Die Analyse und das Arbeitsbündnis - Heinrich Deserno - E-Book

Die Analyse und das Arbeitsbündnis E-Book

Heinrich Deserno

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Beschreibung

Gegenstand der Kritik Heinrich Desernos ist das für die psychoanalytische Arbeit grundlegende Konzept des Arbeitsbündnisses von Greenson, das die rationale Arbeit mit dem Patienten erst ermöglichen soll. Der Autor argumentiert nicht nur, daß dieses Konzept die Beteiligung des Analytikers an der Gestaltung des Übertragungsprozesses leugne, sondern zeigt außerdem, daß ein solcher Bereich »außerhalb« der Übertragungssituation zum Einfallstor unhinterfragter gesellschaftlicher, an Arbeits- und Leistungsbegriffen orientierter Konventionen werden kann. Eine unreflektierte Orientierung am Konzept des Arbeitsbündnisses verbindet sich folglich mit einer Tendenz zur Unterminierung des kritischen Potentials der Psychoanalyse. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Heinrich Deserno

Die Analyse und das Arbeitsbündnis

Kritik eines Konzepts

FISCHER Digital

Inhalt

Geist und Psyche [...]Editorische VorbemerkungVorbemerkungTeil I Das Arbeitsbündnis im Kontext von Technik, Konventionalität und ÜbertragungKapitel 1 Einführung in das ThemaKapitel 2 Zum Verhältnis von Technik und MethodeKapitel 3 Konvention und ÜbertragungTeil II Das Arbeitsbündnis und der psychoanalytische ProzessKapitel 4 Greensons AnalysebeispielKapitel 5 Die Analyse von Frau B.Teil III Diskussion der Literatur und Zusammenfassung der KritikKapitel 6 Literatur zum ArbeitsbündniskonzeptKapitel 7 Kritik des ArbeitsbündniskonzeptsNachwort zur TaschenbuchausgabeLiteraturverzeichnisNamen- und Sachregister

Geist und Psyche

Herausgegeben von Willi Köhler

Begründet von Nina Kindler

Editorische Vorbemerkung

Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie lange Zeit Grundbegriffe einer Wissenschaft, Begriffe, die diese Wissenschaft geradezu konstituieren, von jeglicher Kritik verschont oder, um es mit einem modischen Wort zu beschreiben, »unhinterfragt« bleiben. Das Phänomen ist auch in der Psychoanalyse zu beobachten. So erschien beispielsweise erst 1978 in den Vereinigten Staaten eine Monographie über die »Couch«, über ein therapeutisches Requisit, das im Volksmund symbolhaft für die gesamte Psychoanalyse steht.

Nun geht zwar der Begriff des »Arbeitsbündnisses« nicht unmittelbar auf Sigmund Freud zurück, sondern wurde in den sechziger Jahren von dem amerikanischen Analytiker Ralph Greenson in den Grundzügen formuliert, aber immerhin brauchte es fast dreißig Jahre, ehe der Frankfurter Psychoanalytiker Heinrich Deserno das Konzept, das sich einen festen Platz im Vokabular der Psychoanalyse erobert hatte, einer gründlichen Analyse unterzog und zu dem Ergebnis kam, daß die Vorstellung eines »Arbeitsbündnisses« zwischen Analytiker und Analysand einerseits das »Instrument« der Übertragung und andererseits das kritische Potential der Psychoanalyse beeinträchtige. Desernos Studie besticht durch gedankliche Schlüssigkeit, sprachliche Klarheit und profunde Sachkenntnis. Sie braucht den Vergleich mit bereits klassischen Grundlagentexten der Psychoanalyse nicht zu scheuen.

wk

Vorbemerkung

Die vorliegende Arbeit stellt zum einen eine Auseinandersetzung mit stagnierenden Analysesituationen dar, wie sie jeder Analytiker kennt. Naheliegend ist die Frage, inwieweit der erschwerte Analyseverlauf mit einer spezifischen Störung der Analysanden zusammenhängt. Da sich aber jede Störung innerhalb des Behandlungsprozesses in eine spezifische Dynamik von Übertragung und Gegenübertragung umsetzt, stellt sich die weitere Frage, ob zwischen Analytiker und Analysand ein Zusammenspiel entstanden ist, das sich den bewußt angestrebten Veränderungen entgegenstellt. Das Konzept der »interpersonalen Abwehr« von Mentzos (1976) erwies sich für diese Zusammenhänge als besonders hilfreich. Da ich seit Beginn meiner therapeutischen und wissenschaftlichen Tätigkeit in der Abteilung für Psychotherapie und Psychosomatik des Zentrums der Psychiatrie der Universitätsklinik in Frankfurt die Möglichkeit hatte, mit dem Leiter dieser Abteilung, Prof. Dr. med. Stavros Mentzos, die praktischen und theoretischen Aspekte zu diskutieren, die sich aus meiner Arbeit sowohl in seiner Abteilung als auch seit 1981 im Sigmund-Freud-Institut, Frankfurt, ergaben, gilt ihm für seine vielfältigen Hinweise auch mein besonderer Dank.

