Die Arthrose Sprechstunde - Dr. med. Markus Klingenberg - E-Book

Die Arthrose Sprechstunde E-Book

Dr. med. Markus Klingenberg

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Beschreibung

Arthrose ist die häufigste Gelenkerkrankung. Betroffene leiden häufig unter Schmerzen und Funktionseinschränkungen. Die Arthrose Sprechstunde ist ein Ratgeber für Patienten mit Gelenkverschleiß. "Gelenke erhalten statt ersetzen" ist das Ziel des erfahrenen Orthopäde und Sportmediziners Dr. Markus Klingenberg. Der Knorpel-Doc vermittelt unterhaltsam den aktuellen Wissensstand zu Arthrose und ihre Behandlungsmöglichkeiten. Der Leser lernt die entscheidenden vier Säulen für seine Gelenkgesundheit kennen: das eigene Verhalten, die medizinischen Therapiemöglichkeiten, Bewegung und Ernährung. In einer 90-tägige Challenge motiviert und begleitet der Autor den Leser auf seinem Weg, das Gelesene direkt für sich umzusetzen und beizubehalten. Dieses Buch macht Schluss mit Halbwissen, fünfminütigen Sprechstunden beim Arzt und vorschnellen Operationen. Die Arthrose Sprechstunde ist der Kompass und Ratgeber, den sich jeder Arthrose, Patient wünscht. Mit einem Vorwort von Toni Schumacher: Gut, dass Du Dich dem Thema Gelenkverschleiß in diesem - für Patienten und Interessierte wie mich - verständlichen, umfassenden Werk widmest. Vielen Dank dafür, mein Knorpel Doc!

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Seitenzahl: 211

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Ich möchte dieses Buch all meinen bisherigen und zukünftigen

Patientinnen und Patienten widmen.

Ihr Vertrauen, ihre konstruktive Kritik und ihr Feedback ermöglichen

es mir, meine Therapien fortwährend weiterentwickeln und

optimieren zu können. Hierfür möchte ich mich herzlich bedanken.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Der Knorpel

Das richtige Mindset von Anfang an

Wo der Schmerz wirklich herkommt

Schnelle Hilfe aus der Hausapothe

Die Leistungen der Krankenkasse

Warum ich glaube, daß es besser geht

2. Gelenkerhaltende Therapien

Toni Schumacher und die Stammzellen

Orthobiologie mit plättchenreichem Plasma

Der richtige Einstieg mit Hyaluronsäure

Knorpelschäden reparieren

Fernöstliche Therapien und Naturheilkunde

Schmerzlinderung mit Kälte und Eis

Stoßwelle und Laser, Magnetfeld und Mikrostrom

3. Heilende Bewegung

Meine Bewegungsanalyse, dein Training

Zeitsparender Muskelaufbau

4. Arthrose braucht Nährstoffe

Genießen und Genesen

Abschluß:

Das richitge Mindset bis zum Ziel

Über die Autoren

Literaturverzeichnis

Hello Doc, endlich schmerzfrei!

Meine Laufbahn als Profifußballer hat heftige Spuren hinterlassen. Ich habe als Keeper immer alles gegeben, für meinen Verein, den 1. FC Köln, und für die Nationalmannschaft. Die Folgen unübersehbar: Finger gebrochen, Wirbelsäule geschädigt, Knie geschrottet. Früher half Adrenalin, später waren es Medikamente, meist Schmerztabletten und Kortison-Spritzen. Wie wir alle wissen, kann aber gerade Kortison bei wiederholter Gabe den Knorpel weiter schädigen. Die entzündungshemmenden Schmerztabletten führen fast immer zu unerwünschten Nebenwirkungen. Beides kam also für mich auf Dauer nicht in Frage. Ich habe lange versucht, mit meinen chronischen Schmerzen fertig zu werden, mit Hilfe meiner Frau die Ernährung umgestellt und mich bewegt, so gut es ging. Doch die Schmerzen waren immer da, vor allem nachts…

Es war allerhöchste Zeit, dass wir beide uns kennengelernt haben. Du hast mir wieder Hoffnung gegeben, meine chronischen Schmerzen loszuwerden. Durch die spürbare Schmerzlinderung bin ich heute wieder in der Lage, mich noch mehr und gezielter zu bewegen. So kann ich meine Muskeln wieder weiter kräftigen. Daher bin zuversichtlich, zukünftig weniger anfällig für weiteren Gelenkverschleiß zu sein. Deine ganzheitliche Therapie aus Stammzell- und Plasmatherapie in Verbindung mit Kälte- und gezielter Physiotherapie hat mir zu erheblich mehr Lebensqualität verholfen. Ich fühle mich deutlich fitter und belastbarer, kann wieder im Haus anpacken, Motorrad fahren und Golf spielen.

