Die besten Ärzte - Sammelband 80 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 80 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.

Im Sammelband Die besten Ärzte erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband Die besten Ärzte ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 256 Taschenbuchseiten.

Jetzt herunterladen und sofort sparen und lesen.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1844 - Das Schicksal um Gnade bitten

Notärztin Andrea Bergen 1323 - Die Bilder ihres Lebens

Dr. Stefan Frank 2277 - Wir werden deine Mama retten, Sophie!

Der Notarzt 326 - Diagnose: Herzklopfen

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 484

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Katrin Kastell Isabelle Winter Stefan Frank Karin Graf
Die besten Ärzte - Sammelband 80

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2015/2017/2018 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2025 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Prostock-studio / Shutterstock

ISBN: 978-3-7517-8615-7

https://www.bastei.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Die besten Ärzte - Sammelband 80

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Chefarzt Dr. Holl 1845

Du zahlst für jede Stunde Glück

Die Notärztin 1324

Keine leichte Zeit

Dr. Stefan Frank 2278

Das soll erst der Anfang sein …

Der Notarzt 327

Eins ist nicht von dir

Guide

Start Reading

Contents

Du zahlst für jede Stunde Glück

Roman um eine ungeheuerliche Entdeckung

Von Katrin Kastell

Dr. Angelika Rohnstedt ist neu an der Berling-Klinik, und schon nach wenigen Tagen sind sowohl die Kollegen als auch die Patienten begeistert von der jungen Internistin. Sie ist einfühlsam, klug und in ihrem Beruf hervorragend. Immer findet sie die richtigen Worte, um den Kranken wieder Mut und Hoffnung zu schenken. Und wenn es keine Hoffnung mehr gibt, dann ist sie da, um zu trösten und die Schmerzen zu lindern.

Ja, beruflich hat Angelika alles erreicht, wovon sie je geträumt hat. Doch privat steht sie vor den Scherben ihres Lebens …

Dr. Jochen Hansen und der AIP Holger Strackmeier standen auf dem Korridor der Berling-Klinik beisammen und unterhielten sich über alles Mögliche, als eine sehr attraktive Frau auf sie zukam.

„Entschuldigen Sie, ich habe nur eine Frage.“ Sie sprach weder den jungen Assistenzarzt noch den Arzt im Praktikum direkt an. „Wo finde ich Herrn Dr. Holl?“

Jochen Hansen zeigte sofort ein besonders strahlendes Lächeln, gepaart mit einer gehörigen Portion Charme.

„Orientieren Sie sich nach den Schildern zur Frauenstation und fragen Sie dort noch einmal nach“, erwiderte er. „Der Chefarzt hält sich zurzeit vermutlich in seinem Büro auf – wie jeden Morgen.“

„Danke“, entgegnete die schöne Unbekannte, nickte den beiden zu und verschwand im Aufzug.

„Sagenhaft“, stellte Jochen Hansen begeistert fest. „Diese Frau hat Klasse. Ich möchte zu gern wissen, wer das ist und was sie vom Chef will.“

Holger Strackmeier schob die Hände lässig in die Kitteltaschen.

„Dr. Angelika Rohnstedt, zweiunddreißig, Internistin auf Stellensuche. Sie kommt aus der Klinik Borström, in der sie drei Monate auf Probe gearbeitet hat, und bespricht mit Dr. Holl die nächsten drei Monate, in denen sie probeweise hier bei uns arbeiten wird.“

Jochen Hansen sah seinen jüngeren Kollegen verblüfft an.

„Erfindest du das, um mich auf den Arm zu nehmen, oder stimmt das? Woher willst du das alles wissen?“

Der AIP setzte eine herablassende Miene auf.

„Mein Guter, man braucht im Leben eben etwas mehr Verstand, als so mancher Assistenzarzt besitzt, wenn man weiterkommen will.“ Lachend fügte er in normalem Tonfall hinzu: „Ich habe mit dem Kollegen Wolfram gesprochen, und er hat mir während der Nachtschicht alles erzählt, was er von seiner Frau erfahren hat – die Dr. Holls Sekretärin ist, falls du das auch nicht weißt“, stichelte er.

„Spiel dich bloß nicht so auf, du Anfänger!“, drohte Jochen Hansen freundschaftlich. „Was soll diese doppelte Probezeit? Hat Wolfram dir das auch erzählt?“

„Klar“, bestätigte Holger Strackmeier. „Er hat mir nicht nur eine haargenaue Beschreibung und den Termin der Besprechung geliefert, sondern auch Einzelheiten genannt. Dr. Angelika Rohnstedt hat sich ein Jahr lang an einem Forschungsprojekt der Uni beteiligt und sucht jetzt eine neue Stellung in München. Die Klinik Borström und die Berling-Klinik sind an ihr interessiert, und da unser Chef mit Dr. Borström eng befreundet ist, haben sie sich darauf geeinigt, die Kollegin Rohnstedt probeweise in beiden Kliniken arbeiten zu lassen. Hinterher soll sie sich entscheiden, wo es ihr besser gefällt.“

Jochen Hansen blickte nachdenklich zum Aufzug, in dem die attraktive Kollegin verschwunden war.

„Weißt du vielleicht auch, ob sie verheiratet oder verlobt ist oder einen Freund hat?“

„Private Details kannte Wolfram nicht, aber du wirst das schon herausfinden.“ Holger Strackmeier gähnte hinter vorgehaltener Hand. „So, und jetzt reicht es mir. Ich verschwinde und krieche daheim erst einmal ins Bett.“ Er blinzelte dem befreundeten Kollegen zu. „Du hast deinen Dienst ja gerade erst angetreten. Du kannst dich schon mal auf die Pirsch machen.“

„Ich kann gleich Visite mit dem Chef machen“, erwiderte Hansen. „Da ist von Pirsch keine Rede.“

„Ach was, vielleicht macht Dr. Rohnstedt ja auch mit, um schon einen ersten Eindruck zu bekommen“, scherzte der AIP. „Und wer kann schon deinem umwerfenden Charme widerstehen?“

Hansen murmelte etwas, das man besser gar nicht erst genau verstand, klopfte dem Arzt im Praktikum aber auf die Schulter und wünschte ihm angenehme Ruhe, ehe er sich auf den Weg zur Station machte. Dabei überlegte er schon, wie er es anstellen konnte, unauffällig die nähere Bekanntschaft der neuen Kollegin zu machen. Selten hatte ihm eine Frau auf den ersten Blick so gut gefallen.

Noch ging er davon aus, dass es so laufen würde, wie Holger angekündigt hatte. Eine neue Internistin kam für eine Probezeit an die renommierte private Münchner Berling-Klinik, um den Betrieb kennenzulernen, weiter nichts. Das bedeutete, dass sie mit sämtlichen Mitarbeitern zusammentraf, frischen Wind in die bewährte Mannschaft der Klinik brachte und sich bestimmt über die Aufmerksamkeit eines netten Assistenzarztes freute.

Natürlich dachte Jochen Hansen bei dem netten Assistenzarzt an sich selbst, und er hoffte inständig, dass Dr. Angelika Rohnstedt solo war. Jedenfalls freute er sich auf die nächste Zeit.

***

„Musst du denn wirklich schon gehen?“, fragte Barbara Langwieder. Der klagende Tonfall eines kleinen Mädchens passte absolut nicht zu einer lebenserfahrenen Frau von vierunddreißig Jahren und brachte ihren Mann zum Lachen.

„Du weißt doch, dass es sein muss“, erwiderte Simon und beugte sich noch einmal zu ihr hinunter. „Ich habe den Besichtigungstermin, den ich nicht verschieben kann.“

Barbara kuschelte sich behaglich ins Bett und zog die Decke bis zum Kinn hoch.

„Wieso bist du Immobilienmakler geworden?“, jammerte sie weiter in dem gleichen Ton. „Wieso bleibst du nicht bei mir im Bett?“

„Meinst du denn, das könnte ich, wenn ich einen anderen Beruf hätte?“, fragte Simon lachend und küsste sie auf die Stirn.

„Ja, sicher“, behauptete sie und schlang ihm die Arme um den Nacken. „Wärst du Nachtwächter, würdest du jetzt zu mir ins Bett steigen, anstatt wegzugehen und mich allein zu lassen.“

„Das ist richtig, aber als Nachtwächter wäre ich jetzt zu allem zu müde, außer zum Schlafen“, hielt Simon ihr vor. „Besonders dafür, was dir offenbar vorschwebt.“

Barbara wurde schlagartig ernst und blickte verunsichert zu ihm hoch. „Simon, meinst du denn, es klappt doch noch?“

„Ach, Schatz!“ Seufzend strich er ihr die zerzausten Haare aus der Stirn und lächelte beruhigend. „Wieso denn nicht?“

„Weil wir es schon vier Jahre versuchen und sich noch immer kein Nachwuchs eingestellt hat“, erwiderte sie. „Und wenn ich heute zu meinen Eltern fahre und wir uns erst in einigen Tagen wiedersehen, verpassen wir eine Chance, die wir nutzen könnten.“

Simon Langwieder nahm sich eisern zusammen, damit Barbara nicht merkte, wie sehr sie ihm in diesem Punkt auf die Nerven ging. Der bisher unerfüllte Kinderwunsch war ihr wunder Punkt. Er wollte auch Kinder, aber er sah keinen Sinn darin, sich verrückt zu machen. Dadurch klappte es noch weniger.

