Die evangelische Kirche in unruhigen Zeiten - Klaus-Rainer Martin - E-Book

Die evangelische Kirche in unruhigen Zeiten E-Book

Klaus-Rainer Martin

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Beschreibung

Die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts war eine unruhige Zeit für die Welt, für Deutschland, für die evangelische Kirche und für das schleswig-holsteinische Dorf Klein Wesenberg, südwestlich von Lübeck an der Trave gelegen.   In dem vorliegenden Buch wird dargestellt, wie sich die evangelische Kirche vor und während des ersten Weltkrieges, in der Weimarer Republik, während der Nazi-Herrschaft, vor und während des zweiten Weltkrieges und im Nachkriegsdeutschland verhalten hat, wo sie ein Stützpfeiler der jeweils Herrschenden war, wo sie hätte Stellung beziehen müssen, aber geschwiegen hat und wo sie oder einzelne Vertreter der Kirche persönlich schuldig geworden sind und wie sie damit nach dem Ende der Nazi-­Herrschaft 1945 umgegangen ist. Dabei wird der Versuch gewagt, nicht nur die großen Linien der Politik und des kirchlichen Handelns nachzuzeichnen, sondern das Schicksal einzelner Menschen, gleich ob sie Handelnde waren oder Opfer ihrer jeweiligen Zeit wurden.  

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Klaus-Rainer Martin

Die evangelische Kirche in unruhigen Zeiten

über fünfzig Jahre deutsche Geschichte am Beispiel einer Dorfgemeinde: 1901 - 1953

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Die evangelische Kirche in unruhigen Zeiten

über fünfzig Jahre deutsche Geschichte am Beispiel einer Dorfgemeinde: 1901 - 1953

Geleitworte

Geleitwort des Pastors von Klein Wesenberg Erhard Graf

 

Nach meinem Dienstantritt im Mai 2008 habe ich viele Stunden im Archiv der Kirchengemeinde zugebracht und in den alten Unterlagen gestöbert, denn ich bin davon überzeugt, dass der Satz von August Bebel „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten,“ auch auf den Mikrokosmos einer kleinen Kirchengemeinde zutrifft. Dabei habe ich mir oft gedacht, es wäre schön wenn andere ebenfalls in diesen alten Quellen lesen könnten. Was in der deutschen Geschichte von der Kaiserzeit bis zum Wirtschaftswunder passierte, das können wir in den Geschichtsbüchern genau nachlesen. Doch wie wirkten sich diese historischen Ereignisse auf das Alltagsleben einer Kirchengemeinde aus? Dieser spannenden Frage ist der Autor nachgegangen und hat dabei das vorliegende Buch geschrieben. Er musste dazu viele Archive besuchen, um aus unterschiedlichen Quellen die Fakten zusammenzutragen. Das Buch ist eine lesenswerte Zusammenstellung zunächst der allgemeinen historischen Lage bezogen auf den jeweiligen Ortspastor. Die sehr verschiedenen Geistlichen sind nicht nur von ihrer Zeit und den politischen sowie wirtschaftlichen Umständen geprägt, sondern auch von den Menschen in dieser Kirchengemeinde, mit denen sie zusammenleben mussten. Fünfzig Jahre spannende Dorfgeschichte lassen erahnen, warum sich manche Dinge so und nicht anders hier entwickelt haben.

 

 

Geleitwort des Bürgermeisters von Klein Wesenberg Herbert David

 

Liebe Leserinnen und Leser,

liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

gerade in unserer jetzigen Zeit des Umbruchs mit vielen internationalen Kriegsherden um uns herum und einem Flüchtlingsstrom, der auch uns in Stormarn unmittelbar erreicht, gewinnt dieses hier vorliegende Buch mit seinen Originalaufzeichnungen aus dem ersten und zweiten Weltkrieg umso mehr an Bedeutung.

 

Wir können uns mit diesem Buch erinnern, wie es war, als unsere Männer aus Klein Wesenberg und den Nachbargemeinden in den Krieg zogen und welches Leid es in der Folge für unsere Bürger und insbesondere Bürgerinnen in vielerlei Hinsicht gebracht hat. Wir können lesen von der damaligen Situation unserer Familien und hierbei wurden bei mir Erinnerungen wach an die Kindheit in unserem Dorf, die Konfirmandenzeit unter Pastor Böhmke, den wir als Kinder wegen seiner Menschlichkeit sehr schätzten, aber auch an die Nachkriegszeit mit all ihren Entbehrungen.