Ich habe Dich während meiner zahlreichen Behandlungen als erfahrenen, empathischen Mediziner kennengelernt, der immer zuerst der Ursache auf den Grund geht und dann die Probleme systematisch behandelt.

Gut, dass Du Dich dem Thema Gelenkverschleiß in diesem - für Laien wie mich – verständlichen, umfassenden Werk widmest. Vielen Dank dafür, mein Knorpel Doc!

Toni Schumacher (68), ehemaliger Fußball-Profi

Vorwort

Wird heutzutage über die Volkskrankheit Arthrose in den großen Publikumsmedien kritisch berichtet, geht es meist klischeehaft um eine skrupellose Pharmaindustrie, um geizige Krankenkassen, gewissenlose Prothesenhersteller und operationswütige Kliniken. Der Arthrose-Patient als Opfer ist ein Bild, das sich aufmerksamkeitsstark vermarkten lässt.

Den wirklich Betroffenen helfen diese reißerische Überschriften und das Clickbaiting1 letztlich wenig: Die teils berechtigte, teils überzogene Kritik liefert leider wenig Substanz für eine bessere Behandlung.

Viel zu oft hinterlassen Stereotype verunsicherte Patienten, die in ihrem Alltag voller Beschwerden und Schmerzen am Ende keine andere Möglichkeit sehen, als sich den bestehenden Behandlungsprotokollen zu unterwerfen.

Auf der anderen Seite sind die medizinischen Informationen, die von Kliniken, Ärzten und Krankenkassen zum Thema Gelenkschmerzen veröffentlicht werden, in vielen Fällen gleichermaßen kritikwürdig. Eine aktuelle US-amerikanische Studie zur Online-Aufklärung zeigt, dass die Patientenkommunikation in Punkto Lesbarkeit, Verständlichkeit und Umsetzbarkeit durch die Bank als schlecht zu bewertet ist.2

Eine andere Studie zur Arzt-Patienten-Kommunikation in der Orthopädie hat gezeigt, dass Chirurgen ausgerechnet jene Patientengespräche als am schwierigsten empfinden, in denen sie darüber aufklären müssen, warum eine Patientin oder ein Patient aufgrund einer nicht chirurgischen Diagnose nicht operiert wird. Erst an zweiter Stelle folgt der Umgang mit enttäuschten Erwartungen nach der Operation.3

Deshalb verfolge ich mit diesem Buch einen anderen Ansatz: Die Arthrose Sprechstunde ist meine Vision eines idealen Patient-Arzt-Gesprächs.

Dabei bin ich mir bewusst, dass der Zeitaufwand für dieses Gespäch in der Realität jede Sprechstunde in jeder orthopädischen Praxis sprengen würde. Als Gerüst dient mir die Idee des Medical Coaching. Aus diesem Grund hoffe ich, dass Sie, liebe Leserin, und Sie, lieber Leser, es mir verzeihen, dass ich für die nachfolgenden Kapitel die Du-Ansprache gewählt habe.

Bevor ich Arzt wurde, war ich Personal Trainer. (Dazu später mehr.) In den allermeisten Fällen duzte ich mich mit meinen Klienten, und diese positiven, konstruktiven Atmosphäre soll auch diesen Ratgeber prägen.

Mir ist es wichtig, dass sich die Leserinnen und Leser ihrer positiven Möglichkeiten, Fähigkeiten und Stärken bewusst werden – bei allem Respekt vor den erheblichen Einschränkungen und dem Leidensdruck, die die chronische Erkrankung mit sich bringt.

Durch Erläuterungen der Ursachen und der Wechselwirkungen des Knorpelverschleißes im Zusammenhang mit dem komplexen Bewegungsapparat und unserer Ernährung möchte ich Informationen vermitteln, die abrufbare Wissensbilder im Kopf schaffen.

Die Patienten sollen in die Lage versetzt werden, medizinische Behandlungsstrategien für sich selbst zu bewerten. Ich stelle Therapien vor, die den Knorpel sanieren können; Übungen, die das Gelenk entlasten und stabilisieren; Selbsthilfemöglichkeiten, mit denen jeder ganz gezielt die Entstehung und Wahrnehmung von Schmerzen steuern kann.

Ich weiß, das ist an mancher Stelle viel Wissen – auch Fachwissen – auf einmal. Wem sich die Frage nach einer Prothese (noch) nicht stellt, wer mehr an Vorbeugung interessiert ist, dem soll die gewählte Gliederung nicht den Schwung und die Motivation nehmen.

