Die angstfreie Organisation - Amy C. Edmondson - E-Book

Die angstfreie Organisation E-Book

Amy C. Edmondson

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Beschreibung

Ein Grundlagenwerk für Organisationen, die eine agile Arbeitskultur anstreben: Erforschen Sie den Zusammenhang zwischen psychologischer Sicherheit und hoher Leistung.

Dieses Buch ist ein praktischer Leitfaden für die Schaffung von Unternehmenskulturen, in denen Wissen und Innovation gedeihen können, weil sich die Menschen sicher, aufgehoben und geschätzt fühlen.

Während einerseits viele Unternehmen in Talente investieren, um in der heutigen Wissensökonomie wettbewerbsfähig zu bleiben, werden die besten Talente andererseits verschwendet, wenn sie nicht in der Lage sind, sich frei äußern zu können. Der menschliche Instinkt, sich „anzupassen“ und „mitzumachen“, steht doch im Widerspruch zu dem kontinuierlichen Fluss neuer Ideen, neuer Lösungen und kritischer Überlegungen, die notwendig sind, damit Unternehmen innovativ bleiben. Auch wenn nicht jede Idee gut ist, dumme Fragen gestellt werden und Diskussionen die Dinge verlangsamen, darf die Kultur eines Unternehmens nicht unterdrücken, zum Schweigen bringen, verspotten oder einschüchtern.

Basierend auf Amy Edmondsons 20-jähriger Forschung hilft dieses wertvolle Buch dabei, die menschliche Seite der Innovationsgleichung anzugehen, um Arbeitsplätze zu schaffen, die sicher, angstfrei und befähigend sind, um ungezügelten Ideenstrom zu ermöglichen. Es bietet einen schrittweisen Rahmen für die Etablierung psychologischer Sicherheit in Organisationen. Es ist gefüllt mit anschaulichen szenario-basierten Beispielen und bietet einen klaren Weg zur Umsetzung einer Kultur, die von der freien Meinungsäußerung von Ideen und der Förderung von Engagement lebt. Es kann Führungskräften das Vertrauen geben, das sie benötigen, um individuelle und kollektive Talente zu entfesseln und die Art von Arbeitsumgebungen zu schaffen, die jedem und einer Organisation zum Erfolg verhelfen.
Autorin
Amy C. Edmondson ist Novartis Professorin für Führung und Management an der Harvard Business School. Ihre Arbeit beschäftigt sich mit den dynamischen Formen der Zusammenarbeit, die in einem Umfeld von Unsicherheit und Mehrdeutigkeit stattfinden.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Zum Inhalt:

Psychologische Sicherheit ist für Bestleistungen in Organisationen wichtig

„Organisationen sind heute auf Talente angewiesen, aber es gibt viele Gründe dafür, dass Talent allein nicht ausreicht. Die einzige Möglichkeit, wie menschliche Fähigkeiten wirklich gedeihen können, ist eine Atmosphäre, die frei von Angst ist. Amy Edmondson hat sich 20 Jahre lang dem Verständnis der psychologischen Sicherheit in Organisationen gewidmet – und in diesem zeitgemäßen, wichtigen Buch teilt sie das Gelernte. Sie zeigt auf, wie Angst Kreativität und Teamarbeit ersticken kann – und gibt dann kluge, praktische Ratschläge zur Überwindung dieser Hindernisse und zum Aufbau einer angstfreien Organisation. Dies ist ein Buch, das jede Führungskraft lesen und beachten sollte.“Daniel Pink, Autor von DRIVE

Kein Unternehmen im 21. Jahrhundert kann sich eine Kultur der Angst leisten. Die angstfreie Organisation ist nicht nur ein besserer Ort für die Mitarbeitenden, es ist auch ein Ort, wo Innovation, Entwicklung und Leistung gedeihen können.

Es ist nichts Neues, dass Wissen und Innovation in fast jeder Branche zu entscheidenden Faktoren beim Wettbewerbsvorteil geworden sind. Aber nur wenige Führungskräfte nehmen sich die Zeit, um über die Implikationen dieser neuen Wirklichkeit nachzudenken – insbesondere in Bezug auf die Arbeitsumgebung, die es den Mitarbeitern ermöglicht, sich zu entfalten, und die das Unternehmen erfolgreich sein lässt. Das Ziel dieses Buches besteht darin, genau das zu tun – und Ihnen einige neuen Ideen an die Hand zu geben, damit Organisationen, die stark auf Wissen basieren, bessere Leistungen erzielen.

Die Mitarbeiter auf allen Hierarchieebenen verbringen heute 50 % mehr Zeit damit, mit anderen zusammenzuarbeiten, als noch vor 20 Jahren. Es ist also nicht genug, Talente einzustellen; sie müssen gut zusammenarbeiten können. Effektive Teamarbeit ist aber nur in einer psychologisch sicheren Arbeitsumgebung möglich.

In diesem Buch werden Sie wichtige Methoden kennenlernen, die es Ihnen ermöglichen, psychologisch sichere Arbeitsumgebungen zu schaffen. Und Sie werden erfahren, dass psychologische Sicherheit darüber entscheiden kann, ob es zufriedene Kunden gibt oder ein wütender, destruktiver Tweet sich viral verbreitet.

Zur Autorin:

Amy C. Edmondson gilt als eine der weltweit einflussreichsten Denkerinnen im Management und der Personalentwicklung. 2019 wird sie auf dem dritten Platz der jährlich erscheinenden Thinkers50-Rangliste geführt. Sie lehrt seit 1996 an der Harvard University und hält Vorlesungen zu Führungsfragen, Teambildung, Entscheidungsfindung und organisationale Lernen.

Die angstfreie Organisation

Wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen

von Amy C. Edmondson

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Mike Kauschke

— Für George.