Zum anderen erkannte ich, daß technische Konzepte zwar aus der Praxis heraus entwickelt werden, jedoch potentiell auch im Dienst von sozial- und psychotechnischen Herrschaftspraktiken stehen, ein Befund, der sich in gesellschaftlicher Perspektive als ein Symptom des zunehmenden Verlustes an individueller Selbstherstellung und -objektivierung auffassen läßt. Freuds Kommentar zu Otto Ranks Buch »Das Trauma der Geburt« (1924) kann als historisches Beispiel für die gesellschaftskritische Einschätzung von Veränderungen der psychoanalytischen Theorie und Praxis gelten. Freud (1937 c) hielt Ranks Gedankengang, die Analysedauer könne durch die nachträgliche Erledigung eines Urtraumas entscheidend verkürzt werden, für »kühn und geistreich«, in der Praxis jedoch für unbrauchbar und wies auf den gesellschaftlichen Kontext von Ranks Versuch hin (l.c., S. 60):

»Der Versuch Ranks war übrigens aus der Zeit geboren, unter dem Eindruck des Gegensatzes von europäischem Nachkriegselend und amerikanischer ›prosperity‹ konzipiert und dazu bestimmt, das Tempo der analytischen Therapie der Hast des amerikanischen Lebens anzugleichen.«

Prof. Dr. phil. Klaus Horn, dem ehemaligen, 1985 verstorbenen Leiter der sozialpsychologischen Abteilung des Sigmund-Freud-Institutes, verdanke ich viele Anregungen, die sich stichwortartig unter seiner Formulierung von einer »sozialwissenschaftlich aufgeklärten Psychoanalyse« versammeln lassen. Von der allgemeinen Fragestellung ausgehend, inwieweit sich Veränderungen im Gefüge von Einzelnem und Gesellschaft auch in Veränderungen der psychoanalytischen Behandlungstechnik bemerkbar machen, veranstalteten wir 1984 ein gemeinsames Seminar für die Ausbildungsteilnehmer und -kandidaten des Sigmund-Freud-Institutes, in dem ich erstmals Greensons Arbeitsbündniskonzept als Gegenstand einer Kritik vorschlug und dazu ein Arbeitspapier verfaßte.

Vor der Abfassung des vorliegenden Textes hatte ich Gelegenheit, Vorstufen und Teilaspekte meiner Arbeit vorzutragen und mit großem Gewinn zu diskutieren, wie zum Beispiel auf Einladung des Wissenschaftlichen Zentrums II für Psychoanalyse, Psychotherapie und Psychosoziale Forschung der Gesamthochschule Kassel (Prof. Dr. med. Eugen Mahler) sowie des Alexander-Mitscherlich-Institutes Kassel, der Abteilung für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Medizinische Psychologie der Technischen Universität München (Leiter Prof. Dr. med. Michael von Rad) und der Psychoanalytischen Arbeitsgemeinschaft Heidelberg. Mit folgenden Frankfurter Kolleginnen und Kollegen, überwiegend mit Mitarbeitern des Sigmund-Freud-Institutes, konnte ich meine Kritik des Arbeitsbündniskonzepts diskutieren und präzisieren: Priv. Doz. Dr. phil. Karola Brede, Dr. phil. Hans-Joachim Busch, Dr. phil. Rolf Klüwer, Dr. med. Ingrid Kerz-Rühling, Prof. Dr. phil. Alfred Krovoza, Prof. Dr. med. Peter Kutter, Dr. med. Wolfgang Leuschner, Dr. phil. Tomas Plänkers, Priv. Doz. Dr. phil. Reimut Reiche und Dr. phil. Christian Schneider. Herr Dipl.-Bibl. Herbert Bareuther half mir bei der Beschaffung der Literatur; Frau Gabriele Moschner schrieb die verschiedenen Manuskriptfassungen und machte Vorschläge, die sich immer als Verbesserungen erwiesen. Nicht zuletzt danke ich den Lektoren des Verlags Internationale Psychoanalyse, Frau Dipl.-Psych. Petra Glück, Herrn Dr. phil. Jürgen Kagelmann und insbesondere Herrn Dipl.-Psych. Stefan Granzow, für die sorgfältige Betreuung dieser Veröffentlichung.

Teil I Das Arbeitsbündnis im Kontext von Technik, Konventionalität und Übertragung

Kapitel 1 Einführung in das Thema

Ist Greensons Arbeitsbündniskonzept Ausdruck einer Konventionalisierung der psychoanalytischen Methode?

Seit den Arbeiten von Zetzel (1956, 1958, 1966), Greenson (1965 a, 1967, 1969, 1971) sowie Sandler, Dare und Holder (1973) gehören die Konzepte therapeutisches Bündnis, Arbeits- oder Behandlungsbündnis zum Begriffskorpus psychoanalytischer Technik. Langs (1975) fügte den genannten Bündniskonzepten ein »gescheitertes« oder »falsches therapeutisches Bündnis« (therapeutic misalliance) hinzu; Luborsky (1976, 1984) spricht von einer »hilfreichen Beziehung« (helping alliance), für die er ein quantifizierendes Einschätzungsverfahren entworfen hat.

Zumeist werden die Bündniskonzepte in kasuistischen Seminaren und klinischen Veröffentlichungen dann herangezogen, wenn es entweder um die Indikationsstellung für eine Analyse oder auch um die Beschreibung komplizierter, dem Anschein nach stagnierender Behandlungsverläufe geht. Entsprechende Formulierungen lauten, Hinweise auf ein verläßliches Arbeitsbündnis seien vorhanden oder in einem bestimmten Analyseabschnitt habe, im Zusammenhang mit starken Widerständen, ein Kampf um das Arbeitsbündnis stattgefunden etc.

