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Sabine Ebert

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Beschreibung

Die Geschichte von Marthe und Christian geht weiter Magdeburg im Jahre 1179: Auf dem Hoftag wirft Kaiser Barbarossa Heinrich dem Löwen den Fehdehandschuh hin. Das bedeutet Krieg, und Christian und Marthe müssen jeden Tag damit rechnen, dass er auch ihr Dorf erreicht. Schließlich nimmt Markgraf Otto von Meißen Christian als einen seiner Heerführer mit in den Kampf, während Marthe eine andere Herausforderung zu bestehen hat: Otto hat nämlich für die Zeit des Kriegszuges seinem machtbesessenen ältesten Sohn das Kommando über die Christiansdorfer Burg übertragen. Diesem sind Marthe und ihre besonderen Kräfte schon lange ein Dorn im Auge … »So erfolgreich ist in Sachsen nur noch Karl May gewesen.« Die Zeit

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Sabine Ebert

Die Entscheidung der Hebamme

Roman

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Die Geschichte von Marthe und Christian geht weiter Magdeburg im Jahre 1179: Auf dem Hoftag wirft Kaiser Barbarossa Heinrich dem Löwen den Fehdehandschuh hin. Das bedeutet Krieg, und Christian und Marthe müssen jeden Tag damit rechnen, dass er auch ihr Dorf erreicht. Schließlich nimmt Markgraf Otto von Meißen Christian als einen seiner Heerführer mit in den Kampf, während Marthe eine andere Herausforderung zu bestehen hat: Otto hat nämlich für die Zeit des Kriegszuges seinem machtbesessenen ältesten Sohn das Kommando über die Christiansdorfer Burg übertragen. Diesem sind Marthe und ihre besonderen Kräfte schon lange ein Dorn im Auge …

Inhaltsübersicht

Dramatis Personae

Prolog

Erster Teil

Juni 1179, Hoftag in Magdeburg

Bruderzwist

Rotgüldigerz

Quälende Sorgen

Die Drohung

Kriegsnachrichten

Zweiter Teil

Oktober 1179 vor Haldensleben

Unter Albrechts Kommando

Das Söldnerheer

Der neue Vogt

Der Hinterhalt

Rachepläne

Albrechts Gericht

Die Heimkehr

Hedwigs Mahnung

Dritter Teil

Februar 1180

Kaiserpfalz Gelnhausen, April 1180

Die Belagerung Goslars

Unterwegs mit Ottos Hofstaat

Zurück in Christiansdorf

Die Bergleute vom Rammelsberg

Der Auszug

September 1180 in Christiansdorf

Der Fall Haldenslebens

Schlechte Nachrichten

November 1181 in Erfurt: Der tiefe Fall

Vierter Teil

Pfingsten 1184 in Mainz

Vorwarnungen

Der Überfall

Christians Entscheidung

Drei Pfeile

Alte Rechnungen

Die Entscheidung

Epilog

Nachbemerkungen

Zeittafel

Glossar

Bonusmaterial

Dramatis Personae

Aufstellung der wichtigsten handelnden Personen. Historische Persönlichkeiten sind mit einem * gekennzeichnet.

Bewohner von Christiansdorf

Christian*, Ritter im Dienste des Meißner Markgrafen Otto von Wettin

Marthe, eine junge Hebamme und Kräuterkundige, Frau von Christian

Thomas, Clara und Daniel, ihre Kinder

Johanna und Marie, Stieftöchter von Marthe

Lukas, Ritter in Christians Diensten und sein bester Freund

Adela, Frau von Lukas

David und Georg, Knappen von Christian und Lukas

Jonas, ein Schmied, und seine Frau Emma

Johann und Guntram, die ältesten Söhne des Schmiedes

Karl, Schmied und Stiefsohn Marthes

Agnes, Frau von Karl

Mechthild, Köchin in Christians Haushalt

Hilbert, Kaplan in Christians Haushalt

Kuno und Bertram, Wachen in Christians Diensten

Reinhard, Ritter Christians

Sebastian, der Dorfpfarrer

Griseldis, seine Haushälterin

Walther, Hauptmann der Wache

Hermann, Bergmeister

Wibald, Münzmeister

Josef, Tuchhändler und Dorfschulze

Anselm, Gewandschneider

Hans und Friedrich, ehemals Salzfuhrleute aus Halle

Peter, Anführer einer Jungenbande

Anna, seine Schwester

Christian, Stallbursche, das erste in Christiansdorf geborene Kind

Bertha, seine Mutter

Tilda, eine Hurenwirtin

Lisbeth, eine Hure

Raina, eine Magd

Meißen

Otto von Wettin*, Markgraf von Meißen

Hedwig*, Gemahlin von Otto

Albrecht* und Dietrich*, Söhne von Otto und Hedwig

Sophia* und Adela*, Töchter von Otto und Hedwig

Martin*, Bischof von Meißen

Susanne, Magd im Dienste Hedwigs

Ekkehart, Kommandant von Ottos Leibwache

Cäcilia, seine Frau

Rutger, ein Knappe, Sohn von Christians besiegtem Erzfeind

Friedmar, ein angesehener älterer Ritter

Hochadel und Geistlichkeit

Kaiser Friedrich von Staufen*, genannt Barbarossa

Beatrix von Burgund*, Gemahlin von Friedrich

Heinrich der Löwe*, Herzog von Sachsen und Bayern

Mathilde*, Gemahlin von Heinrich

Dietrich von Landsberg*, Markgraf der Ostmark, Bruder von Markgraf Otto

Dedo, Graf von Groitzsch*, weiterer Bruder von Otto

Wichmann von Seeburg*, Erzbischof von Magdeburg

Philipp von Heinsberg*, Erzbischof von Köln

Ludwig der Fromme*, Landgraf von Thüringen

Otto, Markgraf von Brandenburg*, Siegfried, Bischof von Brandenburg*, und Bernhard von Aschersleben*, Söhne Albrechts des Bären* und Brüder Hedwigs*

Bernhard von Lippe*, Gefolgsmann Heinrichs des Löwen und Befehlshaber von Burg und Stadt Haldensleben

Peter*, Abt des Klosters Marienzell

Sonstige handelnde Personen

Raimund, Ritter im Dienste Markgraf Ottos und Freund Christians

Elisabeth, seine Frau

Giselbert und Elmar, Ritter im Dienste Markgraf Ottos und erklärte Feinde Christians

Hartmut, Anführer von Albrechts Wachen

Ludmillus, ein Spielmann

Jakob, Ritter, Bruder von Lukas

Gerolf, ein Magdeburger Ritter in Erzbischof Wichmanns Streitmacht

Roland von Maienau, einer der Verteidiger Goslars

Hoyer von Falkenstein, Ritter im Gefolge des Kölner Erzbischofs

Waltrud, Bergmannswitwe aus Goslar

Grete, eine Marketenderin

Prolog

Mit allem Mut, den sie aufbringen konnten, und unter unsäglichen Mühen waren sie einst aufgebrochen, um in der Fremde ein neues, ein besseres Leben zu beginnen.

So wurden aus Knechten freie Bauern.

Doch vieles – Gutes und Schreckliches – musste erst geschehen, damit aus Bauern Bürger wurden.

Erster Teil

Kriegsvorbereitungen

Juni 1179, Hoftag in Magdeburg

Mein Kaiser.«

Ehrerbietig sank Dietrich von Landsberg, Markgraf der Ostmark, vor dem mächtigsten weltlichen Herrscher der Christenheit auf ein Knie.

»Erhebt Euch, mein treuer Fürst und Freund.«

Unzählige Kerzen tauchten das Privatgemach des Kaiserpaares in warmes Licht und ließen golddurchwirkte Stickereien funkeln. Im Raum hing der schwere Duft von kostbaren Essenzen aus dem Orient.

Ein Page brachte Wein, dann befahl Kaiser Friedrich von Staufen allen anderen mit einem Wink, sie allein zu lassen. Nur Beatrix, die Kaiserin, blieb. In eines ihrer mit Perlen und Edelsteinen geschmückten, purpurfarbenen Kleider gehüllt, saß sie an der Seite ihres Mannes und blickte versonnen auf den schlanken, dunkelhaarigen Markgrafen, der nicht zum allerengsten Kreis der Vertrauten des Kaisers gehörte, aber oft an seinem Hof war, ihn auf mehreren Italienfeldzügen begleitet und in seinem Auftrag diplomatische Missionen übernommen hatte.

Wahrscheinlich rechnete Dietrich gerade wieder mit einer solchen Aufgabe. Doch diesmal brauchten sie ihn als Kämpfer, als Mann von furchteinflößendem Ruf im Umgang mit dem Schwert.

»Ich habe eine Bitte an Euch«, sagte der Kaiser nach einigem Schweigen, wobei er bewusst auf den Pluralis Majestatis verzichtete.

Verwundert sah Dietrich auf.

»Ihr müsst mich nicht bitten, Majestät«, sagte er und breitete die Arme aus. »Sagt, was Ihr wünscht, und ich werde tun, was in meiner Macht steht.«

Aus dieser Nähe war nicht zu übersehen, dass Friedrichs rotblondes Haar, das die Lombarden zu dem Spottnamen »Barbarossa« veranlasst hatte, längst von weißen Strähnen durchzogen war. Der Kaiser musste inzwischen siebenundfünfzig Jahre alt sein, rechnete Dietrich in Gedanken nach. Und die letzten zweieinhalb Jahre waren bitter genug für ihn gewesen, um graue Haare zu bekommen: erst der Bruch mit seinem vermeintlich treuesten Freund und Gefolgsmann, Heinrich dem Löwen, dann die schmähliche Niederlage vor Mailand und als deren Folge der nun unausweichlich gewordene Fußfall vor Papst Alexander nach fast zwanzigjähriger Feindschaft. Der Papst hatte die Niederlage des Staufers weidlich genossen. Vor dem Dom San Marco in Venedig zögerte Alexander den Moment so lange hinaus, den reumütigen Kaiser zu seinen Füßen aufzuheben, dass er, Dietrich von Landsberg, tadelnd vor der versammelten Menschenmenge gerufen hatte, wieso der Papst das Ansehen des Kaisers dermaßen herabsetze.

