"Die Feder in der Hand bin ich eine ganz andre Person" Carmen Sylva (1843 - 1916). Leben und Werk - Silvia Irina Zimmermann - E-Book

"Die Feder in der Hand bin ich eine ganz andre Person" Carmen Sylva (1843 - 1916). Leben und Werk E-Book

Silvia Irina Zimmermann

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Beschreibung

Die rheinische Prinzessin Elisabeth zu Wied wurde 1869 durch Heirat mit dem Hohenzollernprinzen und Fürsten Carol I. von Rumänien Fürstin und ab 1881 erste Königin von Rumänien. Beflügelt von dem Missionsgedanken, Landesmutter, Wohltäterin und Mittelpunkt eines geistreichen, künstlerischen Hofes zu sein, selbst künstlerisch und insbesondere schriftstellerisch tätig, erreichte sie als dichtende Königin Carmen Sylva eine Berühmtheit, die für Königsgemahlinnen höchst ungewöhnlich war. Die Schattenseiten ihres Lebens auf dem Thron waren die gefühlte Unsicherheit ihrer Position am Hof aufgrund ihrer Kinderlosigkeit, eine dreijährige Verbannung, nachdem sie sich in die Heiratspolitik des Thronfolgers eingemischt hatte, und der Macht- und Bedeutungsverlust mit dem Auftritt ihrer Nachfolgerin auf dem Thron, der englischstämmigen Kronprinzessin Maria, die bald als Mutter der Dynastie, „Königin aller Rumänen“ und Schriftstellerin verehrt wurde und so die Erinnerung an die erste Königin und Dichterin Carmen Sylva allmählich verblassen ließ. Zeitgenössische Persönlichkeiten und mehrere Biografen haben versucht, die schillernde, facettenreiche und manchmal widersprüchliche Persönlichkeit Carmen Sylvas zu fassen. Ergänzend dazu greift diese Biografie neu erschlossene Archivquellen und Dokumente auf, insbesondere den privaten Briefwechsel des Königspaares Elisabeth und Carol I. von Rumänien aus den Jahren 1869 bis 1913. Darin werden bislang unbekannte Selbstaussagen Carmen Sylvas über ihr Leben und Werk offengelegt, über dramatische Lebensereignisse wie den Tod ihrer Tochter, ihre weitere Kinderlosigkeit und Exilzeit, ihren Missionsgedanken als Landesmutter von Rumänien sowie ihre Überzeugung, als Schriftstellerin im Dienst des neuen Königreiches tätig zu sein. Zeitgenössische Erinnerungsbilder von Carmen Sylva, Ausschnitte aus dem literarischen Werk mit autobiografischen Bezügen, Abbildungen aus den Originalwerken, Zeitdokumente sowie eine reiche Auswahl von Fotografien aus dem Fürstlich Wiedischen Archiv runden diese Biografie ab.

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ibidem-Verlag, Stuttgart

 

 

 

 

 

 

 

 

Dr. Hans-Jürgen Krüger (1930-2017) in Memoriam

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das Erinnerungsbild Carmen Sylvas

Zeitgenössische Erinnerungsbilder über die Königin und Dichterin

Das Bild der Königin und Dichterin in Biografien

Bücher über das literarische Werk der Königin

Heutiger Stand der Forschung zu Carmen Sylva

Hoch- und Tiefpunkte im Leben Carmen Sylvas, die das dichterische Schaffen beeinflussten

Welche Bedeutung hat die Königin und Schriftstellerin Carmen Sylva heute?

Carmen Sylvas Leben und Werk in Selbstzeugnissen, Zeitdokumenten und Fotografien des Fürstlich Wiedischen Archivs

„Mein Rhein und mein Neuwied“: Die rheinische Heimat

„Größe der Mission“: Landesmutter von Rumänien

„Mein Kind ist mein einzig gutes Gedicht“: „Mutter und Kind“-Gedichte

„Aus Carmen Sylvas Königreich“: Literatur im Dienst der Krone

„Das ist eine arme Königin“: Im Exil

„Aber Gott lässt uns nicht fallen“: Rückkehr auf den Thron

„Ich aber sollte ein Dichter werden“: Carmen Sylvas Erbe

Zeittafel

Literatur

Vorwort

 

 

Über Carmen Sylva – Königin Elisabeth von Rumänien, geborene Prinzessin zu Wied ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Und dennoch gibt es immer noch vieles Unbekannte und Unentdeckte.

 

Sie wurde hineingeboren in ein Haus, in dem herausragende Gelehrte, Künstler, Musiker, Politiker und viele bedeutende Personen und Persönlichkeiten ein- und ausgingen. Von frühester Kindheit an traf sie auf faszinierende und mitreißende Personen. Personen, die sie beeindruckten, die Grundsteine für ihr Wissen und ihre Interessen legten und ihre Neugier weckten. Sie wurde in eine Familie geboren, die mit fast dem gesamten europäischen Hochadel und Königshäusern verwandt war. Ihr waren ein europäisches Denken und eine Affinität zur Kultur und allem Schöngeistigen sozusagen in die Wiege gelegt. Sie wurde in eine Zeit und Familie geboren, in der Erwartungshaltung, Disziplin und Erziehungsmethoden sich deutlich von den heutigen abhoben. Sie wurde von Kindheit an zu einem sehr starken Pflichtbewusstsein erzogen.

 

„Die Liebe erschafft die Welt, die Pflicht regiert sie.“

 

Die Kindheit und Jugend Carmen Sylvas sind elementar wichtig, um sie besser begreifen zu können. Sie legten den Grundstein für ihre unglaubliche Vielseitigkeit und Vielschichtigkeit. Sie erklären, warum Carmen Sylva in sich widersprüchlich und doch logisch konsequent war. Sie erklären, warum sie immer wieder im Laufe ihres Lebens neue und weitere Facetten zeigte. Ständige Brüche und Widersprüche – und doch ein kohärentes Leben waren ihr eigen.

Carmen Sylva war ein hochemotionaler, emphatischer, tiefgründiger und sehr komplexer Mensch. Sie war ein Mensch, der sich leicht begeistern ließ. Der genauso leicht andere von sich begeistern und mitreißen konnte. Sie war ein Mensch, der an das Gute im Menschen glaubte und diesen Glauben nicht aufgeben wollte. Sie war eine demütige und großzügige Frau, bis hin zur Selbstaufgabe.

Ihr literarisches Werk ist sehr umfangreich. Schreiben gehörte für Carmen Sylva zum Leben – wie atmen. Es war für sie nicht wegzudenken. Ihr lebendiger Geist suchte und fand im Schreiben seine Freiheit und Luft, die er zum Leben brauchte. Das Schreiben war ihre private Zuflucht und zugleich ein probates Mittel, welches sie gezielt für Glanz und Gloria des Landes Rumänien und des neuen Königshauses von Rumänien einsetzte. In ihren Werken verarbeitete sie oftmals ihre eigene Freude, ihr eigenes Leid.

Carmen Sylva war Ehefrau und Königin. Die Rolle der Mutter war ihr nur kurz vergönnt. Sie befand sich in einem ständigen Spagat zwischen den Erwartungen an sie als Königin und dem Wunsch, sich selbst treu bleiben zu können.

 

„Die schwerste Prüfung ist die Krone.“

 

Die Menschen um Carmen Sylva kann man in zwei Gruppen unterteilen. Es gab die glühenden Verehrer und Bewunderer, die sie auf ein Podest hoben und Erwartungen an sie stellten, die es schier unmöglich machten, diese ein Leben lang zu erfüllen. Dann gab es die Menschen, die keinen Zugang zu ihrer Person, ihrem Denken und ihrer Kunst fanden.

 

Ich danke Frau Dr. Zimmermann für diesen neuen Band über vieles in Vergessenheit geratene über und von Carmen Sylva. Ich danke ihr für ihren Einsatz und ihre Hingabe für das Leben und literarische Werk von Carmen Sylva.

 

Das Buch ist Carmen Sylva: vielseitig und vielschichtig – und voller Facetten.