„Ich mache dir einen Vorschlag“, sagte er geduldig. „Du besuchst deine Eltern, und wenn du zurückkommst, lassen wir uns in der Berling-Klinik untersuchen.“ Sie hatten zwar zu Beginn der Ehe eine Untersuchung auf Zeugungsfähigkeit beziehungsweise Fruchtbarkeit durchführen lassen, aber Simon dachte, er könnte seine Frau damit ablenken und beruhigen.

„In der Berling-Klinik?“, fragte sie. „Wieso ausgerechnet dort?“

„Weil Dr. Lassow nicht nur mein ausgezeichneter Anwalt ist, sondern auch der Schwager des Chefarztes der Berling-Klinik, und von Dr. Lassow weiß ich, dass Dr. Holl wiederum ein ausgezeichneter Gynäkologe ist. Außerdem hat die Berling-Klinik einen sehr guten Ruf. Überlege es dir wenigstens!“

„Ja, das mache ich“, versprach Barbara und streckte und räkelte sich. „Und jetzt musst du los, sonst kommst du zu dem Besichtigungstermin zu spät, und das würde keinen guten Eindruck machen.“

„Ich liebe dich“, versicherte Simon aufrichtig, küsste Barbara noch einmal und stand auf.

„Ich liebe dich auch“, rief sie ihm nach, als er das eheliche Schlafzimmer verließ.

Von da an ging es für Simon Langwieder an diesem Tag bergab. Zuerst verspäteten sich die möglichen Käufer einer Villa in München Grünwald. Dann trafen sie höchst übel gelaunt ein, sodass die Besichtigung eine reine Katastrophe wurde.

Das ältere Ehepaar stritt ständig, und die etwa zwanzigjährige Tochter hatte noch etwas vor. Sie hatte eine Freundin bei sich, eine hübsche Mittzwanzigerin, die sich sichtlich weit weg wünschte, genau wie Simon. Ein paar Mal trafen ihre Blicke zusammen, und als die Eltern sich wieder in die Haare bekamen und die Tochter den Streit sogar anheizte, lächelten Simon und diese unbekannte Freundin der Tochter einander verschwörerisch zu.

Natürlich wurde die Villa nicht gekauft, und Simon war trotz des entgangenen Geschäfts heilfroh, wieder allein zu sein. Er hatte noch genug anderes zu tun und brauchte seine Zeit nicht mit dermaßen unangenehmen Leuten zu verschwenden.

Schon eine Stunde später dachte er weder an den geplatzten Verkauf noch an die daran beteiligten Personen, sondern steckte in seinem Büro bis über beide Ohren in Arbeit.

***

„Herr Dr. Borström, das ist eine Überraschung.“ Dr. Angelika Rohnstedt blieb erstaunt stehen, als sie vor dem Büro des Chefarztes mit Henrik Borström zusammentraf. „Einen Moment dachte ich schon, ich wäre in die falsche Klinik gefahren.“

„Wir sind in der Berling-Klinik, Frau Rohnstedt.“ Henrik Borström reichte ihr lächelnd die Hand. „Ich besuche ebenfalls Dr. Holl, und ich freue mich, dass ich Sie bei der Gelegenheit wiedersehe.“

„Und Sie sind bestimmt mit dieser Regelung der doppelten Probezeit einverstanden?“, vergewisserte sich Angelika. „Ich meine, das ist doch ziemlich ungewöhnlich. Normalerweise tritt man eine neue Stelle an und wird vom Arbeitgeber beobachtet, während man sich selbst ein Bild von der Arbeitsstelle macht. Man geht aber nicht nach drei Monaten zu einem anderen Arbeitgeber, um dort das Gleiche zu tun.“

„Ich bitte Sie“, wehrte Henrik Borström ab. „Das haben wir schon längst besprochen. Ich konnte in meiner Klinik für etliche Wochen eine zusätzliche tüchtige Ärztin brauchen, und das gilt auch jetzt für die Berling-Klinik. Ich denke, derjenige von uns beiden Klinikleitern, bei dem Sie letztlich unterschreiben, wird sehr zufrieden sein, und alle hatten einen Nutzen. Bitte sehr!“

Er hielt Dr. Angelika Rohnstedt die Tür zum Vorraum auf und ließ sie eintreten. Moni Wolfram, Dr. Holls Sekretärin, stand hinter dem Schreibtisch auf und grüßte, brauchte jedoch niemanden anzumelden, da Dr. Holl schon aus seinem Büro kam.

„Frau Dr. Rohnstedt, ich freue mich. Hallo, Henrik!“ Er gab beiden die Hand und führte sie zur bequemen Sitzgruppe in seinem Büro. „Daniel kommt euch gleich. Dr. Falk, mein Stellvertreter und Chefchirurg“, fügte er für Dr. Rohnstedt hinzu, weil sie Daniel Falk beim ersten Gespräch vor einigen Wochen nicht kennengelernt hatte.

„Herr Dr. Borström hat mich soeben beruhigt, dass er tatsächlich mit dieser ungewöhnlichen doppelten Probezeit einverstanden ist“, bemerkte Angelika Rohnstedt.

„Und ich bin es auch, um Ihrer zu erwartenden Frage zuvorzukommen“, sagte Dr. Falk. „Ich nehme an, Sie möchten Kaffee? Henrik, dich frage ich erst gar nicht.“

„Wenn Frau Wolfram ihn gekocht hat, sage ich nie Nein“, erwiderte Henrik Borström.

„Ich lasse doch nicht zu, dass mein Chef den Kaffee aus dem Automaten trinkt.“ Moni Wolfram brachte ein großes Tablett herein. „Der ist so schlimm, dass er vermutlich nicht im Labor untersucht werden dürfte. Darum habe ich mich freiwillig für diese Aufgabe angeboten.“

Dr. Daniel Falk, Freund und Stellvertreter von Dr. Holl, erschien ebenfalls, begrüßte alle und bediente sich mit Kaffee, und das Gespräch drehte sich eine Weile um die Erfahrungen, die Angelika Rohnstedt in den drei Monaten in der Klinik Borström gesammelt hatte. Alles, was die Berling-Klinik betraf, war schon bei dem zurückliegenden Vorstellungsgespräch erwähnt worden.

„Sie werden bei uns mehr als bei meinem Freund Henrik auf verschiedenen Stationen eingesetzt“, fügte Dr. Holl nur hinzu. „Als kleines Haus haben wir nicht so viele Mitarbeiter, dass wir bei Ausfall eines Arztes immer einen Kollegen aus derselben Fachrichtung als Ersatz haben.“

„Das ist bei mir ähnlich“, meinte Henrik Borström beruhigend. „Ich leite schließlich auch kein Großklinikum.“

„Mir macht das gar nichts aus“, bestätigte Dr. Rohnstedt. „Dienst auf verschiedenen Stationen bis hin zur Notaufnahme musste ich auch in den ersten Jahren an öffentlichen Krankenhäusern machen. Ich halte es sogar für gut, wenn man sich nicht nur auf sein Fachgebiet beschränkt, weil man sonst leicht zu einseitig wird und dann manchmal etwas übersieht.“

„Ganz meine Meinung“, bestätigte Dr. Holl. „Jeder von uns versucht daher auch ständig, sich auf allen Gebieten auf dem Laufenden zu halten.“

„Sofern das bei der Fülle neuer Erkenntnisse und Behandlungsmethoden überhaupt möglich ist“, warf Daniel Falk ein.

„Sie werden sich jedenfalls bestimmt wohlfühlen“, versicherte Henrik Borström seiner bisherigen Mitarbeiterin. „In der Berling-Klinik herrscht ein genauso angenehmes Betriebsklima wie in meiner Klinik, und das ist äußerst wichtig.“

„O ja, und wie!“ Angelika Rohnstedt seufzte. „Ich habe an anderen Häusern erlebt, was Eifersüchteleien und Ränkespiele anrichten. Es war manchmal nicht auszuhalten.“

Nachdem das Antrittsgespräch beendet war, ließ Dr. Holl die dienstälteste Schwester der Berling-Klinik zu sich rufen und machte sie mit Dr. Rohnstedt bekannt.

„Schwester Annegret zeigt Ihnen die Räume auf der Inneren“, sagte er noch zu seiner neuen Mitarbeiterin. „Wir sehen uns später.“

Schwester Annegret, die gute Seele der Berling-Klinik, begleitete Dr. Rohnstedt hinaus, und Dr. Holl wandte sich an seinen Stellvertreter. Daniel Falk versicherte jedoch, dass es an diesem Morgen keine dringenden Probleme gab, die sie unbedingt besprechen mussten.

„Wir können uns gleich voll und ganz Henrik widmen“, fügte der Chirurg hinzu.

„Womit wir beim eigentlichen Grund für meinen Besuch sind“, sagte Henrik. „Bleibt es dabei, dass Dr. Wieland heute Morgen herkommt?“

„Er hat nicht abgesagt“, bestätigte Stefan Holl.

„Ich bin schon sehr auf ihn gespannt“, meinte Daniel Falk. „Immerhin ist seine Privatklinik bei Hamburg ein voller Erfolg. Von solchen Leuten kann man lernen.“

„Das denke ich auch“, bestätigte Stefan, „obwohl Dr. Wieland sich eigentlich bei uns umsehen will.“ Er sah dabei Henrik an. „Bei dir und mir.“

„Er kommt zum Erfahrungsaustausch nach München“, erwiderte Henrik. „Und Austausch bedeutet nichts anderes als Geben und Nehmen. Nicht umsonst bin ich hier und warte nicht erst, bis Wieland sich bei mir meldet.“

Stefan Holl klopfte seinem Freund auf die Schulter. „Du bist hier, weil du fürchtest, ich könnte noch vor dir von Wieland etwas Neues lernen und meine Klinik so verbessern, dass wir dir noch mehr überlegen sind.“

„Hört euch den Prahler an!“, murmelte Henrik amüsiert.