Meinem geliebten Ehemann, dessen Neugier und Begeisterungsfähigkeit ihn zu einem großartigen Wissenschaftler und Führenden werden ließ und der nur zu gut weiß, dass Angst der Feind

VIIInhaltsverzeichnis

Einführung

Was man braucht, um in einer komplexen, unsicheren Welt ­erfolgreich zu sein

Entdeckung durch Zufall

Ein Überblick über das Buch

Endnoten

Teil 1: Die Kraft der ­psychologischen Sicherheit

Kapitel 1: Die Grundlage

Unbewusste Risikoabschätzung

Wie ein psychologisch sicherer Arbeitsplatz aussehen könnte

Eine zufällige Entdeckung

Auf den Schultern von Riesen

Warum Angst keine wirksame Motivation ist

Was psychologische Sicherheit nicht ist

Psychologische Sicherheit bedeutet nicht, einfach nur nett zu sein

VIIIPsychologische Sicherheit ist kein Persönlichkeitsmerkmal

Psychologische Sicherheit ist nicht nur einfach ein anderes Wort für Vertrauen

Psychologische Sicherheit bedeutet nicht, dass man die ­Leistungsstandards ­herabsetzt

Wie man psychologische Sicherheit messen kann

Psychologische Sicherheit ist nicht genug

Endnoten

Kapitel 2: Die Beweisspuren

Nicht nur eine Belohnung

Der Stand der Forschung

Die Epidemie des Schweigens

Eine Arbeitsumgebung, die das Lernen fördert

Lernen aus Fehlern

Die Verbesserung der Qualität: Lerne-was und Lerne-wie

Notlösungen verringern

Wissen teilen, wenn man sich über die Qualität der Idee nicht ­sicher ist

Warum psychologische Sicherheit die Leistungsfähigkeit stärkt

Mitarbeiter, die sich psychologisch sicher fühlen, sind ­engagierte Mitarbeiter

Psychologische Sicherheit als besondere Zutat

Mit der geografischen Verteilung umgehen

Konflikte positiv nutzen

Den Wert der Vielfalt erkennen

Wie die Forschungsergebnisse zur Anwendung kommen

Endnoten

IXTeil 2 Psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz

Kapitel 3: Vermeidbares ­Scheitern

Anspruchsvolle Standards

Das übertriebene Ziel ausdehnen

Angst vor der Wahrheit

Wer reguliert die Regulierer?

Vermeidbares Scheitern vermeiden

Einen agilen Umgang mit der Strategie umsetzen

Endnoten

Kapitel 4: Gefährliches Schweigen

Wenn die eigene Meinung nicht gesagt wird

Was nicht gesagt wurde

Übertriebenes Vertrauen auf die Autoritäten

Eine Kultur des Schweigens

Wenn Warnungen überhört werden

Zustimmen, um gut miteinander auszukommen

Schweigen im lauten Zeitalter der Sozialen Medien

Befördert und beschützt

Endnoten

Kapitel 5: Der angstfreie ­Arbeitsplatz

Aufrichtigkeit leben

Auf dem Weg zum Guten das Schlechte umarmen

Die Freiheit, zu scheitern

Extreme Aufrichtigkeit

Transparenz-Bibliotheken

Produktiver Konflikt

XDie Kraft des Nicht-Wissens

Demütiges Zuhören

Die Erlaubnis, dem eigenen Interesse zu folgen

Wirksames Scheitern

Wie das Scheitern sicher wird

Schnelle Bewertung

Das wahre Scheitern ist die Unfähigkeit, zu scheitern

Fürsorge für die Mitarbeiter

Nach Input fragen

Was wir von Arbeitsumgebungen mit psychologischer ­Sicherheit lernen können

Endnoten

Kapitel 6: Sicher und heilsam

Die eigenen Worte nutzen

Ein virtuelles Team in der Lernzone

Die Zeit gut nutzen

Von anderen Branchen lernen

Einer für alle, alle für einen

Das Wort ergreifen für die Sicherheit der Mitarbeiter

Transparenz durch das Whiteboard

Talente befreien

Endnoten

Teil 3 Eine angstfreie Organisation ­gestalten

Kapitel 7: Wie es möglich wird

Der Methodenkoffer für die Führenden

Die Voraussetzungen schaffen

Einladung zur Teilnahme

Produktiv reagieren

XIDie Voraussetzungen für psychologische Sicherheit schaffen

Der Arbeit einen Bezugsrahmen geben

Die Mitarbeiter zu Einsatzbereitschaft motivieren

Auf eine inspirierende und ehrliche Weise zur ­Mitwirkung einladen

Situationsbezogene Demut

Proaktives Nachforschen

Strukturen für Inputs schaffen

Wie man produktiv auf Aussagen antwortet – egal mit ­welcher Qualität sie ausgesprochen wurden

Wertschätzung ausdrücken

Die Entstigmatisierung des Scheiterns

Klare Verstöße mit Sanktionen belegen

Selbsteinschätzung für Führungskräfte

Endnoten

Kapitel 8: Und dann?

Ständige Erneuerung

Absichtsvolle Entscheidungsfindung

Die Stimmen des Schweigens hören

Wenn Humor nicht lustig ist

Häufig gestellte Fragen über psychologische Sicherheit

Aufwind nutzen

Endnoten

Anhang

Danksagungen

Über Amy C. Edmondson

Index

XIIIEinführung

„Kein Gefühl raubt dem Geist in solch einem Ausmaß die Fähigkeit, zu handeln und klar zu denken, wie die Angst.“1

— Edmund Burke, 1756

Egal, ob Sie ein globales Unternehmen leiten, Software entwickeln, Kunden beraten, als Arzt praktizieren, Häuser bauen oder in einer hochmodernen Fabrik arbeiten, in der ausgefeilte Computerkenntnisse nötig sind, um komplexe Produktions­aufgaben umzusetzen: Sie sind ein Wissensarbeiter, eine Wissensarbeiterin.2 In der Industriellen Revolution war die Standardisierung der Wachstumsmotor, wobei die Mitarbeiter die Arbeitskräfte waren, die „den einen besten Weg der Umsetzung“ verfolgten, um fast jede Aufgabe zu erfüllen. Heute wird das Wachstum durch Ideen und Erfindergeist angetrieben. Die Mitarbeiter müssen ihre intellektuellen Fähigkeiten einbringen und zusammenarbeiten, um Probleme zu lösen und Arbeitsaufgaben zu erfüllen, die sich ständig verändern. Organisationen müssen immer wieder neue Möglichkeiten finden, um Werte zu schaffen, durch die sie langfristig erfolgreich sein können. Und diese Wertschöpfung beginnt damit, dass wir das Talent, das uns zur Verfügung steht, so gut und wirksam wie möglich einsetzen.