Was mochte Friedrich am meisten getroffen haben?, überlegte Dietrich. Und was würde er diesmal von ihm wollen? Etwas lag in der Luft … Verrat oder Krieg. Jedermann am Hof wartete, dass etwas Besonderes geschehen würde, etwas Unerhörtes.

»Ich weiß, dass ich auf Eure Lehnstreue zählen kann«, antwortete der Rotbart. »Doch mir ist daran gelegen, dass Ihr diese Aufgabe aus freien Stücken übernehmt.«

Wieder ließ der Kaiser Zeit verstreichen und überbrückte den Moment mit mehreren kräftigen Zügen aus dem goldenen Pokal.

Dietrich wartete. Es ziemte sich nicht, einem Kaiser gegenüber Ungeduld an den Tag zu legen. Er ließ verstohlen einen Blick zur Kaiserin wandern, die ihn mit hoheitsvollem Lächeln ansah, während er eine schwache Spur ihres blumigen Duftes wahrzunehmen glaubte.

Sie ist immer noch schön, dachte Dietrich. Es ist mehr als zwanzig Jahre her, dass Beatrix von Burgund – damals blutjung – den Stauferkaiser Friedrich geheiratet hatte. Wie schafft sie es, ihn immer noch an sich zu fesseln? Einen winzigen Moment lang stellte sich Dietrich das Kaiserpaar im Bett vor, doch schnell verbot er sich den respektlosen Gedanken.

Beatrix war nicht nur schön, sondern auch klug. Sie hatte stets zu ihrem Gemahl gehalten, angesichts einer seiner drängendsten Sorgen sogar besondere Weitsicht bewiesen und sich dafür auch den Markgrafen der Ostmark zum heimlichen Verbündeten gemacht. Das war vor zweieinhalb Jahren gewesen, als sie mit Hilfe Dietrichs und weiterer Getreuer das Gerücht verbreiten ließ, der Kaiser sei vor Heinrich dem Löwen, seinem mächtigsten Vasallen und Herzog von Sachsen und Bayern, auf die Knie gefallen, um ihn um Unterstützung für den bevorstehenden Italienfeldzug zu bitten.

In Wahrheit war nichts dergleichen geschehen – abgesehen davon, dass der Löwe dem Kaiser tatsächlich seine Hilfe versagt hatte. Als er sogar wagte, die reiche Silberstadt Goslar als Gegenleistung zu fordern, sah der Kaiser jedes Maß überschritten. Er ließ den machthungrigen Herzog fallen, den er bislang immer wieder gegen alle Widersacher verteidigt hatte. Vor Mailand, bei der Schlacht von Legnano, in der Dietrich mitgekämpft hatte, erlitt der Staufer ohne Heinrichs Truppen eine schmähliche Niederlage. Währenddessen nahmen die Feinde des Löwen den Kampf gegen den Herzog wieder auf, der nun kein Gehör mehr beim Kaiser fand. Beatrix’ klug ersonnene Intrige verhinderte eine Aussöhnung zwischen ihrem Gemahl und dem Welfenherzog.

Der Kaiser hatte das Gerücht vom Kniefall zwar nie offiziell bestätigt, ihm aber auch nicht widersprochen. Mit feinen Fäden hatte Beatrix dafür gesorgt, dass es in seinem Beisein nie erwähnt wurde und er sich deshalb auch nicht dazu äußern musste.

Der Kaiserin schienen ähnliche Gedanken durch den Kopf zu gehen, denn ein Lächeln spielte um ihren Mund, während sie mit leicht geneigtem Kopf Dietrich ansah. Sofort zwang sich ihm erneut das verbotene Bild zweier nackter, verschlungener Leiber auf.

Es musste die Nähe seiner Geliebten sein, die seine Gedanken auf solche Abwege leitete. Die Vorstellung, dass er sie endlich bald wieder in seine Arme schließen würde, beschäftigte seine Gedanken mehr, als gut sein konnte. Nur in der Turbulenz der Hoftage durfte er die sonst Unerreichbare heimlich treffen. Denn sie war verheiratet – noch dazu ausgerechnet mit seinem ältesten Bruder.

Die Stimme des Kaisers riss ihn zurück in die Gegenwart.

»Ihr wisst, zweimal ist Herzog Heinrich nicht zum Hoftag erschienen, weil er der Meinung ist, ein Fürstengericht habe nicht über ihn zu befinden.«

Verwundert über diesen Hinweis nickte Dietrich. Es gab kein anderes so ausgiebig diskutiertes Gesprächsthema beim Hoftag, und nicht erst seit diesem.

Jahrelang hatten viele Fürsten des Kaiserreiches, darunter auch Dietrich und seine Brüder, der Meißner Markgraf Otto von Wettin sowie die Grafen Dedo von Groitzsch und Friedrich von Brehna, gegen den Herzog von Sachsen und Bayern gekämpft, der sich aufführte wie ein König und rücksichtslos nahm, was er wollte. Immer wieder hatte der Kaiser seine schützende Hand über ihn gehalten – bis zu Heinrichs folgenschwerer Weigerung in Chiavenna. Seitdem bemühte sich der Kaiser, ihm den Prozess zu machen.

Doch der Löwe schien sich in einen Aal verwandelt zu haben. Es war schwierig, ihn zu greifen. Es sei denn …

»Nach zuverlässigen Berichten hält sich Heinrich seit gestern ein paar Meilen entfernt von uns in seiner Burg Haldensleben auf und zaudert, ob er hierherkommen soll oder nicht. Ich will verhindern, dass er zu diesem und zum nächsten Hoftag erscheint«, sprach der Kaiser aus, was Dietrich gerade dachte.

Wer dreimal der Aufforderung des Kaisers nicht folgte, fiel in Acht und Bann. Damit wäre der Löwe entmachtet. Allerdings wusste Heinrich das auch. Und bis drei zählen kann er wohl, gestand Dietrich dem Gegner mit leichtem Spott zu.

»Wie wollt Ihr das erreichen, Majestät?«, fragte der Landsberger mit einem kaum hörbaren Anflug von Beklommenheit.

Es war undenkbar, einen Auftrag des Kaisers abzulehnen, selbst wenn er ihn als Wunsch formulierte. Aber sich als Meuchelmörder zu betätigen, das war nicht seine Sache. Außerdem konnte der Kaiser dafür geeignetere Männer dingen als ausgerechnet einen Markgrafen. Und er war sich nicht sicher, ob Friedrich überhaupt zu solch einem Mittel greifen würde. Außergewöhnlich wäre es zwar nicht, und dass der Kaiser gegen seine Feinde unerbittlich war, hatte er in Italien oft genug bewiesen. Aber gegen seinen Vetter und einstigen Freund?

»Ich brauche einen Fürsten, der angesehen genug ist, dass Heinrich seine Herausforderung nicht ablehnen kann, und der so gut mit dem Schwert umgeht, dass der Löwe lieber fernbleibt, als sich einem Kampf zu stellen«, erklärte der Kaiser bedächtig. »Ich dachte an Euch. Ich habe Euch bei Legnano kämpfen sehen. Fordert ihn zu einem Gottesurteil heraus. Hier und jetzt. Das wird ihn davon abhalten, doch verspätet noch aufzutauchen. So werde ich den Hoftag in Kayna als Ort des Zweikampfes festlegen.«

Markgraf Dietrichs Augen weiteten sich für einen winzigen Moment – nicht aus Angst, sondern vor Überraschung. Welch ein genialer Schachzug!

Wieder sank er nieder. »Ihr könnt auf mich zählen, mein Kaiser.«

Und wieder gebot ihm der Kaiser, aufzustehen. »Ich kenne keinen unter meinen angesehenen Fürsten, der so geschickt mit dem Schwert umzugehen weiß wie Ihr. Heinrich ist noch dazu einen Kopf kleiner, er hätte keine Chance gegen Euch. Außerdem steht Gott auf Eurer Seite. Ich stehe auf Eurer Seite. Der Herzog wird aus Furcht nicht kommen. Dann können wir ihn bannen.«

Würde der Löwe wirklich riskieren, dem Hoftag ein drittes Mal fernzubleiben?, überlegte Dietrich. Doch bei einem Gottesurteil konnte der Braunschweiger nicht hoffen, mit ein paar Wunden davonzukommen. Wer unterlag, galt als schuldig und wurde an Ort und Stelle hingerichtet.

»Klagt ihn des Hochverrats an«, schlug der Kaiser vor. »Nehmt zum Anlass, dass er immer wieder die Wenden zu Überfällen auf Eure Mark aufgewiegelt hat. Das macht die Herausforderung glaubwürdig und so schwerwiegend, dass er sie nicht zurückweisen kann.«

»Wie Ihr wünscht, mein Kaiser. Ich werde es morgen vor dem versammelten Hofstaat tun«, versicherte Dietrich.

»Ich wusste, dass ich auf Euch zählen kann.«

Zufrieden lehnte sich der Kaiser zurück. »Und ich werde es Euch lohnen. Ich weiß, welchen tragischen Verlust Ihr vor einigen Jahren erlitten habt«, sagte er, während er beobachtete, wie Düsternis über Dietrichs Gesicht zog. Der einzige eheliche Sohn des Markgrafen war, kaum zum Ritter ernannt, bei einem Turnier zu Tode gekommen. Wenn der Landsberger starb, würde seine Linie erlöschen.

Der Markgraf der Ostmark bemühte sich, die jäh auftauchenden Bilder niederzuringen. Doch vergeblich. Wieder sah er seinen tödlich von einem Lanzenstich getroffenen Sohn in seinem Blut auf der Erde liegen. Er räusperte sich, weil er fürchtete, seine Stimme könnte brechen, sollte der Kaiser jetzt von ihm eine Antwort erwarten.