Ohne Zweifel enthält der Begriff des Arbeitsbündnisses ein attraktives Moment, steckt er doch innerhalb der unendlichen Fülle von Übertragungsphänomenen einen Bereich ab, dem Merkmale wie Realität, Neutralität, Objektivität, Gegenseitigkeit u.a. zu eignen scheinen. Man darf annehmen, daß heute auf der begrifflichen Ebene des Arbeits- oder therapeutischen Bündnisses diskutiert wird, was Freud (1912 b) in der Arbeit »Zur Dynamik der Übertragung« mit der »Bezwingung der Übertragungsphänomene« umschrieb; auch die Charakterisierung von Zuspitzungen im Analyseverlauf als Kampfsituation erinnert an die folgenden Formulierungen Freuds (l.c., S. 374; Hervorh. im Orig.):

»Die unbewußten Regungen wollen nicht erinnert werden, wie die Kur es wünscht, sondern sie streben danach, sich zu reproduzieren, entsprechend der Zeitlosigkeit und der Halluzinationsfähigkeit des Unbewußten. Der Kranke spricht ähnlich wie im Traume den Ergebnissen der Erweckung seiner unbewußten Regungen Gegenwärtigkeit und Realität zu; er will seine Leidenschaften agieren, ohne auf die reale Situation Rücksicht zu nehmen. Der Arzt will ihn dazu nötigen, diese Gefühlsregungen in den Zusammenhang der Behandlung und in den seiner Lebensgeschichte einzureihen, sie der denkenden Betrachtung unterzuordnen und nach ihrem psychischen Werte zu erkennen. Dieser Kampf zwischen Arzt und Patienten, zwischen Intellekt und Triebleben, zwischen Erkennen und Agierenwollen spielt sich fast ausschließlich an den Übertragungsphänomenen ab. Auf diesem Felde muß der Sieg gewonnen werden, dessen Ausdruck die dauernde Genesung von der Neurose ist. Es ist unleugbar, daß die Bezwingung der Übertragungsphänomene dem Psychoanalytiker die größten Schwierigkeiten bereitet, aber man darf nicht vergessen, daß gerade sie uns den unschätzbaren Dienst erweisen, die verborgenen und vergessenen Liebesregungen der Kranken aktuell und manifest zu machen, denn schließlich kann niemand in absentia oder in effigie erschlagen werden.«

Entstehung und Verwendung der Bündniskonzepte sind zeitlich an eine expansive Entwicklungsphase der Psychoanalyse gebunden, die man mit Anna Freud (1954) und Stone (1954) auch als »wachsenden Anwendungsbereich« (widening scope) charakterisieren kann. In erster Linie ging es bei dieser Ausbreitungsbewegung der Psychoanalyse um eine erweiterte Indikation zur psychoanalytischen Therapie; so bildete die Behandlung von Borderline- und psychotischen Störungen die praktische Grundlage, auf der eine psychoanalytisch orientierte, »dynamische« Psychiatrie und Psychotherapie entstand.[1]

Als Reaktion auf diese Ausbreitung der Psychoanalyse, die auch Pädagogik und Sozialarbeit umfaßte, hatte vor allem Eissler (1953) versucht, eine »basic model technique«, von Blarer und Broglie (1983) als »normative Idealtechnik« übersetzt, zu definieren, bei der alle nicht deutenden Interventionen als Parameter gelten sollten. Thomä und Kächele (1985, S. 280) sind der Meinung, diese normative Idealtechnik habe mehr Probleme geschaffen, als sie zu lösen vermochte. Jedoch hat jede besondere Ausgestaltung oder Akzentuierung der psychoanalytischen Technik neben den angestrebten Vorteilen auch Nachteile; der Beweis, daß gerade die »basic model technique« die Probleme vermehrt habe, dürfte nicht leicht zu führen sein. An dem Eisslerschen Vorschlag sind meines Erachtens zwei Aspekte keineswegs hinfällig geworden: der erste besteht darin, sich einer dominierenden Strömung entgegenzustellen und auf der Klärung der Grundlagen zu bestehen; der zweite liegt in der Auffassung, am Modellcharakter der Analyse festzuhalten.

Die Erinnerung an den »widening scope« der 50er Jahre ist nicht nur für zeitlich später einsetzende, ähnliche Entwicklungen in Europa nützlich, sondern sie läßt auch eine Perspektive aufscheinen, die im Vordergrund der vorliegenden Untersuchung steht: die Frage nämlich, inwieweit sich die Beliebtheit bestimmter Konzepte, hier des Arbeitsbündnisses, nicht nur ihrer klinischen Nützlichkeit, sondern auch unbemerkten normativen Vorstellungen verdankt. Ich werde im Laufe meiner Untersuchung zeigen, daß Zetzels therapeutisches Bündnis und Greensons Arbeitsbündnis offensichtlich als Kompromißbildungen aus der Auseinandersetzung zwischen den beschriebenen expansiven Tendenzen einerseits und einer ins Rigide zurückschwingenden Betonung der »basic model technique« andererseits hervorgegangen sind.