 

 

Isabelle Fürstin zu Wied

 

Das Erinnerungsbild Carmen Sylvas

 

Als die erste Biografie Aus Carmen Sylva’s Leben1 im Jahr 1885 erschien, betrachtete die Autorin Natalie von Stackelberg, die Königin Elisabeth von Rumänien in Neuwied auch persönlich kennengelernt hatte, diese als eine hervorragende Erscheinung. Ihre Biografie erzählt den ungewöhnlichen Lebensweg einer Prinzessin aus deutschem Fürstenhause, die ihrer sozialen Position als erste Königin von Rumänien auch den Glanz des weltweiten Dichterruhms beigefügt hatte. Diese erste Biografie umfasste die Lebenszeit Carmen Sylvas von 1843 bis 1883 und in der 5. vermehrten Auflage bis 1885. Die Biografie schließt mit einem ausgesprochen positiven Urteil über die Dichterin und Königin:

 

„Wir haben es auch erfahren, daß die Königin Eigenschaften besitzt, die sie nicht allein in der Dichterin auslebt, sondern daß sich in ihrem Wesen eine Idee darstellt. Durch die belebende und erziehende Macht, die sie besitzt, und auch auf andere ausübt, hat sich diese Idee mit großen Zügen in ihrem fürstlichen und königlichen Wirken offenbart. Als Frau, als Fürstin und als Königin gehört sie unter die edelsten und bedeutendsten ihres Geschlechtes.“2

 

Eine spätere Biografie Carmen Sylvas, die auch die Altersjahre der Königin bis um 1900 behandelt, wurde von Mite Kremnitz3, einer ehemaligen Ko-Autorin der Königin, 1903 veröffentlicht. Diese Biografie befasste sich auch mit dem Dichterruhm der Königin, enthält aber zahlreiche kritische Zwischentöne, die die Leistungen der Königin in der Wohltätigkeit und Kulturförderung sowie als Schriftstellerin relativiert und auch herunterstuft:

 

„Wenn die rumänische Königskrone den Dichtungen Carmen Sylvas auch unzweifelhaft Glanz verliehen hat, so gab die Königin ihrerseits dem Namen Rumäniens Schwingen der Phantasie, mit denen er weiter über den Erdball geflogen ist, als er es ohne sie gekonnt hätte. Das positive Schaffen des Königs hat Rumäniens Ruhm weniger verbreitet als der Dichtername seiner ersten Königin. Viele, besonders jenseits des Meeres, wissen von jenem Donaulande nichts anderes, als dass Carmen Sylva seine Krone trägt. Wenn der König, seiner zurückhaltenden Art entsprechend, es vorgezogen hat, hinter seinen Werken zu verschwinden, so war im Gegensatz dazu der Königin innerste Natur darauf angelegt, ihre Werke durch den Zauber ihrer Persönlichkeit zu heben; ihr Dichterruhm diente nur als Folie zu ihrer Erscheinung. […] Sehr phantastische Menschen wie Carmen Sylva können schon an und für sich schwer einen klaren Blick für wahr oder unwahr erringen. Für die Uebertreibungen, mit denen sie selber sich das Täglichste zum Hochbedeutenden ausstatten, rächt sich die Natur, indem sie ihnen das wirklich Bedeutsame, die grossen Ereignisse als klein zeigt, und sie gerade dann Enttäuschungen empfinden lässt, wo nüchterne Menschen tiefe Eindrücke haben. […] Daneben hat das Unheimliche eine merkwürdige Anziehung für Leute, denen das Leben zu viel bietet und zu leicht gemacht ist, so dass es ihnen nicht genug Rätsel aufgiebt; diese Gier nach Aussergewöhnlichem treibt sie in die vierte Dimension. Hiermit sind viele Eigenheiten und Irrtümer Carmen Sylvas erklärt und begründet.“4

 

In dieser geschickten Verflechtung von Zuspruch und Bemängelung, von Verallgemeinerung und Spezifikation setzt sich die Biografie von Mite Kremnitz fort, und das Bild einer „phantastischen“ Carmen Sylva wird am Ende des Buches noch einmal verallgemeinernd formuliert:

 

„Ein Künstler erlebt eben nicht das reale Leben, sondern nur seine eigene phantastische Auffassung desselben.“5

 

Nennenswert ist auch, dass Mite Kremnitz bereits 1882 eine der ersten biografischen Beiträge über die Königin verfasst hatte: Carmen Sylva. Ein Lebensbild der Dichterin von Mite Kremnitz.6 Vergleicht man die beiden Schriften, so wird die Diskrepanz zwischen der späteren kritischeren Biografie und dem überschwänglichen Lob in der ersten biografischen Skizze von 1882 deutlich, wo das Urteil über Carmen Sylva folgendermaßen lautete:

„Carmen Sylva steht erst am Anfang ihrer Dichterlaufbahn, trotzdem sie schon so viel geleistet. Keiner darf wagen, die Zukunft vorauszusagen: Wer aber das Glück gehabt, die Dichterin zu kennen, wer in die Tiefen dieses reichen, frischen Geistes hat blicken dürfen, der weiß, daß ihr nichts versagt sein kann! Wie sie Alles in sich vereinigt, Schönheit und Hoheit, des Weibes mit der Kraft und dem Muthe des Mannes und dem weichen, empfänglichen Herzen des Kindes, scheint sie auch berufen, allem Edlen und Hohen, was die Menschen je bewegt, einen künstlerischen Ausdruck zu geben.“7

Was war in der Zeitspanne von 1882 bis 1903 geschehen, das eine derart geänderte Beurteilung der Dichterin und Königin Carmen Sylva durch eine nahe Vertraute und Ko-Autorin verursacht hatte? Mite Kremnitz hatte von 1881 bis 1889 zusammen mit Königin Elisabeth den Band Rumänische Dichtungen (1882) herausgegeben und unter dem Doppelpseudonym „Dito und Idem“ mehrere gemeinsame Bücher bis in das Jahr 1888 veröffentlicht. Um 1890 bevorzugte die Königin eine jüngere Hofdame und nahm diese auf ihren Auslandsreisen mit, was anscheinend die Eifersucht der ehemaligen Ko-Autorin entfachte. Mite Kremnitz, verfasste in der Exilzeit der Königin (1891-1894) eine Biografie des Königs Carol I. von Rumänien8, ein Vorhaben, das Königin Elisabeth davor jahrelang ihrem Gemahl nahegelegt und für sich als Verfasserin beansprucht hatte. Einige Jahre nach der Rückkehr der Königin nach Rumänien veröffentlichte Mite Kremnitz den Pamphletroman Am Hofe von Ragusa9 (1902), in dem sie Königin Elisabeth anhand der Fürstinfigur im Roman karikierte, sowie die bereits erwähnte Biografie der Königin, Carmen Sylva. Ein Lebensbild (1903). Königin Elisabeth fühlte sich vor allem von Kremnitz‘ Roman Am Hofe von Ragusa angegriffen und in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht, und sie äußerte sich darüber in einem Brief aus Sinaia an Karl Xaver von Scharfenberg vom 24. April 1903: „Ich weiß nicht, ob Sie auf jenen Horror von Frau Kremnitz ein Auge geworfen haben – die Ähnlichkeit ist ausreichend, um den Rest glaubhaft zu machen. Es ist schlimmer als alles, was man gegen mich je getan hat, weil man es umso mehr glauben wird.“10

Nichtdestotrotz gilt Mite Kremnitz durch ihre biografischen Veröffentlichungen weiterhin als eine bedeutende Kennerin des ersten Königspaares von Rumänien. Über ihre Eifersucht und ihren Konkurrenzgedanken hinaus, müssten auch andere Gründe mitgewirkt haben, die das bis heute weitverbreitete Bild der „phantastischen“ Königin und Dichterin Carmen Sylva allgemein prägten. So stellt sich die Frage, wie sich andere zeitgenössische Personen über Königin Elisabeth von Rumänien geäußert haben und welche Erinnerungsbilder über sie, zum Beispiel in veröffentlichten Memoiren und Briefen, an die Öffentlichkeit drangen. Gleichzeitig ist bei jedem Erinnerungsbild zu beachten, dass die subjektive Betrachtung von persönlichen Sympathien oder Abneigungen geprägt war, und dass sie eventuell in manchen besonderen Situationen geschildert wurden, in denen bestimmte Erwartungen an das Rollenverhalten der Königin (und der Haltung der rumänischen Königsfamilie allgemein) verknüpft wurden.