 

Mit diesem Buch ist ein spannendes Dokument der Zeitgeschichte in unserem Raum entstanden, das einerseits über das Leben während der beiden Weltkriege aufklärt, andererseits jedoch auch viel Wissenswertes über das politische Geschehen und das soziale Miteinander in dieser besonderen Zeit bereithält. Es bietet sich an für einen Gedankenaustausch zwischen den Generationen und möge es gerade für unsere Kinder und Enkelkinder eine Mahnung sein, den Frieden, den wir seit vielen Jahrzehnten genießen dürfen, zu schätzen und zu bewahren.

 

Im Namen der Gemeinde Klein Wesenberg möchte ich mich bei Klaus-Rainer Martin ganz herzlich bedanken für dieses außerordentliche historische Werk, das in unzähligen, mühevollen Stunden zusammengetragen wurde, und wünsche Ihnen interessante Lesestunden!

 

Mit freundlichen Grüßen aus Klein Wesenberg.

 

 

Geleitwort Bischof Gothart Magaard

Bischof im Sprengel Schleswig und Holstein der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche)

 

Die Kirche hat verschiedene Aufgaben und Ämter. Eines liegt Klaus-Rainer Martin sehr am Herzen: das prophetische Amt. Kirche soll sich einmischen, auch und gerade in gesellschaftlichen und politischen Fragen. Dies ist theologisch und historisch gesehen für eine lutherische Kirche nicht selbstverständlich.

 

Der Autor legt den Fokus auf Klein Wesenberg und zeigt am Beispiel dieser kleinen Dorfgemeinde, wie die politische Großwetterlage sich im Konkreten vor Ort ausgewirkt hat. Neben den politischen Dimensionen erfahren wir in seinem Buch zugleich viel über den Gottesdienstbesuch und das Gemeindeleben im genannten Zeitraum.

 

Seine vornehmliche Fragestellung ist aber eine politische und lautet: Wie haben sich die jeweiligen Pastoren, wie hat sich die Kirchengemeinde in den Jahren 1901 bis 1953 zu den aktuellen politischen Ereignissen und gesellschaftlichen Entwicklungen verhalten? Seine Recherchen in der Gemeindechronik, in kirchlichen und kommunalen Protokollen, im Gemeindebrief und in Schriftwechseln zeigen auf, wie unterschiedlich dies jeweils geschehen ist. Menschlich berührend ist es zu lesen, was die Kriegserfahrungen in beiden Weltkriegen für die Menschen in Klein Wesenberg bedeutet haben und wie z.B. im Blick auf die Beerdigung Kriegsgefangener Spielräume genutzt wurden. Klaus-Rainer Martin benennt allerdings auch deutlich die dunklen Seiten der Kirchengeschichte während der Zeit der Nationalsozialisten.

 

Klaus-Rainer Martin beschreibt die jeweilige politische Lage mit ihren Themen und Herausforderungen und zeigt auf, wie sich das in der Kirchengemeinde konkret vor Ort ausgewirkt hat. Gerade diese Zusammenschau lässt die Geschichte lebendig und anschaulich werden. Sie macht den besonderen Reiz dieses Buches aus. Es bleibt die Aufgabe auch unserer Nordkirche unsere eigene Kirchengeschichte sorgfältig aufzuarbeiten. Wir müssen unsere Geschichte gut kennen, um daraus zu lernen. Dem Autor gebührt unser Dank, dass er dies sorgfältig und akribisch für seine Kirchengemeinde getan hat. Ich wünsche diesem Buch viele aufmerksame Leserinnen und Leser.

 

 

 

 

Die evangelische Kirche in der Kaiserzeit (1871 – 1913)

Obwohl es unter den Reformatoren verschiedene Ansätze zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat gab, setzte sich die Ansicht durch, dass der jeweilige Landesfürst zumindest vorläufig als oberster Bischof anzusehen wäre, welcher in seinen Kirchenprovinzen die Leitungsfunktion inne hat und damit auch Kirchengesetze erlassen oder aufheben konnte. Mit der katholischen Kirche wurde 1555 im “Augsburger Religionsfrieden“ vertraglich vereinbart, dass die Konfession desjenigen, der das Land regiert, auch für die Untertanen verbindlich sei: „cuius regio – eius religio“ (wessen Land – dessen Religion). Das wurde auch im „Westfälischen Frieden“ bestätigt, mit dem 1648 der Dreißigjährige Krieg beendet wurde. Damit bekam die vorläufige Regelung aus der Reformation Endgültigkeit. So war der jeweilige preußische König auch der oberste Bischof von Preußen, zu welchem neben den Provinzen Brandenburg, Hannover, Hessen-Nasau, Ostpreußen, Westpreußen,Pommern, Posen, Schlesien, Rheinland, Westfalen und Sachsen auch die Kirchenprovinz Schleswig-Holstein gehörte.

