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Starkes Stück? Auf Basis akribischer Recherche präsentieren diese sieben Szenen keines Krippenspiels eine realistische, biblisch belegbare und sich aufdrängende, aber zweitausend Jahre lang verdrängte Lesart der Ankunft des Nazareners in dieser Welt: Sein Ende als Opfer römischer Soldaten entspricht in berührender Psycho-Logik seinem Lebensanfang als Sohn der jungen Landarbeiterin, die Opfer römischer Soldaten wurde. Fern von jeder Blasphemie, stattdessen mit viel Sympathie für beide Opfer zeigen diese Szenen, dass (so der brasilianische Rabbiner Nilton Bonder) "nicht Gewalt und Männlichkeit, sondern ... die Frau der Menschheit den Weg bahnt" und dass, in den Worten der katholischen US-Theologin Jane Schaberg, die verdrängte Tradition der illegitimen Geburt uns "unmaskiert beschenkt mit reicheren menschlichen Realitäten und deshalb mit tieferem theologischem Potential."
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Seitenzahl: 160
Veröffentlichungsjahr: 2018
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1943: Frauen helfen einer jungen Jüdin, missbraucht von ukrainischen Helden.
Madonna der Garnhaspel. Nachahmung eines verschollenen Werkes des am 15. April 1452 geborenen Leonardo, Sohn eines Patriziers mit einer Landarbeiterin namens Catarina. Alessandro Vezzosi, Gründer des Museo Ideal in Vinci, bemerkt: „Viele wohlhabende und prominente Familien kauften Frauen aus Osteuropa und Nahost. Die jungen Mädchen wurden dann getauft. Die üblichsten Namen waren Maria, Marta und Catarina.“ Ein Fingerabdruck Leonardos zeigte ein Muster, das normalerweise nur unter Arabern gefunden wird.1
1 The Guardian, 12.April 2008: Da Vinci’s mother was a slave, Italian study claims.
Auf historischem Boden
Matthäus: Jesu sündige Großmütter
Gezeugt durch Gewalt
Lukas: Aus der Niedrigkeit
Markus: Jesus ben Miriam
Johannes: Aber du schon!
Thomas: Sohn der Porné
Miriams reparierte Familie
Ihre moralischen Verteidiger
Toldoth Jeschu: Raus mit dem Mamser
Panthera, der Panther
Worte eines geborenen Opfers
Jesus Bar Abbas
„Dies bewusste Hinarbeiten auf den Tod“
Die letzten und die ersten: Frauen
Ende und Anfang
Auf Bühnenbrettern
Die drei Hebammen auf dem Weg zu Miriam
In Miriams Haus, in Miriams Bauch
Warum hast du nicht abgetrieben?
Miriam prophezeit
Verhandlung gegen Gott
Geburt
Interaktion mit dem Publikum
Nachwort
Aufführungsrechte
Bibliographie
Bild- und Musikquellen
Noten zum Lied
Miriams Hebammen geben eine bodennahe Antwort auf einen hochfliegenden Text, der eine weltverändernde Empfängnis wie folgt beschreibt:
“... wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret gesandt zu einer Jungfrau, die verlobt war mit einem Manne namens Joseph aus dem Hause Davids; und der Name der Jungfrau war Maria. Und er trat zu ihr hinein (εἰσελθὼν, eiselten) und sprach: „Sei gegrüßt, du Begnadete; der Herr ist mit dir.“ Sie aber erschrak über das Wort und sann nach, was dieser Gruß bedeuten solle. Der Engel sprach zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade gefunden bei Gott. Siehe, du wirst empfangen und einen Sohn gebären und ihm den Namen Jesus geben. Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben ...“ Maria aber sprach zu dem Engel: Wie wird dies geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Der Engel antwortete ihr: „Heiliger Geist wird über dich kommen, und Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das, was geboren wird, heilig genannt werden, Sohn Gottes.“ (Lukas 1:26-35)
Unterhalb von Gott und Engel sagt der Text sehr irdisch körperlich: Maria erschrickt über einen, der eintritt und ihr Gebären ankündigt. Sie ist verlobt mit einem Mann und erkennt doch keinen Mann. Sie wird auch nicht gefragt; von Liebe ist da keine Spur, von Lust zu schweigen. Etwas wird über sie kommen. Überschatten (ἐπισκιάσει, episkiásei) wird sie eine Kraft, die also dunkel sein muss. Väter sind zwei genannt: David und Gott.