Aber Friedrich sprach selbst weiter. »Ihr habt mein Wort, dass die Ostmark nach Eurem Tod dem Hause Wettin erhalten bleibt.«

Dietrich verneigte sich tief.

Nach einem Moment des Schweigens sagte er gedankenversunken: »Eine hellsichtige junge Frau hat mir einmal vorhergesagt, dass ich dies tun würde.«

Interessiert sah ihm der Kaiser ins Gesicht und beugte sich sogar leicht vor, während Beatrix in kaum verhohlener Aufregung nach dem Arm ihres Mannes griff. »Hat sie auch geweissagt, wie der Kampf ausgeht?«

»Nein.« Noch einmal rief sich Dietrich Wort für Wort die Unterredung mit jener Marthe in Erinnerung. »Vielleicht, weil der Zweikampf nicht stattfindet …«

Doch darauf werde ich mich nicht verlassen, dachte er. Und auch nicht auf mein Glück. Ich brauche Christian von Christiansdorf. Einen besseren Gegner für Übungskämpfe werde ich nicht finden.

Als hätte der Kaiser seine Gedanken erraten, erteilte er Dietrich einen weiteren Auftrag, bevor er ihn fortschickte. »Stellt noch heute in einem Schaukampf öffentlich Euer Können mit dem Schwert unter Beweis. Einen geschickten Kämpfer findet Ihr sicher mühelos, ebenso einen Vorwand. Dass ausreichend Zuschauer dort sein werden und der Herzog von Sachsen und Bayern davon erfährt, dafür ist gesorgt.«

Dietrich war wenig überrascht angesichts dieser Worte. Er hatte genügend Zeit bei Hofe verbracht, um zu wissen, dass hier nichts dem Zufall überlassen wurde. Stumm verneigte er sich und verließ mit Erlaubnis des Kaiserpaares den Raum.

 

Auf dem Weg hinaus aus der prachtvollen Residenz des Magdeburger Erzbischofs Wichmann, der Gastgeber für diesen Hoftag und damit auch für das Kaiserpaar war, fühlte sich Dietrich von neugierigen Blicken verfolgt. Vertrauliche Unterredungen des Kaisers waren beileibe nichts Besonderes, doch diesmal schienen nicht nur die Höflinge, sondern auch die Dienerschaft darauf zu warten, dass etwas Außergewöhnliches geschah. So manchen, der sich ehrerbietig verneigte, wenn ihm der Markgraf der Ostmark entgegenkam, hörte er wispern, kaum dass er an ihm vorbeigegangen war.

Mit langen Schritten überquerte Dietrich den Hof vor dem Palas und hielt Ausschau nach dem Ritter, der ihm als die beste Wahl für einen respekteinflößenden Schwertkampf erschien.

Er fand den Gesuchten erwartungsgemäß bei den Knappen, die am Hof seines ältesten Bruders auf dem Meißner Burgberg ausgebildet wurden und nun mit Ottos Rittern nach Magdeburg zum Hoftag gereist waren.

Wie gebannt starrten die Burschen zwischen vierzehn und zwanzig Jahren auf Christian von Christiansdorf, der ihnen gerade mit einem jüngeren, blonden Ritter vorführte, wie man blitzschnell unter dem Schwert des Gegners durchwechselte, wenn sich die Klingen berührten, um dann die Blöße des anderen auszunutzen und einen tödlichen Hieb am Übergang von Hals und Schulter zu plazieren.

Erneut stiegen düstere Erinnerungen in dem Landsberger auf. Mit einem ähnlichen Manöver hatte Christian vor fünf Jahren bei einem Gottesurteil einen an Größe und Körperkraft überlegenen Gegner besiegt, seinen Todfeind Randolf. Dieser war es gewesen, der Dietrichs Sohn aufgestachelt hatte, nach dem erfolgreich bestandenen Buhurt auch noch zum Tjosten gegen einen als unbezwingbar geltenden Gegner anzutreten. Erst das Wissen darum hatte den Meißner Markgrafen dazu gebracht, seinen vermeintlich getreuesten Gefolgsmann fallenzulassen und Christian zu erlauben, den Ritter zum Zweikampf herauszufordern, der sich ihm und seinem Dorf gegenüber unzählige Schandtaten hatte zuschulden kommen lassen. In einem auf dem Meißner Burgberg längst zur Legende gewordenen Kampf gelang es Christian, den Hünen mit nur zwei Hieben zu besiegen.

Als sich Dietrich der Gruppe in der hereinbrechenden Dämmerung näherte, sah er, dass sich die Knappen angesichts des gerade gesehenen beeindruckenden Schwertkampfmanövers gegenseitig in die Rippen stießen und sich begeistert Bemerkungen zuflüsterten.

»Jetzt ihr. Georg und Herwig zuerst!«, rief Christian.

Zwei der Jungen traten aus dem Kreis der Knappen hervor. Im gleichen Augenblick bemerkte Christian den Nahenden – ebenso wie Lukas, jener blonde Ritter, mit dem er die Übung vorgeführt hatte.

»Begrüßt Markgraf Dietrich von Landsberg, den Bruder eures Herrn, Markgraf Otto«, wies Lukas die Knappen an, die sofort gehorchten.

Während Dietrich den Gruß erwiderte, ging ihm durch den Kopf, wie verschieden voneinander die beiden Ritter waren, dennoch und trotz der zehn Jahre Altersunterschied die besten Freunde.

Christian, ein Ritter Mitte dreißig mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und einem kurzen, dunklen Bart, hatte etwas Düsteres an sich, was er durch die bevorzugt dunkle Kleidung und den Rappen, den er ritt, noch hervorhob und das ihm den heimlich geflüsterten Beinamen »Der schwarze Reiter« eingetragen hatte. Lukas hingegen, einst Christians Knappe und gelehriger Schüler, war im Umgang mit Schwert und Lanze kaum weniger respekteinflößend. Aber der Jüngere scherzte gern und zog mit seinen blauen Augen und den blonden Locken viele verstohlene und schmachtende Mädchenblicke auf sich.

Beide verneigten sich höflich vor dem Markgrafen der Ostmark.

»Ihr seid der einzige Burgvogt, den ich kenne, der seit seiner Ernennung kein Gran Fett angesetzt hat und sich nicht zu schade ist, den Knappen noch persönlich etwas beizubringen«, begrüßte der Markgraf den dunkelhaarigen Ritter mit freundlichem Spott. Sie kannten sich seit Jahren und hatten genug gemeinsam durchgestanden für solche Vertraulichkeiten; manches davon auch in einer heimlichen Verschwörung mit Hedwig, der Meißner Markgräfin, um ungerechte Entscheidungen ihres Mannes – seines Bruders Otto – abzumildern.

»Vielleicht hängt das eine mit dem anderen zusammen?«, gab Christian leichthin zurück, während ein selten zu sehendes Lächeln über sein Gesicht huschte. »Das zumindest würde meine Frau behaupten.«

»Ist sie in der Nähe? Ich würde sie gern begrüßen.«

Christian hielt Ausschau und entdeckte die Gesuchte zusammen mit einigen anderen Frauen und einem halben Dutzend Kinder. Gerade tröstete sie Hedwigs jüngste Tochter, die offenbar hingefallen war und nun herzzerreißend weinte. Marthe zog sich die kleine Adela auf den Schoß und legte ihr eine Hand auf das aufgeschlagene Knie, während sie beruhigend auf das schluchzende Mädchen einsprach.

Christian hoffte inständig, dass sich die Fünfjährige nichts dabei dachte, wenn der Schmerz durch die Berührung plötzlich nachließ. Normalerweise konnte er darauf vertrauen, dass Marthe wusste, wann sie ihre besonderen Fähigkeiten einsetzen durfte und wann nicht. Aber manchmal ließ sie sich aus Mitleid zu etwas Riskantem hinreißen. Deshalb war er doppelt froh, sie zu sich rufen zu können.

Hastig winkte er einen der Knappen heran. »Bitte die Dame Marthe hierher. Rasch!«

Nach einer knappen Verbeugung lief der sommersprossige Bursche los.

Währenddessen legte Dietrich dem Ritter seines Bruders einen Arm auf die Schultern. »Ich wurde gebeten, in einem Schaukampf mein Geschick mit dem Schwert zu beweisen. Da ich keinen besseren Gegner als Euch kenne, bitte ich Euch, erweist mir die Ehre.«

»Selbstverständlich. Die Ehre ist ganz auf meiner Seite.«

Dietrich lachte kurz auf. »Nun, ich hoffe, Ihr lasst mich nicht allzu behäbig aussehen.«

Eine junge Frau, schlank und zierlich, deren kastanienbraunes Haar von einem zarten Schleier bedeckt wurde, näherte sich ihnen und begrüßte den Markgrafen mit einem tiefen Knicks.

»Bitte, erhebt Euch, Dame Marthe!«, forderte Dietrich sie auf. »Je länger ich Euch kenne, umso schöner werdet Ihr.«

»Womöglich liegt es daran, dass meine Kleider immer schöner werden«, erwiderte sie mit verhaltenem Lächeln. Sie fand sich nicht schön, und an die höfischen Schmeicheleien hatte sie sich auch in zehn Jahren noch nicht gewöhnen können. Es lag wohl an ihrer Herkunft. Den Hungernden machten Worte nicht satt, so verheißungsvoll sie auch klingen mochten.

Dietrich jedoch hatte den Schalk in ihren Augen aufblitzen sehen und musste lächeln. Nicht viele Frauen schätzte er so wie diese für ihren Mut und ihre Klugheit. Er gehörte zu den wenigen, die wussten, dass Christians Frau über die Gabe des zweiten Gesichts verfügte – eine Gabe, die man besser geheim hielt, sollte sie nicht noch einmal vor einem Kirchengericht landen und diesmal, als rückfällig gebrandmarkt, zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt werden.