Stattdessen empfehle ich nach den folgenden drei Abschnitten gleich den Sprung zu den Kapiteln Bewegung und Ernährung. Anschließend können Sie zur Vertiefung das Kapitel Gelenkerhaltende Therapien lesen.

Mehr über mich und meine Philosophie erfahren Sie im vierten und fünften Unterkapitel.

Um die Ratgeberfunktion optimal nutzen zu können, empfehle ich Ihnen, die Challenges am Ende jedes Unterkapitels – quasi als Lesebestätigung – mit dem Smartphone abzufotografieren. So können Sie diese jederzeit nachlesen oder für den Selbstgebrauch ausdrucken.

Etwas Theorie für die richtige Motivation bleibt aus meiner Sicht allerdings weiterhin sinnvoll und wichtig.

Mein erstes Ziel ist es, dass sich die Sicht auf den Knorpel als Verschleißteil ändert. Der Mensch ist keine Maschine wie das Auto. Und das Gelenk ist kein Stoßdämpfer, der spätestens nach 150.000 Kilometern ausgetauscht werden muss.

Wenn wir uns von diesem mechanischen, unbiologischen Bild verabschieden, fällt es gedanklich leichter, den Weg von der heutigen Ersatz-Medizin zur Sanierungs-Medizin – im besten Fall hin zur Prophylaxe-Medizin – zu beschreiten.

Das bedeutet nicht, dass in einigen Krankheitsverläufen nicht doch eine Prothese notwendig wird. Regelmäßige Zahnreinigung hat nicht dafür gesorgt, dass Zahnprothesen nicht mehr erforderlich sind. Das Mammographie-Screening nicht dafür, dass keine Mastektomien mehr stattfinden. Blutdruckmessen nicht dafür, dass es keine Infarkte gibt.

Es geht um Zahl und Zeitpunkt. Laut Endoprothesenregister werden in Deutschland Jahr für Jahr mehr als 400.000 künstliche Hüft- und Kniegelenke eingesetzt.4 Der Gelenkersatz gehört seit Dekaden unverändert zu den häufigsten großen Operationen dieses Landes.

Jeder zwölfte, in Deutschland endoprothetisch versorgte Patient – mehr als 30.000 Menschen jährlich5– muss erneute Operationen (Revisionen) und dauerhafte Funktionsbeeinträchtigungen hinnehmen. Unzufrieden mit dem Ergebnis ihrer Prothese sind je nach Studie und Beobachtungszeitpunkt etwa 20 Prozent der Patienten.

Ich bin überzeugt, dass die allermeisten Kollegen, Therapeuten und Trainer Patienten kennen, die für „eine der größten Erfolgsgeschichten der modernen Medizin“6 einen hohen Preis bezahlt haben.

„Sanieren statt ersetzen“ würde die Orthopädie, wie wir sie kennen, verändern. Sie würde auch die Position der Patienten verändern: Weg aus der Opferrolle und hin zum Gestalter.

Bonn, im Sommer 2023

1. Der KnorpelDas richtige Mindset von Anfang an

Vor einigen Wochen hatte ich ein besonders schönes Erlebnis: Meine zweitälteste Arthrosepatientin ist jetzt 92 Jahre alt und war bei mir in Bonn. In diesem Alter wünschen sich die meisten Patienten, dass ihnen eine große Operation, wie der Ersatz beider Kniegelenke, erspart bleibt.

Manchmal steht diesem Wunsch die Sorge um die Wirksamkeit der Selbsthilfe gegenüber.

Deshalb hat es mich tief beeindruckt, wie entspannt und gleichzeitig entschlossen sich die Dame auf mein Behandlungskonzept eingelassen hat.

Wenn ich ihr gesagt habe: „So, also nächste Woche ein bisschen piano“, hat sie sich daran gehalten. Und als sie etwas bei der Ernährung umstellen sollte, hat sie das gleich akzeptiert.

Die Frau ist eine richtige Macherin. Hat promoviert. Vier Kinder. Die Hälfte des Jahres lebt sie in Deutschland, die andere Hälfte in Italien. Mich hat diese Vita tief beeindruckt. In dem Alter wäre ich gern geistig so fit, begeisterungsfähig und aufgeschlossen.

Aus diesem Grund bin ich am Ende der Sprechstunde noch einmal zur Patientin ins Behandlungszimmer gegangen und habe mich bedankt. Dafür, dass ich sie behandeln darf und dass sie so toll mitmacht. Dass sie gleich verstanden hat: Knorpeltherapie fängt im Kopf an. Knorpeltherapie braucht Motivation. Knorpeltherapie verlangt Zeit.

Ohne die Unterstützung der Patienten geht es nicht – so meine Erfahrung nach über 15 Jahren als Knorpel-Doc.