Mit literarischer Finesse packt der griechisch gebildete Autor um das Jahr 90 in eine gottesfürchtige Geschichte die Realität einer sehr unverhofft eintretenden, erschreckenden weil dunkel übergriffigen Empfängnis ohne vorherige Liebe. Und all dies, so Lukas, im Auftrag des göttlichen Herrn, dem Frau nicht widersprechen darf. Für die damaligen griechisch-römischen Leser des Evangeliums, die Zeus & Co. als sehr virile Götter kannten und wie diese ihre Frauen gut im Griff hatten, war das nicht allzu anstößig.
Zweitausend Jahre später stellt sich jedoch die Frage, welche kulturellen Nebenwirkungen diese Urszene für den Westen hatte. Was haben, nur zum Beispiel, christliche Abwertung des Körpers und der Gesetze der natura (des Geborenwerdens!), zugleich Hochhaltung des Zölibats und Untenhaltung der Frauen mit dem Vorbild der jungfräulich dienstbereiten Magd Maria zu tun?
Ihr eigentliches Gewicht bekam diese Urszene jedoch dadurch, dass der aus ihr hervorgegangene Sohn zum Vorbild des kreuzbraven Gehorsams wurde, dass dieses Bild seines Kreuzes den Genozid an Indios, Schwarzen und Juden rechtfertigend begleitete, noch heute den gewalttätigsten aller Kontinente prägt und die Botschaft heilsamer, erlösender Gewalt verkündet.
Eben dieser maskulinen Botschaft treten Miriam und die Hebammen entgegen, indem sie die angeblich freiwillig welterlösende Gewalt am Ende des Lebens Jesu auf dessen Anfang zurückführen.
Russische Ikonen, brasilianische Weihnachtskrippen, italienische Renaissancegemälde machen diese Anfang-End-Gewalt recht deutlich sichtbar, wenn sie neben diesem Kind, in der Krippe oder auf dem Schoß seiner Mutter, das Kreuz platzieren, an dem der Sohn dereinst qualvoll sterben wird, gemäß dem göttlichen Plan seines himmlischen Vaters.
Angesichts der furchtbaren Gewalt am Ende seines kurzen Lebens sei es Mirjams Hebammen erlaubt, die römisch-militärische Gewalt am Lebensende mit einem römisch-militärischer Gewaltakt am Anfang dieses Lebens zu verknüpfen.
Denn genau die Texte jener Bibel, die Miriam und Jesus weltbekannt machten, belegen, dass Jesus ein illegitimes Kind seiner Mutter war. „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt“, sagt Gott zu seinem Sohn, und der antwortet: „Mein Vater bist du, mein Gott“. Wer gibt diese Antwort? Jesus? Nein, König David ist dieser Sohn Gottes, im Psalm 2:7 (vgl. 89:27). Halt, sagt da der Christ: der David nennt Gott doch nur in dem Sinn „mein Vater“ wie Jesus uns lehrte, diesen Gott „Vater unser“ zu nennen. Aber dadurch lieber Christ, wird’s noch komplizierter: Wenn Jesus seinen Abba, Vater den Vater unser nennt, was ist dann anders in speziell seiner Beziehung zu diesem Vater von uns allen? Was unterscheidet seine grausame Opferung von den kaum weniger grausamen Toden so vieler anderer Kinder Gottes, angefangen bei 50.000-100.000 anderen jüdischen Rebellen an Römerkreuzen, weiter über 13.000.000 Afrikaner auf Schiffsplanken ins christliche Amerika bis zu den 1300.000 Kindern in Europas Vernichtungslagern für die Jesuskreuziger?2
Halten wir fest, dass biblische Texte diesen Sohn einer Jungfrau und Mutter von sieben Kindern (Mk 6:3) sowohl als Nachkommen Davids als auch Gottes darstellen. Was verbirgt sich in diesem Bar-Abbas-Dreieck eines Menschen, der einen so starken Bezug zum Vater ausstrahlte, dass Paulus ihn zum Sohn des Höchsten erklärte?