Als der Markgraf der Ostmark Marthe vor zehn Jahren zum ersten Mal gesehen hatte, war sie eine mittellose Hebamme und Heilkundige gewesen, blutjung, frisch verwitwet nach einer erzwungenen, unglücklichen Ehe, geflohen aus ihrem Dorf, wo man sie als Hexe hatte töten wollen, und auf der Suche nach Rettung für Christian, der unter falscher Anklage von seinem Feind Randolf gefangen genommen und gnadenlos gefoltert worden war. Mit Dietrichs Hilfe konnten Christians Freunde den für tot Erklärten befreien und ein Komplott gegen den Meißner Markgrafen enthüllen. Als Dank ernannte Otto den Ministerialen Christian zum Edelfreien und auf dessen Bitte hin ebenso Marthe, die erst wenige Tage zuvor Christians Frau geworden und bereit war, mit ihm das Leben von Vogelfreien zu führen. So erhöht, kehrten sie zurück in ihr Dorf, das unter Christians Leitung entstanden und schon wenig später durch die ersten Silberfunde bedeutend geworden war: Durch den Bergbau wuchs es zu einem Ort mit Hunderten Menschen, drei Kirchen und einer entstehenden Burg. Doch bis Christian Vogt dieser Burg wurde, musste er erst seinen Todfeind Randolf entlarven und bezwingen, dem Otto so lange jede Missetat hatte durchgehen lassen wie der Kaiser dem Löwen.

Nun sollte Dietrich also mit Christians Hilfe dafür sorgen, dass auch dem Löwen die Krallen gestutzt wurden.

Der Markgraf ging mit dem jungen Paar zur Mitte des Platzes. Sofort näherten sich ihnen etliche Menschen in der Erwartung, dass es gleich etwas Berichtenswertes zu sehen gäbe.

»Ich habe Euren Gemahl gebeten, gemeinsam mit mir eine Probe seines Könnens zu geben«, erklärte er der jungen Frau.

Sie neigte den Kopf leicht zurück und sah ihn prüfend an. Wie jedes Mal bei solchen Gelegenheiten spürte er das uralte verborgene Wissen, das in ihren graugrünen Augen lag.

»Ihr wollt jemanden beeindrucken … keine Frau … einen Gegner vor dem Kampf«, sagte sie fragend. »Werdet Ihr morgen Herzog Heinrich herausfordern?«

Der Markgraf ließ ihre Frage unbeantwortet, aber sein anerkennender Blick und sein vages Lächeln waren Antwort genug.

Er verzichtete darauf, sie nach dem Ausgang des Kampfes zu fragen. Nicht aus Angst, sie könnte von seiner Niederlage sprechen, denn er war sich sicher, Heinrich auf dem Turnierplatz schlagen zu können, auch wenn dieser in jungen Jahren ein gefürchteter Kämpe gewesen war. Doch er argwöhnte, es könnte seine Entschlossenheit mindern, wenn er von einem Ausgang zu seinen Gunsten hörte. Natürlich wollte auch er den Löwen entmachtet sehen. Aber gleich tot? Er fand, irgendwie gehörte es sich nicht, einen Herzog zu töten.

Statt einer Antwort betrachtete er die junge Frau vor sich ausgiebiger. Die Zeit scheint ihr wirklich nichts anzuhaben, dachte er. Man sieht ihr die fünfundzwanzig Jahre nicht an, ebenso wenig, dass sie schon drei Kinder geboren hat.

Nur eines hatte sich unübersehbar seit ihrer ersten Begegnung geändert, abgesehen von ihren Kleidern, wie sie gespottet hatte: Sie hatte gelernt, in höfischer Gesellschaft jede leidenschaftliche Regung zu verbergen. Ihre nun beherrschten Gesichtszüge hatten fast etwas Entrücktes an sich. Er wusste, es war ihr Schutzschild … und die Erinnerung an die Grausamkeiten, die sie hatte durchleiden müssen. Die kostbaren Kleider, die ihr Mann ihr schenkte, das vollendete höfische Benehmen, hinter dem sie all ihre Leidenschaft versteckte, stellten in dieser Welt einen unverzichtbaren Schutz dar.

Dietrich führte Marthe in den Kreis der Zuschauer, der sich mittlerweile gebildet hatte. Dann drehte er sich zu Christian um und zog sein Schwert. »Seid Ihr bereit?«

Auch Christian zückte seine Waffe. Auf ein Zeichen des Markgrafen rannten zwei Knappen herbei und brachten ihnen Schilde.

Den anderen jungen Burschen hatte Lukas bereits erlaubt, den Zweikampf mit anzuschauen, und sie aufgefordert, gut aufzupassen. »So etwas bekommt ihr nicht alle Tage zu sehen«, kündigte er ihnen mit fröhlichem Grinsen an, denn er hatte selbst als Knappe schon gegen Markgraf Dietrich antreten müssen – eine wahrhaft denkwürdige Bewährungsprobe.

Vor den Augen der in immer größerer Zahl herbeieilenden Zuschauer stellten sich die Männer einander gegenüber auf.

Christian überließ dem Markgrafen aus Höflichkeit den ersten Hieb. Was dann folgte, war ein so atemberaubend schneller Kampf, wie ihn auch die Gestandenen unter den Rittern nur selten zu sehen bekamen, voller Wendungen, Drehungen und raffinierter Manöver. Immer wieder schrien ein paar Frauen auf, weil sie glaubten, gleich würde einer der Kämpfer einen tödlichen Hieb abbekommen, während die Männer anerkennende Bemerkungen austauschten und die beiden anfeuerten.

In rasantem Tempo folgten die wuchtigen Hiebe und wurden mit den Schilden abgefangen, glitten Klingen bis an die Parierstangen hinab, bis die Kämpfer sie durch blitzschnelle Manöver voneinander lösten. Alle paar Augenblicke brachte einer der beiden Männer den Kontrahenten durch eine einzige Bewegung in eine Lage, die ihn bei einem ernsthaften Kampf das Leben gekostet hätte, und ebenso schnell löste sich der andere durch eine gekonnte Reaktion aus der Falle und brachte den Gegner in Bedrängnis.

Endlich traten die einander ebenbürtigen Kämpfer auseinander, verneigten sich und steckten die Schwerter in die Scheiden. Sofort brandete Beifall unter den Zuschauern auf. Nach den vielen Jahren am Hofe war Markgraf Dietrich zynisch genug, zu überlegen, ob nicht auch der Applaus bestellt war.

»Ich danke Euch«, sagte er, begleitete Christian wieder zu seiner Frau und küsste Marthe die Hand. »Hier bringe ich Euch Euern Gemahl zurück – unversehrt«, sagte er. »Wobei ich viel glücklicher bin, selbst unversehrt zu sein.«

»Auf jeden Fall dürfte der Zweck erfüllt sein«, meinte Marthe und wies mit einer kaum sichtbaren Kopfbewegung auf die lebhaft diskutierende Menschenmenge, die den Kampf mitverfolgt hatte.

Dietrich tat, als ob er dem keinerlei Beachtung beimaß, kehrte den Zuschauern den Rücken zu und ging gemeinsam mit Christian und Marthe in die Residenz des Magdeburger Erzbischofs Wichmann.

 

Nachdem Dietrich sich verabschiedet hatte, um seine Brüder zu suchen, zog Marthe ihren Mann am Arm zurück.

»Können wir nicht beim Mahl fernbleiben?«, bat sie.

Christian ahnte, was in ihr vorging.

»Für heute habe ich genug Aufsehen erregt«, stimmte er deshalb zu. »Wir versäumen das Essen und lassen uns später etwas bringen.«

Ohne ein weiteres Wort führte er sie in den kleinen Kräutergarten hinter der Küche, zu einer Bank aus Weidengeflecht. Sie setzten sich, und Christian zog sie an sich. An ihren Mann gelehnt, schloss Marthe für einen Moment die Augen und gab sich ganz der Berührung und der Erinnerung an die vergangene Nacht hin.

Dann sah sie ihn mit schwerem Blick an. »Selbst wenn der Kaiser den Prozess gegen den Löwen eröffnet – wir können immer noch nicht auf Frieden hoffen, oder?«

Wie viele Tote hatten die Kämpfe zwischen Heinrich und seinen Gegnern in den zurückliegenden Jahren gekostet! Unzählige Dörfer waren niedergebrannt, Felder verwüstet, Klöster geplündert, Kirchen zerstört, ja, ganze Landstriche verwüstet worden. Die Menschen sehnten sich nach Frieden … und zitterten vor dem nächsten Angriff entfesselter Horden.

Christian küsste sie sanft auf die Schläfe. Solche Zärtlichkeit hätte niemand von ihm vermutet, der ihn nicht näher kannte.

Nur Marthe und seine besten Freunde wussten, dass er sich den heimlichen Ruf als »schwarzer Reiter« bewusst zugelegt hatte, um seine Frau zu schützen.

Doch in dieser Sache wollte und konnte er sie nicht belügen. Zumal sie die Antwort kannte und jetzt nur in der widersinnigen Hoffnung, der Krieg bliebe ihnen erspart, gefragt hatte.

»Bis der Kaiser ein Urteil sprechen kann, vergehen noch Monate. Selbst wenn er die Acht verhängt, tritt sie erst nach Jahr und Tag in Kraft. Und dann muss er den Urteilsspruch auch durchsetzen. Glaubst du, der Löwe gibt seine Burgen und Ländereien freiwillig her?«

Während Marthe nach seinen Händen griff, wie um Halt zu suchen, fuhr er mit bitterer Stimme fort: »Dann fängt der Krieg erst richtig an. Sie warten doch schon alle begierig darauf und haben längst ihre Vorbereitungen getroffen. Diesmal wird auch Otto Truppen aufbieten. Wir müssen uns Gedanken machen, wen von unseren Leuten ich mitnehme, wenn zur Heerfahrt gerufen wird.«

 

Markgraf Dietrich fand seine Brüder erwartungsgemäß in einem der prunkvollen Säle in der Residenz des Erzbischofs. Zusammen mit anderen Gästen von Rang lauschten sie einem Spielmann, der mit samtweicher und trotzdem voller Stimme zur Laute eine Liebesballade vortrug. Wichmann von Seeburg war vielen weltlichen Freuden zugetan und galt auch als ein Förderer der Spielleute.

