Schwarz und Silber - Paolo Giordano - E-Book + Hörbuch

Schwarz und Silber Hörbuch

Paolo Giordano

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Beschreibung

Nach seinem Weltbestseller «Die Einsamkeit der Primzahlen» schreibt Paolo Giordano nun in einem kurzen, aber dichten Roman über die Einsamkeit im Leben als Paar. Nora und ihr Mann leben mit ihrem kleinen Sohn in Turin. Sie ist Architektin, er ist Physiker. Im Alltag werden sie unterstützt von der wunderbaren Babette – sie ist die Frau für alles, sie betreut das Kind, sie kocht, sie schmeißt den Haushalt. Und sie bildet den ruhenden Pol für das junge Paar. Eigentlich heißt sie Anna, aber sie wird Babette genannt, in Hommage an das Hausmädchen Babette in Tania Blixens berühmter Novelle «Babettes Fest». Babette gehört zur Familie. Doch eines Tages kann sie nicht mehr kommen, sie ist an Krebs erkrankt. Was passiert, wenn plötzlich jemand fehlt, der immer da war? Ohne Babettes schützenden Blick verliert das Ehepaar seinen Halt, jeder zieht sich in sich selbst zurück, Gefühle, deren man sich sicher war, verschwinden. Paolo Giordano zeigt mit der ihm eigenen präzisen Beobachtungsgabe und großen Empathie, wie das Fehlen eines geliebten Menschen alles verändert und wie man gleichzeitig die Erinnerung an eine geliebte Person wachhalten kann. Mit psychologischer Meisterschaft beschreibt er, wie Bindungen entstehen, wie wir mit Gefühlen umgehen, sie verlieren und wiederfinden können. Welche Farben haben Gefühle? Giordano wendet die Viersäftelehre des griechischen Gelehrten Galenos auf seine Protagonisten an. Das Schwarz der Melancholie und das Silberne der Fröhlichkeit zeichnen den Ich-Erzähler und seine Frau aus und geben dem Buch seinen Titel. Lassen sich Gefühle bei einem Paar mischen? Ist es wie bei kommunizierenden Gefäßen? Oder bleibt jeder in seiner eigenen Gefühlswelt und dem anderen für immer ein wenig fremd? Ein wunderschöner Liebesroman und ein würdevoller Trost für alle, die einen geliebten Menschen verloren haben.

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Zeit:3 Std. 32 min

Sprecher:Heikko Deutschmann

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Paolo Giordano

Schwarz und Silber

Roman

Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Nach seinem Weltbestseller «Die Einsamkeit der Primzahlen» schreibt Paolo Giordano nun in einem kurzen, aber dichten Roman über die Einsamkeit im Leben als Paar.

Nora und ihr Mann leben mit ihrem kleinen Sohn in Turin. Sie ist Architektin, er ist Physiker. Im Alltag werden sie unterstützt von der wunderbaren Babette – sie ist die Frau für alles, sie betreut das Kind, sie kocht, sie schmeißt den Haushalt. Und sie bildet den ruhenden Pol für das junge Paar. Eigentlich heißt sie Anna, aber sie wird Babette genannt, in Hommage an das Hausmädchen Babette in Tania Blixens berühmter Novelle «Babettes Fest».

Babette gehört zur Familie. Doch eines Tages kann sie nicht mehr kommen, sie ist an Krebs erkrankt.

Was passiert, wenn plötzlich jemand fehlt, der immer da war? Ohne Babettes schützenden Blick verliert das Ehepaar seinen Halt, jeder zieht sich in sich selbst zurück, Gefühle, deren man sich sicher war, verschwinden.

Paolo Giordano zeigt mit der ihm eigenen präzisen Beobachtungsgabe und großen Empathie, wie das Fehlen eines geliebten Menschen alles verändert und wie man gleichzeitig die Erinnerung an eine geliebte Person wachhalten kann. Mit psychologischer Meisterschaft beschreibt er, wie Bindungen entstehen, wie wir mit Gefühlen umgehen, sie verlieren und wiederfinden können.

