Die Anti-Depressions-Strategie im Alter - Michael Hüll - E-Book

Die Anti-Depressions-Strategie im Alter E-Book

Michael Hüll

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Beschreibung

Hinter körperlichen Störungen verbirgt sich im Alter oft eine Depression. Wichtig für Betroffene und ihre Angehörigen ist, dass dies frühzeitig erkannt und aktiv angegangen wird - mit der richtigen Hilfe und sinnvollen Maßnahmen zur Selbsthilfe. Das Buch bietet alles, was man wissen muss, fachkundig und lebensnah erklärt vom Leiter des Freiburger Zentrums für Geriatrie und Gerontologie. Mit Selbsttest und 10-Punkte-Präventionsprogramm.

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Seitenzahl: 143

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Michael Hüll

Die Anti-Depressions-Strategie im Alter

KREUZ

© KREUZ VERLAG

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011

Alle Rechte vorbehalten

www.kreuz-verlag.de

Umschlaggestaltung: [rincón]2 medien gmbh, Köln

Umschlagmotiv: © Getty Images

Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-33681-2

ISBN (Buch) 978-3-451-61005-9

Einführung

Noch nie war die Lebenserwartung eines Menschen so hoch wie heute. Im 60. Lebensjahr können wir mit weiteren 25 Lebensjahren rechnen, und mit 85 Jahren stehen uns im Durchschnitt noch fünf weitere Jahre zu. Noch nie standen älteren Menschen so viele materielle Werte zur Verfügung. Statistisch gesehen bewohnt jeder dritte Ältere seine eigene Immobilie und besitzt finanzielle Rücklagen.

Trotzdem entsteht der Eindruck, dass mit dem Älterwerden die Menschen in unserer Gesellschaft depressiver werden. Midlife-Crisis um das 30. Lebensjahr (heute eher Krise des ersten Lebensdrittels), Burnout mit 50, Berentungskrise um das 63. Lebensjahr, Altersdepression mit 70. Ist das Älterwerden nicht eine Abfolge von immer schlechter zu meisternden Krisen? Sind nicht zu Recht die meisten im Alter niedergeschlagen? Und wenn es mich oder meine Angehörigen trifft – war es nicht zu erwarten? Und auch: Was kommt da bloß auf mich zu?

Vorurteile haben den Nachteil, die Wahrnehmung so zu verändern, dass sich die Hüter der Vorurteile immer wieder bestätigt sehen. Die Wahrheit ist: Menschen im 70. Lebensjahr haben weniger Depressionen als 40-Jährige und beschäftigen sich gedanklich weniger mit dem Tod als 17-Jährige. Im Alter ist die Depression nicht häufiger als zur Lebensmitte – doch dies »nicht häufiger« bedeutet leider nicht selten: Denn zwischen 10 und 20 Prozent der Menschen leiden unter depressiven Symptomen und die Seelenfinsternis trifft damit fast jeden Fünften. Depression ist keine zwangsläufige Folge des Alterns, und sie kann im Alter genauso erfolgreich wie in anderen Lebensabschnitten überwunden werden. Depressionen und besonders Altersdepressionen sind aber oft versteckte Erkrankungen.

Über das Altern nachzudenken zwingt jeden dazu, das Leben in Altersabschnitte einzuteilen und seine eigene derzeitige Lebensphase dazu in Beziehung zu setzen. Gemäß den gängigen Einteilungen von Kindheit, Jugend, Erwachsenzeit und Alter beginnt das Alter um das 60. Lebensjahr herum. Sich aufgrund einer erfreulichen Gesundheit selber über sein eigenes Alter hinwegzutäuschen ist eine Reduktion des Wesens des Alterns auf die reine Biologie.

