Die Einsamkeit der Primzahlen - Paolo Giordano - E-Book
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Die Einsamkeit der Primzahlen E-Book

Paolo Giordano

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Beschreibung

Der große Roman einer unerfüllten Liebe Ein einziger Tag in ihrer Kindheit entscheidet über ihr Schicksal: An diesem Tag verliert Alice das Vertrauen in ihren Vater und ihre Lebenslust. Mattia hingegen verliert seine Schwester, als er sie nur ein Mal aus den Augen lässt. Jahre später lernen Mattia und Alice einander kennen. Sie scheinen füreinander bestimmt zu sein. Doch das Leben legt ihnen Hindernisse in den Weg.

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Paolo Giordano

Die Einsamkeit der Primzahlen

Roman

Aus dem Italienischen von Bruno Genzler

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Der große Roman einer unerfüllten Liebe

 

Ein einziger Tag in ihrer Kindheit entscheidet über ihr Schicksal: An diesem Tag verliert Alice das Vertrauen in ihren Vater und ihre Lebenslust. Mattia hingegen verliert seine Schwester, als er sie nur ein Mal aus den Augen lässt.

Über Paolo Giordano

Paolo Giordano wurde 1982 in Turin geboren, wo er Physik studierte und mit einer Promotion in Theoretischer Physik abschloss. Sein Debütroman, «Die Einsamkeit der Primzahlen», war ein internationaler Bestseller. In einer klaren, poetisch-eindringlichen Sprache erzählt Giordano die Geschichte von Alice und Mattia, die wie Primzahlenzwillinge nahe beieinanderstehen und doch immer durch eine Winzigkeit getrennt bleiben.

Der Roman wurde in über vierzig Sprachen übersetzt und verfilmt. Giordano erhielt dafür zahlreiche Auszeichnungen, darunter den angesehensten italienischen Literaturpreis, den Premio Strega.

Danach folgten «Der menschliche Körper» sowie «Schwarz und Silber», die beide ebenfalls von der Kritik enthusiastisch aufgenommen wurden.

Für Eleonora,

weil ich es Dir

insgeheim versprochen habe

Das gut gearbeitete Kleid der alten Tante saß wie angegossen auf ihrer schlanken Figur, und sie bat mich, es zuzuhaken. «Gott, wie komisch, diese platten Ärmel!», sagte sie.

Gérard de Nerval, Sylvia, 1853

Engel im Schnee

(1983)

1

Alice Della Rocca hasste die Skischule. Sie hasste den Wecker, der auch jetzt in den Weihnachtsferien morgens früh um halb acht klingelte, und ebenso ihren Vater, der ihr beim Frühstücken zusah und dabei nervös mit dem Bein unter der Tischplatte wippte, wie um zu sagen: Los, beeil dich doch endlich. Sie hasste die Strumpfhose, die an den Oberschenkeln kratzte, die Skihandschuhe, in denen sie die Finger nicht bewegen konnte, den Helm, der ihre Wangen zusammenkniff und dessen Metallschnalle sich in ihren Unterkiefer bohrte, und vor allem diese Skischuhe, die viel zu eng waren und in denen sie wie ein Gorilla lief.

«Was ist denn? Trink doch endlich mal die Milch aus!», drängte ihr Vater weiter.

Und so kippte Alice eine halbe Tasse heiße Milch hinunter, die ihr zuerst die Zunge, dann die Speiseröhre und schließlich den Magen verbrannte.

«Na also. Und heute zeigst du ihnen mal, wer du bist», sagte er.

Und wer bin ich?, dachte sie.

Dann schob er sie hinaus, eingemummt in den grünen, mit Abzeichen und phosphoreszierenden Sponsorenlogos übersäten Skianzug. Um diese Tageszeit war es zehn Grad minus draußen, und die Sonne war nur eine dunkle Scheibe im Grau des Nebels, der alles umhüllte. Alice spürte, wie die Milch in ihrem Magen rotierte, während sie durch den tiefen Schnee stapfte, mit den Skiern auf der Schulter, die man selbst tragen musste, solange man nicht so gut war, dass andere sie für einen trugen.

«Halte die Spitzen nach hinten, sonst erstichst du noch jemanden», forderte ihr Vater sie auf.

Am Ende der Saison schenkte der Skiclub jedem Mitglied eine Anstecknadel, die mit Sternchen besetzt war. Jedes Jahr ein Sternchen mehr. Die erste erhielt man mit vier Jahren, wenn man groß genug war, um den Liftbügel zwischen die Beine zu klemmen, die letzte, wenn man neun war und sich den Bügel selbst greifen konnte. Drei silberne Sternchen und dann drei goldene. Jedes Jahr eine neue Anstecknadel, die einem sagte, dass man näher herangekommen war an die Wettkämpfe, vor denen es Alice so grauste. Schon jetzt dachte sie daran, obwohl sie erst drei Sternchen besaß.

Treffpunkt war der Sessellift, punkt halb neun, wenn die Anlage geöffnet wurde. Alices Kameraden waren bereits eingetroffen. In einer Art Kreis standen sie da, wie kleine Soldaten eingemummelt in ihre Skiuniformen und starr vor Müdigkeit und Kälte. Sie hatten die Enden ihrer kurzen Skistöcke, die im Schnee staken, unter die Achseln geklemmt und stützten sich darauf. Mit ihren baumelnden Armen sahen sie aus wie eine Schar Vogelscheuchen. Keiner hatte Lust zu reden, am allerwenigsten Alice.

Ihr Vater versetzte ihr zwei übertrieben kräftige Schläge auf den Helm, als wolle er seine Tochter in den Schnee rammen.

«Mach sie fertig. Und denk immer dran: Körpergewicht nach vorn, verstanden? Ge-wicht-nach-vorn.»

Gewicht nach vorn, antwortete ihm das Echo in Alices Kopf.

Dann entfernte er sich, wobei er in seine zum Kelch zusammengelegten Hände hauchte. Schon bald würde er wieder in der warmen Stube sitzen und seine Zeitung lesen. Nach zwei Schritten hatte der Nebel ihn bereits verschlungen.

Alice ließ ihre Ski so achtlos zu Boden fallen, dass sie, hätte ihr Vater es gesehen, auf der Stelle vor aller Augen ein paar hinter die Ohren bekommen hätte. Bevor sie die Skischuhe in die Bindung einrasten ließ, klopfte sie mit den Stöcken gegen die Sohlen, um die festklebenden Schneeplacken zu lösen.

Es tröpfelte schon ein wenig. Wie eine Nadel, die sich in ihren Unterleib bohrte, spürte sie den Druck auf der Blase. Auch heute würde sie es nicht schaffen, das war ihr klar.

Jeden Morgen die gleiche Geschichte. Jeden Morgen schloss sie sich nach dem Frühstück im Bad ein und presste und presste, um alle Flüssigkeit loszuwerden. Dann saß sie da und zog so fest die Eingeweide zusammen, dass ihr von der Anstrengung ein Stich durch den Kopf fuhr und sie das Gefühl hatte, die Augäpfel träten ihr aus den Höhlen, wie das Fruchtfleisch mancher Traubensorten, wenn man die Schale ausquetschte. Dazu drehte sie den Wasserhahn ganz auf, damit ihr Vater die Geräusche nicht hörte, und ballte die Fäuste beim Pressen, um auch noch das letzte Tröpfchen herauszudrücken.