Bereits 1867 wurde vom preußischen König, bevor er 1871 Kaiser des deutschen Reiches wurde, in Kiel ein Konsistorium als oberste Kirchenbehörde in der Provinz Schleswig-Holstein eingerichtet. Diese Kirchenbehörde wurde dem preußischen Ministerium für geistliche, Medizinal- und Unterrichtsangelegenheiten unterstellt. Das Konsistorium war zuständig für die Beaufsichtigung der Propsteien und Kirchengemeinden insbesondere in der Vermögensverwaltung und in Personalangelegenheiten sowie für die Verwaltung der Landeskirche, aber auch für die Schulen.

 

Allmählich erkannten sowohl die Bürger in den Städten als auch die Landesobrigkeit, daß einer Jugend, die eine Schulbildung sich erworben hat, für das öffentliche Leben eine erhöhte Bedeutung zukäme. Deshalb schalteten sich nach und nach auch die Landesherren mit ihrem Einfluß auf die Gestaltung des Schulwesens ein.

(Quelle: Bock von Wülfingen, Constantin: Stormarn, der Lebensraum zwischen Hamburg und Lübeck)

 

Bereits der preußische König Friedrich Wilhelm I. hatte 1763 für Preußen ein „Generallandschulreglement“ erlassen, welches die Eltern verpflichtete, ihre Kinder auf Schulen gehen zu lassen. Es war ihnen aber freigestellt, zu entscheiden, um welche Art von Schule, staatlich oder privat, es sich handelte, welche Lehrinhalte vermittelt wurden, und wie viele Tage in der Woche oder im Jahr bzw. Stunden unterrichtet wurde. 1871 übernahm die neue Reichsregierung nach Gründung des Deutschen Reiches das preußische Generallandschulreglement. Erst 1919 wurde in der Weimarer Republik die Schulpflicht auf staatliche bzw. staatlich anerkannte Schulen begrenzt.

 

Das preußische Ministerium für geistliche, Medizinal- und Unterrichtsangelegenheiten richtete in allen Kreisen Schulbehörden ein, für den Kreis Stormarn das „Stormarnsche Schulvisitariat“ in Wandsbek. – In Preußen war auf der Grundlage des Generallandschulreglements bereits 1814 eine Schulordnung erlassen worden. In Stormarn galt diese ab 1817. Seit dieser Zeit galt die allgemeine Schulpflicht, die Lehrer mussten eine entsprechende Ausbildung nachweisen und mehrere Dörfer wurden zu einem Schuldistrikt zusammengefasst mit einer Distriktschule und mehreren zumeist einklassigen Nebenschulen.

 

Wandsbek gehörte bis zur Bildung von Groß Hamburg im April 1938 als selbständige Stadt zu Schleswig-Holstein und war die Kreisstadt des Kreises Stormarn. – Bereits im Kaiserreich gehörte Klein Wesenberg politisch zum Kreis Stormarn, aber kirchlich zum Kirchenkreis Segeberg. Das ist von der Reformation an bis heute so geblieben. Das Stormarnsche Schulvisitariat berief für alle Schulen „Königliche Ortsschulinspektoren“, welche in ihrem Ort für die Schulen verantwortlich waren. In Klein Wesenberg war das der jeweilige Pastor der Gemeinde. Er war für alle Schulen in seinem Kirchspiel verantwortlich. Es gab neben der mehrklassigen Distriktschule in Klein Wesenberg mit zwei bis drei Lehrern noch einklassige Schulen in Groß Wesenberg, Groß Barnitz, Westerau und Trenthorst mit jeweils einem Lehrer. Während des ersten Weltkrieges wurden diese einklassigen Schulen jedoch aufgelöst und die Lehrer zum Militärdienst einberufen. Die Kinder mussten lange Fußmärsche auf sich nehmen, denn sie gingen von nun an alle in Klein Wesenberg zur Schule Die Schule in Klein Wesenberg erhielt in jedem Jahr ca. 50 Goldmark vom Stormarnschen Schulvisitariat, um seine für alle Schulen im Kirchspiel zur Verfügung stehende Bibliothek zu aktualisieren. Um die „richtigen“ Bücher anzuschaffen, erhielt der Ortsschulinspektor in jedem Schuljahr eine Bücherliste. Außerdem erhielt jede Schule im Kreis in jedem Jahr einen Obstbaum für den Schulgarten. 1916 wurden diese Zuwendungen eingestellt. Das preußische Ministerium für geistliche, Medizinal- und Unterrichtsangelegenheiten erteilte über die Schulvisitariate fast in jedem Monat Weisungen an die Schulen und ließ den Lehrern nur wenig eigene Entscheidungsmöglichkeiten für die Unterrichtsgestaltung. (Eine ausführlichere Beschreibung der Schulsituation in Klein Wesenberg muss an dieser Stelle unterbleiben, da im Archiv der Kirchengemeinde Klein Wesenberg nur Unterlagen des jeweiligen Pastors in seiner Funktion als Orts-Schulinspektor zu finden waren, jedoch keine Aufzeichnungen der Lehrer.)