 

Zeitgenössische Erinnerungsbilder über die Königin und Dichterin

 

Höfische Personen über Elisabeth zu Wied, Fürstin und Königin von Rumänien:

 

Kronprinzessin Viktoria (1840-1901), die spätere Kaiserin Friedrich11, beschreibt die junge Prinzessin Elisabeth zu Wied im Jahr 1861 in einem Brief an ihre Mutter, Königin Victoria von Großbritannien (1819-1901), als diese nach einer passenden Heiratskandidatin für ihren ältesten Sohn, den Thronfolger Prince of Wales12, suchte:

 

„Berlin, 22. Februar 1861. Ich wünschte, ich könnte mehr zugunsten von Elisabeth sagen, nach einer sehr sorgfältigen Betrachtung. Sie ist so merkwürdig – die Königin13 meint, es sei aufgrund des Gesundheitszustandes der Mutter und des Fürsten zu Wied sowie des armen kleinen Otto, so dass sie gewohnt ist Details zu hören, die nicht gerade für die Ohren junger Mädchen geeignet sind. Wie auch immer, sie hält mich wie auf Kohlen und sagt manchmal solche Dinge, dass ich nicht weiß, wohin ich schauen soll – es wird mir so heiß – und sie spricht so viel und so laut und lacht so laut, Manieren, die wirklich sehr sonderbar sind, wenn man bedenkt, sie ist 17… Sie scheint sehr gelehrt zu sein, gar nicht dumm, aber ich fürchte, dass Takt, esprit de conduite und royales Gebären noch nicht entwickelt sind. Nichts in der Welt scheint sie zu hemmen, denn sie spricht genauso viel, wenn Fremde da sind, oder wenn keine sind. Ich denke, sie ist sehr gesund und robust und gewöhnt an einem einfachen Lebensstil – ihre Figur ist entschieden schlecht in einem kurzen Kleid, so breite, quadratische Schultern, sie sieht nicht raffiniert aus, aber Kleidung kann viel dazu beitragen. Es scheint mir so grausam, ein armes Mädchen hinter ihrem Rücken so auseinanderzunehmen, aber es wäre noch grausamer, aus einem falschen Gefühl von Wohlwollen alle Fehler zu übersehen. Sie spricht exzellent Englisch, nicht sehr feines Deutsch, die Ausdrücke sind eher zu stark für eine Lady, ab und zu, ich sage Dir alles, was ich weiß und sehe… Ich denke an Deine englischen Ladies, ihre Manieren und ihr Erscheinen, und wie Bertie sie bewundert, und was nützte Klugheit ohne etwas Attraktives, das ihn fesseln würde, jedwelcher Einfluss einer klugen Ehefrau würde verpuffen, wenn sie ihm nichts bedeuten würde, und soweit ich sehe, ist Elisabeth mehr gelehrt als klug. Andererseits ist etwas Perfektes in dieser Welt nicht zu finden – und alle haben Fehler – es sollte aber eine gefunden werden, deren Fehler leicht zu korrigieren und die keine ernsten Hindernisse für ihren Erfolg sind.“14

 

Drei Jahrzehnte später, im Jahr 1890 besuchte Königin Elisabeth von Rumänien die 71jährige Königin Victoria von Großbritannien. Ihren Besuch in England empfand Königin Elisabeth, die in London und in Wales von der britischen Bevölkerung mit Enthusiasmus empfangen wurde, als den Höhepunkt ihrer Karriere als Königin und Dichterin Carmen Sylva. Entsprechend positiv fällt auch das Urteil der Königin Victoria über die rumänische Königin in ihren Tagebuchaufzeichnungen vom 2. Oktober 1890 aus:

 

„2. Oktober 1890.– Ich war entzückt, die Königin [von Rumänien] wiederzusehen, was ich seit [18]63 nicht getan hatte. Sie hat dasselbe charmante Lächeln und dieselben leuchtenden Augen wie immer, aber ihre Haare sind sehr grau und sie trägt sie kurz geschnitten… Nachdem wir uns ein wenig unterhalten hatten, führten wir die Königin zu ihren Zimmern. Wir nahmen das Mittagessen um halb zwei Uhr, und Bertie15, Alix16, Eddy17 und Victoria18 waren dabei. Bertie war vor zwei Jahren bei dem König und der Königin in Sinaia gewesen. Sie kam später zu mir ins Zimmer und blieb einige Zeit und sprach mit mir. Sie ist voller Klugheit und Charme. Sie schreibt eine Menge, Gedichte, Prosa, Theaterstücke und alles unter dem Namen Carmen Sylva. Ihre Werke sind außerordentlich durchdacht. Sie erzählte sehr viel von ihrem Aufenthalt in Wales, von dem sie sehr begeistert ist, und von dem sie meint, er hätte ihrer Gesundheit so gut getan. Sie ist sehr sympathisch und liebenswürdig und ist an allem eifrig interessiert.“19

 

Kaiserin Elisabeth von Österreich (1837-1898), die sich nur schwer am Kaiserhof anpassen konnte und selbst auch heimlich Gedichte verfasste, bewunderte die Dichterin Carmen Sylva, was dazu führte, dass sie Dichterfreundinnen wurden. Die Biografin der Kaiserin Elisabeth, Brigitte Hamann, wies ausführlich auf die Seelenverwandtschaft der beiden Frauen hin, die durch die Dichtung zwar zueinander fanden, aber in ihrer Rolle auf dem Thron völlig verschieden waren.20 Als Kaiserin Elisabeth einer Einladung des Königspaares nach Rumänien im Mai 1887 folgte, schilderte sie in einem längeren Gedicht (Titanias Besuch bei Carmen Sylva und Rückkehr in ihr Feenschloss, genannt Villa Hermes) ihren Besuch im Schloss Pelesch in Sinaia – ein interessantes lyrisches Zeugnis über das rumänische Königspaar aus der Feder der Kaiserin Elisabeth:

 

„Auf dem Felsen, dem bemoosten,

Sass Titania sinnend, dichtend;

Als, den Flug auf sie hinrichtend,

Eine Taube naht von Osten.

Um den Hals am rosa Bande

War ein Brieflein festgebunden;

Wie's Titania losgewunden,

Botschaft war‘s vom Nachbarlande.

Schrieb die Königin von drüben:

Schwester komm mich zu besuchen,

Meine Tannen, meine Buchen,

So wie ich, du wirst sie lieben.

Unter riesenhohen Felsen

Steht mein Schloss, das märchengleiche,

Dessen Ruhm in ferne Reiche

Brausende Gewässer wälzen.

* * *

Statt mit Adlern und mit Hirten

In der Einsamkeit zu leben,

Komm, ich will dir Feste geben

Und dich königlich bewirten.

Auch mit Dichtkunst dich erfreuen;

Meine weltberühmten Lieder

Hörst aus meinem Mund du wieder;

Komm, es soll dich nicht gereuen! […]

* * *

 

 

'Dich', so sprach sie, 'zu willkommen,

Zogen wir hier Laubgewinde,

Schmückten unser Hofgesinde;

Freudig ist mein Herz entglommen.

Und zu dieses Tages Feier

Stieg vom Kloster dort herunter

Selbst der Pope auch ganz munter

In dem langen, schwarzen Schleier.'

Höchst galant der kleine König

Küsst Titanias beide Hände;

Hofft, dass sie sich wohlbefände,

Was er biete, sei zu wenig.

Zwischen buntbeflaggten Masten

Zieh‘n zum königlichen Herde

Islands blonde kleine Pferde,

Reich behängt mit goldnen Quasten,

Nun die beiden Königinnen,

Die vertraulich in dem Wagen

Sich einander herzlich sagen,

Wie sie sich schon liebgewinnen. […]

* * *

Ja, der Königin Parnassos

Ist es, wo sie jetzo stehen;

Alles, was sie ringsum sehen,

Ist von ihr, und ganz von ihr blos.