Bleiben wir zur Sicherheit vorerst bei Jesus als dem Sohn Davids, denn hierfür kann man Altes und Neues Testament zu Zeugen nehmen. In schöner Eintracht nämlich deuten beide – im Evangelium des Matthäus, das quasi die Brücke zwischen beiden bildet – auf vier unmoralische Zeugungsakte, vier normfremd liebende Großmütter des Königs David, des Messias Jesus, Sohn der Miriam.
„Buch der Abstammung Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams: Abraham zeugte den ...“ und so weiter. Mit diesen Anfangsworten leitet Matthäus vom „Alten“ über zum „Neuen Testament“ des Sohnes. Aber in der Versammlung von 40 bärtigen Ahnvätern im Stammbaum Jesu leuchten, wenn man genau hinschaut, fünf weibliche Kopftücher auf:
„Judas [sic!] zeugte den Perez und Serach von der Tamar ...“
„Salmon zeugte den Boas von der Rahab ...“
„Boas zeugte den Jobed von der Ruth ...“
„David zeugte den Salomon von der Frau des Uriah“ und diese Frau trug den Namen Tochter Sebas, kurz Bathseba.
„Jakob zeugte den Joseph, den Mann Marias, von welcher Jesus geboren wurde, der Christus genannt wird“ (Mt 1, Vers 16).
Und der letztgenannte Vers hat ja nur Sinn, wenn Jesus seine väterlichen Gene nicht von Gott, sondern von Joseph bekam. Kein Sohn des Allerhöchsten? Das würde Pauli Sühneopfertheologie komplett unterminieren, denn nach dieser Lehre konnte ja nur Gottes eigener Sohn durch sein von Gott verlangtes Kreuzesopfer den Ungehorsam des ersten Adam (schuld war Eva) sühnen und den himmlischen Vater mit der sündigen Menschheit versöhnen. Ganz brav in diesem Sinne schreibt Matthäus im Vers 1:18: „Als seine Mutter Maria mit Joseph verlobt war, fand es sich, ehe sie miteinander lebten, dass sie empfangen hatte vom Heiligen Geist.“ Jetzt doch nicht Joseph? Also was nun, mit wessen Sperma?
Man sollte den Evangelisten Matthäus nicht für dumm halten. Natürlich war ihm diese vaterseitige Widersprüchlichkeit der Zeugung Jesu in ein und demselben Kapitel seines Textes völlig klar. Voll bewusst hatte er aus den zwei Anfangskapiteln des Buches Chronik die Linie von Davids Vorvätern kopiert und die seiner Nachkommen so modifiziert, dass sich eine schöne Dreifachsymmetrie von 14 Generationen bis David, 14 bis zum Exil in Babylon und 14 von Babel bis Jesus ergaben – vorausgesetzt man zählte die fünfte Frau Maria als männliches Äquivalent. Matthäus‘ Neuausgabe ist durch und durch intentional. Aber was ist die leitende Absicht? Wollte er, der „unter Juden für Juden schreibt”,3 seine jüdischen Leser durch die vier Davidischen Großmütter zu einem vitalen Punkt der fünften Mutter führen, nämlich Maria von Nazaret? Es hilft auch nicht weiter, anzunehmen, er habe hier zwei inkompatible mündliche Traditionen einfach technisch schlecht zusammenfügen müssen, wie kleine Schraube und große Mutter. Viel eher wollte er, so ist zu schließen, sanft und respektvoll auf einen Umstand dieser kleinen Mutter Miriam hinweisen; auf ein offenes „Geheimnis“ in Matthäus‘ jüdischer Umgebung, auf das er seine Leser mit der Aufzählung der vier Großmütter Tamar, Rahab, Ruth, Bathseba geschicktestens vorbereitet. Denn was für Kaliber von vier Frauen mussten das sein, um zwischen 40 gestandene Männer eingereiht zu werden?