So blieb sie sitzen, bis ihr Vater gegen die Badtür pochte und rief: Los jetzt, Fräulein, mach mal fertig, wir sind schon wieder zu spät.

Aber es nützte alles nichts. Nach der Fahrt auf dem Sessellift musste sie immer so dringend, dass sie gezwungen war, die Skier zu lösen, um sich, ein wenig abseits, in den Neuschnee zu hocken. Sie tat so, als müsste sie die Schuhe fester schnallen, während sie in Wirklichkeit Pipi machte. Sie schaufelte ein wenig Schnee um die eng geschlossenen Beine zusammen und ließ es einfach laufen, machte sich in den Skianzug, in die Strumpfhose, während alle Kameraden zusahen und Eric, der Skilehrer, stöhnte: Jetzt müssen wir wieder mal auf Alice warten.

Wirklich eine Erleichterung, dachte sie jedes Mal, wenn sich diese angenehme Wärme zwischen ihren verfrorenen Beinen ausbreitete.

Oder es wäre eine Erleichterung, wenn mir nicht alle dabei zusähen, dachte sie.

Irgendwann werden sie es merken.

Irgendwann wird ein gelber Fleck im Schnee zurückbleiben.

Und dann werden mich alle damit aufziehen.

 

Einer der Väter trat jetzt auf Eric zu und fragte, ob der Nebel an diesem Morgen nicht zu dicht sei, um hinaufzufahren. Alice horchte auf, von leiser Hoffnung erfüllt, doch Eric konterte mit seinem perfekten Lächeln. «Neblig ist es nur hier unten», erklärte er. «Oben beim Gipfel knallt eine Sonne, dass es die Felsen sprengt. Auf jetzt! Los geht’s.»

Auf dem Sessellift bildete Alice ein Pärchen mit Giuliana, der Tochter eines Kollegen ihres Vaters. Die ganze Strecke über wechselten sie kein Wort miteinander. Dabei waren sie sich weder sympathisch noch unsympathisch. Sie hatten einfach nichts gemeinsam, höchstens die Tatsache, dass sie nicht da sein wollten, wo sie jetzt gerade waren.

Die einzigen Geräusche waren das Rauschen des Windes, der über den Gipfel des Mont Fraitève fegte, sowie das gleichmäßige metallische Surren des Stahlseils, an dem Alice und Giuliana hingen, das Kinn tief im Jackenkragen verborgen, um sich mit dem eigenen Atem zu wärmen.

Das ist nur die Kälte, du musst nicht schon wieder, versuchte sich Alice zu beruhigen.

Doch je näher der Gipfel kam, desto tiefer bohrte sich diese Nadel, die sie im Bauch spürte, in ihr Fleisch. Ja, schlimmer noch, ein beunruhigender Druck kam hinzu.

Nein, das ist nur die Kälte, du musst nicht schon wieder. Das kann nicht sein, du hast ja gerade erst gemacht.

Ein Schwall säuerlicher Milch stieß ihr bis zum Kehldeckel auf. Angeekelt schluckte Alice sie wieder hinunter. Sie musste unbedingt, sie musste so dringend, dass es nicht zum Aushalten war.

Noch zwei weitere Fahrten bis zur Hütte, dachte sie. So lange kann ich es unmöglich zurückhalten.

Giuliana hob den Sicherheitsbügel an, und beide schoben das Gesäß ein wenig nach vorn, um sich zum Absteigen fertig zu machen. Als ihre Skier den Boden berührten, stieß Alice sich mit einer Hand vom Sitz ab.

Über zwei Meter hinaus war nichts zu sehen. Von wegen Sonne, die die Felsen sprengte. Alles war weiß, oben, unten, an den Seiten, nichts als Weiß. Ein Gefühl, als wäre man in ein Leintuch gehüllt, das exakte Gegenteil von Finsternis, aber Alice machte es genauso viel Angst.

Sie rutschte an den Rand der Piste, um sich ein Hügelchen frischen Schnees zu suchen, hinter dem sie sich erleichtern konnte. Ihre Gedärme gaben Geräusche wie eine laufende Spülmaschine von sich. Giuliana war schon nicht mehr zu sehen, also konnte diese sie auch nicht sehen. Sie kletterte ein paar Meter den Hang hinauf, im Grätenschritt, wie ihr Vater es von ihr verlangte, seit er es sich in den Kopf gesetzt hatte, dass sie Skifahren lernen musste. Die Kinderpiste hinauf und hinunter, dreißig, vierzig Mal an einem Tag. Hoch gegrätscht, und runter im Pflug, denn einen Skipass für nur eine Piste zu kaufen, wäre reine Geldverschwendung gewesen, und zudem konnte sie auf diese Weise die Beinmuskeln trainieren.

Alice löste die Skier und machte noch ein paar Schritte, wobei sie bis über die Waden im Schnee versank.

Endlich war sie in die Hocke gegangen. Sie hielt nicht mehr den Atem an und entspannte die Muskeln. Ein angenehmer Stromschlag durchfuhr ihren ganzen Körper und setzte sich in den Zehenspitzen fest.

Es musste von der Milch kommen, ja, mit Sicherheit war die Milch daran schuld. Oder auch die Tatsache, dass ihr die Pobacken abfroren, während sie so über zweitausend Metern Höhe im Schnee hockte. Jedenfalls war ihr das noch nie passiert, zumindest nicht, solange sie sich erinnern konnte. Niemals, nicht ein einziges Mal.

Sie machte sich in die Hose. Kein Pipi. Oder genauer, nicht nur Pipi. Alice kackte sich in die Hose, um Punkt neun Uhr an einem Januarmorgen. Es ging in die Unterhose, ohne dass sie es recht bemerkte. Zumindest nicht bis zu dem Moment, da sie Erics Stimme hörte, der von irgendwoher in der dichten Nebelmasse nach ihr rief.

Erst als sie aufsprang, spürte sie etwas Schweres im Schritt ihrer Unterhose. Unwillkürlich griff sie sich an den Hintern, doch durch den dicken Handschuh ließ sich nichts ertasten. Aber das war auch nicht mehr nötig, sie hatte es ohnehin schon begriffen.

Was mache ich denn jetzt?

Wieder rief Eric nach ihr. Alice antwortete nicht. Solange sie hierblieb, würde der Nebel sie vor den Blicken der anderen verbergen. Sie konnte die Hose ihres Skianzugs herunterlassen und sich notdürftig mit Schnee den Hintern säubern. Oder sie könnte zu Eric gehen und ihm ins Ohr flüstern, was ihr da passiert war. Sie hätte ihm auch sagen können, dass ihr ein Knie wehtue und sie runter ins Dorf müsse. Oder sie könnte so tun, als wenn nichts geschehen wäre, und versuchen, mit den anderen Ski zu fahren, wobei sie darauf achten musste, dass sie nicht den Anschluss verlor.