Welche Farben haben Gefühle? Giordano wendet die Viersäftelehre des griechischen Gelehrten Galenos auf seine Protagonisten an. Das Schwarz der Melancholie und das Silberne der Fröhlichkeit zeichnen den Ich-Erzähler und seine Frau aus und geben dem Buch seinen Titel. Lassen sich Gefühle bei einem Paar mischen? Ist es wie bei kommunizierenden Gefäßen? Oder bleibt jeder in seiner eigenen Gefühlswelt und dem anderen für immer ein wenig fremd?

Über Paolo Giordano

Paolo Giordano wurde 1982 in Turin geboren, wo er Physik studierte und mit einer Promotion in Theoretischer Physik abschloss.

Sein Roman «Die Einsamkeit der Primzahlen» war ein internationaler Bestseller. Er wurde in über vierzig Sprachen übersetzt und verfilmt.

Giordano erhielt dafür mehrere Auszeichnungen, darunter den angesehensten italienischen Literaturpreis, den Premio Strega, und den Premio Campiello Opera Prima.

Inhaltsübersicht

AnmerkungWidmungMottoSignora A.Der Paradiesvogel (I)Die WaisenkinderSchlaflosigkeitDie HerbergswirtinDas Zimmer der KostbarkeitenBeirutDas Siebener EinmaleinsWinterDie VogelscheucheDie kommunizierenden GefäßeDer Paradiesvogel (II)

Dies ist das Fragment einer wahren und leidvollen Geschichte in literarischer Verarbeitung. Die Abweichungen von der Wirklichkeit verändern das Wesen der Personen, an denen die Erzählung sich inspiriert, nicht in nennenswertem Ausmaß.

Für das Mädchen, mit dem ich gehe

Was bedeutet es, jemanden zu lieben? Es bedeutet immer, ihn aus einer Masse herauszugreifen, ihn aus einer vielleicht nur begrenzten Gruppe herauszunehmen, zu der er durch seine Familie oder aus anderen Gründen gehört, und dann muss man seine Meuten suchen, die Mannigfaltigkeiten, die er in sich trägt und die vielleicht ganz anderer Art als meine sind.

 

 

Gilles Deleuze, Félix Guattari Tausend Plateaus

Signora A.

An meinem fünfunddreißigsten Geburtstag hat Signora A. mit einem Mal die Beharrlichkeit, die sie in meinen Augen vor allem anderen auszeichnete, aufgegeben und hat in einem Bett, das inzwischen für ihren Körper übermäßig groß erschien, schließlich die uns bekannte Welt verlassen.

 

An jenem Morgen war ich zum Flughafen gefahren und hatte Nora abgeholt, die von einer kurzen Geschäftsreise zurückkam. Obwohl es schon Mitte Dezember war, ließ der Winter auf sich warten, und die eintönigen Flächen zu beiden Seiten der Autobahn waren von einem dünnen Streifen blassen Nebels überzogen, wie um den Schnee nachzuahmen, der nicht fallen wollte. Nora nahm den Anruf entgegen, danach sagte sie nicht mehr viel, sie hörte vor allem zu. Sie sagte «Ich habe verstanden. Ist gut, also Dienstag», dann fügte sie einen der Sätze hinzu, die die Erfahrung für uns bereithält, um notfalls dem Mangel an passenden Worten abzuhelfen: «Vielleicht war es besser so.»