Moni Wolfram klopfte und öffnete die Tür. „Herr Dr. Wieland“, meldete sie an und ließ einen ungefähr vierzigjährigen Mann eintreten.

Dr. Alexander Wieland war nur wenige Jahre jünger als die in dem Büro anwesenden Ärzte. Im Gegensatz zu ihnen trug er allerdings keinen weißen Kittel, sondern einen Anzug, dem auch der Unerfahrene auf den ersten Blick ansah, dass er keine Konfektionsware war.

Überhaupt bot Dr. Alexander Wieland einen höchst eleganten und dennoch dezenten Anblick. Für die Frisur war sicher ein Starcoiffeur zuständig, das Aftershave duftete dezent, die goldene Uhr und der Siegelring sowie die Manschettenknöpfe zeugten von Geld, ohne zu auffällig zu wirken.

„Ich freue mich sehr über das Zusammentreffen mit Ihnen“, sagte Dr. Wieland zur Begrüßung. „Ich bin sicher, dass meine Rundreise zu den besten Privatkliniken des Landes etwas bringt.“

„Bestimmt gegenseitig“, erwiderte Stefan Holl. „Ohne neugierig zu sein, habe ich doch erfahren, dass Sie eine finanziell höchst erfolgreiche Klinik betreiben.“

„Und Geld ist im Gesundheitswesen immer ein Schwachpunkt“, fügte Henrik Borström hinzu.

„Wovon wir ein Lied singen können“, bestätigte Daniel Falk.

„Der Erfolg ist allerdings nicht unbedingt mein Verdienst“, wehrte Dr. Wieland bescheiden ab und nahm dankend eine Tasse Kaffee an. „Ich hatte das Glück, dass kurz nach der Eröffnung meiner Klinik einige sehr reiche und einflussreiche Leute aus dem Großraum Hamburg zu mir kamen und zufrieden waren. Da sich in diesen Gesellschaftsschichten alle untereinander kennen, wurde mein Haus weiterempfohlen.“

„Mundpropaganda funktioniert immer noch am besten“, bemerkte Daniel Falk.

Alexander Wieland nickte zustimmend. „Was aber nicht heißt, dass man sich auf seinen Lorbeeren ausruhen darf, sonst verliert man die gutbetuchten Patienten sehr schnell wieder.“

„Auch das ist uns bekannt“, sagte Stefan Holl. „Nun behandeln wir hier und auch in der Klinik Borström in erster Linie ganz normale Patienten, die zum überwiegenden Teil bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sind. Vielleicht bekommen wir von Ihnen einige Tipps, wie man reiche Privatpatienten ins Haus holt und Ihnen den Krankenhausaufenthalt so angenehm wie möglich gestaltet.“

„Ich stehe Ihnen zur Verfügung“, versicherte Dr. Alexander Wieland. „Dafür rechne ich Ihrerseits mit Informationen auf medizinischem Gebiet. Seit der Gründung der Berling-Klinik durch Prof. Berling haben Sie in dieser Hinsicht einen hervorragenden Ruf.“

„Kann ich nur bestätigen“, warf Henrik Borström ein. „Schließlich war ich Dr. Holls engster Mitarbeiter, bevor ich meine eigene Klinik eröffnete.“

„Das wusste ich gar nicht“, sagte Dr. Wieland, und schon hatten die vier Ärzte den Beginn für ein langes und interessantes Gespräch gefunden.

***

„Wieso bist du denn noch nicht fertig?“ Irmgard Schlegel bemühte sich, die Ungeduld aus ihrer Stimme fernzuhalten, was ihr jedoch nicht ganz gelang.

Tommy trödelte wieder einmal, und sie musste ihn zur Schule bringen. Danach wurde sie an ihrem Arbeitsplatz erwartet. Bei aller Rücksichtnahme ihres Chefs konnte sie nicht ständig zu spät kommen. Das Gleiche galt für den Siebenjährigen in der Schule. Letztlich fiel es auf sie als Mutter zurück, wenn etwas nicht klappte.

„Ich komme ja schon“, murmelte Tommy lustlos.

Irmgard Schlegel hatte im Moment keine Möglichkeit, mit ihm ein eingehendes Gespräch zu führen. Mehr und mehr zeigte sich, dass er mit dem Leben, das sie führten, nicht zufrieden war. Irmgard hatte gehofft, ihm den fehlenden Vater ersetzen zu können, doch das klappte nicht.

„So, wir gehen.“ Sie scheuchte ihren Sohn aus der Wohnung, schloss ab und eilte mit ihm auf die Straße zu ihrem Wagen. Wenigstens hatte sie gestern Abend einen Parkplatz in der Nähe des Hauses gefunden und musste nicht wieder wer weiß wie weit gehen.

Während der Fahrt zur Schule schwieg Tommy, und Irmgard verzichtete auch auf eine Unterhaltung. Die Zeit reichte nicht für ein klärendes Gespräch, und sie konzentrierte sich lieber auf den Straßenverkehr, damit es nicht womöglich noch zu einem Unfall kam. Als alleinerziehende Mutter musste sie nicht nur mit der Zeit, sondern auch mit dem Geld sorgfältig umgehen, sonst brach alles zusammen.

So hatte sie sich das Leben nicht vorgestellt. Nicht, dass sie sich beklagte oder ihren Sohn deshalb schlechter behandelte. Sie bereute auch die damalige Entscheidung für das Kind nicht. Die Belastung war nur einfach zu groß. Das gestand sie sich offen ein. Ein Gegenmittel kannte sie jedoch leider nicht.

Endlich hatte sie Tommy vor der Schule abgesetzt. Mittags wollte sie ihn wieder abholen. Die Halbtagsarbeit brachte zwar nicht genug Geld ein, aber Irmgard konnte sich wenigstens um ihren Sohn kümmern. Ein Betreuungsplatz am Nachmittag in der Schule wäre gut gewesen, vielleicht auch die Unterbringung bei der Familie eines Schulkameraden, aber bisher hatte sich in dieser Richtung nichts ergeben.

Irgendetwas musste sich bald ändern, doch Irmgard wusste nicht, was es war. Sie sah seufzend ihrem Jungen nach, als er mit hängenden Schultern zum Tor der Schule ging, bis hinter ihr ein ungeduldiger Autofahrer hupte.

„Ist ja schon gut“, murmelte sie und fuhr weiter. „Du solltest meine Probleme haben. Dann hättest du es wahrscheinlich nicht so eilig.“ Oder vielleicht gerade dann, fügte sie in Gedanken hinzu. Schließlich fühlte sie sich auch ständig abgehetzt.

Im Büro des Steuerberaters angekommen, setzte sie sich an ihren Schreibtisch und stellte erleichtert fest, dass sie sich heute um nur fünf Minuten verspätet hatte. Da sagte ihr Chef bestimmt nichts. Aber schön wäre es doch gewesen, einen Mann zu haben, mit dem sie sich die Aufgaben teilen konnte. Mal brachte er Tommy zur Schule, mal sie. Doppeltes Einkommen wäre auch nicht schlecht gewesen, damit sie nicht zehn Mal überlegen musste, bevor sie etwas kaufte. Und dann …

Das Telefon klingelte, ein Kunde rief an, und die privaten Gedanken gehörten bis zum Arbeitsende zur Mittagszeit der Vergangenheit an.

***

Dr. Holl führte zusammen mit Dr. Jan Jordan die Visite auf der Frauenstation und der Inneren durch, wobei sich auf der Inneren Station Dr. Rohnstedt anschloss.

„Sie kennen die neue Kollegin noch nicht“, sagte er zu Dr. Jordan. „Frau Rohnstedt, das ist Herr Jordan. Dr. Rohnstedt macht drei Monate Probezeit bei uns.“

„Sie sind Internistin?“, erkundigte sich der humorvolle Assistenzarzt, den manche für einen Playboy hielten. Er war als Arzt allerdings sehr zuverlässig.

„Das ist mein Spezialgebiet“, bestätigte Angelika Rohnstedt. „Ich werde jedoch sämtliche Stationen des Hauses kennenlernen.“

„Ja, wie das bei uns so üblich ist“, meinte Dr. Jordan und gab einem jungen Kollegen einen Wink. „Das ist unser AIP, Herr Strackmeier. Angelika Rohnstedt begrüßte auch den angehenden Arzt, der sein Praxisjahr in der Berling-Klinik absolvierte. Er schloss sich ihnen bei dem Rundgang an. Schwester Annegret war ebenfalls dabei.

Eines fiel Angelika Rohnstedt sofort auf: Dr. Holl als Chefarzt der Klinik fegte nicht mit einem riesigen Stab an Ärzten und Schwestern durch die einzelnen Patientenzimmer, wie sie das anderswo schon erlebt hatte, sondern er hatte nur die Leute bei sich, die er brauchte. Und er widmete sich ausführlich jedem einzelnen Patienten und hörte sich auch Fragen und Klagen an.

Heute beschränkte sich Angelika Rohnstedts Rolle auf die der Zuhörerin und Beobachterin. Es war für sie noch zu früh, um selbstständig tätig zu werden.

Am Ende der Visite trennte sie sich von Dr. Holl und seinen Begleitern und ging zum Dienstzimmer des Arztes.