Tamar kommt zum Kind: Stammvater Jakobs vierter Sohn Juda war nach Kanaan gezogen und hatte dort in „Mischehe“ die Kanaaniterin Schua geheiratet. Sie gebar ihm drei Söhne namens Er, Onan und Schela, die zu jungen Männern heranwuchsen. Und „Juda nahm für seinen Erstgeborenen Er eine Frau namens Tamar.“ Dieser Er jedoch stirbt bald. Nun war der zweite Sohn Onan verpflichtet, die Witwe zu heiraten, um seinem toten Bruder Nachkommen zu verschaffen. Also keine ausgesprochene Liebesheirat, und kein Wunder, dass Onan nun zwar nicht das macht, was nach ihm benannt wurde, aber Coitus interruptus, jedes Mal, und „ließ den Samen zur Erde fallen.“ Weil das nicht gesund ist und zudem „Jahwe missfiel, was er tat“, stirbt auch Onan. Nun muss Tamar warten, bis der dritte Sohn Schela ins heiratsfähige Alter kommt, um ihr als Hausband zugewiesen zu werden. Sie wartet vergeblich. Schwiegervater Juda, inzwischen selbst verwitwet, macht keine Anstalten, dieser schwarzen Witwe zweier Söhne nun seinen dritten Sohn zu geben. Nach der Trauerzeit zieht der Witwer Juda zur Schafschur nach Timna. Am Eingang des Dorfes Enajim sieht er eine verschleierte Prostituierte sitzen, und um den Preis eines Ziegenböckleins willigt sie ein. Da Juda zwar voll Bock hat, aber null Böcklein dabei, muss er statt dem Tierchen Siegelring, Schnur und Stab als Pfänder dalassen. Na gut, man tut‘s.
Drei Monate später wird Juda gemeldet: „Deine Schwiegertochter Tamar hat sich vergangen und ist infolge ihrer Unzucht schwanger geworden.“ Nun, mit so einer macht der Clanchef nicht viel Federlesens: „Führt sie hinaus! Sie soll verbrannt werden!“ Aber die Verurteilte legt dem Patriarchen drei Gegenstände des Mannes vor, der sie geschwängert hatte: Siegelring, Schnur und Stab. Angesichts solch peinlicher Souvenirs des Schafschurstündchens muss Juda bekennen: „Sie ist im Recht gegen mich. Warum habe ich sie nicht meinem Sohn Schela zur Frau gegeben?“ (Gen 38). Und das Kind der Schande, des Inzests, wird Perez genannt und Stammvater Davids.
Rahab hurt und heiratet: Hatte Jesu Ururur~großmutter Tamar nur kurz mal eine Hure spielen müssen, um gegen den Patron zu ihrem Recht zu kommen, so ist seine Urur~großmutter Rahab richtig vom Gewerbe und wohl auch nicht knapp an Kunden in der Großstadt Jericho. Dorthin schickt Feldherr Josua, der Sohn des Nun, eines Tages zwei Spione. Die übernachten bei Rahab, fallen jedoch auf und Madame wird gebeten, ihre verdächtigen Kunden herauszugeben. Die sind schon weg, sagt Rahab, doch wenn ihr schnell seid, kriegt ihr sie noch! Dann geht sie rauf aufs Dach, wo sie die Spione unter Flachsstengeln versteckt hat, und nimmt ihnen das Versprechen ab, an ihr, an ihrem Vater, ihrer Mutter, ihren Brüdern und Schwestern Barmherzigkeit zu üben, wenn die ganze Stadt zerstört wird. An einem Strick lässt sie die zwei James Bonds durch das Bordellfenster hinab, denn ihr Haus lag an der Stadtmauer“ (Jos 2:15).
Wenig später rückt das Volk Gottes zur Eroberung Jerichos an. Josua lässt die Bundeslade siebenmal um die Stadt tragen, lässt sieben Priester in sieben Widderhörner blasen, und am siebten Tag beim Posaunenschall geht erstens die Stadtmauer zu Boden, bevor zweitens die Bewohner niedergemacht werden.
Denn die Mauern fallen hin
Und die Stadt wird gemacht dem Erdboden gleich
Nur ein lumpiges Hotel wird verschont von jedem Streich
Und man fragt: Wer wohnt Besonderer darin? (...)
Und an diesem Mittag wird es still sein am Hafen
Wenn man fragt, wer wohl sterben muss.
Und dann werden sie mich sagen hören: Alle!
Und wenn dann der Kopf fällt, sag ich: Hoppla!
Und das Schiff mit acht Segeln und mit fünfzig Kanonen
Wird entschwinden mit mir.
