Die Arktis - Gerd Braune - E-Book

Die Arktis E-Book

Gerd Braune

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Beschreibung

Die Arktis, einst ein wahrlich »abseitiges« Gebiet, ist zu einer umkämpften Weltregion geworden, in der sich viele Interessenlinien kreuzen. Der Klimawandel und das schwindende Meereis lassen die Begehrlichkeiten auf Ressourcen und das Interesse an neuen Schifffahrtswegen wachsen. Heute wird auf höchster politischer Ebene über die Zukunft der Arktis verhandelt. Eisbrecherflotten werden gebaut und Militärstützpunkte errichtet. Schiffe bahnen sich neue Wege zu Gemeinden und Rohstofflagern. Energiekonzerne sichern sich Explorations- und Förderrechte.
Was ist dran am angeblichen »Wettlauf« um die Rohstoffe, wo liegen tatsächlich die Probleme und Chancen des zirkumpolaren Raumes, und welche Akteure bestimmen die weitere Entwicklung? Gerd Braune stellt Natur und Klima, Politik und Diplomatie, Wirtschaft, Menschen und Kultur rund um Die Arktis kenntnisreich dar.

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Seitenzahl: 313

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Gerd BrauneDie Arktis

GERD BRAUNE

DIE

ARKTIS

Porträt einer Weltregion

Für Julian

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, März 2016

entspricht der 1. Druckauflage von März 2016

© Christoph Links Verlag GmbH

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

www.christoph-links-verlag.de; [email protected]

Einbandgestaltung: Stephanie Raubach, Ch. Links Verlag

Abbildungen auf dem Einband: Die Vorderseite zeigt zwei Motive

von Thinkstock (oben: iStock/Svisio, unten: iStock/zanskar).

Karte: Peter Palm, Berlin

ISBN 978-3-86284-324-4

Inhalt

Einführung:Aus dem geografischen Abseitsins Zentrum der Aufmerksamkeit

1.

Auf dünnem Eis: Der Klimawandelund die Arktis

2.

Eisbären, Walrosse & Co.:Die arktische Natur

3.

»Unser Land«: Die indigenenVölker der Arktis

4.

Eine neue Weltregion entsteht:Die Arktis als geopolitischer Raum

5.

Der Griff nach dem Nordpol:Kooperation und Konflikte zwischenden Arktisstaaten

6.

Die eisige Schatzkammer:Das »Rennen« um die Rohstoffeder Arktis

7.

Kein Panamakanal:Alte und neue Seewege

8.

Die Zukunftdes zirkumpolaren Raums

Anhang

Anmerkungen

Abkürzungen

Karte

Kleine Chronik der Arktis

Danksagung

Über den Autor

Einführung:Aus dem geografischenAbseits ins Zentrum derAufmerksamkeit

Mehr als Eis und Schnee

Ein kalter Wind fegt über das Plateau und bewegt die weißen Köpfe des Arktischen Wollgrases, das selbst auf diesem kargen, sandigen Boden zwischen Steinen gedeiht. Wie Schneebälle sehen die Blüten aus, ein kleiner, leuchtender, grün-weißer Teppich. Für die Inuit1, die indigene Bevölkerung der kanadischen Arktis, war diese Pflanze einst lebenswichtig, denn aus der Blüte drehten sie den Docht für ihre Qulliq, die aus Speckstein gefertigten und mit Robben- oder Walfett gefüllten Lampen. Sie waren ihre Wärme- und Lichtquellen in Zelten und Iglus.

Wir sind im Norden der Baffin-Insel im kanadischen Arktisterritorium Nunavut. Das heißt »Unser Land« in Inuktitut, der Sprache der Inuit im Osten der kanadischen Arktis. Eine eisbedeckte Meeresbucht, der Strathcona-Sund, ragt in das Land hinein und unterbricht die rotbraune Steinwüste. Dahinter erhebt sich eine kahle, baumlose Bergkette. Und über allem wölbt sich der blaue, fast wolkenlose Himmel. Hier an Strathcona- und Lancaster-Sund beginnt die berühmte Nordwest-Passage, der legendäre Seeweg durch die arktische Inselwelt, den Forscher und Seefahrer aus Europa jahrhundertelang suchten.