Mit der Einführung von Bündniskonzepten findet eine spezifische Akzentverschiebung statt, derzufolge Analysekomplikationen, die bislang in unmittelbarem Zusammenhang mit der Übertragung (genauer: der Übertragung als Widerstand) gesehen wurden, nun unter der Fragestellung abgehandelt werden, ob ein »tragfähiges« Arbeitsbündnis besteht oder entwickelt werden kann. Diese Akzentverschiebung steht im Mittelpunkt der Untersuchung, weil mich sowohl die eigene psychoanalytische Praxis als auch die Durchsicht der Literatur zu der Auffassung führte, daß die Zweigleisigkeit, die darin besteht, Übertragungsphänomene und Arbeitsbündnis als gegensätzlich zu betrachten, für die Wirksamkeit des psychoanalytischen Verfahrens eher zum Nachteil als zum Vorteil ausschlägt. Meines Erachtens bringt der perspektivische Wechsel von der Übertragung zum Arbeitsbündnis (und umgekehrt) eine nur scheinbare Klarheit in die komplizierten Verhältnisse, die durch Formulierungen wie »Bezwingung«, »Handhabung« oder »Manipulation« der Übertragung angedeutet werden und sich mit jeder einzelnen Analyse, die man durchführt, von neuem stellen.

An einer weiteren Formulierung Freuds läßt sich das Thema der Untersuchung nochmals verdeutlichen (1914 g, S. 134):

»Wir eröffnen ihm [dem Patienten] die Übertragung als den Tummelplatz, auf dem ihm gestattet wird, sich in fast völliger Freiheit zu entfalten.«

Von der vorsichtigen Einschränkung – »in fast völliger Freiheit« – ausgehend, können alle Konzepte der Technik überdacht werden, auch die Bündniskonzepte; es stellt sich die Frage, wieviel Freiheit für Analytiker und Analysand bei einer unkritischen Verwendung des Arbeitsbündniskonzepts übrigbleibt.

Aus zwei Gründen stelle ich das Konzept des Arbeitsbündnisses von Greenson (1965 a, 1967) in den Mittelpunkt und berücksichtige andere Bündniskonzepte nur am Rande: erstens bietet Greenson, da sowohl seine Fallbeispiele als auch seine theoretischen Überlegungen ausführlich sind, die geeigneten Voraussetzungen für eine kritische Prüfung; zweitens präzisiert er, daß sich seine Auffassung vom Bündnis auf die analytische Arbeit bezieht. Im Verlauf der Untersuchung wird gezeigt, daß Greenson, indem er seinen Begriff von Arbeit in auffälliger Weise unbestimmt läßt, zur Auffüllung des Arbeitsbündniskonzepts mit konventionellen Inhalten geradezu einlädt. Der spezifische Bezugsrahmen, der meiner Untersuchung und Kritik zugrunde liegt, wird im zweiten und dritten Kapitel formuliert; die Einführung in das Thema schließt mit einer kurzen Skizze dessen, was Greenson unter dem Arbeitsbündnis versteht.

Greenson vertrat die Auffassung, »das Arbeitsbündnis verdiene in der Beziehung zwischen dem Therapeuten und dem Patienten als ein voller und gleichgestellter Partner der Übertragungsneurose angesehen zu werden« (1967, S. 202). Er bezog sich bei der Einführung seines Konzepts auf eine Gruppe von Patienten, »die auf irgendeine Art unfähig waren, über die Vorstadien der Analyse hinauszugelangen« (o.c., S. 203). Allerdings räumte er ein, daß die klinischen Syndrome in bezug auf diagnostische Kategorien heterogen gewesen seien; das jeweilige Problem dieser Analysen stellte sich ihm so dar (l.c.):

»Der Schlüssel zum Verständnis der Haupt-Pathologie wie auch des therapeutischen Stillstands lag in dem Umstand, daß es dem Patienten nicht gelang, ein zuverlässiges Arbeitsbündnis mit dem Analytiker herzustellen.«

Was den Analytiker betrifft, so sah Greenson in der Vernachlässigung des Arbeitsbündnisses einen technischen Fehler. Mit der Verknüpfung von Arbeit und Bündnis wollte er nicht nur »den relativ unneurotischen, rationalen Rapport, den der Patient zu seinem Analytiker hat« (1965 a, S. 153), bezeichnen, sondern auch den Akzent auf »Arbeit« legen, nämlich die Fähigkeit des Patienten betonen, in der analytischen Situation »rational« und »zielbewußt« mitzuarbeiten (o.c., S. 154):

»Das tritt am deutlichsten in Erscheinung, wenn ein Patient auch dann noch eine effektive Arbeitsbeziehung zum Analytiker aufrechterhält, wenn er sich im Kampfe mit einer intensiven Übertragungsneurose befindet.«

Der Beitrag, den der Analytiker zum Arbeitsbündnis leistet, wurde von Greenson als Beobachtung und Interpretation der Realität beschrieben (o.c., S. 172; Hervorh. H.D.):

»Die Tatsache, daß der Analytiker ständig die Realität beobachtet und sie dem Patienten interpretiert, veranlaßt den Patienten, sich teilweise mit dieser Seite des Analytikers zu identifizieren. Die Aufforderung zu dieser Identifizierung geht vom Analytiker aus. Vom Anfang der Behandlung an verweist der Analytiker auf die gemeinsam zu erledigende Arbeit. Äußerungen wie ›Lassen Sie uns das einmal näher betrachten‹ oder ›Wir können ja näher hinsehen‹ fördern sie.«

