Die fabelhafte Welt der Leichen - Mary Roach - E-Book

Die fabelhafte Welt der Leichen E-Book

Mary Roach

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  • Herausgeber: Riva
  • Kategorie: Fachliteratur
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2012
Beschreibung

Mit dem Tod ist keinesfalls alles vorbei. Leichen sind auf vielfältige Weise nützlich, indem sie Forschung und Wissenschaft zur Verfügung stehen. Sie helfen dabei, Autos sicherer zu machen, dienen als Anschauungs- und Übungsobjekte für angehende Ärzte und geben Gerichtsmedizinern wichtige Hinweise, mit denen Verbrechen aufgeklärt werden können. Sie wurden ins All geschossen, haben die ersten Guillotinen und sogar die Echtheit des Turiner Grabtuchs getestet. Mary Roach hat die vielfältigen postmortalen Verwendungsformen recherchiert und mit Ärzten, Wissenschaftlern und Leichenbestattern darüber gesprochen, was man mit Leichen alles anfangen kann. Daraus ist ein überaus unterhaltsames, faszinierendes und skurriles Buch entstanden, auch wenn die Hauptakteure in Anatomiesälen, Laboratorien und Krematorien zu finden sind.

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Seitenzahl: 426

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Mary Roach

Die fabelhafte Welt der Leichen

Übersetzung aus dem Englischen von Michaela Grabinger

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:[email protected]

1. Auflage 2012

© 2011 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH, München

Nymphenburger Straße 86 D-80636 München Tel.: 089 651285-0 Fax: 089 652096

© der Originalausgabe 2003 by Mary Roach. All rights reserved.

Die englische Originalausgabe erschien 2003 bei W.W. Norton & Company unter dem TitelStiff: The Curious Lives of Human Cadavers.

Die Rechte an der deutschen Übersetzung von Michaele Grabinger liegen bei der Deutschen Verlagsanstalt, München, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Michaela Grabinger

Umschlaggestaltung: Kristin Hoffmann, München. Nach einer Idee von DVA/Brigitte Müller

Umschlagabbildung: iStockphoto

E-Book: Georg Stadler, München

Druck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in Germany

ISBN 978-3-86413-229-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter:

Mary Roach

Die

fabelhafte

Welt

der

Leichen

Für meinen wunderbaren Ed

Inhalt

Einleitung

Tote, die den Kopf hinhalten

Chirurgische Übungen an Leichen

Verbrechen aus anatomischer Leidenschaft

Leichenraub und andere schmutzige Geschichten aus der Anfangszeit der Sektion

Das Leben nach dem Tod

Verwesung und was sich dagegen tun lässt

Dead Man Driving

Menschen als Crashtest-Dummys und die grausige, aber notwendige Erforschung der Stoßtoleranz

Jenseits der Blackbox

Wenn die Leichen von Passagieren den Ablauf eines Absturzes erzählen müssen

Eine Leiche geht zum Militär

Die prekäre Ethik von Kugeln und Bomben

Heiliger Leichnam

Kreuzigungsexperimente

Wie man merkt, dass man tot ist

Leichen, deren Herz noch schlägt, Bestattung bei lebendigem Leib und die wissenschaftliche Suche nach der Seele

Leichen, die den Kopf verlieren

Enthauptung, Wiederbelebung und die Trans­plantation des menschlichen Kopfes

Ein gefundenes Fressen

Medizinischer Kannibalismus und die Sache mit den Menschenfleischklößchen

Aus dem Feuer in den Kompost

Und wo man neuerdings noch enden kann

Was aus der Autorin wird

Tut sie’s oder tut sie’s nicht?

Danksagung

Einleitung

Das Totsein lässt sich recht gut mit einer Kreuzfahrt ver­gleichen. Man liegt die meiste Zeit mit ausgeschaltetem Gehirn auf dem Rücken. Der Körper wird allmählich wab­belig. Es tut sich nicht viel, und niemand erwartet etwas von einem.

Sollte ich jemals eine Kreuzfahrt unternehmen, müsste es eine dieser Forschungsreisen sein, bei denen die Pas­sagiere zwar ebenfalls einen Großteil des Tages geistes­abwesend auf dem Rücken liegend verbringen, zwischen­durch aber einem Forscher bei seinem Projekt helfen. Auf diesen Kreuzfahrten gelangen die Passagiere an unbe­kannte, ja unvorstellbare Orte und dürfen Dinge tun, die sie sonst nie tun könnten.