Stattdessen blieb sie hocken, wo sie war, im Schutz des Nebels, darauf bedacht, nicht die kleinste Bewegung zu machen.

Zum dritten Mal rief Eric jetzt nach ihr, diesmal noch lauter.

«Die ist so blöd, die ist bestimmt schon zum Skilift weiter», antwortete ein Junge an ihrer Stelle.

Alice hörte Stimmengewirr. Lasst uns gehen, sagte jemand, bei dem Rumstehen wird mir kalt, ein anderer. Sie konnten ganz in der Nähe sein, nur ein paar Meter entfernt, oder auch noch bei der Station der Sesselbahn. Der Nebel täuschte, die Klänge hallten von den Felsen wider, wurden vom Schnee verschluckt.

«Verflixt noch mal, was macht die nur …? Wir müssen nach ihr schauen», hörte sie wieder Erics Stimme.

Alice zählte langsam bis zehn und unterdrückte dabei den Brechreiz, der sie überkommen hatte, als sie diese klebrig-weiche Masse die Oberschenkel hinunterrinnen spürte. Bei zehn angekommen, begann sie noch einmal von vorn und zählte nun bis zwanzig. Jetzt war kein Geräusch mehr zu hören.

Sie nahm ihre Skier und trug sie auf dem Arm bis zur Piste. Sie brauchte eine Weile, bis sie begriffen hatte, wie sie die Bretter in den Schnee legen musste, um genau quer zum Hang zu stehen. Bei diesem Nebel wusste man kaum, wo oben und unten war.

Sie schnallte die Schuhe fest und ließ die Bindung einrasten. Dann nahm sie die Brille ab und spuckte hinein, weil sie beschlagen war.

Sie würde allein zu Tal fahren. Es war ihr egal, dass Eric am Gipfel des Fraitève nach ihr suchte. Keine Sekunde länger als nötig wollte sie in dieser von Scheiße durchtränkten Strumpfhose stecken. Zwar war sie noch nie allein abgefahren, aber sie hatten ja schließlich nur den Sessellift genommen, und diese Piste hatte sie schon Dutzende Male geschafft.

Im Pflug begann sie hinunterzurutschen, das war ungefährlicher, und zudem hatte sie mit gespreizten Beinen das Gefühl, weniger besudelt zu sein. Am Vortag noch hatte Eric zu ihr gesagt: Wenn ich dich noch einmal eine Kurve im Schneepflug fahren sehe, binde ich dir die Knöchel zusammen. Das schwör ich dir.

Eric mochte sie nicht. Da war sie sich ziemlich sicher. Er hielt sie für einen Hosenscheißer. Und die Ereignisse hatten ihm ja auch noch recht gegeben. Ihren Vater mochte Eric ebenfalls nicht, weil der ihn täglich nach dem Kurs mit einer Milliarde Fragen bedrängte: Und? Was macht unsere Alice? – Und? Macht sie Fortschritte? – Und? Haben wir einen neuen Champion unter uns? – Und? Wann kann sie die ersten Rennen fahren? – Und dies und das. Eric starrte währenddessen immer auf einen Punkt auf der Schulter ihres Vaters und antwortete mit Ja, Nein oder einem lang gezogenen Nun …

Alice sah die ganze Szene wie in einer Überblendung auf der Nebelleinwand vor ihr ablaufen, während sie langsam den Hang hinabglitt. Über die Skispitzen hinaus war nichts zu erkennen, und dass sie die Richtung ändern musste, merkte sie nur daran, dass sie im Tiefschnee landete.

Um sich nicht so allein zu fühlen, begann sie zu singen, und hin und wieder wischte sie sich mit dem Handschuh den Schleim unter der Nase fort.

Körpergewicht zum Hang, Stock in den Schnee und kurven. Stemm dich auf die Schuhe. Nun das Gewicht nach vorn, verstanden? Ge-wicht-nach-vorn, hörte sie die Ermahnungen Erics und ihres Vaters.

Der würde fuchsteufelswild werden, ihr Vater. Und sie musste sich eine gute Ausrede zurechtlegen. Eine Geschichte, die hieb- und stichfest war, keine Lücken oder Widersprüche aufwies. Nicht im Traum dachte sie daran, ihm zu erzählen, was tatsächlich vorgefallen war. Der Nebel, das war es, nur der Nebel war schuld. Sie war hinter den anderen her die Riesenslalompiste hinuntergefahren, als sich plötzlich der Skipass von der Jacke löste. Nein, halt, niemandem flog der Skipass fort. Um den zu verlieren, musste man sich schon unheimlich dumm anstellen. Lieber der Schal. Der Schal war ihr fortgeflogen, und sie musste ein Stück zurück, um ihn sich zu holen, und die anderen hatten nicht gewartet. Wieder und wieder hatte sie ihnen nachgerufen, aber nichts zu machen, die hörten sie einfach nicht und verschwanden im Nebel, und so musste sie allein weiter, um sie zu suchen.

Und warum bist du nicht wieder hoch, als du sie nicht gefunden hast?, würde ihr Vater sie fragen.

Ja, richtig, warum eigentlich? Wenn sie es genau überlegte, wäre es doch besser, den Skipass verloren zu haben. Sie konnte nicht wieder hochfahren, weil sie keinen Skipass mehr hatte, und der Mann am Sessellift hatte sich nicht erweichen lassen.

Alice lächelte zufrieden. Ja, das passte. Inzwischen fühlte sie sich auch nicht mehr so vollgeschmiert. Das Zeug troff jetzt nicht mehr.

Wahrscheinlich ist es gefroren, dachte sie.

Den restlichen Tag würde sie vor dem Fernseher verbringen. Sie würde duschen und sich frische Sachen anziehen und die Füße in ihre flauschigen Pantoffeln stecken. Sie wäre den ganzen Tag im Warmen geblieben, wenn sie nur ein wenig den Blick von den Skiern gehoben hätte, gerade genug, um das orangefarbene Band mit der Aufschrift Piste geschlossen zu bemerken. Und dabei hatte ihr Vater sie doch immer ermahnt, die Augen aufzumachen und zu schauen, wo es langging. Wenn sie sich nur erinnert hätte, dass im Tiefschnee das Gewicht nicht nach vorn verlagert wurde, und wenn Eric ihr ein paar Tage zuvor die Bindung besser eingestellt oder ihr Vater mit mehr Nachdruck darauf bestanden hätte: Alice wiegt doch nur achtundzwanzig Kilo. Die ist sicher zu fest.

Der Sturz war nicht allzu tief. Ein paar Meter, gerade tief genug, um eine Leere im Magen und unter den Füßen zu spüren. Dann lag Alice bereits mit dem Gesicht im Schnee, während die Skier, die, wie sich nun herausstellte, stärker als ihr Wadenbein waren, aufrecht aus dem Schnee herausragten.

Und so furchtbar weh tat es auch nicht. Eigentlich spürte sie gar nichts. Nur den Schnee, der unter Schal und Helm eingedrungen war und hier und dort auf der Haut brannte.

