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Die Diagnose – neue Fälle E-Book

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Beschreibung

Rätselhafte Symptome und Ärzte, die zu Detektiven werden

Sie müssen die zahlreichen Befunde und rätselhaften Symptome ihrer Patienten wie ein Puzzle zusammenfügen, um auf die richtige Spur zu kommen. Das gelingt durch Wissen und Erfahrung – und manchmal ist es auch Intuition, die Ärzte bei ihrer akribischen Detektivarbeit auf die richtige Spur bringt. Im Magazin »stern« berichten Ärzte in der beliebten Rubrik »Die Diagnose« von ihren außergewöhnlichsten Fällen. Die Medizinredakteurin und Ärztin Anika Geisler hat nach dem großen Erfolg des ersten Bandes achtzig neue spannende Fälle ausgewählt. Denn für die Patienten ist die korrekte Diagnose die größte Erlösung, auch wenn dann die Therapie erst richtig losgeht …

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Seitenzahl: 284

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DR. MED. ANIKA GEISLER studierte an der Berliner Charité Medizin. Ihre journalistische Ausbildung absolvierte sie an der Hamburger Henri-Nannen-Schule. Seit 2000 arbeitet sie als Medizinredakteurin beim Hamburger Magazin stern, für das sie auch als Ressortleiterin tätig war. Sie betreut die Rubrik Die Diagnose, in der Ärzte ihre außergewöhnlichsten Krankengeschichten schildern. Nach dem Bestsellererfolg von Die Diagnose hat sie für das vorliegende Buch achtzig neue spannende Fälle aus dem stern ausgewählt.

Die Diagnose in der Presse:

»Spannend geschrieben. Nicht nur für medizinische Laien, sondern auch für Mediziner sehr lesenswert.«   Spektrum der Wissenschaft

»Der Untertitel sagt alles über den kurzweilig zu lesenden Inhalt. Für den Laien unterhaltsam und verständlich geschrieben. Für Ärztinnen und Ärzte ein empfehlenswerter Ratgeber.«   Deutsches Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern

Außerdem von Anika Geisler lieferbar:

Die Diagnose. Wenn Ärzte zu Detektiven werden – rätselhafte Krankheiten und ihre Ursachen

Besuchen Sie uns auf www.penguin-verlag.de und Facebook.

Dr. med. Anika Geisler (Hg.)

DIE

DIAGNOSE –

NEUE FÄLLE

Rätselhafte Beschwerden,

verzweifelte Patienten

und Ärzte, die zu

Detektiven werden

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Copyright © 2018 Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München und ® Lizenz der Marke STERN durch Gruner + Jahr GmbH & Co KG Umschlag: Favoritbüro Umschlagmotiv: pikepicture/Shutterstock.com und Favoritbüro Satz: Leingärtner, Nabburg ISBN 978-3-641-23549-9V002
www.penguin-verlag.de

VORWORT

Wenn Mediziner zu Detektiven werden

Kennen Sie einen guten Arzt?«

»Niemand kann mir mit meinen Beschwerden weiterhelfen.«

»Gab es bei Ihnen schon einmal einen ähnlichen Fall?«

Woche für Woche erreichen die Hamburger stern-Redaktion Anfragen wie diese – von Menschen, die unter gesundheitlichen Problemen leiden. Ihre Ärzte konnten diese Schwierigkeiten bislang nicht in den Griff bekommen.

Dass sich die Menschen nun an die Redakteure wenden, ist der Rubrik »Die Diagnose« zu verdanken, die erstmals 2013 im stern abgedruckt wurde. Dort schildern Ärzte aus Deutschland und der ganzen Welt ihre außergewöhnlichsten Fälle. Sie erzählen von Patienten, die mit seltsamen Symptomen Praxen und Kliniken aufsuchten. Und sie zeigen, wie sie durch medizinische Detektivarbeit den Ursachen für die Beschwerden auf die Spur kamen.

»Die Diagnose« gehört zu den beliebtesten Seiten im stern. Dank der Veröffentlichung der rätselhaften Fälle konnte anderen Patienten bereits geholfen werden. Die Rubrik »Die Diagnose« zu lesen, war für manche Menschen tatsächlich ein Schritt auf dem Weg zur richtigen Therapie.

Die außergewöhnlichsten Krankengeschichten erschienen 2017 erstmals als Buch. Es wurde ein großer Erfolg. Nun folgt die Fortsetzung: achtzig weitere spannende Fälle von Ärzten, die nicht locker lassen, bis sie mit kriminalistischem Spürsinn die Lösung des Rätsels finden.

Wieso wird einer Frau schwindelig, wenn sie Braten isst? Warum fällt ein Pförtner jeden Nachmittag zur gleichen Zeit vom Stuhl? Wie kann es zu einer jungfräulichen Geburt kommen? Alle Fallgeschichten zeigen, was einen guten Mediziner letztlich ausmacht: Er muss interessiert sein an seinen Patienten, Einfühlungsvermögen und Geduld haben, auf dem neuesten Wissensstand sein und mit Kollegen anderer Fachrichtungen optimal zusammenarbeiten. Manchmal braucht es allerdings einen Geistesblitz, um die erstaunliche Ursache zu finden.

Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden in einigen Geschichten biografische Details der Patienten verändert. Aber die Fälle haben sich genau so ereignet. Sie zeigen: Ob ein Löffelstiel im Magen oder eine Nadel in der Brust – in der Medizin gibt es praktisch nichts, was es nicht gibt.

THERAPIE: CURRYWURST-POMMES

Ein Mathematiker hat jeden Nachmittag Lähmungsattacken. Seit einem halben Jahrhundert rätseln die Mediziner. Wird er ins Koma fallen?