Mit der Arktis werden Eisberge, der Nordpol und der eisbedeckte Arktische Ozean assoziiert. Aber die Arktis ist nicht nur der Nordpol. Sie ist Land und Wasser. Hier im Norden Kanadas ist die Arktis im kurzen Sommer ein Land wie ein Steinbruch, Gestein und Geröll, von Bachläufen mit Schmelzwasser durchzogen. Keine Bäume und Büsche, allenfalls Flechten und Moose und ein paar Blumen können hier gedeihen. Nördlich des Polarkreises geht die Sonne im Sommer für einige Tage oder Wochen nicht unter. Die Niederschläge sind geringer als in vielen südlicheren Regionen, weite Bereiche der Arktis gelten als polare Wüste. Im langen arktischen Winter, in dem mancherorts wochenlang Dunkelheit herrscht, ist das Land von Eis und Schnee bedeckt, mit Temperaturen, die oft unter minus 40 Grad Celsius liegen. Und der Arktische Ozean ist eine riesige, 14 Millionen Quadratkilometer große Eisfläche.

Wer die Weite der Arktis erlebt, wer Siedlungen und Städte ein paar Kilometer hinter sich lässt und vor sich nur Steine, Seen und Bäche, Eis und Schnee liegen sieht, der fragt sich unweigerlich: Hat jemals ein Mensch seinen Fuß auf dieses Fleckchen Erde gesetzt? Im Oktober 1996 war ich erstmals in der kanadischen Arktis. Nach Gesprächen in Iqaluit ließ ich mich von einem Taxifahrer an den Rand des Sylvia Grinnell Territorial Parks bringen und bat ihn, mich in einer Stunde wieder abzuholen. Ich stieg die Anhöhe hinauf und sah das scheinbar unberührte Land vor mir. Auf dem Sylvia-Grinnell-Fluss hatte sich schon Eis gebildet, das in der Sonne funkelte. Die Stille, die nur vom Wind unterbrochen wurde, faszinierte mich. Seitdem bin ich mehrmals an diesen Ort zurückgekehrt. Die Faszination ist geblieben.

Der Run auf die Arktis

In den zwei Jahrzehnten seit meinem ersten Besuch hat sich unser Blick auf die Arktis erheblich verändert. Der Nordpolarraum findet unser wissenschaftliches Interesse, denn die Arktis spielt für das Weltklima und dessen Wandel, die Strömungen der Ozeane und die Zukunft der Menschheit eine wichtige Rolle. Vor allem aber verändern der unstillbare Hunger der entwickelten Länder nach Rohstoffen und der Drang der Nationalstaaten, sich Hoheitsrechte und damit den Griff nach Öl und Gas, Edelmetallen und Industrierohstoffen zu sichern, die unter den Landflächen und dem Arktischen Ozean vermutet werden, unsere Wahrnehmung der Arktis. Festmachen lässt sich diese Wende an einem Ereignis und einem Datum: dem Verankern einer russischen Flagge auf dem Meeresboden direkt am geografischen Nordpol am 2. August 2007.

Rund zwei Wochen zuvor hatte der russische Forschungseisbrecher »Akademik Fedorov« den Hafen von St. Petersburg verlassen. Die Expedition war Teil des Beitrags Russlands zum »Internationalen Polarjahr« 2007/2008. Nach einem Zwischenstopp in Murmansk ging es weiter nach Norden. Der Eisbrecher »Russia« bahnte den Weg. Am Morgen des 2. August begannen zwei bemannte U-Boote, »MIR 1« und »MIR 2«, den Tauchgang zum Meeresboden. Russischen Angaben zufolge erreichten drei Stunden später erstmals Menschen den Meeresboden am Nordpol in 4261 Metern Tiefe und setzten eine aus Titan gefertigte rostbeständige russische Flagge ab.2

Russland hatte bereits 2002 territoriale Ansprüche bei der Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels angemeldet, einer durch die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen geschaffenen Institution. Diese waren aber als nicht ausreichend fundiert zurückgewiesen worden. Nun sollte mit der Flaggenaktion und dem Sammeln von Bodenproben dieser Anspruch untermauert werden. Im Jahr 2000 hatte der United States Geographical Survey (USGS), der geologische Dienst der US-Regierung, Schätzungen über gewaltige unentdeckte Öl- und Gasreserven im Arktisraum veröffentlicht, die 2008 aktualisiert wurden. Da die UN-Seerechtskonvention den Arktisanrainern das Recht gibt, den Meeresboden über die 200-Seemeilen-Zone hinaus wirtschaftlich zu nutzen, wenn dieser die »natürliche Verlängerung« ihres Kontinentalschelfs darstellt, bemühen sich die Nordpolarstaaten, genau dieses nachzuweisen. Wegen des Lomonossow-Rückens, eines Unterwassergebirges, das sich von Sibirien nach Grönland und Nordkanada erstreckt, können sich Russland, Kanada und Dänemark-Grönland berechtigte Hoffnungen machen, viele hunderttausend Quadratkilometer Meeresboden erfolgreich für sich zu reklamieren.