Ein Stück vor ihr bogen zwei Männer um eine Ecke des Korridors und blieben vor den Aufzügen stehen. Dr. Daniel Falk sprach mit einem Mann in einem sehr eleganten dunklen Anzug. Überhaupt wirkte der Fremde attraktiv und gepflegt, und als er zufällig in Angelikas Richtung blickte, fühlte sie sich sofort von ihm angezogen.

Sie zögerte, ehe sie das Dienstzimmer betrat und hinter sich die Tür wieder schloss. Es entsprach gar nicht ihrer Art, Männer auf den ersten Blick interessant zu finden. Die bisherigen Beziehungen in ihrem Leben war sie nur nach einer langen Phase des Kennenlernens eingegangen. Beinahe ärgerte es sie, dass dieser Fremde auf sie eine so starke Wirkung hatte.

Es klopfte, und auf ihren Zuruf trat genau der Mann ein, an den sie soeben gedacht hatte.

„Entschuldigen Sie die Störung“, sagte er lächelnd und blieb an der Tür stehen. „Dr. Alexander Wieland. Ich bin in der Berling-Klinik zu Besuch und tausche mit den hiesigen Ärzten Erfahrungen aus. Ich führe ebenfalls eine Privatklinik“, erklärte er.

„Dr. Rohnstedt. Was kann ich für Sie tun?“ Bei jedem anderen hätte Angelika freundlich gelächelt, doch weil sie an diesem Mann auch den Klang der Stimme hinreißend fand, gab sie sich betont kühl.

„Als ich Sie ins Dienstzimmer gehen sah, dachte ich, es könnte nicht schaden, mit den Mitarbeitern der Inneren Station zu sprechen“, fuhr Dr. Wieland fort. „In der Alltagsarbeit tauchen manchmal Probleme auf, für die natürlich am ehesten diejenigen eine Lösung kennen, die damit zu tun haben. Als Klinikleiter schwebt man sozusagen über den Dingen.“

„Ich muss Sie enttäuschen.“ Angelika schätzte Dr. Wieland auf ungefähr zehn Jahre älter, als sie selbst es war. „Ich bin heute den ersten Tag in der Berling-Klinik. Daher kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Ich komme direkt von der Klinik Borström.“

„Dort werde ich mich auch in der nächsten Zeit umsehen“, meinte Dr. Wieland erfreut. „Dr. Borström ist genau wie Dr. Holl an einem Erfahrungsaustausch interessiert.“

„Ich war aber auch an der Klinik Borström nur kurze Zeit beschäftigt“, wehrte Angelika ab. „Also kann ich Ihnen in diesem Punkt ebenfalls nicht weiterhelfen.“

„Schade“, meinte Alexander Wieland lächelnd. „Ich hätte mich sehr gern mit Ihnen unterhalten.“

Täuschte sie sich, oder flirtete er mit ihr? Deutete er verhalten an, dass er sich für sie interessierte?

„Ich habe zu tun, Herr Dr. Wieland“, sagte sie noch eine Spur kühler. „Schließlich möchte ich nicht schon an meinem ersten Arbeitstag durch Nichtstun auffallen.“

„Nein, selbstverständlich nicht“, entgegnete er. „Obwohl Dr. Holl bestimmt Verständnis aufbringen würde. Entschuldigen Sie die Störung! Guten Tag, Frau Dr. Rohnstedt.“

Angelika blickte auf die Tür, die sich hinter dem Besucher schloss, und wusste nicht, ob sie erleichtert sein oder sich über sich selbst ärgern sollte. Was hätte es geschadet, sich eingehender mit diesem Mann zu unterhalten, der sie interessierte? Der Leiter der Berling-Klinik hätte es ihr sicher nicht verübelt. Und da sie schon seit einiger Zeit allein und ungebunden war, wäre vielleicht etwas dabei herausgekommen. Etwas Erfreuliches, das ihrem Privatleben Licht und Wärme verschaffte. Mit ihrem Berufsleben war sie zufrieden, und die Wahl zwischen der Berling-Klinik und der Klinik Borström bot ihr glänzende Aussichten. Trotzdem fühlte sie sich ziemlich einsam.

Angelika Rohnstedt saß am Schreibtisch und arbeitete Krankenberichte durch, als sich die Tür erneut öffnete und Holger Strackmeier hereinkam. Der AIP nickte ihr nur stumm zu, um sie nicht zu stören, und ging an einen Aktenschrank, um etwas zu suchen.

„Sagen Sie, Herr Strackmeier“, fragte Angelika scheinbar ganz nebenbei, „wissen Sie etwas über Dr. Wieland? Ich meine, wo wohnt er in München? Bleibt er länger? Ist seine Frau mitgekommen?“

Holger Strackmeier, der ein sehr aufgeschlossener und redefreudiger Typ war, wandte sich ihr sofort lächelnd zu.

„Da fragen Sie genau den Richtigen“, erwiderte er. „Ich hatte Nachtschicht zusammen mit Dr. Wolfram, und seine Frau ist die Sekretärin vom Chef und weiß immer über alles Bescheid.“

„Wie schön!“, bemerkte Angelika trocken.

Holger nickte und setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. „Dr. Wieland führt eine große Privatklinik bei Hamburg und bleibt einige Wochen in München. Dafür hat er sich in einer Pension im Stadtzentrum eingemietet. Er hat dort ein richtiges kleines Appartement. Und er ist solo. Das sagte zumindest Frau Wolfram.“

„Und die muss es ja wissen“, warf Angelika erneut humorvoll ein.

Holger Strackmeier lachte. „Ich glaube, Frau Wolfram weiß alles, wie das eben so mit Sekretärinnen ist. Ohne sie läuft kein Betrieb, sie besitzen meistens mehr Macht als der Chef, und sie wissen auch mehr als er. Warum fragen Sie?“

„Ach, Dr. Wieland war vor einiger Zeit bei mir und wollte Auskünfte über die Innere, die ich ihm als Neuling nicht geben konnte“, antwortete Angelika ausweichend.

Holger Strackmeier griff nach den Unterlagen, die er dem Aktenschrank entnommen hatte, und stand auf. „Ich muss weiter. Dr. Holl wartet darauf.“

Angelika Rohnstedt war erleichtert, dass der AIP nicht genauer nach den Gründen fragte, aus denen sie sich nach dem Besucher von auswärts erkundigt hatte. Es wäre ihr unangenehm gewesen und hätte sicher auch nicht gut gewirkt, wäre der Eindruck entstanden, dass sie auf den erstbesten Mann ansprach, der ihr in der Berling-Klinik über den Weg lief.

Sie widmete sich wieder ganz der Arbeit und versuchte, Dr. Wieland zu vergessen.

***

Es kam häufig vor, dass Julia Holl und Trixi Lassow einander tagsüber Besuche abstatteten. Ihre Häuser standen im selben Villenviertel am Stadtrand von München, sodass Stefan Holls Frau und seine Schwester bequem zu Fuß gehen konnten. Auch das Haus von Julias Vater und dessen Frau Nessy befand sich sozusagen in Reichweite.

„Was ist denn?“, fragte Julia, als sie ihrer Schwägerin an diesem Nachmittag Kaffee einschenkte.

„Was soll sein?“ Trixi blickte von ihrer Tasse hoch.

„Du bist heute nicht wie sonst“, stellte Julia fest. „Du redest wenig und wirkst bedrückt. Gibt es Probleme?“

„Nein“, wehrte Trixi halbherzig ab.

„Na, komm schon, heraus mit der Sprache!“, drängte Julia. „Wir reden immer über alles.“

„Das ist schon richtig, aber es gibt wirklich keine Probleme“, beteuerte Trixi und rührte in ihrer Tasse. „Ich mache mir nur etwas Sorgen um Axel.“

„Ist dein Mann krank?“, fragte Julia betroffen.

„Nein, sonst hätte ich ja von einem Problem gesprochen“, erwiderte Trixi. „Er arbeitet nur zu viel.“

„Was ist daran neu?“, fragte Julia nüchtern. „Das ist das alte Problem. Deshalb lag ich schon Stefan lange Zeit in den Ohren, bis er etwas zurückgesteckt hat. Ich wollte schließlich nicht, dass er wie mein Vater wegen eines Herzinfarkts die Leitung der Klinik abgeben muss.“

„So ähnlich ist es mit Axel“, berichtete Trixi. „Ich verstehe ja, dass er als Chef der Anwaltskanzlei den Großteil der Verantwortung trägt und sich mehr oder weniger um alles kümmert. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass er auch alles selbst machen muss. Was bringt es denn, wenn er jeden Tag Überstunden im Büro leistet und daheim fast schon zu müde zum Essen ist?“

„Hast du mit ihm darüber gesprochen?“, erkundigte sich Julia.

„Was denkst du denn?“ Trixi schüttelte den Kopf. „Ich habe noch nie aus meinem Herzen eine Mördergrube gemacht. Spreche ich ihn darauf an, behauptet Axel, dass es nur vorübergehend ist und er bald wieder weniger arbeiten wird. Aber im Moment ist gerade so viel zu tun. Du kennst das.“

„Und ob.“ Julia seufzte noch jetzt bei der Erinnerung an die Kämpfe, die sie mit ihrem Stefan ausgefochten hatte. „Es gibt immer einen ganz besonders wichtigen Fall, um den sich der Chef selbst kümmern muss. Das gilt für die Klinik wie für die Anwaltskanzlei.“

„Wie bringt man einen Ehemann, der sich nicht schont, dazu, auf seine Frau zu hören?“, fragte Trixi ratlos.

