Die Diplomatin - Lucy Fricke - E-Book
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Die Diplomatin E-Book

Lucy Fricke

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Beschreibung

»Aktueller denn je: Wie geht man vor, wenn man etwas erreichen will, ohne dass es eskaliert? Ein Roman über die Kunst der Diplomatie.« Die ZEIT Dann steht man da und ist nur Deutschland. Fred ist eine erfahrene und ehrgeizige deutsche Konsulin. Eine Frau, die eigentlich nichts aus der Ruhe bringt, überall und nirgends zu Hause. Dann jedoch, in Montevideo, scheitert sie erstmals in ihrer Karriere. Sie wird versetzt ins politisch aufgeheizte Istanbul, ihrer bisher größten Herausforderung. Zwischen Justizpalast und Sommerresidenz, Geheimdienst und deutsch-türkischer Zusammenarbeit, zwischen Affäre und Einsamkeit stößt sie an die Grenzen von Freundschaft, Rechtsstaatlichkeit und europäischer Idee. In ihrem fulminanten, so komischen wie bitteren neuen Roman erzählt Lucy Fricke von einer Diplomatin, die den Glauben an die Diplomatie verliert – und das, was in ihrem Beruf das Wichtigste ist: die Geduld.

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Die Diplomatin

Die Autorin

LUCY FRICKE wurde in Hamburg geboren und lebt in Berlin. Für ihre Arbeiten wurde sie vielfach ausgezeichnet, zuletzt war sie Stipendiatin der Kulturakademie Tarabya in Istanbul. Ihr Roman »Töchter« erhielt 2018 den Bayrischen Buchpreis, wurde in acht Sprachen übersetzt und fürs Kino verfilmt.

Das Buch

»ICH STEHE DA RUM UND BIN NUR DEUTSCHLAND«Fred ist eine erfahrene und ehrgeizige deutsche Konsulin. Eine Frau, die eigentlich nichts aus der Ruhe bringt, überall und nirgends zu Hause. Dann jedoch, in Montevideo, scheitert sie erstmals in ihrer Karriere. Sie wird versetzt ins politisch aufgeheizte Istanbul, ihre bisher größte Herausforderung. Zwischen Justizpalast und Sommerresidenz, Geheimdienst und deutsch-türkischer Zusammenarbeit, zwischen Affäre und Einsamkeit stößt sie an die Grenzen von Freundschaft, Rechtsstaatlichkeit und europäischer Idee.In ihrem fulminanten, so komischen wie bitteren neuen Roman erzählt Lucy Fricke von einer Diplomatin, die den Glauben an die Diplomatie verliert – und das, was in ihrem Beruf das Wichtigste ist: die Geduld.

Lucy Fricke

Die Diplomatin

Roman

Ullstein

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claassen ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH© 2022 by Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinAlle Rechte vorbehaltenGestaltung: BÜRO JORGE SCHMIDT, MünchenUmschlagillustration: © Anastasy_helter & Ton Photographer 4289 / ShutterstockAutorenfoto: © Gerald von ForisE-Book-Konvertierung powered by PepyrusAlle Rechte vorbehalten.ISBN 978-3-8437-2653-5

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Inhalt

Titelei

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

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HAMBURG

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Anhang

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

MONTEVIDEO

Dank

Die Autorin danktder Kulturakademie Tarabya, Istanbul,und der Villa Concordia, Bamberg,für die Unterstützung.

Hinweis

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre so zufällig wie alles andere im Leben.

MONTEVIDEO

1

Vor dem Fenster knatterte die deutsche Flagge im Wind. Jeder erste Blick nach draußen war schwarz-rot-gelb. Ich nahm sie kaum noch wahr, die Flagge, sie war ein Teil des Himmels geworden, eine festhängende Wolke.

Erschöpft legte ich das Telefon auf den Tisch. Mein zweiter Mann hatte angerufen und von Burn-out gesprochen, von seinem Arzt erzählt, der ihn für vier Wochen krankgeschrieben habe, absolute Ruhe empfahl, maximal Gartenarbeit. Es tue ihm wirklich sehr leid, hatte er in den Hörer gemurmelt und gehofft, ich werde Verständnis haben.