Ähnliche Gedanken kommen mir, wenn ich mir das Dasein als Leiche vorstelle. Warum nur daliegen, wenn man interessante neue Dinge tun und sich nützlich ma­chen kann? Wann immer eine neue Operationsmethode – von der Herztransplantation bis hin zur Geschlechtsum­wandlung – entwickelt wurde, halfen Leichen mit und machten auf ihre eigene stille und diskrete Art Geschichte. Seit 2000 Jahren sind Tote teils bereitwillig, teils unwissentlich an den kühnsten wissenschaftlichen Neue­rungen und den sonderbarsten Projekten beteiligt. Die erste Guillotine in Frankreich (die »humane« Alternative zum Hängen) wurde an Leichen getestet. Leichen lagen bereit, als Lenins Einbalsamierer die neuesten Techniken ausprobierten. Leichen nahmen (auf dem Papier) an Kongressanhörungen teil, als die Gurtpflicht durchgesetzt wer­den sollte. Sie waren (zumindest in Teilen) an Bord des Spaceshuttles, halfen einem Studenten in Tennessee, die Selbstentzündung von Menschen nachzuweisen, und wur­den in einem Pariser Labor ans Kreuz geschlagen, um die Echtheit des Turiner Grabtuchs zu überprüfen.

Um dies zu erleben, lassen die Leichen viel Blutrünstiges mit sich anstellen. Sie werden zerstückelt, aufgeschnitten und neu zusammengesetzt. Aber: Sie müssen bei alldem nicht leiden. Leichen sind im Grunde Superhelden: Sie bie­ten, ohne mit der Wimper zu zucken, jedem Feuer die Stirn und lassen sich von hohen Gebäuden hinabwerfen oder in einem Auto frontal in eine Mauer fahren. Ob man auf sie schießt oder mit dem Rennboot über ihre Beine fährt – nichts bringt sie aus der Fassung. Man kann ihnen den Kopf abtrennen, ohne dass es ihnen irgendwie schadet. Sie können an sechs Orten gleichzeitig sein. Es ist eine wahre Schande, diese Fähigkeiten ungenutzt zu lassen, anstatt sie zum Wohle der Menschheit einzusetzen.

Dieses Buch beschreibt bemerkenswerte Leistungen, die von Toten vollbracht wurden. Es gibt Menschen, deren Leistungen, die sie zu Lebzeiten vollbracht haben, längst vergessen sind, die aber dennoch in Büchern und Fach­zeitschriften verewigt wurden. In meinem Zimmer hängt ein Kalender des Müttermuseums, im College of Physicians in Philadelphia. Das Oktober-Foto zeigt ein Stück Men­schenhaut voller Pfeile und Risse. Mithilfe dieses Experi­ments wollten Chirurgen herausfinden, auf welche Weise längs und quer ausgeführte Schnitte einreißen. Ich finde, wer als Ausstellungsobjekt im Müttermuseum oder als Skelett in einem Unterrichtsraum für angehende Ärzte endet, tut etwas ebenso Nützliches wie die Menschen, die verfügen, dass nach ihrem Tod eine von ihrem Geld bezahlte Parkbank aufgestellt wird: Es zeugt nicht nur von Men­schenfreundlichkeit, sondern schenkt auch einen Hauch von Unsterblichkeit. Mein Buch handelt von den manch­mal seltsamen, oft schockierenden, aber immer faszinie­renden Dingen, die Tote tun.

Das soll nicht heißen, dass es falsch ist, einfach nur her­umzuliegen. Auch das bloße Verwesen bietet auf seine Art durchaus interessante Aspekte. Aber es gibt eben noch andere Möglichkeiten, als Leiche seine Zeit zu verbringen. Man kann sich wissenschaftlich engagieren, zum Kunstobjekt werden oder sich in einen Baum verwandeln. Sie sollten mal darüber nachdenken.

Nein, Totsein muss nicht Langeweile bedeuten.

