Die Dynamik der Kreativität -  - E-Book

Die Dynamik der Kreativität E-Book

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Beschreibung

Im Bildungsbereich wird an vielen Stellen Kreativität eingefordert. Dabei steht fest: Kreativität verlangt handwerkliches Können, Anstrengungsbereitschaft und Risikofreude. Kreativität ist ein komplexes Phänomen: Es geht um originelle Problemlösungen, um das Finden neuer Ideen oder das Herstellen neuer Produkte. Expertinnen und Experten aus Erziehungswissen­schaft, Psychologie, Neurowissenschaft, Entwicklungspsychologie, Therapie und Philosophie diskutieren neue Forschungen zur Kreativität und geben Anregungen zur Kreativitätsförderung im pädagogischen Kontext. Mit Beiträgen von: Markus Hengstschläger Klaus K. Urban Eva Dreher Andreas Fink Rainer M. Holm-Hadulla Donata Elschenbroich Margret Rasfeld Ute Lauterbach Anton A. Bucher

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Die Dynamikder Kreativität

VERLAG ANTON PUSTET

VERLAG ANTON PUSTET

DIE DYNAMIK DER

KREATIVITÄT

Anna Maria KalcherKarin Lauermann (Hg.)

Internationale Pädagogische Werktagung SalzburgTagungsband der 63. Tagung 2014

Katholisches Bildungswerk SalzburgF.W.-Raiffeisenstraße 2, 5061 Elsbethen, Österreichwww.bildungskirche.at

Mit freundlicher Unterstützung der Universität Salzburg und der Caritas Österreich.

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2014 Verlag Anton Pustet5020 Salzburg, Bergstraße 12Sämtliche Rechte vorbehalten.

Coverfoto:Mit Genehmigung von shutterstock.com, © Elena Schweitzer 2014

Grafik, Satz und Produktion: Tanja KühnelLektorat: Dorothea Forster

ISBN 978-3-7025-8023-0

www.pustet.at

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Individualität als Erfolgsmotor

Markus Hengstschläger

Verantwortliche Kreatelligenz® als Zukunftskompetenz

Klaus K. Urban

Kreativität und EntwicklungslogikZur Faszination der Kreativität von Kindern

Eva Dreher

Kreativität und Förderung von Kreativitätaus Sicht der Neurowissenschaften

Andreas Fink

Therapeutische Aspekte der Kreativität

Rainer M. Holm-Hadulla

Wunderkammern des AlltagsKinder und Eltern entdecken das Mehr in den Dingen

Donata Elschenbroich

Selbstvertrauen durch Gestalten und HandelnVisionen einer neuen Schule

Margret Rasfeld

Sich losreißen und sich entwerfenDie schöpferische Pause als Zwischenhalt zum Umsteigen

Ute Lauterbach

Wenn es uns zufälltInspiration, Kreativität, Spiritualität

Anton A. Bucher

Autorinnen und Autoren

Herausgeberinnen

Anna Maria Kalcher, Karin Lauermann

Vorwort

Kreativität hat Hochkonjunktur. Im Bildungsbereich wird vielerorts Kreativität eingefordert. Dabei steht fest: Kreativität verlangt handwerkliches Können, Anstrengungsbereitschaft und Risikofreude.

Bei kreativem Denken und Handeln stehen originelle Problemlösungen, Denkleistungen bzw. das Finden und Herstellen neuer Ideen oder Produkte im Fokus. Dies macht das Phänomen Kreativität zugleich interessant wie auch komplex. Seit den 1950er-Jahren, die den Beginn der Kreativitätsforschung markieren, werden zahlreiche Theorien und Konzepte zur Kreativität vorgelegt. Deren Durchsicht zeigt: Um Kreativität verstehen zu können, muss sie in ihrer Multikausalität beleuchtet werden.

Die 63. Internationale Pädagogische Werktagung Salzburg hat im Juli 2014 Expertinnen und Experten unterschiedlicher Fachdisziplinen eingeladen, um verschiedene Facetten des Themas zu diskutieren. Ein besonderes Anliegen lag darin, neueste Forschungen zur Kreativität hinsichtlich pädagogischer Handlungsspielräume zu reflektieren. Ein wichtiges Fazit hierzu lautet: Kreativitätsförderung beginnt damit, kreative Leistungen von Kindern und Jugendlichen als solche zu erkennen. Des Weiteren galt es, Alltagsvorstellungen und stark verkürzte Auffassungen von Kreativität zu erweitern und zu differenzieren.

Der Genetiker Markus Hengstschläger plädiert in seinem Beitrag für eine Bildungskultur, die Individualität in den Mittelpunkt stellt und die Stärken Einzelner fördert. Kreativität entspringt individuellen Talenten, die es zu entdecken und in Leistung zu übersetzen gilt. Dafür sind harte Arbeit und Üben unumgänglich.