Wie konnte man in Montevideo ein Burn-out bekommen, noch dazu als zweiter Mann? Er war gerade mal vierzig. Genau das Alter, in dem es bei anderen endlich nach oben ging, mein zweiter Mann hingegen war beim Blick auf den Strand zusammengebrochen. Vielleicht wollte er sich mehr um seine beiden Kinder kümmern, dafür war ein Anfall von Erschöpfung immer eine gute Gelegenheit. Die wirklich wichtigen Dinge: Familie, Garten, Glück. All das, wozu es bei mir nie gekommen war, wenn man von zwei verlorenen Schwangerschaften und der einen großen, weggeworfenen Liebe absah.

Und nun war ich in einem Land auf Posten, wo Kühe auf endlosen Weiden lebten und stets die Asche von Grillkohle durch die Luft wirbelte. Wo Homo-Ehe, Abtreibungen und Marihuana legal waren. Wo die Leute grundsätzlich nur eine Hand frei hatten, weil sie in der anderen den Matebecher hielten, während im Nachbarstaat die Revolution losbrach. Ausgerechnet in dieses Paradies hatte man mich geschickt. Sechzehn Flugstunden von der Zentrale entfernt, da kam selten mal jemand vorbei, kein Minister, keine Delegation, die sich an diesen friedlichen Flecken verirren würden. Ich hätte den besten Job der Welt machen können, niemand hätte es bemerkt. Von Gestaltungsspielraum sprachen die Kollegen gern, und die Personalabteilung hatte mir zu der einzigartigen Möglichkeit gratuliert. Mir blieb nichts, als sie zu nutzen.

Valentina brachte Kaffee und frisches Brot an den gedeckten Tisch, ohne mich dabei anzusehen. Sie bewegte sich noch immer wie ein Geist, wir beide bewegten uns auf diese Art, als könnten wir aneinander zerschellen. Sie war in meinem Alter, was die Sache nicht einfacher machte. Man will von Menschen seines Alters nicht bedient werden. Ist man sich nur in einer Sache ähnlich, werden die Unterschiede umso deutlicher. Sie werden zu Gräben. Ob es mir gefiel oder nicht, ich hatte mich gewöhnt an diese Gräben, war von ihnen umgeben, war zu einer Festung geworden. Und diese Festung verließ jetzt die Residenz, wie an jedem Morgen: stolz und aufrecht.

Draußen waren die Hecken gestutzt und der Rasen gemäht, sogar die Palmenblätter glänzten. Der Sicherheitsmann grüßte aus seinem Häuschen, und Carlos hielt mir mit einem »Guten Morgen, Eure Exzellenz« die Wagentür auf.

Im Erfahrungsbericht meines Vorgängers hatte gestanden: Genießen Sie es! Dies ist das wunderbarste Land der Welt. Ich lasse Ihnen ein paar Restaurantempfehlungen da.

Ich hatte das Papier umgedreht, die Schubladen des leeren Schreibtisches geöffnet, die Sekretärin gefragt, doch es blieb das Einzige, was er mir dagelassen hatte. Ein paar Hinweise, wo sich gut essen ließ. Vielleicht gab es mehr nicht zu sagen. Nicht ohne Grund gab es bei uns den alten Spruch: Der Vorgänger ist der größte Idiot und der Nachfolger der größte Verbrecher. Ich hatte ihn nie kennengelernt, war ihm womöglich einmal begegnet, ohne mich daran zu erinnern. Es war sein erster und letzter Posten als Botschafter gewesen, er war in die verdiente Rente gegangen, in die Bedeutungslosigkeit. Wahrscheinlich konnte er nicht fassen, dass eine zwanzig Jahre jüngere Frau nun seine Stellung übernahm. Er war auf die neue Zeit nicht vorbereitet, und er konnte von Glück reden, dass seine vorbei war.