In den meisten Fällen ist Gelenkverschleiß keine Folge eines einmaligen, schicksalshaften Ereignisses, wie ein Verkehrsunfall oder ein Sporttrauma. Auch die Abnutzung des Knorpels durch Dauerbelastung – wie beim Fassadenkletterer in den Daumensattelgelenken oder beim Fliesenleger in den Knien – kommt viel seltener vor, als Du vielleicht vermutest.

Wenn Du jetzt das Buch zuklappst, aufstehst, Dir dabei das Knie verdrehst, kann ich mich als Dein Arzt ausschließlich um das Gelenk kümmern. Bei mindestens jedem zweiten Patienten betrifft die Arthrose aber mehr als nur ein Gelenk und hat in der Regel eine mindestens monate-, meist jahrelange Vorgeschichte.

Kleinere Verletzungen in der Jugend oder Dauerbelastungen mögen eine Rolle spielen; doch bei der Mehrzahl der Fälle in meiner Praxis tragen individuelle Lebensumstände, wie Schreibtischarbeit, Mangel an Bewegung, einseitige Ernährung, Übergewicht oder Rauchen dazu bei, dass aus überlasteten Gelenken schmerzhafte Gelenke werden.

Im englischsprachigen Raum gibt es den Begriff „Sitting Disease“, die Sitzkrankheit. Hierzulande bestätigen aktuelle Untersuchungen, dass ein wichtiger Risikofaktor für Arthrose unser moderner, sitzender Lebensstil ist.

Laut Studie des Robert Koch-Instituts sitzen „22,6 Prozent der Frauen und 24,3 Prozent der Männer mindesten vier Stunden am Tag und üben keine körperliche Aktivität in der Freizeit aus.“7 Folgt man den alarmierenden Erkennntissen, dürften Stühle jedweder Bauform nur mit Beipackzetteln verkauft werden.

Während in Australien zum Beispiel die Gesundheitsbehörden das Sitzen als das neue Rauchen bezeichnen und gezielt aufklären8,bekomme ich – während ich das hier schreibe – unter dem Suchwort Sitzen auf den Seiten des Bundesgesundheitsministeriums nur Inhalte zum Thema Sitzung, Wohnsitz oder Dienstsitz angezeigt.

Pro Jahr werden laut Statistischem Bundesamt aufgrund von Arthrose knapp eine halbe Million Menschen im Krankenhaus stationär behandelt9.An den gesamten Krankheitskosten im Jahr 2020 lagen die Kosten für Arthrose bei 12,1Milliarden Euro10.Gesamtausgaben: 440,6 Milliarden Euro.

Aufgrund der weitreichenden Folgen gehört für mich die individuelle, ganzheitliche Erfassung der Lebensumstände seit Langem zu einer erfolgreichen und nachhaltigen Arthrosetherapie dazu.

Erst wenn ich als Arzt weiß, welche Auslöser gerade bei Dir zum Gelenkverschleiß geführt haben, kann ich Dich motivieren, an diesen Stellschrauben zu arbeiten – natürlich nur dann, wenn Du es ebenfalls möchtest.

An diesem Punkt scheitert in der normalen orthopädischen Praxis viel zu oft die Behandlung. Das liegt zum Teil daran, wie unser Gesundheitssystem in Deutschland im Augenblick organisiert ist; dass die Zeit, die ich für diese Beratung benötige, von den Krankenkassen nicht ausreichend erstattet wird.

Es liegt aber ebenso daran, in welchem Bewusstsein, mit welchem Wissen und mit welchem Wunsch Patienten zum Arzt gehen.

Ich vergleiche unsere Gelenke gern mit den Zähnen. Knorpel enthalten wie der Schmelz keine Nervenfasern, können sich deshalb nicht unmittelbar bemerkbar machen. Stattdessen gibt es oft eine lange, stumme Phase. In dieser erfolgt eine Schädigung, die jedoch nicht als solche wahrgenommen wird. Beim Zahn kommt es erst zu Beschwerden, wenn sich die Karies durch den harten Schmelz durchgefressen hat. Zur Vorbeugung leiten wir unsere Kinder an, sich täglich morgens und abends die Zähne zu putzen. Im Erwachsenenalter halten wir selbstverständlich an diesem Ritual fest und lassen uns gern zusätzlich die Zähne ein bis zweimal pro Jahr professionell reinigen.

Wenn ich meine Arthose-Patienten im Erstgespräch frage, was sie analog zu den Zähnen in den letzten Jahren für ihre Gelenke getan haben, ernte ich überwiegend verständnislose Blicke.