Nein, diese Rahab hört man nicht den Siegerkriegern „Alle!“ befehlen oder „Hoppla!“ sagen, wie Brechts Seeräuberjenny es gnadenlos tut. Aber diese Rahab-Jenny von Jericho, inklusive „ihren Vater, ihre Mutter, ihre Brüder und alle, die zu ihr gehörten“ führt man aus dem Etablissement hinaus „an einen sicheren Ort“, und sie blieb „mitten in Israel wohnen bis auf den heutigen Tag“ (Jos 6:25). Und zwar in keinem Freudenhaus, denn im neuen Lebensabschnitt wurde Rahab erst ehrbare Gemahlin, dann Mutter eines Sohnes und zweite Schwiegermutter der Ruth. Matthäus nämlich weiß, 1200 Jahre später, von der Ex-Dirne zu erzählen: „Salmon zeugte den Boas von der Rahab, und Boas zeugte den Jobed von der Ruth“.
Ruth legt sich zum Hurensohn: „Zur Zeit der Richter kam eine Hungersnot ins Land; da machte sich ein Mann aus Betlehem in Juda mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen auf, um in den Gefilden Moabs als Fremder zu weilen.“ Moabs Frauen, späte Enkelinnen Lots aus dem Inzest mit seiner älteren Tochter, sind berühmt für ihre Schönheit. Beide Söhne des Migrantenpaares heiraten bald, die Bräute heißen Orpa und Ruth, doch wieder sterben beide jungen Ehemänner. Ihr Vater Elimelech war schon vor ihnen gestorben, und seine Witwe Noemi macht sich nun, da in Judäa wieder Regen, Milch und Honig fließen, auf den Rückweg in die Heimat. Beide Schwiegertöchter weinen, „Ruth aber klammerte sich an sie“ und lässt sich nicht davon abhalten, mitzuziehen. „Denn wo du hingehst, will auch ich hingehen, wo du weilst, will auch ich weilen; dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“
Angekommen in Betlehem, ergreift Ruth den Broterwerb, der den Ärmsten offensteht: auf abgeernteten Feldern Ähren nachzulesen. Zufällig gerät sie auf das Feld des Boas, der zufällig gerade aus Betlehem herauskommt und seine Schnitter sofort fragt: „Wem gehört diese junge Frau?“ – „Diese junge Frau“, erfährt er, „ist die Moabiterin, die mit Noemi zurückkehrte ... So ist sie gekommen und war vom Morgen bis jetzt auf den Beinen.“ Boas ist von der fleißigen Schönen angetan: „Geh nicht von hier weg, sondern halte dich an meine Knechte da ... Ich habe den Knechten verboten, dich zu belästigen. Und wenn du Durst hast, geh zu den Krügen und trinke von dem, was die Knechte schöpfen.’ Liebe geht durch den Magen: „Komm her, iss von diesem Brot und tunk es in den Weinessig“, sagt Boas zur Essenszeit und überschüttet die Schöne, anstatt mit Komplimenten, so doch mit einem Berg von knusprig duftendem Röstkorn. Abends bei der Schwiegermutter strahlt Ruths Verliebtheit ihr wohl aus allen Knopflöchern. Das freut Noemi und sie fragt: „Meine Tochter, soll ich dir nicht eine Ruhestatt suchen, damit es dir gut gehe? Ist Boas, dessen Knechten du gefolgt bist, nicht unser Verwandter? Nun, heute Abend worfelt er die Gerste auf seiner Tenne. Darum wasche und salbe dich ... “
Nach der frühsommerlichen Arbeitsspitze legt sich Rahab’s Sohn spätabends auf der Tenne zur Ruhe nieder. Und so dezent beschreibt die Bibel, wie eine starke Frau – ganz ohne Anmache – zum Ziel kommt: Als Boas schläft, kommt Ruth „ganz leise herzu, deckte den Platz zu seinen Füßen auf und legte sich hin. In der Mitte der Nacht“, als es den Arbeitgeber an den Füßen fröstelt, sieht er dort eine Frau liegen. „Wer bist du?“ fragt er naiv. „Ich bin Ruth, deine Magd. Breite deinen Gewandzipfel über deine Magd, denn du bist der Löser.’“ Boas ist jedoch nur der zweite „Löser“, sein Anrecht auf das Erbe seines Verwandten inklusive Witwe ist nur nachrangig. Da aber der erste Löser aufgrund materieller Erwägungen auf die nicht allzu gute Partie verzichtet, wird Ruth die Frau des Boas, „und sie empfing, und sie gebar einen Sohn“. Noemi ist happy über den Enkel, und ihre Freundinnen sagen ihr, warum: „Denn deine Schwiegertochter, die dich liebt, hat ihn geboren. Mehr ist sie dir wert als sieben Söhne.“