Ich fuhr bei der ersten Raststätte raus, um ihr Gelegenheit zu geben, aus dem Wagen zu steigen und allein auf einen unbestimmten Punkt des Parkplatzes zuzugehen. Sie weinte leise, die rechte Hand zu einer Muschel geformt, womit sie Mund und Nase bedeckte. Zu den unzähligen Dingen, die ich in zehn Jahren Ehe über meine Frau gelernt habe, gehört ihre Angewohnheit, sich in Augenblicken des Schmerzes abzukapseln. Da wird sie plötzlich unzugänglich, sie erlaubt niemandem, sie zu trösten, sie zwingt mich in die Rolle des ohnmächtigen Betrachters ihres Leids – eine spröde Haltung, die ich gelegentlich mit mangelnder Großzügigkeit verwechselt habe.

Den Rest der Strecke fuhr ich in langsamerem Tempo, das erschien mir eine angemessene Form des Respekts. Wir sprachen über Signora A., erinnerten uns an Anekdoten aus der Vergangenheit, auch wenn es sich dabei meist nicht um wirkliche Anekdoten handelte – solche hatten wir nicht von ihr –, eher um Gewohnheiten, so tief in unserem Familienleben verwurzelte Gewohnheiten, dass sie uns fast legendär erschienen: die Pünktlichkeit, mit der sie uns jeden Morgen über das Horoskop in Kenntnis setzte, das sie im Radio gehört hatte, während wir noch schliefen; die Art, mit der sie bestimmte Bereiche in der Wohnung, vor allem in der Küche, mit Beschlag belegte, sodass wir glaubten, sie um Erlaubnis bitten zu müssen, unseren eigenen Kühlschrank zu öffnen; die Sprüche, mit denen sie dem Einhalt gebot, was ihrer Ansicht nach von uns Kindern unnötig herbeigeführte Komplikationen waren; ihr kriegerischer, männlicher Gang, und dann ihre unverbesserliche Knausrigkeit, erinnerst du dich an das Mal, als wir vergaßen, ihr das Geld für den Einkauf hinzulegen? Sie hat die Dose mit dem Kupfergeld geleert und bis auf den letzten Cent alles zusammengekratzt.

Nach ein paar Minuten Schweigen fügte Nora hinzu: «Was für eine Frau, unsere Babette! Immer zur Stelle. Auch diesmal hat sie gewartet, bis ich wieder da bin.»

Ich wies sie nicht darauf hin, dass sie mich eben kurzerhand aus dem Gesamtbild getilgt hatte, und ich hatte auch nicht den Mut, ihr zu gestehen, was ich in diesem Augenblick dachte: dass Signora A. meinen Geburtstag abgewartet hatte, um zu gehen. Beide legten wir uns also unseren kleinen, persönlichen Trost zurecht. Angesichts des Todes von jemandem bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mildernde Umstände auszudenken, dem Verstorbenen eine letzte Geste der Aufmerksamkeit zuzuschreiben, die er genau für uns bestimmt hat, die Zufälligkeiten gemäß einem sinnvollen Plan anzuordnen. Doch heute, mit der Kühle betrachtet, die unvermeidlich aus der zeitlichen Distanz entsteht, habe ich Mühe zu glauben, dass es wirklich so war. Das Leiden hatte Signora A. weit weg von uns geführt, von allen, lang vor diesem Dezembermorgen, es hatte sie dazu gebracht, bis zu einem abgelegenen Winkel der Welt zu gehen – genauso, wie sich Nora auf dem Autobahnparkplatz von mir entfernte –, und dort kehrte sie uns den Rücken zu.

 

