Die Farben der Grausamkeit - Joseph Zoderer - E-Book

Die Farben der Grausamkeit E-Book

Joseph Zoderer

4,4

Beschreibung

Richard will sich von der Liebe seines Lebens befreien, von der Obsession einer Leidenschaft, die ihn immer noch an Ursula fesselt, seine einstige Geliebte, die ihn verlassen hat. Um sein Familienglück zu retten, kauft er ein Bauernhaus am Berg. Die Umgestaltung des neuen Heimes soll ihn ablenken, erlösen von der Sehnsucht nach Ursula, soll ihn zurückführen zu seiner Frau Selma, die er immer noch liebt, und zu ihren beiden Söhnen. Richard pendelt zwischen zwei Welten, zwischen Idyll und schmerzender Erinnerung, zwischen der Einsamkeit des Bergdorfs und der Betriebsamkeit der Stadt. Doch dann macht er einen Karrieresprung und wird als Auslandskorrespondent ins Berlin des Jahres 1989 geschickt. Inmitten der weltpolitischen Umwälzungen begegnet er dort ein zweites Mal Ursula und muss sich entscheiden ... Mit atmosphärischer Dichte und poetischer Klarheit erzählt Joseph Zoderer in seinem neuen Roman eine Geschichte von den Möglichkeiten der Liebe und den Wunden, die sie schlägt, von der Sehnsucht, mehr als ein Leben zu haben, und vom Weg eines Mannes zu sich selbst.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 347

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,4 (16 Bewertungen)
11
1
4
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Titel

Joseph Zoderer

Die Farben

der Grausamkeit

Roman

Widmung

Meinen Kindern und ihrer Mutter

Erster Teil Das Haus

Erstes Kapitel Anderswo

Ohne sich an die Stirn zu schlagen, wollte er es irgendjemandem erzählen, einem Menschen oder einer Ratte oder einem Hund, was er jetzt noch nicht genau wußte, aber ein blattloser Feigenbaum sollte darin vorkommen, vielleicht auch ein zugefrorenes Schwimmbecken, bestimmt jedenfalls sonnenbeschienener Schnee, der unter jedem Schritt knirschte, darüber ein helleuchtender, blauer Himmel. Das war die Zeit des Stummseins gewesen, worin er wie eingemummt aufwärtsgestapft war in ein glückvolles Verlorengehen. Bei klirrender Sonnenkälte hatte er sich litaneienhaft gefragt, warum ihm die Luft so fremd geworden war. Ob jemand, der ihn begleitet hätte, an seinem Stummsein erfroren wäre. Er vermochte nicht mehr zu lieben. Das machte ihn stumm.

Das Haus, das Richard verlassen hatte, war umwuchert von Blumen, umstanden auch von selbst gepflanzten Bäumen. Als er und seine Frau zum ersten Mal den Zufahrtsweg hinaufgegangen waren, mußten sie jeden Schritt durch meterhohe Brennesseln setzen. Es hatte ihm Freude gemacht, mit einer im Stall gefundenen Sichel das Unkraut wegzusäbeln, das Haus zu befreien von seiner grünen Belagerung. Denn es waren nicht nur die Brennesseln, es waren Disteln, Besengräser und Schößlinge von Espen, Erlen und Eschen, deren Samenspender kaum zehn Meter entfernt aufragten als Wächter des Waldes. Die Fensterscheiben waren eingeschlagen, in der Stube und in den anderen Zimmern häuften sich hügelig Müll, Scherben und Kot. Das seit Jahren leerstehende Haus war für mancherlei Personal zum zeugenlosen Ort geworden, nicht nur für Mäuse und Ratten; verschrumpelte Präservative und gebrauchte Monatsbinden veranschaulichten einen Ort der ungewissen Liebe.

Er zimmerte mit Brettern, die unter einem Vordach aufgestapelt waren, ein Ehebett, ein hartes Liebesbett. Das Dach, bedeckt mit jahrzehntealten Lärchenschindeln, hielt einem prasselnden Regenguß nicht mehr stand. Mitten in den Bergen fühlte er sich, mit Blick auf zackige Gipfel, wie ein Städter der amerikanischen Ostküste, unterwegs durch Indianerland gen Westen. Aber er stammte aus diesem Land, auch wenn er früh weggekommen war, und es berauschte ihn, plötzlich ein Besitzer zu sein von Waldbäumen, wie Fichten, Lärchen und Föhren und von Grasflächen, mehrere Hektar großen Wiesen.

Das Haus war ihr Haus, seltsamerweise bereits von dem Augenblick an, da sie den Zugang zur Tür von den Brennesseln und anderem Gesträuch freige-sichelt hatten. Erst später, Monate später, wenn sie im umliegenden Wald immer auf neue Müllgräber stießen, auf Ablagerungen von unbrauchbar gewordenen Küchengeräten, löcherigen Pfannen, zerbrochenen Glas- oder Tonschüsseln und Blechdosen, aber auch zerschlissenen Schuhen, Stiefeln, Nachttöpfen und Flaschen, auf zerbrochene Heugabeln, Herdringe und Schuhleisten, da erst wuchs ihr Bewußtsein in die Vergangenheit hinein, begannen sie allmählich die Gewißheit anzunehmen, daß sie hier nicht die ersten waren, daß viele Menschen vor ihnen dieses Gras, diese Blumen und den Wald gesehen und für ihren Besitz, für ihre Welt, ihr Stück Freiheit gehalten hatten, bis zu ihrem Ende, und unter diesem Himmel und zwischen den Mauern dieses Hauses geliebt und gelitten, geflucht und vielleicht auch gejubelt, gesungen und geweint hatten, geboren worden und gestorben waren.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!