Von Professor Dr. Jürgen Schäfer

Aufgezeichnet von Anika Geisler

Ohne den wachen Geist des Patienten hätte ich diesen Fall nicht gelöst. Die Krankengeschichte des österreichischen Mathematikers hat mir monatelang keine Ruhe gelassen. Seit knapp fünfzig Jahren suchte der Professor verzweifelt nach einer Erklärung für ein rätselhaftes Phänomen: Als Teenager war er erstmals von einer extremen Müdigkeit und Schlappheit überfallen worden. Nach und nach waren seltsame Lähmungsattacken dazugekommen.

Seit nunmehr zehn Jahren litt er fast jeden Tag an diesen Attacken, die meist gegen fünf Uhr nachmittags auftraten: Wie aus dem Nichts brach er zusammen und konnte sich etwa drei Stunden nicht bewegen, nicht sprechen, nicht blinzeln. Er war dabei bei vollem Bewusstsein. »Einmal sackte ich im Garten neben einer Ameisenstraße zusammen«, erzählte der damals 68-Jährige. »Die Tiere krabbelten mir in Nase, Augen und Ohren, und ich konnte nichts tun.« Seine größte Angst war, in ein Wachkoma zu fallen – Ärzte hatten gesagt, dass er darauf zusteuere. Und dass er vermutlich nur noch ein Jahr zu leben habe.

Der Mann hatte über die Jahrzehnte die unterschiedlichsten Diagnosen bekommen: Epilepsie, Parkinson, multiple Sklerose, Depressionen, Schizophrenie. Einige Ärzte stempelten ihn als verrückt ab. Neunzig Schulmediziner, vierzig Alternativmediziner und einen afrikanischen Wunderheiler hatte er aufgesucht.

Der Professor sagte zu mir: »Irgendwie hängen die Lähmungen mit dem Essen zusammen.« Wenn er besonders deftig äße, blieben die Attacken auch mal aus. Schon oft war sein Zuckerstoffwechsel überprüft worden – um Unterzuckerungen auszuschließen, die zu Schocks führen können. Ich wusste: Vorübergehende Lähmungen können auch auftreten, wenn das Kalium im Blut zu hoch oder zu niedrig ist. In der Fachsprache heißen diese Lähmungen: hyper- oder hypokaliämische periodische Paralysen. Aber die Kaliumwerte im Blut des Mannes waren während der Attacken immer normal gewesen.

Nachdem ich dem Professor von diesen Lähmungsarten erzählt hatte, begann er, Tabellen anzufertigen – darüber, was er aß und wie es ihm danach ging: »Salat: furchtbar, Weißbrot: geht gerade, Wiener Würstchen: exzellent.« Dann berechnete er die Inhaltsstoffe der Nahrungsmittel und setzte diese in Bezug zu seinen Attacken. Ergebnis: Waren die Lebensmittel reich an Kalium, wie Obst und Gemüse, ging es ihm wenige Stunden nach dem Essen schlecht. Waren die Speisen sehr salzig – enthielten sie also viel Natrium, den Gegenspieler von Kalium –, ging es ihm besser.

Daraufhin suchten Kollegen aus unserem Labor und dem Physiologischen Institut fieberhaft nach dem Grund. Relativ rasch fanden Professor Niels Decher und Dr. Muhidien Soufi heraus: An den Zellen des Patienten waren spezielle Kaliumkanäle genetisch verändert. Bis wir uns sicher waren, dass dieser neu entdeckte Defekt die Ursache der Erkrankung war, dauerte es noch fast ein halbes Jahr: Die Kanäle pumpten unablässig Kalium aus dem Blut in die Zellen. War der Kaliumspiegel in den Zellen irgendwann zu hoch, traten die Lähmungen ein. Dabei war im Blut der Kaliumspiegel aber normal. Wir hatten eine neue Variante der »normokaliämischen periodischen Paralyse« gefunden.

Der Patient wurde in unserer Neurologie stationär aufgenommen und bekam entwässernde Tabletten, die das Kalium aus den Zellen spülten. Zudem stellte er seine Ernährung um. Nach drei Tagen stand er auf und ging ohne müde Muskeln oder Lähmungen spazieren. Auch für uns war das wie ein kleines Wunder. Seitdem heißt »gesundes« Essen für ihn: Wurst, Pommes, Schnitzel und Burger – eben viel Salz. Und »schlechtes« Essen bedeutet: Obst, Gemüse und Salat.

Seit knapp zwei Jahren hatte der Professor keine Lähmung mehr. Er ist geheilt – nach fünfzig Jahren Elend! Er entwickelte eine eigene Formel, mit der er berechnen kann, wie seine Kraft eine Stunde nach dem Essen sein wird – abhängig vom Kalium- und Natriumgehalt der Lebensmittel. Bislang ist diese Krankengeschichte einzigartig auf der Welt.

Professor Dr. Jürgen Schäfer ist Internist, Kardiologe, Endokrinologe und Leiter des Zentrums für unerkannte und seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum Marburg.

FIEBER NACH ACHT MONATEN

Ein Handwerker wird schwer krank: Seine Körpertemperatur steigt auf vierzig Grad, die Milz schwillt an. Hat er Blutkrebs? Ein Arzt, der als Student zwei Tropenkrankheiten durchlitt, stellt schließlich die richtigen Fragen.

Von Professor Dr. Christoph Lübbert

Aufgezeichnet von Christoph Koch

Zu Anfang kannte ich den Mann nur aus einer Krankengeschichte. Ein Kollege erzählte sie auf dem Stationsflur: »Vorige Woche hatten wir einen Patienten, hohes Fieber, mehr als vierzig Grad. Schwer krank war er, mit starken Blutbildveränderungen. Wir haben alles Gängige getestet: Bakterien, Viren, Pilze. Es ergab sich nichts Konkretes.«

Meine Neugier war geweckt – doch der Kranke schon fort. Sein Fieber hatte man erfolgreich bekämpft, und nachdem die im heutigen Abrechnungssystem als angemessen geltende Verweildauer abgelaufen war, wurde er entlassen. Geblieben war nur das Rätsel.

