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Versteckt am Fuße der schwindelerregenden Klippen, die der Fluss Borgne geformt hat, liegt die Einsiedelein von Longeborgne. Ein spektakulärer und malerischer Ort, der von einer lebendigen Spiritualität geprägt ist. Die Anfänge der Einsiedelei sind nicht mehr nachvollziehbar, doch ein Dokument aus dem Jahr 1522 belegt die Anwesenheit einer kleinen Franziskanergemeinschaft, die hier über die Jahrhunderte zwei Oratorien und einfache Behausungen errichtete. Die in den Fels gehauenen Doppelkapellen beherbergen eine bedeutende Sammlung von Votivbildern, die von der Verbundenheit der Gläubigen mit der Jungfrau des Mitgefühls und dem Heiligen Antonius zeugen. Die Einsiedelei von Longeborgne ist gleichzeitig ein außergewöhnlicher Ort inmitten der Natur, ein Pilgerziel und eine Oase des Friedens, deren lange Vergangenheit uns dazu veranlassen soll Zukunft mit Glauben und Vertrauen zu sehen.
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Seitenzahl: 66
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R. Syburra • C. Fauchère • J.-C. Balet C. Berthod • J. Fournier • F. Huot
Die Einsiedelei Longeborgne
Kanton Wallis
Einführung
Geologie
Longeborgne und seine Natur
Die Einsiedelei Longeborgne, 500 Jahre Leben in Andacht
Ungewisse Ursprünge
Eine beschwerliche Entwicklung
Eine ununterbrochene, ertragreiche Präsenz
Bauliche Entwicklung von 1900 bis heute
Allgemeine Anlage
Die Liebfrauen- und die Antoniuskapelle
Der Kreuzweg
Die Bauarbeiten von 1907 bis 2015
Unterschutzstellung des Borgne-Tals
Die Freunde von Longeborgne
Ein Ort voller Leben
Ein attraktives Besuchsziel
Wer besucht die Einsiedelei?
Die Fastenfreitage
Weitere Wallfahrten
Tägliche Feiern
Einzel- und Gemeinschaftsandachten
Spirituelle Begleitung
Freiwilligenarbeit
Blick in die Zukunft
Literatur über Longeborgne vom 16. bis zum 19. Jahrhundert
Geografen, Historiker und Kupferstecher
Gelehrte und Reisende
Die Bischöfe von Sitten
Die Exvotos
Ein Bild als Bitte oder Dank an den Himmel
Anliegen und Wünsche
In Longeborgne angerufene Fürbittende
Von anerkannten Künstlern zu namenlosen Dilettanten und zur anonymen Geste
Die Ausstattung der Einsiedelei
Die Kapellen
Liturgische Gerätschaften
Longeborgne: eine einzigartige traditionelle Einsiedelei
Anhang
Longeborgne ist ein Ort, ein Weg, ein Heiligtum… Es ist ein Pfad, der in die Schlucht der Borgne eindringt und von Kreuzwegstationen gesäumt wird. Je weiter wir hinaufsteigen, desto mehr lassen wir den Alltag hinter uns. Man vergisst seine Sorgen, sein Leid, den täglichen Stress. Man fühlt sich gleichsam nach oben gezogen, in die Stille, ins Geheimnis… Die Abkehr vom Lärm der Stadt und der Landarbeiten befreit uns für eine Weile von der Last des Alltags. Der Rückzug fördert die Meditation. Zur Neugier kommt die Ungeduld hinzu, das Ziel zu erreichen.
Nach einer guten Viertelstunde Fussmarsch führt eine grosse Treppe auf eine malerische Esplanade. Hier fühlt sich der Körper wohl und die Seele leicht. Man geniesst die schöne Aussicht auf die Schlucht und die Felsen, die das Kreuz der Sentinelle bekrönt. Die Borgne rauscht unter uns und verliert sich in der Ebene. Über Bramois hinaus schweift der Blick über die Dörfer und Berge der Umgebung. Hier atmet alles Frieden, Longeborgne ist ein Ort des Gebets und der Gnade, der Hoffnung und der Versenkung. Bleibt nur noch, durch die Holztür zu treten, um sich von der Stille und dem Zauber der Kapellen einnehmen zu lassen… Tritt man wieder auf die Esplanade hinaus, nimmt man die Natur, die eindrucksvollen schroffen Felswände und die Gebäude, die seit 500 Jahren an diesem malerischen Ort von einem Leben in Einsamkeit und Gebet zeugen, mit anderen Sinnen wahr.
fr François Huot osb Rektor der Einsiedelei Longeborgne
Lage von Longeborgne.