Darüber, welche Bedeutung die Flaggenaktion und die Probenentnahme über das Symbolische hinaus hatten, wurde sofort heftig gestritten. Die Russen sahen sich einen Schritt näher an dem Ziel, sich den potenziell rohstoffreichen Meeresboden im Eismeer anzueignen. Kanadas damaliger Außenminister Peter MacKay tat das Pflanzen der russischen Flagge dagegen als »Show Russlands« ab. Man sei ja schließlich nicht mehr im 15. Jahrhundert, als es genügt habe, irgendwo seine Fahne aufzustellen, um Territorialansprüche zu erheben.

Aber mit dieser Aktion hatten die Russen das eröffnet, was in den Medien vielfach als »Wettlauf zum Nordpol« bezeichnet wird. Bei diesem handelt es sich, wie in späteren Kapiteln gezeigt werden wird, um ein griffiges, aber verkürztes und irreführendes Schlagwort. Auch das Eismeer ist kein rechtsfreier Raum, keineswegs gilt das Prinzip »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst«. Souveränitäts- und Nutzungsrechte werden zunächst in einem wissenschaftlichen Verfahren geklärt, dann folgen, falls sich Ansprüche überlappen, politische Verhandlungen. Das Eismeer unterliegt den Regeln der UN-Seerechtskonvention, es gibt Verträge zwischen den acht Arktisstaaten, auch im Rahmen des von ihnen gebildeten Arktischen Rats, sowie Vereinbarungen zwischen den fünf Küstenstaaten des Eismeers. Dies gilt sowohl für die wirtschaftliche Nutzung des Meeresbodens als auch für die Schifffahrt. Nichtsdestotrotz war das Interesse an der Arktis mit Russlands Flaggencoup geweckt. Nun war jeder Schritt eines Arktisstaats, jede wissenschaftliche Expedition und jedes Militärmanöver ein »Griff nach dem Nordpol«. Die Arktis war aus der Randlage ins Zentrum politischer und wirtschaftlicher Erwägungen gerückt. Wem gehört die Arktis? Wer hat Anspruch auf den Meeresboden? Souveränität in der Arktis, Souveränität über die Arktis wurden in Ost und West zu politischen Kampfbegriffen.

Das Land unter dem Großen Bären

Das griechische Wort »Arktos« (Bär) ist der Ursprung für die Bezeichnung dieser Region: Die Arktis ist das Land unter dem Sternbild des Großen Bären, dessen sieben hellste Sterne den Großen Wagen bilden. Sie ist das Gebiet nördlich des Polarkreises, 66° 33′ nördlicher Breite, das Gebiet, in dem mindestens an einem Tag im Jahr die Sonne nicht aufgeht und an mindestens einem Tag nicht untergeht. Sie ist das Land der Mitternachtssonne.3

Aber diese Grenzziehung entspricht weder klimatischen Kriterien noch den Besonderheiten der Vegetation. Daher wird zur Abgrenzung von den südlicheren subarktischen Regionen oft die Baumgrenze herangezogen. Nach dieser Definition ist die Arktis die Region, in der es keine Wälder gibt, sondern allenfalls Büsche wachsen. Bäume und Wälder versperrten nur die Sicht in die Ferne, sagte mir einmal scherzend ein Inuk, als ich darüber klagte, dass mir im Norden die grünen Wälder fehlten. Oder man nimmt als Kriterium die Temperatur: Dann wird als Arktis das Gebiet bezeichnet, in dem selbst im wärmsten Monat die Durchschnittstemperatur kälter als zehn Grad ist. Diese Juli-Isotherme von zehn Grad grenzt die Arktis von der Subarktis ab. In einigen Sektoren des Nordpolarraums – etwa in Kanada, Grönland und der Tschuktschen-Region – reicht sie über den Polarkreis hinaus nach Süden. In Skandinavien und weiten Teilen Russlands und Alaskas liegt sie dagegen nördlich des Polarkreises. Und sie zieht sich mitten durch Island, dessen Klima vom Golfstrom und der arktischen Grönlandströmung beeinflusst und als subarktisch bezeichnet wird.