Gerne wollt‘ der König weiter,

Hätt‘ noch viel zu producieren;

'Lass uns ruhig noch hier girren!'

Spricht die Königin ganz heiter.

'Besser noch, wir geh‘n zu zweien

Nach dem nahen Jagdkastelle,

Lesen an der Bergesquelle

Unter Bäumen dort im Freien.'

'Komm, den Kunstgenuss zu teilen',

Spricht Titania zu dem König;

'Ach! ich schätze ihn zu wenig,

Muss nun zum regieren eilen.'

Doch die Königin ist selig,

Lesen in dem Waldesfrieden,

Wird sie nimmermehr ermüden,

Dazu rauscht‘s so kühl und wellig.

Und sie liest mit hehren Gesten

Märchen ihres Königreiches;

Hörte je Titania gleiches,

Weht‘s nicht wie aus grünen Ästen?

'Leidens Erdengang'21 folgt diesen;

O wie schön ist es gewoben!

Staunen muss Titania, loben,

Thränen auch sogar vergiessen.

Doch der Glanzpunkt ist Dämonia22,

Mächtig rollen hier die Bilder,

Jede Strophe bäumt sich wilder,

Und der Schluss ist Non plus ultra.

* * *

Vom Affekte hingerissen,

Ist antik fast ihr Gebaren;

Aus den weissen Mähnenhaaren

Hat den Kamm sie jetzt gerissen.

Diese flattern wild im Winde

Um die königliche Stirne;

'Heil dem produktiven Hirne,

Wo ich solche Schätze finde!

Schützling Du und Kind der Musen

Hast Juwelen uns geschliffen!'

Ruft Titania, und ergriffen

Sinkt sie an der Freundin Busen. […]

* * *

'Nicht den Hof wollt‘ ich besuchen,

Auch zur Königin nicht gehen;

Nur die Dichterin zu sehen

Kam ich, Carmen Sylva suchen.'

So Titania; und es sanken

In die Arme sich die Beiden

Und gestanden sich beim Scheiden,

Wie verwandt sie in Gedanken.“23

 

Nach ihrem Besuch in Sinaia schrieb die Kaiserin in einem Brief an ihre Tochter Erzherzogin Valerie (vom 2. Mai 1887 aus Megadia) folgendes über das rumänische Königspaar:

 

„Carmen Sylva ist sehr lieb, unterhaltend, interessant, aber sie steht mit den Füßen auf der Erde; sie könnte mich nie verstehen, ich aber sie ja, ich liebe sie. Sie erzählt und fabelt so gern, ihr ist es ein Genuß, und der König ist derart prosaisch, daß geistig ein Abgrund zwischen ihnen liegt. Natürlich sagt sie dies nicht so rundweg, doch zog ich ihr das aus den Nasenlöchern.“24

 

Personen aus dem familiären Umfeld über Elisabeth zu Wied

 

Marie von Bunsen (1860-1941), die deutsche Malerin und Reiseschriftstellerin, war die Tochter des liberalen Politikers Georg von Bunsen (1824-1896) und Freund der fürstlich wiedischen Familie. In ihrem Erinnerungsband Mein Penatenwinkel erwähnte Königin Elisabeth von Rumänien die familiären Beziehungen zur Familie Bunsen und die gegenseitigen Besuche in Neuwied und London, zum Beispiel im Jahr 1851 (in der Kindheit Elisabeths zu Wied) und den Besuch bei der Familie Christians von Bunsen (1791-1860), dem preußischen Gesandten in London und Großvater der Malerin Marie von Bunsen.25 Auch in dem Briefwechsel der Königin mit ihrem Gemahl König Carol I. sind zahlreiche Verweise auf die Familie Bunsen. Während der Exilzeit Elisabeths in Segenhaus von 1892 bis 1894 war Marie von Bunsen Gast der Fürstin-Mutter Marie zu Wied, die sie mit dem Wunsch eingeladen hatte, ihrer Tochter Königin Elisabeth Malunterricht zu erteilen. Von Marie von Bunsen gibt es zwei Erinnerungsporträts Elisabeths, die in den Memoiren der Malerin veröffentlicht wurden. Das erste Porträt zeigt die Faszination des Andersartigen und Exotischen, die die Fürstin Elisabeth von Rumänien auf die damals 19jährige Marie von Bunsen im Jahr 1878 ausgelöst hatte:

 

„Segenhaus, 12. August 1879. Die Fürstin von Rumänien – Carmen Sylva genannt – ist angekommen, und wenn man von ihr sprechen will, kommt man ins Schwärmen. Es kann schönere, geistvollere, frömmere Frauen geben, aber eine, bei der diese Eigenschaften mitunbeschreiblichster Liebenswürdigkeit gepaart alle vorhanden sind, ohne je bizarr oder unweiblich zu wirken, eine, die vom Scheitel bis zur Sohle so ganz aus Poesie zu bestehen scheint, gibt es nicht. Sie ist sehr groß, aber trotzdem leicht und graziös in ihren Bewegungen. Ihre Augen sind leuchtend, ihre Züge fein, ihr meist offener Mund mit lachenden Perlenzähnen unbeschreiblich liebreizend.

Sie ist schon fünfunddreißig Jahre alt, aber in Bewegungen und Worten und von einer kleinen Entfernung aus gesehen, könnte man sie für sechzehn Jahre halten. Immer lebhaft, oft lustig und ausgelassen und unbeschreiblich freundlich gegen jedermann. Sie hat eine bezaubernde Stimme beim Sprechen und Vorlesen und singt sehr schön, so mit dem ganzen Herzen. Dazu begleitet sie ihr rumänischer Arzt; oft liest sie ihre Werke vor, sie ist eine außerordentlich poetische Natur und ihre Gedichte und Märchen und Romane sind fast ohne Ausnahme außerordentlich schön. So feine, tiefe Gedanken, so schöne Bilder, und manchmal viel Witz und Humor. Unvergeßlich das Märchen meines Lebens in der schönsten, einfachsten Sprache, mit dieser zaubervollen Stimme, ohne einmal zu zittern, vorgelesen – es war unbeschreiblich ergreifend. Jeder im Zimmer weinte und suchte vergebens sich zu fassen; nur sie war ruhig und heiter. So verlaufen denn unsere Tage in einer Atmosphäre von Musik und Dichtung.

Die Fürstin von Rumänien versteht die Poesie der Kleider. Sie besitzt ein Kostüm des sechzehnten Jahrhunderts mit einem prachtvollen großen Rembrandthut, rotbraun wie das Kleid, Schnur und Tasche ganz stilgemäß. Wie sie neulich so unter den prachtvollen Buchen von Monrepos dastand, war es ein Bild zum Bezaubern. Oder gestern, als sie Sappho vorlas, in einem schwarzsamtnen Rock, darüber, ganz antik drapiert, ein weißwollenes, gesticktes, rumänisches Kostüm mit weiten Ärmeln, antiken Kameenschmuck und einem breiten, goldenen Reif im Haar. Wenn sie modern angezogen ist, weiß sie es doch ganz individuell zu gestalten, so am Sonntag, als ein großes Diner zu Ehren von Prinz Wilhelm (später Kaiser Wilhelm II.) in Monrepos war. Sie hatte eine weiße Atlastoilette an und eine weiße Mantille, die ihr vom Kopf herunterfloß. Das Bild von ihr, so in Weiß mit kostbarsten Perlen, so anmutig und schön, und die Fürstin Mutter in schwarzem Samt mit Diamanten, in der Schönheit ihrer hohen elastischen Gestalt und ihres reichen weißen Haares war ganz selten. Prinz Wilhelm war sehr freundlich zu mir, als einer alten Bekannten, machte gute Konversation und soll in Bonn sehr beliebt sein.“26

 