Dietrich kannte den Sänger, er war oft auf der Burg seines ältesten Bruders in Meißen zu Gast. Ludmillus war sein Name, und er stand ganz zu Recht in dem Ruf, einer der besten Spielleute weit und breit zu sein. Kein Wunder, dass er hier beim Hoftag auftrat. Nicht ein Laut kam von den Zuschauern, die er vollkommen in seinen Bann gezogen hatte.

Unwillkürlich richtete Dietrich seinen Blick auf Hedwig, seine heimliche Geliebte. Sie trug ein rotes Kleid mit blauem Besatz, das er besonders an ihr mochte und das so gut zu ihrem blonden Haar passte. Stumm und starr saß sie an der Seite ihres Gemahls, des Meißner Markgrafen Otto von Wettin. Dietrich, der die geheimsten Regungen in ihren Gesichtszügen zu lesen verstand, erkannte, dass sie kurz davor war, die Fassung zu verlieren.

Man sagte, Ludmillus sei der Spielmann, der die Weinenden zum Lachen und die Lachenden zum Weinen brachte. Doch Dietrich bezweifelte, dass seine Liebste gelacht hatte, bevor der Kummer sie nun überwältigte.

 

Hedwig war kurz davor, aufzuspringen und aus dem Saal zu laufen, damit niemand ihre Verzweiflung bemerkte. Doch solch ein Verhalten wäre unverzeihlich gewesen und hätte bloß Anlass zu Gerede und Gerüchten gegeben. Was sollte sie nur tun? Wie konnte sie es schaffen, Haltung zu bewahren?

Als Tochter eines mächtigen Herrscherhauses – ihr Vater war Albrecht der Bär, der Markgraf von Brandenburg, gewesen – hatte sie von klein auf gelernt, stets höflich und beherrscht aufzutreten. Selbst als sie erfuhr, dass sie mit dem mürrischen, oft aufbrausenden und zwanzig Jahre älteren Otto von Wettin verheiratet werden sollte, hatte sie ihre Tränen tapfer verborgen und mit Hilfe einiger unverblümter Ratschläge ihrer Großmutter dafür gesorgt, dass ihr Gemahl schon bald nach der Hochzeit Wachs in ihren Händen war. Sie gebar ihm zwei Söhne und zwei Töchter und fand sich, so gut es ging, mit ihrem Leben an der Seite eines unbeherrschten, im Vergleich zu ihrer Herkunft unbedeutenden Fürsten ab. Erfüllung suchte sie darin, an seiner Seite mitzuregieren und Unheil zu vermeiden oder wenigstens abzumildern, das aus Ottos launenhaften Entschlüssen entstehen konnte.

Doch dann waren zwei Dinge geschehen, die alles von Grund auf veränderten. In Christiansdorf war Silber gefunden worden, unglaublich viel Silber, und Otto reagierte schnell und vorausschauend, um die Förderung rasch in Gang zu bringen. Die Ausbeute der letzten zehn Jahre hatte ihn so reich gemacht, dass er inzwischen sogar von Fürsten beneidet wurde, die über weit mehr Land herrschten. Mit unglaublichem Prunk reiste er nun zu den Hoftagen und überhäufte seine Frau mit kostbaren Kleidern und Schmuck. Denn wie sonst zeigte man seinen Reichtum besser?

Aber sie vermochte keine Freude mehr daran zu finden. Eine zweite, einschneidende Veränderung ließ ihr Leben aus den Fugen geraten. Nach fünfzehn Jahren Ehe mit dem wegen seiner Gicht zunehmend schlecht gelaunten Meißner Markgrafen lernte sie zum ersten Mal die Liebe kennen. Und das ausgerechnet mit dem Bruder ihres Gemahls! Sie hatte nie damit gerechnet, dass solche Gefühle sie wie ein Blitzstrahl treffen und übermannen könnten, und dennoch war es geschehen. Sie durften sich nur heimlich und unter großer Gefahr alle paar Monate bei Gelegenheiten wie den Hoftagen treffen. Einmal wären sie fast entdeckt worden. Jetzt von dem begnadeten Spielmann eine so anrührende Ballade zu hören, die von unsterblicher Liebe und alles verzehrender Sehnsucht berichtete, wühlte ihr Innerstes auf, bis sie glaubte, an ihrem Kummer zu ersticken.

Hedwig zog den kostbaren pelzverbrämten Umhang enger um sich. Sie fror. Krampfhaft suchte sie nach einem Vorwand, nach Ende des Liedes die Halle verlassen zu können, ohne Verdacht zu wecken, und richtete den Blick schon zur Tür.

Mitten in der Bewegung erstarrte sie. Da stand Dietrich, der genau zu ihr sah, betroffen und beschwörend. Hastig drehte sie sich wieder nach vorn. Zum Glück hatte der Spielmann seinen Vortrag gerade beendet und verbeugte sich vor seinem vornehmen Publikum. Otto erhob sich, ging zu ihm und legte Ludmillus mit generöser Miene seinen kostbaren Umhang über die Schultern. So zeigte ein Fürst seine Anerkennung für einen Sänger, der seiner Gattin so trefflich die Minne erwiesen hatte!

Dietrich nutzte das entstehende Gedränge, um sich zu seinen Brüdern durchzuarbeiten. Er begrüßte Hedwig mit aller gebotenen Höflichkeit eines Schwagers, dann bat er sie, Otto und seinen jüngeren Bruder Dedo von Groitzsch in sein Quartier, um sie über die Neuigkeiten zu unterrichten.

 

Obwohl Brüder, waren die drei wettinischen Herrscher von Statur grundverschieden: Dietrich war schlank und geschmeidig, Otto stämmig und Dedo so fett, dass er mittlerweile Mühe hatte, auf ein Pferd zu steigen. Während sich Otto anfangs jahrelang auf schon fast beleidigende Art vom Kaiser ferngehalten hatte, reisten sie jetzt jedes Mal gemeinsam zu den Hoftagen, wenn Aussicht bestand, dass dort gegen ihren Erzfeind verhandelt wurde, den Herzog von Sachsen und Bayern.

Dietrich war gespannt, wie seine Brüder die Nachricht vom bevorstehenden Gottesurteil aufnehmen würden, und vermied es, zu Hedwig zu sehen. Ottos Reaktion fiel allerdings noch heftiger aus, als er erwartet hatte.

»Du willst dich wirklich und wahrhaftig dafür hergeben, nur wegen eines so vagen Versprechens?«, schnaubte der Meißner Markgraf verächtlich. »Wir haben wenig Grund, dem Staufer einen solchen Dienst zu erweisen.«

»Warten wir nicht alle auf den Tag, an dem der Löwe endlich in Acht und Bann fällt?«, widersprach Dietrich. »Und Friedrich ist unser Kaiser. Wir sind ihm zu Lehnstreue verpflichtet.«

»Du schon!«, brachte Otto wütend hervor. »Schließlich bist du der Nutznießer der Schmach, die er über unseren Vater gebracht hat.«

Totenstille senkte sich über den Raum.

Noch nie hatte sich Otto hinreißen lassen, diese Sätze auszusprechen, auch wenn er sie schon oft gedacht haben mochte. Doch nun war er nicht zu halten.

»Denkst du, er würde mir die Ostmark geben? Oder gar Bautzen zurück?«

Vor mehr als zwanzig Jahren, kurz nach seiner Krönung, hatte der Kaiser dem alten Meißner Markgrafen das Burglehen Bautzen entzogen, um es dem Herzog von Böhmen zuzusprechen. Ihr Vater Konrad hatte die öffentliche Demütigung nur überstehen können, indem er den weltlichen Ämtern entsagte und sich in ein Kloster zurückzog, wo er wenig später starb. Seinen Besitz teilte er unter den fünf Söhnen auf. Dadurch bekam Dietrich die östliche Mark, Dedo wurde Graf von Groitzsch, Friedrich erhielt Brehna und Heinrich die Grafschaft Wettin. Aber Otto, dem als Ältesten mehr zugestanden hätte, musste sich mit der Mark Meißen begnügen und dazu noch den Ehrverlust hinnehmen, das Burglehen Bautzen abgesprochen zu bekommen. Darüber war er so verbittert, dass er sogar dem Begräbnis seines Vaters fernblieb.

Dietrich verspürte nicht die geringste Lust, mit seinem Bruder darüber zu streiten. »Der Kaiser will seine Einflussgebiete stärken. Er könnte nach meinem Tod die Ostmark auch als Reichslehen einziehen«, warf er nicht ohne Schärfe ein. »Also sei zufrieden, wenn sie unserem Haus erhalten bleibt, selbst wenn sie an Dedo fällt!«

»Du solltest sogar froh sein, dass zumindest Dietrich und ich das Vertrauen des Kaisers erworben haben«, meldete sich nun auch der feiste Dedo zu Wort und funkelte seinen ältesten Bruder aus Augen an, die tief in seinem Gesicht versunken waren. »Vater hat mit Friedrichs Gegnern paktiert. Der Kaiser hätte auch seinen ganzen Besitz einziehen können. Dann wären wir alle leer ausgegangen. Wenn er mir die Ostmark zuspricht statt dir, ist das immer noch besser, als wenn er sie sich zurückholt.«

»Mir ist durchaus nicht entgangen, dass sich der Rotbart bemüht, die Fürsten klein zu halten, die ihm zu mächtig werden«, wütete Otto mit immer lauter werdender Stimme. »Aber ich warte immer noch darauf, dass er dabei endlich mit dem Löwen beginnt!«

»Genug!«

Mit einem Ruck stand Hedwig auf und warf die kunstvoll geflochtenen blonden Zöpfe zurück. Voller Verachtung sah sie erst zu Dedo, dann auf Otto.

