Die Aura des Himalayas - Harald Baetge - E-Book

Die Aura des Himalayas E-Book

Harald Baetge

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Beschreibung

Diese Reiseerzählung führt den Leser in das kälteste und höchste Gebirge der Welt. Mit diesem Buch gelingt dem Autor eine einmalige und nie da gewesene Reiseführung der ganz besonderen Art. Am Ende des Buches denkt der Leser: Er war da, wo auch der Autor gewesen ist: im Everestgebiet des Hochhimalayas. Harald Baetge durchlebt eine Seelenwanderung, die ihresgleichen sucht. Die Intensität seiner Wanderung führt ihn in eine Traumwelt, die immer realer zu werden scheint. Dank seines Willens und seiner geistigen Kraft kommt er seinem Ziel immer näher. Unterstützt wird er von seinem treuen Gefährten Nare, der in dem Gebiet geboren wurde und hier lebt.

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Seitenzahl: 155

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Harald Baetge, Jahrgang 1965, geboren in der Lüneburger Heide, lebt als Hobbyautor in Berlin. Sein erstes Buch Der Zehnsonnenstern veröffentlichte er 2010. Es folgten Unterwegs in der Gurungregion-ein kleiner Reisebericht und Ein Wahnsinnsgerät. Danach veröffentlichte er Unterwegs in der Tuwaregion, in dem er auf eindrucksvolle Art und Weise den Leser mit auf eine Reise in den mongolischen Westaltai nimmt. In seinem neuesten Werk erzählt er von seinen Empfindungen über seinen Trip nach Nepal zum Basislager des Mount Everest, dem höchsten Berg der Welt.

Es ist richtig, dass jedes schöne Ereignis sich dem Ende zuneigt, um Platz zu schaffen für Neues.

Wir denken an alle Menschen, die am Mount Everest geblieben sind.

Die Ama Dablan wacht über uns….

Nichts ist gemütlich in den Bergen, sagte mir mal ein freundlicher Mann aus Grainau. Er hat mit dieser Einschätzung recht, zugleich mein Wanderleben geprägt und mir eine neue Sichtweise geschenkt. Gehen wir vom Mittelgebirge über die Voralpen zu den Alpen in den Vorhimalaya und weiter hinauf in den Hochhimalaya. Überall die gleiche Einschätzung, alle Wege sind auf ihre Art gefährlich und mit Sorgfalt und Vorsicht zu begehen. Selbst während einer Wattwanderung an der Nordsee kann eine Qualle den ganzen Urlaub ruinieren, woran der Mann bestimmt nicht gedacht hat.

Gehen wir von der Nordsee auf den Mount Everest. Der Kontrast könnte nicht größer sein. Bewegen wir uns schließlich vom niedrigsten Punkt auf den höchsten unseres Erdballs. Die Wege dorthin sind unergründlich, geheimnisvoll, gefährlich und ungemütlich. Ich rede nicht vom Gipfel, sondern vom Basislager, zu dem meine Reise führen soll. Das Basislager, für mich persönlich der Gipfel, das scheinbar unerreichbare Ziel, dem alles untergeordnet wird. Ein Vorhaben, das sich vor vielen Jahren in mir manifestiert hat.

Damals stand ich in Rongbuk auf der tibetischen Seite und schaute auf den Everest. Mir wurde ein phänomenaler Blick auf den gesamten Berg geschenkt. Der azurblaue Himmel über mir präsentierte mir den höchsten Berg der Welt in seiner ganzen Pracht. Ich spürte seine gesamte Energie durch meinen Körper fließen.