Klaus Urban, Professor für Psychologie, gibt einen Überblick über verschiedene Konzepte und Erklärungsansätze für Kreativität und präsentiert sein »Komponentenmodell der Kreativität«. Dabei wird Kreativität nicht als eine singuläre Fähigkeit oder eindimensionales Konzept verstanden, sondern als komplexes Modell, um »Verantwortliche Kreatelligenz®« als Zukunftskompetenz zu erreichen.

Eva Dreher folgt aus dem Blickwinkel der Entwicklungspsychologie der Frage: Was begeistert Erwachsene, wenn von kindlicher Kreativität die Rede ist? Eine Frage, die zu Kreativität als Entwicklungsressource führt. In Orientierung an Jean Piagets Ideen zum »Aufbau der Wirklichkeit« im kindlichen Denken und Handeln richtet der Beitrag seinen Blick auf das Verstehen der »kreativen Architektur« von Entwicklungslogiken und öffnet Zugänge zu Ideen und Maßnahmen einer fördernden (oder auch einschränkenden) Entwicklungsbegleitung.

Der Psychologe Andreas Fink pointiert Kreativität als eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Weiterkommen in beruflichen und privaten Belangen. Aus der Sicht der Neurowissenschaft nimmt er der Kreativität den Nimbus der geheimnisvollen Natur: Kreativität geht mit gewöhnlichen Denkprozessen einher und kann durch geeignete Techniken oder Trainingsprogramme gefördert werden.

Rainer M. Holm-Hadulla, Professor für Psychotherapeutische Medizin und Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, folgt Beschreibungen von Künstlerinnen und Künstlern, wie sie psychische Krisen durch schöpferische Tätigkeiten bewältigen, und expliziert anhand von Goethes Schaffen, aber auch an Beispielen unserer Zeit, wie durch Kreativität traumatische Erlebnisse bewältigt werden können.

Aus der Perspektive einer differenzierten und feinsinnigen Beobachterin beschreibt die Erziehungswissenschaftlerin und Filmemacherin Donata Elschenbroich, welche Faszination in sogenannten Alltagsdingen liegt und wie diese zur Kreativität führen können. Mit viel Einfühlungsvermögen zeigt sie, wie Kinder das Mehr in den Dingen entdecken und welche Rolle dabei Erwachsene einnehmen sollten, um diese Entdeckungsreisen optimal zu begleiten.

Visionen einer neuen Schule, die Fehlerfreundlichkeit, Anerkennung und Kreativität sowie die Persönlichkeitsentfaltung junger Menschen ins Zentrum rückt, erläutert die Schulleiterin Margret Rasfeld. Anhand vieler konkreter Beispiele zeigt sie Wege einer anderen Schulkultur.

Ute Lauterbach wählt philosophische Zugänge zum Thema und ermuntert dazu, das eigene Leben immer wieder neu zu entwerfen. Besonderen Wert legt sie dabei auf die schöpferische Pause, auf das Innehalten und Nachsinnen, um aus diesem Fokussiert-Sein die Quellen der Kreativität immer wieder neu zu finden.

Der Erziehungswissenschaftler und Theologe Anton A. Bucher stellt empirische Arbeiten zur Inspirationsforschung vor und diskutiert Inspiration und Kreativität im Kontext von Spiritualität. Er beschreibt anhand von Schilderungen bekannter Kunstschaffender sowie Philosophinnen und Philosophen, wie sich jede und jeder Einzelne für Inspirationserfahrungen öffnen kann.

Mit der vorliegenden Publikation möge es gelingen, den Blick für kreative Leistungen zu öffnen und zu präzisieren. Wird Kreativität erkannt und geschätzt, können auch Originalität, Individualität und damit Toleranz und Anerkennung wachsen. Toleranz und Anerkennung für schöpferische Lösungsstrategien, für innovative Ideen und einzigartige Werke, für ein Gegenden-Strom-Schwimmen und den Mut, den eigenen Weg immer wieder zu suchen und zu gehen. Dazu möchten wir alle Leserinnen und Leser ermutigen.

Anna Maria Kalcher und Karin Lauermann

Anmerkung

Die in diesem Band gesammelten Texte spiegeln die Gedanken und Auffassungen der Autorinnen und Autoren wider. Für die Korrektheit der Zitationen zeichnen allein diese verantwortlich.

Markus Hengstschläger

Individualität als Erfolgsmotor

Zusammenfassung

Einerseits ist der Mensch nicht auf seine Gene reduzierbar. Er ist das Produkt der Wechselwirkung zwischen Genetik und Umwelt. Andererseits werden zwei Menschen, die genau gleich viel üben, dennoch nicht das gleiche Niveau erreichen. Umgangssprachlich hört man dazu stets: »So etwas hat man eben oder eben nicht!« Für jeden Erfolg gibt es eine besondere Leistungsvoraussetzung – ein oder mehrere Talente. Aber Talent allein ist noch keinerlei Erfolgsgarantie. Vielmehr ist harte Arbeit erforderlich und es gilt, die entdeckten Talente in eine besondere Leistung, in Erfolg umzusetzen.