Als einer der wenigen Psychiater und Psychotherapeuten, die sich intensiv mit Menschen jenseits des 60. Lebensjahres befassen, erlebe ich die unterschiedlichsten Menschen: Das Alter ist bunter, als viele Vorurteile meinen. Damit kann ich, glaube ich, einiges zur Altersdepression sagen, ohne selber diese Altersgrenze überschritten zu haben. Vielleicht sind Sie, liebe Leserin und lieber Leser, über 60 und finden manches nicht zutreffend. Oder Sie haben beim Lesen jemanden im Sinn, bei dem Sie sich die beschriebenen positiven Änderungen nicht vorstellen können. Dann denken Sie bitte daran, dass wir uns als Menschen jeden Tag verändern – dabei altern wir zwar, aber wir können auch die Depression überwinden.

Der Mensch ist ein erstaunliches Wesen und zu den exaktesten Aussagen und Beschreibungen der kleinsten Teilchen und der größten Himmelskörper in der Lage. Nur gerade in der mittleren Größe, beim Menschen selber, werden unsere Aussagen unschärfer, vielleicht sind wir auch einfach nur zu nah dran. Viele Aussagen zum menschlichen Verhalten sind vage und kreisend und können nur aus unterschiedlichen Perspektiven Teilaspekte erklären. Absoluten Aussagen zum Wesen des Menschen bringen wir zu Recht ein gesundes Misstrauen entgegen. Die Seelenfinsternis am Lebensabend werde ich im folgenden ersten Teil von drei Seiten her angehen:

Depression als Krankheit: die biologische Seite

Depression als Krise: die psychologisch-biografische Seite

Depression als Teilhabestörung: arm, allein, abgeschrieben

Diese Blickrichtungen finden sich heute auch wieder in dem bio-psycho-sozialen Modell zur seelischen Gesundheit. Damit sind keine absoluten Wahrheiten über die konkrete Depression in einer individuellen Lebenssituation verbunden. Im Gegensatz zu Zuckerkrankheiten oder einem Bluthochdruck sind die Krankheitsverläufe einer Depression deutlich vielfältiger, was die Erkrankung aus Sicht der Behandlung auch zu einer anspruchsvollen Herausforderung macht. Die vorgestellten Perspektiven können den Blick für verschiedenste Faktoren, die zur Gesundung und zum Gesundbleiben beitragen, schärfen.

Anschließend, im zweiten Teil, wende ich mich konkreten Fragen zu: Besser noch als eine Depression zu überwinden ist, seine seelische Gesundheit auch nach dem Arbeitsleben und der Familienphase zu erhalten. Deshalb werde ich Hinweise und Anregungen geben, die Ihnen helfen, aus der Gesundheit heraus für das Gesundbleiben zu sorgen. Anschließend finden Sie Antworten auf die Fragen, die mir Betroffene oder Angehörige von Betroffenen häufig stellen. Dazu habe ich einige Ratschläge für Sie zusammengestellt für den Fall, dass Sie bei sich selber oder bei einem Angehörigen depressive Phasen kennen.

Bei schweren depressiven Symptomen ist aber der Selbsthilfe und auch der Hilfe durch Angehörige eine Grenze gesetzt: Ab dieser ist ärztliche Hilfe notwendig. Deshalb sind in diesem Abschnitt auch die verschiedenen Therapiemöglichkeiten kurz dargestellt. Es kommt dabei allerdings am stärksten darauf an, dass Sie sich überhaupt für eine Unterstützung entscheiden. Welche Therapieform Sie annehmen, ist dagegen erst zweitrangig.

Ob Sie dieses Buch in Hinblick auf sich selbst oder aus Sorge um einen Ihnen nahestehenden Menschen lesen, behalten Sie dabei im Sinn: Wir können Depressionen überwinden.

Ich wünsche Ihnen eine gute – eine hilfreiche und ermutigende – Lektüre.

Ihr Michael Hüll

Was jeder über Depressionen wissen sollte

Depression im Alter hat viele Facetten, wie es auch die drei folgenden Fallbeispiele zeigen. Jeder von uns erkennt sie, wenn wir genau in uns oder um uns schauen.