Natürlich werden viele Leute anders darüber denken und alles außer dem Begraben oder Verbrennen von Toten für respektlos halten – inklusive das Schreiben über Tote. So mancher wird dieses Buch respektlos finden. Tot zu sein ist doch nun wahrlich alles andere als amüsant, wird es heißen. Dabei hat es durchaus seine amüsanten Seiten. Tot zu sein ist absurd. Eine albernere Situation kann man sich kaum vorstellen. Die Gliedmaßen sind schlaff und gehor­chen einem nicht mehr. Der Mund steht offen. Totsein ist etwas Unansehnliches, streng Riechendes, etwas sehr Pein­liches, und man kann nichts, aber auch gar nichts dagegen tun.

Dieses Buch handelt vom Tod, nicht vom Sterben. Ster­ben ist etwas Trauriges und Unergründliches. Einen gelieb­ten Menschen zu verlieren oder selbst bald sterben zu müs­sen, ist alles andere als lustig. In diesem Buch geht es um diejenigen, die bereits tot sind, um die anonymen Toten hinter den Kulissen. Die Leichen, die ich gesehen habe, waren weder deprimierend noch mitleiderregend noch abstoßend. Sie wirkten sanft und gutmütig, manchmal traurig, gelegentlich sogar erheiternd. Manche waren wun­derschön, manche sahen aus wie Monster. Manche trugen Trainingshosen, manche waren nackt, einige zerstückelt, andere intakt.

Keine dieser Leichen kannte ich. Nicht einmal das inter­essanteste und bedeutendste Experiment der Welt würde ich miterleben wollen, wenn es dabei um die sterblichen Überreste eines Menschen ginge, den ich gekannt und geliebt habe. (Es gibt allerdings einige wenige Menschen, die das nicht abschreckt. Ronn Wade, Leiter des Körperspendenprogramms der University of Maryland in Balti­more, berichtete mir von einer Frau, die darum bat, der Sektion ihres Mannes beiwohnen zu dürfen. Dieser hatte seine Leiche der Universität vermacht. Wade erklärte ihr höflich, dass er diesen Wunsch nicht erfüllen werde.) Ich würde nicht deshalb ablehnen, bei der Sektion eines Men­schen anwesend zu sein, den ich gekannt habe, weil ich dabei etwas Respektloses oder moralisch Falsches zu sehen bekäme, sondern weil ich die Leiche gefühlsmäßig nicht von dem Menschen trennen könnte, der sie kurz zuvor noch war. Die eigenen Toten sind mehr als Leichen: Sie sind Platzhalter für die Lebenden, ein Gefäß für Gefühle. Die Toten, mit denen sich die Wissenschaft beschäftigt, sind immer Fremde.1

Ich möchte Ihnen von meiner ersten Leiche erzählen. Ich war 36, sie 81. Es war die Leiche meiner Mutter. Mir fällt auf, dass ich die Possessivkonstruktion »meiner Mutter« verwende, wie um auszudrücken, dass die Leiche (zu) mei­ner Mutter gehörte, anstatt zu sagen, dass die Leiche meine Mutter war. Meine Mutter war nie eine Leiche, kein Mensch ist je eine Leiche. Ein Mensch ist ein Mensch, bis er eines Tages aufhört, ein Mensch zu sein, und eine Leiche seinen Platz einnimmt. Meine Mutter war verschwunden. Die Leiche war nur ihre Hülle. Jedenfalls empfand ich es so.

Es war ein milder Septembermorgen. Das Bestattungs­unternehmen hatte meinen Bruder Rip und mich gebeten, etwa eine Stunde vor Beginn des Trauergottesdienstes da zu sein. Wir dachten, es müssten noch Formulare ausge­füllt werden, doch der Bestattungsunternehmer führte uns in einen großen, abgedunkelten, sehr stillen Raum mit schweren Behängen und auf Hochtouren laufender Klimaanlage. Hinten an der Wand stand ein Sarg, was uns aber in Anbetracht der Örtlichkeit ganz normal erschien. Mein Bruder und ich standen verlegen da. Der Bestatter räusperte sich und richtete den Blick auf den Sarg. Wir hätten ihn eigentlich wiedererkennen müssen, immerhin hatten wir ihn tags zuvor ausgesucht und bezahlt, aber wir reagierten nicht. Da trat der Mann vor den Sarg und deutete darauf, wobei er sich leicht verbeugte wie ein Oberkellner, der Restaurantgäste an den Tisch führt. Und unmittelbar hinter seiner Hand erkannte ich das Gesicht unserer Mutter. Darauf war ich nicht vorbereitet. Wir hat­ten nicht darum gebeten, sie noch einmal sehen zu dür­fen, und die Totenmesse sollte bei geschlossenem Sarg stattfinden. Aber nun konnten wir sie doch noch einmal betrachten. Man hatte ihr das Haar gewaschen, es in Wellen gelegt, sie geschminkt und sich viel Mühe gegeben, aber ich fühlte mich überrumpelt. Am liebsten hätte ich gesagt: Das haben wir nicht bestellt! Aber natürlich schwieg ich. Der Tod macht uns hilflos und höflich.