Ein späteres Porträt der verbannten Königin in Segenhaus bei Neuwied (1892-1894) verdeutlicht das Unverständnis der 32jährigen Marie von Bunsen im September 1892 und im August 1893 über das, aus ihrer Sicht, „trotzige“ Beharren der Königin Elisabeth, nicht gehen zu können. In dem späteren Porträt meint Marie von Busen, Königin Elisabeth litte an Hysterie, ein seit den 1870er Jahren häufig gebrauchtes und stigmatisierendes Krankheitsbild für Frauen, die aus ihrem Rollenzwang ausbrachen.27 Die Exilzeit scheint für die Zeitgenossen ein Moment im Leben Carmen Sylvas zu sein, bei dem viele Unverständnis zeigten und sich von ihr abwandten, vielleicht aus dem Grund, weil die Königin nun nicht mehr der bisherigen Rolle einer dichtenden und für ihr Land werbenden Königin entsprach, die sie vorher bewundert hatten, sondern sie präsentierte auf einmal das Bild einer eigenwilligen und unabhängig denkenden Frau, die aber die zeitbedingten Grenzen ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit außerhalb des bisher geprägten Bildes als „dichtende Königin“ nicht erkennen konnte. Andererseits sind Marie von Bunsens Betrachtungen auch aus einer französischfeindlichen Stimmung heraus verfasst, die für die Epoche kennzeichnend war, so dass die Kritik an die Freude und den Stolz der Königin über den Preis der Académie française für ihren französischen Aphorismenband Les pensées d’une reine entsprechend einzuordnen ist:

 

„Das Carmen-Sylvatum hatte leider bei der Königin von Rumänien überhandgenommen. Dichterin und Künstlerin zu sein, war ihr Lebenssteigerung und Lebenszweck, alles übrige erschien ihr nur eine gewissenhaft zu erfüllende, notgedrungene Pflicht. Sie fühlte sich als königliche Sappho, als gottbegnadete Künstlerin, als ein Ausnahmewesen; und mit der Eitelkeit naiver Menschen ließ sie sich gern in der Öffentlichkeit bewundern. Pittoreske Photographien zeigten sie dichtend, malend, spinnend, großäugig die Gebirgswelt, sinnig die Meereswellen betrachtend. Sie wurden in bedenklicher Fülle der Welt geschenkt, und das hat man nicht zu Unrecht wenig vornehm gefunden. Sie setzte sich Schmeicheleien aus und durchschaute diese nicht, sie, die kerndeutsche Romantikerin, wurde damals durch feine Huldigungen der Pariser Akademie, durch den Erfolg ihrer auf französisch geschriebenen Pensees d‘une Reine geradezu antideutsch, profranzösisch.

Sie hörte von einer Helene Vacarescu, welche Sagen und Volkslieder der rumänischen Bauern und Zigeuner sammelte und trotz einiger sehr gewagten Stellen herausgegeben hatte. Diese ernannte die Königin zu ihrer Hofdame. Durch Helene war der ganze Vacarescu-Klüngel in nächste Beziehungen zur Königin gekommen und spiritistische Sitzungen gingen vor sich. In Segenhaus und Monrepos verabscheute man die Vacarescu und ertrug ihre Gegenwart nur unwillig. Als sie mit ihrer dicken, kurzen Figur im Jagdkostüm erschien, murmelte der Fürst: 'Häßliche kleine Kröte', und als sie ihm einmal sagte, sie könne jeden Mann zu ihren Füßen bringen, antwortete er: 'Wiederholen Sie das noch einmal, und...', er wies nach der Tür.

Sie war aber keineswegs eine 'häßliche kleine Kröte'. Im Frühling 1893 traf ich sie in Rom in einem großen Abendempfang der Storeys im Palazzo Barberini und beobachtete sie während der Vorlesung des Hamilton Aidé sehr genau. Allerdings ein untersetzter, schwerer Balkantypus, doch hatte sie schöne Augen, schöne Farben und ein überaus lebhaftes Mienenspiel. Anscheinend erzählte sie nachher den Umhersitzenden sehr Unterhaltendes, man hing an ihren Lippen. Sie hat nie geheiratet und sagte: 'Wenn man die Braut eines Prinzen von Geblüt gewesen, sage einem ein beliebiger nicht zu.' Vielleicht ist hierin der letzte Grund ihrer Ehelosigkeit nicht zu suchen, doch hat sie sich inder Pariser Gesellschaft eine vorzügliche Stellung gemacht und gilt dort für ungewöhnlich begabt.

Tatsächlich hat sich der Thronfolger Ferdinand bald nach ihrem Aufenthalt in Segenhaus in sie verliebt, und die Aussicht auf eine solche Schwiegertochter beglückte Carmen Sylva. Von allen mir bekannten Fürstlichkeiten war sie die einzige, die nicht an die Alleinberechtigung des 'Blutes' glaubte. Viel später, 1912, hat sie mit mir über diese Episode gesprochen. Wir waren auf die Stellung, die der Thronfolger Ferdinand sich als reifer Mann erworben hatte, gekommen. 'Nie', sagte sie, 'hätte ich ihm diese Entwicklung zugetraut, als junger Prinz schien er hoffnungslos unbedeutend und schwach, und deshalb hatte ich ja diese Heirat mit einer so klugen und tatkräftigen Frau betrieben. Auch wußte ich nur zu genau, wie schwer Ausländern trotz ihres besten Willens das Einleben in ein fremdes Land gemacht wird; eine rumänische Königin wäre weit besser verstanden worden.' Hierbei vergaß sie die guten Gründe, die zu der Wahl eines fremden Prinzen geführt hatten: die Erhebung einer einheimischen Familie wäre sicherer Anlaß nicht aufhörender Ränke gewesen, nie hätte eine solche Dynastie sich verwurzelt.

Sonderbarerweise wurde König Carol durch den leidenschaftlichen Wunsch seiner Gattin umgestimmt, ein paar Tage ist Helene tatsächlich die Braut des Thronfolgers gewesen. Dann brach im ganzen Lande der Sturm aus; einer der hochstehenden rumänischen Staatsmänner, der alte Ghika28, beschwor mit Tränen den König: 'Wenn es eine Rumänin sein sollte, dann lieber eine Bauerntochter als eine Vacarescu.' Denn obwohl die Vacarescus zu den adligen Familien gehörten, waren sie heruntergekommen und nichts weniger denn angesehen. Der König erkannte den Irrtum, die Verlobung wurde aufgehoben, Helene und ihre Angehörigen aus dem Lande verwiesen. Später klagte die Königin meiner Tante Mim: 'Eine ganze Familie habe ich ins Unglück gestoßen! '

Carmen Sylva wurde immer exaltierter. Sie war ausgesprochen hysterisch geworden. Eine Entfernung der Königin schien geboten, sie glaubte an einer Lähmung zu leiden, befand sich in Italien, der König bestimmte ihre Übersiedlung nach Segenhaus; ohne irgend Jemand ihrer Begleitung sollte sie dort unter der Obhut der von ihm aufs höchste verehrten Fürstinmutter kein weiteres Unheil anstiften können und sollte dort gesunden. Eine umhüllte Gefangenschaft, und die undankbare Rolle der dem Schwiegersohn verantwortlichen Aufseherin, 'Kerkermeisterin', hatte die eigene Mutter übernehmen müssen! […]

Obwohl Carmen Sylva freundlich lächelte und hell auflachte, aufs tiefste wurmte sie die ihr widerfahrene Kränkung. Man hatte sie in die Verbannung geschickt, in weiten Kreisen galt sie für geistig gestört, am Bukarester Hof hatten ihre Feinde, so die von ihr mit Wohltaten überhäufte Mite Kremnitz, das Oberwasser und genossen das Vertrauen des Königs. Jede literarische Veröffentlichung wurde ihr untersagt, und man überwachte ihre Korrespondenz.

Da die Feder ihr entwendet, malte sie mit Feuereifer. Die Eingangshalle von Segenhaus fand ich mit Goldgrund-Blumenbildern behangen; Malven, Lilien u. dgl. in Überlebensgröße. 'Der Raum ist ganz verdorben', sagte mir die Fürstinmutter, 'aber das tut ja nichts, es hat ihr Freude gemacht und sie beschäftigt.' Täglich entstanden feinbemalte Elfenbeinplättchen, die als Büchelchen, in Gold und Edelstein gefaßt, der nunmehrigen Braut des Thronfolgers, der schönen, blutjungen Marie von Edinburg-Koburg, geschenkt werden sollten.