Julia zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid, aber dafür habe ich auch kein Patentrezept. Ich weiß nicht, weshalb Stefan letztlich eingelenkt hat. Vielleicht ging ihm mein ständiges Nörgeln auf die Nerven. Vielleicht fühlte er sich eine Zeit lang auch so schlecht, dass er zur Vernunft gekommen ist. Du musst es einfach weiter probieren, wenn du wirklich meinst, dass Axel seine Gesundheit aufs Spiel setzt.“

Trixi sah auf die Uhr. „Eigentlich sollte er bald heimkommen, aber wie ich ihn kenne, warte ich mit dem Essen bestimmt noch zwei oder drei Stunden auf ihn.“

„Stefan ist da zum Glück pünktlicher.“ Julia neigte lauschend den Kopf. „Richtig, das ist schon sein Wagen. Sehr gut.“ Sie stand auf und ging mit ihrer Schwägerin ihrem Mann entgegen.

Stefan freute sich, seine Schwester zu sehen, und umarmte sie, nachdem er Julia mit einem Kuss begrüßt hatte. „Stimmt etwas nicht?“, fragte jedoch auch er sofort.

„Es ist alles in schönster Ordnung, Brüderchen“, wehrte Trixi lachend ab. „Also, ich lasse euch dann allein und gehe nach Hause!“ Sie winkte und entfernte sich.

Stefan sah ihr stirnrunzelnd nach und wandte sich fragend an Julia.

„Sie macht sich Sorgen wegen Axel, weil er zu viel arbeitet“, erklärte Julia. „Könntest du nicht mal mit ihm reden? Auf Trixi scheint er nicht zu hören.“

„Wenn sich die Gelegenheit ergibt, bringe ich das Problem zur Sprache“, versicherte Stefan.

Julia hakte sich bei ihm unter und führte ihn ins Haus. „Eine Frage, bevor die Kinder herunterkommen und ihren Vater mit Beschlag belegen: Woran lag es, dass du auf mein Drängen eingegangen bist, weniger in der Klinik zu tun? Ging es dir schlecht? Hast du meine Nörgelei nicht mehr ertragen, oder lag ein anderer Grund vor?“

Stefan beugte sich zu ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich habe eingesehen, dass ich auf deine liebevolle Fürsorge hören muss.“

„Aha, meine Nörgelei hat dich genervt“, stellte Julia fest. „Dachte ich es mir doch!“

Stefan kam nicht mehr dazu, ihr zu widersprechen, weil die vier Kinder aus ihren Zimmern herunterkamen, ihren Vater begrüßten und sich mit den Eltern an den Esstisch setzten.

Trixi Lassow erreichte unterdessen ihr Haus und fand dort niemanden vor. Ihr Sohn Stefan war mit Freunden von der Uni unterwegs, und ihre Tochter Michi wollte mit einer Freundin lernen und bei ihr essen.

„Wenn es stimmt“, murmelte Trixi und legte die beiden Zettel aus der Hand, die ihre Kinder hinterlassen hatten. Das mit dem Essen glaubte sie ja noch, aber ob das mit dem Lernen auch stimmte, wollte sie dahingestellt sein lassen.

Sie sah in der Küche nach, ob da alles in Ordnung war. Seit geraumer Zeit bereitete sie nichts mehr vor, das zu einem bestimmten Zeitpunkt gegessen werden musste. Auf Axel konnte sie sich nicht mehr verlassen.

Als er schließlich mit fast neunzig Minuten Verspätung heimkam, bemühte er sich zwar, die Erschöpfung zu überspielen, doch seiner Frau, mit der er über zwanzig Jahre verheiratet war, konnte er nichts vormachen.

Trixi rang eine Weile mit sich, ob sie ihn darauf ansprechen sollte. Was er brauchte, war in erster Linie Ruhe und keine Ehefrau, die ihn bedrängte. Andererseits wollte sie sich später keine Vorwürfe machen müssen, falls ihm etwas zustieß.

„Axel, du musst dich mehr schonen, ob es dir gefällt oder nicht“, begann sie.

„Schatz, ich habe im Moment extrem viel zu tun“, kam er ihren weiteren Warnungen zuvor. „Aber es wird bald besser werden.“

„Wann?“, fragte sie enttäuscht, weil sie diese Litanei bereits kannte. „Zur nächsten Jahrtausendwende oder schon zur nächsten Jahrhundertwende?“

„Ich muss nur noch einen wichtigen Wirtschaftsprozess abschließen“, beteuerte er. „Dann machen wir Urlaub. Was hältst du davon?“

„Eine ganze Menge, sofern ich diesen Urlaub mit dir antreten kann, solange du noch am Leben und vor allem gesund bist“, erwiderte sie leicht gereizt.

Axel Lassow kannte diese Stimmung bei seiner Frau. Wenn Trixi ihre übliche Fröhlichkeit und ihren Humor verlor, nahm man sich lieber in Acht. Darum zog er es vor zu schweigen, und da Trixi auch nicht sonderlich gesprächig war, ging es an diesem Abend bei den Lassows ziemlich still zu.

***

Für Simon Langwieder lief es an diesem Tag immer schlechter. Am Nachmittag hatte er Ärger bei einem Gespräch mit seiner Bank. Anschließend rief er Barbara bei ihren Eltern an und merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. So verkrampft klang sie nur, wenn sie Ärger gehabt hatte. Wahrscheinlich setzten ihre Eltern ihr wieder wegen der ausbleibenden Enkelkinder zu. Deshalb hatte es schon mehrere erbitterte Auseinandersetzungen zwischen ihm und seinen Schwiegereltern gegeben, die ihm die Schuld daran gaben.

Meistens überging Simon die Spitzen seiner Schwiegereltern oder die Nervosität seiner Frau, wenn sie mit ihren Eltern Probleme hatte. Heute stand er jedoch selbst unter Hochspannung und konnte sich daher eine Bemerkung nicht verkneifen.

„Es wäre besser, du würdest dich nicht bei deinen Eltern erholen“, sagte er gereizt, „sondern mit mir übers Wochenende wegfahren. Dann könntest du dich wirklich entspannen.“

„Du weißt genau, dass dieser Besuch bei meinen Eltern schon lange vereinbart war“, erwiderte Barbara schroff. „Ich weiß gar nicht, wieso du auf einmal darauf kommst, ich hätte nicht zu ihnen fahren sollen.“

„Ach, vergiss es!“, wehrte er ab. „Ich hätte nichts sagen sollen.“

„Nein, wieso denn?“, fragte sie beißend. „Sollte man seine Gedanken nicht lieber aussprechen, als alles in sich zu verschließen und dem Partner etwas vorzumachen?“

„Davon kann gar keine Rede sein“, verteidigte er sich. „Ich weiß überhaupt nicht, wie du darauf kommst.“

„Weil du gesagt hast …“

Es dauerte keine ganze Minute, bis sie am Telefon stritten. Simon tat zwar das Klügste und lenkte in allen Punkten ein, sodass sie sich letztlich doch friedlich voneinander verabschiedeten, aber der Tag war für ihn restlos gelaufen.

Da er nie gern allein aß und an diesem Abend schon gar keine Lust hatte, in der Wohnung zu sitzen und die Wand oder den Fernseher anzustarren, ging er in ein Restaurant in der Nähe des Maklerbüros.

Er hatte sich gerade erst gesetzt, als jemand neben seinem Tisch stehen blieb. Als er hochblickte, erkannte er die junge Frau, die am frühen Vormittag diese völlig zerstrittene und unleidliche Familie bei der Besichtigung begleitet hatte.

„Haben Sie sich schon von dem unangenehmen Erlebnis erholt?“, fragte die Fremde amüsiert.

„Erinnern Sie mich nach diesem Horrortag bitte bloß nicht auch noch daran!“, erwiderte er und deutete spontan auf den freien Stuhl. „Möchten Sie mir Gesellschaft leisten, um wenigstens das Abendessen für mich zu retten? Oder sind Sie in Gesellschaft hier?“

Es stellte sich heraus, dass sie allein war. Erst jetzt erfuhr er ihren Namen, und von diesem Moment an entglitt dieser Abend immer mehr jedweder Kontrolle.

Simon Langwieder trank etwas mehr Wein als sonst und versuchte, alles Unerfreuliche zu vergessen. Die attraktive junge Frau an seinem Tisch flirtete offen mit ihm und zeigte deutlich, dass sie an ihm interessiert war.

Seine Ehe war glücklich, und er liebte Barbara, doch in den zurückliegenden vier Jahren hatte sich viel Frust aufgestaut. Dazu kam der heutige Ärger wegen des Anrufs. Daher verdrängte Simon auch alle Gedanken an Barbara und seine Ehe.

Nach dem Essen, bei dem er sich großartig unterhalten hatte, war er vernünftig genug, nicht mit dem Wagen zu fahren. Seine neue Bekannte bot ihm an, ihn in ihrem Wagen mitzunehmen.

Hinterher wusste er gar nicht, ob sie ihn gefragt hatte oder ob er eigenmächtig gehandelt hatte. Jedenfalls begleitete er sie in ihre Wohnung auf ein letztes Glas, und aus dem letzten Glas wurden etliche Stunden in ihrem Bett.

Im Morgengrauen verließ Simon Langwieder die Wohnung der Frau, die er nie wiedersehen wollte. Mit dem neuen Tageslicht kam der Katzenjammer, verursacht durch Alkohol und schlechtes Gewissen.

Simon fuhr nach Hause und verordnete sich selbst einen freien Vormittag. Zum Glück brauchte er dafür nicht einmal Termine abzusagen.