Babette, so nannten wir sie, der Spitzname gefiel uns, weil er eine Zusammengehörigkeit suggerierte, und ihr gefiel er, weil er nur ihr gehörte und mit diesem französischen Tonfall wie eine Liebkosung klang. Ich glaube, Emanuele hat seine Bedeutung nie begriffen, vielleicht wird er eines Tages auf die Erzählung von Karen Blixen stoßen, oder wahrscheinlicher noch auf den Film, und dann wird er die Verbindung herstellen. Jedenfalls nahm er es gern an, dass Signora A. ab einem gewissen Zeitpunkt Babette wurde, seine Babette, und ich habe den Verdacht, dass dieser Spitzname ihn klanglich an ihre ciabatte, ihre Pantoffeln, erinnerte, die seine Kinderfrau stets als Allererstes anzog, wenn sie unsere Wohnung betrat, und am Ende des Tages ordentlich nebeneinander bei der Truhe abstellte. Als Nora den erbarmungswürdigen Zustand der Sohlen bemerkte und ihr ein Paar neue besorgte, verbannte sie die in die Besenkammer und benutzte sie nie. So war sie, sie änderte nie etwas, ja, sie widersetzte sich mit Leib und Seele allen Veränderungen, und obwohl ihr Starrsinn komisch, bisweilen sogar albern war, kann ich nicht leugnen, dass er uns gefiel. In unserem Leben, meinem, Noras und Emanueles Leben, das damals täglich im Umbruch schien und gefährlich im Wind schwankte wie eine junge Pflanze, war sie ein fester Halt, eine Zuflucht, ein alter Baum mit so dickem Stamm, dass drei Paar Arme nicht ausreichten, ihn zu umfassen.

Babette wurde sie an einem Samstag im April. Emanuele sprach schon, saß aber noch im Kinderstuhl, also muss das vor fünf oder sechs Jahren gewesen sein. Monatelang hatte Signora A. uns immer wieder gedrängt, dass wir sie bei ihr zu Hause besuchen sollten, wenigstens einmal, zum Mittagessen. Nora und ich sind Meister im Ablehnen von Einladungen, die auch nur von ferne nach Familienzusammenkünften riechen, und hatten uns der Sache lang entzogen, aber Signora A. ließ sich nicht entmutigen, und jeden Montag sprach sie erneut die Einladung für das darauffolgende Wochenende aus. Schließlich hatten wir uns ergeben. Seltsam angespannt fuhren wir nach Rubiana, als wären wir im Begriff, etwas wenig Spontanes zu tun, das uns einen hohen Grad an Einsatz abverlangte. Wir waren es nicht gewohnt, mit Signora A. an einem Tisch zu sitzen, noch nicht: Trotz des täglichen Umgangs bestand zwischen uns eine unausgesprochen hierarchische Beziehung, weshalb gegebenenfalls sie auf den Beinen war und sich zu schaffen machte, während wir aßen und uns über unsere Angelegenheiten unterhielten. Es kann sogar sein, dass wir zu der Zeit noch nicht per du waren.

«Rubiana», hatte Nora damals auf der Fahrt gesagt und ratlos den dichtbewaldeten Hügel betrachtet, «stell dir vor, ein ganzes Leben hier zu verbringen.»

Wir besichtigten die Dreizimmerwohnung, in der Signora A. ihre einsame Witwenschaft verlebte, und ergingen uns in übertriebenem Lob. Wir hatten nur wenige Informationen über ihre Vergangenheit – Nora wusste gerade ein bisschen mehr als ich – und konnten dem, was wir sahen, keinen Gefühlswert zuordnen, daher erschien uns diese Behausung nicht mehr und nicht weniger als eine unnötig protzige, ein bisschen kitschige und sehr saubere Wohnung. Signora A. hatte den runden Tisch im Wohnzimmer perfekt gedeckt, das Silberbesteck auf einer Tischdecke mit Blumenmuster aufgereiht, dazu schwere Gläser mit Goldrand. Die Essenseinladung an sich, dachte ich, schien ein Vorwand, um die Existenz dieses Geschirrs zu rechtfertigen, das sichtlich seit Jahren keine Verwendung mehr gefunden hatte.