Der Mount Everest. Er stand da, wie ein Fels in der Brandung, ein wenig sanftmütig und zugleich mächtig wie nichts auf der Welt. Ich wusste damals, dass ihm alle Menschen gnadenlos ausgeliefert sind, die begehren, dort oben zu stehen, um alle Dinge unter sich zu lassen. Genauso wie ich von der Anziehungskraft dieses Berges fasziniert war, entwickelte sich im nächsten Moment eine leichte Enttäuschung in mir. Was war geschehen? Vor mir lag das Basislager, die bunten Zelte verloren sich im Geröll, dahinter befand sich nur der Berg, sonst nichts, nur der Berg. Ich sehnte mich nach dem gigantischen Blick auf die höchsten Berge der Welt, der mir in vielen Büchern so trügerisch vermittelt wurde. Dank meiner Unkenntnis befand ich mich in einem Himalaya-Dilemma. Ich war im Himalaya, doch sah ich ihn nicht. Durch die geografische Lage fährt man mit dem Jeep an den Berg heran und genießt seine Nähe mit seiner markanten Felspyramide. Der höchste Berg der Welt steht direkt vor dir und verdeckt die anderen Schneeberge, die sich demütig hinter ihm verstecken. Als wir von Rongbuk mit dem Jeep wieder in Richtung Lhasa fuhren, war ich traurig. War das alles?

In den nächsten Tagen wanderten meine enttäuschten und ernüchternden Empfindungen langsam aus meiner Seele. In meinen Gedanken stärkte sich das Bewusstsein, von der anderen Seite des Berges einen ganz anderen Blick bekommen zu können. Wenn ich von Rongbuk aus nur den Everest sehe, schlage ich der Natur ein Schnippchen und gehe auf die andere Seite, um das sich versteckende Himalayamassiv aus der Reserve zu locken. Denn mir war klar geworden, dass der Everest nur in Verbindung mit dem gesamten Massiv seine einzigartige Bedeutung erlangt.

Wenn ich auf der anderen Seite stehe, dachte ich mir, erfahre ich, wie es ist, den Himalaya zu sehen, die schnee- und eisbedeckten Berge vor mir zu haben. Einen Blick einfangen zu können, der dich glauben lässt, im gesamten Himalaya zu sein, im höchsten Gebirge der Welt. An dem Ort zu sein, den ich als Kind im Diercke-Weltatlas als zwei daumendicken Landstrich wahrnehmen konnte. Für mich damals unvorstellbar wie 30 Jahre zuvor die Reise zum Mond.

Nur die Sache hat einen Haken. Im Vergleich zu den Chinesen, haben die Nepalesen weit entfernt vom Everest aufgehört, Sandwege in die Natur zu setzen, sodass ein Durchkommen mit dem Jeep unmöglich ist. Eine lange, beschwerliche und kräftezehrende Wanderung steht mir somit bevor. Über mehrere Wochen geht es durch faszinierende Natur über Stock und Stein. Das menschliche Auge sieht Dinge, die in Worte nicht zu fassen sind. Ich befinde mich auf den Spuren von George Mallory, Tensing Norgay, Edmund Hillary und Reinhold Messner. Gänsehautgefühle steigen in mir auf, wenn ich nur daran denke. Diese Reise muss sein. Ungeduld, gepaart mit Unzufriedenheit, kommt in mir auf, je länger ich die Planungen vor mir herschiebe und sie nicht in die Tat umsetze. Dann ist irgendwann die Zeit gekommen. Das Schicksal meint es gut mit mir. Mehrere Ereignisse reihen sich aneinander an, wegweisende Gespräche mit meiner Frau und anderen lieben Menschen führen mich in die Richtung, die ich einzuschlagen habe. Ein überragendes Buch über den Zweck seiner eigenen Existenz gibt den Ausschlag.

Diese Tour verändert mein Leben und meine Sinne. Unzählige Gedanken rauschen wie der Dudh Kosi im Solokumbu durch meinen Kopf.

Eineinhalb Jahre vorher entscheide ich mich für die Auszeit. Einige Wochen später erhalte ich grünes Licht von meinem Arbeitgeber. Und nachdem sich die Erde dreißigmal gedreht hat, steht Nepal als Reiseziel fest. Mein Verbindungsmann in Katmandu ist Sonam. Er leitet mit seinem Vater seit vielen Jahren ein Reisebüro, welches sich auf Trekkingtouren im Himalaya spezialisiert hat und sich weltweit eine unglaublich positive Reputation erworben hat. Nach vielen E-Mails steht der Ablauf der Tour fest, individuell auf mich abgestimmt. Ein nepalesischer Guide wird mich begleiten. Obwohl viele Fragen für mich vorerst unbeantwortet bleiben, buche ich den Flug zehn Monate vorher und schicke Sonam eine Kopie des Flugtickets. Die Reise ist somit gebucht und unter Dach und Fach. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Trotz meiner Zweifel und Ängste bin ich von einem guten Gefühl umgeben.