»Merkt ihr nicht, wie würdelos das ist?! Ihr streitet darum, wer von euch zuerst Dietrichs Besitz an sich reißt, wenn euer Bruder tot ist. Dabei steht er hier lebend vor euch! Ihr solltet lieber beten, dass sein Vorhaben glücklich endet. Schließlich geht es um ein Gottesurteil. Um sein Leben!«

Sie zog ihren Umhang enger um die Schultern. »Ihr findet mich in der Kirche.« Ohne einen Blick zurück rauschte sie hinaus.

Verwundert sah Otto ihr nach.

Sicher, sie stritten häufig, und Hedwig machte kein Hehl daraus, wenn sie nicht mit ihm einer Meinung war. Doch bis eben hatte sie in all den Jahren tunlichst darauf geachtet, ihm nie vor Zeugen offen zu widersprechen und ihn damit bloßzustellen. Bisher hatte sie jedes Mal gewartet, bis sie allein waren, ehe sie ihre Meinung kundtat.

Aber wie fast immer war nicht von der Hand zu weisen, was sie sagte, gestand er sich zähneknirschend ein.

Also sah Otto bedauernd zu Dietrich und hob die Arme. »Meinetwegen. Tu dem Kaiser den Gefallen und liefere ihm das Schauspiel, das er braucht, um den Löwen zu ächten, ohne ihm einen langwierigen Prozess zu machen, wovor er sich offenbar scheut.« Er gab ein kurzes, großspuriges Lachen von sich. »Und sollte der Bastard es doch wagen, die Herausforderung anzunehmen – stopf ihm ein für alle Mal sein großes Maul und hau ihn in Stücke. Meinen Segen hast du.«

»Und meinen dazu«, dröhnte der fette Graf von Groitzsch.

 

Dietrich hatte richtig vermutet. Hedwig wartete in der Kathedrale auf ihn. Scheinbar ins Gebet versunken, kniete sie vor einem der Seitenaltäre. Doch als sie ihn sah, bekreuzigte sie sich, stand auf und ging hinaus. Kurz vor dem Ausgang ging er an ihr vorbei und flüsterte ihr, von allen anderen unbemerkt, etwas zu.

Getrennt verließen sie den Dom.

Wenig später betrat Hedwig Dietrichs Quartier. Sie war in einen unscheinbaren Umhang gehüllt, die Kapuze verbarg ihr blondes Haar und ihr Gesicht.

Er hatte dafür gesorgt, dass niemand sie kommen sah, führte sie rasch in seine Kammer und ging noch einmal kurz hinaus, um seinem treuesten Gefolgsmann Anweisung zu geben, vor der Tür zu wachen und auf keinen Fall jemanden zu ihm zu lassen. Er wusste, es war sträflicher Leichtsinn, sich hier und nicht an einem verborgenen Ort mit Hedwig zu treffen. Aber sie waren beide bereit, jedes Risiko auf sich zu nehmen. Sie konnten nicht bis morgen warten, wo er für sie bereits ein verschwiegenes Wirtshaus ausfindig gemacht hatte. Denn von dem Moment an, in dem er seine Herausforderung öffentlich machte, würden sich alle Blicke auf ihn richten.

Und Hedwigs derzeitige Abwesenheit war erklärt. Kirchen gab es genug in dem reichen Magdeburg, in denen sie sein mochte, wenn man sie nicht im Dom fand. Zumal Otto jetzt in seinem Zorn kaum nach ihr suchen lassen würde.

Wie jedes Mal stürzten sie aufeinander zu, nachdem er die Tür hinter sich verriegelt hatte. Dietrich wollte etwas sagen, aber sie legte ihre Hand auf seine Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen, und küsste ihn leidenschaftlich.

Er hatte ihren todtraurigen Gesichtsausdruck nicht vergessen, der ihn bei Ludmillus’ Spiel so betroffen gemacht hatte. Deshalb zügelte er seine Begierde, so schwer es auch fiel, und begann, sie sanft zu liebkosen … wie damals, als sie zum ersten Mal zueinandergefunden hatten.

Die Frage, ob der Zweikampf stattfinden und er überleben würde, war auf einmal in weite Ferne gerückt. Jetzt wollte er seiner Geliebten wenigstens für ein paar kurze, gestohlene Augenblicke die Verzweiflung nehmen.

Mit geschickten Griffen entkleidete er sie, während seine Lippen über ihren Hals und ihre Schultern glitten. Sie stöhnte auf, als er mit sanften Händen ihre Brüste liebkoste, und zog ihn fordernd an sich.

Dietrich war ein erfahrener Liebhaber und wusste, dass Hedwig erst durch ihn viele Zärtlichkeiten kennengelernt, nach fünfzehn Jahren Ehe bei ihm zum ersten Mal wahre Verzückung erlebt hatte – sprachlos vor Staunen, dass es so etwas gab. Sie war eine gelehrige und phantasievolle Geliebte geworden. Doch diesmal wehrte er ihr stürmisches Begehren ab. Er legte sie aufs Bett und begann, ihren nackten Leib so zart zu berühren, dass sie seine Fingerspitzen kaum spürte und Schauer um Schauer durch ihren Körper rann. Sie sollte alles vergessen bis auf ihr Verlangen, während er jeden Zoll ihrer Haut mit Küssen bedeckte.

Dann aber war auch ihm alles andere gleichgültig – der Kaiser, das Gottesurteil, die Gefahr, dass sein Bruder sie entdeckte, und wer die Markgrafschaft nach seinem Tod bekam. Jetzt wollte er nur noch eines: im Schoß seiner Geliebten zu versinken, am liebsten auf alle Zeit.

Bruderzwist

»Gibt es noch jemanden hier, der eine Klage vorzubringen hat?«

Beinahe gelangweilt blickte der Kaiser in die Runde der prachtvoll gekleideten weltlichen und geistlichen Fürsten, die sich in der Residenz des Magdeburger Erzbischofs versammelt hatten. Nichts in seiner Stimme ließ erkennen, dass sich gleich mit seinem Wissen und auf seinen Befehl etwas Unerhörtes ereignen würde, von dem die Menschen wohl noch in Jahren oder gar Jahrzehnten reden würden.

Für einen Augenblick herrschte gespannte Stille in dem großen, verschwenderisch mit Schnitzereien und Wandbehängen geschmückten Saal, in dem die Fürsten des Kaiserreiches dicht an dicht beieinanderstanden.

Dietrich überlegte, wie viele der Anwesenden wohl wussten, was nun geschehen würde. Auch wenn der Kaiser ihn erst gestern zu sich gerufen hatte – Ereignisse mit solcher Tragweite wurden von langer Hand vorbereitet.

Gelassen trat er drei Schritte vor. Sofort richteten sich alle Blicke auf ihn.

»Ich klage den Herzog von Sachsen und Bayern des Hochverrats an.«

Augenblicklich brach Tumult im Saal aus.

Der ganze Vormittag war über den Vorwürfen und Anschuldigungen der Fürsten vergangen. Genau genommen lief das schon seit Monaten so – seit der Kaiser den Vetter fallenließ und die alten Widersacher des Löwen wieder in die Offensive gegangen waren. Heinrich hatte bereits im vergangenen Jahr auf dem Hoftag in Speyer den Erzbischof von Köln beschuldigt, mit mehreren Tausend Bewaffneten in Sachsen eingefallen zu sein und das Land verheert zu haben. Erzbischof Philipp hielt mit eigener Anklage dagegen, so dass der Kaiser im Januar in Worms die Streitigkeiten verhandeln wollte. Doch zu diesem Hoftag war Heinrich nicht gekommen, ebenso wenig wie jetzt nach Magdeburg. Beide Male hatten die Gegner des Löwen erbitterte Klage gegen den Herzog geführt wegen blutiger Angriffe, Belagerungen und Überfälle.

Aber Hochverrat – das war die schlimmste Anschuldigung überhaupt. Auf Hochverrat stand der Tod!

Dietrich ließ seine Blicke wandern und sah, dass sich Philipp von Köln mit hämischem Gesichtsausdruck zum Bischof von Halberstadt hinüberbeugte und auf ihn einsprach. Der greise Ulrich schüttelte den Kopf, während er seine schmalen Lippen zu einem Grinsen verzog und zum wohlbeleibten Magdeburger Erzbischof sah, welcher wiederum amüsiert auf die Fürsten blickte, die anscheinend jegliches höfisches Verhalten abgelegt hatten.

Hedwigs ältester Bruder Otto, der Markgraf von Brandenburg, stieß die Faust in die Luft, als wolle er einen unsichtbaren Gegner niederschlagen. Dicht neben ihm standen Hedwigs Brüder Bernhard von Aschersleben und Dietrich von Werben. Sie gestikulierten wild, während sie in das Geschrei im Saal einstimmten.

Graf Bernhard hatte besonderen Grund für seinen Hass auf den Löwen: Vor vier Jahren war dieser mit einem starken Heer in sein Gebiet eingefallen, hatte von Gröningen an alles Land mit Feuer und Schwert verwüstet, Aschersleben niedergebrannt und selbst noch die Grundmauern der Burg auseinanderreißen lassen. Der Angriff hatte den Thüringer Landgrafen ermutigt, zeitgleich von Süden her in askanisches Land einzudringen, bis schließlich der Kaiser eingreifen musste, um der erbitterten Fehde mit einem Machtwort ein Ende zu bereiten.

Scheinbar ungehalten, beugte sich der Kaiser leicht vor und hob die Hand, um Ruhe im Saal zu erzwingen. Beinahe schlagartig verebbte der Tumult.

»Wie begründet Ihr einen derart schwerwiegenden Vorwurf, Fürst Dietrich?« Die Stimme des Kaisers klang gelassen, mit einer Spur von Neugier.

»Immer wieder hat Heinrich die slawischen Stämme an den Grenzen meiner Mark aufgestachelt, in mein Gebiet einzufallen. Voriges Jahr haben sie das gesamte Land bis Lübben verwüstet und etliche meiner Männer getötet. Diese Angriffe von außen auf ein Lehen des Kaisers stellen einen Angriff auf das Kaiserreich und den Kaiser selbst dar.«

Der Landsberger legte eine Pause ein, die seine nächsten Worte noch wirkungsvoller klingen ließ.