Wir fuhren die Rambla hinunter, und ich blätterte auf der Rückbank durch die Tagespresse. Mein erster Termin war der Caterer. Er wollte mit mir über das Essen sprechen und vor allem über die elenden Zelte. Weiß, hatte ich gesagt, ganz normal weiß. Aber offenbar waren die knapp, die ganz normalen Dinge, zur Mangelware geworden. Seit ich vor sechs Wochen angelandet war, ging es nur um dieses Ereignis, die gesamte Botschaft war mit nichts anderem beschäftigt als dem Tag der Deutschen Einheit, Anlass für das größte Fest, das wir im Jahr ausrichteten. Ich war ganz unten angekommen, im Eventmanagement.

»Ihr Vorgänger hat immer die deutschen Farben bestellt«, sagte Carlos. »Zelte und Servietten, alles deutsch. Sah schön aus.«

Carlos’ Familie war Ende der Dreißigerjahre eingewandert. Wann immer man hier auf eine deutsche Herkunft traf, waren es jüdische Vorfahren. Alles Juden, keine Nazis, niemals. Als hätten die sich in Luft aufgelöst, aus den Erinnerungen gelöscht und niemals fortgepflanzt.

Carlos interessierte sich weder für Religion noch für Politik, er erklärte mir nicht die Welt, er erklärte mir den Fußball. Ohne ihn würde ich hier keinen einzigen Empfang überstehen. Er hatte mir seinen Lieblingsclub nahegelegt, damit könnte ich am wenigsten falsch machen, damit legte ich genau die richtige Underdog-Einstellung an den Tag. Muy amable, das war das Wichtigste, wenn man einen Fuß in die Tür bekommen wollte. Später könnte ich immer noch mit den Arschlöchern golfen gehen, meinte Carlos. Er war mit mir zum Spielfeld der ersten Weltmeisterschaft gefahren, die vor fast hundert Jahren hier stattgefunden hatte und von der nur noch eine einzelne Markierung am Boden geblieben war, ein letzter, ständig erneuerter Strich, die Torlinie, über die der alles entscheidende Ball für den Gastgeber gegangen war. Die Geburtsstunde der besten Fußballnation der Welt. Für diesen Mythos verbrachten sie die Kindheit auf dem Bolzplatz und ihre Jugend in Trainingslagern. Manchmal hatte ich das Gefühl, Carlos habe den gleichen Reiseführer gelesen wie ich, kurz bevor ich in Bagdad als Leiterin der Rechts- und Konsularabteilung meine Kartons packte. Ein irritierender Umzug war das gewesen, nachts konnte ich kaum schlafen in dieser satten, wunschlosen Stille, tagsüber brachte die Friedlichkeit meine Gedanken zum Erliegen.

Carlos lächelte mich über den Rückspiegel an, erzählte mir kaum etwas Neues, und ich tat trotzdem jedes Mal überrascht, schließlich wollte kein Mann hören, dass er klang wie ein veralteter Lonely Planet.

Ich wandte den Blick ab, sah aus dem Fenster der Limousine, rechts die zehngeschossigen Wohnhäuser, links der Atlantik, vor uns der Stau, jeden Tag Stau, eine Stunde für fünfzehn Kilometer. Es war Mitte September, der Frühling kroch in die Stadt, und abends applaudierten sie draußen dem Sonnenuntergang, so glückselig war dieses Land.

Es hieß, der Minister persönlich habe mich nach oben geschossen. Mit Ende vierzig ein Posten als Botschafterin, das galt bei uns als kleine Sensation. Es hieß auch, es gebe kaum genügend kompetente Frauen, um die Quote zu erfüllen. Endlich das richtige Geschlecht, dachte ich. Nach jahrzehntelangen Kämpfen und fast zwanzig Jahren im Amt endlich den Nachteil zum Vorteil gekehrt. Ausgerechnet ich: Tochter einer alleinerziehenden Kellnerin, aufgewachsen in einem Hamburger Arbeiterviertel, zu einer Zeit, in der es solche Begriffe noch gab.