In diesem Beitrag wird thematisiert, warum Individualität als höchstes Gut anzustreben ist und welchen Beitrag Bildungsinstitutionen zur Förderung individueller Talente leisten können. Frei nach dem Motto: Gene sind nur Bleistift und Papier, aber die Geschichte schreiben wir selbst. Jede Geschichte ist es wert, geschrieben zu werden! Wir brauchen Peaks und Freaks!

Das aktuell Erstrebenswerteste, was man offensichtlich über die (seine eigene) nächste Generation sagen möchte, scheint eher eine Beschreibung idealisierter Unsichtbarkeit zu sein. »Wie geht es dir mit deinem Sohn?«, fragt der eine Vater den anderen. Die immer öfter gegebene, weil auch immer öfter gewünschte Antwort darauf: »Meiner? Herrlich, großartig … so angenehm. Weißt du, wir haben keinerlei Probleme mit ihm … so angenehm … der fällt überhaupt nicht auf, immer schön im Durchschnitt. Der ist noch nie unangenehm aufgefallen. Bitte, er ist auch noch nicht besonders angenehm aufgefallen. Hauptsache ist aber doch – nicht auffallen. Das macht doch nur Probleme – für ihn und für uns. Nein, so etwas macht meiner mir nicht!« (Un)auffällig unauffällig – der Traum aller Erziehungsberechtigten, Erziehungsverpflichteten.

Was mich daran stört? Dass diese beiden Väter das größte Kapital für die Zukunft unseres Planeten verschleudern. Sie meinen: Ach was, das größte Kapital sind Rohstoffe und billige Arbeitskräfte? Zugegeben, höre ich auch des Öfteren. Aber wir wissen doch alle, die gehen uns schneller aus, als uns lieb ist. Das größte und einzige Kapital, auf das sich verlässlich und nachhaltig bauen lässt, ist die Individualität unseres Humankapitals.

Ein System, in dem alle Teile möglichst nah an einem gemeinsamen Durchschnitt sind, ist für die Zukunft in keinerlei Weise gerüstet. Selbst wenn man denkt, einen hohen Wert anzustreben. Das Problem ist die fehlende Varianz, fehlende Individualität. Wenn in der Zukunft ein Problem auftaucht, das das System nicht kennt oder eben noch nicht kennt, so wird der Durchschnitt – und in diesem Fall damit alle (weil ja schließlich alle nah am Durchschnitt und daher sehr ähnlich wären) – keinerlei Antwort darauf bieten. Wenn das System aber eine höchstmögliche Streuung aufweist, also von Verschiedenartigkeit und Individualität nur so strotzt, wird vielleicht eine bzw. einer oder auch eine zweite bzw. ein zweiter, mit ihrem bzw. seinem individuellen Ansatz, mit ihren bzw. seinen ganz eigenen Denkmustern eine Antwort finden können. Fragen, die aus der Zukunft auf uns zukommen, die wir heute (logischerweise) noch nicht kennen, werden dann von einem durchschnittsorientierten System beantwortet oder gelöst werden können, wenn sie möglichst nah am Vorstellbaren, Kalkulierbaren, Einschätzbaren und Voraussehbaren sind. Aber was an der Zukunft ist schon wirklich vorstellbar, kalkulierbar, einschätzbar und voraussehbar? Eben.

Sie werden sagen, was soll’s? Wer macht das schon? Wer orientiert sich denn schon am Durchschnitt? Das könnte doch nur eine oder einer tun, die bzw. der dumm genug wäre zu glauben, die Fragen der Zukunft heute schon zu kennen. Das könnte doch nur eine oder einer tun, die bzw. der dumm genug wäre zu meinen, heute schon wissen zu können, was wir morgen wirklich brauchen, was morgen auf uns zukommt. Leute, die das von sich behaupten, sitzen üblicherweise in kleinen Hinterzimmern oder Zelten eines Wanderzirkus vor einer Glaskugel, leise, verraucht und ehrfurchtsvoll die Worte hauchend: »Ich sehe in Ihrer Zukunft einen Mann, schön, reich, klug und Ihnen jeden Wunsch von den Lippen ablesend!«