Acht Länder können sich als Arktisstaaten bezeichnen, weil sie Küstenstaaten des Arktischen Ozeans sind, ein Teil ihres Territoriums den Polarkreis berührt oder darüber hinausreicht oder Klima oder Vegetation »arktisch« sind: die Vereinigten Staaten von Amerika mit ihrem Bundesstaat Alaska, Kanada mit Yukon, den Nordwest-Territorien und Nunavut, Dänemark mit Grönland und den Färöer-Inseln, Island, Schweden, Finnland, Norwegen mit der Inselgruppe Spitzbergen und Russland. Diese Staaten sind die Akteure, wenn es um die Gestaltung des Arktisraums geht. Sie bilden den Arktischen Rat, der sich in den vergangenen 20 Jahren zum wichtigsten Diskussions- und Entscheidungsforum in arktischen Angelegenheiten entwickelt hat. Aber die Nationalstaaten sind nicht die einzigen Akteure. Vor ihrer Herausbildung in den heutigen Grenzen und den daraus folgenden Eifersüchteleien und Ansprüchen lebten hier längst die indigenen Völker der Arktis. Sie erheben heute lautstark ihre Stimme, wenn es um die Nutzung der Arktis geht.

Von der Terra incognita zur Rohstoffkammer

Die Arktis und ihr Gegenstück auf der südlichen Halbkugel, die Antarktis, werden oft als »ungleiche Schwestern« bezeichnet. Die Antarktis ist im wahrsten Sinne des Wortes die »Gegen-Arktis«: ein eisbedeckter und – abgesehen von Forschungsstationen – unbewohnter Kontinent, Antarktika, der vom südlichen Polarmeer umgeben ist. Dagegen ist die Arktis das eisbedeckte nördliche Polarmeer, der Arktische Ozean, und das Land, das ihn umgibt. Der Arktische Ozean mit seinen Nebenmeeren – der Tschuktschen- und der Ostsibirischen See, der Laptev-, Kara- und Barents-See, dem Weißen Meer, der Grönland- und der Beaufort-See – ist der kleinste Ozean der Erde. Seine Fläche wird meist mit rund 14 Millionen Quadratkilometern angegeben, aber dies hängt davon ab, in welchem Maße die Wasserstraßen des kanadisch-arktischen Archipels, die Nebenmeere oder gar Randmeere wie die Bering-See oder die Norwegensee einbezogen werden.4 Zum Vergleich: Der Atlantik kommt einschließlich seiner Nebenmeere und möglichen Überschneidungen mit den Ausläufern des Arktischen Ozeans auf knapp 90 Millionen Quadratkilometer.

Bis heute ist der Arktische Ozean ein Meer, das viele Rätsel aufgibt. An den Küsten, vor allem im Norden Kanadas, wurde es noch nicht vollständig kartografiert. Und was in den Tiefen des nördlichen Eismeers lebt, ist noch lange nicht erforscht. Auf Landkarten der beginnenden Neuzeit wurde es als »mare incognito« oder »terra incognita« bezeichnet. Es war das unbekannte, unerforschte Land oder Meer. Der griechische Entdecker Pytheas war bereits um 325 vor Christus in den Norden gereist, hatte möglicherweise gar den Polarkreis überquert und eine Insel nördlich von Britannien erreicht, die er als Thule bezeichnete. Sie galt als der äußerste Norden der Welt, als »ultima Thule«, hinter der das »geronnene Meer«, vermutlich das Eismeer, begann. Ob damit Island, die Shetland-Inseln oder eine Insel vor Trondheim gemeint war, wird bis heute diskutiert. Thule wurde ein Mythos. Geologen definieren »ultima Thule« nüchterner: Es ist der nördlichste Landpunkt der Erde. Vielleicht liegt er auf einer kleinen Insel an der Nordküste Grönlands, auf Schmitt’s Island. Falls ja, könnte der Ort seinen Namen behalten: »Ultima Thule 2008«, benannt nach einer Expedition, die im Juli 2008 diese Stelle erreichte.5