XIVWas man braucht, um in einer komplexen, unsicheren Welt erfolgreich zu sein

Es ist nichts Neues, dass Wissen und Innovation in fast jeder Branche zu entscheidenden Faktoren beim Wettbewerbsvorteil geworden sind. Aber nur wenige Manager nehmen sich die Zeit, um über die Implikationen dieser neuen Wirklichkeit nachzudenken – insbesondere in Bezug auf die Arbeitsumgebung, die es den Mitarbeitern ermöglicht, sich zu entfalten, und die das Unternehmen erfolgreich sein lässt. Das Ziel dieses Buches besteht darin, genau das zu tun – und Ihnen einige neuen Ideen und Methoden an die Hand zu geben, damit Organisationen, die stark auf Wissen basieren, bessere Leistungen erzielen.

In einer Welt, in der Innovation über Erfolg und Scheitern entscheiden kann, ist es nicht ausreichend, kluge, motivierte Mitarbeiter einzustellen. Intelligente, fähige, wohlwollende Menschen sind manchmal nicht dazu in der Lage, in den entscheidenden Momenten, wo es am meisten gebraucht wird, ihr Wissen bei der Arbeit einzubringen. Und manchmal liegt es daran, dass sie nicht bemerken, wie dringend ihr Wissen gebraucht wird. Aber viel öfter ist der Grund dafür, dass sie nicht auffallen möchten, nichts Unfertiges sagen oder den Chef nicht verärgern wollen. Damit Wissensarbeit erfolgreich sein kann, muss die Arbeitsumgebung so gestaltet sein, dass die Menschen sich in der Lage fühlen, ihr Wissen zu teilen! Dazu gehört auch das Teilen von Sorgen, Fragen, Fehlern und halb ausgegorenen Ideen. In den meisten Arbeitsumgebungen halten sich heute viele Menschen viel zu oft zurück – sie scheuen es, etwas zu sagen oder zu fragen, das sie irgendwie in einem schlechten Licht erscheinen lässt. Noch komplizierter wird es dadurch, dass in einer Wirtschaft, in der die Unternehmen globaler und komplexer werden, ein größerer Teil der Arbeit in Teams erledigt wird. Die Mitarbeiter auf allen Hierarchieebenen verbringen heute 50 % mehr Zeit damit, mit anderen zusammenzuarbeiten, als noch vor 20 Jahren.3 Es ist also nicht genug, talentierte Mitarbeiterinnen einzustellen; sie müssen gut zusammenarbeiten können.

In meiner Forschungstätigkeit im Laufe der vergangenen 20 Jahre konnte ich aufzeigen, dass es einen Faktor gibt, den ich als psychologische Sicherheit bezeichne, der die Unterschiede bei der Leistung in verschiedenen Arbeitsumgebungen, wie Krankenhäusern, Fabriken, Schulen und Regierungsbehörden, erklärt. Zudem ist psychologische Sicherheit für ganz verschiedene Tätigkeiten entscheidend, etwa für Manager bei der Leitung eines Finanzinstituts oder für die Pflegenden auf einer Intensivstation. Meine Feldforschung konzentrierte sich vor allem auf Gruppen und Teams, weil die meiste Arbeit in dieser Form ausgeführt wird. Nur wenige Produkte oder Dienstleistungen werden heute von Einzelnen geschaffen, die allein arbeiten. Und nur wenige Menschen tun einfach ihre Arbeit und geben sie in einem linearen, nacheinander ablaufenden Prozess an die Nächste weiter, die dann ihre Arbeit er­ledigt. Stattdessen erfordern die meisten Arbeitsaufgaben, XVdass die Mitarbeiter miteinander reden, um veränderliche Wechselbeziehungen auszuhandeln. Fast alles, was wir in der modernen Wirtschaft wertschätzen, ist das Ergebnis von Entscheidungen und Handlungen, die voneinander abhängig sind und deshalb von effektiver Teamarbeit profitieren. Wie ich in früheren Büchern und Artikeln ausgeführt habe, wird diese Teamarbeit immer dynamischer, was zu ständig neuen Zusammensetzungen von Mitarbeitern führt. Formelle, klar eingeteilte Teams, die in ihrer Zusammensetzung gleichbleiben, sind heute selten.4 Diese dyna­mische Zusammenarbeit wird als „Teaming“ bezeichnet.5 Teaming ist die Kunst, mit Menschen über Grenzen hinweg zu kommunizieren und sie zu koordinieren – über Unterschiede in Expertise, Status und räumlicher Nähe hinweg, um nur die gewichtigsten Unterschiede zu nennen. Aber egal, ob Sie ständig ein Team mit neuen Mitarbeitern bilden oder in einem stabilen Team arbeiten, effektive Teamarbeit ist nur in einer psychologisch sicheren Arbeitsumgebung möglich.