Sie verführte uns mit einem Menü, das so ausgeklügelt war, dass es all unsere Lieblingsgerichte zusammenfasste: eine Dinkel-Linsen-Suppe, marinierte Koteletts, überbackener Fenchel in einer sehr leichten Béchamelsoße und ein Salat aus Sonnenblumenblättern, die sie selbst gesammelt, fein gehackt und mit Senf und Essig angemacht hatte. Ich habe noch jeden Gang im Gedächtnis und das körperliche Empfinden, als die anfängliche Steifheit allmählich wich und ich mich diesen kulinarischen Liebkosungen überlassen konnte.

«Genau wie Babette!», rief Nora.

«Wie wer?»

So erzählten wir ihr die Geschichte, und Signora A. hörte gerührt zu, sie sah sich selbst anstelle der Köchin, die das Café Anglais verlassen hatte, um zwei alten Jungfern zu dienen, und die dann ihr ganzes Geld ausgab, um ihnen ein unvergessliches Mahl zu bereiten. Sie wischte sich mit einem Schürzenzipfel die Augen und wandte sich von uns ab, tat so, als müsse sie etwas in Ordnung bringen.

Jahre sollten vergehen, bis ich sie noch einmal weinen sah, diesmal nicht vor Freude, sondern vor Schreck. Zu dem Zeitpunkt waren wir vertraut genug miteinander, dass es mich nicht in Verlegenheit brachte, ihre Hand zu nehmen und ihr zu sagen: «Du schaffst das. Viele lassen sich entmutigen, aber du kennst die Krankheit, weil du es schon einmal mit ihr aufgenommen hast. Du bist stark genug.»

Und das glaubte ich wirklich. Dann aber sah ich, wie sie so schnell verfiel, dass uns nicht einmal die Gelegenheit zu einem zufriedenstellenden Abschied blieb, nicht einmal die Zeit, die passenden Worte zu finden, um ihr zu sagen, was sie uns bedeutet hat.

Der Paradiesvogel (I)

Das Ende kam schnell, war aber von einem Omen angekündigt worden, davon jedenfalls wollte Signora A. uns in den letzten Monaten überzeugen, fast als ob eine Vorwarnung dem einen Sinn geben könnte, was schlichtweg Unglück war.

In den letzten Sommertagen, anderthalb Jahre vor ihrer Beerdigung, arbeitete sie im Garten hinter dem Mehrfamilienhaus. Sie rupfte die abgeernteten Bohnenpflanzen aus, um Platz zu schaffen für den Kohl, da lässt sich wenige Schritte von ihr entfernt ein Vogel nieder, oben auf einem der Steine, die das kleine Geviert abgrenzen, das ihr gehört.

Über ihre achtundsechzig Jahre gebeugt, die sie doch noch stützen, hält Signora A. inne, um den Vogel nicht zu erschrecken, während er ihr einen forschenden Blick zuwirft. Einen solchen Vogel hat sie noch nie gesehen. Die Größe ist ungefähr die einer Elster, aber die Farben sind ganz anders: Um den Kragen herum wachsen Büschel zitronengelber Federn hervor, die ihm bis auf die Brust hinabreichen und sich im blauen Gefieder des Rückens und der Flügel verlieren, und er hat einen langen Schwanz aus weißen Federn, Baumwollfasern, die am Ende eingerollt sind wie Angelhaken. Die Anwesenheit eines Menschen scheint ihn nicht zu stören, im Gegenteil, Signora A. hat den Eindruck, er habe sich dorthin gesetzt, damit sie ihn bewundern könne. Ihr Herz beginnt heftig zu klopfen, sie kann sich nicht erklären, warum, fast geben ihre Knie nach. Sie fragt sich, ob er vielleicht einer kostbaren, seltenen tropischen Art angehöre und dem Käfig seines Halters entflohen sei: Exemplare dieser Art gibt es in der Gegend von Rubiana nicht. Doch soweit sie weiß, gibt es in Rubiana auch keine Tierhalter.