Wer also ist dumm genug, sich an einem in der Verzweiflung des Gefechtes erfundenen und dann auch noch als ideal postulierten Durchschnitt zu orientieren? Ein Schulsystem, das die Schülerinnen und Schüler anhält, doch dort am meisten zu lernen, wo sie die schlechtesten Noten haben, um sich auf Kosten jener Zeit, die sie mit ihren Stärken hätten verbringen können, doch rasch wieder im Durchschnitt einzureihen? Ein Schulsystem, das glaubt, das Entscheidende sei, dass am Ende alle das Gleiche können? Universitäten, die ihre Studierenden danach aussuchen wollen, wie gut ihr Notendurchschnitt in der Schule war? Universitäten, die gerade zu Schulen werden mit dem Ziel, möglichst viele Studierende möglichst schnell, möglichst günstig, möglichst ohne Verluste – mit einer möglichst niedrigen Drop-out-Quote –, möglichst durchschnittlich auszubilden? Eine Bildungspolitik, die alles daran setzt, bildungsferne Schichten zur Bildung zu bringen, um den Durchschnitt zu heben? Eine Einwanderungspolitik, die heute schon weiß, welche Fachkräfte und welches Know-how wir morgen in unserem Land brauchen werden? Das kommt Ihnen alles irgendwie bekannt vor? Nun, dann wissen Sie ja schon, warum etwas dazu gesagt, warum etwas darüber geschrieben werden muss. Weil der Durchschnitt so hilflos ist. Weil der Durchschnitt niemals besondere Leistungen erbringen wird. Weil der Durchschnitt kein Instrument zur Beantwortung noch ungelöster Fragen ist. Weil Anderssein viel besser ist. Weil es nicht darum geht, besser zu sein, sondern anders zu sein. Und weil wir gerade im Begriff sind, unsere Individualität aufs Spiel zu setzen. Eben. Ich möchte Sie jetzt nicht überfordern, indem ich Ihnen all jene Beispiele, die man aktuell beobachten kann, aufzähle, die das mir unverständliche Streben nach dem Durchschnitt belegen würden. Ich weiß ohnedies, dass Sie die meisten davon (und wahrscheinlich noch viel mehr) kennen. Vielleicht halten Sie einmal kurz inne und überlegen sich selbst, wo Sie in Ihrer unmittelbaren Umgebung mit »zu viel Durchschnitt« konfrontiert sind oder waren.

Anders zu sein und möglichst viele Andere (Andersartige), Verschiedene im System zu haben ist die mächtigste Eigenschaft (um nicht zu sagen Waffe) auf dem spannenden, aber eben auch herausfordernden Weg in die Zukunft. Niemand weiß, wie die Zukunft aussieht. Niemand weiß heute schon, welche Fähigkeiten wir eines Tages zur Lösung der noch kommenden Probleme benötigen. Ein Grundelement der Zukunft ist, dass sie Neues bringt, uns Noch-nicht-Dagewesenes an den Kopf wirft, ohne Rücksicht auf unseren aktuellen Stand des Wissens. Daher kann auch niemand behaupten, der oder die eine bzw. das eine wäre heute wichtiger und förderungswürdiger als die oder der andere bzw. das andere. Wer heute wertet, wer heute von sich behauptet zu wissen, was wir wirklich brauchen werden, die bzw. der sollte wohl idealerweise eine Glaskugel haben und zumindest eine oder einen finden, die bzw. der ihr oder ihm Glauben schenkt. Niemand kann heute beweisen, was besser ist und sein wird, weil man die Zukunft nicht kennt. Niemand kann heute behaupten, was nötiger ist und sein wird, weil man die Zukunft nicht kennt. Und so lange das so bleibt (und wer glaubt schon, dass sich das jemals ändern wird), besteht die einzige Chance, sich auf die Zukunft vorzubereiten, darin, möglichst viele im System zu haben, die anders sind.

Wer einen neuen Weg gehen will, muss den alten verlassen. Individualität ist das höchste Gut, wenn es darum geht, sich auf die Zukunft vorzubereiten. Der Durchschnitt erbringt keinerlei wissenschaftliche Spitzenleistungen, die wir für eine erfolgreiche Zukunft so bitter nötig haben werden. Der Durchschnitt erbringt aber auch keine sportlichen Spitzenleistungen, keinerlei künstlerische Ausnahmeleistungen und natürlich auch keine innovativen politischen Lösungen. Der Durchschnitt ist sinnlos und gefährlich, weil er so manche in dem Glauben wiegt: »Wenn es die anderen auch so machen, wenn die anderen auch nicht anders sind, dann kann mir ja nichts passieren.« Nicht nur, dass es heute sehr beliebt ist, wenn die nächste Generation nicht auffällt. Es ist außerdem mehr als beliebt, selbst nicht aufzufallen. Nichts – so glaubt so manche oder mancher – macht stärker, denn als Tropfen im großen Meer des Durchschnitts aufzugehen. Nichts – so irren so viele – macht stärker, als sagen zu können, »wir« (und nicht ich). Die Sehnsucht, sich hinter einer Phalanx Gleichgesinnter zu verstecken, war wohl noch nie so groß: »Wir – die Briefmarkensammler, wir – die Gartenzwergsammler, wir – die Sammler der Rechten, wir – die Linkensammler, wir – die Katholikensammler, wir – die Protestantensammler, wir – die Zinnsoldatensammler, wir versammeln uns und beschließen, was für uns gut ist. Was für eine unglaubliche Freude und Macht, dass es mehr von unserer Sorte gibt.« In Wirklichkeit sollten wir alles daran setzen, eine (An-)Sammlung von Individuen zu sein bzw. zu werden, mit dem höchstmöglichen Grad an Anderssein.