Schon Jahrtausende vor Christi Geburt waren Menschen aus Sibirien in das heutige Alaska gekommen und weiter nach Osten gezogen. Erst viel später wurden die Inseln des Nordatlantiks für Europäer die Trittsteine in die Arktis Nordamerikas und nach Grönland. Mönche aus Irland sollen im 8. und 9. Jahrhundert Island betreten haben, aber die aus Norwegen kommenden Wikinger waren die Ersten, die Siedlungen bauten. Von dort war es nicht allzu weit nach Grönland. Erik der Rote, ein Mann, der für seine Unbeherrschtheit bekannt war und schnell zur Waffe griff, um Gegnern den Kopf einzuschlagen, musste 982 Island verlassen – er wurde für drei Jahre verbannt. Mit rund zwei Dutzend Gefährten und Sklavinnen erreichte er die Küste Grönlands und folgte ihr, bis sie einen Landstrich fanden, auf dem der Boden grün war. Von Grönland aus fuhren sie weiter nach Westen und erreichten vermutlich die Küste einer Insel, die heutige Baffin-Insel. Drei Jahre später kehrten Erik der Rote und sein Tross nach Island zurück und erzählten von »Grünland« und dem Fischreichtum an den Küsten, von Eisbären, Walrossen und Narwalen – und lösten damit eine erste Emigrationswelle nach Grönland aus.

Die gezielte Erforschung der Nordkappe der Erde begann erst nach dem Untergang der Wikinger auf Grönland im 16. Jahrhundert. Nach der »Entdeckung« Amerikas suchten besonders Niederländer und Briten einen Seeweg von Europa nach Asien, denn der Seeweg in den fernen Osten um die Südspitzen Afrikas und Südamerikas war lang und beschwerlich, zudem wurde er von Spaniern und Portugiesen beansprucht. Alternativen sollten die Nordwest-Passage durch die Inselwelt des heutigen Nordkanada oder die Nordost-Passage entlang der sibirischen Küste bieten. Martin Frobisher, der 1576 die heute nach ihm benannte Bucht erreichte, dachte, den östlichen Eingang zur Nordwest-Passage gefunden zu haben, musste dann aber enttäuscht feststellen, dass er in einen Meeresarm eingefahren war, eine Sackgasse ohne Öffnung nach Westen. Zu denen, die auf ihn folgten, gehörten John Davis und Henry Hudson, Robert Bylot und William Baffin. Die 1670 in London gegründete Hudson’s Bay Company schob ihre Außenposten im Gebiet des heutigen Kanada nach Westen und Norden bis an den Arktischen Ozean vor und tauschte mit Indianern und Inuit Pelze gegen Lebensmittel, Decken, Kessel, Waffen und allerlei wertlosen Krimskrams.

Als Baffin 1616 in das Gewässer vorstieß, das jetzt seinen Namen trägt, hatte der niederländische Seefahrer, Kartograf und Forscher Willem Barents bereits zwischen 1594 und 1597 auf der anderen Seite des Eismeers Teile der Nordost-Passage an der russischen Küste entdeckt. Einen großen Schritt nach vorne machte die Arktiserforschung dann mit der Großen Nordischen Expedition von 1733 bis 1743 unter Vitus Bering, einem dänischen Offizier im Dienste der russischen Marine, welche die Nordküste Sibiriens, die Beringstraße und die Inselkette der Aleuten erforschte und kartografierte. Bis zu den ersten Durchquerungen von Nordost- und Nordwest-Passage sollte es aber noch mehr als ein Jahrhundert dauern. Erst 1878/1879 gelang es einer schwedischen Expedition unter Führung von Adolf Erik Baron Nordenskiöld, mit der »Vega« erstmals die Nordost-Passage zu durchfahren. Roald Amundsen schließlich brauchte drei Jahre, von 1903 bis 1906, um erstmals die Nordwest-Passage zu bezwingen.

Der Wettlauf zum Südpol endete mit einem eindeutigen Sieger: Roald Amundsen, der am 14. Dezember 1911 den geografischen Südpol erreichte. Beim Nordpol ist bis heute nicht klar, wer ihn zuerst erreichte. Von 1893 bis 1896 unternahm Fridtjof Nansen einen spektakulären Versuch, den Nordpol zu erreichen. Nansen, begleitet von Otto Sverdrup, fuhr die »Fram« in das Packeis der Kara-See und ließ sich vom Eis davontreiben. Drei Jahre lang trieb die »Fram« durch das Nordpolarmeer, bis das Eis sie nördlich von Spitzbergen wieder freigab. Nansen versuchte 1895 von der im Eis steckenden »Fram« aus zusammen mit Hjalmar Johansen den Nordpol mit einem Schlittenhundegespann zu erreichen. Sie kamen zwar bis 86° 14′ nördlicher Breite, so weit wie noch nie ein Mensch vor ihnen, aber zum Nordpol schafften sie es nicht. Mehr als zehn Jahre später erhoben die US-Amerikaner Frederick A. Cook und Robert E. Peary den Anspruch, als Erste den Nordpol erreicht zu haben. Cook behauptete, 1908 mit zwei Inuit von der kanadischen Axel-Heiberg-Insel aus bis zum Nordpol gekommen zu sein, Peary will 1909 dorthin gelangt sein. An beiden Darstellungen bestehen bis heute Zweifel. Sicher ist, dass schließlich 1926 der Nordpol erreicht wurde: Amundsen, Umberto Nobile und Lincoln Ellsworth überflogen am 12. Mai den Nordpol mit dem Luftschiff »Norge«. Die US-Amerikaner Richard Byrd und Floyd Bennett wollen ihn bereits am 9. Mai 1926 mit einer Fokker von Spitzbergen aus erreicht haben, allerdings wird dies in Zweifel gezogen: Möglicherweise kehrten sie wegen eines Öllecks um, bevor sie den Nordpol erreicht hatten.6