Viele kommen mit dem Selbstverständnis in die Praxis, als würden sie ihren Körper in eine Art Autowerkstatt bringen: „Hier, Herr Doktor, machen Sie mal was gegen die Schmerzen.

Und bloß keine Operation und kein neues Gelenk. Je schneller und einfacher, desto besser!“ Genau dieses Mindset, diese Haltung zum eigenen Körper, ist gefährlich – nicht nur für den Knorpel, sondern für den Menschen als Ganzes! Je komplexer eine Erkrankung, so meine Erfahrung, umso eher neigen sowohl Patienten als Ärzte dazu, Problematiken zu vereinfachen. Wenn sich beide Seiten keine Zeit für die eigentliche Ursache nehmen, ist es nur konsequent, dass die Kortisonspritze häufig die Therapie der Wahl darstellt.

Zum Unglück der Patienten. Denn die entzündungshemmende Gelenkinjektion lindert viel zu schnell. Das klingt paradox, ist es aber nicht! Ein amerikanischer Merksatz zur Arthrosetherapie mit dem synthetisch hergestellten Hormon lautet: Short gain, long pain. Übersetzt bedeutet das: Kurzfristige Linderung, langfristige Schädigung.

Das liegt daran, dass Kortison ab einer gewissen Dosierung auf Dauer knorpelschädigend wirkt. Hinzu kommt – und das ist wichtig –, dass die einfache Spritze eine tiefere Beschäftigung mit den wirklichen Ursachen überflüssig erscheinen lässt.

Es ist auf tragische Weise konsequent, dass Kortison bei vielen Patienten die wesentlicht Therapie-Option bleibt, die bis zum künstlichen Gelenk mehr als vollständig ausgeschöpft wird.

Du hast bereits gehört oder gelesen, dass in Deutschland zu viele Gelenkprothesen eingebaut werden? Die Bertelsmann Stiftung hat dazu 2018 eine Studie vorgestellt und macht fehlgeleitete finanzielle Anreize verantwortlich.

So seien „Knieprothesen-Operationen … für die Kliniken lukrativer geworden. Niedergelassenen Ärzten scheint darüber hinaus nicht genügend Budget für konservative Therapieansätze wie Physiotherapie zur Verfügung zu stehen.“11 Das stimmt: In der Orthopädie liegt der Tätigkeitsschwerpunkt mehr auf Gelenkersatz als auf Arthrosevorbeugung. Aus meiner Sicht kommt eine weitere Ursache dazu: Kortison erzieht Arthrose-Patienten falsch!

Menschen, die die schnelle Spritze haben wollen, sind oft die ersten, die nach dem Gelenkersatz fragen – so meine Erfahrung.

Um nicht missverstanden zu werden: Eine einzelne Kortisonpritze verursacht in der Regel keinen Schaden. Doch sie wiegt Dich in unangebrachter Therapiezufriedenheit.

Ich will Dir nichts vormachen. Meine Arthrosetherapie ist manchmal schweißtreibend. Sie erfordert Zeit und ab und zu eine gewisse Anpassung der Lebensumstände. Aber sie lohnt sich.

Nicht allein, weil sich der Knorpel – im Gegensatz zum Zahnschmelz – erholen und gesunden kann. Auch weil anhaltende Schmerzfreiheit, bessere Beweglichkeit und gesündere Ernährung vor Diabetes, Gefäßverkalkung und Schlaganfällen schützen und darüber hinaus eine nachgewiesen antidepressive Wirkung haben.

Im besten Fall bedeutet das für Dein Leben nicht nur mehr Jahre – sondern für Deine Jahre mehr Leben.12 Was Du dafür brauchst? Etwa vier Stunden pro Woche. Und ein Ziel.

Das wichtigste Interesse, das eigentlich alle Menschen mit Arthrose teilen, ist Schmerzfreiheit. Die lässt sich kurzfristig mit Schmerztabletten oder – wie beschrieben – mit Kortison erreichen. Nachhaltiger ist eine persönliche, individuelle Zielsetzung.

Ich habe Patienten, die gern mit ihren Enkeln auf dem Boden spielen wollen und sich dafür hinhocken können. Andere wollen mit ihrem Partner sonntags am Rhein spazieren gehen.

Und Dritte träumen vom New York-Marathon.

Hier ist jetzt der Platz für Dein Ziel. Nimm Dir einen Augenblick, trage Dein ganz persönliches Vorhaben ein, das Du erreichen möchtest.