Es hätte mich gereizt, dieses Rätsel zu lösen. Als Student bin ich weit gereist, auch durch Afrika. Am eigenen Leib habe ich erfahren, wie sich Krankheiten anfühlen, die bei uns kaum jemand kennt. Auf dem Deck eines Schiffes auf dem Tanganjikasee durchfieberte ich eine Amöbenruhr. Im Okavangodelta Botswanas bekam ich durch Süßwasserkontakt eine Bilharziose – aus Wasserschnecken freigesetzte Larven bohren sich durch die Haut und besiedeln den Körper als Parasiten. Auch damit wurde ich fertig. Aber die Erfahrungen haben schließlich dazu geführt, dass ich heute neben meinem »Brotberuf« des Gastroenterologen und Infektiologen auch als Tropenarzt qualifiziert bin. Das sollte sich als nützlich erweisen.

Denn der Patient kam zurück, extrem geschwächt. Das Fieber war sehr hoch, das Blutbild schwer gestört, seine Milz enorm geschwollen. Konnte es eine Krebsinfiltration des Knochenmarks sein? Dort wird das Blut gebildet. Oder war es das seltene Lymphom in der Milz? Doch all diese Vermutungen waren schon widerlegt, als ich den Mann zum ersten Mal sah. Aus seinen Augen sprach nackte Angst. Er hatte wochenlang gelitten, Ursache unbekannt, und nun der Tumorverdacht und die Todesfurcht.

Konnte es eine exotische Krankheit sein? Bei einem bodenständigen Handwerker, mitten aus Deutschland, der angab, nie in einer Gegend gewesen zu sein, die den Tropenarzt gewöhnlich interessiert? Nein, er sei kein Weltenbummler, sagte der Mann. Nur Mallorca, ab und zu, zuletzt bereits vor acht Monaten.

Malaria schloss ich aus – das Fieber folgte nicht den typischen Rhythmen. Doch es gibt eine tropische Krankheit, die zu den Symptomen zu passen schien. In Indien kennt man sie als »Kala Azar«, schwarzes Fieber. Winzige Parasiten lösen sie aus, von Mücken übertragen. Viszerale Leishmaniose lautet der wissenschaftliche Name. Ihr Erreger ist trickreich: Er lässt sich von den Fresszellen des Blutes verschlingen, überlebt jedoch in ihnen und vermehrt sich. Dann befällt er das Knochenmark, die Milz, die Leber und weitere Organe. Tatsächlich: Auch die Leber fanden wir bei unserem Patienten vergrößert, ein Zeichen eines Befalls der großen inneren Organe.

Gegen den Parasiten bildet das Immunsystem unverwechselbare Antikörper. Daher sandten wir Blutproben an das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Das Ergebnis: positiv. Eine abermalige Punktion des Knochenmarks sicherte den Erregernachweis auch unter dem Mikroskop. Wir hatten nun genügend Grund für eine Therapie gegen Leishmaniose. Um den Fall genauestens zu klären, bat ich noch Spezialisten in Berlin, im Knochenmarkblut die Gene des Erregers zu suchen – und auch das war ein Volltreffer!

Wenn man bedenkt, dass unser Patient unbehandelt nach wenigen Monaten gestorben wäre, erscheint die Behandlung beinahe banal: Heute wissen wir, dass eine einzige Dosis eines speziellen Arzneimittels die Leishmaniose besiegen kann. Es ist teuer, aber der Effekt erinnert an eine Wunderheilung. So war es auch hier: Aus dem Schwerkranken wurde ein Gesunder.

In einem Land, wo die Leishmaniose grassiert, wäre die Diagnose sicher leichter gefunden worden. Doch die wenigsten wissen, dass sie heute rund um das Mittelmeer vorkommen kann, und längst nicht mehr tief unten in Indien oder Afrika. Auf Mallorca etwa haben sich die Erreger in streunenden Hunden festgesetzt.

Und hinter dem Hotel unseres Patienten, so fand man heraus, brüteten die Überträger des Parasiten: Schmetterlingsmücken.

Professor Dr. Christoph Lübbert ist Internist und Leiter des Fachbereichs Infektions- und Tropenmedizin in der Klinik für Gastroenterologie und Rheumatologie am Uniklinikum Leipzig.

GEFÄHRLICHE KÜGELCHEN

Eine Frau kann nicht laufen, sie hat Sehstörungen und Halluzinationen. Ein Arzt findet heraus, wie alles begann: mit einem Urlaub auf Sri Lanka.

Von Dr. Tobias Meyer

Aufgezeichnet von Nicole Heißmann

Die Patientin, Mitte fünfzig, kam mit dem Rettungswagen vom Hamburger Flughafen in die Notaufnahme. Ihr Mann begleitete sie. Die beiden hatten Urlaub in Griechenland gemacht. Dort hatte die Frau fast nur im Bett gelegen, mit Übelkeit, Schwächegefühl und Sehstörungen. Sie kam in katastrophalem Zustand zu uns: Sie konnte nicht mehr laufen, wirkte abgemagert und hatte Halluzinationen.

Auf der Intensivstation wurde sie von mir betreut. Die Natriumkonzentration im Blut war zu gering – ein Zeichen, dass die Nieren zu wenig Wasser ausscheiden. Dadurch werden Blutsalze wie Natrium gefährlich verdünnt. Ich vermutete, dass die Frau zu viel ADH im Blut hatte, ein Hormon, das Wasser im Körper zurückhält. Einige Arzneimittel, aber auch Tumoren erhöhen das ADH. Medikamente nehme sie nicht, sagte die Frau. Aber sie habe ein Schilddrüsenkarzinom und schwarzen Hautkrebs gehabt. War der Krebs nun zurückgekehrt? Doch im Blut fand sich kein Tumormarker, und auch in der Computertomografie und im Kernspin war nichts zu sehen.