 

Nach einer Statistik gab es 1936 in Stormarn 100 Volksschulen mit 303 Lehrkräften und 14.000 Schülern. Damit kamen auf eine Lehrkraft 46 Schüler.

(Quelle: Bock von Wülfingen, Constantin: Stormarn, der Lebensraum zwischen Hamburg und Lübeck)

 

Um 1685 flohen fast 50.000 Hugenotten aus Frankreich nach Deutschland, davon etwa 20.000 nach Brandenburg und Berlin. Hugenotten ist die französische Bezeichnung für Protestanten calvinistischen Glaubens, welche in Frankreich verfolgt wurden. (Johannes Calvin war in Frankreich der Reformator der katholischen Kirche). In Deutschland, insbesondere in Preußen, waren die Hugenotten keinen Verfolgungen mehr ausgesetzt. Damit gab es in Preußen drei unterschiedliche Konfessionen: in den meisten Provinzen die evangelisch-lutherische, in Schlesien die katholische und in Brandenburg die evangelisch-lutherische und die evangelisch-calvinistische. Auch Menschen jüdischen Glaubens durften ihren Glauben ausüben und Synagogen bauen. Ihnen war es jedoch nicht gestattet, in der preußischen Armee Offizier zu werden. Die Militärführer waren schon zur damaligen Zeit rechts-konservativem und antisemitischem Gedankengut gegenüber aufgeschlossen. Doch abgesehen von dieser Einschränkung, herrschte in Preußen eine für die damalige Zeit bemerkenswerte Toleranz. Friedrich II., auch „Friedrich der Große“ oder „Alter Fritz“ genannt, wird um 1740 der Satz zugeschrieben: „Jeder soll nach seiner Façon selig werden“. In Brandenburg wurde 1817 aus den lutherischen und den calvinistisch-reformierten Gemeinden die "Evangelische Kirche der altpreußischen Union". Damit gab es im Königreich Preußen in den meisten Provinzen die evangelisch-lutherische Konfession, in Brandenburg die „Unierte Kirche“ und daneben in Schlesien die katholische Konfession. Der preußische König war jedoch nur in den evangelischen Provinzen Bischof. In der katholischen Kirche wurden zu allen Zeiten Kardinäle und Bischöfe vom Papst in Rom ernannt.

 

Am 18. Januar 1871 erfolgte im Spiegelsaal des Schnlosses Versailles mit der Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum deutschen Kaiser die Gründung des Deutschen Reiches. Die Zeit danach unter Kaiser Wilhelm II nach der Ära Bismarcks ab 1888 wird oft als „Wilhelminisches Zeitalter“ bezeichnet.

 