»Um jeden Zweifel an der Rechtmäßigkeit meiner Anklage zu tilgen, fordere ich den Herzog von Sachsen und Bayern zu einem Gottesurteil heraus, zu einem Zweikampf auf Leben und Tod.«

Mit einem sorgfältig verborgenen Anflug von grimmiger Belustigung verfolgte Dietrich das erneut ausbrechende Getöse im Saal.

Wer von denen, die sich nun lautstark auf meine Seite stellen, wird wohl erst gestern vom Kaiser dazu aufgefordert worden sein?, dachte er. Und wer von denen, die mir jetzt zujubeln, ist einfach nur froh darüber, dass er selbst nicht die Eisen aus dem Feuer holen muss?

Er sah, dass die sehr zufrieden wirkende Kaiserin anscheinend etwas Ähnliches dachte wie er, denn ein spöttisches Lächeln spielte um Beatrix’ Mundwinkel, während ihr anerkennender Blick ihn flüchtig streifte, bevor sie wieder in den Saal schaute.

»Mäßigt Euch!«, ermahnte der Kaiser die tobenden Fürsten mit erhobener Hand. Diesmal dauerte es länger, bis endlich wieder Stille eintrat.

»Wir haben die Anklage des Markgrafen der Ostmark vernommen«, verkündete Friedrich. »Der Vorwurf scheint Uns zu heftig, um darüber hinwegzugehen. Zumal Fürst Dietrich bereit ist, die Richtigkeit mit einem Gottesurteil zu beweisen.«

Der Kaiser sah sich suchend im Saal um – so als sei ihm bisher gar nicht aufgefallen, dass der Löwe abwesend war.

»Also setzen Wir, der durch Gottes Gnade erhabene Kaiser, den Hoftag in Kayna im Monat August als Austragungsort des Zweikampfes fest. Dem Herzog von Sachsen und Bayern wird Nachricht gesandt, dass er zu erscheinen habe.«

Friedrich und Beatrix erhoben sich und beendeten damit die Zusammenkunft. Sofort sah sich Dietrich von Männern umringt, die ihm für seinen Mut Anerkennung aussprechen wollten. Hedwigs Brüder waren die Ersten, die sich zu ihm durchdrängten und ihm auf die Schulter klopften. Während er die lautstarken Sympathiebekundungen Bernhards entgegennahm, vermied Dietrich sorgfältig den Blick in Richtung seiner Geliebten.

 

Erwartungsgemäß wurde von nun an kein anderes Thema so ausgiebig unter den Fürsten und ihren Gefolgsleuten diskutiert, die zum Hoftag an die Elbe gereist waren, wie Dietrichs Herausforderung.

Nur einer beteiligte sich nicht an den unzähligen Debatten und sogar Wetten zum bevorstehenden Gottesurteil und dessen Ausgang: der Meißner Markgraf Otto von Wettin. Ein heftiger Gichtanfall hatte ihn aufs Krankenlager gezwungen.

Als auch der Aderlass keine Besserung brachte, den ihm ein eilig herbeigerufener Medicus verordnete, und Ottos schlechte Laune für alle Anwesenden schlichtweg unerträglich wurde, beschloss Hedwig, einzugreifen.

»Ihr solltet nach Marthe von Christiansdorf schicken lassen, mein Gemahl«, legte sie ihm mit höflichem Lächeln nahe, während sie ein Pergament aufnahm und entrollte, das Otto wütend beiseitegefegt hatte. »Sie hat nicht nur als Wehmutter einen guten Ruf, sondern kennt sich auch mit allerlei Kräutern und anderen Mitteln gegen die verschiedensten Leiden aus.«

Dann vertiefte sie sich scheinbar in das Pergament, als erwarte sie keinen Widerspruch. Dabei wusste Hedwig, auch ohne hinzusehen, dass die anwesenden Hofdamen und Diener wie gebannt den Atem anhielten. Würde der Markgraf den Rat annehmen? Und würde die Frau des Christiansdorfer Burgvogtes helfen können? Sie alle hofften darauf, um den gefürchteten Wutausbrüchen des Markgrafen zu entgehen.

Doch Otto verzog nur abfällig das Gesicht, während er ächzend nach einer bequemeren Stellung in seinem Bett suchte.

»Ich halte mich lieber an gelehrte Männer als an die fragwürdigen Mittel unbedarfter Kräuterweiblein«, erklärte er mürrisch.

Aber Hedwig ließ nicht locker. »Und was haben die gelehrten Männer ausrichten können gegen Eure Schmerzen?«, hielt sie ihm vor. »Erinnert Euch: Vor Jahren hat sie sogar unseren jüngeren Sohn geheilt, nachdem die Ärzte nicht mehr helfen konnten.«

Natürlich erinnerte sich Otto. Damals war diese Marthe fast noch ein Kind gewesen, ein zerlumptes Ding, das mit den ersten Siedlern nach Christiansdorf gekommen war und von Christian auf den Burgberg gebracht wurde. Sich von ihr behandeln zu lassen, erschien ihm wirklich suspekt, auch wenn er sie in den Stand einer Edelfreien erhoben hatte. Deshalb eigentlich noch viel mehr. So etwas gehörte sich nicht für eine Dame von Stand, da hatten die Pfaffen schon recht, die ihr die Arbeit bestenfalls unter Aufsicht gestatten wollten. Aber mittlerweile fühlte er sich so schlecht, dass er bereit war, fast alles zu versuchen, nur damit es ihm besser ging. Zumal ihm das die Vorhaltungen seiner überfürsorglichen Frau ersparen würde.

»Gut, lasst sie holen«, entschied er und schloss resigniert die Augen. Das hinderte ihn, zu bemerken, wie die meisten der Anwesenden erleichtert aufatmeten.

Wenig später betrat die junge Frau die Unterkunft des Markgrafen und kniete nieder.

»Tut etwas dagegen«, stöhnte Otto und streckte ihr einen nackten Fuß entgegen. Die große Zehe war auf fast doppelten Umfang angeschwollen und wirkte beinahe durchsichtig.

Marthe trat näher und fing einen warnenden Blick Hedwigs auf. Dann schüttelte die Markgräfin auch noch kaum erkennbar den Kopf, während sie Marthe fixierte.

Die junge Heilkundige verstand. Hier durfte sie die besondere, heilende Kraft ihrer Hände nicht einsetzen. Besser, Otto wusste nichts von dieser Fähigkeit, die ihr den Vorwurf heidnischer Zauberei einbringen konnte. Er war zu unberechenbar, als dass sie sich ihm auf solche Weise ausliefern durfte.

Also blieben nur die herkömmlichen Mittel, um dafür zu sorgen, dass es dem Markgrafen wieder besser ging. Leider würde dies einige Zeit dauern – eine gefährliche Zeit für alle in seiner Nähe.

»Wann hat Euch der Medicus zur Ader gelassen?«, erkundigte sich Marthe höflich und deutete auf den verbundenen Unterarm.

»Heute Morgen. Aber damit hat er mir nur neue Schmerzen bereitet, statt die alten zu lindern, dieser Scharlatan«, knurrte Otto.

»Meine Ratschläge werden Euch nicht gefallen«, setzte die junge Frau vorsichtig an, während sie das Gesicht des Markgrafen nicht aus den Augen ließ.

Der verdrehte stöhnend die Augen. »Redet endlich! Ihr habt mein Wort, ich werde Euch nichts übelnehmen. Nur sorgt dafür, dass es mir bessergeht.«

»Dann esst weniger üppig, vor allem eine Zeitlang kein Fleisch, und trinkt nur wenig Wein.«

Jäh richtete sich der Markgraf auf. »Was denn sonst? Etwa Körnerfraß und Dünnbier wie das Bauernpack?«

Marthe wich vorsichtig einen Schritt zurück.

»Ihr wolltet meinen Rat«, sagte sie höflich. »Das war er. Ich kann Euch einen Brennnesselsud bereiten und um die schmerzenden Stellen einen lindernden Umschlag wickeln. Aber das wird wenig nutzen, wenn Ihr meinen ersten Rat nicht annehmt. Wenn Euch das nicht gefällt, lasst besser erneut den Medicus rufen.«

Otto sah Hedwigs strengen Blick, der ihn – wie er sofort erkannte – an sein gerade gegebenes Wort mahnen sollte. Lästig, diese Weiber! Aber bedauerlicherweise hatte er geschworen. Also winkte er Marthe mit einer unwirschen Bewegung wieder heran. »Schon gut. Versucht es mit einem Eurer fürchterlichen Gebräue.«

Marthe verneigte sich. »Ich werde sofort alles zubereiten, mein Fürst.«

Voller Sorge ging sie hinaus.

In dieser Angelegenheit konnte sie nur verlieren. Ihre Heilmittel würden kaum etwas bewirken, wenn der Markgraf weiter solche Unmengen Fleisch und Wein vertilgte. Und sie glaubte nicht daran, dass er angesichts der üppig gedeckten Tafeln seinen gewaltigen Appetit zügeln würde.

Hoffentlich musste nicht auch ihr Sohn unter der schlechten Laune des Markgrafen leiden! Der neunjährige Thomas, Christians und ihr Erstgeborener, wurde als Page an Ottos Hof erzogen. Es war ihnen schwer genug gefallen, den Jungen auf den Meißner Burgberg fortzulassen. Er schien ihr noch viel zu klein, um das Elternhaus zu verlassen. Aber so waren eben die Gepflogenheiten. Mit sieben Jahren, wenn die Kindheit offiziell vorbei war, wurden die Jungen aus dem Haus geschickt, um auf das Leben als Ritter vorbereitet zu werden. Sie und Christian hätten sich und auch Thomas nur geschadet, wenn sie das ehrenvolle Angebot Ottos ausgeschlagen hätten, ihren ältesten Sohn an seinem Hof erziehen zu lassen. Für ihr eigenes Überleben und das ihrer Kinder durfte sie nichts tun, das Aufsehen erregte oder gegen die Regeln des höfischen Lebens verstieß. Es war gefährlich genug, dass sie weiter als Wehmutter und Heilerin arbeitete. Einmal hatte ihr das schon einen Kirchenprozess und beinahe den Tod gebracht, und auch jetzt durfte sie ihre Arbeit im Dorf nur unter der Aufsicht des unerbittlichen Paters Sebastian ausüben.