Nachdem er zwei Kopfschmerztabletten geschluckt hatte, legte er sich ins Bett und versuchte, den gestrigen Tag und vor allem die letzte Nacht zu vergessen. Wenn er nicht mehr daran dachte, hatten beide nicht stattgefunden und würden auch keine Folgen nach sich ziehen.

Mit dieser Hoffnung schlief er ein.

***

Am Ende ihres ersten Arbeitstages in der Berling-Klinik verabschiedete sich Dr. Angelika Rohnstedt von Chefarzt Dr. Holl und Schwester Annegret, vor der sie jetzt schon großen Respekt bekommen hatte, und verließ das Haus.

„Ich könnte jetzt sagen, was für ein Zufall“, erklang hinter ihr eine Stimme, die sie nicht mehr vergessen konnte. „Aber das wäre gelogen. Ich habe Sie abgepasst.“

Angelika Rohnstedt drehte sich lächelnd um. „Ich freue mich“, erwiderte sie offen. Warum sollte sie sich immer nur zurückhalten? Dafür gab es nicht den geringsten Grund.

„Dann nehmen Sie hoffentlich eine Einladung zum Abendessen an“, sagte Dr. Alexander Wieland. „Sie würden damit einem einsamen Mann eine große Freude bereiten, und es ist Ihre Aufgabe als Ärztin, anderen Menschen zu helfen.“

„Ich kann mich nicht erinnern“, entgegnete sie mit einem verstohlenen Lächeln, „dass zum Hippokratischen Eid ein Abendessen mit einem einsamen Kollegen gehört.“

„Wir wollen doch nicht alles so kleinlich auslegen, dass wir uns die Freude des Lebens nehmen“, meinte er und deutete auf einen in der Nähe parkenden Wagen mit Hamburger Kennzeichen. „Sie haben die freie Wahl des Restaurants, weil Sie sich in München besser auskennen als ich.“

„Mein Wagen steht hier.“ Angelika zeigte auf das Auto, neben dem sie gerade standen. „Wie wäre es, wenn wir zuerst zu Ihrer Pension fahren? Sie stellen dort Ihren Wagen ab, und wir fahren in meinem weiter. Wozu zwei Fahrzeuge?“

Alexander Wieland nickte zustimmend. „Woher wissen Sie, dass ich in einer Pension wohne?“

„Ich bitte Sie“, erwiderte sie lachend. „Jemand wie Sie ist natürlich in einem Krankenhaus wie der Berling-Klinik das Tagesgespräch! Daran kommt man gar nicht vorbei.“

„Habe ich Sie als Tagesgespräch verdrängt?“ Alexander Wieland schüttelte den Kopf. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn eine so beeindruckende neue Kollegin kommt, sind doch sicher alle von ihr hingerissen.“

„Sie schmeicheln mir“, entgegnete Angelika leicht abwehrend, weil sie keine zu dick aufgetragenen Komplimente mochte.

„Meine Großmutter pflegte zu sagen, dass man mit Honig und nicht mit Essig Fliegen fängt“, erklärte er lächelnd.

„Vielen Dank, dass Sie mich mit Fliegen vergleichen.“ Angelika schloss ihren Wagen auf. „Das ist mir jedenfalls lieber, als dass man mich ungerechtfertigt lobt.“

Hinter sich hörte sie ein amüsiertes Lachen. „Ich wusste gleich im ersten Moment vor den Aufzügen, dass Sie eine ganz besondere Frau sind“, versicherte Alexander Wieland. „Ich freue mich auf den heutigen Abend.“

Angelika stieg in ihren Wagen, um nicht zu verraten, wie sehr sie sich über diese Bemerkung freute, erging es ihr umgekehrt doch genauso. Sie hielt Alexander Wieland für einen ganz besonderen Mann, und sie fühlte schon jetzt, dass er für sie einmal eine sehr wichtige Rolle spielen könnte.

Eine Frage musste allerdings eindeutig geklärt werden, nämlich, ob er ungebunden war. Sie erschrak beinahe über ihre eigenen Gedanken. Alexander Wieland hatte sie lediglich zum Essen eingeladen, und sie überlegte bereits, ob es eine Frau in seinem Leben gab! Das war verrückt, doch Angelika war ehrlich mit sich selbst und gestand sich ein, dass sie tatsächlich so dachte.

Der Abend übertraf anschließend bei Weitem ihre Erwartungen. Da sie keine Zeit gehabt hatte, um sich nach dem Dienst umzuziehen und neu zu stylen, wählte sie ein sehr beliebtes, für München typisches Restaurant, mit dem Alexander Wieland sehr zufrieden war. Vom ersten Moment an unterhielten sie sich wunderbar über alles, was ihnen einfiel. Das reichte von medizinischen Fachfragen über Erfahrungen mit Kollegen bis hin zu Reiseerlebnissen und sogar Kindheitserinnerungen.

Sie lagen in jeder Hinsicht auf derselben Wellenlänge. Angelika konnte sich nicht erinnern, sich jemals mit einem Mann auf Anhieb so gut verstanden zu haben.

„Ich kann mich nicht erinnern, mich jemals auf Anhieb mit einer Frau so gut verstanden zu haben“, sagte Alexander in dem Moment, in dem ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, als hätte er es erraten.

Angelika sah ihn geradezu betroffen an. Diese Übereinstimmungen wurden ihr allmählich unheimlich. „Sind Sie gebunden?“, platzte sie heraus, obwohl das die letzte Frage war, die sie zu diesem Zeitpunkt stellen wollte.

Er schwieg sekundenlang, und sie fürchtete schon das Schlimmste. „Nein, das können Sie mir getrost glauben“, erwiderte er dann ernsthaft.

Danach dauerte es zwar eine Weile, bis das Gespräch wieder in Gang kam, doch Angelika störte sich nicht daran. Sie war glücklich. Der Mann, der ihr innerhalb so kurzer Zeit so wichtig geworden war, konnte ihr gehören, falls das Schicksal es weiterhin gut mit ihnen meinte.

Schließlich sah sie auf die Uhr. „Ich muss morgen wieder zum Dienst, und Ringe unter den Augen gehören nicht zur Grundausrüstung einer Ärztin.“

„Schade, dass der Abend schon endet“, erwiderte Alexander und bestand darauf, dass er die Rechnung bezahlte.

Angelika brachte ihn zu seiner Pension zurück.

„Wie wäre es mit einem letzten Glas in der Bar?“, bot er an. „Sie haben gleich neben dem Eingang einen sehr netten kleinen Aufenthaltsraum für die Gäste. Und weiter als bis dorthin gilt meine Einladung nicht“, fügte er aufrichtig hinzu.

„Eigentlich sehr gern, Herr Wieland, aber …“

„Alexander“, fiel er ihr ins Wort.

„… aber wie gesagt, ich muss arbeiten“, vollendete sie ihren Satz.

„Dann holen wir das bei einer anderen Gelegenheit nach, Angelika“, erwiderte er.

„Ich denke, ich sehe Sie in der Berling-Klinik, nicht wahr? Sie wollen schließlich Erfahrungen austauschen und neue Erkenntnisse gewinnen.“

Er beugte sich zu ihr. „Etwas Neues habe ich schon gewonnen“, sagte er leise und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. „Vielen Dank für diesen wunderbaren Abend.“

Während der Heimfahrt und während des Zubettgehens dachte Angelika ständig an Alexander Wieland, und er war auch der Mann, von dem sie in dieser Nacht träumte.

***

Tommy hatte heute einen besonders schlechten Tag. So kannte Irmgard Schlegel ihren Sohn gar nicht. Als sie ihn mittags von der Schule abholte, war er bockig. Nach und nach entlockte sie ihm ein Geständnis: Andere Kinder hatten ihn offenbar gehänselt, weil er keinen Vater hatte.

Im Verlauf des Nachmittags hatte Irmgard mehrmals versucht, Tommy darauf anzusprechen und ihn damit zu trösten, dass viele Kinder keinen Vater hatten. In seiner Klasse waren sicher Jungen und Mädchen, deren Eltern geschieden waren.

Es stellte sich jedoch bald heraus, dass seine Klassenkameraden darauf angespielt hatten, dass seine Mutter nie mit seinem Vater zusammengelebt hatte. Woher sie das wussten, war Irmgard ein Rätsel. Andererseits konnte eine solche Information nur von den Eltern eines anderen Schulkindes kommen.

Warum mischten sich Leute in ihr Leben ein und störten es? Als hätte sie nicht schon genug Schwierigkeiten!

Beim Abendessen entwickelte Tommy keinen Appetit. Nur mit Mühe überredete Irmgard ihn dazu, denn Teller wenigstens halb leer zu essen. Und hinterher war er so unruhig, dass sie ihn unter Garantie nicht zum Einschlafen bringen würde.

Es mochte Eltern geben, die ihre Kinder in dieser Situation vor den Fernseher setzten, bis sie müde wurden. Damit hatte Irmgard nie angefangen, und dazu war sie auch jetzt nicht bereit. Daher schlug sie einen Spaziergang vor, von dem Tommy auch nichts wissen wollte. Zuletzt blieb ihr nichts anderes übrig, als ein Machtwort zu sprechen.

„Wir gehen jetzt spazieren, junger Mann“, ordnete sie an, und endlich verzichtete Tommy auf Widerspruch. Er wusste, dass es seiner Mutter absolut ernst war, wenn sie ihn „junger Mann“ nannte.

Wie nach all den unerfreulichen Erfahrungen an diesem Tag nicht anders zu erwarten war, verlief auch der Spaziergang nicht angenehm.