Das Erste, was sie bewegte, waren die Arme. Als sie noch kleiner gewesen war, hatte ihr Vater sie, wenn morgens beim Aufwachen Schnee lag, gut eingepackt und war mit ihr rausgegangen. Hand in Hand stapften sie durch den frischen Schnee ein Stück hinein in den Garten, zählten eins, zwei, drei und ließen sich dann gleichzeitig rückwärts in den Schnee fallen. Und jetzt mach den Engel, forderte ihr Vater sie auf, woraufhin sie die Arme auf und ab bewegte, und wenn sie dann aufstand und sich ihr Werk betrachtete, sahen ihre Umrisse in der weißen Decke tatsächlich wie der Schatten eines Engels mit gespreizten Flügeln aus.

Und so machte sie auch jetzt den Engel im Schnee, einfach so, ohne eigentlichen Grund, vielleicht nur um sich selbst zu beweisen, dass sie noch lebte. Es gelang ihr, den Kopf zu einer Seite zu drehen und zu atmen, obwohl sie zu spüren glaubte, dass die Luft, die sie aufnahm, gar nicht dorthin gelangte, wo sie hin sollte. Zudem hatte sie das merkwürdige Gefühl, nicht zu wissen, wie ihre Beine lagen. Ja, das höchst merkwürdige Gefühl, gar keine Beine mehr zu haben.

Sie versuchte aufzustehen, schaffte es aber nicht.

Ohne diesen Nebel hätte sie vielleicht jemand von oben aus sehen können. Einen grünen Fleck unten in einer Rinne, nur wenige Meter von dem Bett entfernt, in dem im Frühling ein Bächlein plätscherte und wo mit den ersten warmen Tagen auch wieder die Walderdbeeren sprießen würden, die, wenn man nur lange genug wartete, süß wie Karamellbonbons schmeckten und von denen man an einem guten Tag ein ganzes Körbchen voll pflücken konnte.

Alice rief um Hilfe, doch ihre schwache Stimme wurde vom Nebel verschluckt. Noch einmal versuchte sie, sich zu erheben oder zumindest ein wenig zu drehen. Aber es war nichts zu machen.

Ihr Vater hatte ihr erzählt, dass einem, wenn man erfror, kurz bevor es zu Ende ging, plötzlich zu warm werde und man den Drang verspüre, seine Kleider auszuziehen. Das sei der Grund, weswegen man fast alle Erfrorenen in Unterhosen auffinde. Und jetzt hatte sie selbst auch noch eine dreckige Unterhose an.

Ihre Finger begannen taub zu werden. Sie zog einen Handschuh aus, blies hinein und stülpte ihn dann wieder über die geschlossene Faust, um sie zu wärmen. Mit der anderen Hand machte sie es genauso. Zwei- oder dreimal wiederholte sie das, so sinnlos dieser Versuch auch sein mochte.

Es sind immer die Extremitäten, die einem Scherereien machen, hatte sie häufig von ihrem Vater gehört. Finger und Zehen, Nase, Ohren. Das Herz setze alles daran, das ganze Blut für sich zu behalten, und lasse den Rest erfrieren.

Alice stellte sich vor, wie ihre Finger und Zehen blau wurden, und dann auch, ganz langsam, die Arme und Beine, wie ihr Herz immer schneller pumpte und sich mühte, die verbliebene Wärme ganz für sich zu behalten. Sie würde immer steifer werden, so steif, dass ihr ein Wolf, wenn zufällig einer vorüberkäme, schon den Arm brechen würde, indem er bloß über sie hinweglief.

Man wird nach mir suchen.

Ob es hier wirklich Wölfe gibt?

Ich spüre meine Finger nicht mehr.

Hätte ich doch diese Milch nicht getrunken.

Gewicht nach vorn.

Ach was, Wölfe machen doch jetzt Winterschlaf.

Eric wird furchtbar sauer sein.

Ich habe keine Lust auf diese Skirennen.

So ein Blödsinn, du weißt doch ganz genau, Wölfe machen keinen Winterschlaf.

Ihre Gedanken wurden immer wirrer und drehten sich wie im Kreis. So als wäre nichts geschehen, ging die Sonne langsam hinter dem Mont Chaberton unter. Die Schatten der Berge zogen über Alice hinweg, und der Nebel wurde stockfinster.

Das Archimedische Prinzip

(1984)

2

Als die Zwillinge noch klein waren und Michela wieder einmal eine ihrer typischen Aktionen gebracht hatte – etwa sich mit dem Laufstuhl die Treppe hinunterzustürzen oder sich eine Erbse so tief ins Nasenloch zu stecken, dass man sie zur Unfallstation bringen musste, um ihr dort mit einer Spezialzange den Fremdkörper entfernen zu lassen, wandte sich ihr Vater manchmal an Mattia, der kurz vor der Schwester das Licht der Welt erblickt hatte, und erklärte ihm, dass Mamas Gebärmutter für sie beide wohl zu klein gewesen sei.

«Wer weiß, was ihr da in ihrem Bauch getrieben habt. Vielleicht hast du sie ständig getreten und ihr damit ernsthafte Schäden zugefügt.»

Dann lachte er, obwohl es da gar nichts zu lachen gab, hob Michela in die Höhe und rieb seinen Bart an ihren weichen Wangen.

Mattia sah ihnen von unten aus zu. Auch er selbst lachte, und ohne dass er die Worte seines Vaters recht verstand, sickerten sie doch osmotisch in ihm ein und lagerten sich tief unten in seinem Bauch ab. Er ließ es zu, dass sie dort mit der Zeit eine dicke klebrige Schicht bildeten, wie der Bodensatz zu lange gelagerter Weine.

Das Lachen seines Vaters wurde immer gequälter, als Michela auch mit siebenundzwanzig Monaten noch kein Wort herausbekam, das man als solches hätte bezeichnen können. Noch nicht einmal Mama oder Nucki oder Aa oder Adda. Ihre unzusammenhängenden, spitzen Schreie kamen von einem Ort, der so verlassen und einsam war, dass Papa jedes Mal aufs Neue erschauderte.

Als sie fünfeinhalb war, setzte eine Logopädin mit dicken Brillengläsern Michela vor einen kleinen Sperrholzkasten mit vier unterschiedlich geformten Vertiefungen: einem Stern, einem Kreis, einem Quadrat und einem Dreieck, und den entsprechenden bunten Klötzen, die in die Löcher einzufügen waren.

Mit großen Augen blickte Michela die Frau an.

«Wohin kommt der Stern, Michela?», fragte die Logopädin.

Michela senkte den Blick auf das Spiel und rührte sich nicht. Die Logopädin drückte ihr den Stern in die Hand.

«Wo kommt das hin, Michela?», fragte sie noch einmal.

Michela schaute ins Leere, steckte sich dann eine der fünf gelben Spitzen in den Mund und begann, daran zu knabbern. Die Logopädin zog ihr die Hand vom Mund fort und wiederholte zum dritten Mal die Frage.