Diese Beispiele sollen das Auge schärfen und helfen, eine erhöhte Aufmerksamkeit für die vielen kleinen Zeichen einer drohenden oder bestehenden Depression zu entwickeln. Dabei kann sich diese Aufmerksamkeit sowohl auf uns selber als auch auf Angehörige und Freunde beziehen. Die Beispiele sollen auch zeigen, wie vielfältig eine Depression in ihrem Erscheinungsbild sein kann. Sie werden im weiteren Verlauf des Buches nochmals aufgegriffen und unter verschiedenen Blickwinkeln analysiert. Auch die weitere Entwicklung der drei Fälle wird dabei noch einmal dargestellt. Bei der Beschreibung wurden diese Beispiele aus der Praxis nur insoweit hinsichtlich Name oder eindeutiger Umstände verändert, wie es die Wahrung der Anonymität der Personen erforderte.

Drei kurze Geschichten von eigentlich nicht depressiven Menschen

Klara S.: »Ich bin nichts Besonderes«

Bereits im 60. Lebensjahr verwitwet, hatte Klara S. zum 70. Geburtstag diesen Zustand als natürlich akzeptiert. Mittlerweile waren auch viele ihrer Freundinnen alleinstehend. Nach Klara S. Angaben sorgen Kontakte in der Seniorengymnastik und der Nachbarschaft für regelmäßige Unterhaltung, die einzige Tochter lebt 600 Kilometer entfernt und Geld für häufige Reisen habe sie nicht. Sie habe ihre Mutter nach einem Schlaganfall in ihrer 2-Zimmer-Wohnung bis zum Tode gepflegt. Sie sei ein positiv denkender Mensch. Ihre Eltern hätten sich stark um sie gekümmert, besonders nachdem ihre große Schwester früh an einem Hirntumor verstarb. Um bei ihrer Familie bleiben zu können, habe sie in der Nähe ihres Elternhauses eine Lehrstelle als Schneiderin gesucht. Den Beruf übte sie bis zur Geburt ihrer einzigen Tochter aus. Man müsse die Zeit, die man mit den Kindern hat, ja genießen. In letzter Zeit sei sie sehr nervös. Sie habe Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Schlafstörungen. Eine Röntgenuntersuchung des Kopfes und eine Magen-Darm-Spiegelung und wiederholte Blutuntersuchungen seien unauffällig gewesen. Sie nehme jetzt verschiedene Medikamente. Ihre Tochter sei manchmal genervt wegen ihrer vielen Anrufe, aber sie mache sich große Sorgen um sie, da sie doch so oft mit dem Auto unterwegs sei. Bei jedem Klingeln des Telefons erschrecke sie, da sie befürchte, jemand würde ihr einen Unfall ihrer Tochter mitteilen. Das Leben sei ja so gefährlich. Sie wünsche sich auf jeden Fall, vor ihrer Tochter zu sterben, anders herum würde sie es nicht aushalten können. Außer zu Arztbesuchen gehe sie eigentlich gar nicht mehr aus dem Haus. Überall wird in ihrem Umfeld nur von Krankheiten geredet. Sie grübele den ganzen Tag, dass ihrer Tochter hoffentlich nichts passiere. Die Arztbesuche hätten ihr bisher nichts gebracht. Sie klage zwar über dieses flaue Gefühl im Magen und den Schwindel, aber alle Untersuchungen seien normal. Gelegentlich zittere Sie am ganzen Körper und habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Einmal habe ein Notarzt ihr eine Tablette gegeben – das habe ihr gut getan. Jetzt nehme sie das Beruhigungsmittel gelegentlich. Sie habe es immer bei sich. Alle sagen, dass sie doch körperlich fit sei. Sie müsse aber immer über den Tod nachgrübeln. Manchmal wünsche sie, er käme doch rasch über Nacht. Ihre gute Freundin ist ganz irritiert von ihrem beständigen Reden über den Tod. Früher sei sie ein positiver Mensch gewesen.