Greenson nahm den Artikel von 1965, in dem er sein Arbeitsbündniskonzept einführte, zwei Jahre später in seine Monographie »Technik und Praxis der Psychoanalyse« (1967) auf. Er fügte ihn in das dritte Kapitel ein, das insgesamt der Übertragung gilt, zwischen die Abschnitte über das klinische Bild und die theoretischen Überlegungen zur Übertragung einerseits und den Abschnitt zur realen Beziehung zwischen Patient und Analytiker andererseits. Extrahiert man aus Greensons Definitionen der Übertragung und des Arbeitsbündnisses die jeweils zugehörigen Adjektive, dann stehen sich gegenüber: neurotisch, regressiv, unpassend und unangemessen auf seiten der Übertragung; unneurotisch, rational, vernünftig und einsichtsfähig auf seiten des Arbeitsbündnisses.

Zunächst soll der Hinweis auf zwei Aspekte genügen, die eine Kritik des Arbeitsbündniskonzepts herausfordern. In Greensons Ausführungen wird zum einen die »Realität« hervorgehoben, ohne daß dieser Begriff zum Beispiel als psychische Realität, als materielle Realität oder als Realität der Übertragung differenziert wird; Greenson verwendet den Begriff Realität so, als sei Realität als Beurteilungsmaßstab nicht nur gegeben, sondern auch direkt beobachtbar. Zum anderen fällt die Bewertung auf, die darin liegt, daß die Übertragung an ihrer »Unangemessenheit« erkennbar sein soll. An diesen Aspekten entwickelte sich mein Verdacht, daß die gegensätzlichen Definitionen von Übertragung und Arbeitsbündnis auf eine Tendenz zurückgehen, die ich später als Konventionalisierung der psychoanalytischen Methode bezeichnen werde.

Kapitel 2 Zum Verhältnis von Technik und Methode

Die psychoanalytische Methode ist der Technik gegenüber vorrangig

Die Argumente, die ich in der vorliegenden Untersuchung gegen den Begriff des Arbeitsbündnisses, vor allem gegen seine unreflektierte Verwendung vorbringen werde, gehen über den Rahmen einer Technik-Diskussion hinaus. Nach meiner Auffassung sind die Konzepte der psychoanalytischen Technik dem, was man als psychoanalytische Methode bezeichnen kann, untergeordnet. Die technischen Empfehlungen können als Einzelschritte der psychoanalytischen Methode gesehen werden, und der Vorrang der Methode verbietet geradezu die Ritualisierung technischer Empfehlungen.

Trotz dieser Einschränkung des technischen Aspekts psychoanalytischer Praxis zugunsten der Methode teile ich keineswegs die Auffassung mancher Kollegen, der Begriff der Technik könne aufgegeben werden. Selbst dem deutenden Vorgehen des Analytikers haftet immer auch ein Tun im Sinne von Technik an, oder anders ausgedrückt: auch eine Übertragungsdeutung ist, um eine Formulierung Freuds zu verwenden, ein »Handhaben« der Übertragung. Der Analytiker sieht die Bestätigung oder Widerlegung einer Deutung weniger im Ja oder Nein des Patienten als vielmehr darin, wie der Patient die Deutung erlebt, was auch heißt, daß er erkennen will, wie sich die Übertragung des Patienten auf die Deutung hin darstellt. In der Analyse ist diese Seite des »Handhabens«[2] nicht nur unvermeidlich, sondern sie ist auch, wenn sie in die reflexiven Prozesse einbezogen wird, aufschlußreich.

Auch wenn man davon absieht, daß in der psychoanalytischen Literatur die Begriffe Technik und Methode nicht selten synonym verwendet werden, so muß man doch feststellen, daß das Verhältnis von Technik und Methode überwiegend unklar bleibt. Ich sehe in dieser Unklarheit die Ursache dafür, daß bislang psychoanalytische Veröffentlichungen, die auf eine Systematisierung der Technik abzielten, fast immer unvollständig blieben, was ich durch einige Hinweise verdeutlichen möchte.