Die Frau bekam zunächst Kochsalzinfusionen. Trotzdem sank ihr Natriumspiegel weiter ab. Daraufhin verschrieb ich Tabletten, die die ADH-Wirkung blockieren. Nach zehn Tagen normalisierte sich der Natriumwert – aber sonst ging es der Frau nicht besser. Ich fragte noch einmal, ob sie nicht doch irgendetwas eingenommen habe. Na ja, sagte sie, sie nehme seit ein paar Monaten »solche ayurvedischen Pillen«, aber das seien nur Naturheilmittel. Ich begann im Internet nachzuforschen und las, dass viele ayurvedische Präparate neben Pflanzenbestandteilen auch Schwermetalle wie Quecksilber und Blei sowie Arsen oder Selen enthielten.

Wir untersuchten das Blut der Patientin auf Schwermetalle und fanden erhöhte Blei- und extrem hohe Quecksilberwerte. Wir begannen sofort mit einer Entgiftung mittels Infusionen, die die Ausscheidung der Metalle erleichtern – dreizehn Wochen lang dauerte das Prozedere. Der Ehemann brachte uns derweil diverse Klarsichttüten voller schwarzer, brauner und olivfarbener Kügelchen und Tabletten. Bei Analysen am Uni-Klinikum Eppendorf fanden sich darin reichlich Quecksilber und Blei. Am schlimmsten war eine Packung pechschwarzer Kügelchen: Sie bestanden zu fünfzig Prozent aus Quecksilbersalzen, und deren Konzentration lag mehr als 500 000-fach über geltenden Grenzwerten.

Im Gespräch stellte sich heraus, dass das Ehepaar vor mehr als vier Monaten zu einer Ayurveda-Kur nach Sri Lanka geflogen war: ein Wohlfühlprogramm mit Massagen, Ölgüssen und individuell zubereitetem Essen. Dort waren sie von einer deutschen Ayurveda-Heilerin betreut worden, die ihnen auch die Mittel verkauft hatte. Damit hatte sich die Patientin schleichend vergiftet. Als ich ihr das sagte, begann sie zu weinen. Sie hatte sich dort gut aufgehoben gefühlt und hatte der deutschen Therapeutin vertraut. Nun war sie wütend und verzweifelt.

Quecksilber greift das Nervensystem an – das erklärte, warum die Frau verwirrt war und sich kaum bewegen konnte. Was den Natriummangel ausgelöst hatte, ist unklar. Nach der Entgiftung musste die Patientin acht Wochen in eine neurologische Reha. Laufen und Rad fahren konnte sie erst nach einem Jahr wieder. Als wir den Fall publik machten, meldeten sich weitere Betroffene. Wir ließen ihre Präparate untersuchen und fanden in mehr als der Hälfte aller Pillen Schwermetalle. Einige versuchten, die Hotels auf Sri Lanka zu verklagen: ohne Erfolg. Ayurveda gilt dort als anerkannt, den lukrativen Tourismus will niemand gefährden. Unsere Patientin traf sich sogar in Deutschland mit ihrer Ayurveda-Heilerin, die ihr nun »andere« Mittel empfahl. Auch sie wurde nie belangt.

Mich fasziniert, wie stark sich Menschen an alternative Therapien binden und seltsame Kügelchen schlucken, ohne den Inhalt zu kennen. Als Arzt frage ich heute bei unklaren Symptomen intensiver nach: Haben Sie nicht doch irgendwas genommen? Und ich empfehle: Machen Sie gern Ayurveda, genießen Sie das Essen und die Ölgüsse. Aber nehmen Sie nie, wirklich nie, die Präparate.

Dr. Tobias Meyer ist Chefarzt der Abteilung für Nephrologie an der Asklepios Klinik Barmbek in Hamburg.

TRÜGERISCHES TRAINING

In der Notaufnahme klagt ein Triathlet über Brustschmerzen. Ein Arzt hält ihn für überanstrengt – bis der Sportler von seinen Eltern erzählt.

Von Dr. Jörg Carlsson

Aufgezeichnet von Lisa McMinn

Das Auffälligste an dem Patienten, der im vergangenen Sommer in unserer Notaufnahme erschien, war sein Outfit. Mit klackernden Schritten lief er durch die Tür, groß und muskulös, an seinen Füßen Klickpedal-Schuhe, die Oberschenkel in strammen Radlerhosen.

Er komme gerade von einer Radtour, erklärte der Mann meinem Kollegen. 120 Kilometer sei er gefahren, er trainiere für einen Triathlon. Nun klagte er über Schmerzen in der Brust. Ein dumpfer, drückender Schmerz, der in beide Arme ausstrahlte. Typische Anzeichen für einen Herzinfarkt, vermutete der junge Assistenzarzt. Er nahm dem Patienten Blut ab und verordnete ein EKG.

Im Blut des Patienten fand der Arzt eine erhöhte Konzentration Troponin. Das Protein wird freigesetzt, wenn Herzmuskelzellen absterben. Es dient als wichtiger Hinweis auf einen Herzinfarkt oder eine Entzündung der Herzmuskulatur. Normalerweise ist das Eiweiß im Blut kaum vorhanden.

Doch der Wert ist eben nur ein Hinweis – kein Beweis. Es gibt noch eine weitere Situation, in der Troponin im Blut erhöht sein kann: nach extremer körperlicher Anstrengung. Wenn im Sommer Tausende Marathonläufer durch unsere Stadt jagen, landen davon gewöhnlich einige in der Notaufnahme. Mit schmerzenden Körpern, mit Organen, die verrückt spielen – und eben häufig mit einem hohen Troponinwert im Blut. Woran das liegt? Die Gründe sind bislang unbekannt. Möglich wäre, dass Sport bei Überanstrengung zu einer Art winzigem Infarkt führt, den man nicht bemerkt. Die besagten Marathonläufer sind in der Regel überanstrengt, aber völlig gesund.