Ich darf mich nun zu den glücklichen Menschen zählen, die zwei Monate die Sachen machen dürfen, wozu sie wirklich Lust haben. Frei von gesellschaftlichen Zwängen und alltäglichen Sorgen, aus innerster Überzeugung das tun, wozu man geboren ist, nämlich den Zweck der eigenen Existenz erfahren und zugleich erleben.

Nach langer Vorbereitungszeit fliege ich der Schneewohnstätte entgegen. Im altindischen Sanskrit sagt man Himalaya dazu, das sagenumwobene, höchste und berühmteste Gebirge unseres Erdballs. Als der Flieger in Berlin abhebt und in der Endlosigkeit des Horizonts verschwindet, gehen meine Gedanken zurück an die Zeit davor. Sie ist geprägt von gründlicher Recherche, Planungen, Buchungen und Trainingseinheiten, aber auch von vielen Gedanken.

Bin ich fit genug? Vertrage ich die Höhe? Kann ich die Anstrengung richtig einschätzen? Sind die klimatischen Bedingungen eine Nummer zu hoch für mich? Werde ich einsam sein? Wie reagiert meine Seele? Werde ich weinen?

Ist es richtig und vernünftig, sich auf ein derartiges Abenteuer einzulassen? Natürlich ja!

Stelle man sich nur das Szenario vor, einer verpassten Chance nachweinen zu müssen. Bereuen ist kein guter Begleiter der Seele.

Also einfach machen und losfliegen, alte Keule sage ich mir. Es ist gut, über seinen eigenen Schatten zu springen und Dinge durchzuziehen, die anfangs schwierig erscheinen, aber aus der Ratio heraus erfüllbar sind. Das gute Gefühl, es versucht zu haben, ist über jeden Zweifel erhaben. Um seine Grenzen auszuloten und neue Erfahrungen zu machen, ist dieser Trip vernünftig. Ich erfinde mich neu und lerne mich auf eine spezielle Art und Weise kennen.

Ich frage mich, ob Reinhold Messner stolz auf mich wäre, würde ich ihm erzählen, dass ich mein Trainingspensum im Schwimmbereich von 1000 m Brustschwimmen mit 50 % Kraulanteilen auf 1500 m in gleicher Durchschnittsgeschwindigkeit verbessert habe, wohlgemerkt ebenfalls mit 50 % Kraulanteilen. Mein persönlicher Beitrag, um am Berg zu bestehen. Als ich von der netten Stewardess ein Bier ausgehändigt bekomme, öffne ich die Dose und proste ihm schmunzelnd zu.

Auf meine Reise.

Reinhold Messner lehnt sich lässig zurück und schaut mich schweigsam an. Dann grinst er nur.

Sicherlich denkt er an seine Kindheit zurück, in der er in Südtirol alle Berge im Alleingang erklommen hat, um dann Jahre später den Himalaya zu erobern, mit all seinen Achttausendern. Damit kann ich selbstverständlich nicht dienen. Mein Vorbereitungstraining ist etwas bescheidener ausgefallen.

Dann taucht Heidi urplötzlich vor mir auf, wie sie mir ein letztes Mal aus dem Fenster zuwinkt, als ich ins Taxi einsteige, um davonzufahren. Ihre Tränen sehe ich nicht, das sagt sie mir erst am Ankunftstag. Ihr habe ich sehr viel zu verdanken, in dem sie mich immer gestärkt und mir zugeredet hat. Ich bin innerlich sehr aufgeregt, meine Wehmut lässt meinen tausenden Endorphinen den Vortritt. Sie sind zu mächtig, dass Tränen auf meine Wangen kullern können.