«Herrje, Michela, jetzt tu schon, was die Dame sagt», fuhr ihr Vater sie an, dem es schwerfiel, ruhig auf dem Stuhl sitzen zu bleiben, den man ihm angewiesen hatte.

«Bitte, Signor Balossino», wies ihn die Doktorin milde zurecht. «Kinder brauchen ihre Zeit, und die muss man ihnen lassen.»

Und Zeit nahm sich Michela tatsächlich. Eine ganze Minute. Dann stieß sie ein lautes Stöhnen aus, das sowohl Begeisterung als auch Verzweiflung bedeuten konnte, und steckte den Stern entschlossen in das quadratische Loch.

 

Hätte Mattia bis dahin nicht schon selbst längst begriffen, dass mit seiner Schwester etwas nicht stimmte, wäre es ihm spätestens von seinen Klassenkameraden vor Augen geführt worden, zum Beispiel von Simona Volterra, die, als die Lehrerin in der ersten Klasse Simona, diesen Monat sitzt du mal neben Michela zu ihr sagte, sich trotzig zur Wehr setzte, indem sie die Unterarme über der Brust verschränkte und erklärte: Neben der da will ich nicht sitzen.

Mattia hatte zugehört, wie Simona und die Lehrerin sich eine Weile stritten, bevor er aufstand und erklärte: Ich kann doch neben Michela sitzen bleiben. Alle schienen erleichtert: die da, Simona, die Lehrerin. Alle, bis auf Mattia.

Die Zwillinge saßen in der ersten Bank. Michela malte den ganzen Tag vorgedruckte Zeichnungen aus, wobei sie gewissenhaft über die Umrisse hinaus malte und die Farben nach Gutdünken wählte: die Haut der Kinder blau, der Himmel rot, alle Bäume gelb. Dabei hielt sie den Stift wie einen Fleischklopfer und drückte ihn so fest auf, dass sie mindestens jedes dritte Blatt zerriss.

Mattia neben ihr lernte unterdessen Lesen und Schreiben. Lernte die vier Grundrechenarten und war der Erste in der Klasse, der das Teilen mit Übertrag beherrschte. Sein Gehirn schien ein gut geöltes Räderwerk, auf die gleiche rätselhafte Weise perfekt, wie das der Schwester gestört war.

Manchmal begann Michela, sich auf ihrem Stuhl wild hin und her zu werfen und die Arme auf und ab zu schlagen, wie ein Nachtfalter in der Falle. Ihr Blick verfinsterte sich, und die Lehrerin stand da und beobachtete sie, mehr erschrocken als Michela selbst und mit der vagen Hoffnung, dass diese Zurückgebliebene eines Tages wirklich abheben und davonfliegen könnte. Der eine oder andere in den hinteren Reihen kicherte, andere machten: Schsch.

Irgendwann dann stand Mattia auf, indem er seinen Stuhl anhob, damit er nicht über den Boden schleifte, stellte sich hinter Michela, die jetzt den Kopf kreisen ließ und so schnell mit den Armen schlug, dass er fürchtete, sie könnten sich vom Körper lösen.

Mattia ergriff ihre Hände und führte ihre Arme sanft über der Brust zusammen.

«Siehst du, jetzt hast du keine Flügel mehr», flüsterte er ihr ins Ohr.

Michela brauchte noch eine Weile, bis sie zu zittern aufhörte. Einige Sekunden blickte sie starr ins Leere, dann ließ sie sich auf den Stuhl fallen und machte sich wieder daran, ihre Zeichnungen zu traktieren, als wäre nichts geschehen. Auch Mattia setzte sich wieder, mit gesenktem Kopf und mit vor Scham roten Ohren, während die Lehrerin den Unterricht fortsetzte.

In der dritten Klasse waren die Zwillinge noch kein einziges Mal zu einer Geburtstagsfeier eines Mitschülers eingeladen worden. Ihrer Mutter war das aufgefallen, und so gedachte sie, das Problem mit der Ausrichtung einer eigenen Feier zum Geburtstag der beiden zu lösen. Beim Mittagessen jedoch wurde der Vorschlag einkassiert. «Um Himmels willen, Adele», sagte Signor Balossino, «die Sache ist doch schon traurig genug.» Mattia stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, und Michela ließ zum zehnten Mal die Gabel in den Teller fallen. Danach war nie mehr darüber gesprochen worden.

Dann, eines Morgens im Januar, trat Riccardo Pelotti, der mit den roten Haaren und den Pavianlippen, an Mattias Bank. «Pass auf, meine Mutter hat gesagt, du darfst auch zu meinem Geburtstag kommen», verkündete er in einem Atemzug, den Blick zur Tafel gerichtet.

«Und sie auch», fügte er hinzu, indem er auf Michela zeigte, die damit beschäftigt war, die Tischplatte wie ein Leinentuch sorgfältig glatt zu streichen.

Mattias Gesicht begann vor Erregung zu kribbeln. «Danke», antwortete er, doch Riccardo, erleichtert, es hinter sich gebracht zu haben, war schon wieder fort.

Unverzüglich schritt die Mutter der Zwillinge zur Tat und machte sich mit den beiden zu Benetton auf, um sie dort neu einzukleiden. Drei Spielzeugläden klapperten sie ab, weil Adele sich nicht recht entscheiden konnte.

«Womit spielt Riccardo denn gern? Meinst du, das macht ihm Spaß?», fragte sie Mattia, indem sie ein Puzzle mit tausendfünfhundert Teilen in der Hand wog.

«Woher soll ich denn das wissen?», antwortete ihr Sohn.

«Er ist doch dein Freund. Da musst du doch wissen, was er mag.»

Mattia dachte, dass Riccardo sicher nicht sein Freund war. Aber das hätte er seiner Mutter schlecht klarmachen können. So zuckte er nur mit den Achseln.

Schließlich entschied Adele sich für das Lego-Raumschiff, den größten und teuersten Karton der ganzen Abteilung.

«Aber Mama, das ist zu viel», protestierte ihr Sohn.

«Ach was. Außerdem seid ihr zu zweit. Ihr wollt euch doch wohl nicht blamieren?»

Mattia wusste nur allzu gut, dass sie sich, Lego hin oder her, auf alle Fälle blamieren würden. Etwas anderes war mit Michela völlig ausgeschlossen. Und er wusste auch genau, dass Riccardo sie nur eingeladen hatte, weil seine Eltern ihn dazu genötigt hatten. Michela würde die ganze Zeit an ihm kleben, würde sich den Orangensaft übers Kleidchen kippen und irgendwann zu quengeln beginnen, so wie immer, wenn sie müde wurde.

Zum ersten Mal überlegte Mattia jetzt, dass es vielleicht besser wäre, ganz zu Hause zu bleiben.

Oder genauer, dass es besser wäre, wenn Michela zu Hause bliebe.

«Mama …», begann er unsicher.

Adele war dabei, in ihrer Handtasche nach dem Portemonnaie zu kramen.

«Ja?»

Mattia holte Luft.

«Muss Michela denn wirklich mitkommen, zu dem Geburtstag?»