Peter K.: »Im Alter kommt halt alles zusammen«

Depressionen sind etwas für Weichlinge – diesen Satz würde Peter K. auch heute noch fast unterschreiben. Im Krieg geboren, von der Mutter als Kriegswitwe mit zwei Geschwistern aufgezogen, Ausbildung als Fliesenleger, Selfmademan mit kleinem Handwerksunternehmen. Nach einer kurzen gescheiterten ersten Ehe, seine damalige Frau habe ihn mit einem Besatzungsoldaten verlassen, sei er jetzt seit 40 Jahren verheiratet. Seine zwei Kinder aus dieser Ehe habe er wegen der Arbeit nie viel gesehen – und dann seien sie auch schon aus dem Haus gewesen. Er habe ein Enkelkind von der Tochter, sein Sohn arbeite im internationalen Management und fliege durch die ganze Welt – der habe keine Zeit für Familie. Eigentlich gehe es ihm gut. Er lebe in einem großen, halb leeren Einfamilienhaus 10 Kilometer vor der Stadt, finanziell habe er keine Sorgen.

Aber dann kam mit 70 Jahren überraschend das Alter ...

Aus der Sicht von Peter K. fing alles mit den Knien vor elf Jahren an. Damals habe er zunehmend Beschwerden von Seiten der Arthrose beider Knie, eine Berufsfolge, entwickelt. Früher sei er gerne gewandert, jetzt habe er nach wenigen Kilometern Schmerzen. Es geht nicht mehr. Mit seinen Wanderfreunden habe er keinen Kontakt mehr, was wollen die mit einem Krüppel? Wegen eines Augenleidens sehe er schlecht. Sein Arzt habe ihm vom Autofahren abgeraten. Jetzt fahre er nur noch bei Tag oder wenn seine Frau neben ihm sitzt. Sie habe zwar den Führerschein, sei aber seit der Heirat nicht mehr gefahren. Das habe er damals übernommen.

Oft wolle er nicht mehr Älterwerden. Älterwerden ist Mist. Auch habe er Angst wegen der zunehmenden Sehstörung. Neuerdings träume er lebhaft und schrecke schweißnass um 4 Uhr morgens aus dem Schlaf. Das Essen würde ihn nicht mehr interessieren, was seine Kinder ihm an aktuellen Ereignissen aus ihrem Leben berichten, vergesse er sofort wieder.

In Wirklichkeit habe er alles falsch gemacht. Auch sein Sohn mache jetzt alles falsch, er sollte lieber nach einer Ehefrau schauen als von Besprechung zu Besprechung zu fliegen. Aber daran ist bestimmt nur seine verkorkste Erziehung schuld. »Werd erst mal was« und »Binde dich nicht zu früh« seien seine Botschaften an die Kinder gewesen. Dies sei seine Lehre aus der ersten Ehe gewesen. Auch an deren Scheitern sei er Schuld. Er wisse gar nicht, warum er jetzt so häufig darüber grübeln müsse, nachdem er fast 40 Jahre nicht daran gedacht habe. Seine Ehefrau sei ganz betrübt, wenn sie ihn jetzt so sehe. Mehr Krüppel als der Mann, den sie geheiratet habe. Sie wäre besser dran, wenn sie sich nicht um das Häufchen Elend sorgen müsse, dass er jetzt sei. Er komme seit einem Jahr gar nicht mehr aus seinem Haus heraus. Depressionen sind etwas für Weichlinge – eigentlich.

Gotthilf R.: Verurteilt und nicht krank

Gotthilf R. liegt neben einer Sitzwache, die ihn nicht aus den Augen lässt, in einem Krankenbett. Nicht das Krankenhaus sondern das Gefängnis wäre der richtige Ort für ihn, eröffnet er das Gespräch. Er habe nach dem Krieg mit dem Schwarzmarkt Geschäfte gemacht. Bei seiner letzten Steuererklärung sei jetzt eine Rückfrage gekommen. Tag und Nacht grübele er über Details seiner damaligen Geschäfte. Er wolle eine ausführliche Selbstanzeige für die Jahre 1945 bis 1948 entwerfen. Wahrscheinlich werde er wegen der schweren Verfehlungen dann auch seine Pensionsansprüche als Richter verlieren. Vielleicht sollte er sich auch vorher selber richten, auch wegen der Schande für seine Familie. In letzter Zeit rieche er auch häufiger Rauch oder Fäulnis. Eigentlich sei er nur von seinen Angehörigen ins Krankenhaus gebracht worden, weil er 20 Kilo abgenommen habe. Wann bringen Sie mich denn von hier ins Gefängnis?