Die Nordwest- und die Nordost-Passage waren jahrhundertelang ein Traum derer, die für den Handel kürzere Seewege von Europa oder der Ostküste Nordamerikas nach Asien suchten. Ihr Traum erfror in den Eismassen, die die Schiffswege blockierten. Heute wird auf höchster Ebene, in den Vereinten Nationen, im Arktischen Rat, in der Weltschifffahrtsorganisation IMO und in der Europäischen Union über die Arktis gesprochen. Arktisstaaten und Nicht-Arktisstaaten entwerfen Politikkonzepte für den Nordpolarraum, Regierungen beanspruchen Souveränität in polaren Seegebieten, rhetorisch wird auf- und wieder abgerüstet, Eisbrecherflotten werden geplant oder gebaut und Militärstützpunkte eingerichtet. Schiffe bahnen sich den Weg zu Siedlungen und Rohstofflagerstätten an der Küste des Arktischen Ozeans. Energiekonzerne sichern sich Explorations- und Förderrechte im Polarmeer und auf dem arktischen Festland. Diamantenminen liefern Rohedelsteine in alle Welt. Kohleminen sowie Nickel- und Eisenerzbergwerke gewinnen Nachschub für die Stahlwerke der Industriestaaten. Die Arktis, einst ein wahrlich »abseitiges« Gebiet, ist zu einer Weltregion geworden, für die sich nicht nur die direkten Anrainer und Wissenschaftler interessieren, sondern die auch die Aufmerksamkeit weiter entfernter Länder und der breiten Öffentlichkeit findet. Das Eis – und davon soll das nächste Kapitel berichten – ist nicht mehr die unüberwindbare Barriere, an der die europäischen Seefahrer jahrhundertelang scheiterten.

1.

Auf dünnem Eis:Der Klimawandel unddie Arktis

Schneemobilrennen auf der Frobisher Bay

Iqaluit, Hauptstadt des kanadischen Arktisterritoriums Nunavut, im April. Drei Stunden dauert der Flug von der Bundeshauptstadt Ottawa nach Iqaluit. Das leuchtendgelbe Flughafengebäude Iqaluits ist schon aus großer Entfernung vom Flugzeug aus zu sehen. Die meist ein- oder zweigeschossigen Häuser Iqaluits entlang der Küste des Koojesse Inlet scheinen sich zu ducken, um nicht allzu sehr dem Wind ausgesetzt zu sein. Im Schneetreiben zunächst kaum zu erkennen ist die anglikanische St.-Judas-Kathedrale, benannt nach Judas Thaddäus. Die igluförmige weiße Kirche ist eines der markantesten Gebäude dieser jungen Stadt. Unübersehbar auf einem Hügel über der Stadt steht der Astro Hill Complex mit Hotel, Kino und einem achtgeschossigen Appartementblock.

Die Frobisher-Bucht mit dem Koojesse-Meeresarm, an dem die 7000 Einwohner zählende Stadt liegt, ist eine Eiswüste. Bizarr ragen die Eismassen in die Höhe, Ebbe und Flut haben sie aufgetürmt. Der Tidenhub ist hier am Ende der Bucht gewaltig – bis zu zehn Meter können es sein. Wo das Eis eben ist, führt eine Eisstraße von der Stadt hinaus auf die Bucht. Langsam fahren Trucks in Kolonne über das Eis. Auf dem Eis mitten in der Bucht halten sie. Dutzende Fahrzeuge und Schneemobile und Hunderte Menschen kommen zusammen. Ein Schneemobilrennen, ein »Drag Race«, ist angekündigt, die letzte Veranstaltung des Frühlingsfests Toonik Tyme.

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