoren der Deutschen Bank durch den Einstieg ins sogenannte »Gründungsgeschäft« den Weg in Richtung zur Universalbank, »die sich neben dem Wechsel- und dem Kontokorrentgeschäft auch, auf der Basis des Diskontgeschäfts, der Emission von Staats- und Industriepapieren widmete. Im Geschäftsbericht von 1876 wurde dieser Kurswechsel diskret unter der Rubrik ›Inländisches Geschäft‹ angekündigt: ›Die durch alle diese Umstände [gemeint sind die Übernahmen des Berliner Bank-Vereins und der Deutschen Union-Bank, d. Verf.] bewirkte Stärkung unseres Geschäfts hat uns in den Stand gesetzt, uns bei einigen Übernahmegeschäften in höherem Maße als bisher zu betheiligen, und beabsichtigen wir dies auch in Zukunft fortzusetzen.‹ Im Folgenden wurde allerdings noch einmal betont, dass die Deutsche Bank auch weiterhin eine Handelsbank bleiben werde und sich auf die Vergabe kurzfristiger Kredite konzentrieren wolle.«[102] Industriegeschäfte sollten nur wegen der hohen Verzinsungen bei guten Anlagewerten getätigt werden; durch die über die ganze Bandbreite angebotenen Bankdienstleistungen erhoffte man sich, den Industriekunden noch weiter und vertiefend an sich zu binden. Das wiederum war die Grundlage für die Entwicklung der sogenannten »Universalbanken«. Die Deutsche Bank als Großbank ist neben der Dresdner Bank, der Commerzbank, der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank (als nunmehriger Tochter der UniCredit S.p.A.) Mitglied unter den bedeutendsten deutschen Kreditbanken des privatwirtschaftlichen Bankensektors und eine der erfolgreichsten Hausbanken der großen deutschen Konzerne. Das hat seine Ursachen in eben jener Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts, als sie bzw. ihre Vorläufer meist auf Initiative von Privatbankiers und als Aktiengesellschaft firmierend »die Finanzierung der Industrieunternehmen und des Eisenbahnbaus übernommen hatten.«[103]

Wer bei der Bezeichnung »Universalbank« an ein von Größenwahn genährtes Konstrukt denkt, liegt im Übrigen völlig falsch. Vielmehr nennt sich eine Bank so wegen ihres meist geschichtlich gewachsenen Leistungsportfolios, wegen ihres umfassenden Dienstleistungsangebotes. »Die Ursache für die Entstehung des Universalbankensystems in Deutschland liegt in der historisch bedingten engen Verknüpfung der Industrie mit den Banken. Den Ausgangspunkt bildete die relativ spät einsetzende Industrialisierung Deutschlands. Weiterhin waren die jungen Industrieunternehmen bereits starkem Wettbewerbsdruck und geringen Gewinnmargen ausgesetzt. Zudem konnten sie zur Finanzierung nicht auf ein kapitalkräftiges Bürgertum – wie es beispielsweise in Großbritannien der Fall war – zurückgreifen, sondern waren auf Banken angewiesen. Die Banken […] waren von Beginn ihrer Geschäftstätigkeit an universell ausgerichtet. So war es möglich, einen großen Kapitalgeber-/Investorenkreis (sowohl als Anleger als auch Aktionäre) anzusprechen und den hohen und langfristigen Finanzierungsbedarf der Industrie (mittels Kredit oder den Wertpapiermarkt) zu befriedigen. Außerdem beteiligten sie sich mit den eingenommenen finanziellen Mitteln oftmals an Unternehmensgründungen (in Form von Unternehmensbeteiligungen) und hielten ihre Anteile, bis die Unternehmen Kapitalmarktreife erreicht hatten.«[104] So finanzierte die Firma Fried. Krupp 1874 mit ihrer zweiten Anleihe, bei der diesmal die Deutsche Bank Konsortialführerin war, ihr Fortbestehen. Auf diese Weise hatte die Deutsche nicht nur ihren stärksten Konkurrenten, die Disconto-Gesellschaft[105], an die Wand gespielt, sie hatte auch ein besonders gutes Verhältnis zum führenden deutschen Stahlkonzern aufgebaut. Die Firma sollte aber nicht die einzige bleiben, denn 1883 »leitete sie ein Konsortium, das die Börseneinführung der 1881 in Elberfeld gegründeten Farbenfabriken vormals Friedrich Bayer & Co. an der Berliner Börse übernehmen sollte, zu der es schließlich 1885 kam. Auch spätere Anleihe- und Aktien-Emissionen wurden stets allein von der Deutschen Bank durchgeführt.«[106] Auf ähnliche Weise konnte auch die Beziehung zur BASF, der Badischen Anilin- & Soda-Fabrik, Mannheim-Ludwigshafen, gestaltet werden, da die Deutsche Bank sich in der Chemieindustrie mit der Übernahme eines nicht unerheblichen Aktienpaketes engagierte. Nach 1890 wurde das Bankhaus schließlich zu einer der Hausbanken der BASF[107]. Neben der Chemieindustrie hatte die Führungsmannschaft der Deutschen Bank besonders auch die Elektroindustrie ins Visier genommen, da über Georg Siemens nicht nur beste Beziehungen zu Siemens & Halske bestanden, sondern weil dieser Industriezweig besondere Innovationskraft zu haben schien. 1887 beteiligte sich die Deutsche Bank an der Gründung der AEG[108]. Das Grundkapital des Vorläufers der AEG wurde von fünf auf zwölf Millionen Mark aufgestockt, und die Deutsche Bank erhielt als Aktionär und Mitglied des Bankenkonsortiums, das hinter der ganzen Aktion stand, einen Sitz im Aufsichtsrat.

»Das Unternehmen verpflichtet sich […], seine Bankgeschäfte ausschließlich über die Konsortialbanken abzuwickeln, also Kontokorrentverbindungen bei ihnen zu unterhalten und ihnen ein Vorrecht bei künftigen Aktienemissionen einzuräumen. Die Konsortialbanken wurden somit Hausbanken der AEG. Für die Banken bedeuteten die Konsortialverträge die Möglichkeit, das Unternehmen auch für andere Geschäfte an sich zu binden. Besonders wichtig waren sie zum Erkennen und damit zur Eindämmung des bei Unternehmensfinanzierungen oft recht hohen Risikos, da die Banken durch die Kontokorrentverbindung über den Zustand der Firma genau informiert waren. Meistens bestand jedoch zunächst eine jahrelange Kontokorrentverbindung zwischen dem Unternehmen und derjenigen Bank, an die sich das Unternehmen dann auch wandte, wenn Investitionen oder Expansionen zu finanzieren waren. Auf diesem Weg entstand zwischen den Partnern im Lauf der Zeit ein immer dichter werdendes Netz.«[109]