So wird es auch bei diesem Sportler sein, schloss mein Kollege nach einem Blick auf das EKG. Denn das sah unauffällig aus. Zwar pumpte das Herz langsam, aber mit 42 Schlägen pro Minute war die Frequenz bei dem gut trainierten 45-Jährigen kein Grund zur Sorge. Ein Infarkt, ausgelöst durch ein verstopftes Herzkranzgefäß, würde sich im EKG abbilden, so dachte der Kollege. Es war jedoch nichts zu sehen. Nach zwei Stunden schickte er den Patienten nach Hause. Die Ursache für den Schmerz hatte er nicht gefunden. Doch der Druck in der Brust hatte nachgelassen, und der Triathlet wollte rasch wieder gehen.

Zwei Monate später kam der Schmerz zurück, kräftiger und dumpfer als zuvor. Dieses Mal war der Mann zu Hause davon überrascht worden. Trainiert hatte er an diesem Tag nicht. Er konnte kaum noch aufstehen, jeder Atemzug schmerzte, und sein Oberkörper war wie betäubt. Er rief einen Rettungswagen. Noch im Wohnzimmer erstellten die Sanitäter ein EKG, und was sie darauf sahen, war eindeutig: Der Mann hatte einen Herzinfarkt erlitten. Sie brachten ihn direkt zu mir in die Klinik. Pfleger und Schwestern hoben ihn auf den Behandlungstisch. Während der Patient für die Herzkatheteruntersuchung vorbereitet wurde, fragte ich, ob Herzinfarkte in seiner Familie schon einmal vorgekommen seien. Sowohl die Mutter als auch der Vater hätten schon in jungen Jahren einen Herzinfarkt erlitten, sagte er. Er selbst habe vor fünf Jahren sein Leben komplett umgestellt. Vorher sei er übergewichtig gewesen, habe viel geraucht, und auch der Cholesterinwert sei erhöht gewesen.

Aus dem sportlichen Mann wurde plötzlich ein Risikopatient. Meine Kollegen in der Notaufnahme hatten sich von seinem Erscheinungsbild täuschen lassen und den kleinen Herzinfarkt, den er damals erlitten haben muss, nicht erkannt. Sein hartes Fahrradtraining hatte den erhöhten Troponinwert einfach »weg erklärt«. Und das EKG war nicht sensibel genug gewesen – nicht alle Infarkte, vor allem nicht die kleinen, sind darauf sichtbar. Die Familiengeschichte zeichnete jetzt ein ganz anderes Bild.

Ich führte den Katheter, einen dünnen Plastikschlauch, durch die rechte Armarterie bis zu den Herzkranzgefäßen vor. Eines war völlig verschossen, zwei weitere waren verengt. Drei Stents, Röhrchen aus Metallgitter, wurden eingesetzt, um die Stellen zu weiten.

In diesem Fall hätte wohl kein technisches Gerät zur richtigen Diagnose geführt. Was half, waren die richtigen Fragen. Auch wenn es in der Notaufnahme hektisch zugeht, für die Geschichte eines Patienten und seiner Familie müssen wir Ärzte uns Zeit nehmen. Vom Triathlon riet ich dem Mann ab. Jetzt läuft er die Halbmarathon-Distanz.

Professor Dr. Jörg Carlsson ist Kardiologe an der Medizinischen Klinik Länssjukhuset in Kalmar in Schweden.

SCHATTEN IM BLICK

Eine Frau hat Sprechprobleme und ein Ekzem im Gesicht. Ein Arzt findet heraus, was ein Abend im Elternhaus Jahre zuvor damit zu tun hat.

Von Dr. Christian Peter Dogs

Aufgezeichnet von Nina Poelchau

Eine ausgesprochen gepflegte junge Frau kam zu mir in die Sprechstunde: Kostüm, Ohrringe, schicker Haarschnitt. Aber wie sah ihr Gesicht aus! Die fahle Haut war übersät mit Pickeln, die Augen blickten stumpf. Im Gespräch hatte sie Probleme bei der Wortfindung, sie wirkte extrem unsicher, ihre Ausstrahlung hatte etwas Verzweifeltes. Sie erzählte mir, sie habe vor einigen Jahren eine Schizophrenie attestiert bekommen. Sie nehme seither spezielle Medikamente, Neuroleptika. Und es gehe ihr unglaublich schlecht.

Ich vertiefte mich in die dicke Krankenakte und erfuhr: Als Achtzehnjährige hatte sie an einem Abend in ihrem Elternhaus nicht mehr aufhören können zu weinen, sie hatte extreme Angst, ja, Panikattacken gehabt – deshalb war sie in ein Krankenhaus gebracht und von den Ärzten in die Psychiatrie überwiesen worden. Aus den Berichten ging hervor, dass sie dort ihre Symptome hatte schildern sollen und gefragt worden war, ob sie irgendwelche unangenehmen merkwürdigen Wahrnehmungen hätte. In den Akten war von »Schatten an der Wand« die Rede, die die junge Frau halluziniere. Mir berichtete die Patientin, sie sei damals vollkommen verschreckt gewesen, und die Schatten, die die Vorhänge in dem Untersuchungszimmer geworfen hatten, habe sie als unheimlich empfunden – und das gesagt. Der Arzt hatte ihr eine »paranoide Schizophrenie« attestiert und hochpotente Neuroleptika verordnet. Eine Schizophrenie ist eine der schwersten psychischen Erkrankungen. In den »produktiven Phasen« kann es zu Halluzinationen kommen.