Mit einem Ruck legt der Vogel den Kopf auf die Seite und beginnt mit dem Schnabel an einem Flügel zu zupfen. Seine Bewegungen haben etwas Mutwilliges, nein, nicht wirklich, wie heißt das Wort noch … etwas Hochmütiges, das ist es. Als er mit dem Putzen fertig ist, fixiert er Signora A. aus seinen tiefschwarzen Augen. Die am Körper anliegenden Federn zittern einen Augenblick, die Brust schwillt in zwei sehr langsamen Atemzügen an. Schließlich erhebt er sich lautlos von dem Stein und fliegt davon. Signora A. verfolgt seinen Flug, sie schützt sich mit der Hand vor der Sonne. Sie würde ihn gern noch länger beobachten, aber schon bald verschwindet der Vogel zwischen den Steineichen des Nachbargrundstücks.

 

In der folgenden Nacht träumte sie von dieser Art Papagei. Als sie mir das erzählte, war die Krankheit bereits voll ausgebrochen, und an diesem Punkt war es unmöglich, objektive von erdachten Elementen oder schlichter Einbildung zu unterscheiden. Aber ich glaube, es ist wahr, dass Signora A. am Morgen darauf in dem Buch über die Fauna des Susatals, das sie bei sich zu Hause hatte, nach einem Bild des Vogels suchte, denn sie zeigte mir das Buch. Und zweifellos ist es wahr, dass sie, als sie kein Bild fand, beschloss, zu ihrem Freund, dem Maler, zu gehen, der ein begeisterter Ornithologe war, denn sie erzählte mir von diesem Besuch in allen Einzelheiten.

Von der Natur ihrer Beziehung zu dem Maler habe ich nie viel begriffen. Sie war nicht geneigt, darüber zu sprechen, vielleicht aus Schamgefühl, denn er war ein bekannter Maler – zweifellos die berühmteste Person, zu der sie nach Renatos Tod noch Kontakt hatte –, oder sie war ganz einfach eifersüchtig. Ich weiß, dass sie gelegentlich für ihn kochte oder in seinem Auftrag Besorgungen machte, aber im Grunde war sie eine Art Gesellschafterin für ihn, eine Freundin, mit der man sich in keuscher Weise unterhält. Ich habe den Eindruck, sie sahen sich öfter, als sie zu verstehen gab. Jeden Sonntag nach der Messe ging Signora A. ihn besuchen und blieb bis zur Mittagszeit. Die Villa des Malers, versteckt hinter sehr hohen Buchen und mit dem intensiven Rot ihrer Fassade, lag kaum drei Minuten mit dem Auto oder zehn Minuten zu Fuß von ihrem Haus entfernt an einer Asphaltstraße, die einen Halbkreis beschreibt.

Der Maler war ein Zwerg: Sie hatte keine Hemmungen, ihn so zu nennen, ja, sie sprach dieses Wort mit einer Spur befriedigter Grausamkeit aus. Nach so vielen Jahren, gestand sie mir, habe sie nicht aufgehört, sich dumme Gedanken über ihn zu machen, zum Beispiel habe sie nie aufgehört, sich zu fragen, wie es sein musste, im Sitzen nicht mit den Füßen auf den Boden zu kommen. Und immer beobachte sie seine Hände, diese plumpen, etwas steifen Finger, die doch imstande waren, Wunderwerke hervorzubringen. Er war der einzige Mann, den Signora A. mit ihren knappen ein Meter sechzig sich erlauben konnte an Größe zu übertreffen, aber er übte einen so weiten und dichten Zauber aus, dass sie es war, die sich immer und unter allen Umständen übertroffen fühlte. Ihn zu besuchen, in dem zum Atelier umfunktionierten Salon zu sitzen, zwischen all den Bildern und Rahmen, erinnerte sie an die Zeit, als Renato sie bei sich haben wollte, um Keller und Speicher nach seltenen und vergessenen Stücken zu durchsuchen.

«Das wird ein Wiedehopf gewesen sein», tippte der Maler an jenem Morgen Ende August auf gut Glück.