»Schauen Sie mal!«, rief Carlos und zeigte auf einen Paraglider, der über dem Strand schwebte, an einem Gleitschirm in den knallblauen Farben der konservativen Partei. »Dafür haben sie Geld, arme Idioten unter einen Schirm zu hängen. Und damit wollen sie die Wahl gewinnen.« Er lachte. »So sieht er aus, der Rettungsschirm.«

Wir steuerten auf die Botschaft zu, ein Bau aus den Fünfzigerjahren, an dessen Umzäunung Fotos der Berliner Mauer hingen, Aufbau, Fall und Einheitsfeier am Brandenburger Tor. Diese Bilder, für die uns die ganze Welt liebte. Der trockene Brunnen vor dem Haus war das Werk eines deutschen Architekten, ein karges Objekt aus Rechtecken und Rauten in Gelb-Blau-Rot, inzwischen vollkommen verrottet. Der Verwalter hatte mir gesagt, er werde nur bei hochrangigen Besuchen angeschaltet, man könne am Zustand des Brunnens also vorzüglich erkennen, wo wir hier seien.

Noch in der ersten Woche hatte ich einen Antrag beim Liegenschaftsamt gestellt, weil ich eine Bauruine für einen wenig geeigneten ersten Eindruck hielt. Mit Glück würden sie uns am Ende meiner Zeit das Geld bewilligen, und ich würde zumindest einen sprudelnden Brunnen hinterlassen.

2

Ich hatte mich für diesen Beruf entschieden, weil ich etwas bewirken wollte. Und jetzt hatte ich eine geschlagene Stunde über Grillfleisch und Bratwürstchen diskutiert. Direkt hinter der Grenze gebe es diesen deutschen Schlachter, nach seinen Würsten seien die Leute hier verrückt, ja, eigentlich kämen sie überhaupt nur wegen der Würste zu unseren Botschaftsempfängen, keinesfalls dürfte ich die weglassen, die Enttäuschung in der internationalen Gemeinschaft werde grenzenlos sein, Sie wissen ja, wie nachtragend die Gemeinschaft ist, besonders die internationale.

Mit anderen Worten: Wenn ich die Einheitswürste wegließ, könnte ich direkt wieder meine Sachen packen.

Noch viel aufreibender als die Gespräche über das Grillen waren jene über die Hymne.

»Eingespielt von CD?«

»Zu lieblos.«

»Gesungen?«

»Von wem?«

»Vielleicht jemanden einfliegen?«

»Nur für die Hymne?«

»Nein, für die Gäste.«

Allerdings, das sagte man mir sofort: »Wenn jemand eine Einladung hierher bekommt, hofft er eh, dass es am Ende nicht klappt.«

Es war zum Verrücktwerden.

Es sei halt scheißweit, sechzehn Stunden Flug, nur um für ein paar Kröten die Hymne zu singen. Klimatechnisch könne man das kaum mehr vertreten. Gerade die Künstler bestünden jetzt alle auf dem CO2-Ausgleich.

»Der ist bei dieser Strecke höher als das Honorar, das sage ich Ihnen.«

Ich nickte und machte mir Notizen. Langsam bekam ich richtig Lust, dass das eine legendäre Party wurde.

»Mit Kapelle?«, fragte ich und überlegte, wen ich einladen könnte, es musste doch Musiker geben, die Lust hatten auf das andere Ende der Welt und für die ein paar Kröten, wie mein Leiter Kultur sich ausdrückte, immer noch Geld waren. Berlin war voll von diesen Leuten.

»Zu teuer«, sagte er. »Jahresbudget.«

Aber es lebe hier seit Kurzem ein wirklich guter Kontrabassist. Sehr renommiert, Preise und so. Allerdings politisch, nun ja, schwierig. Er sei ausgewandert, lebe hier quasi im Exil.

»Wegen der Liebe?«, fragte ich. Weil es am Ende doch meistens die Liebe war, die Menschen noch in Bewegung versetzte. Die Liebe oder die Verzweiflung über ein gescheitertes Leben, nicht selten fiel beides zusammen.