Nach Jones (1962, Bd. 2, S. 274–276) soll Freud beabsichtigt haben, über seine behandlungstechnischen Schriften hinaus eine systematische Darstellung der psychoanalytischen Technik zu verfassen, zu der es dann aber nicht kam. Allerdings können später verfaßte Arbeiten wie z.B. »Die endliche und die unendliche Analyse« (1937c) als eine Art Ersatz für dieses Vorhaben genommen werden. Die Texte und Monographien von Fenichel (1941), Sharpe (1930/31) oder Waelder (1941/42) blieben umrißhaft. Glovers »Technique of Psycho-Analysis« bestand in der ersten Ausgabe aus sechs Vorlesungen; diese erschienen in umgearbeiteter Form in der letzten Ausgabe (1955, Teil I), ergänzt um den berühmt gewordenen »Research Questionnaire on Common Technical Practices« (Teil II) sowie drei klinisch-theoretische Arbeiten (Teil III), woraus ersichtlich wird, daß in diesem Buch verschiedene Arbeiten zusammengestellt sind, aber keine Gesamtdarstellung gegeben wird. Auf Greensons »Technik und Praxis der Psychoanalyse« (1967) sollte ein zweiter Band folgen, in dem der Autor, nachdem er im ersten Band die Grundkonzepte dargestellt hatte, »mehr nach chronologischen Gesichtspunkten« vorgehen wollte. Mit der Vorbemerkung, »all denen, die auf den zweiten Band von ›Technik und Praxis der Psychoanalyse‹ warten, biete ich diese Auswahl meiner Schriften fürs erste als Ersatz an«, gab Greenson elf Jahre später die Aufsatzsammlung »Psychoanalytische Erkundungen« (1978) heraus. Fast zwanzig Jahre nach Greensons Technik-Monographie ist der erste Band des »Lehrbuchs der psychoanalytischen Therapie: Grundlagen« von Thomä und Kächele (1985) erschienen; die Autoren haben den engen Rahmen der Technik verlassen und sind konsequent der Leitidee gefolgt, »daß der Beitrag des Analytikers zum therapeutischen Prozeß in den Mittelpunkt gerückt werden sollte« (S. 7). Ihre Darstellung ist historisch aufgebaut, und das Terrain der Technik wird als Sammlung von Regeln dargestellt, deren heuristische Funktion im Vordergrund steht. Außerdem schließt der Band mit einer ausführlichen Diskussion zum Verhältnis von Theorie und Praxis, einem Kapitel, das den methodologischen Hintergrund psychoanalytischer Theorie und Praxis darstellen soll. Obgleich ich die Darstellung der Grundlagen von Thomä und Kächele vor allem wegen ihrer Details, aber auch wegen ihrer methodischen Reflexion schätze, scheint mir ein Aspekt zu fehlen, den ich mit der Gegenüberstellung von Übertragung und Konvention im dritten Kapitel erörtern werde; ich meine damit eine bestimmte Bedingung, die für die Realisierung eines psychoanalytischen Prozesses nötig ist und die aus der Entstehungssituation der Psychoanalyse abgeleitet werden kann. Zunächst möchte ich jedoch wieder zum Verhältnis von Technik und Methode zurückkehren und den Zusammenhang zum Thema des Arbeitsbündnisses herstellen.

Greensons »Technik und Praxis der Psychoanalyse« mußte wohl weniger deshalb unabgeschlossen bleiben, weil dem Autor, wie vielfach angenommen wird, die Kraft zur Fertigstellung gefehlt hätte, sondern weil Greenson nach meiner Auffassung den Hintergrund, d.h. die zu dieser Zeit geltenden Annahmen über das Verhältnis von Theorie und Praxis, nicht erörtert hatte. Greenson wollte, wie er in seiner Einführung schrieb, »einen gemeinsamen Bezugspunkt herstellen«, weil ihn die Diskrepanz zwischen offiziellen Äußerungen über Behandlungstechnik und privatem Meinungsaustausch beunruhigte; er stellte fest (1967, S. 16):

»Es gibt viele isolierte Parteien – eine Tatsache, die esoterische Vereinzelung hervorruft und den wissenschaftlichen Fortschritt verzögert. […] Die Neuerer neigen zur Cliquenbildung und arbeiten oft im ›Untergrund‹ oder zumindest abseits der Hauptströmung des analytischen Denkens. Daher verlieren sie leicht den Kontakt zu den Gruppen in der Psychoanalyse, die dazu beitragen könnten, ihre neuen Ideen auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen, zu klären oder zu ergänzen. Die isolierten Neuerer sind in Gefahr, ›wilde Analytiker‹ zu werden, während die Konservativen aufgrund ihrer eigenen geistigen Enge dazu neigen, vor Orthodoxie zu erstarren.«

Außerdem wollte Greenson dazu beitragen, daß sich junge Analytiker, wenn sie sich an einer Darstellung der Technik und Praxis wie der seinigen orientierten, »von der sklavischen Nachahmung weniger Gewährsleute« frei machen könnten. Man kann sicherlich sagen, daß Greenson mit seiner Monographie dieses Ziel erreicht hat, wobei es nicht ausbleiben konnte, daß sein Buch, wie ich finde, zu Unrecht, gelegentlich zum »Kochbuch« herabgewürdigt wurde.

Meine Kritik am Arbeitsbündniskonzept setzt nicht an der Technik selbst, sondern am methodischen und theoretischen Hintergrund einer bestimmten Technik an. Diesen bei Greenson nicht miterörterten und auch nicht in Frage gestellten Hintergrund bildet die psychoanalytische Ich-Psychologie, vor allem die mit ihr verbundene Definition der Psychoanalyse als einer Beobachtungswissenschaft und der psychoanalytischen Situation als einer Quasi-Beobachtungssituation, die dem Experiment in den Naturwissenschaften gleichen soll.