Der Bestatter sagte, wir könnten nun eine Stunde bei ihr bleiben, und zog sich diskret zurück. Rip warf mir einen Blick zu. EineStunde? Was macht man eine Stunde lang mit einer Toten? Mutter war lange krank gewesen; wir hat­ten schon um sie getrauert und geweint und uns von ihr verabschiedet. Da es aber unhöflich gewesen wäre, einfach zu gehen, obwohl sich das Bestattungsunternehmen so viel Arbeit gemacht hatte, traten wir dann doch an den Sarg und betrachteten die Tote. Ich legte meine Hand auf ihre Stirn. Es war als zärtliche Geste gedacht, aber ich wollte auch spüren, wie sich ein toter Mensch anfühlt. Ihre Haut war kühl wie Metall oder Glas.

Eine Woche zuvor hatte Mutter noch dieValley Newsgele­sen und wie an jedem Vormittag seit 45 Jahren das Kreuz­worträtsel gelöst. Im Krankenhaus hatte ich mich manch­mal zu ihr aufs Bett gesetzt und ihr dabei geholfen. Sie war bettlägerig gewesen, und diese Rätsel waren so ziemlich das Einzige, was sie noch mit Freude hatte tun können. Ich sah Rip an. Sollten wir vielleicht alle drei ein letztes Mal das Kreuzworträtsel lösen? Rip ging hinaus und holte die Zeitung aus seinem Wagen, und dann lasen wir, an den Sarg gelehnt, laut das Rätsel vor. Da musste ich plötzlich weinen. In der Woche nach Mutters Tod ergriffen mich gerade die kleinen Dinge: die Bingo-Gewinne, die ich fand, als wir ihre Frisierkommode ausräumten, die 14 einzeln ver­packten Hähnchenteile im Tiefkühlschrank, jedes in Mut­ters Schönschrift mit »Hähnchen« etikettiert. Und schließ­lich das Rätsel. Es war merkwürdig, ihre Leiche zu sehen, aber traurig war es eigentlich nicht. Das war einfach nicht mehr sie.

Mich an den Anblick von Leichen zu gewöhnen, fiel mir in diesem letzten Jahr weniger schwer als der Umgang mit den Reaktionen der Menschen, die mich nach meinem Buch fragten. Normalerweise sind Gesprächspartner durch­aus aufgeschlossen, wenn man erwähnt, dass man ein Buch schreibt. Fügt man aber hinzu, dass es sich dabei um ein Buch über Leichen handelt, verstummt das Gespräch recht schnell. Nichts gegen einen Artikel über Leichen, aber gleich ein ganzes Buch – das wirft kein allzu gutes Licht auf die Autorin.Dass Mary ein bisschen verschroben ist, haben wir ja immer schon gewusst, aber jetzt fragen wir uns wirk­lich, ob sie noch richtig tickt. Letzten Sommer hatte ich am Ausleiheschalter der Medizinischen Bibliothek der Univer­sity of California in San Francisco ein Erlebnis, das ver­deutlicht, was es heißt, ein Buch über Leichen zu schrei­ben. Der junge Mann an der Theke ging die Computerliste der von mir entliehenen Bücher durch:Grundlagen und Praxis des Einbalsamierens, Die Chemie des Todes, Schussverlet­zungen.Dann fiel sein Blick auf das Buch, das ich als Näch­stes ausleihen wollte:Sitzungsbericht der Neunten Stapp Car Crash Conference.Er sagte nichts, aber das war auch nicht nötig. Sein Blick sprach Bände. Wenn ich Bücher entlieh, rechnete ich fast immer damit, darauf angesprochen zu werden. Warum wollen Sie dieses Buch? Was haben Sie vor? Was sind Sie überhaupt für ein Mensch?