Psychologische Sicherheit bedeutet nicht den Schutz vor den Konsequenzen des eigenen Handelns und es meint auch keinen Zustand der Selbstgenügsamkeit. In psychologisch sicheren Arbeitsumgebungen wissen die Mitarbeiterinnen, dass sie scheitern könnten. Sie wissen, dass sie möglicherweise ein Leistungsfeedback erhalten, das nicht den Erwartungen entspricht. Sie können ihren Job verlieren, weil sich in der Branche etwas verändert oder weil ihnen die Kompetenz für ihre Rolle fehlt. Diese Merkmale moderne Arbeitsplätze werden sich nicht so bald verändern. Aber in einer psychologisch sicheren Arbeitsumgebung werden die Mitarbeiter nicht durch zwischenmenschliche Angst behindert. Sie fühlen sich bereit und fähig, die unvermeidlichen zwischenmenschlichen Risiken der Aufrichtigkeit einzugehen. Sie haben mehr Angst davor, ihre vollkommene Mitwirkung zurückzuhalten, als dass sie Angst davor haben, potenziell sensible, bedrohliche oder falsche Ideen zu äußern. In einer angstfreien Organisation wird die zwischenmenschliche Angst minimiert, damit in einer Welt, in der Wissen so wichtig ist, die Leistung der Teams und der Organisation maximiert wird. Aber das ist keine Welt, in der es keine Angst vor der Zukunft gibt!

In diesem Buch werden Sie erfahren, dass die psychologische Sicherheit darüber entscheiden kann, ob es zufriedene Kunden gibt oder ein wütender, destruktiver Tweet sich viral verbreitet. Sie kann darüber entscheiden, ob man eine komplexe medizinische Diagnose findet, die zur vollkommenen Genesung des Patienten führt, oder einen Schwerkranken zu früh nach Hause schickt. Die psycholo­gische Sicherheit kann bestimmen, ob man gerade noch eine Bedrohung erkennt oder in einem katastrophalen geschäftlichen Zusammenbruch landet. Sie kann darüber entscheiden, ob man eine gute Wirtschaftsleistung erbringt oder ein dramatisches Scheitern erfährt, dass durch die Medien geht. In diesem Buch werden Sie auch entscheidend wichtige Methoden lernen, die es Ihnen erlauben, die psychologisch ­sicheren Arbeitsumgebungen zu schaffen, die es Ihrer Organisation ermöglichen, in einer komplexen, unsicheren und wechselseitig abhängigen Welt erfolgreich zu sein.

XVIPsychologische Sicherheit wird allgemein als eine Arbeitsatmosphäre bezeichnet, in der sich die Menschen ausdrücken und sie selbst sein können. Spezifischer kann man sagen, dass Mitarbeiter, die am Arbeitsplatz psychologische Sicherheit erfahren, sich ermuntert fühlen, Bedenken und Fehler zu äußern, ohne Angst vor Beschämung oder Strafe. Sie vertrauen darauf, dass sie sich äußern können, ohne gedemütigt, ignoriert oder beschuldigt zu werden. Sie wissen, dass sie Fragen stellen können, wenn sie sich in einer Sache unsicher sind. Sie vertrauen ihren Kollegen und respektieren sie. Wenn es in einer Arbeitsumgebung eine einigermaßen starke psychologische Sicherheit gibt, hat das positive Folgen: Fehler werden schnell kommuniziert, wodurch rasch Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Die nahtlose Koordina­tion zwischen Gruppen oder Abteilungen wird gestärkt und potenziell bahnbrechende Ideen für Innovationen werden geteilt. Kurz gesagt, psychologische Sicherheit ist eine entscheidend wichtige Quelle der Wert­schöpfung in Organisationen, die in einer komplexen, veränderlichen Umgebung arbeiten.

Trotzdem fand man in einer Gallup-Umfrage im Jahre 2017 heraus, dass nur drei von zehn Mitarbeitern stark der Aussage zustimmen, dass ihre Meinung am Arbeitsplatz gehört wird.6 In der Umfrage wurde dies so ausgewertet, dass man erklärte, „wenn dieses Ergebnis auf sechs von zehn Mitarbeitern erhöht werden könnte, dann gäbe es 27 % weniger Mitarbeiterfluktuation, 40 % weniger Unfälle und 12 % Anstieg der Produktivität“.7 Deshalb reicht es nicht aus, wenn Organisationen einfach nur talentierte Mitarbeiter einstellen. Wenn die Führungskräfte das individuelle und kollektive Talent befreien wollen, dann müssen sie eine psycho­logisch sichere Atmosphäre gestalten, in der die Mitarbeiter sich frei fühlen, Ideen einzubringen, Informationen zu teilen und Fehler zu berichten. Stellen Sie sich vor, was man erreichen könnte, wenn es zur Norm würde, dass Mitarbeiter das Gefühl hätten, dass ihre Meinung am Arbeitsplatz zählt. Das bezeichne ich als angstfreie Organisation.

Entdeckung durch Zufall

Mein Interesse an psychologischer Sicherheit begann Mitte der 1990er-Jahre, als ich das Glück hatte, in einem interdisziplinären Forscherteam zu arbeiten, das eine bahnbrechende Studie zu Medikamentenfehlern in Krankenhäusern durchführte. Die Gesundheitsfürsorge in Krankenhäusern ist ein Extrembeispiel für Herausforderungen, die es auch in anderen Branchen gibt – vor allem die Herausforderung, die Teamarbeit in einer hochtechnisierten, stark spezialisierten Umgebung sicherzustellen, in der die Arbeit rund um die Uhr weiterlaufen muss. Ich dachte mir, wenn ich von solch einem Extrembeispiel lernen könnte, würde ich neue Einsichten über die Führung von Mitarbeitern gewinnen, die auch für andere Organisationen relevant sind.

XVIIIm Rahmen der Studie sammelten ausgebildete Prüfer für Pflegekräfte sechs Monate lang genaue Daten über potenziell folgenschwere menschliche Fehlhandlungen. Damit wollten wir ein neues Licht darauf werfen, wie häufig solche Zwischenfälle in Krankenhäusern vorkommen. Dabei konnte ich beobachten, wie verschiedene Abteilungen und Stationen in den Krankenhäusern arbeiten. Ich versuchte, ihre Strukturen und Kulturen zu verstehen und wollte Einsicht in die Bedingungen gewinnen, unter denen Fehler in geschäftigen, spezifischen und manchmal chao­tischen Arbeitsabläufen möglich sind, wo die richtige Koordination über Leben oder Tod entscheiden kann. Zudem verteilte ich einen Fragebogen, um einen anderen Blick darauf zu gewinnen, wie gut die verschiedenen Stationen als Teams zusammenarbeiten.

