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Matthias Grünewald malte seine berühmte Isenheimer Kreuzigung als junger Ehemann einer Frankfurter Jüdin, getauft im Sommer vor der großen Hochzeit im großen Dom von Frankfurt, zu einer Zeit, als bei der "Judensau" am Frankfurter Brückenturm die Farbe fast noch frisch war. Zu deutschen Zeiten einer "koordinierten Begeisterung für Grünewald und Hitler" war das unpässliche "Juden-Ennchin" ein Problem, das mit der Arisierung des (schlimmstenfalls selber jüdischen) Kirchenmalers zu "Mathis Gothart Nithart" ganz im harten Zeitgeist Lösung fand. Das Juden-Ännchen freilich wurde im elften Ehejahr als geistig krank erkannt, weshalb das historisch präzise Stück im Heilig-Geist-Spital zu Frankfurt spielt. Warum endete die Jüdin, deren Taufe anno 1512 mit großer Präsenz von Präfekten und Prälaten, mit Wein aus dem Ratskeller gefeiert wurde, im Irrenhaus? Sie selbst und ihre Freundin Magda Reblin, Witwe des Advokaten Adam Schönwetter, spielen's vor: mit den berühmten Bildern, ihren Körpern und den Horas des brasilianischen Komponisten Dorival Caymmi.
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Seitenzahl: 84
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Personen:
Anna Grün
, getaufte Jüdin, Ehefrau des Malers Mathis Grün, bekannter als Matthias Grünewald;
Magdalena Reblin
, ihre Freundin, Witwe des Stadtadvokaten Dr.Schönwetter
Ort:
Heilig-Geist-Spital in Frankfurt
Zeit:
Frühjahr 1532
Bilder:
Heiliger Georg vom Lindenhardter Altar, 1503 Heilige Lucia vom Heller-Altar, 1509-11 Verkündigung vom Isenheimer Altar, 1512-16 Maria mit dem Kind und dem jungen Johannes (1515) Verkündigung vom Isenheimer Altar, 1512-16 Erlanger Selbstbild, 1512-16 Apostel Johannes, Washingtoner Kleinkruzifix (1511-20) Heiliger Paulus von Theben, Isenheimer Altar, 1512-16 Nürnberger Verspottung, 1505 Kreuzigung vom Isenheimer Altar, 1512-16 Versuchung des Hl. Antonius, Isenheimer Altar,1512-16 Trias Romana, 1525
Vorwort
1. Akt
2. Akt
Dem Krypto Grün sein Juden-Ennchin
Quellen
Horas
Aufführungsrechte
Danksagung
Zu Franckfort ...
Die Kreuzigung des kleinen Simon von Trient (1475) wurde schon um 1476 über der „Judensau“ an den Frankfurter Brückenturm gemalt. Der Seitentext dieser gedruckten Darstellung aus dem 17.Jahrhundert lautet:
„Zu lob und gedenckwürdigen ehren dem gantzen wolriechenten jüdischen volck zu Franckfort an tag gegeben. Anno 1476 haben die Juden zu Trient ein Knäblein mit Namen Simon dritthalb jar alt gestolen und am grienen donerstag gemartert zerstochen unnd entlich gar umbgebracht.”
„Eine Tochter hab ich, und zum Ehemann Gäb ich ihr lieber einen aus Barabbas’ Stamm als einen Christen.”
Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig, 4. Akt, 1. Szene
Lieber einen Ehemann aus Jud’ Barabbas’ Stamm als einen Christen: dieses Veto, das Shakespeare anno 1598 dem Shylock bezüglich dessen Tochter Jessica in den Mund legte, kontrastiert zur lebenslangen Liebe, die eine Judentochter Anna anno 1512 just einem christlichen Kirchenmaler versprach, bei beider Hochzeitsmesse im Hohen Dom zu Frankfurt. Und dies zu einer Zeit, als die Judensau am Brückenturm schon 36 Jahre lehrte was Juden so beschäftigt, nämlich Schweine, Teufel und das Kreuzigen des Christ(en)kinds.
Der malende Bräutigam mit dem farbfrischen Namen Grünewald kam aus Aschaffenburg nach Frankfurt. Mehr als 8000 Menschen, die das Grün des Waldes im Namen trugen, waren 1945 Opfer der Nazis geworden, davon 56 aus Frankfurt: meist alte Menschen, die nicht rechtzeitig geflohen, somit wohl nur ein Teil der Juden dieses Namens waren, die vor 1933 dort – als Juden freilich – gelebt hatten, nicht als Christen wie der „größte deutsche Malergeist“1 und expressivste Maler der Kreuzigung, der doch sicher – unser deutscher Grünewald! – Shylocks Bedingung nicht erfüllt hätte?