Die Medikamente hatten anfangs durchaus angstlösend gewirkt – aber auch schwere Nebenwirkungen gehabt: Die Patientin hatte sich selbst nicht mehr gefühlt, hatte gezittert und nicht mehr richtig denken können. Sie war immer wieder aufgelöst durch die Straßen geirrt, hatte verwirrt gewirkt und deshalb viele Wochen in der stationären Psychiatrie und später in einer Tagesklinik verbracht.

Niemand hatte an der Diagnose gezweifelt. Niemand hatte überlegt, ob die Symptome von den Medikamenten hatten kommen können. Schließlich war auch noch ein manchmal stark juckendes Ekzem im Gesicht und am Oberkörper ausgebrochen. Trotz allem hatte die Frau es später irgendwie geschafft, eine kaufmännische Ausbildung zu absolvieren, und sogar einen Arbeitsplatz gefunden. Aber ihr Leben war extrem anstrengend gewesen.

Einmal hatte sie einen anderen Psychiater aufgesucht. Der bezweifelte, dass die Medikation passe, und empfahl ihr, herumzuprobieren, die Dosis zu verringern oder mal alles abzusetzen und abzuwarten, was passiere. Die Frau war damit jedoch überfordert. Denn bei der Einnahme solcher Arzneien, die massiv auf den Gehirnstoffwechsel wirken, brauchen Patienten professionelle Begleitung. Die plötzliche Reduzierung kann epileptische Anfälle oder schwere Absetzsymptome provozieren.

Ich fragte die Frau, was eigentlich damals, als das Ganze anfing, los gewesen sei. Sie erzählte mir, dass etwas für sie Schreckliches passiert sei. Ihre Eltern hätten mit einem Mal ständig Konflikte gehabt und an jenem Abend beschlossen, sich zu trennen. Sie sei zutiefst verzweifelt, richtig panisch gewesen. Die Eltern waren offenbar ganz mit sich selbst beschäftigt, sie konnten ihre Tochter nicht auffangen. Sie brachten das aufgelöste Mädchen ins Krankenhaus – und das Drama nahm seinen Lauf.

Unter meiner Behandlung hat die Frau die Neuroleptika über zehn Wochen »ausgeschlichen« – wir haben die Dosis nach und nach reduziert. Das Ekzem, das durch das Arzneimittel verursacht wurde, verschwand. Sie gewann ihre geistige Klarheit und Lebensfreude zurück. Für mich bestätigte sich meine Vermutung: Sie war an keiner Schizophrenie erkrankt, und es hatte nicht eine einzige »produktive Phase«, kein wahnhaftes Erleben, keinerlei Halluzinationen gegeben. Vielmehr war sie durch die Krise der Eltern überfordert gewesen. Ziemlich sicher hätten damals eine kurzfristige medikamentöse Intervention und eine Psychotherapie genügt, um sie zu stabilisieren.

Es gibt vieles, was sie jetzt verarbeiten muss, schlimme Situationen in der Psychiatrie gehören dazu. Zurzeit nimmt sie ein leichtes Medikament, das die Angst reduziert. Nur vorübergehend, bis sie wieder richtig in der Welt angekommen ist – da bin ich zuversichtlich.

Dr. Christian Peter Dogs ist niedergelassener Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Nonnenhorn bei Lindau.

DER BLAUE DAUMEN

Der Finger eines Kindes schwillt auf die doppelte Größe an. Jahrelang weiß kein Arzt Rat – bis zu einer zufälligen Begegnung auf dem Spielplatz.

Von Dr. Jörg Seemann

Aufgezeichnet von Claudia Neumair

Als das pausbäckige, blonde Mädchen mit seiner Mutter zur Tür hereinkam, war es noch etwas ängstlich. Schließlich hatte Isabel in den vergangenen dreieinhalb Jahren keine guten Erfahrungen in Kliniken gemacht. Nun setzte die Familie all ihre Hoffnung in mich. Die Mutter begann zu erzählen.

Als Isabel zur Welt kam, schien alles in Ordnung. Lediglich im Nagelbett ihres rechten Daumens war ein kleiner bläulicher Fleck zu sehen. Die Ärzte gingen von einem Bluterguss aus, der bei der Geburt entstanden war. Kein Grund zur Sorge also. Doch kurz nach Isabels erstem Geburtstag begann sich der Fleck zu verändern. Von Tag zu Tag wurde er größer. Irgendwann war das ganze Nagelbett blau angelaufen. Dann schwoll auch noch der Daumen binnen weniger Wochen auf das Doppelte seiner Größe an und verfärbte sich blaulila. Häufig deutete das Kind auf den Finger und sagte »Aua«.

Isabels Mutter suchte Rat beim Kinderarzt. Doch der hatte so etwas noch nie gesehen. In der Hoffnung auf Antworten stellte er Fotos des Daumens im Internet in ein Ärzteportal und bat um Hilfe. Aber keiner wusste Rat. Die Mutter fuhr mit ihrer Tochter in vier verschiedene Kinderkliniken. Ein Arzt glaubte, es handele sich um ein Hämangiom – einen gutartigen Gefäßtumor, der sich meist von selbst zurückbildet. Ein anderer wollte es mit einem Präparat versuchen, das sich noch in der Erprobung befand. Absolut sicher war sich keiner. Die Mutter hörte auf ihr Bauchgefühl und lehnte alle Vorschläge ab. Auch Besuche bei Osteopathen und Heilpraktikern blieben ergebnislos.

Das Mädchen war inzwischen im Kindergarten. Mit der rechten Hand konnte es weder Malstift noch Löffel halten, Isabel musste auf links umschulen. Sie fragte die Mutter oft: »Kann man den Daumen nicht einfach abschneiden?« Die Hoffnung, dass sie geheilt wurde, schwand von Tag zu Tag.