Wenigstens wusste sie, dass Hedwig den Pagen auf dem Burgberg so etwas wie eine Ersatzmutter war und ihre schützende Hand über sie hielt.

War sie anfangs betrübt gewesen, dass Thomas nicht zu denjenigen gehörte, die diesmal Otto und Hedwig zum Hoftag begleiten durften, so fühlte sie sich jetzt eher erleichtert darüber.

 

»Abscheulich!«, schnaubte der Markgraf, nachdem sie ihm einen Becher Brennnesselsud gebracht hatte.

Marthe verkniff sich jede Bemerkung, kniete nieder und begann, ganz vorsichtig einen warmen Umschlag aus Spitzwegerichblättern um die glasige Zehe zu wickeln.

Anfangs verzog Otto schmerzhaft das Gesicht, doch dann lehnte er sich zurück, schloss die Augen und stöhnte: »Das tut gut.«

Das Hüsteln eines Dieners riss Otto aus seiner Versunkenheit.

»Was gibt es?«, knurrte er, während er den Mann wütend anfunkelte.

»Verzeiht, mein Fürst. Ein Beauftragter des Kaisers wünscht Euch umgehend zu sprechen. Er sagt, es sei dringend«, antwortete der Diener, der tunlichst darauf achtete, außer Reichweite des Markgrafen zu bleiben.

»So dringend, dass ich dafür von meinem Krankenlager aufstehen muss?«, knurrte Otto.

Beinahe ängstlich bejahte der Diener und wich noch einen Schritt zurück, bis er direkt an der Wand stand.

Mit einem deftigen Fluch richtete sich Otto auf. »Ich komme nicht einmal in den Stiefel mit diesem Fuß!«, wütete er und schaute suchend nach etwas, das angemessen war, um einen Abgesandten des Kaisers zu empfangen.

Doch schnell gab er auf. »Was soll’s. Meine Gemahlin ist prachtvoll genug für uns beide gekleidet.«

Jemand reichte ihm die weichen Schuhe aus Filz, die er sich eigens für jene Tage hatte fertigen lassen, an denen ihn die Schmerzen besonders quälten. Dann stemmte er sich ächzend hoch und befahl Hedwig und Marthe, ihm in den vorderen Raum zu folgen, wo er Besucher empfing.

Schnell nahm Marthe den Rest des Sudes an sich, bevor sie ging. Das fehlte noch, dass jemand in ihrer Abwesenheit Gift in Ottos Becher träufelte und man ihr die Schuld gab! Es wäre nicht das erste Mal, dass sie Zeugin eines Giftanschlags auf das Fürstenpaar würde.

 

Draußen warteten mehrere von Ottos Rittern, darunter auch Christian. In der Mitte des Raumes stand der Beauftragte des Kaisers, ein enger Vertrauter des Marschalls, wie Otto erkannte. Er war ein grauhaariger Mann, dessen Narben und tiefe Falten von einem Leben voller Kämpfe kündeten.

»Es geht um Euern jüngsten Sohn«, eröffnete er ohne Umschweife das Gespräch.

Auf sein Zeichen wurde Ottos Sohn in die Kammer geführt, der nach seinem Oheim benannt worden war, dem Markgrafen der Ostmark. Mit gesenktem Haupt betrat der junge Dietrich den Raum und kniete wortlos in gebührendem Abstand vor seinem Vater nieder.

Hedwig schnappte hörbar nach Luft.

Das schulterlange braune Haar konnte nicht verdecken, dass die linke Augenbraue des Siebzehnjährigen aufgeplatzt, die Wunde kaum verkrustet, die Haut darum angeschwollen und rot und blau verfärbt war. Auch die Rippen und Gliedmaßen mussten ihn schmerzen, erkannte Marthe an den vorsichtigen Bewegungen, obgleich Dietrich versuchte, sich davon nichts anmerken zu lassen.

»Er hat die Hand gegen einen Ritter des Königs erhoben«, verkündete der Vertraute des Marschalls mit eisiger Stimme. »Das macht es unmöglich, dass er als Knappe im Dienst des Kaisers bleibt. Nehmt ihn mit Euch nach Meißen und bestraft ihn nach eigenem Ermessen.«

Ungläubig betrachtete Otto seinen Zweitgeborenen.

»Ist das wahr? Du hast einen Ritter des Königs angegriffen?«, herrschte er ihn nach einem Augenblick quälenden Schweigens an. Dann donnerte er: »Wie konntest du solche Schande über mein Haus bringen!«

Er ließ Dietrich keine Zeit für eine Erwiderung, sondern wandte sich besorgt erneut an den Gesandten des Kaisers. »Wer war es? Der Betreffende verdient eine Entschädigung … Wir werden es wiedergutmachen, so es in unserer Macht steht.«

»Es spielt keine Rolle, wer es war«, entgegnete dieser kühl. »Ein Ritter des Königs – das genügt. Wäre Euer Sohn nicht noch Knappe, hätte ihn dieses Verbrechen die Schwerthand gekostet. Also nehmt ihn auf Eure Burg und bestraft ihn selbst. Das ist das Höchste an Gnade, das wir ihm angesichts seiner Herkunft und seiner Leistungen gewähren können.«

Ohne ein weiteres Wort abzuwarten, drehte er sich um und verließ die Kammer.

Zurück blieben Marthe und Christian, der immer noch kniende Dietrich, seine Mutter Hedwig und der Markgraf, an dessen Schläfe eine Ader vor Zorn verräterisch zu pulsieren begann.

 

»Wie konntest du solche Schande über mein Haus bringen!«, brüllte der Markgraf erneut und schüttelte Hedwigs beschwichtigende Hand von seinem Arm. »Welche Schmach! Gegen einen Ritter des Königs! Du …«

Otto suchte nach Worten, um seiner Wut Ausdruck zu verleihen. Hedwig nutzte die so entstandene winzige Pause.

»Solltest du deinen Sohn nicht zuerst einmal fragen, was geschehen ist?«, fragte sie scheinbar ruhig, aber mit Nachdruck. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er so etwas wirklich getan haben sollte … zumindest nicht ohne triftigen Grund.«

Sie sandte Dietrich, der nur kurz aufgesehen hatte, während seine Mutter sprach, einen aufmunternden Blick zu.

»Ja, wer war es? Gegen wen hast du Tölpel in deiner Dummheit gewagt, die Hand zu erheben?!«, wütete Otto.

Ein Anflug von Trotz zeigte sich auf Dietrichs Gesicht, der jedoch schnell wieder verschwand und Resignation wich. Er kannte seinen Vater gut genug, um zu wissen, dass er von ihm kein Verständnis zu erwarten hatte. Vermutlich nicht einmal Gerechtigkeit.

»Albrecht«, sagte er, während er seinen Blick hob und Otto ansah.

Als habe er nicht recht gehört, beugte sich der Markgraf vor.

»Dein Bruder? Du hast dich mit deinem Bruder geprügelt? Obwohl der ein Ritter ist und du ein Knappe und also zu gehorchen hast?!«, brüllte er.

»Er hat unsere Mutter beleidigt – Eure Gemahlin, mein Herr und Vater«, verteidigte sich Dietrich heftig.

»Was auch immer er gesagt haben mag, es gibt dir noch lange nicht das Recht, ihn anzugreifen!«

Trotzig senkte Dietrich den Kopf.

Sein ganzes Leben lang war er von dem Älteren drangsaliert worden: in den ersten Kindheitsjahren zu Hause, später, wenn sie sich auf Hoftagen begegneten, und ganz besonders genüsslich, seit Albrecht nach seiner Schwertleite in den Dienst des Königs getreten war, Barbarossas vierzehnjährigem Sohn Heinrich.

Als Knappe durfte er sich nicht dagegen wehren, so schwer es auch fiel. Doch als ihm sein Bruder nach einer Fieberattacke voller Häme vorgehalten hatte, einen solchen Schwächling könne sein Vater unmöglich gezeugt haben, er müsse wohl ein Bastard sein, für den sich seine Hure von Mutter mit einem Stallknecht im Stroh gewälzt habe, da war es mit seiner Beherrschung vorbei. Wütend war er auf den Älteren losgegangen.

Selbstverständlich hatte sich Albrecht in Begleitung seiner besten Freunde befunden, die sich ein Vergnügen daraus machten, den aufsässigen Knappen nach allen Regeln der Kunst zusammenzuschlagen. Dann erst ging Albrecht zum König und beschwerte sich offiziell über die Verfehlung des Jüngeren.

Dietrich hatte die Hoffnung längst aufgegeben, dass sein Vater den Erstgeborenen und Erben in die Schranken weisen würde. Die besorgten Einmischungen Hedwigs hatten nur zur Folge, dass Albrecht inzwischen auch seine Mutter inbrünstig hasste, wie die hässliche Anschuldigung einmal mehr gezeigt hatte.

»Wenigstens bleibt so der Streit in der Familie«, knurrte Otto etwas gemäßigter. »Und ich muss nicht jemandes Stillschweigen teuer mit meinem Silber erkaufen.«

Doch bei seinen nächsten Worten wich das Blut aus Dietrichs Gesicht, was die Spuren der Schlägerei nur noch kräftiger hervorhob.

»Ich bin der ewigen Streitereien zwischen euch leid. Da du offensichtlich nicht mit deinem Bruder auskommen kannst, bleibt mir keine Wahl. Ich stecke dich ins Kloster, wie es einem Zweitgeborenen zukommt. Das hätte ich längst tun sollen.«

Die Augen des jungen Mannes begannen zu brennen, während er seinen Vater fassungslos anstarrte.