In diesem Prozess stolperte ich durch Zufall über die Wichtigkeit der psycholo­gischen Sicherheit. Wie ich im Kapitel 1 ausführen werde, begann dadurch ein neues Forschungsprogramm, das schließlich empirische Erkenntnisse lieferte, welche die Ideen, die in diesem Buch entwickelt und vermittelt werden, bestätigen. Hier möchte ich nur erwähnen, dass ich nicht damit begann, psychologische Sicherheit zu erforschen, sondern die Teamarbeit im Zusammenhang mit Fehlern untersuchte. Mein Gedanke war, dass die Qualität der Zusammenarbeit ein wichtiges Element war, das es Organisationen ermöglicht, in einer sich ständig verändernden Welt zu lernen. Die psychologische Sicherheit zeigte sich unerwartet – in einem Moment, den ich später als „blendenden Blitz des Offensichtlichen“ bezeichnete – und erklärte einige rätselhafte Ergebnisse in meinen Daten. Heute gibt es Studien über psychologische Sicherheit in verschiedenen Bereichen, wie dem Gesundheitswesen, der Wirtschaft oder der Schulbildung. In den vergangenen 20 Jahren stieg die Menge wissenschaftlicher Fachliteratur an, in der die Ursachen und die Folgen psychologischer Sicherheit am Arbeitsplatz thematisiert wird. Zu dieser Fach­literatur gehören meine eigenen Veröffentlichungen, aber auch die Arbeiten anderer Forscher. Wir haben viel darüber gelernt, was psychologische Sicherheit ist, wie sie wirkt und warum sie wichtig ist. In diesem Buch fasse ich die Schlüsselerkenntnisse dieser Forschungsstudien zusammen.

Seit Kurzem stößt die Idee der psychologischen Sicherheit auch bei Praktikern auf Interesse. Aufmerksame Führende, Manager, Berater und Klinikärzte in verschiedenen Branchen wollen ihren Organisationen dabei helfen, Veränderungen umzusetzen, die psychologische Sicherheit ermöglichen. Dies wird als eine Strategie gesehen, um Lernen, Innovation und das Engagement der Mitarbeiter zu stärken. Psychologische Sicherheit erhielt einen starken Popularitätsschub in der Manager-Blogosphäre, nachdem Charles Duhigg im Februar 2016 einen Artikel in der New York Times veröffentlichte, in dem er über eine fünfjährige Studie bei Google berichtete, bei der untersucht wurde, was gute Teams ausmacht.8 In der Studie wurden verschiedene Möglichkeiten untersucht: Ist es wichtig, dass die Team-­Mitglieder einen ähnlichen Bildungshintergrund haben? War das Geschlechterverhältnis ausschlaggebend? Oder wie stand es um die sozialen Beziehungen XVIIIaußerhalb der Arbeitszeit? Aber es konnten keine klaren Merkmale gefunden werden. Innerhalb des „Project Aristotle“, wie diese Initiative bezeichnet wurde, untersuchte man nun die Normen, das heißt, die Verhaltensweisen und ungeschriebenen Regeln, an die sich eine Gruppe oft hält, ohne bewusst darauf zu achten. Duhigg berichtete, dass die Forscher schließlich „in der Fachliteratur die Idee der psychologischen Sicherheit beschrieben und plötzlich ergaben ihre Beobachtungen einen Sinn.“9 Sie kamen zu dem Schluss, dass „psychologische Sicherheit mit Abstand die wichtigste der fünf Schlüsseldynamiken war, die wir gefunden haben.“10 Andere Verhaltensweisen waren auch wichtig, wie klare Zielvorgaben und die Unterstützung der wechselseitigen Verantwortlichkeit, aber wenn sich die Teammitglieder nicht psychologisch sicher fühlten, waren die anderen Verhaltensweisen unwirksam. Julia Rozovsky, Leiterin des Forschungsteams, erklärte sogar: „Psychologische Sicherheit ist die Grundlage der anderen vier.“11 Wegen dieser wunderbar prägnanten Schlussfolgerung trägt das erste Kapitel dieses Buches die Überschrift „Die Grundlage“.

Ein Überblick über das Buch

Das Buch ist in drei Teilen strukturiert. Teil 1: Die Kraft der psychologischen Sicherheit besteht aus zwei Kapiteln, die in die Idee der psychologischen Sicherheit einführen und eine kurze Geschichte der Erforschung dieses wichtigen Phänomens in der Arbeitswelt umreißen. Wir werden auch untersuchen, warum psychologische Sicherheit wichtig ist und warum sie in vielen Organisationen nicht die Norm ist. Kapitel 1: Die Grundlage beginnt mit einer wahren Geschichte (mit geänderten Namen), die in einem Krankenhaus stattfindet. Daran wird deutlich, wie weitverbreitet es ist, dass sich Mitarbeiter am Arbeitsplatz zurückhalten – sie äußern ihre Bedenken oder eine Frage nicht. Gleichzeitig blicken wir auf die tiefgehenden Implikationen, die dieser menschliche Reflex auf die Qualität der Arbeit in fast jeder Organisation haben kann. Zudem werde ich erklären, wie ich schon früh in meiner wissenschaftlichen Karriere über die psychologische Sicherheit stolperte.