Adele erstarrte und sah ihrem Sohn fest in die Augen. Mit gleichgültiger Miene, eine Hand über dem Rollband ausgestreckt, beobachtete die Kassiererin die Szene. Michela vertauschte unterdessen die Bonbontüten am Ständer.

Die Hitze schoss Mattia ins Gesicht, der auf eine Backpfeife gefasst war, die er aber nie bekam.

«Natürlich kommt sie mit», erklärte seine Mutter nur, und damit war die Sache erledigt.

 

Zu Riccardo war es nicht weit. Höchstens zehn Minuten zu Fuß. Den Weg konnten sie allein zurücklegen. Um Punkt drei schob Adele die Zwillinge aus der Tür.

«Jetzt aber los, sonst kommt ihr noch zu spät. Und denkt dran, euch bei seinen Eltern zu bedanken», sagte sie.

Dann wandte sie sich an Mattia. «Pass gut auf deine Schwester auf! Du weißt, was sie sich alles in den Mund steckt.»

Mattia nickte, und Adele küsste beide auf die Wangen, Michela aber länger. Sie schob ihr noch ein paar Haarbüschel unter dem Reif zurecht und sagte: «Viel Spaß!»

Unterwegs zu Riccardo wurden Mattias Gedanken untermalt vom Rauschen der Legoteile im Karton, die wie eine schwache Brandung gleichmäßig mal gegen die eine, mal gegen die andere Seite schwappten. Hinter ihm, ein paar Meter zurück, mühte sich Michela, mit ihm Schritt zu halten, und stolperte schlurfend durch den Matsch aus totem Laub, das am Boden klebte. Die Luft war windstill und kalt.

Sie wird alle Kartoffelchips auf dem Fußboden verteilen, dachte Mattia.

Sie wird sich den Ball schnappen und ihn nicht mehr hergeben.

«Komm endlich!», sagte er, indem er sich zu seiner Schwester umdrehte, die jetzt auf dem Gehweg hockte und mit einem Finger einen langen Wurm quälte.

Michela blickte ihren Bruder an, als sehe sie ihn nach langer Zeit zum ersten Mal wieder. Den Wurm zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt, lief sie lächelnd auf Mattia zu.

«Was machst du denn da wieder!? Schmeiß ihn fort», befahl ihr Mattia, indem er zurückwich.

Noch einen kurzen Moment betrachtete Michela das Tierchen und schien sich zu fragen, wie es zwischen ihre Finger geraten war. Dann ließ sie es fallen und versuchte, auf ihre ungelenke Art dem Bruder nachzulaufen, der sich bereits wieder ein paar Schritte von ihr entfernt hatte.

Sie wird sich den Ball holen und keinem mehr abgeben, genau wie in der Schule, dachte Mattia.

Er betrachtete die Zwillingsschwester, die die gleichen Augen hatte wie er, seine Nase, exakt seine Haarfarbe, aber ein Gehirn, das man vollkommen vergessen konnte, und zum ersten Mal verspürte er echten Hass auf sie. An der Hauptstraße, wo die Autos rasten, nahm er sie an die Hand. Und während sie so die Straße überquerten, kam ihm eine Idee.

Nein, das kann ich nicht machen, dachte er, als er Michelas Hand in dem Wollhandschuh wieder losließ.

Während sie am Park entlanggingen, überlegte er es sich aber noch mal anders und gelangte zu der Überzeugung, dass es ganz sicher niemand merken würde.

Es ist ja nur für ein paar Stunden, dachte er. Nur dieses eine Mal.

Er ergriff Michelas Arm, bog ab und betrat den Park. Die Wiesen waren noch feucht vom Raureif der Nacht. Michela trottete hinter ihm her und besudelte ihre neuen hellen Wildlederstiefel im Schlamm.

Der Park war leer. Bei dieser Kälte hatte kein Mensch Lust, spazieren zu gehen. Die Zwillinge gelangten zu einem Platz unter hohen Bäumen, der mit drei Holztischen und einer Grillecke ausgestattet war. In der ersten Klasse hatten sie dort einmal gepicknickt, auf einem Ausflug, bei dem ihre Lehrerinnen sie trockene Blätter sammeln ließen, mit denen sie hässlichen Tischschmuck gebastelt hatten, wie man ihn Opa und Oma schenkte.

«Jetzt hör mal gut zu, Michi», sagte Mattia. «Hörst du mir zu?»

Bei Michela musste man sich immer vergewissern, dass ihr enger Kommunikationskanal tatsächlich geöffnet war. Mattia wartete auf ein bejahendes Nicken seiner Schwester.

«Okay. Also, ich hab was zu tun und muss fort. Aber ich bleib nicht lange weg, vielleicht ein halbes Stündchen», erklärte er ihr.

Es gab keinen Grund, ihr die Wahrheit zu sagen, denn ein halbes Stündchen oder ein ganzer Tag, das war für Michela kaum ein Unterschied. Die Logopädin hatte erklärt, dass die Entwicklung ihrer zeitlichen und räumlichen Wahrnehmung in einem vorbewussten Stadium stehen geblieben sei, und Mattia hatte genau verstanden, was sie damit meinte.

«Du bleibst also hier sitzen und wartest auf mich», sagte er.

Michela schaute den Bruder mit ernster Miene an, ohne etwas zu antworten, denn antworten konnte sie nicht. Es war nicht zu erkennen, ob sie die Anweisung verstanden hatte, aber einen Moment lang leuchtete etwas in ihren Augen, und sein ganzes Leben lang würde dieser Blick für Mattia das Sinnbild von Angst bleiben.

Langsam entfernte er sich von seiner Schwester, rückwärtsgehend, um sie beobachten zu können und sicher zu sein, dass sie ihm nicht folgte. So laufen nur Krebse, hatte ihn seine Mutter einmal zurechtgewiesen, und es endet immer damit, dass sie irgendwo anstoßen.

Vielleicht fünfzehn Meter trennten sie nun, und Michela hatte schon den Blick abgewandt, ganz in das Vorhaben vertieft, einen Knopf von ihrem Wintermantel zu lösen.

Mattia drehte sich um und begann zu laufen, die Tüte mit dem Geschenk darin fest in der Hand. Mehr als zweihundert Plastikklötzchen schlugen in dem Karton gegeneinander und schienen ihm etwas sagen zu wollen.

 

«Ciao, Mattia», empfing ihn Signora Pelotti, die die Tür öffnete. «Und wo ist dein Schwesterchen?»

«Die hat Fieber», log Mattia. «Nicht sehr hoch.»

«Ach, das ist aber schade», antwortete die Signora, ohne allerdings im Mindesten betrübt zu wirken. Sie trat zur Seite, um ihn hereinzulassen.

«Ricky, dein Freund Mattia ist da. Komm, sag ihm Guten Tag», rief sie in den Flur hinein.

Mit einem langen Rutscher über den Fußboden und seinem unsympathischen Gesicht kam Riccardo Pelotti herangerauscht. Eine Sekunde lang stand er schweigend vor Mattia und schien nach Spuren von Mattias Schwester zu suchen. Erst dann sagte er, erleichtert Ciao.