Dass der Grünewald von Jüdenholz sein könnte, dieser schlimme Verdacht führte im „Grünewaldboom des 20.Jahrhunderts“ und speziell zu Zeiten, in denen sich „eine koordinierte Begeisterung für Grünewald und Hitler aufspüren“ ließ, zu einer allzu gerne rezipierten Theorie, die ihr Schöpfer W.K. Zülch mit gutem Zeitgefühl am 20.April 1938 – dem 49.Geburtstag des kunstbegeisterten Adolf Hitler – proklamierte und in der er Grünewald als „Mathis Gothart Nithart“ arisierte.2 Erst nach 1970 konnte Rieckenberg diese Theorie als „eine durch nichts begründete Konstruktion“ entlarven: „Ihre Erfinder wollten in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen nicht eingestehen, dass der wirkliche Schöpfer des Isenheimer Altars Grünewald/Grün eine getaufte Jüdin geheiratet hat.“3
Getauft, nun ja, was heißt das schon? Und warum zitiert der Maler mit dem verdächtig jüdisch riechenden Namen Grünewald in seinen Bildern so häufig aus dem jüdischen, dem Alten Testament? Zum Beispiel jenes „Er ist um unser Sund willen geschlagen“, das seit den Paulusbriefen Jesu Kreuzigung als Erfüllung und Ablösung des alten Judentums beweisen sollte? Ist dies, fragt skeptisch Rieckenberg, „das Bekenntnis eines gläubigen Christen, der dann in der Aschaffenburger Beweinung seinen Frieden gefunden hat?“4
Einen Frieden, den er „übel verheuratet“ mit dieser Jüdin nicht finden konnte? Ist auch die „bös Vernunfft“, der „Wahnsinn“ des „Juden-Ennchin“ Anna Grün als tendenziöse Sicht christlicher Zeitgenossen zu dekonstruieren? „Des Bildschnitzers frau eyn getaufft Juddin und boeser vernunft ist, die in Spital nemen bis auff Besserung“ – so wurde der Beschluss noch am 12.Februar 1523, im elften Jahr von Annas neuem Leben als Christin, in das Bürgermeisterbuch eingetragen.
Angesichts der Erfahrungen, die Juden spätestens seit den Kreuzzügen mit der ihnen angelasteten Kreuzigung gemacht hatten, angesichts der den Inquisitoren bekannten Widerständigkeit jüdischen Wesens gegen Taufwasser und auch in Anbetracht von Simon Wiesenthals prägnanter Nachkriegsbilanz von „1900 Jahren Rache für den Tod des Juden Jesus“5 wäre es naiv zu meinen, in der Ehe des Juden-Ännchens mit dem Kirchenmaler hätte zwischen Küche, Bett und Kirche dieses religiöse Bild keine Rolle gespielt. Im Gegenteil: Wenn Lücking urteilt, dass „überhaupt erst nach 1511 jene Bilder entstanden, die ihn in den Augen der Nachwelt zu einem der größten Maler der mitteleuropäischen Kultur gemacht haben“, dann eröffnet dies einen wertenden Blick auf die Wirkung des weiblichen Wesens, das Mathis Grün ab 1511 wohl fast täglich sah6, das sich im August 1512 wohl unter seinem Einfluss taufen ließ und ihn im Dezember dann zum Mann nahm.
Insofern ist mein Stück die Rehabilitierung einer Jüdin – ähnlich wie ich schon 1988 der berühmten, 1788 hingerichteten Diebin Elisabeth Gassnerin – auch sie war jüdischer Herkunft – im Volkstheater zum Recht verhalf und 1994 der 1848 emigrierten jungen Näherin Gitele Ullmann in meinem preisgekrönten Mundartstück „New Heimat“ die Ehre gab. Wo die berüchtigte „Schwarze Liesel“ und die im Nachmärz fliehende Gitele gemäß dem frühfeministischen Motto „Das Persönliche ist das Politische“7 feudal-autoritäre Ordnungen in Frage stellten, kratzt das Juden-Ännchen noch direkter am Firnis patriarchaler Theologie, in der Gottvater sich mit Evas (nicht seinen?) Kindern nur versöhnen kann durch Kreuzigung des Sondersohnes, den er mit der Jungfrau zeugte – und trifft sich dabei mit heutigen feministischen Theologinnen. Etwa Luise Schottroff, die 1991 erklärte: „In Weiterführung des Vorwurfs, ... dass die Kreuzesverkündigung der Unterdrückung von Menschen dient, wird in der feministischen Kritik der spezifisch frauenunterdrückende Charakter von Kreuzestheologien herausgearbeitet: Das Gottesbild projiziert den despotischen patriarchalen Vater in den Himmel. Erlösung geschieht durch Opfer und verstärkt dadurch die gesellschaftliche Forderung an Frauen, sich für die Familie zu opfern.“ Christa Mulack sagt etwas zu jenem Bildmotiv, das Anna Grüns Ehemann obsessiv beschäftigte: „Für mich hätte er nicht sterben brauchen!“8 Die katholische US-Theologin Jane Schaberg erwähnt eine gewisse Einseitigkeit ihrer Wissenschaft: „Während dieser zweitausend Jahre wurde nur die Hälfte der christlichen Bevölkerung in Kommentaren und Analysen repräsentiert“; und zitiert ihre Kollegin Adin Steinsaltz: „Die Wahrheit ist, dass der Talmud das kollektive Projekt nicht des jüdischen Volkes ist, sondern nur seiner männlichen Hälfte…Was wir da geistig haben, ist halbjüdisch ... 9
Anna und ihre ältere Freundin Magda sind anderhälftige Akteurinnen in einem Spiel, das in sehr nonkonformer Weise zwei darstellende Künste dialogisch so verbindet wie es erst im Zeitalter des Beamers möglich ist: die berühmten, teilweise ikonischen Bilder werden befragt, verhandelt, wiederbelebt und human-bezüglich, zuweilen gar anzüglich, historisch andächtig reinszeniert. Sie repräsentieren Annas Ehemann, aber auch deutsche Geschichte: vom 15.Jahrhundert der Frankfurter „Judensau“ über Münchner Bierkellerreden und Nürnberger Gesetze bis zu den Auschwitzprozessen – wieder in Frankfurt.