Dann aber war die Lösung plötzlich ganz nah. Auf einem Spielplatz sprach eine fremde Frau Isabels Mutter auf den Daumen an. Sie äußerte den Verdacht, dass es dieselbe Krankheit sein könnte, an der ihre Tochter litt. Und sie erzählte, dass sie Hilfe bei meinen Kollegen und mir gefunden hatte.

Da Isabel und die Mutter in Süddeutschland wohnten, rund 700 Kilometer entfernt von unserem Zentrum für Vaskuläre Malformationen in Eberswalde, hatten wir zuerst nur telefonischen Kontakt. So wie die Mutter den Daumen beschrieb, war für uns schnell klar: Isabel musste an einer angeborenen Fehlbildung des venösen Gefäßsystems leiden. Die betroffenen Venen sind verformt, und es fehlt ihnen an Festigkeit, wodurch sich an der Stelle mit der Zeit immer mehr Blut ansammelt und der Bereich anschwillt. Vaskuläre Malformationen können im gesamten Körper auftreten. Allerdings sind sie sehr selten – auf 10 000 Menschen kommen eineinhalb Fälle. Daher ist es nicht verwunderlich, dass viele Ärzte die Krankheit nicht erkennen.

Isabels Mutter ließ sich unsere Ferndiagnose in einer Klinik in ihrer Nähe bestätigen. Doch obwohl die Krankheit nun einen Namen hatte, war der Leidensweg des Mädchens noch nicht zu Ende. Bei der darauffolgenden Operation wurden Fehler gemacht. Der Daumen platzte auf, es bildete sich Narbengewebe, und der Finger war noch dicker als zuvor. Die verzweifelte Mutter entschied sich, zu uns zu fahren.

Nachdem ich Isabel untersucht hatte, führte ich im Abstand von mehreren Monaten zweimal eine Sklerotherapie durch: Dabei spritzt der Arzt ein spezielles Präparat, das eine Entzündungsreaktion auslöst, in die fehlgebildeten Venen. Nach einer ersten kurzzeitigen Verschlechterung beginnt die Schwellung abzuklingen, weil sich die Gefäße verschließen.

Heute geht Isabel in die erste Klasse. Mit einer Schreibhilfe kann sie in ihrer rechten Hand einen Stift halten. Zwar wird die Krankheit das Mädchen weiter begleiten, und es muss wohl noch häufiger operiert werden, aber es wird ein schmerzfreies und normales Leben führen können. Dank einer zufälligen Begegnung auf dem Spielplatz.

Dr. Jörg Seemann ist Chefarzt für Radiologie am Werner Forßmann Krankenhaus und Experte am Zentrum für Vasculäre Malformationen Eberswalde.

MAHLZEIT!

Eine Frau leidet an Schwindelattacken und Übelkeit. Hat sie Migräne? Eine Ärztin findet die Ursache: Alles fing mit einem Stich an.

Von Dr. Ute Lepp

Aufgezeichnet von Beate Wagner

Bei einer Feier, nach ein paar Happen vom Käsebüfett, war es zum ersten Mal passiert. Das zweite Mal ereignete sich nach einer Bratwurst am Imbiss, das dritte Mal nach einem Kalbsbraten. Die Patientin, die in meiner Sprechstunde saß, erzählte mir von Situationen, in denen ihr Kreislauf verrücktgespielt hatte. Jeweils zwei Stunden nach den Mahlzeiten war ihr übel und schwindelig gewesen, sie wäre fast ohnmächtig geworden. Ein befreundeter Arzt vermutete, dass eine neu aufgetretene Migräne dahinterstecken könnte. Dass sich die Beschwerden nach den Mahlzeiten zeigten, hielt er für Zufall.

Als die Frau beim dritten Mal am ganzen Körper Blasen entdeckt hatte, kam sie zu mir. Ich tippte zuerst auf ein Nesselfieber. Diese allergische Hautreaktion zeigt sich mit Quaddeln, die Haut ist geschwollen, gerötet und juckt. Manchmal kommt es dabei auch zu Kreislaufproblemen. Was aber war der Auslöser? Ein Infekt? Ein neues Medikament? Hatten die akuten Situationen irgendetwas gemeinsam? Das Einzige, was der Patientin einfiel, waren die Mahlzeiten.

Ich erinnerte mich an einen früheren Fall: Damals war ich wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Forschungsinstituts. Eine Patientin reagierte mehrmals auf den Verzehr von Schweinenieren mit Atemnot, Schwindel und Hautausschlag. Wir hegten den Verdacht, dass sie eine Fleischallergie hatte – konnten das aber nie endgültig bestätigen. Heute ist mir klar, warum. Die zu der Zeit gängige Lehrmeinung war: Allergien werden nur durch Proteine, also Eiweißstrukturen, ausgelöst. Wir suchten bei dem damaligen Fall nach Eiweißen, die für die allergische Reaktion nach den Schweinenieren verantwortlich sein sollten. Das war falsch. Im Jahr 2009 zeigten amerikanische Wissenschaftler, dass es wirklich eine Fleischallergie gibt: Sie ist selten und wird durch eine spezielle Zuckerverbindung ausgelöst, kurz genannt Alpha-Gal.

Meine Patientin und ich sprachen die drei Situationen, in denen die Symptome aufgetreten waren, ganz genau durch. Es kam heraus: Vor dem Käsebüfett hatte sie Fleisch gegessen, und jedes Mal hatte sie Alkohol getrunken. Das konnte kein Zufall sein! Allergien treten meist nicht von einem Tag auf den anderen auf – sie entwickeln sich. Das erklärte, dass die Frau zuvor Fleisch ohne Beschwerden hatte essen können. Zudem treten Allergien häufig erst zutage, wenn noch andere Faktoren hinzukommen: etwa die Einnahme von Schmerzmitteln, körperliche Anstrengung oder Fieber. Bei der Patientin war es die Kombination Fleisch und Alkohol.