Schutz gegen Steinschlag und Felssturz
Die Gefahr, die von Gestein ausgeht, das sich aufgrund von Frost- und Tauzyklen sowie unter dem Einfluss von Wasser auflöst, war seit jeher Anlass zu Besorgnis. In den Jahren 1788–1789, 1796, 1806, 1824, 1911, 1919, 1927, 1971 und 2008 wurden Felsstürze verzeichnet.
Regelmässig werden Sicherungsarbeiten durchgeführt, um den Kreuzweg und die Gebäude vor Steinschlag zu schützen. Zwischen 2003 und 2005 säuberte man die Felsen oberhalb des Zugangs zur Einsiedelei und festigte einige Felspartien durch Verankerungen oder die Montage eines auf das Gestein gespannten Metallnetzes. Zudem errichtete man 3 bis 4 m hohe Steinschlagschutzgitter auf eine Länge von etwa 170 Laufmetern. 2011 und 2012 kamen die Felsen oberhalb der Einsiedelei an die Reihe. Die alten Netze wurden entfernt. Diese gefährlichen Arbeiten wurden von Spezialisten ausgeführt, die an Seilen über dem Abgrund hingen. Im Frühjahr 2012 konnte man die zweite Etappe der Felssicherung oberhalb der Einsiedelei abschliessen. In der Folge unternahm man weitere Säuberungsarbeiten und verankerte die instabilsten Blöcke in der Felswand. Zwei Schutzgitter und über das Gestein gespannte Netze wurden montiert. Derzeit wird die gesamte Anlage regelmässig mittels direkt auf den Felsen angebrachter Messpunkte und photogrammetrischer Überwachung kontrolliert (Vergleich der 3D-Topografie der Felsen, um ihre Aktivität im Lauf der Zeit zu beobachten).
Auf dem Weg von Bramois nach Longeborgne erblickt man den unteren Teil des Eringertals (Val d’Hérens) und die Felsen der Borgne-Schlucht. Dieses Relief wurde während der letzten zwei Millionen Jahre unserer Geschichte geformt, als eine zunehmende Abkühlung die Gletscher entstehen und wachsen liess. Bei jedem grossen Vorstoss des Eises wurden die Felsen ein weiteres Mal abgehobelt und so das Eringertal gebildet. Die Schlucht wurde durch das sandige Wasser des unter dem Gletscher fliessenden Wildbachs gegraben. Während der letzten grossen Eiszeit vor 40 000 Jahren glitt der Eringergletscher von Arolla aus in die Tiefe und vereinigte sich mit dem Rhonegletscher. Seine Oberkante befand sich auf etwa 2000 m Höhe über dem Ort, den heute das Dorf Bramois einnimmt.
Sicht auf die Ermitage.
Longeborgne liegt am Fuss hoher Felswände aus Quarzit, einem weisslichen oder grünlichen Hartgestein, das reich an Quarz ist. Es handelt sich um ehemalige metamorphe Sande oder Sandsteine, deren Ursprung etwa 250 Millionen Jahre zurückliegt, als alle Landmassen der Erde einen einzigen Urkontinent, Pangaea, bildeten. Sie wurden von einem vulkanischen Bergmassiv, der Variszischen Kette, abgetragen, in Form von Sand und Kies von grossen Flüssen wegtransportiert und als Sedimente an der Küste abgelagert.
Ansicht der Einsiedeleimit verschiedenen Schutznetzen auf den Felsen, 2018.
Der Weg zur Einsiedelei führt zunächst der Basis dieser Formation entlang; sie besteht abwechselnd aus grünem Quarzit und dünnlagigem flaschengrünem Serizitschiefer, der sich seidig anfühlt.