Mein Ziel ist:

Das war einfach, oder? Jetzt wird es schwieriger. Jetzt geht es darum, was Du bereit bist zu investieren. Um Deine Freizeit. Ich denke, eine gute, halbe Stunde pro Tag über die nächsten drei Monate ist realistisch. Ganz schön viel … Oder nicht, wenn Du bedenkst, dass Du pro Woche 168 Stunden zur Verfügung hast. Abzüglich von etwa 63 Stunden Schlaf, circa 40 Stunden Arbeit und ungefähr 14 Stunden fürs Essen bleiben noch 51 Stunden.

Jetzt bist Du gefordert, Dir zu überlegen, in welchem Bereich Du bereit bist, Zeit umzuschichten. Anregung von mir: Schaue Dir mal die wöchentlichen Bildschirmzeiten auf Deinem Smartphone an. Vielleicht kannst Du Dir ja die eine oder andere Stunde aus der virtuellen in die reale Welt zurückholen.

Dafür entziehe ich mich folgendem Zeiträuber:

In Ordnung! Gibst Du mir Deine Hand drauf? Dann gebe ich Dir meine! Darauf, dass Du bei vier Stunden pro Woche innerhalb von 90 Tagen einen spürbaren Erfolg feststellen kannst. In meiner Praxis sage ich immer: „Wenn Du nach drei Monaten nicht zufrieden bist, schreibe ich Dir persönlich die Empfehlung für eine Prothese!“ Im Rahmen dieses Buches geht das nicht. Vielleicht können wir uns darauf einigen: Wenn Du wirklich mitmachst und sich nach 90 Tagen keine zufriedenstellende Besserung einstellt, weißt Du, dass der Gelenkersatz für Dich der richtige Weg sein kann – und das völlig ohne Schuldzuweisung.

Dann ist Deine Arthrose womöglich so weit fortgeschritten, dass eine Prothese die Lösung ist. Das gibt es! Nur ist es viel seltener, als die meisten Menschen vermuten.

Darum musst Du Dich nicht einmal von Deinen Zielen verabschieden – selbst vom New York-Marathon nicht. Die deutsche Bergsteigerin Billi Berling ist sogar mit einer künstlichen Hüfte im Himalaya unterwegs13.

Wenn alles gut verheilt ist und mit der richtigen Reha ist es mit einem künstlichen Gelenk möglich, regelmäßig längere Läufe zu absolvieren. Dazu gibt es in der Fachliteratur immer mehr Daten.14 Warum ich das erwähne? Weil ich Dich nicht über Deine Angst motivieren möchte. Im Gegenteil: Druck und Stress hemmen Deine Leistungsbereitschaft und -fähigkeit.

Kurz zusammengefasst – was ich meinen Freunden, meiner Familie und Dir rate:

Du bist nie zu alt, um etwas gegen Arthrose und Gelenkschmerzen zu tun!

Ich arbeite erfolgreicher mit Patienten mit ambitionierten Zielen und starkem Willen, als mit Werkstatt-Kunden, die die Verantwortung abgeben wollen

Schmerzfreiheit bedeutet nicht zwangsläufig, dass es Deinem Knorpel gutgeht. Misstraue einfachen Lösungen beim komplexen Problem Arthrose

Wenn Du etwas aktiv für Deinen Knorpel tun willst, formuliere vorab Deine individuellen Ziele und halte sie schriftlich fest

Vier Stunden pro Woche über 90 Tage können eine deutliche Verbesserung bringen. Falls nicht, solltest Du über eine Änderung der Behandlung nachdenken.

Auf Deutsch bedeutet „to challenge“ herausfordern – und dazu will ich Dich ab jetzt am Ende jedes Kapitels animieren. Mir ist klar, dass Deine Motivation nach diesen wenigen Seiten gering sein wird. Deshalb will ich Dich nicht nerven, gleich etwas tun zu müssen – im Gegenteil!

Merkhilfe

„Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan, Und keinen Tag soll man verpassen“

Johann Wolfgang von Goethe, Faust

Um mein 90-Tage-Versprechen einhalten zu können, schicke ich Dich ins Bett.

Eine Woche lang. Du fängst ab heute neun Stunden vor Deiner Aufstehzeit an, Dich schlaffertig zu machen. Genau das ist Deine erste Challenge.

Musst Du morgen um sechs aus dem Bett, ist heute um 21 Uhr Schluss.

Kannst Du eine Stunde länger liegen bleiben, ist um 22 Uhr Zapfenstreich.

Das gilt für die nächsten sieben Nächte. Fühlst Du Dich besser, führe es fort, eigne es Dir an, mache es zu Deiner Gewohnheit. Am besten für immer. Warum?

Ausreichend Schlaf unterstützt die Erneuerung und Reparatur von Zellen, Gewebe und Blutgefäßen – das ist gut für den Knorpel.

Ausreichend Schlaf wirkt regulierend auf das Immunsystem – das hilft gegen die Entzündung.