Die allegorischen Gestalten, die Engel mitsentimental großen Augen und flauen Gliedern waren noch schwächer als selbst die Blumenbilder, doch zeigte sie zweifellos dekorativen Geschmack in den Ornamenten, wie sie auch in der unermüdlich betriebenen Occhi-Handarbeit sich sehr hübsche Muster erdachte. […]

Jetzt weiß ich mehr über Hysterie; zu ihren Merkmalen gehört die Verunglimpfung der Angehörigen, das schonungslose Ausplaudern aller Familienintimitäten. Stets sind die Kranken Märtyrer, sie werden schwermütig, pessimistisch, und – das Schlimmste – an Unwahrheit grenzt die Ungenauigkeit ihrer Angaben, es ist ihnen nicht zu trauen. Dies sind typische Krankheitserscheinungen, hinzu kamen die Erschwerungen des Einzelfalles. Nicht ohne Grund empfand sich Carmen Sylva als Ausnahmemensch. Das Dichten kam ihr angeflogen, ihre Sprachkenntnisse waren glänzend, sie beherrschte in hervorragendem Maß das gesprochene Wort. Sie sang drei Oktaven, war durch und durch musikalisch, spielte mit Feuer und Schwung Klavier. Wie eine Elfe hat sie getanzt, hat vorzüglich geritten, sie hat, ohne ohnmächtig zu werden, den schwersten Operationen beigewohnt. Dabei schön und herzgewinnend, dabei pflichttreu und von den edelsten Grundsätzen angetrieben. Wie sollte sie nicht das Ungewöhnliche ihrer Persönlichkeit empfinden?“29

 

Franz Freiherr von Roggenbach (1825-1907), der morganatische Ehemann der Fürstin-Witwe Marie zu Wied, Elisabeths Mutter, kommt in den Briefen der Königin Elisabeth an König Carol I. von Rumänien sehr oft vor und insbesondere in der Exilzeit in Segenhaus (1892-1894). Auch Roggenbachs Briefe an Albrecht von Stosch30 enthalten in der Zeit der Verbannung Elisabeths in Segenhaus einige interessante Passagen, die die Stimmung im Fürstenhaus Wied aus der Sicht des engsten Vertrauten ihrer Mutter zeigen:

 

„Segenhaus, 7. August 1891. […] ich komme erst jetzt dazu, notdürftige Notizen über den Zusammenhang der Bukarester Tragödie zu senden und Ihre Sorge um die Fürstin mit genauer Darlegung zu beantworten.

Ich beginne damit, zu sagen, daß wir über den notwendig verhängnisvollen Verlauf derselben seit dem letztjährigen Aufenthalt der Königin nicht im Zweifel waren und daher von keinem schlimmen und schlimmsten Erfolg überrascht wurden. Die für Herz und Empfindung einer Mutter schmerzlichsten Erfahrungen liegen schon in der Vergangenheit. Seither mußte das unaufhaltsame Fortschreiten des finsteren Verhängnisses ohne Möglichkeit rettenden Eingreifens beobachtet werden und noch heute ist die Krisis nicht erreicht und ein mögliches schreckliches Ende kann jederzeit bevorstehen.

Die Zeitungen, insbesondere der Artikel der Kölnischen Zeitung, der ungefähr die Anschauungen der diplomatischen Berichterstattung von H. v. Bülow31 reflektiert, sind im ganzen ziemlich gut informiert, nur überschätzt letztere den politischen Teil der Intrige, übertreibt den Anteil der Romantik an der Heiratsintrige, und ignoriert gänzlich den mystischen und schwarzen Hintergrund, auf dem dieselbe aufgebaut war und der die schlimmste Seite der Sache bildet. Es würden Bogen dazu gehören, in die Details dieses Unfuges einzugehen, und nur mündlich läßt sich dasselbe ergänzen.

Die Tatsache ist: seit mehreren Jahren, in denen Frl. Vacaresco als Hofdame in den Dienst der Königin trat, die sie wegen kleiner dichterischer Leistungen und eines in Rumänien ungewöhnlichen literarischen Bildungsschliffes ausgesucht hatte, wußte sich dieselbe der Königin in einer Weise zu bemächtigen, daß die Königin nur noch sah, fühlte und tat, was Frl. V. sah, tat und fühlte. Sofort nach der Ankunft letzten Sommer trat zutage, daß dieser exorbitante und unnatürliche Einfluß darauf gerichtet war, die Königin von aller Beziehung zu ihrer Familie, Mutter und Bruder, ihren deutschen Verbindungen und ihrem Vaterlande, aber auch von den Hohenzollernverwandten zu lösen, und daß die Königin blind und willenlos auf alle Lügen hineinfiel, die ihr H. Vacaresco Tag für Tag in neuer Form zutrug und mit Zuhilfenahme von Wahrsagerei, Traumdeuten und spiritistischem Spuk zu stützen suchte. Da es ganz erfolglos blieb, der Königin trotz ihrem sonstigen Verstande die Augen über dieses Treiben zu öffnen, sondern sie mehr und mehr der Beherrschung durch Helene V., deren auch anwesende Mutter und die zweite Tochter sowie des Kabinettsekretärs Scheffer und Frau versank, so schrieb die Fürstin ausführlich an den König, machte ihn auf die ganze Sache aufmerksam, forderte ihn auf, dem Einflusse der Helene V. ein Ende zu machen und das spiritistische Unwesen, Tischrücken und Geisterzitieren, das eine Prinz. Alex. Bibesco32, Freundin der Königin wegen ihres ausgezeichneten Klavierspiels, von Paris in den Kreis der Intimen der Königin importiert hatte, nicht zu dulden. Die Fürstin schrieb damals schon dem Könige: es ist unmöglich, daß mit dem ganzen unnatürlichen Treiben und systematischen Lügensysteme, mit der totalen Isolierung der Königin nicht von dieser kleinen Koterie ein bestimmter Zweck verfolgt werde. Wir sagten damals alle einstimmig: Helene Vacaresco will den Kronprinzen Ferdinand einfangen und daher werden alle durch Anschwärzung beseitigt, die einen hindernden Einfluß ausüben konnten. – Der König blieb blind in einer ganz unerklärlichen Weise und scheute sich – wahrscheinlich aus Rücksicht auf die Wirkung, welche eine Entfernung von H. V. auf den Gesundheitszustand der Königin haben könnte – etwas zu tun. Diesen übeln Einfluß auf die Gesundheit hat der vermutlich auch von den Vacarescos gewonnene Arzt – ohne Zweifel in deren Interesse – übertrieben dargestellt. So ging das Übel und die Intrige den ganzen Winter weiter. Am unbegreiflichsten war des Königs laisser aller. Von hier sah man langsam die Lawine ins Rollen kommen, die einen großen Teil der 25jährigen Arbeit des Königs, die Dynastie, die Stellung der Königin, vielleicht deren Geistesklarheit und Leben erschüttern mußte. Zu machen war gar nichts, da die Vac. die Königin zum Abbrechen jeder Verbindung mit Segenhaus und Monrepos Neuwied gebracht hatten.