Mattia hob die Tüte mit dem Geschenk und hielt sie der Mutter vor die Nase.

«Wohin damit?»

«Was ist denn da drin?», fragte Riccardo skeptisch.

«Lego.»

«Aha.»

Riccardo griff sich die Tüte und verschwand wieder im Flur.

«Geh mit ihm», sagte die Signora, indem sie Mattia vor sich herschob. «Wir feiern da hinten.»

Das Wohnzimmer der Familie Pelotti war mit Girlanden und Luftballons geschmückt. Auf einem Tisch mit einer roten Papiertischdecke standen Schüsseln voll Popcorn und Kartoffelchips, ein Blech mit in quadratische Stücke geschnittener, unbelegter Pizza und eine Reihe noch ungeöffneter Flaschen mit Erfrischungsgetränken in verschiedenen Farben. Einige von Mattias Klassenkameraden waren bereits eingetroffen und hatten sich vor dem Tisch aufgebaut, als müssten sie ihn bewachen.

Mattia trat ein paar Schritte auf die anderen zu und blieb dann, wie ein Satellit, der nicht zu viel Platz am Himmel beanspruchen möchte, in einigem Abstand vor ihnen stehen. Niemand beachtete ihn.

Als das Wohnzimmer voll war, kam ein junger Bursche um die zwanzig hinzu, mit einer roten Plastiknase und einer Clownsmelone auf dem Kopf, und ließ die Kinder erst Blindekuh spielen und dann Eselsschwanz. Bei diesem Spiel mussten sie versuchen mit verbundenen Augen einem auf ein Blatt gemalten Esel einen Schwanz anzuhängen. Mattia gewann das Spiel und den Preis, der in einer Handvoll Karamellbonbons bestand, aber nur, weil er unter der Binde durchschielen konnte. Alle schrien: Buh! Du hast geschummelt, während er sich voller Scham die Süßigkeiten in die Tasche steckte.

Als es draußen dunkel war, ließ der Clown alle Lichter löschen und forderte die Kinder auf, sich im Kreis auf den Boden zu setzen. Er erzählte ihnen eine Schauergeschichte, wobei er sich eine eingeschaltete Taschenlampe unters Kinn hielt.

Die Geschichte macht einem keine Angst, dachte Mattia, wohl aber das Gesicht. Durch das Licht von unten sah es rötlich aus und war überzogen mit furchterregenden Schatten. Als Mattia aus dem Fenster schaute, um den Clown nicht mehr ansehen zu müssen, fiel ihm Michela wieder ein. Dabei hatte er sie nie ganz vergessen, doch zum ersten Mal stellte er sich nun vor, wie sie allein unter den Bäumen saß und auf ihn wartete und sich dabei mit den weißen Wollhandschuhen das Gesicht rieb, um sich ein bisschen zu wärmen.

Er stand auf, gerade in dem Moment, als Riccardos Mutter mit einer Torte mit brennenden Kerzen obendrauf den dunklen Raum betrat und alle zu applaudieren begannen, zum Teil dem Clown mit seiner Geschichte, und zum Teil wegen der Torte.

«Ich muss los», sagte er, noch bevor Signora Pelotti die Geburtstagstorte auf dem Tisch abgestellt hatte.

«Jetzt schon? Aber hier ist doch der Geburtstagskuchen.»

«Ja, sofort. Ich muss gehen.»

Riccardos Mutter blickte ihn über die Kerzen hinweg an. Auf diese Weise beleuchtet, war auch ihr Gesicht voller bedrohlicher Schatten. Die anderen Gäste schwiegen.

«Wie du meinst», sagte sie mit unsicherer Miene. «Ricky, bring deinen Freund zur Tür.»

«Aber ich muss doch die Kerzen ausblasen», protestierte das Geburtstagskind.

«Tu, was ich dir sage», befahl ihm die Mutter, ohne den Blick von Mattia abzuwenden.

«Du bist so ein Spielverderber, Mattia!»

Jemand lachte. Mattia folgte Riccardo zur Wohnungstür, griff sich seine Jacke unter einem Berg von Jacken und sagte Danke und Ciao. Riccardo antwortete nicht, sondern schloss rasch die Tür hinter ihm, um zu seiner Torte zurückzueilen.

Unten im Hof des Mietshauses blieb Mattia einen kurzen Moment stehen und blickte zu den erhellten Fenstern von Riccardos Wohnung hinauf. Das Geschrei seiner Kameraden drang durch die Scheiben gedämpft an sein Ohr, wie das beruhigende Murmeln des Fernsehgeräts abends im Wohnzimmer, wenn seine Mutter sie beide, Michela und ihn, ins Bett geschickt hatte. Mit einem trockenen Klacken schloss sich das Törchen hinter ihm, und er begann zu laufen.

Im Park reichte nach ein paar Schritten das Licht der Straßenlaternen nicht mehr aus, um den Kiesweg zu erkennen. Die kahlen Äste der Bäume, unter denen er Michela zurückgelassen hatte, waren nur noch schwarze Kratzer am dunklen Himmel. Schon von Weitem überkam ihn, unerklärbar deutlich, die Gewissheit, dass seine Schwester nicht mehr dort war.

Wenige Meter vor der Bank, auf der Michela einige Stunden zuvor gesessen und die Knöpfe von ihrem Mantel gerupft hatte, blieb er stehen. Während sein Atem sich langsam beruhigte, lauschte er reglos, als müsse seine Schwester jeden Augenblick hinter einem Baum auftauchen und Kuckuck rufen und ihm entgegenflattern, mit ihren ungelenken Schritten.

«Michi!», rief er und erschrak dabei vor seiner eigenen Stimme. Dann noch einmal, aber leiser. Er trat zu den Holztischen und legte die Handfläche auf die Bank, wo Michela gesessen hatte. Sie war so kalt wie alles andere um ihn her.

Sie wollte nicht länger warten und ist schon nach Hause gegangen, dachte er.

Aber sie kennt ja noch nicht mal den Weg. Und außerdem kommt sie allein nicht über die Schnellstraße hinüber.

Mattia blickte in den Park, der sich in der Dunkelheit vor ihm verlor. Er wusste noch nicht einmal, wie weit er reichte. Auch wenn es ihm unheimlich war, blieb ihm keine andere Wahl, als Michela suchen zu gehen.

Auf Zehenspitzen, damit das Laub unter seinen Füßen nicht raschelte, bewegte er sich weiter in die Dunkelheit hinein, blickte in alle Richtungen, in der Hoffnung, Michela hinter einem Baum zu entdecken, am Boden hockend, damit beschäftigt, einem Skarabäus oder irgendeinem anderen Krabbeltier aufzulauern.

Er betrat den umzäunten Bereich mit den Spielgeräten und versuchte sich anstrengt daran zu erinnern, welche Farbe die Rutschbahn hatte, damals im Sonntagnachmittagslicht, als Mama dem Gezeter von Michela nachgegeben hatte und sie hinaufklettern ließ, obwohl sie für die Rutschbahn eigentlich schon zu groß war.