Kapitel 2: Die Beweisspuren enthält Schlüsselerkenntnisse aus einer systematischen Durchsicht der wissenschaftlichen Erforschung der psychologischen Sicherheit. Ich gehe dabei nicht auf die Einzelheiten der Studien ein, sondern gebe einen Überblick darüber, wie die Erforschung der psychologischen Sicherheit Erkenntnisse geliefert hat, die die Kernaussage dieses Buches stützen: dass sich keine Organisation im 21. Jahrhundert eine Kultur der Angst leisten kann. Die angstfreie Organisation ist nicht nur ein besserer Ort für die Mitarbeiterinnen, es ist auch ein Ort, wo sich Innovation, Wachstum und Leistung entfalten können. Wenn Sie diese Erkenntnisse überspringen und schnell zum Teil 2 übergehen wollen, dann werden Sie mit einer Reihe von Fallbeispielen belohnt, die klar den Preis ansprechen, den wir zahlen XIXmüssen, wenn keine psychologische Sicherheit vorhanden ist – und darüber hinaus auch die Vorteile, wenn man darin investiert.

Die vier Kapitel in Teil 2: Psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz geben Fallbeispiele aus der Praxis von Arbeitsumgebungen in privaten und öffentlichen Organisationen, um zu zeigen, wie psychologische Sicherheit (oder ihr Fehlen) die Geschäftsergebnisse und die Arbeitssicherheit beeinflusst.

Das Kapitel 3: Vermeidbares Scheitern wirft einen tieferen Blick auf Beispiele, wo die Angst am Arbeitsplatz dazu führte, dass man der Illusion des Geschäftserfolges erlag. Dabei verzögerte man die unvermeidliche Entdeckung tiefer liegender Probleme, die nicht berichtet und deshalb auch nicht gelöst wurden. In diesem Zusammenhang werden wir bekannte Unternehmen kennenlernen, die zu den Spitzenreitern ihrer Branchen gehörten. Sie erlebten dramatische Abstürze, die durch die Medien gingen. Im Kapitel 4: Gefährliches Schweigen werden Arbeitsumgebungen behandelt, in denen die Mitarbeiter, Kunden oder Gemeinschaften (vermeidbaren) körperlichen oder emotionalen Schaden erfuhren, weil die Mitarbeiter, die in einer Kultur der Angst lebten, sich nicht trauten, ihre Stimme zu erheben, Fragen zu stellen oder um Hilfe zu bitten. In Kapitel 5 und 6 lernen wir dann Organisationen kennen, die sich sehr darum bemüht haben, eine Umgebung zu schaffen, in der es erlaubt ist und erwartet wird, dass die Mitarbeiterinnen ihre Stimme erheben. Diese Porträts verdeutlichen uns, wie eine angstfreie Organisation aussieht und wie sie sich anfühlt. Sie sind erstaunlich verschieden von den Beispielen in Kapitel 3 und 4, aber – was besonders wichtig ist – sie unterscheiden sich auch sehr voneinander. Es gibt mehr als einen Weg, um angstfrei zu leben! Das Kapitel 5: Der angstfreie Arbeitsplatz stellt Unternehmen (wie Pixar) vor, deren kreative Arbeit direkt und offensichtlich entscheidend mit der Geschäftsleistung verbunden ist. Hier haben die Führungskräfte schon früh in ihrer Laufbahn verstanden, wie wichtig es ist, psychologische Sicherheit zu schaffen. Wir lernen zudem Unternehmen wie Barry-Wehmiller kennen, einen Produzenten für Industriegeräte, der einen transformativen Prozess durchlief, bei dem man entdeckte, dass das Geschäft floriert, wenn sich die Mitarbeiter ungehindert entfalten können. Im Kapitel 6: Sicher und heilsam werden Arbeitsumgebungen untersucht, in denen psychologische Sicherheit dabei hilft, die Sicherheit und Würde der Mitarbeiter und Kunden sicherzustellen.

Der Teil 3:Eine angstfreie Organisation gestalten enthält zwei Kapitel, die auf den bisher vorgestellten Geschichten und Forschungsergebnissen aufbauen, um sich auf die Frage zu konzentrieren, was Führende tun müssen, um eine angstfreie Organisation zu gestalten – eine Organisation, in der jede ihr ganzes Selbst in die Arbeit einbringen, etwas beitragen, wachsen, sich entfalten und mit anderen verbinden kann, um hervorragende Ergebnisse zu erreichen.

Das Kapitel 7: Wie psychologische Sicherheit möglich wird beschäftigt sich mit der Frage, wie man psychologische Sicherheit kultivieren kann – und wie man sie XXwiederherstellen kann, wenn sie verlorenging. Darin beschreibe ich das Toolkit der Führenden. Hier gebe ich einen Bezugsrahmen mit drei einfachen (aber nicht immer leichten) Aktivitäten, die Führende – an der Spitze und auf allen Ebenen der Organisation – nutzen können, um das Engagement und die Initiativkraft der Mitarbeiter zu stärken. Dabei werden wir sehen, dass die Schaffung psychologischer Sicherheit eine gewisse Anstrengung und Kompetenz erfordert, aber diese Mühe zahlt sich aus, wenn Fachwissen und Zusammenarbeit für die Qualität der Arbeit wichtig sind. Wir werden auch bemerken, dass die Arbeit einer Führungskraft nie zu Ende ist. Es geht nicht darum, auch das Thema psychologische Sicherheit abzuhaken und sich dann anderen Dingen zuzuwenden. Eine Arbeitsumgebung zu entwickeln und zu unterstützen, in der die Menschen lernen, innovativ sein und wachsen können, ist eine nie endende Aufgabe – dafür eine zutiefst sinnvolle. Das Kapitel 8: Und dann? bildet den Abschluss des Buches, es fügt neugewonnene Informationen hinzu und beantwortet die Fragen, die mir am häufigsten von Menschen aus Unternehmen aus der ganzen Welt gestellt werden.