Da mir diese Fragen nie gestellt wurden, musste ich mein Vorhaben auch nie erklären.

Dennoch will ich es jetzt Ihnen erklären: Ich bin ein neu­gieriger Mensch, ein Voyeur, wie alle Journalisten. Ich schreibe über das, was mich fasziniert. Früher war ich Reisejournalistin. Ich ging auf Reisen, um dem Altbekann­ten und Gewöhnlichen zu entfliehen. Mit der Zeit musste ich dazu immer größere Strecken zurücklegen. Nach mei­nem dritten Aufenthalt in der Antarktis machte ich mich auf die Suche nach fremden Gefilden in unserer gewohn­ten Umgebung. Hierzu zählten die Naturwissenschaften. Den wissenschaftlichen Blick auf tote Menschen empfand ich als besonders fremdartig und absonderlich, auf seine abstoßende Weise aber auch als verlockend. Die Orte, die ich in diesem einen Jahr bereiste, waren nicht so schön wie die Antarktis, aber genauso eigenartig und interessant und, wie ich hoffe, ebenso beschreibenswert.

1 Zumindest fast immer. Ab und zu kommt es vor, dass ein Anato­miestudent eine Laborleiche erkennt. »In einem Vierteljahrhundert habe ich das zweimal erlebt«!, berichtete mir Hugh Patterson, Ana­tomieprofessor an der Medizinischen Fakultät der University of California, San Francisco.

|1| Tote, die den Kopf hinhalten

Chirurgische Übungen an Leichen

Der menschliche Kopf hat in etwa die Größe und das Gewicht eines Grillhähnchens. Ich hatte bisher keine Gelegenheit, diesen Vergleich anzustellen, denn dies ist das erste Mal, dass ich einen Kopf in einer Grillschale sehe. Hier liegen, das Gesicht nach oben gerichtet, 40 Köpfe in 40 Schalen, die aussehen wie kleine Futternäpfe für Haustiere. An einem dieser Köpfe können jeweils zwei Fachärzte für plastische Chirurgie üben. Ich nehme als Beobachterin an einem Auffrischungskurs in Gesichtsanatomie und Facelifting teil, der von der Klinik einer Südstaatenuniversität finanziert und von einem halben Dutzend der gefragtesten Schönheitschirurgen Amerikas geleitet wird.

Dass die Köpfe in Grillschalen liegen genauer gesagt in Wegwerfschalen aus Aluminium , hat denselben Grund, weshalb man auch Hähnchen in Grillschalen legt: um die austretende Flüssigkeit aufzufangen. Eine Operation ist, selbst wenn sie an Toten durchgeführt wird, eine saubere und ordentliche Angelegenheit. Auf jedem der 40 mit zartlila Plastikdecken verhüllten Klapptische steht in der Mitte eine Schale. Daneben liegen, gefällig angeordnet wie Besteck auf einem Restauranttisch, Hauthaken und Wundspreizer. Das Ganze erinnert an einen Empfang mit Buffet. Ich sage zu der jungen Frau, die an diesem Morgen alles für den Kurs vorbereitet hat, dass der Raum durch den zartlila Farbton wirke, als sei er für eine Osterparty dekoriert worden. Theresa erwidert, man habe sich für Lila entschieden, weil das eine beruhigende Farbe sei.

Es erstaunt mich zwar ein bisschen, dass Männer und Frauen, die tagein, tagaus Lider straffen und Fett absaugen, etwas zur Beruhigung brauchen, aber mit abgetrennten Köpfen haben eben selbst Profis manchmal ihre Schwierigkeiten, vor allem, wenn die Köpfe frisch, das heißt nicht einbalsamiert sind. Es handelt sich um 40 Köpfe von Menschen, die im Lauf der letzten Tage verstorben sind. Die Köpfe sehen daher auch noch fast genauso aus wie zu Lebzeiten dieser Menschen. Durch das Einbalsamieren dagegen verhärtet das Gewebe, die Strukturen werden starr und der Übungseingriff gleicht weniger einer tatsächlichen Operation.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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