Es folgten diverse Allergietests: Die Frau reagierte empfindlich auf Katzen und Hausstaub – das hatte sie bislang nie wahrgenommen. Ein Hauttest auf Nahrungsmittel blieb unauffällig. Ein Bluttest dagegen ergab, dass sie Antikörper gegen den Zucker Alpha-Gal gebildet hatte – und gegen Milch. Wer war nun der Übeltäter: Milch oder Fleisch? Die Antwort fanden wir auf der »Allergiekonferenz Buxtehude«.

Einmal im Monat diskutieren hier Internisten, Hautärzte, Lungenexperten, Kinderärzte und Labormediziner schwierige Fälle. Die Ernährungsexpertin, die zuvor in meinem Auftrag ausführlich mit der Patientin gesprochen hatte, berichtete, dass die Frau jeden Tag Milch trank – ohne Beschwerden. Also musste es das Fleisch sein, auf das sie reagierte.

Die Entstehung einer Fleischallergie hat stets eine besondere Vorgeschichte: Es geht immer ein Zeckenstich voraus. Denn nicht nur in rotem Fleisch und Innereien ist der Zucker Alpha-Gal enthalten, sondern auch im Speichel von speziellen Zecken. In Europa ist wahrscheinlich die Gattung Ixodes ricinus für die Allergieauslösung verantwortlich. Bei einem Stich des Spinnentiers gelangt Alpha-Gal in das menschliche Blut. Bei einigen wenigen Menschen bildet das Immunsystem Antikörper gegen das fremde Molekül, der Organismus ist gegen Alpha-Gal sensibilisiert. Isst der Betroffene danach rotes Fleisch, reagiert sein Körper mit allergischen Symptomen.

Meine Patientin hatte sich den Zeckenstich wahrscheinlich unbemerkt bei der Gartenarbeit zugezogen. Seit sie die Ursache ihrer allergischen Schübe kennt, ist rotes Fleisch für sie tabu.

Dr. Ute Lepp arbeitet als niedergelassene Internistin, Allergologin und Lungenexpertin in Buxtehude.

GESCHENK DES HIMMELS

Eine junge Frau soll operiert werden. Bei einer Voruntersuchung macht ihre Gynäkologin eine wundersame Entdeckung.

Von Dr. Ursula Neubauer

Aufgezeichnet von Anika Geisler

Ein guter persönlicher Kontakt zu meinen Patientinnen ist mir wichtig. Oft mache ich mir am Computer Notizen in die Akte – als Erinnerungsstütze. Damit ich das nächste Mal weiß, worum es bei den Frauen im Leben gerade geht, oder was sie bewegt. Da steht dann: studiert Logopädie. Oder: hat sich gerade von ihrem Mann getrennt. Oder: geht als Au-pair nach Kanada.

Bei einer Patientin aber brauchte ich keine Notiz – sie wird mir auch so immer in Erinnerung bleiben. Erstens: weil ich total baff war. Zweitens: weil sie und ihr Mann sich so sehr gefreut haben. Und drittens: weil ich bei diesem Fall erlebt habe, dass in der Medizin manches nicht mit der üblichen Logik zu erklären ist.

Ich kannte die Frau nicht; sie war neu in unserer Praxis. Es gab nur von der telefonischen Anmeldung einen kurzen Eintrag in der Patientenakte: »Hymenalstenose, kommt zu uns zur OP-Beratung«. Das hieß übersetzt: Das Jungfernhäutchen war stark und intakt und nicht auf natürlichem Weg zu durchbrechen.

So ein Befund ist gar nicht so selten. Betroffene Teenager etwa erzählen mir oft im Erstgespräch, dass sie keine Tampons verwenden können. Einige bekommen starke Bauchschmerzen, wenn ihre Regel eintritt und das Blut nicht abfließen kann. Dann wird während eines operativen Eingriffs das verdickte Jungfernhäutchen in Narkose durchtrennt.

Diese Patientin aber gab ein komplett anderes Bild ab als die Jugendlichen, die ich sonst mit dem Befund behandele. Eine erwachsene Frau in buntem Kleid betrat das Untersuchungszimmer, vergnügt lächelnd, Hand in Hand mit ihrem Ehemann. Erst vor Kurzem war sie von weit her nach Deutschland gezogen. Ihr Mann, der seit vielen Jahren hierzulande lebte und arbeitete, übersetzte für sie.

Mit der Periode habe sie nie Probleme gehabt, sagte sie. Nur mit dem Sex sei es schwierig. Seit sie verheiratet sei, habe sie Geschlechtsverkehr, aber der klappe irgendwie nicht richtig. Eine andere Frauenärztin habe bereits eine Diagnose gestellt und ihr wegen des nicht zu durchtrennenden Jungfernhäutchens zu einer Operation in unserer Praxis geraten. Aber nun sei etwas dazwischengekommen. Sie lachte ihren Mann an. Der sagte: »Die Periode ist ausgeblieben, und der Schwangerschaftstest aus der Apotheke ist positiv.«

Ich wunderte mich und bat die Patientin, auf dem Untersuchungsstuhl Platz zu nehmen. Ihr Mann setzte sich an das Kopfende. Ich schaute, versuchte, mich voranzutasten, aber bekam nicht einmal die Kuppe meines Fingers in die Vagina. Dann probierte ich es vorsichtig mit einem Wattestäbchen. Dabei stieß ich immer wieder gegen ein sehr festes Jungfernhäutchen. Lediglich eine winzige Öffnung entdeckte ich darin, etwa vier Millimeter groß. Klare Sache: Die Patientin war Jungfrau.

Danach machte ich einen Ultraschall über die Bauchdecke. Und war vollkommen verblüfft: Tatsächlich sah ich einen winzigen, dunklen Punkt auf dem Monitor. Das war die Fruchthöhle in der Gebärmutter. Die Frau war in der fünften Woche schwanger.