Aber warum dazu Ausführungen von einem Biologen und Genetiker? Einerseits, weil das Wissen um die Macht der Individualität die Konsequenz des wohl erfolgreichsten Konzepts überhaupt ist. Und dieses Konzept, das es ermöglichte, durch eine ständig aktive Interaktion aus Genetik und Umwelt einer »Urpfütze« zu entfliehen und über einen steinigen und mit so manchem Getier gepflasterten Weg letztendlich beim Homo sapiens anzukommen, ist nun mal ein biologisches beziehungsweise genetisches. Die unglaubliche Kraft der Individualität und die Aussichtslosigkeit des Durchschnitts sind gleichermaßen Antrieb und Ergebnis der Evolution. Der Durchschnitt ist eine evolutive Sackgasse – und wir fahren gerade mit Vollgas hinein.

Und andererseits stellt die Individualität unseres Humankapitals, auf die wir bauen müssen, immer das Ergebnis der Wechselwirkung zwischen Genetik und Umwelt dar. Der Mensch ist individuell, weil er genetisch individuell ist und weil er seine individuellen Umwelteinflüsse hatte und hat. Wohingegen unsere genetische Individualität wohl (noch, solange Ideen um einen Klonmenschen Dolly nicht wieder aufflackern) unantastbar ist und bleibt, sind es die Individualität, Verschiedenartigkeit und Streuungsbreite unserer Umwelteinflüsse, die wir uns gerade selbst dezimieren. Leider vor allem auch mit negativen Auswirkungen auf die Nutzung unserer individuellen biologischen Leistungsvoraussetzungen.

Sie haben natürlich schon erkannt, dass es mir um das Engagement geht, mit dem wir darangehen, unsere individuellen Talente zu finden und es ihnen zu ermöglichen, sie optimal umzusetzen. Das Ergebnis ist in solch einem Ansatz notgedrungen immer individuell – es muss individuell sein und es muss es auch bleiben dürfen. Jede und jeder muss daher möglichst anders sein. Dass Talent oft auch eine genetische Komponente hat, ist akzeptiert: Talentiert wird man selten nur durch seine Lehrerinnen und Lehrer. Der Streit um die Frage, wie stark die genetische Komponente dabei ist, bleibt ein akademischer und aus meiner Sicht entbehrlicher. Zumeist handelt es sich ohnedies nur um eine Frage des Standpunkts. Steht man mehr auf der Seite der besonderen individuellen Leistungsvoraussetzung, mit der jeder Mensch zur Welt kommt, so müssen die Gene stark unter Verdacht stehen. Steht man aber mehr auf der ergebnisorientierten Seite, so wird vollkommen klar: Erfolg ist ausnahmslos die Konsequenz aus der Wechselwirkung zwischen Genetik und Umwelt. Talente als genetisch zumindest mitbestimmte besondere Leistungsvoraussetzungen gibt es – sie entziehen sich aber eigentlich der Messbarkeit. Beobachten, bestimmen und messen kann man sehr oft nur den Erfolg – das Produkt aus Genetik und Umwelt.

Ich gebe gerne zu, dass das jetzt etwas viel auf einmal war. Ich versuche es noch zu verdeutlichen: Zwei Menschen, die zum Beispiel in Bezug auf ihre musische Ausbildung genau die gleiche Umwelt hätten, genau gleich viel gelernt, geübt und gearbeitet hätten, mit genau den gleichen Lehrerinnen und Lehrern, würden wahrscheinlich trotzdem niemals »gleich« oder »gleich gut« singen. Ich hoffe, ich konnte das klarmachen: Die Stimme des Menschen hat ohne Zweifel biologische Komponenten, wie etwa die Länge der Stimmbänder, der Aufbau des Kehlkopfes, die umgebenden Muskeln – alles ausgesprochen individuelle und verschiedene Aspekte. Und trotzdem, ohne zu üben, üben, üben kann es nie etwas werden mit der Gesangskarriere. Jetzt haben Sie sicher verstanden, was ich meine. Der Mensch startet sein Leben nicht als Tabula rasa. Wer glaubt wirklich, dass jede und jeder singen kann wie Elīna Garanča, oder jede und jeder Fußball spielen kann wie Lionel Messi, oder dass in jedem von uns ein Albert Einstein steckt. – Es hängt nur von der Ausbildung und vom Einsatz ab. Es gibt besondere genetische Leistungsvoraussetzungen. Viel wichtiger aber ist letztendlich die oben erwähnte ergebnisorientierte Sicht. Wenn wir uns auf die Zukunft heute optimal vorbereiten wollen, muss unser Ziel sein, jeder und jedem Einzelnen die Chance zu geben, ihre bzw. seine individuellen Leistungsvoraussetzungen zu entdecken und sie durch harte Arbeit in eine besondere Leistung umzusetzen. Eine besondere individuelle Leistung ist dann schließlich der heiß ersehnte Erfolg. Besondere Leistungsvoraussetzungen allein sind eben keinerlei Erfolgsgarantie.