Ausreichend Schlaf verbessert die Stimmung und die Motivation – das erleichtert Dir die Knorpelarbeit.

Ausreichend Schlaf senkt generell das Risiko für chronische Erkrankungen – auch für Arthrose. (Quelle: Life’s Essential der American Heart Association15)

Laut Studien verstärkt ungesunder, kurzer Schlaf jene Schmerzen, die von den Gelenken ausgehen.16

Wo der Schmerz wirklich herkommt

Ein gesunder Knorpel ist ungefähr so glatt wie chinesisches Porzellan, schimmert kaltweiß und fühlt sich prall an.Seine extrem verschleißarmen Gleiteigenschaften verdankt er der besonderen Struktur; die vornehme Blässe der Tatsache, dass er nicht durch das Blut, sondern durch sogenannte Gelenkschmiere genährt wird. Auch die Elastizität kommt von diesem Gewebewasser, das in der Gelenkkapsel unablässig nachproduziert wird.

In unserer Klinik führe ich pro Jahr über 250 operative Knorpelbehandlungen durch. Am häufigsten am Knie, gefolgt von Hüfte, Schulter-, Sprunggelenk.

Im Rahmen minimalinvasiver, arthroskopischer Eingriffe teste ich regelmäßig mit einer feinen Sonde den Zustand des wundervollen Gewebes, das die meisten Knochenenden in den Gelenken überzieht.

Der Tasthaken, den ich dafür durch einen winzigen Gewebeschnitt in die Gelenkkapsel einführe, dient als Verlängerung meiner Finger. Da er starr ist, spüre ich in den Fingerspitzen feinste Unterschiede bei der Elastizität des Puffergewebes, dessen zentrale Aufgabe bei den gewicht-belasteten Gelenken, wie Hüfte, Knie oder Sprunggelenk, die Druckverteilung und -minderung ist.

Gesunde Knorpel bestehen aus Knorpelzellen, die um sich herum ein Netzwerk aus Kollagen aufbauen. Das Besondere an den komplexen Matrixmolekülen ist, dass sie über körpereigene Hyaluronsäure Wasser einlagern und so ein natürliches Gelkissen bilden.

Wenn die Fläche den Druck meines Instruments leicht abfedert und keine Spuren zurückbleiben, weiß ich: Der Knorpel ist wohlauf und gesund.

Anders, wenn das feste Bindegewebe beschädigt ist. Dann kann es geschehen, dass sich der Zellverbund locker und brüchig anfühlt; und dass ich mit der Sonde die Oberfläche eindrücken kann.

Schlimmstenfalls ist gar kein Knorpel mehr vorhanden. Dann kratze ich mit dem Haken über eine rauhe Oberfläche und spüre blanken Knochen.

Es beeindruckt mich immer wieder aufs Neue, welche komplexen Einflüsse diese zarte, wenige Millimeter dünne Gewebeschicht auf Beweglichkeit, Alltagsgestaltung und Lebensqualität hat. Und parallel fasziniert mich, wie genial Mutter Natur das wunderschöne Gewebe nährt, das ähnlich einem feinen Schwamm ist.

Ein alter Chef von mir sagte früher mit Blick zu den Studenten: „Ein Knorpel ist wie ein Azubi: Er braucht Druck und Bewegung“. Ich würde es anders formulieren: Der Knorpel gestaltet Bewegung, und Bewegung gestaltet den Knorpel.

Wie der Naturschwamm im Meer durch den Wellengang ausgewalkt wird und sich anschließend frisches, nährstoffreiches Wasser zieht, so sorgt der Bewegungsdruck auf den Knorpel dafür, dass das verbrauchte Gewebewasser aus dem Biopolster herausgedrückt und in einer anschließenden Ruhephase frische Gelenkschmiere aufgenommen wird.

Als aktiver Taucher und zertifizierter Taucharzt gefällt mir das Bild mit dem Schwamm aus einem weiteren Grund: Jeder weiß, was passiert, wenn man aus dem Badeschwamm oberflächlich ein Stück herausreißt: Die aufgenommene Wassermenge wird kleiner.

Gleiches geschieht bei der Arthrose: An der betroffenen Stelle nimmt der Knorpel weniger Gelenkflüssigkeit auf. Dadurch lässt die Stoßdämpferfunktion nach. Parallel verschlechtert sich die Ernährung des gefäßlosen Stützgewebes. Der Anfang eines Teufelskreis.

Alles klar, denkst Du jetzt womöglich. Ein so geschundener Knorpel ist vermutlich auch bei mir der Grund, warum ich Schmerzen habe. Da muss ich Dich enttäuschen – Abnutzung allein verursacht keine Beschwerden!