Nun sagt der König, er sei in der Heiratsache vollkommen überrascht worden, und beharrt dabei, sie für eine erst im Mai entstandene jugendliche Neigung des leichtsinnigen Prinzen zu erklären, während die Geister, die Helene Vac. in ihren spiritistischen Sitzungen sprechen ließ, seit November der Königin nur von der Leidenschaft des Prinzen Ferdinand, von seinen Selbstmordversuchen pp. erzählen mußten. Unglaublich, aber wahr. Nachdem die Bombe in Bukarest geplatzt war, hat der König in umsichtiger und von Rücksicht auf die Königin geleiteter Weise seine Stellung genommen, leider aber wieder nicht der Forderung der Fürstin nachgegeben, Helene Vacaresco zu entfernen, was auch daraus komme. Sie erbot sich sogar, vor Gericht und einer Untersuchungskommission zu beweisen, in welch unheilvoller Weise H. V. und Helfershelfer die Königin belogen, hintergangen und mit Täuschungen umstrickt. Der König fürchtete, es könne der Gesundheit der Königin schaden. Die Fürstin beschwor ihn, die Königin nicht von sich zu lassen, bis die Trennung von H. V. und die Zersprengung des Ringes stattgefunden. Statt dessen machte er ein Kompromiß, ließ die Königin in ausschließlicher Begleitung der Bande, Vacaresco, Scheffer und Arzt nach Venedig reisen und meint, dort solle die Abreise von H. V. erfolgen. Sie können sich denken, welche Arbeit und Not der Kampf mit solcher Blindheit der Fürstin macht – dabei immer noch die Sorge: was wird mit der Königin beim Sturz von der Höhe solch turmhoher Verirrung, wo man immer sich fragt: was ist das kleinere Übel, ein Sprung in die Lagune nach Sapphos Vorbild oder ewige Geistesumnachtung oder der jetzige Zustand vollständiger moralischer Verwirrung, von der eine Umkehr gar nicht abzusehen ist? Das ist in kurzen Umrissen die Situation... Die Heiratsepisode ist natürlich vorbei, da sie dem armseligen Prinzen nur eingeredet war. Fast möchte man es bedauern, wenn sie eine Chance geboten hätte, ihn zur Thronfolge unfähig zu machen. Es wäre dann Carlo Hohenzollern33 an die Reihe gekommen. Das ist doch wenigstens ein Strick und kein Waschlappen.“34

 

Fürstin Pauline zu Wied (1877-1965), die Tochter des Königs Wilhelm II. von Württemberg (1848-1921) und seit 1897 Ehefrau von Erbprinz (ab 1907 Fürst) Friedrich zu Wied, erzählt in zwei Kapiteln ihres Memorienbandes Vom Leben gelernt ebenfalls, aber mit Sympathie und Verständnis über Carmen Sylva:

 

„T‘Lisabeth. Das war unsere Tante, anderen die Dichterkönigin Carmen Silva, die geliebte Königin der Rumänen. Viel ist über sie geschrieben worden, kritisch, wohlwollend und auch tadelnd, voll Wahrheit und Dichtung – jetzt ist es still geworden um sie und da ist wohl der Augenblick gekommen, auch aus dem Kreise ihrer heimatlichen Verwandten vom Rhein ein Wort ihrem Andenken zu widmen. –

Unsere geliebte Tante war ein seltener Mensch, ihre Herzensgüte, ihre unbegrenzte Liebe zur Heimat und zu allem, was da lebt und atmet, war ihr Hauptcharakterzug. Ein sprühender, stets Funken sendender Geist gab den Ton an, die Richtung, um sich dann in die uferlosen Gefilde des Herzens zu verlieren. Künstlerisch in jeder Richtung begabt, hat sie es, außer durch ihre Gedichte, nie zu einer Leistung gebracht. Der Genius kannte nicht Maß noch Ziel – er stürmte ohn‘ Unterlaß, bis es hin und wieder zu Rück- und Nackenschlägen kam, mit darauffolgender Depression oder sogar Verbitterung. Das weite Herz verstand nie, daß es im Helfen eine Grenze gibt, oder nur einen Weg, der zur Hilfe führt. Obgleich T‘Lisabeth, wie unser ältester Sohn sie getauft hatte, da er Tante Elisabeth zu mühsam fand, unendlich viel Sinn hatte für Humor, für gute, auch saftige Witze, ging ihr dagegen der Sinn für einfache Komik, die sich aus Situationen ergab, vollständig ab. Auch Menschenkenntnis war ihr fremd, so lud sie, in dem Wunsche, vielen eine Freude zu bereiten, allerlei heterogene Elemente ein und war dann bitter enttäuscht, wenn es Zank und Streit gab. König Carol hatte kein Verständnis für die Impulsivität der Königin, besonders nicht für die ungesiebte Auswahl ihrer Umgebung und ihrer Schützlinge, unter denen sich nicht immer bescheidene Elemente fanden, sondern auch energisch Bittende oder gar Fordernde. Darum hatte König Carol in Rumänien eine Obersthofmeisterin35 ernannt, die unsere liebe Tante vor zu großen Extravaganzen bewahren sollte. Sie trug das Amt mit Würde in vornehmster Haltung, denn sie wußte, was sie dem König schuldig war und in welcher Form sie ihr Veto anbringen konnte. Natürlich war dies ein dornenvolles Amt und führte leicht zu Mißverständnissen und kleinen Zwistigkeiten. Wenn es im Sommer nach Segenhausen an den Rhein ging, wurde anfangs unsere Großmutter mit dieser Art von Aufsicht betraut, hin und wieder auch ihr Bruder, mein Schwiegervater. Kleine Differenzen hin und wieder konnten nicht ausbleiben, wenn der Herr Bruder, wie ihn Tante Elisabeth nannte, einschreiten mußte. Schließlich kamen phantastische Pläne auf für besondere Wohlfahrtszwecke, Segenhaus sollte ein Asyl für müde Seelen werden oder ein Heim für Künstler. Es sollten neue Bauarten wie Glaswände und Glasdächer ausprobiert werden. Bis alle Pläne zu einem netten Holzhaus mit Gastzimmern konzentriert wurden, bedurfte es vieler Aussprachen – ein Wünschen und auch ein Verzichten. Das waren alles nebensächliche Dinge, aber nicht immer nahm man sich die Zeit, in die Tiefe zu dringen, um den Ursprung allen Tuns, das gute und weite Herz zu finden. Das Leben von Tante Elisabeth stand unter dem großen Leid, das sie erfahren, als ihr das einzige Kind im Alter von fünf Jahren, ihr Töchterchen Iti genommen wurde. Ein zweites Kind blieb ihr versagt. Nie hat sie diesen Kummer verwinden können. Ihre Jugend war beschattet durch die Leiden ihres Bruders Otto, der mit einem organischen Fehler zur Welt gekommen, dauernd unter Schmerzen litt. Ein weit über seine Jahre begabtes Kind, bei größten Schmerzen immer an andere denkend, litt er durch zwölf Jahre, bis er erlöst wurde. Seine Mutter konnte nur sagen 'Gott sei Dank', als er auf ihrem Schoße den letzten Atemzug tat. Auch die Gesundheit des Vaters bedurfte dauernder Rücksichtnahme. Eine Seele, die so aufgewachsen ist und fortan so viel Leid kannte und hörte, konnte mehr mitleiden und mehr verstehen als andere. Sie gab viel Liebe und erntete viel Liebe.

Als mein ältester Sohn mit 16 Jahren 1915 ins Feld ging, teilte ich es Tante Elisabeth telegraphisch mit – ihre Antwort war das letzte Lebenszeichen. Sie wußte, daß der König als Hohenzoller nie gegen Deutschland in den Krieg einwilligen würde, so verließ sie ihn vom Beginn des Krieges 1914 an nicht mehr. Als er im Oktober 1914 unerwartet starb, wußte sie, daß er anderen im Wege gewesen war. Einsam starb sie 1915, bis zuletzt umgeben von den Bildern der Heimat, am Rhein. Als eine Bronchitis sie befiel, war ihre Willenskraft gebrochen, der Lebenswille versiegte. Einsam und verlassen und doch unter Menschen! Die Politik verwehrte uns die letzte Fahrt mit ihr zu tun. Meine Schwägerin ließ man an der rumänischen Grenze aufhalten, bis die Trauerfeier vorüber war, ich wurde schon in Berlin durch den rumänischen Gesandten an der Reise gehindert.“36

 

Mitglieder der königlichen Familie und der Oberschicht in Rumänien

 