Besondere Leistungsvoraussetzungen (= Genetik) können nur durch harte Arbeit (= Umwelt) entdeckt und in eine besondere Leistung (= Erfolg) umgesetzt werden.

Es besteht kein Zweifel: Die Individualität in unserem System kann nicht auf die Genetik reduziert werden, der Mensch kann niemals auf seine Gene reduziert werden. Erfolg ist immer das Ergebnis der Wechselwirkung aus Genetik und Umwelt. Gene sind wie Bleistift und Papier, aber die Geschichte schreiben wir selbst. Doch es scheint, als wollten wir nicht mehr alle Geschichten lesen! Wir begehen gerade den fatalen Fehler zu glauben, nicht jeder Mensch habe Talente und nicht jedes Talent sei wertvoll. Mit diesen beiden Irrtümern muss aufgeräumt werden. Jeder Mensch besitzt Talente, sicher mehrere, vielleicht sogar viele. Und Talente können nicht gewertet werden.

Ich weiß, ich muss Sie nicht noch einmal daran erinnern, dass wir die Fragen der Zukunft nicht kennen und daher nicht wissen, welche Talente wir einmal brauchen werden, welche Begabungen einmal wichtiger sein könnten. Aber haben wir nicht ein Recht darauf, dass alles dafür getan wird, unsere Talente und die der nächsten Generationen zu entdecken? Und ja – natürlich haben wir auch das Recht, uns nicht von unserem Spektrum an persönlichen Leistungsvoraussetzungen einengen zu lassen. Wir können auf unsere Talente pfeifen. Wir können und sollen das fördern und fordern, was jede bzw. jeder Einzelne auch mit Begeisterung bereit ist zu tun. Der Erfolg wird größer sein, selbst wenn man von anderen im je eigenen Hauptinteressengebiet eine leicht talentfreie Zone bescheinigt bekommt. Was wissen die schon. Verblüfft darf man aber schon sein angesichts der Tatsache, dass offensichtlich viele Menschen glauben, die Stimme von Elīna Garanča und das Ballgefühl von Lionel Messi seien doch viel größere Talente als ihre eigenen. Sollten Ihre Freundinnen und Freunde das nächste Mal Ihre eigenen besonderen individuellen Eigenschaften und Begabungen im Vergleich mit Garanča und Messi kleinreden, vergewissern Sie sich bitte, ob sie Besitzerinnen bzw. Besitzer von Glaskugeln sind, weil sie ja offenbar wissen, welche Begabungen zur Lösung zukünftiger Probleme gebraucht werden. Ganz egal, welche Talente Sie bei sich selbst oder bei Ihren Freundinnen bzw. Freunden oder Kindern entdecken, bitte fragen Sie sich einmal, ob sie (obwohl vielleicht nicht so prominent und gut bezahlt) zur Lösung von Fragen, die in der Zukunft auf uns warten werden, nicht mehr beitragen als die richtige Stimmlage oder ein Kreuzeckschuss.

Verblüfft muss man aber auch sein, mit welcher Seelenruhe wir gerade im Begriff sind, unser größtes Kapital zu verschwenden. Wenn Sie den Weg konsequent mit mir gehen, ist Ihnen jetzt schon klar, dass ich argumentieren werde, dass wir auf kein einziges Talent verzichten können, ob wir es im Kleinkind entdecken oder bei unseren Großeltern. Lebenslanges Lernen und bildungsferne Schichten zur Bildung zu bringen, all das ist bitter nötig. Aber nicht um den Durchschnitt zu heben, sondern weil es die einzige Möglichkeit darstellt, die sonst verborgenen Talente zu entdecken und durch Erwecken in besondere Leistungen umzusetzen. Es gibt nur eine Elite. Die Elite ist in der Lage, etwas Besonderes, etwas Neues, etwas noch nie Dagewesenes zu leisten. Sie hat schöpferische Kraft. Der Durchschnitt kann das nicht, aber jedes Individuum kann das. Darum sind wir alle Elite, eine Elite aus Individuen. Diese Elite muss aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt werden. Auch Rassen gibt es nicht. Genetisch können zwei weiße Menschen weniger verwandt sein als ein weißer und ein schwarzer. Erfolg, etwas Neues zu leisten, die tägliche Mondlandung, ist keine Frage des Alters, der Religion, der Hautfarbe oder der geografischen Herkunft – jedoch eine Frage der Individualität, der Chance, seine individuellen Leistungsvoraussetzungen zu entdecken und umzusetzen. Wann auch immer, wo auch immer, wie auch immer.