An den Hecken entlang erreichte er die Toilettenhäuschen, fand aber nicht den Mut einzutreten und folgte dem Weg, der in diesem Teil des Parks nur ein schmaler Pfad war, den die hin und her spazierenden Familien durch die Wiese gespurt hatten. Etwa zehn Minuten trottete er ihn entlang, bis er nicht mehr wusste, wo er überhaupt war. Da begann er zu heulen und zu husten, beides zu gleicher Zeit.

«Du bist wirklich so dumm, Michi», stöhnte er halblaut vor sich hin, «dumm und zurückgeblieben, ja das bist du. Tausend Mal hat dir Mama erklärt: Bleib, wo du bist, wenn du dich verirrt hast … Aber du verstehst ja nie was … Nichts verstehst du, absolut nichts …»

Er stieg einen leichten Hang hinauf und fand sich vor dem Fluss wieder, der den Park durchschnitt. Viele Male hatte sein Vater ihm gesagt, wie er hieß, doch jetzt fiel Mattia der Name nicht mehr ein. Das Wasser reflektierte ein schwaches Licht von irgendwoher, das in seinen feuchten Augen flackerte.

Als er ans Flussufer trat, hatte er das Gefühl, dass Michela ganz in der Nähe war. Sie mochte Wasser. Mama erzählte immer, dass sie früher, als sie noch kleiner gewesen und zusammen gebadet worden waren, nie aus der Wanne wollte und dann wie am Spieß brüllte, auch wenn das Wasser längst kalt geworden war. Eines Sonntags hatte Papa sie zum Fluss mitgenommen, vielleicht genau zu dieser Stelle am Ufer, und ihnen gezeigt, wie man flache Steinchen übers Wasser springen ließ. Während er ihnen erklärte, dass man sie aus dem Handgelenk werfen sollte, weil nur dadurch die Rotation entstehe, hatte Michela sich weit vorgebeugt und es geschafft, bis zur Hüfte ins Wasser zu rutschen, bevor Papa sie am Arm packen und festhalten konnte. Er hatte ihr eine runtergehauen, woraufhin sie zu flennen begann, und dann waren sie alle drei wieder nach Hause gelaufen, schweigend und mit langen Gesichtern.

Das Bild, wie Michela am Ufer stand, mit einem Zweig ihr Spiegelbild auf der Wasseroberfläche zerriss und dann wie ein Kartoffelsack in den Fluss rutschte, durchfuhr Mattias Schädel mit der Gewalt eines Stromschlags.

Erschöpft ließ er sich, einen halben Meter vom Wasser entfernt, zu Boden sinken, und als er sich umdrehte und hinter sich blickte, sah er nichts als eine Finsternis, die noch viele Stunden andauern würde.

Den Blick auf die schwarze, glatte Oberfläche des Flusses gerichtet, versuchte er sich noch einmal an dessen Namen zu erinnern, aber er fiel ihm einfach nicht ein. Mit den Händen grub er in der kalten Erde, die hier am Ufer durch die Feuchtigkeit ganz weich war. Seine Finger stießen auf eine Glasscherbe, die wohl von einer nächtlichen Party zurückgeblieben war. Als er sie sich in die Hand stach, spürte er keinen Schmerz, ja, er merkte es kaum. Dann begann er den Glassplitter im Fleisch hin und her zu drehen, damit er noch tiefer eindrang. Dabei wandte er den Blick nicht ab vom Wasser, und während er wartete, dass Michela gleich dort auftauchte, fragte er sich, wieso manche Dinge auf dem Wasser trieben und andere untergingen.

Auf der Haut und knapp darunter

(1991)

3

Diese monströse weiße Keramikvase mit den verschnörkelten goldenen Blumenmustern, die immer schon in einer Ecke des Badezimmers gestanden hatte, befand sich seit fünf Generationen im Besitz der Familie Della Rocca, gefiel aber eigentlich niemandem. Immer mal wieder hatte Alice den Drang verspürt, sie zu Boden zu knallen und die winzigen, unschätzbar wertvollen Scherben in die Mülltonne vor der Villa zu werfen, zu den leeren Tetra-Pak-Tüten mit Tomatenpüreeresten, den gebrauchten Monatsbinden – natürlich nicht von ihr – und den durchgedrückten Blistern, in die einmal die Beruhigungsmittel ihres Vaters eingeschweißt gewesen waren.

Alice fuhr mit den Fingern darüber und dachte, wie kalt, glatt und sauber diese Vase doch war. Soledad, ihre Haushälterin aus Ecuador, war mit den Jahren in ihrer Arbeit immer gewissenhafter geworden, denn im Hause Della Rocca achtete man auf Kleinigkeiten. Knapp sechs Jahre war Alice alt gewesen, als sich Soledad bei ihnen vorgestellt hatte. Im Schutz des mütterlichen Rockes hatte sie die Neue misstrauisch beobachtet, aber diese beugte sich freundlich lächelnd zu ihr hinab und betrachtete sie bewundernd. Du hast aber schöne Haare, sagte sie zu ihr, darf ich die mal anfassen? Alice biss sich auf die Lippen, um nicht Nein zu antworten, und so legte sich Soledad, so behutsam, als wäre es Seide, eine kastanienbraune Haarsträhne auf ihre Handfläche und ließ sie dann sachte fallen. Sie hatte es kaum fassen können, dass es so feines Haar überhaupt gab.

Alice hielt den Atem an, während sie das Unterhemd über den Kopf zog, und kniff kurz die Augen zusammen.

Als sie sie wieder öffnete und sich in dem großen Spiegel über dem Waschbecken sah, überkam sie eine wohlige Enttäuschung. Sie wickelte den Gummizug ihres Slips zweimal herum, sodass er gerade bis über die Narbe reichte und so gestrafft war, dass er ihre Hüftknochen wie eine Brücke verband und sich zwischen Saum und Bauch eine Lücke auftat. Der Zeigefinger passte noch nicht hinein, der kleine Finger aber sehr wohl, und innerlich jubelte sie.

Da muss sie hin, dachte sie, genau dort muss sie sprießen.

Ein kleine blaue Rose, wie Viola sie hatte.

Alice drehte sich und wandte dem Spiegel ihr Profil zu, die rechte, bessere Seite, wie sie glaubte. Sie schüttelte ihr Haar nach vorn und dachte, dass sie nun wie ein Mädchen aussah, das vom Teufel besessen war. Dann versuchte sie, die Haare zu einem Pferdeschwanz zu raffen, und hielt sie schließlich, immer noch umfasst, ein Stück höher, so wie Viola sie trug, die alle so schön fanden.

Aber noch nicht einmal so klappte es.

Sie ließ das Haar zurück auf die Schultern fallen und strich es sich hinter die Ohren zurück. Während sie sich mit den Händen aufs Waschbecken stützte, streckte sie ihr Gesicht ganz nahe vor den Spiegel, mit einer so schnellen Bewegung, dass sich ihre Augen zu einem einzigen, furchterregenden Zyklopenauge zu überschneiden schienen. Mit ihrem warmen Atem behauchte sie das Glas, bis ihr Gesicht kaum noch im Spiegel zu sehen war.