Als ich mit Heidi vor zwei Jahren das erste Mal aus dem mongolischen Westaltai zurückgekommen war, sprach ich von Seelenreinigung. Welche Emotionen wird dieser Trip in mir auslösen?

Werde ich nach der Reise die Welt mit ganz anderen Augen sehen? Ändert sich meine Sicht-und Denkweise? Gelingt mir der Übergang vom Hochhimalaya zum Berliner Stadtleben? Will ich wieder arbeiten? Oder möchte ich alles von mir streifen?

Während im Hintergrund die Flugzeugmotoren dröhnen, rattert es in meinem Gehirn. Reinhold Messner ist längst verschwunden, ich genehmige mir ein zweites Bier und falle dann in einen leichten Schlaf …

…unglaubliches Panorama vor mir, hinter mir der Khumbu Eisfall, meine Füße tragen mich durch das Tal des Schweigens, eine trügerische Stille umgibt mich, ich stapfe weiter, bin schon am Südsattel, der Gipfel scheint nah zu sein, es stürmt, ich sehe nichts, mir ist kalt, werde ich erfrieren? Was hat mein Guide mir nur angetan? Ziel ist doch das Basecamp und nun stehe ich auf dem Gipfel und der ganze Himalaya unter mir, das Wetter klärt sich auf, die Sonne strahlt, es ist windstill, am Ziel der Träume, voller Glück …

Werde ich zurückkommen? George Mallory kann mir nicht helfen, der liegt Jahrzehnte im Eis, bis sein gefrorener Leichnam gefunden wird.

Kathmandu begrüßt mich auf seine typische Weise. Hektisch, laut, stickig. Hunderte von Touristen wuseln vor dem Flughafen herum und suchen ihre Fahrer, die mit hochgehobenen Schildern nach ihren Kunden Ausschau halten und diese irgendwann auch finden. Alle haben das gleiche Ziel, in den Hochhimalaya zu gelangen, um in einer Kehrtwende die Abgeschiedenheit der Natur in sich aufzusaugen, bzw. sein sportliches Ziel zu erreichen, welches unterschiedlich ausfallen kann. Für die einen ist es der Weg, für die anderen ein bemerkenswerter Aussichtspunkt oder Gipfel. Es ist Anfang März und wir befinden uns in der Vorsaison. Während ich meinen Fahrer suche, frage ich mich nur, was in der Hauptsaison hier los sein wird.

Irgendwann findet mich mein nepalesischer Driver. Schnell lädt er mein Gepäck ein, um dann mit seinem Jeep in den Großstadtdschungel einzutauchen. Lärmendes Gehupe begleitet uns durch die Stadt, während die Autos und Mopeds kreuz und quer über den Asphalt rollen. Die Straßenverkehrsordnung ist gänzlich aufgehoben. Aber irgendwie funktioniert alles. Selbst Radfahrer und Rikschafahrer finden in dem Chaos ihre Berechtigung. Es geht durch mit Gebetsfahnen behangenen engen Gassen, in denen aus westeuropäischer Sicht kein Straßenverkehr möglich ist. Irgendwann erreichen wir Sonams Büro. Die Begrüßung ist herzlich, letzte Dinge werden besprochen, danach werde ich in mein Hotel gebracht, welches sich im Touristenviertel Thamel befindet. Hier pulsiert das Leben, hier fühlen sich die Touristen wohl. Aus den Bars schallt laute Musik, in den Restaurants werden nepalesische und internationale Spezialitäten angeboten. Auf kleinen Märkten und in unzähligen kleinen Läden werden Kunsthandwerk, Schmuck und Trekkingausrüstung angeboten. Obst- und Gemüsehändler versuchen, ihre Waren auf der Straße an den Mann zu bringen. Überall riecht es nach Kräutern, Gewürzen und Räucherstäbchen. Es ist eine eigenwillige, fantastische Atmosphäre, die in Worten nicht zu beschreiben ist. Thamel besteht eigentlich nur aus zehn bis fünfzehn Straßen. Man kann sich leicht verlaufen, da auf den ersten Blick jede Straße gleich aussieht, was natürlich nicht stimmt. Ich fühle mich wie in einem Labyrinth, aus dem man nicht mehr herauskommt. Anfangs ist es ratsam, sich in der Nähe seines Hotels aufzuhalten, um sich einen ortskundigen Raum über drei bis vier Straßen zu schaffen.