Anmerkung

Originalbeitrag in: Hengstschläger, Markus (2012): Die Durchschnittsfalle. Gene – Talente – Chancen. Salzburg: Ecowin, 13–21. Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung des Verlages. Für die vorliegende Publikation wurde der Text von den Herausgeberinnen modifiziert.

Klaus K. Urban

Verantwortliche Kreatelligenz® als Zukunftskompetenz

Zusammenfassung

Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über verschiedene Konzepte und Erklärungsansätze für Kreativität. Dabei wird verdeutlicht, dass Kreativität nicht als eine singuläre Fähigkeit oder als eindimensionales Konzept verstanden werden kann, sondern dass komplexe Modelle notwendig sind, um die interagierenden Faktoren von Person, Problem, Prozess, Produkt und vielschichtiger Umwelt systemisch zu beschreiben. Das theoretische »Komponentenmodell der Kreativität« nach Urban eröffnet gleichzeitig auch die Möglichkeit der Umsetzung in die praktische pädagogische Arbeit. In Erweiterung des Modells wird schließlich »Verantwortliche Kreatelligenz®« als Zukunftskompetenz definiert und gefordert.

1. Einführung in Konzepte und Ansätze

Allgemein herrscht Übereinstimmung darüber, dass der Beginn der modernen Kreativitätsforschung bei J. P. Guilfords Referat auf dem Kongress der amerikanischen Psychologenvereinigung (APA) im Jahre 1950 anzusetzen ist. Er hatte einige, damals noch vereinzelte Forschungsbemühungen unter dem neuen Begriff »creativity« subsumiert, bei denen es um innovatives und divergentes Denken – vor allem im Interesse innovativen Managements und technologischer Weiterentwicklung – ging. Er beklagte, dass das Thema Kreativität in der Literatur kaum vertreten sei. An verschiedenen Universitäten wurden daraufhin Institute gegründet, die die Entwicklung der Kreativitätsforschung der nächsten Jahre maßgeblich beeinflussten und vorwärtsbrachten.

Gegen Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre war dann die große amerikanische Kreativitätswelle, angestoßen durch das schon genannte Referat Guilfords (1950) und hoch aufgetürmt durch den späteren Sputnik-Schock, auch nach Europa und Deutschland geschwappt. In der Bundesrepublik bzw. in deutscher Sprache erschien die erste zusammenfassende Monographie über moderne Kreativiätsforschung von Ulmann im Jahre 1968, es folgten Landau (1971) und weitere Bücher, die wie weitere folgende Veröffentlichungen der amerikanischen Tradition nahestanden. Die relative Häufung von Artikeln und Büchern über Kreativität in den 1970er-Jahren kann als Ergebnis und Ausdruck des damaligen »Zeitgeistes« interpretiert werden: der Wandel im Denken und im Verhalten, hervorgerufen durch die Studentenunruhen am Ende der 1960er-Jahre, und die Forderung nach persönlicher Freiheit und Selbstrealisierung, auch wenn die wissenschaftlichen Inhalte nicht immer diese allgemeinen, geistigen und gesellschaftlichen Trends jener Zeit reflektieren.

Ein zyklisches Ansteigen und Abschwellen des Interesses in Bezug auf einen bestimmten Inhaltsbereich kann des Öfteren beobachtet werden: Das trifft insbesondere für die Sozialwissenschaften zu. Nachdem so das Thema Kreativität in der Literatur, insbesondere in der psychologischen Literatur, gegen Ende der 1970er-Jahre fast vergessen war, schien es nach Mitte der 1980er-Jahre zunächst international wieder stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. Wiederum gegen die Mitte der 1990er-Jahre gab es auch bei den deutschsprachigen Buchpublikationen einen zahlenmäßigen Aufschwung: Scheitlin (1993), Brodbeck (1995), Bugdahl (1995), Gardner (1996), Guntern (1995, 1996), Csíkszentmihályi (1997), Goleman/Kaufman/Roy (1997), Hentig (1998), da Silva/Rydl (1999), Braun (1999).

Dieses immer wieder neu entflammende Interesse muss nun allerdings nicht zwangsläufig bedeuten, dass es auch nur Neues zu sagen gegeben hätte. Es könnte einfach sein, dass eine neue Generation von Forscherinnen und Forschern auf alte ungeklärte Fragen gestoßen ist und nun sozusagen alter Wein in neue Schläuche gefüllt wird. Es könnte aber auch der Fall sein, dass sich neue Sichtweisen und damit neue Fragen ergeben, dass sich unter neuen Paradigmen alte Probleme neu und anders formulieren lassen und so neue Antworten herausgefordert und stimuliert werden. – Womit wir schon mitten im Thema sind.