Die Wirkmacht weiblicher Schönheit – mit der Tamar wohl am wenigsten, Rahab beruflich angemessen, Ruth bestimmt gesegnet war – diese Anziehung kann man bei der viertgenannten Ahnfrau Jesu, zur Zeit von König David, in betörender Stärke finden:
Bathseba badet und erliegt: „Die Frau war von sehr schönem Aussehen ...“, nämlich die junge Frau, die König David, sich abends auf dem Dach seines Palastes ergehend, in anderem Revier sich baden sieht. Spontan lässt Spanner David diese Bathseba zu sich rufen, wohnt ihr spontan bei, worauf sie, kein Wunder nach dem Bad zum Ende ihrer Monatstage, schwanger wird. Leider war diese Kirsche in Nachbars Garten verheiratet mit dem Hethiter Uriah, einem Offizier im Heere Davids. Um ihm das Kind unterzujubeln, beordert David seinen Militär auf Heimaturlaub; aber Uriah, entweder zu asketisch oder zu gut informiert, schläft lieber außerhalb bei seiner Truppe. Plan B: „Stellt den Uriah in den heftigsten Kampf vorne hin“, schreibt David seinem Feldherrn Joab. „Dann zieht euch hinter ihm zurück, damit er getroffen wird und den Tod findet.“
So kommt der Todesengel zu Uriah, und David zu Bathseba, die ihm als Ehefrau nun einen Sohn gebiert. Erst als der weise Nathan ihm Bathseba als das „einzige Lämmchen“ vorstellt, das dem Armen „wie eine Tochter“ war, jedoch vom Reichen gnadenlos „genommen“ und als Gastmahl „zubereitet“ wurde (2 Sm 12:3), geht der Mann so vieler Frauen in sich. Als er bereut, fährt Nathan fort: „So wird Jahwe dich nicht töten, nur dein Sohn wird sterben.“ David fastet, schläft zur Buße auf dem Boden, und bricht seine Selbstbestrafung erst nach dem Tod des Kindes ab: „Da es nun aber gestorben ist, was soll ich da noch fasten? Kann ich es etwa wieder zurückholen? Ich werde zu ihm gehen, aber es kehrt nicht zu mir zurück.“ Dann tröstet er die weinende Bathseba, „ ... und wohnte ihr bei. Sie empfing und gebar einen Sohn; und sie gab ihm den Namen Salomo.“
Vier starke Frauen, vier fruchtbare Amouren und die eine Frage: Warum hat der Evangelist Matthäus diese vier in Jesu Stammbaum platziert, bevor er von der fünften, von Maria anfängt?
Die amerikanische Theologin Jane Schaberg bemerkte, dass alle vier Präfigurantinnen der Maria keine geborenen Jüdinnen waren. Rahab und wahrscheinlich auch Tamar waren Kanaaniterinnen, Ruth eine Moabiterin, Bathseba, als Frau des Hethiters, wohl selbst Hethiterin. Im Licht der späteren (zu Jesu Zeiten gültigen) jüdischen Bestimmung, dass Jude sei, wer von einer jüdischen Mutter abstamme, bedeutet dies, dass die Söhne aller vier Frauen keine Juden waren und doch zu Vorvätern Salomos wurden.4 Maria allerdings war Jüdin. Wollte Matthäus also sanft andeuten, dass diesmal nicht die Mutter, sondern der (ungenannte) Vater Ausländer war?
Jane Schaberg erkennt vier gemeinsame Merkmale der vier anstößigen Frauen;5 Merkmale, die ich im Blick vor allem auf Rabbi Nilton Bonders Sicht in seinem Buch “A Alma Imoral” (Die unmoralische Seele) leicht abgewandelt formuliere:
Alle vier befinden sich außerhalb patriarchalischer Familienstrukturen; im Clinch mit, und misshandelt durch die Regeln der Männerwelt: Tamar und Ruth sind kinderlose junge Witwen, die ihr Recht