Mit der Verknüpfung von „Altar und Thron“ war die evangelische Kirche eine Institution der Kaisertreuen, vor allem der Adligen, des Bürgertums und der Landbevölkerung. Man darf sie als „nationalprotestantisch“ bezeichnen. Sie erreichte damit kaum die Arbeiterschaft in den sich mehr und mehr entwickelnden Industriezentren. Es bestand geradezu ein Misstrauensverhältnis zwischen Kirche und Sozialdemokratie, was in der Weimarer Zeit schlimme Folgen hatte. Hier hat die evangelische Kirche eine große Chance vertan. Demgegenüber entstand in der katholischen Kirche, vor allem in Frankreich und in Belgien, die Bewegung der Arbeiterpriester. In der evangelischen Kirche gab es nur innerhalb der Inneren Mission Bestrebungen, welche auf Johann Hinrich Wichern (verwahrloste Kinder und Jugendliche), Friedrich von Bodelschwingh (Behinderte und Epileptiker) oder Clemens Perthes (Obdachlose) zurück ging. Allerdings wurden hier die zu betreuenden Menschen als Randgruppen der Gesellschaft betrachtet und man war insgesamt in der Inneren Mission recht konservativ und kaisertreu. Ziel war es, die zu Betreuenden zurück „auf den Pfad der Tugend“ zu führen und damit zurück in die Gesellschaft. Die Aufgabenstellung der Inneren Mission passte damit gut zu den ordnungspolitischen Bestrebungen des Staates. Überlegungen, wie man Zugang zur Industriearbeiterschaft, zum Proletariat findet, gab es auch hier nicht.

 

Doch die evangelische Kirche galt nicht nur als bürgerlich und obrigkeitstreu, sondern auch als „akademisch“:

 

Natürlich, die evangelischen Kirchen waren Pastorenkirchen, und die Pastoren waren akademisch gebildete Theologen, das prägte ihre Stellung. Sie waren, ganz anders als der katholische Klerus, Teil der akademischen Welt, sie gehörten zu den Studierten und Gebildeten, sie standen im Konnex mit der Wissenschaft und (oder) der „Kultur“, sie waren über Gehaltsregelung und zwei Ausbildungsstufen – Quasi-Beamte und staatsbezogen, wie die Kirche war, gehörten die Pfarrer zum Establishment. Das prägte ein Stück weit ihre Tätigkeit und den Kirchenstil, das machte die Kirche auch so theologisch.

(Quelle: Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1918, Band I: Arbeitswelt und Bürgergeist)

 

In Preußen gab es neben dem König als oberstem Bischof seit 1846 die Generalsynode. Diese hatte allerdings keine gesetzgebenden Befugnisse und konnte gegenüber dem König nur Empfehlungen aussprechen, an die sich der König aber nicht halten musste. Die Generalsynode tagte einmal jährlich. Ihr gehörten 75 Männer an, welche vom König berufen wurden: die Superintendenten und Präsidenten der Konsistorialämter der Kirchenprovinzen, je drei gewählte Laien aus den Provinzialsynoden, zwei Professoren der preußischen Universitäten, die Hofprediger vom königlichen Schloss, die Oberbürgermeister der preußischen Städte Berlin, Halle, Königsberg und Stettin sowie drei Adlige.

 

Der preußische König in seiner Eigenschaft als oberster Bischof hatte in seiner Kirchenprovinz Schleswig-Holstein zwei Theologen als Landessuperintendenten eingesetzt, einen für den Sprengel Schleswig mit Sitz in Schleswig, und einen für den Sprengel Holstein mit Sitz in Kiel. Lübeck gehörte nicht zum preußischen Königreich und hatte damit auch eine eigene Kirchenverwaltung. An deren Spitze stand der „Senior“. Dagegen gehörte der heute zu Dänemark gehörende Landesteil Nordschleswig zur Kirchenprovinz Schleswig-Holstein. Die oberste kirchliche Verwaltungsbehörde für die gesamte Kirchenprovinz Schleswig-Holstein, welche damals eine staatliche Behörde war, war das Konsistorium mit Sitz in Kiel. Leiter des Konsistoriums war ein Jurist als Präsident. Abteilungsleiter, z.B. für die Finanzabteilung oder für die Bauabteilung, waren etwa je zur Hälfte Theologen und Juristen. Sie nannten sich Konsistorialräte. Daneben gab es eine Provinzialsynode. Diese war ähnlich wie die Generalsynode zusammengesetzt und hatte ebenso wenig Kompetenzen.

 

Die Kirchenprovinz Schleswig-Holstein war in zweiundzwanzig kirchliche Verwaltungsbereiche aufgeteilt, diese nannten sich Propstei. Ihnen stand ein Theologe als Propst vor. Klein Wesenberg gehörte zur Propstei Segeberg.

 

Der Landesverein für Innere Mission wurde 1875 gegründet. Seinen Hauptsitz hatte er in Rickling. Die wechselnden Aufgaben richteten sich auf die Unterstützung von Randgruppen der Gesellschaft, denen ein sinnvolles Leben ermöglicht werden sollte. Auch die Betreuung von Kranken gehörte zum Aufgabenbereich der Inneren Mission.