An der Schnittstelle zwischen Leib und Seele

Wer sich den Herausforderungen seines gegenwärtigen Lebens gewachsen fühlt, nicht beständig über die Vergangenheit grübelt und der Zukunft gelassen entgegensieht, der ist nicht depressiv. Zum Glück verbringen die meisten Menschen ihr Leben zum großen Teil in diesem Zustand. Aber fast jeder Fünfte bis Zehnte muss sich für mehrere Monate bis Jahre durch eine Lebensphase kämpfen, in der eine Depression diesen Zustand aufhebt.

Die meisten Menschen durchleben eine erste depressive Episode vor dem 40. Lebensjahr. Ein erstmaliges Auftreten ist aber auch nach dem 60. Lebensjahr möglich. Gerade eine erste Depressionsphase in diesem Alter kann zu einer schweren Krise werden und eine Behandlung erfordern. Erstmalig nach dem 60. Lebensjahr betroffene Menschen und ihre Angehörigen haben große Schwierigkeiten, die verschiedenen Symptome der Depression einzuordnen. Oft werden diese Veränderungen längere Zeit auch als Hinweise auf andere körperliche Erkrankungen oder als ein altersgemäßer Rückzug gewertet.

Die Depression trifft genau die Schnittstelle zwischen Leib und Seele. Zum besseren Verständnis, was alles mit einer Depression einhergehen kann, dient die folgende Aufzählung:

Schlafstörungen

Ein- und Durchschlafstörungen finden sich regelhaft bei Depressionen. Besonders charakteristisch ist das morgendliche Früherwachen, meist verbunden mit einer ängstlichen Grundstimmung bezüglich des kommenden Tages. Aber auch Einschlafstörungen oder häufiges Kurzzeiterwachen sind typisch. Diese Symptome können im Sinne einer altersbedingten Schlafabnahme falsch gedeutet werden.

Appetitverlust

Der Verlust des Interesses am Essen und ein nachfolgender Gewichtsverlust sind ein klassisches Zeichen, dass eine Krankheit vorliegt. In jedem Lebensalter gibt es dazu eine Liste unterschiedlicher möglicher Erkrankungen. Diese Liste wird im Alter länger. Bei der Depression ist der Gewichtsverlust bei kontrolliertem Essen – das bedeutet, dass der Betroffene trotz Appetitverlust aus Vernunftgründen in Gesellschaft isst – überwindbar. Sich zum Essen zu zwingen ist aber keine dauerhafte Lösung.

Verlust des Interesses und des Antriebs

Antriebslosigkeit ist ebenfalls ein klassisches Krankheitszeichen, bei einer Altersdepression kann es sogar das vorherrschende Symptom sein. Neuigkeiten von der eigenen Familie und Tagesnachrichten werden nicht mehr verfolgt, zuvor gern ausgeführte Beschäftigungen ruhen, körperliche Bewegung wird reduziert, Begegnungen mit anderen werden vermieden. Dies kann bis zu einem vollständigen Rückzug ins Bett bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Körperpflege führen. Gelegentlich kann dieses Verhalten durch eine Aktivierung von außen durchbrochen werden. Eine äußere Auforderung zum Aufstehen und Essen wirkt aber meist nur kurzfristig, eine Therapie muss auf ein Wiedererstehen des eigenen Antriebs setzen.

Konzentrations- und Gedächtnisstörungen

Störungen in der Ablaufplanung sind bei Depressionen häufig. Dies macht sich beim gleichzeitigen Durchführen mehrerer Tätigkeiten besonders bemerkbar. So können mehrere Herdplatten kaum parallel genutzt werden, sind neue Fernbedienungen, Computer oder komplexere Geräte nur schwer bedienbar und Aufgaben mit schnellem Reaktionswechsel, zum Beispiel Kartenspielen, mit häufigen Fehlern behaftet. Auch die automatische Erinnerung an geplante oder regelmäßige Aufgaben, zum Beispiel Müll herausstellen zur Leerung, Butter einkaufen etc., ist reduziert. Während im jüngeren Lebensalter dies oft als »Schusseligkeit« abgetan wird, werden diese Symptome im späteren Lebensalter oft als Zeichen einer beginnenden Demenz fehlgedeutet.