Wir leben in einer Zeit, in der kein Einzelner alles wissen oder alles Nötige tun kann, um die Arbeit durchzuführen, die die Kunden erwarten. Deshalb ist es heute wichtiger denn je, dass die Menschen sich äußern, Informationen teilen, Fachwissen beitragen, Risiken eingehen und zusammenarbeiten, um bleibende Werte zu schaffen. Aber wie Edmund Burke vor mehr als 250 Jahren schrieb: Die Angst begrenzt unsere Fähigkeit zu wirksamem Denken und Handeln – sogar für die talentiertesten Mitarbeiterinnen. Die Führenden müssen heute bereit sein, die Aufgabe zu übernehmen, Angst aus den Organisationen zu verbannen, um die Bedingungen für Lernen, Innovation und Wachstum zu schaffen. Ich hoffe, dass dieses Buch einen Beitrag dazu leistet.

Endnoten

1. Burke, E. A Philosophical Inquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and Beautiful. Dancing Unicorn Books, 2016.

2. Selingo, J.J. „Wanted: Factory Workers, Degree Required.“ The New York Times. 30. Januar 2017. https://www.nytimes.com/2017/01/30/education/edlife/factory-workers-college-degree-apprenticeships.html. Aufgerufen am 13. Juni 2018.

3. Cross, R., Rebele, R. & Grant, A. „Collaborative Overload.“ Harvard Business Review. 1. Januar 2016. https://hbr.org/2016/01/collaborative-overload Aufgerufen am 13. Juni 2018.

4. Edmondson, A.C. „Teamwork on the fly.“ Harvard Business Review 90.4, April 2012. 72–80.

5. Edmondson, A.C. Teaming: How Organizations Learn, Innovate, and Compete in the Knowledge Economy. San Francisco: Jossey-Bass, 2012.

6.XXIGallup. State of the American Workplace Report. Gallup: Washington, D.C, 2017. http://news.gallup.com/reports/199961/state-americanworkplace-report-2017.aspx. Aufgerufen am 13. Juni 2018.

7. Gallup, State of the American Workplace Report. 2012: 112

8. Duhigg, C. „What Google Learned From Its Quest to Build the Perfect Team“ The New York Times Magazine. 25. Februar 2016. https://www.nytimes.com/2016/02/28/magazine/what-google-learnedfrom-its-quest-to-build-the-perfect-team.html. Aufgerufen am 13. Juni 2018

9. Ebd.

10. Rozovsky, J. „The five keys to a successful Google team.“ re:Work Blog. 17. November 2015. https://rework.withgoogle.com/blog/fivekeys-to-a-successful-google-team/. Aufgerufen am 13. Juni 2018.

11. Ebd.

1Teil 1:Die Kraft der psychologischen Sicherheit

3Kapitel 1: Die Grundlage

„Psychologische Sicherheit war mit Abstand die wichtigste der fünf Schlüsseldynamiken, die wir gefunden haben. Sie war die Grundlage der anderen vier.“

— Julia Rozovsky,„Die fünf Schlüssel zu einem erfolgreichen Team bei Google.“1

Die winzigen neugeborenen Zwillinge schienen ausreichend gesund zu sein, aber ihre frühe Entbindung nach nur 27 Wochen Schwangerschaft gaben ihnen den Status eines „hohen Risikos“. Glücklicherweise waren im medizinischen Team des städtischen Krankenhauses, wo die Babys entbunden wurden, auch Mitarbeiterinnen aus der Neonatal Intensive Care Unit (NICU): eine junge Krankenschwester mit Weiterbildung zur Intensivpflegekraft für Neugeborene namens Christina Price* und der schon etwas ergraute Dr. Drake. Als Christina die Babys anschaute, wuchsen ihre Bedenken. Zu der Fortbildung, an der sie vor Kurzem teilgenommen hatte, gehörte auch die Einführung einer neuen optimalen Verfahrensweise. Dabei wurde jedem Baby mit einem erhöhten Risiko so schnell wie möglich ein Medikament für die Entwicklung der Lunge verabreicht. Sehr früh geborene Babys haben oftmals eine Lunge, die noch nicht völlig auf das selbstständige Atmen außerhalb der Gebärmutter vorbereitet ist. Aber Dr. Drake hatte dieses Medikament, das als „Surfactant“ bezeichnet wird, nicht verschrieben. Christina wollte ihn darauf 4ansprechen und an die Verabreichung von Surfactant erinnern, hielt aber inne. Letzte Woche hatte sie zufällig ein Gespräch mitgehört, in dem Dr. Drake öffentlich eine Krankenschwester beschimpfte, weil sie seine Anordnungen hinterfragt hatte. Sie sagte sich, dass es den Zwillingen auch so gut gehen würde – denn der Arzt hatte wahrscheinlich einen Grund dafür, dass er Surfactant wegließ, dessen Verabreichung immer noch als Ermessensentscheidung galt. Sie ließ die Idee fallen, es anzusprechen.

Unbewusste Risikoabschätzung

Durch das Zögern und die Entscheidung, sich nicht zu äußern, unternahm Christina eine schnelle, nicht vollkommen bewusste Abschätzung des Risikos – eine der kleinen Abwägungen, die die meisten von uns viele Male täglich vornehmen. Wahrscheinlich war sie sich nicht einmal bewusst, dass sie das Risiko, schlechtgemacht oder beschimpft zu werden, gegen das Risiko abwog, dass die Babys vielleicht tatsächlich das Medikament brauchten, um sich gesund zu entwickeln. Sie sagte sich, dass es der Arzt besser wisse als sie selbst, und sie war sich nicht sicher, ob der Arzt ihre Frage begrüßen würde. Unbeabsichtigt hatte sie etwas getan, was Psychologen als das Abwerten der Zukunft bezeichnen – wobei sie die wichtigere Sorge um die Gesundheit des Patienten unterbewertete, deren Richtigkeit sich erst über eine längere Zeit herausstellen würde, und die Wichtigkeit der möglichen Reaktion des Arztes überbewertete, die sie sofort erfahren würde. Unsere spontane Tendenz, die Zukunft abzuwerten, erklärt die weite Verbreitung vieler schädlicher und ungesunder Verhaltensweisen – sei es, noch ein zusätzliches Stück Schokolade zu essen oder eine herausfordernde Aufgabe vor sich her zu schieben. Die fehlende Bereitschaft, am Arbeitsplatz die Stimme zu erheben, ist ein oft übersehenes Beispiel für diese problematische Tendenz.