»Nein, wegen der Muslime.«

»Aber es gibt hier doch gar keine Muslime.«

»Eben«, sagte die Kultur. »Deutschland ist zu einem islamischen Land geworden, behauptet er, kurz vor der Scharia. Und da ist er kurzerhand ausgewandert. Ein Lebensabend ganz ohne Muslime.«

»Alles, nur kein Nazi auf einer Botschaftsfeier«, sagte ich.

»Er ist kein Nazi, er ist Kontrabassist.«

»Auf keinen Fall.«

Die Kultur nickte und strich den Namen auf seiner Liste durch.

»Ja«, sagte er, »dann wird es schwierig.«

»Wollen Sie sagen, wir haben hier nur Nazis im Exil?«

»Nun, Geschichte wiederholt sich.«

»Nein, Geschichte reimt sich. Alles kommt wieder, alles ein wenig anders als zuvor. Aber nichts wiederholt sich.«

»Wie Sie meinen.«

Die Kultur starrte aus dem Fenster. Zwischen zwei Palmen übte jemand Seiltanz, und ein Hund pinkelte an die Goethe-Büste auf der anderen Straßenseite.

Er stöhnte leise.

»Es ist nur eine Kopie, wissen Sie, das Original steht in Frankreich. Sie haben nur diese Kopie hier aufgestellt, an die von morgens bis abends die Hunde urinieren. Es kostet mich einiges an Optimismus, das nicht als Metapher zu betrachten.«

»Es ist nur eine Büste«, sagte ich.

Traurig wandte er den Blick auf das Porträt des Bundespräsidenten, das hinter meinem Kopf hing.

»Gehen Sie zu dem Empfang heute Abend?«, fragte er.

Ich nickte.

»Irgendwo ist immer gerade ein Nationalfeiertag, nicht wahr?«

»Das ist leider richtig.«

»Haben Sie dort etwas zu tun? Irgendwelche Treffen?«

»Nein. Ich stehe da rum und bin nur Deutschland.«

»Man geht als Blumentopf, sage ich immer. Ach, diese verdammten Blumentopfabende«, seufzte er und verließ mit müden Schritten mein Büro.

Ich sah auf das schlammige Meer draußen, während der Computer hochfuhr. Es tauchte der gleiche Bildschirm auf wie auf jedem Posten. Egal, wo man saß auf der Welt, der Bildschirm blieb derselbe, diese Oberfläche war mein Zuhause, da konnte vorm Fenster das Paradies sein oder ein bewachter Schutzwall im Irak.

3

Am Nachmittag war ich im Büro des Polizeichefs gewesen, Kontaktaufnahme und Aufbau des Netzwerks, ein Punkt auf meiner Liste, die ich akribisch abhakte. Zur Begrüßung hatte ich ihm eine Solartaschenlampe mit dem Aufdruck meines Heimatlandes überreicht und dabei Haltung zu bewahren versucht. Es war albern, überflüssig und nahezu demütigend, dem Polizeichef eine Taschenlampe zu schenken. Allerdings war die Auswahl bei uns nicht groß, Notizbuch, Plastikfüller oder der Katalog zur aktuellen Bauhaus-Ausstellung. Wir hatten eine so panische Angst davor, auch nur in den Verdacht der Korruption zu geraten, dass wir ausschließlich Geschenke zum Wegwerfen mitbrachten. Der Polizeichef hatte keine Miene verzogen, hinter sich auf den Schreibtisch gegriffen und mir eine gerahmte Willkommens-Urkunde überreicht. Ein stoischer Kerl, dem ein Ohrläppchen fehlte und der, wie eigentlich alle hier, darauf bestand, dass ich ihn duzte. Héctor hatte mir einen Matetee angeboten und mir versprochen, dass wir niemals etwas miteinander zu tun hätten. Die wilden Zeiten seien lange vorbei, sagte er mit einem Stolz, als sei dies sein Verdienst.