Schieferschichten zwischen der vierten und fünften Kreuzwegstation.
Der Pfad, der nun ansteigt, führt durch grüne und massive reinere Quarzite. Betrachtet man diese Felsen zwischen der zehnten Station und der Esplanade vor den Kapellen, erkennt man einige weisse, rosafarbene oder rote Quarzkiesel, die im Gestein verstreut sind. Es handelt sich um alte, erstarrte Lavastücke, die aus den Vulkanen der Variszischen Kette stammen.
Die überhängenden Felsen bestehen aus reinweissen Quarziten, die massive Bänke bilden. In ihnen liegen die Höhlen von Longeborgne.
«Säuglingshöhle», deren Decke vom Wasser geformt wurde und deren Boden mit lockerem Sand bedeckt ist.
Sie entstanden durch die Auflösung der interkristallinen Fugen und der Kieselsäure, welche die Sandkörner gefestigt hatte, so dass das Gestein zu einem groben, lockeren Sand zerfiel. Die Auflösung der Kieselsäure verläuft ausgesprochen langsam und erfordert einen ständigen Kontakt mit Wasser. Dieser Prozess wird während der Eiszeit stattgefunden haben. Der durch die Auflösung entstandene Sand wurde dann durch Erosion aus dem Felsmassiv herausgeschwemmt, wodurch sich die Höhlen bildeten. Sie waren zwar schwer zugänglich, lagen aber günstig am Rand der Rhoneebene und boten den Menschen, die sie nutzten oder in ihnen Ruhe suchten, von nun an einen natürlichen Schutz.
Claudine Berthod
Die Borgne-Schlucht bildet ein Mosaik aus Felsgestein, Steppenrasen sowie wärmeliebenden Wäldern und bietet einen unberührten, natürlichen Anblick, der einen Gegensatz zu der nahe gelegenen, intensiv bewirtschafteten und urbanisierten Rhoneebene bildet. Aufgrund ihres natürlichen Reichtums und landschaftlichen Werts steht die Schlucht auf kantonaler Ebene unter Schutz (Staatsratsbeschluss zum Schutz der Landschaft von Borgne vom 25. April 1984).
Verschiedene Bäume und Büsche am Wegrand. Trockenmauern sind beliebte Lebensräume von Kleintieren (Eidechsen, Spitzmäuse, Spinnen,Insekten, Asseln, Schnecken usw.).
Am Fuss der Felsen führt der Weg durch verschiedenartige Waldzonen von eher heterogener Zusammensetzung. So finden sich hier Waldkiefern, Flaumeichen und Linden, die gut an karge Böden, Hitzeund Trockenheit angepasst sind, an kühleren Stellen machen sie Eschen Platz. Die Robinie oder Falsche Akazie, eine aus Nordamerika stammende invasive Baumart, ist in diesen bewaldeten Lebensräumen leider gut vertreten. Zu den Sträuchern, die das Unterholz und die Waldränder besiedeln, gehören Felsenkirsche, Berberitze, Weissdorn, Feldahorn und Pfaffenhütchen.
Grosse Partien der Felswand, insbesondere jene oberhalb der Einsiedelei, bieten der Vegetation keinen Halt. Vor allem im oberen Teil können sich jedoch auf den Vorsprüngen und in den Spalten gesteinsbewohnende Pflanzen entwickeln. Diese sind an die extremen Bedingungen (Trockenheit, Hitze) auf dem nackten Fels angepasst. Unter ihnen dominieren der Dach-Hauswurz und das Männliche Knabenkraut. Beide Arten haben wasserspeichernde Blätter, mit denen sie wie Kakteen Trockenperioden überstehen können. Sie werden unter anderen von Wimper-Perlgras, Steinnelke und Aufrechtem Ziest begleitet.
Über den Felsen dehnen sich Eichenwälder, Steppenkerzen und Trokkenrasen aus. Dort lebt eine Vielzahl von Pflanzen und Kleintieren (Insekten, Schnecken, Reptilien), die hierzulande nur selten vorkommen und von denen einige auf der Roten Liste der bedrohten Arten der Schweiz stehen.