An meinem Ankunftstag genieße ich am Nachmittag die ersten Stunden in Nepal, gerade hier in Thamel. Ich sauge die spezielle Luft in mir auf und spüre den Hochhimalaya in mir. An den vielen Klamottenläden flattern mir die Mount Everest Base Camp-T-Shirts ins Gesicht. Die Skizze des Berges in einem Kreis, darunter vier Zahlen, ein kleiner Buchstabe. 5365 m. Es verkauft sich wie verrückt. Nach getaner Arbeit werde ich mir dieses Erinnerungsstück kaufen. Ich habe den Eindruck, dass ich an jeder Straßenecke die kalten Schneeberge rieche. Ich sehe die Gletscher, die Moränen, die raue Steinnatur, die mich umgibt und ahne, wie kalt es sein kann. Begleitet von dem Guide, den ich übermorgen in Phaphlu treffen und kennenlernen werde, alleine in der gewaltigen Berglandschaft des Himalayas, umgeben von den Sieben und Achttausendern, nach denen ich mich so gesehnt habe und die ich einmal in meinem Leben in natura sehen kann. Gänsehautgefühle tragen mich durch die Straßen, als ich an einen kleinen Laden komme, der SIM-Karten nepalesischer Telefonanbieter verkauft, unerlässlich für einen guten Kontakt zu Heidi, um die Heimwehgefühle auf ein Minimum zu reduzieren. Es entwickelt sich ein Verkaufsgespräch in englischer Sprache. Ich erhalte die richtige Karte und versuche mithilfe des Verkäufers sie zu aktivieren. Da ich zwei Verträge habe, verwechsele ich leider die Pin. Zwei Versuche sind bereits fehlgeschlagen. Ich schaue den Mann hilflos an, er lächelt und meint, ich soll die zweite Nummer mal versuchen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass diese aber falsch ist. Wohl wissend, dass ich nur drei Versuche habe, bitte ich ihn, darum zu beten. Please Pray.

Da die erste Nummer nicht passt, dürfte die zweite richtig sein. Er lächelt ein weiteres Mal, nickt mit seinem Kopf, damit ich endlich die Nummer eingebe. Ich schmunzele leicht verzweifelt, atme tief durch, er betet zu Buddha und ich zum lieben Gott. Dann tippe ich ein. Die Spannung steigt. Wir lachen beide und es funktioniert. Erleichtert schicke ich meine erste Nachricht an Heidi. Ich habe bis heute nicht begriffen, warum es geklappt hat, die Geister des Himalayas waren sicherlich bei mir.

Am Abend gehe ich in einem nahegelegenen Restaurant essen, bin von Livemusik angelockt worden. Es ist eine ruhige, herrliche Atmosphäre. In diesem Moment bin ich sehr glücklich und erfüllt, voller Erwartungen der nächsten Wochen. Hier treffe ich einen verrückten Holländer, der mit dem Motorrad durch Nepal gefahren ist. Morgen fliegt er nach Hause. Der eine geht, der andere kommt. Wir tauschen in einem interessanten Gespräch unsere Erfahrungen aus. Freundlich verabschieden wir uns und wünschen einander viel Glück. Ich bin jetzt schon sehr froh, dass ich den Schritt trotz aller Zweifel gewagt habe und hier in Kathmandu bin, um meinen Trip beginnen zu können. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl zu wissen, dass mein Traum anfängt, in Erfüllung zu gehen.