Wie die meisten Menschen versuchte Christina spontan, das Bild, das man sich von ihr am Arbeitsplatz machte, zu manipulieren. In seinem 1957 erschienenen bahnbrechenden Buch Wir alle spielen Theater: Die Selbstdarstellung im Alltag zeigte der bekannte Soziologe Erving Goffman, dass wir als Menschen ständig beeinflussen, wie andere uns wahrnehmen, indem wir in sozialen Interaktionen die Informationen regulieren und kontrollieren.2 Das tun wir sowohl bewusst als auch unbewusst.

Mit anderen Worten, niemand von uns steht voller Begeisterung auf, um zur Arbeit zu gehen und als dumm, inkompetent oder störend wahrgenommen zu werden. Dies sind sogenannte zwischenmenschliche Risiken, die wir alle vermeiden möchten, was uns aber nicht immer bewusst ist.3 In der Tat wollen die meisten von uns in den Augen anderer als klug, fähig, positiv oder hilfreich erscheinen. Unabhängig von der Art unserer Arbeit, von unserem Status oder Geschlecht lernen wir alle schon relativ früh in unserem Leben, wie wir mit zwischenmenschlichen Risiken 5umgehen können. In der Grundschule bemerken die Kinder zu einem bestimmten Zeitpunkt, dass es wichtig ist, was andere von ihnen denken. Sie lernen, wie man das Risiko von Ablehnung oder Spott verringern kann. Wenn wir erwachsen sind, haben wir dieses Verhalten sehr gut eingeübt! Wir sind so gut darin, dass wir nicht mehr bewusst darüber nachdenken. Sie wollen nicht, dass Sie als dumm erscheinen? Dann stellen Sie keine Fragen. Sie wollen nicht als inkompetent erscheinen? Dann geben Sie keine Fehler oder Schwächen zu. Sie wollen nicht stören? Dann machen Sie keine Vorschläge. Bei einer privaten Begegnung mag es akzeptabel sein, das eigene Erscheinungsbild wichtiger zu nehmen, als die Fähigkeit, etwas zu verändern. Am Arbeitsplatz kann diese Tendenz jedoch zu ernsthaften Problemen führen – die von verpassten Innovationen bis hin zum Extremfall des Verlusts eines menschlichen Lebens reichen können. Aber das Vermeiden von Verhaltensweisen, die andere dazu bewegen könnten, uns geringer zu schätzen, ist in den meisten Arbeitsumgebungen gang und gebe.

Die einflussreiche Management-Denkerin Nilofer Merchant beschrieb ihre erste Zeit als Administratorin bei Apple folgendermaßen: „Oft ging ich zu Meetings und sah die Probleme glasklar, die andere nicht bemerkten.“ Aber weil sie sich Sorgen machte, „falsch zu liegen“, blieb sie still und lernte, sich zurückzuhalten. „Ich wollte lieber meinen Job behalten, indem ich in den vorgeschriebenen Grenzen blieb, als etwas zu sagen und das Risiko einzugehen, dumm auszusehen.“4 In einer Studie, in der die Erfahrungen von Mitarbeitern mit dem Erheben der eigenen Stimme untersucht wurden, berichteten 85 % der Befragten von mindestens einer Situation, in der sie das Gefühl hatten, ein Bedenken bei ihren Vorgesetzten nicht ansprechen zu können – obwohl sie dachten, dass das Thema wichtig war.5

Wenn Sie denken, dass es solche Verhaltensweisen nur auf den unteren Ebenen einer Organisation gibt, dann lesen Sie das folgende Beispiel eines CFO, der gerade in das Leitungsteam eines großen Elektronikunternehmens berufen wurde. Trotz starker Bedenken gegenüber einer geplanten Übernahme eines anderen Unternehmens sagte diese leitende Führungskraft nichts. Seine Kollegen schienen alle von dem Vorhaben überzeugt, und er stimmte der Entscheidung zu. Später, als die Übernahme fehlgeschlagen war, trafen sich die Führungskräfte mit einem Berater, um die Situation auszuwerten. Jedes Vorstandsmitglied wurde gebeten, sich zu fragen, was er oder sie getan oder unterlassen hatte, sodass dieses Scheitern geschehen konnte. Der Finanzchef, der nun kein neuer Mitarbeiter mehr war, teilte seine früheren Bedenken und erklärte, dass er das Team im Stich ließ, indem er nichts gesagt hatte. Er entschuldigte sich offen und erklärte sichtlich bewegt, dass er ­aufgrund der Begeisterung der anderen nicht der Spielverderber sein wollte.

Das Problem mit diesem Verhalten ist: es macht uns persönlich unzufrieden und kann unsere Arbeitsleistung schwächen. Zudem kann es die gesamte Organisation gefährden. Im Fall von Christina und den Neugeborenen entstand glücklicherweise 6kein unmittelbarer Schaden. Aber wie wir in späteren Kapiteln sehen werden, kann die Angst davor, die Stimme zu erheben, zu Zwischenfällen führen, die tatsächlich vermeidbar gewesen wären. Das Schweigen aufgrund der Angst vor zwischenmenschlichen Risiken kann über Leben und Tod entscheiden. Flugzeuge sind abgestützt, Finanzinstitute bankrottgegangen und Krankenhauspatienten unnötig gestorben, weil Mitarbeiter aus Gründen, die mit ihrer Arbeitsatmosphäre zu tun hatten, zu ängstlich waren, sich zu äußern. Glücklicherweise muss das nicht so sein.