Es gibt vereinzelte Kritik an dieser Definition von Psychoanalyse, wie z.B. bei Busch (1985, S. 45ff.), Drews und Brecht (1975), Fürstenau (1964), Horn (1970, 1971) und Lorenzer (1974, S. 84ff.). Leider blieb die systematische Kritik, die Leites (1971) in »The New Ego«, einer Auflistung von »Fallstricken im gegenwärtigen Denken über Patienten in Psychoanalyse«, formulierte, weitgehend unbeachtet. Die seit Beginn der siebziger Jahre ständig zunehmende Zahl von Veröffentlichungen zur neueren Narzißmustheorie, verbunden mit der Etablierung der Selbst-Psychologie, aber auch das neuerliche Interesse an der Kleinianischen Objektbeziehungstheorie lassen den Eindruck entstehen, als werde die Ich-Psychologie durch neuere, bessere psychoanalytische »Psychologien« ersetzt. Ich hätte gegen diese Ersetzung im Prinzip nichts einzuwenden, wenn nicht zugleich auffiele, daß ihr keine grundsätzliche Kritik der Ich-Psychologie vorausgeht.

Es mangelt nicht an Arbeiten, die sich mit der sogenannten Rigidität klassischer Technik befassen, wie z.B. die Diskussion der Grundregel durch Schlieffen (1983) und der Abstinenzregel durch Cremerius (1984). Auch die Technik-Darstellung von Thomä und Kächele (1985) grenzt sich deutlich von einer Psychoanalyseauffassung ab, die als »ich-psychologische Orthodoxie« bezeichnet werden kann (vgl. Horn 1971). Dennoch bleiben Thomä und Kächele eher auf dem Terrain der Praxis und führen nicht weiter aus, welche theoretische Position hinter der »orthodoxen Technik« steht (1985, S. 6; Hervorh. im Orig.):

»In der orthodoxen Technik wird [im Gegensatz zu deren Variationen und Modifikationen] die Zweckmäßigkeit der Regeln nicht in Frage gestellt. Bei orthodoxer Technik ergibt sich eine selektive Indikationsstellung dahingehend, daß die Eignung des Patienten zur Analyse durch seine Fähigkeit bestimmt wird, ihren strengen Regeln folgen zu können.«

Bei Greenson wie auch anderen Autoren besteht die Auffassung, die Übertragung entfalte sich naturwüchsig; diese Vorstellung entspricht dem Analyseverständnis, wie es durch die ich-psychologische Theorie festgelegt wird. Psychoanalyse als allgemeine Psychologie: das ist Leitidee oder Programmatik der Arbeiten Hartmanns sowie seiner theoretischen Nachfolger (vgl. Loewenstein et al. 1966). Was Psychoanalytiker in ihren Analysen finden, sind nach dieser Psychoanalyseauffassung »Beobachtungen«, und die analytische Situation wird, wie bereits gesagt, einer Beobachtungssituation gleichgesetzt.[3] Hier ist die sich naturwüchsig entfaltende Übertragung zentraler Gegenstand kontrollierter Beobachtung und Handhabung.

Die ich-psychologische Auffassung hat der früheren, praxisnahen Vorstellung, der Analytiker solle die Entfaltung der Übertragung möglichst nicht stören, ein quasi-naturwissenschaftliches Gewand gegeben und so die analytische Situation in die Nähe einer psychologischen Experimentalsituation gerückt. Das immanente beobachtungswissenschaftliche Modell schlug sich, da Theorie und Praxis in enger Wechselwirkung stehen, in technischer Rigidität, der sogenannten orthodoxen Technik nieder, und letztere wiederum war, wie ich vermute, für Greenson der Ausgangspunkt, sein Arbeitsbündniskonzept in die Diskussion zu bringen. Damit fügte er aber statt einer Kritik an der herrschenden ich-psychologischen Konzeptualisierung des psychoanalytischen Verfahrens den vorhandenen Technik-Konzepten noch eines hinzu.

Später hat Greenson die »übertragungsfreie« Ebene des Arbeitsbündnisses noch erweitert, indem er von der Übertragung die »reale Beziehung« oder »Nicht-Übertragungsbeziehung« unterschied. Die reale Beziehung sollte durch die »Relevanz, Angemessenheit, Genauigkeit und Unmittelbarkeit dessen, was ausgedrückt wird« charakterisiert sein (1969, S. 311). Der verläßliche Kern des Arbeitsbündnisses ist demnach in dieser realen oder Nicht-Übertragungsbeziehung zwischen Patient und Analytiker zu finden. Greenson erläuterte seinen Gebrauch des Adjektivs »real«, wobei er wiederum die Übertragung als Gegensatz verwendete (1971, S. 367, 369; Hervorh. H.D.):

»Ich werde die Bezeichnung ›reale Beziehung‹ nur dann verwenden, wenn ich ›echt‹ und ›realistisch‹ meine. […] Eine reale Beziehung ist durch die innere oder äußere Realität modifizierbar. […] Die Übertragungsgefühle, seien sie von Liebe oder Haß geprägt, mögen sie noch so kindlich sein oder Reife verraten, können hilfreich sein, aber die Übertragung ist ein unzuverlässiger, trügerischer Verbündeter.«