Urban (1990) hatte versucht, Trends in Kreativitätsforschung und Kreativitätstheorie in Westeuropa aufzuzeigen. Unter Vernachlässigung psychoanalytischer und (kreativitäts-)therapeutischer Ansätze wurden damals u. a. folgende Punkte hervorgehoben, die auch heute noch und weiterhin wichtige Aspekte betreffen:

• neuere diagnostische und evaluative Instrumente;

• eine komplexere, ganzheitliche Sicht;

• Integration von konvergentem und divergentem Denken;

• die Balance der Gegensätze oder die Dialektik im kreativen Prozess;

• Kreativität in Alltagssituationen;

• die Perspektive von Entwicklung und Lebensspanne;

• soziale und kollektive Kreativität (siehe dazu auch Burow 1999, 2000; Paulus/Nijstad 2003; Bosse 2007).

2. Ist Kreativität individuelle Begabung einzelner genialer Menschen oder all­ gemeines Potenzial? – Oder: »Ma håt’s oder håt’s net« versus »A jeder håt’s«

Die in der Überschrift dieses Abschnitts angesprochene Frage unterscheidet Denk- und Forschungsansätze zur Kreativität. Sie ist wesentlich für Überlegungen zur Entwicklung von Kreativität. Die Antwort wird allerdings letztlich nicht forschungslogisch erklärbar oder theoretisch ableitbar sein, sondern sie bleibt eine axiomatische Setzung, die mehr oder weniger plausibel begründet bzw. vom Zweck der jeweiligen Arbeit her abhängig ist.

Eine Perspektive ist die, dass Kreativität nur in überragenden schöpferischen Leistungen zum Ausdruck kommt, die historisch überdauernd und zumindest für ein spezielles Feld menschlicher Aktivität, wie z. B. Musik oder Naturwissenschaft oder Architektur, von umwälzender Bedeutung sind. Solche Leistungen sind ausgesprochen selten und werden nur von wenigen außergewöhnlichen Menschen erbracht. Dann ist es nur folgerichtig, dass Forschung und Theorie an solchen kreativen Produkten ansetzen und retrospektiv an den Biografien der Schöpferinnen und Schöpfer solcher Produkte arbeiten. Die Forschenden untersuchen die Werke, die Fähigkeiten, die Persönlichkeitsmerkmale, die besonderen historischen und sozialen Kontexte jener Persönlichkeiten, die sich in der Menschheitsgeschichte als kreative Individuen dank ihrer Schöpfungen etabliert haben.

So selbstverständlich und klar ein solcher Ansatz zunächst scheinen mag und so interessant die Ergebnisse solcher Forschungen auch sein mögen, so birgt dies doch eine Reihe von Problemen in sich. So ist immer mit einem schwer kalkulierbaren Ausmaß an Subjektivität (auto)biografischer Aufzeichnungen bzw. Aussagen zu rechnen. Die Rekonstruktion und Abschätzung der Wirkungsmöglichkeiten des sozialen und historischen Kontextes sind schwierig. Wie klar lässt sich das kreative Produkt definieren? Was heißt »überdauernd« und »umwälzend«, wer entscheidet darüber? Haben bestimmte herausgefilterte Persönlichkeitsmerkmale wirklich die ihnen zugeschriebene Relevanz für die Entstehung eines schöpferischen Werkes (gehabt)? Eine Überprüfungsmöglichkeit mittels Kontrollgruppen ist nicht möglich. Besonders problematisch ist die Frage, ob und inwieweit die Ergebnisse verallgemeinerbar sind. Können von ihnen Hinweise und Empfehlungen für die Entwicklung allgemein oder für die Erziehung abgeleitet werden? Eine solche Perspektive macht es auch unmöglich, von Kreativität bei Kindern zu sprechen – wenn man von wenigen »Mozarts« absieht. Zudem erschwert sie die Erforschung und Erklärung von sogenannter Alltagskreativität, falls eine solche unter diesem Paradigma überhaupt akzeptiert wird.

Cropley (1992) beschreibt ein qualitatives und ein quantitatives Modell von Kreativität. Bei Ersterem wird angenommen, dass sich kreative Menschen in qualitativer Hinsicht von anderen unterscheiden. Sie haben eine andere Persönlichkeit, ihre mentalen, sozialen und personalen Funktionen sind anders. Der kreative Prozess wird als mystisch, spirituell, unverstehbar, untestbar angesehen. Er kann nicht in einer systematischen oder brauchbaren Weise untersucht und beschrieben werden. Im Gegensatz dazu geht das quantitative Modell davon aus, dass sich kreative von nicht-kreativen Menschen lediglich in quantitativer Hinsicht unterscheiden.

In gedanklicher Annäherung an das quantitative Modell differenziere ich zumindest bezüglich zweier Referenzebenen: Auf der einen Seite, der individuellen Ebene, kann von kreativem Denken und Handeln auch gesprochen werden, wenn dieses neu und bedeutsam »nur« für das Individuum ist. Auf der anderen Seite gibt es überindividuell