So wie der Knorpel nicht ans Blut- und Lymphsystem angeschlossen ist, verfügt er auch nicht über Nerven.Vergleichbar ist das mit der Situation beim Zahn.

Erst wenn der Schaden so tief reicht, dass der Nerv betroffen ist, spüren wir etwas. Beim Gelenk ist das der Übergangsbereich vom Knorpel zum Knochen. Erst in diesem Bereich sitzen die sogenannten Schmerzrezeptoren, die Druck, Dehnung und andere Reize aufnehmen und als Schmerzsignal zum Rückenmark weiterleiten.

Klassische Arthrosebeschwerden erinnern im Tagesverlauf stets ein bisschen an die Form des Buchstabens M und sind mit Knochenschmerzen allein kaum zu erklären:

Das beginnt – zum Beispiel an der Hüfte – mit einem steil ansteigenden Anlaufschmerz am Morgen, der am Vormittag langsam besser wird. Die Patienten berichten meist davon, dass sie sich erstmal einlaufen müssen.

Bereits mittags kehrt mit jedem weiteren Schritt ein belastungsabhängiger Schmerz zurück, der schlagartig nachlässt, sobald Du Dich abends hinlegst.

Wobei es auch Patienten gibt, die sagen: „Morgens habe ich noch nichts, sondern erst nach 500 Metern kommen die Schmerzen“.

Bei anderen tut es nur morgens weh und danach sind sie schmerzfrei. Dritte haben selbst in der Nacht Beschwerden: relativ selten in Rückenlage; häufiger in Seitenlage.

Gleiches gilt, wenn es bergab oder treppab stärker schmerzt als bergauf bzw. treppauf. Das alles und noch viel mehr kann Arthrose sein.

Wie komplex Gelenkschmerzen sein können, zeigt der Fall einer 48-jährigen Patientin, die kürzlich bei mir war. Im Frühjahr hatte sie zusammen mit ihrem Mann angefangen, regelmäßig Tennis zu spielen. Seitdem leidet sie nach jedem Match unter starken Schmerzen in beiden Knien.

Sie kam zu mir, um sich eine Zweitmeinung einzuholen. Der Orthopäde, der sie behandelt, hatte ein MRT machen lassen und festgestellt, dass sie – auf einer Skala von null für kein Schaden bis vier für Knochen liegt frei – einen Knorpelschaden Grad eins bis zwei in beiden Knien hat.

Der Kollege war der Meinung, dass er unbedingt den Knorpel therapieren müsse. Die Patientin hatte die CD mit den Kernspin-Schichtaufnahmen mitgebracht. So konnte ich die Bilder selbst in Augenschein nehmen.

Tatsächlich war eine gewisse Schädigung des Knorpels erkennbar. Doch passte der leichte Grad der Arthrose – meiner Erfahrung nach – nicht zu den beschriebenen Beschwerden.

Dazu hätte noch eine gewisse Form der entzündlichen Aktivierung gehört.

Eine solche Akutreaktion erkennen wir Ärzte daran, dass sich im Gelenk mehr Flüssigkeit befindet, als dort hingehört. Wir sprechen vom Gelenkerguss. Außerdem reagiert der Knochen unterhalb des Knorpels ebenfalls mit einer Flüssigkeitsansammlung. Das nennen wir Knochenmarködem.

Was mich stutzig machte: Auf den MRT-Bildern der Patientin war weder Erguss noch Ödem erkennbar. Ich habe deshalb die Frau ein paar einfache Übungen ausführen lassen. Eine tiefe Kniebeuge zum Beispiel.

Dabei stellte sich heraus, dass sie nicht richtig abhocken konnte. Sie hob jedesmal die Ferse vom Boden. Außerdem fiel sie bei der Übung in eine ausgeprägte X-Bein-Stellung.

Diese einfachen Tests dauern wenige Sekunden, helfen mir jedoch dabei zu erkennen, ob die Patienten ihre Beine optimal ansteuern können.

Tennis ist wunderbar. Durch die Start-Stop-, Rechts-Links-, Rückwärts-Vorwärts-Bewegungen ist der Sport doch körperlich extrem fordernd und gelenkbelastend. Dazu kommen die ganzen Rotationsbewegungen.

Die Art und Weise, wie die Patientin die Funktionsübungen ausführte, verstärkten bei mir einen Verdacht: Dass die Beschwerden eher als Summenprodukt von den Weichteilen stammen, die sich um das Knie herum befinden, als vom objektiven Knorpelschaden, den mir das MRT präsentiert.

De Facto kann dieser Verschleiß bereits seit Jahren unbemerkt bestanden haben und ist jetzt