Nachdem ich einen Tag noch in Kathmandu verbringe, werde ich am Sonntagmorgen von einem jungen Nepalesen abgeholt. Er wird mich nach Phaplu auf 2400 m Höhe fahren, der Ausgangspunkt meines Treks. Bei Sonnenschein und einer Temperatur von 25 Grad verlassen wir die Einemillionenstadt auf 1400 m in östlicher Richtung. Für den beschwerlichen Weg über 270 km wird der ganze Tag in Anspruch genommen. Zuerst geht es über Teerstraßen, die sich durch die Landschaft schlängeln. Bald haben wir den Großstadtdschungel von Kathmandu hinter uns gelassen und tauchen in die idyllische, grüne Bergwelt Nepals ein. Das Straßenbild ist nun ein anderes geworden. Durch einzelne Dörfer geht es kurvenreich stetig höher. Teerstraßen wechseln sich mit Schlaglöchern behafteten sandigen Wegen ab. Es wird noch eine ganze Zeit dauern, bis der Weg durchgehend geteert ist. Wir halten in einem kleinen Dorf, um Wasser zu kaufen. Die Läden befinden sich immer direkt an der Straße. Während ich auf meinen Fahrer warte, stehe ich am Straßenrand und versuche frische Bergluft einzuatmen. Dabei habe ich die Gelegenheit, mir ein Bild zu machen.

Fröhliche Kinder spielen mit Hunden am Straßenrand. Vereinzelt fahren Mopeds und Autos an mir vorbei. Die Dorfstraßen sind meistens geteert. Menschen sitzen auf Plastikstühlen vor den Häusern und schauen auf die Straße, unterhalten sich und trinken Milchtee. Ihre Häuser bestehen aus Lehm, Stein oder Holz. Meistens sind sie ein- oder zweistöckig und besitzen zur Straßenseite eine Veranda. Einzelne Wellblechbaracken säumen die Straße, in denen Hausrat und Geräte verstaut sind.

Gebetsfahnen hängen über der Straße und wehen im Wind, meistens in kleiner, rechteckiger Form. Die Fahnen sind mit Gebeten, Mantras und Symbolen bedruckt, die nach dem Glauben der Menschen gen Himmel getragen werden. Es sind immer fünf Fahnen zusammengebunden, in den Farben Blau, Weiß, Rot, Grün und Gelb. Die Zahl fünf spielt im Buddhismus eine sehr große Rolle. Dadurch werden die vier Himmelsrichtungen sowie das Zentrum verkörpert. Die Farben beschreiben die Elemente Himmel, Wolken, Feuer, Wasser und das Erdelement.

Diese wunderbaren Fahnen, die das Lebensgefühl des gesamten Himalayas widerspiegeln, sind ebenso an jedem Bergpass und an jedem Gipfel zu finden, da sie dort dem Himmel so nah sind und ihre spirituelle Arbeit bis zur vollständigen Verwitterung verrichten. Wie lange werden sie dem Klima standhalten können? Die Zeit ist unwichtig, nur ihre Bedeutung ist entscheidend. Ich bin sehr gespannt, wo ich meine aus Berlin mitgebrachten Miniaturgebetsfahnen aufhängen werde. Der Verlauf der Reise wird mir die Antwort geben. Ich spüre, dass es ein spiritueller Ort sein wird, umgeben von Melancholie, Traurigkeit und Demut.

Am frühen Nachmittag kehren wir irgendwo in einem kleinen Restaurant ein. Es ist ein kleines Steinhaus mit grünen Wellblechplatten und überdachten Vorbau, der bei schönem Wetter an zwei Seiten geöffnet ist. Hier werden die Mahlzeiten zubereitet und Getränke, Süßigkeiten sowie einige Lebensmittel für unterwegs verkauft. Die Einrichtung ist einfach. Auf dem Holzboden stehen einige Holztische und Kunststoffstühle, an denen gegessen wird.

Ich entscheide mich für das Nationalgericht, Dal Bhat. Es besteht aus Linsensuppe und Reis, sowie Gemüse der Saison. Dazu gibt es frischen Pfefferminztee, der in Nepal oft angeboten wird, da die Kräuter meistens im eigenen Garten wachsen. Da es recht warm ist, trinke ich zwischendurch viel Wasser.

Nach einer Stunde geht es weiter. Wir haben noch einige Stunden vor uns. Geplant ist die Ankunft für 18 Uhr. Noch ahnen wir nicht, dass der Trip vier Stunden länger dauern wird.