Jetzt betrachtete ich die kleine aufgedruckte Flagge, den Schriftzug Bienvenido a Uruguay und meinen mit Feder geschriebenen Namen: Friederike Andermann. So stand er in meinen Pässen, doch für alle, die mich kannten, war ich Fred, schon immer. Auch wenn der Name in meiner Kindheit, als ich noch Latzhose und Turnschuhe aus Plastik getragen hatte, vielleicht passender gewesen war als jetzt. In einem knielangen dunkelblauen Rock, mit halb offener Bluse und einem Glas Riesling Hochgewächs von der Mosel, den ich für Empfänge und Anlässe palettenweise zugeschickt bekam, thronte ich in einem Sessel, in dem schon mein Vorgänger und wahrscheinlich auch dessen Vorgänger gesessen hatte. Ein fester cremeweißer Bezug, im Rücken ein steifes Kissen. Mein privater Bereich in der Botschaft sah aus wie jede beliebige Suite im Hilton. Ob die gerahmte Urkunde etwas daran verbessern würde, war fraglich, aber immerhin war sie erheiternder als das aquarellierte Alpenglühen, das ich bei dieser Gelegenheit hatte entfernen lassen.

Ich besaß wenig Gespür für das Private, das Persönliche oder für das, was man gemeinhin gemütlich nannte. Wo ich herkam, war man glücklich, wenn man vier Wände hatte, an die man Raufaser kleben konnte. Die Kollegen im diplomatischen Dienst hatten ihre Ehefrauen, die sich um die Residenz kümmerten, um das Personal und die Einladungen, um Innenausstattung und Deko, um Charity und Kultur. Sie waren klug, gepflegt, manchmal sogar unterhaltsam. Es war nicht bloß eine Generation von Botschaftern, die jetzt in Rente ging, es war auch eine Generation von Ehefrauen, die sich verabschiedete und nicht nachwuchs.

Männer dieser Art brauchte man nicht zu suchen. Wann immer ich einen begleitenden Ehemann kennengelernt hatte, war dieser das Unglück in Person gewesen, ein liebes, versoffenes Etwas, das gut kochte und sich mit Pflanzen auskannte, gern wandern ging, manchmal Klavier spielte und an alldem nach und nach die Lust verlor. Ich wusste nicht, woran es lag, aber im Schatten einer Frau schien jeder Mann zu verkümmern.

Mein Fast-Ehemann war in der Hinsicht sehr vorausschauend gewesen, wir trennten uns während meines ersten Auslandspostens. Er könne kein MAP sein, kein mitausreisender Partner oder wie er vermutete: man at the pool. Noch Jahre später stritten wir darüber, wer eigentlich wen verlassen hatte. Verliebt hatten wir uns zu Beginn unseres Jurastudiums, waren noch vor dem Abschluss zusammengezogen, und als wir uns wenige Jahre später die erste Einbauküche leisten konnten, merkten wir, dass unsere Ziele nicht mehr dieselben waren. Er träumte von einer Kanzlei und einem Zuhause mit Vorgarten, ich von der Welt. Er wollte Kinder, ich hatte mir nicht nur die Schuld für meine beiden Fehlgeburten gegeben, sondern insgeheim geglaubt, es sei Absicht gewesen. Ich begann mich für einen schlechten Menschen zu halten, der auf den Wunsch nach Ehe und Familie keine Antwort wusste. In dem Alter, in dem andere Frauen Mütter wurden, wurde ich einsam, und da war es längst zu spät für die Ehe mit einem Diplomaten. Die anderen hatten sich während ihrer Ausbildung kennengelernt, gingen gemeinsam mit den beiden Kindern auf Posten, verbrachten viele Jahre in der Zentrale, und wenn die Erziehung abgeschlossen war, widmeten sich beide vollständig und getrennt ihrem unaufhaltsamen Aufstieg. Sie lebten in verschiedenen Städten und Ländern und erzählten jedem ungefragt, dass sie einander der größte Halt seien. Als Altersruhesitz hatten sie früh ein Haus in Südfrankreich oder der Uckermark erworben, dort würden sie endlich gemeinsam kochen, das würde schön werden, da war sogar ich mir sicher. Es gab Liebe, die so rational war, dass sie durch nichts zerstört werden konnte.

Ich knöpfte meine Bluse zu, stürzte den Riesling hinunter und ging repräsentieren in einem anderen fernen Land, nur vier Straßen weiter in Richtung Westen.