Tommy trödelte so, dass es Irmgard eine Menge Nervenkraft kostete. Er weigerte sich, die Schnürsenkel an den Turnschuhen zu schließen, was sie hasste, weil dadurch die Kinder einen schlechten Gang bekamen. Außerdem schleifte er beim Gehen mit den Sohlen auf dem Asphalt. Dabei wusste er, dass er damit seine Mutter ärgerte.

Irmgard zwang sich dazu, nichts zu sagen. So ging es allerdings nicht weiter. Sie musste sich etwas einfallen lassen.

„Was hältst du davon, wenn wir am Wochenende in den Zoo gehen?“, schlug sie vor, weil ihr nichts Besseres einfiel. Als sie keine Antwort erhielt, versuchte sie es mit einer anderen Idee. „Du könntest auch etwas vorschlagen.“

Tommy hielt den Kopf gesenkt und schleifte die Füße noch eine Spur lauter über den Bürgersteig.

„Benni geht am Wochenende Hamburger und Fritten essen.“

„Na bitte, das können wir auch machen“, stimmte Irmgard zu, obwohl sie sonst gegen Fast Food war.

„Nein!“, rief Tommy ungewöhnlich heftig und sah sie anklagend an. „Benni geht mit seinem Vater. Er sieht ihn nur alle zwei Wochen, aber er hat wenigstens einen Vater.“

Während Irmgard noch versuchte, die Worte ihres Sohnes zu verarbeiten, wirbelte Tommy herum und lief weg – zwischen den am Straßenrand parkenden Autos hinaus auf die Fahrbahn.

„Tommy!“, schrie Irmgard noch auf, doch es war zu spät.

Bei dem dumpfen Aufprall erstarrte ihr das Blut in den Adern. Sie war unfähig, sich zu bewegen.

Was nur einen Sekundenbruchteil andauerte, kam ihr wie Ewigkeiten vor. Während sie glaubte, kaum von der Stelle zu kommen, lief sie bereits schreiend zu ihrem Kind, das ein Stück durch die Luft geschleudert worden war und nun reglos auf der Fahrbahn lag.

Aus dem Wagen, der Tommy angefahren hatte, stieg schreckensbleich ein Mann. Andere Autofahrer hatten angehalten und eilten herbei, um zu sehen, ob sie helfen konnten. Zwei von ihnen griffen zu ihren Handys, um Hilfe zu rufen.

„Lassen Sie das, wir brauchen keinen Notarzt!“, sagte einer der Autofahrer, die den Unfall gesehen hatten. „Ich bin Arzt.“ Der Mann wandte sich an einen der Handybesitzer. „Wählen Sie folgende Nummer!“ Während er die einzelnen Ziffern auswendig so langsam hersagte, dass der andere sie eintippen konnte, untersuchte er bereits den bewusstlosen Jungen. „Geben Sie her!“, befahl er, sobald die Nummer fertig gewählt war.

„Tommy … Tommy …“, schluchzte Irmgard und sank neben ihrem Sohn auf die Knie, wagte jedoch nicht, ihn anzufassen. Der Unglücksfahrer lehnte zitternd an seinem Wagen.

„Ich habe die Polizei verständigt“, sagte ein anderer Mann, der auch ein Handy in der Hand hielt. „Sie fragen, warum sie keinen Notarzt schicken sollen.“

„Weil ich den Jungen in die nahe Berling-Klinik bringe“, erwiderte der Helfer, der Tommy nun mit einer Hand untersuchte, während er in der anderen das geliehene Handy hielt. „Hier Dr. Wolfram“, sagte er knapp. „Ich brauche einen Krankenwagen.“ Er nannte den genauen Standort. „Und schnell“, fügte er hinzu. „Ein Kind wurde von einem Auto angefahren. Verdacht auf Schädelbruch und innere Verletzungen.“

In der Ferne hörte man bereits eine Sirene, als Dr. Wolfram sich an die verstörte und verzweifelte Mutter wandte.

„Wir werden ihm gleich helfen“, sagte er beruhigend. „Er lebt, keine Sorge.“

Der Krankenwagen der Berling-Klinik kam ohne Sirene herangefahren. Er hatte es nicht weit, und die Straße war frei. Ein Arzt und zwei Pfleger stiegen aus und kümmerten sich sofort um das verletzte Kind, während aus der anderen Richtung mit Blaulicht und Sirene ein Streifenwagen auftauchte. Ein Notarztwagen folgte, obwohl Dr. Wolfram ihn abgelehnt hatte, um den Kollegen den unnötigen Einsatz zu ersparen.

Tommy Schlegel wurde auf die Trage gelegt und weggeschafft.

„Ich komme gleich nach“, sagte Michael Wolfram zu seinem Kollegen Jordan und wandte sich an die Polizisten. „Ich fahre in die Berling-Klinik“, erklärte er und wies sich als Arzt aus. „Und ich nehme den Autofahrer mit. Er muss unbedingt gegen seinen Schock behandelt werden.“

Damit waren die Polizisten allerdings nicht einverstanden. Der Notarzt kam nun doch zum Zug und musste sich um den Autofahrer kümmern. Dr. Wolfram war das nicht weiter wichtig. Er als Chirurg wurde jetzt in der Klinik gebraucht. Bevor er jedoch in seinen Wagen stieg, wandte er sich an die verstörte Mutter.

„Sind Sie zu Fuß hier, oder waren Sie mit einem Wagen unterwegs?“, fragte er.

„Zu Fuß“, flüsterte sie.

„Dann kommen Sie mit mir“, entschied Dr. Wolfram. Als die Polizisten auch dagegen Einspruch einlegten, wurde er sehr energisch. „Eine Mutter muss in diesem Moment bei ihrem Kind sein, und Sie werden die Berling-Klinik ja wohl noch finden“, fügte er sarkastisch hinzu und zeigte auf das Schild, das andeutete, dass es in einer Entfernung von fünfhundert Metern ein Krankenhaus gab.

Dr. Wolfram setzte die Mutter in der Ambulanz ab und erkundigte sich bei Schwester Maria nach dem Kind.

„Dr. Jordan ist bei dem Jungen“, erwiderte die tüchtige Schwester. „Dr. Kramer auch. Ich habe ihn abgefangen, als er gerade das Haus verlassen wollte.“

In dieser Situation war das Dr. Wolfram sehr recht, da der Kollege Jordan kein Chirurg war wie Kramer. Möglicherweise brauchte er jedoch einen tüchtigen Assistenten.

„Eindeutig eine Schädelfraktur“, meldete Dr. Ingo Kramer, der soeben aus dem Untersuchungsraum der Ambulanz kam. „Ich kümmere mich um das Röntgen und lasse den OP vorbereiten.“

„Innere Verletzungen?“, fragte Michael Wolfram knapp.

Kramer nickte. „Der linke Lungenflügel hat etwas abbekommen. Wir sollten kein Risiko eingehen und nachsehen.“

„Beeilen Sie sich!“, bat Dr. Wolfram, zog sich um und unterstützte Jan Jordan im Untersuchungsraum.

„Zustand stabil“, meldete der Kollege. Er hatte die künstliche Beatmung eingeleitet. „Die Atmungsgeräusche gefallen mir aber nicht.“

Er machte Platz, und Michael Wolfram horchte die Lungen des Kindes ab und überzeugte sich selbst davon, dass die Besorgnis seiner Kollegen gerechtfertigt waren. Sie kamen um eine Notoperation nicht herum.

„Was ist mit der Schädelverletzung?“, fragte er.

„Eine Fraktur liegt vor“, entgegnete Jordan. „Ohne Röntgen lässt sich jedoch nur schwer etwas dazu sagen. Der Junge könnte um eine Hirnverletzung herumgekommen sein, aber ich möchte mich nicht festlegen.“

Da Jan Jordan den verletzten Jungen zum Röntgen begleitete, nahm Dr. Wolfram sich die Zeit, mit der wartenden Mutter zu sprechen. Er klärte sie über den bisher festgestellten Grad der Verletzungen auf und verschwieg auch nicht, dass der Zustand ihres Kindes ernst war.

„Wir werden gleich operieren“, fügte er hinzu. „Die Schwester führt Sie zum Warteraum.“

„Ich will zu Tommy“, flehte die Mutter.

Dr. Wolfram zögerte und wandte sich schließlich an Schwester Maria, die aus dem Untersuchungsraum gekommen war.

„Führen Sie Frau …“ Er stockte, weil er den Namen gar nicht kannte.

„Schlegel“, warf Schwester Maria ein, die in der Zwischenzeit schon versucht hatte, die Personalien möglichst vollständig zu erhalten.

„Führen Sie Frau Schlegel zur Röntgenstation!“, entschied Dr. Wolfram. „Dort kann Sie ihren Jungen kurz sehen. Danach zeigen Sie ihr bitte den Warteraum beim OP!“

Er hielt sich nicht länger auf, sondern machte sich sofort auf den Weg, um sich auf den Eingriff vorzubereiten.

Michael Wolfram trug bereits sterile Kleidung, als der Kollege Kramer die Röntgenbilder brachte. Gemeinsam warfen sie einen Blick darauf und waren sich einig, dass der durch eine gebrochene Rippe verletzte Lungenflügel die größte Gefahr darstellte.

„Der Schädelbruch scheint glimpflich verlaufen zu sein“, urteilte Dr. Wolfram vorsichtig, da die Knochenteile nicht verschoben waren. Genauen Aufschluss würde erst eine Computer-Tomografie bringen. Wenn er die Röntgenbilder jedoch richtig deutete, war das Gehirn tatsächlich nicht in Mitleidenschaft gezogen worden.