In Auschwitz starben Emilia Caimi und Enrichetta Vivante née Caimi, beide aus Corfu und so sephardisch wie die acht italienischen Opfer des Namens Caimi (von chaim, Leben), den auch Enrico Balbino Caimi aus Italien mit nach Bahia nahm. Seinem Urenkel Dorival Caymmi verdankt das Stück seinen dreifachen musikalischen Akzent, der in melodischer Schwermut doch gegen alle Tragik der Komödie, also dem Leben zu Hilfe kommt.
von Dorival Caymmi (1914-2008) Gitarre und Gesang
Verse (Dorival Caymmi)
Holprige Übersetzung (K.Y.R.)
Se já fora Que importa agora Re-talhar a dor, ai Que doeu outrora
Lang vergangen! wozu also verlangen, teilend zu zerschneiden was damals ließ uns leiden?
In-fin-da-da Avez não é nada Passaram-se agoras Horas, horas.
Ewig nie aufhörend ist das Jetzt gewährend: lässt gehen, überwunden die Stunden, so viel Stunden.
1 Feurstein, p.45.
2 Lücking, p.8 und 16.
3 Rieckenberg, p.7.
4 Rieckenberg, p.15.
5 Wiesenthal, p.233.
6 Lücking, p.65.
7 Emma Siliprandi: „Um Olhar Ecofeminista ...“, in: Petersen 2009, p.141.
8 Gunda Schneider-Flume in Zimmermann/Annen 2009, p.164-167.
9 Schaberg, p.4; Steinsaltz wörtlich: „What we have is a Jewish half-genius.“
Der Bühnenhintergrund ist völlig schwarz mit nicht reflektierendem Stoff bedeckt. Von rechts erhält die Bühne einen Lichtschein durch eine offenstehende Tür. Von dort, aus dem Off, hört man Anna zur Laute singen, hebräisch (Übersetzung p.65) oder deutsch-spanisch:
Shemi Ana shmi hayu Shoshana. Ha ishá holé, ai, Ána meshugána. Áwar sháa, lo awár machála, ával má davár el meshugana?
Ich heiß Anna, hieß einmal Shoshana. Jetzt leb ich im Wahn, ja bin die Meschugana. Geht die Stunde, ich geh vor die Hunde, kratz noch schnell die Wunde, geh zu Grunde!
Ani Ana, Frankfurti hanara. Ha ba ruch ha ra, ai Ana meschugana. Áwar sháa, lo awár machála. Ával má davár el meshugana.
Yo soy Ana, (Ich bin Anna) loca de la España. (Närrin aus Spanien) Una santa estraña (eine komische Heilige) que siempre se araña. (die sich stets kratzt) Sin demoras (Ohne Pausen) pasan-se las horas. (vergeh‘n die Stunden) Su locura adoras, (deine Narrheit liebst du) nunca lloras. (niemals weinst du)
Ani Ana a-na-ni-ni-ána na-niá-naní-na a-naná-ni-ána. Áwar sháa, lo awár machála, ával má davár el meshugana
Ani Ana a-na-ni-ni-ána na-niá-naní-na a-naná-ni-ána. Geht die Stunde ich bin hier die G‘sunde geh nur bös zugrunde an der Wunde ...
Noch im Off hört man ...
Anna: Ach lass mich doch in Ruhe, du alte Schwertgosch! Ich spiel hier wenn’s mir passt und wenn’s euch nicht passt, dann haltet euch die Ohren zu. Da will man dieses eitrige Spital mal musikalisch aufheitern und schon schimpfen die Taubstummen um die Wette und die Lahmen springen aus den Betten. Aber gut, ihr habt mich überzeugt. Ich gehe. Es folgt nun wieder einmal der Auszug der Anna aus Ägypten. Ich lass euch hier allein mit euren sieben Plagen, als da sind die Flöhe, die Läuse, die Geschwüre, das Stinken, das Hinken, der Eiter und so weiter. Fehlt nur, haha, der Tod der Erstgeburt von jeder, die ihr Blut nicht jeden Monat an den Türpfahl streicht. Ich gehe, Leute, spielt alleine weiter, Konzert für sieben Darmflöten und drei Arschgeigen.