Kopf-, Bauch- und Gliederschmerzen

Wo sonst als in unserem Körper sollen wir Schmerzen empfinden? Der Ausdruck Seelenschmerz ist in unserer Zeit nicht mehr gebräuchlich. Depressionen können aber Schmerzen erzeugen, die keiner gebräuchlichen Abgrenzung auf einzelne körperliche Schmerzeinheiten folgen. Redensarten wie »Das macht mir Kopfschmerzen« oder »Das schlägt mir auf den Magen« können auch mögliche Auswirkungen von Depressionen auf die Körperwahrnehmung beschreiben.

Zusätzlich sorgt die Depression für häufiger auftretende Erinnerungen negativer Erfahrungen. Versuchen Sie mal, sich an Ihren unangenehmsten Zahnarztbesuch zu erinnern. Die strahlende Lampe, das Geräusch des Bohrers, die Anstrengung, den Mund offen zu halten. Spüren Sie jetzt diese Missempfindung im Kiefer? So wie die Depression das Erinnern und Empfinden von Schmerzen verstärken kann, können positive Emotionen das Schmerzempfinden mindern. So kommt es, dass trotz aller Widrigkeiten die zu engen, aber schönen Schuhe für die Dauer einer Feier toleriert werden.

Häufiger als dass Schmerzen aus einer Depression heraus entstehen kommt es vor, dass vorher bestehende Schmerzen in depressiver Verfassung verstärkt wahrgenommen werden. Menschen mit einer Depression erleben eine wesentliche Zunahme ihrer Schmerzempfindung. Deshalb sind die meisten Schmerztherapien bei einem depressiven Menschen zum Scheitern verurteilt, wenn nicht auch eine Depressionstherapie stattfindet. Die Frage, ob Schmerz oder Depression Henne oder Ei sind, ist für die Therapie belanglos. Die Beziehung zwischen Schmerzwahrnehmung und Stimmung sind wechselseitiger Natur. So sorgen chronische Schmerzen verständlicherweise für eine gedrückte Stimmung, aber eine gedrückte Stimmung verstärkt auch wieder die Schmerzwahrnehmung.

Entscheidungsschwierigkeiten

Über das erhebliche Ausmaß der Konzentrations- und Antriebsstörung hinaus besteht bei Menschen mit einer Depression eine hochgradige Unentschlossenheit und Wankelmütigkeit. Hierbei geht es nicht um große Fragen wie einen Umzug oder eine Anschaffung im Wert von vielen tausend Euro. Die Unentschlossenheit zeigt sich bereits bei der Auswahl einer Zahnpasta, der Frage, ob ein Telefonanruf erfolgen oder eine Tablette eingenommen werden soll. Hierbei bleibt oft unklar, welche mehr oder weniger dramatischen Befürchtungen mit der jeweiligen Entscheidung verbunden werden. Und der Zeitaufwand des Überlegens erscheint in Bezug auf die Bedeutung der Entscheidung vollkommen unverhältnismäßig. Diese hochgradige Wankelmütigkeit kann aber durch eine klare Einstellung anderer umgebender Menschen beeinflusst werden. Ist die Umgebung auch unentschlossen, kann aufgrund der Ambivalenz oft nicht einmal ein klitzekleiner Schritt gegangen werden.

Zeitwahrnehmung, Verlangsamung, Gefühl des Unwirklichen und der Fadheit

Eine typische Schilderung von Menschen mit einer Depression betrifft eine veränderte Zeitwahrnehmung. So können Stunden des Alleinseins oft wie Tage empfunden werden. Gleichzeitig bewegen sich Menschen mit einer Depression oft wie in Zeitlupe. Viele positive Begebenheiten erscheinen ihnen leicht unwirklich, grau oder verfremdet. Das Essen kann wie Pappe schmecken, Musik dumpf klingen. Der ganze Tag ist grau.

Negative Selbstsicht