Außerdem vertrat Greenson die Auffassung, die endgültige Auflösung einer Übertragungsneurose sei im hohen Maße davon abhängig, daß eine reale Beziehung an ihre Stelle trete. Meines Erachtens weist die inhaltlich wenig begründete, aber um so eindringlichere Verwendung des Adjektivs »real« darauf hin, daß Greenson in ein Dilemma geraten war, das ich so beschreiben möchte: er konnte sich nicht vom undiskutiert gebliebenen Modell der Beobachtungssituation lösen und mußte, wollte er seine durchaus berechtigte Kritik an technischer Rigidität aufrechterhalten, immer mehr auf die Hervorhebung von »Menschlichkeit« und »Realität« ausweichen. Bekanntlich kehren Probleme, die ungelöst bleiben, an anderer, oft unerwarteter Stelle wieder, und ich habe Greensons sich wiederholende Formulierungen über »Realität« und »Menschlichkeit« auch deshalb zitiert, um ihre Trivialität deutlich werden zu lassen. Mit der Wahrheit solcher Hinweise auf »Realität« und »Menschlichkeit«, aber auch der Auffassung, die Psychoanalyse sei letztlich eine »Kunst«, verhält es sich ähnlich wie mit der Wahrheit im Mythos: diese Auffassungen sind so wahr, wie sie zugleich unwahr sind. Zweifellos erfassen sie ein wichtiges Moment psychoanalytischer Praxis, aber sie formulieren es nicht methodisch oder kritisch, sondern lediglich mit Nachdruck und Unklarheit zugleich.

Im folgenden will ich eine zumindest knappe Erörterung der Beobachtungssituation in Verbindung mit der psychoanalytischen Situation geben. Freud hatte seine Methode unter anderem in der Auseinandersetzung mit den damals üblichen, wenig wirksamen Techniken der Neurosenbehandlung entwickelt. Dazu schreibt Jahoda in ihrer Monographie »Freud und das Dilemma der Psychologie« (1985, S. 179):

»Freuds Methode war neu zu seiner Zeit; sie entstand aus seiner Enttäuschung über die damals gebräuchlichen Techniken der Neurosenbehandlung. Sie entwickelte sich schließlich zu einer Untersuchungsmethode, weil Freud dem wissenschaftlichen Prinzip treu blieb, bis ins kleinste Detail alles zu beobachten, was für seine Ausgangsfrage wichtig war: aus welchem Grunde litten seine Patienten? Das führte ihn notwendigerweise zu dem größeren Problem: wie läßt sich die Struktur und die Funktion der Seele begreifen? Er entwickelte eine Methode für die möglichst vollständige Erforschung des Inhalts einer menschlichen Seele ohne willkürliche Auslassungen. Natürlich hatte er seine vorgefaßten Ideen; aber schließlich gibt es keine Beobachtung ohne einen Standpunkt, wie schon Darwin wußte.«

Bei psychologischen Experimenten wird die Rolle des Beobachters vor der Erhebungsphase möglichst genau definiert und während der Erhebung kontrolliert, wozu nicht nur eine sorgfältige Beobachterschulung, sondern auch ein Beobachtungsschema erforderlich ist, das den Rahmen einer Beobachtung fixiert und die Struktur der Protokollierung vorgibt (vgl. Kriz und Lisch 1988). In der psychoanalytischen Situation fallen nicht nur die Festlegungen der Beobachterrolle weg, sondern die Aufgabe der Beobachtung wird von Analytiker und Patient gemeinsam geleistet. Die komplementären Grundregeln für Patient und Analytiker, freie Assoziation und gleichschwebende Aufmerksamkeit, öffnen das Feld der »Beobachtung« soweit wie möglich. Damit werden nicht nur die engen Begrenzungen und Kategorien einer experimentellen Anordnung überschritten, es wird auch der Geltungsbereich sozialer Konventionen verlassen, wie ich im dritten Kapitel ausführlicher zeigen werde.

Nun kann man mit Recht einwenden, innerhalb eines derart weiten Raumes könne kaum noch definiert werden, was das zu Beobachtende sei. Diesem Einwand läßt sich mit der Argumentation begegnen, die Devereux (1976) in »Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften« begründet und mit vielen Fallbeispielen illustriert hat. Der Patient kann der Aufforderung, alles zu sagen, was ihm durch den Sinn geht, nie ganz, sondern nur mehr oder weniger vollständig nachkommen, was aber auch für die gleichschwebende Aufmerksamkeit des Analytikers gilt. Analytiker wie Patient werden daher auf solche Phänomene aufmerksam, die Devereux treffend als »Störungen« der freien Assoziation oder gleichschwebenden Aufmerksamkeit bezeichnete. Devereux fordert in methodischer Hinsicht, aus diesen Störungen positive Schlüsse zu ziehen, d.h. die Tatsache, »daß die Gegenwart eines Beobachters (der dieselbe Größenordnung hat wie das, was er beobachtet) das beobachtete Ereignis stört« (S. 304), methodisch zu nutzen.

Was Devereux als Störung hervorhob, fällt in der Theorie der psychoanalytischen Technik auch unter den Begriff des Widerstandes. Gelingt es, die Widerstände gegen die freie Assoziation dadurch aufzulösen, daß der Sinn dieser Widerstände erkannt und formuliert werden kann, dann ist zugleich vollzogen, was eine spezifisch psychoanalytische Beobachtung ausmacht: die Lokalisation der Störung innerhalb der Assoziationen und der Sinn dieser Störung zusammengenommen bilden einen Baustein zur Konstruktion der unbewußten Dynamik eines bestimmten Konfliktes oder des sich aus einer bestimmten Konfliktlösung ergebenden Symptoms. Viele solcher spezifisch psychoanalytischer Beobachtungen ermöglichen dann ein vertieftes Verständnis der psychischen Struktur eines Patienten.