Bei dem anschließenden Eingriff stellte sich heraus, dass der Zeitfaktor im Fall des kleinen Tommy wieder einmal eine wesentliche Rolle gespielt hatte. Durch den kurzen Transportweg in die Berling-Klinik war ein Kollaps des verletzten Lungenflügels verhindert worden.

Die beiden Chirurgen entfernten den gefährlichen Knochensplitter und überzeugten sich davon, dass tatsächlich keine weiteren inneren Verletzungen vorlagen.

Ein Bruch des linken Oberarms, den schon Dr. Jordan festgestellt hatte, versorgten sie erst ganz zuletzt, weil er vergleichsweise harmlos war.

Dr. Jordan übernahm es schließlich, mit der wartenden Mutter zu sprechen. Da sich die Aufzählung der Verletzungen sehr schlimm anhörte, beschränkte er sich erst einmal auf eine lapidare Mitteilung. „Wir haben die Lebensgefahr gebannt.“

Nicht nur Frau Schlegel atmete auf. Zu Michael Wolframs Überraschung befand sich der Unglücksfahrer bei ihr. Offenbar hatte die Polizei bereits die nötigen Aussagen erhalten, und der Notarzt hatte ihn nicht in ein anderes Krankenhaus mitgenommen, um dort den Schock behandeln zu lassen. Der Mann, den Dr. Wolfram wie die Mutter auf Ende zwanzig schätzte, war blass, machte ansonsten aber einen gefassten Eindruck.

„Tommy wird auf die Intensivstation gebracht“, fuhr Dr. Wolfram fort, weil er das der Mutter gar nicht verschweigen konnte. Sie würde darauf drängen, ihr Kind sehen zu können. „Sobald er dort ist, können Sie zu ihm“, fuhr er fort. „Er braucht natürlich erst einmal völlige Ruhe.“

„Sind die Verletzungen sehr schlimm?“, fragte Frau Schlegel bang.

„Er hatte Glück“, entgegnete Dr. Wolfram vorsichtig. „Sie hätten viel schlimmer ausfallen können. Vorerst ist wichtig, dass er den Eingriff gut überstanden hat und sein Zustand stabil ist. In den nächsten Tagen müssen wir weitere Untersuchungen durchführen. Dann können wir mehr sagen.“

Frau Schlegel nickte, als Dr. Wolfram fragte, ob mit ihr alles in Ordnung war. Der Unglücksfahrer machte dem Arzt ein Zeichen, dass er sich um die verstörte Mutter kümmern würde.

„Die Schwester holt Sie dann auf die Intensivstation“, sagte Dr. Wolfram noch, ehe er sich zurückzog und die beiden allein ließ. Er hatte nicht den Eindruck gehabt, als würden sie sich kennen, doch es gab offenbar auch keinen Streit und keine Vorwürfe zwischen Mutter und Autofahrer.

Dr. Wolfram war jedenfalls davon überzeugt, dass er die zwei allein lassen konnte. Und das war sehr gut so, musste er doch den regulären Nachtdienst auf der Chirurgischen Station antreten.

***

Dr. Alexander Wieland fand sich am frühen Nachmittag zu einer ausführlichen Besprechung in der Berling-Klinik ein. Dabei ging es um einen allgemeinen Erfahrungsaustausch bezüglich der Führung von Privatkliniken. Henrik Borström nahm als einziger Außenstehender daran teil. Außerdem wurde aus jedem Fachbereich ein Mitglied der Berling-Klinik geladen.

Dr. Angelika Rohnstedt lernte bei der Gelegenheit zwei Kolleginnen kennen, die ihr gleichermaßen sympathisch waren. Dr. Andrea Kellberg war für die Anästhesie zuständig, eine etwa dreißig Jahre alte Blondine, die so in ihrem Beruf aufging, dass sie noch ledig war, wie sie selbst sagte.

Dr. Renate Sanders, nur wenig älter als die Anästhesistin, war Kinderärztin an der Berling-Klinik, freundlich und höflich, aber zurückhaltend und geradezu verschlossen. Nun ließ Angelika Rohnstedt jeden Menschen auf seine Art selig werden, wie sie sich ausdrückte, aber es kam ihr doch seltsam vor, dass Dr. Sanders sich dermaßen auffallend für sich hielt.

„Hat die Kollegin Sanders vielleicht etwas gegen mich?“, fragte Angelika kurz vor Beginn der Besprechung die Anästhesistin.

„Frau Sanders? Nein, keineswegs. Ach so“, meinte Andrea Kellberg, „Sie spielen vermutlich auf ihre Verschlossenheit an. So ist sie immer und zu allen, seit sie ihren Mann und ihr Kind verloren hat.“

Angelika verzichtete auf eine Antwort, weil Dr. Holl mit Dr. Falk und Alexander Wieland eintraf und die Anwesenden begrüßte. Sie warf nur noch einen verstohlenen Blick zu der Kollegin Sanders und wunderte sich, dass eine solche Frau nach einem dermaßen schlimmen Schicksalsschlag überhaupt noch auf einer Kinderstation arbeiten konnte. Sie selbst hätte das vermutlich nicht geschafft.

Dr. Holl eröffnete die Besprechung, Dr. Borström stellte die erste Frage an den Kollegen aus dem Norden, und Angelika hörte aufmerksam zu, was Alexander Wieland zu sagen hatte. Er sprach interessant, und sie konzentrierte sich auch auf die Informationen. Dennoch konnte sie das private Beisammensein mit ihm nicht vergessen. Seit gestern hatte sich nichts geändert. Sie hatte letzte Nacht im Schlaf von ihm geträumt, und sie träumte auch jetzt mit offenen Augen von ihm, mochte sie sich auch noch so zusammennehmen.

Die beiden Klinikleiter und Dr. Falk steuerten ihre Erfahrungen bei, Angelika stellte eine Frage, auf die Alexander antwortete, und als die Konferenz nach zwei Stunden zu Ende ging, hatten alle Teilnehmer einen Nutzen daraus gezogen.

Es bildeten sich zwei kleine Gruppen, die untereinander über das Gehörte diskutierten.

„Schwester Annegret hätte eigentlich auch dabei sein sollen“, bemerkte Dr. Kellberg amüsiert. „Ich glaube, sie verfügt über die größte Erfahrung von allen.“

Angelika lächelte, sah dann aber, dass Dr. Holl die Äußerung seiner Mitarbeiterin gehört hatte. Hoffentlich nahm er das jetzt nicht übel!

„Sie hätten mich früher daran erinnern sollen, Frau Kellberg“, sagte er amüsiert. „Die Idee ist gut, nur kommt sie leider zu spät.“ Das war sogar sein Ernst.

„Ich bin noch eine ganze Weile hier“, versicherte Alexander Wieland. „Es wird also noch mehr als eine Besprechung geben. Dann werde ich diese sagenumwobene Schwester Annegret gern kennenlernen.“

Daniel Falk hob warnend die Hand. „Bei ihr kann es Ihnen allerdings passieren, dass sie die Teilnahme ablehnt. Sie könnte durchaus antworten, dass es den Patienten mehr hilft, wenn sie auf der Station arbeitet, als wenn sie an einem Tisch sitzt und redet.“

„Ja, das würde der guten Annegret ähnlich sehen“, bestätigte Dr. Holl.

Angelika entschuldigte sich und kehrte auf die Innere zurück, wurde jedoch unmittelbar nach Betreten der Station angesprochen.

„Haben Sie vielleicht für einen armen einsamen Mann Zeit, Frau Kollegin?“, fragte Alexander Wieland.

Sie drehte sich um und versuchte erst gar nicht, ihre Freude zu verbergen. Dabei achtete sie nicht einmal darauf, ob sie von Mitarbeitern der Klinik beobachtet wurde. „Aber ja, sicher, Alexander. Es fragt sich nur, wann Sie sich am einsamsten fühlen.“

Er lächelte wie ein kleiner Junge, der seiner Lehrerin einen wunderbaren Streich spielte. „Wenn ich Ihnen das sage, sind Sie vielleicht beleidigt“, entgegnete er in einem Ton, der keinen Zweifel daran ließ, welchen Teil des Tages beziehungsweise der Nacht er meinte. „Aber im Ernst“, fuhr er gleich fort, ehe sie überhaupt antworten konnte, „wenn Sie den Abend freihaben so wie ich, würde ich gern mit Ihnen zusammen sein.“

„Einverstanden“, sagte sie sofort zu. „Nennen Sie die Zeit und machen Sie einen Vorschlag!“

Er bot ihr eine Uhrzeit an, überließ jedoch wieder ihr die Wahl, was sie unternehmen sollten.

„Übrigens“, bemerkte Angelika, sobald sie sich einig waren, „hätten Sie ruhig aussprechen können, wann Sie sich am einsamsten fühlen. Ich wäre nicht beleidigt gewesen, aber ich habe noch nie einem Mann so kurz nach dem Kennenlernen diese Einsamkeit vertrieben.“

„Das habe ich auch nicht von Ihnen erwartet, Angelika“, beteuerte Alexander.

Sie hatte es aufrichtig gemeint, und sie hatte Alexander angesehen, dass auch er nicht damit rechnete, dass sie die nächste Nacht mit ihm verbringen würde.

Im Lauf des gemeinsamen Abends musste sie sich jedoch endgültig eingestehen, dass sie sich in diesen Mann verliebt hatte. Das ging so weit, dass er nicht nur der Mann war, von dem sie träumte. Er war der Mann ihres Lebens, das stand fest!