Sehr aufschlussreich sind die Erinnerungen der Kronprinzessin und späteren Königin Maria von Rumänien (1875-1938) über die Königin und Schriftstellerin Carmen Sylva („Tantchen“, beziehungsweise „Aunty“, wie sie Elisabeth in ihren Erinnerungen und Aufzeichnungen über die ersten Jahre am Bukarester Hof nannte). Königin Maria von Rumänien schilderte in ihren Memoiren ihren ersten Besuch in Segenhaus, wo ihr die Zustände wunderlich erschienen und sie den Eindruck hatte, Königin Elisabeth spielte ihre Krankheit nur vor.37 Auch in den privaten Briefen und Tagebuchaufzeichnungen der Königin Maria sind zahlreiche Eindrücke der Kronprinzessin über Situationen am Hof und über Königin Elisabeth zu finden. Auffallend bei Kronprinzessin bzw. Königin Maria ist der Versuch, sich von ihrem königlichen Vorgängerpaar Carol I. und Elisabeth abzugrenzen, wobei sie König Carol I. mit mehr Respekt betrachtet und Königin Elisabeths Vorhaben meist belächelt und sie für ihr „Versagen“ bemitleidet. Dennoch gibt Königin Maria später anerkennend zu, für die Aufgabe auf dem Thron auch aus den Beispielen ihrer Vorgängerin viel gelernt zu haben:

„Man wird unter Menschen schwerlich einen größeren Gegensatz finden als Königin Elisabeth, diebegeisterte Dichterin, und ihren phantasielosen Gemahl, den ersten König von Rumänien. Die Königin war frühzeitig grau, fast weiß geworden. Sie lachte oft. Ihre Zähne waren blendend weiß und wunderschön geformt. Ihr Lachen bildete einen auffallenden Kontrast zum schwermütigen Ausdruck ihrer tiefliegenden, stark blauen Augen. Obwohl keine Schönheit, hatte sie etwas Anziehendes an sich, dem zu widerstehen fast unmöglich war. Der außerordentliche Wohlklang ihrer Stimme wirkte nahezu auf jedermann bezaubernd. Der Jugend und vielen schwärmerischen Geistern ihrer Zeit galt sie als Frau gewordene Legende. Sie war eine Dichterin und ein feuriges Temperament und erregte wohl Bewunderung, aber nicht Leidenschaft, wenn auch das Tragische ihres Wesens in vielen Männern ein Gefühl der Hilfsbereitschaft weckte. Sie empfand die Welt als eine große Bühne und sich selbst als die Hauptfigur eines vielverzweigten unendlichen Dramas. Sie war eine tragische oder besser tragödienhafte Gestalt mit allen Attributen dieser interessanten Charakterstimmung wie Leichtgläubigkeit, Großmut und Menschheitsliebe im Allgemeinen.

Charakter ist Schicksal. Carmen Sylva wurde von ihren Eigenschaften zur Selbstaufgabe und Tragödie getrieben. Sie sah jedes Geschehen als Tragödie und konnte die einfachsten Vorgänge des täglichen Lebens nicht anders als szenisch auffassen. Da sie selber keine Kinder hatte, umgab sie sich mit einer Schar junger Mädchen, die, von ihrer gehobenen Sprache begeistert, ihr anbetend zu Füßen saßen. Sie gefiel sich darin, eine jener Burgfrauen aus alten Zeiten vorzustellen, die zu bestimmten Tageszeiten alle Frauen des Hauses um sich versammelten und mit ihnen spannen, nähten und stickten.“38

 

„Tante war eine bewunderungswürdige Sprecherin. Da sie Rhapsodin war, redete sie sehr gern und mußte immer verzückte Zuhörer um sich haben. Leider bewies sie bei der Auswahl ihres Publikums kein entwickeltes Auslesetalent, denn sie besaß die phantastische Eigenschaft, die Dinge und Personen im Spiegel ihrer Wünsche zu sehen und nicht so, wie sie waren. Da sie unermüdlich auf Entdeckungen menschlicher Spitzenerscheinungen ausging, spielte ihr dieses Pandorageschenk ihrer Natur manch bedauernswerten und bösen Streich.

Mich schmerzte es, die wirklichkeitsferne Frau, der ich mich trotz vieler Meinungsverschiedenheiten nahe fühlte, immer neuen Täuschungen ausgesetzt und als Opfer von Schmeichlern zu sehen. Manche mißbrauchten ihre Weltunkenntnis und Vertrauensseligkeit durchaus nicht im Sinneschöngeistiger Ideale. Gewiß konnte man in Carmen Sylvas Salon oft auch bedeutende Menschen treffen: wertvolle Wissenschaftler, Philosophen, Ärzte, Musiker, Maler, Dichter, Sänger, Schauspieler. In ihren Räumen lernte ich Männer kennen wie Sauer, Sarasate, Vandyke, Slezak, Ysaye, Pugno, Thibaut, Hubermann, Sarah Bernhard, Rejane, Catulle Mandes und viele andere.“39

 

„Dagegen war Tante Elisabeth unerreichbar in der Kunst des höfischen Empfanges. Sie hatte unvergleichliche gesellschaftliche Fähigkeiten, die Gabe, anregend und fesselnd zu unterhalten und unermüdlich zu sein in ihrer offiziellen Freundlichkeit. Nur manchmal verstieg sie sich in Sphären, die zu poetisch waren für erdenschwere Menschen, und das war gewöhnlich nicht nach dem Geschmack des Onkels. Aber ich hatte bei ihr viel zu lernen, obwohl mich um jene Zeit ihre übertriebene Liebenswürdigkeit manchmal geradezu befremdete.“40

 

„Ich war in jenen Jahren keine 'Intellektuelle', vielleicht bin ich es auch heute nicht, obwohl ich mich indessen zu einem denkenden Menschen entwickelt habe. Aunty fand meine ungeistigen Liebhabereien ein wenig verächtlich; das ist begreiflich. Sie nahm sie mir nicht übel, aber wir waren eben grundverschieden.“41

 

„Das arme Tantchen schlitterte immer wieder in ein Ärgernis hinein, aufgrund ihrer unkontrollierten Phantasieausbrüche. Es war pathetisch zuzusehen, wie ihre aufeinander folgenden Protegés sich erhoben und fielen, und wie der Staub bei ihrem Fall aufwirbelte. Ich bekam auch oft Ärger, aber in anderer Weise.

Tantchen arbeitete immer an irgendeiner großen Unternehmung, einem fantastischen Plan für das Wohl ihrer Leute und der Menschheit. Für sie gab es nichts im Kleinen, alles musste gefährlich überdimensioniert sein.

Eine großzügigere Frau hat es niemals gegeben. Sie war bereit, ihren letzten Pfennig zu teilen, ihren eigenen Mantel auszuziehen, um Schmerzen zu lindern oder einen Bittenden zufrieden zu stellen, aber durch diese grenzenlose Großzügigkeit zu allen Menschen war sie eine leichte Beute für Hochstapler.“42

 

„Tantchen konnte unendlich liebenswürdig sein, wenn man mit ihr allein war. Sie konnte eine wunderbare Gesellschaft sein und war einzigartig in der Kunst der Unterhaltung. Sie war nie blasée. Dabei war sie so facettenreich, so interessant, ein wahrer Brunnen an Wissen, man konnte so viel von ihr lernen, außer den praktischen Dingen, selbstverständlich! Sie hatte auch eine seltene Gabe, einem das Gefühl zu geben, willkommen zu sein, aber ihre reizende Natürlichkeit verschwand, sobald ein Publikum da war, das sie bewunderte, dann spielte sie den Zuschauern vor, was mich furchtbar schüchtern machte und flegelhaft grollend. […]

Aber trotz meiner kritischen Haltung ihr gegenüber in meiner Jugend, erkenne ich heute, dass ich viel von der dichtenden Königin gelernt habe. Sie war ein glänzendes Beispiel an Liebenswürdigkeit, perfekten Manieren und Großzügigkeit. Aunty dachte immer an andere, arbeitete für andere, und wenn manchmal ihre Liebenswürdigkeit stereotyp und ihre Freuden- und Dankesausrufe eher künstlich wirkten, so habe ich gelernt, als ich selbst an die Reihe kam, als Königin offizielle Pflichten wahrzunehmen, dass man durch den jahrelangen Dienst auf dem Thron und die ewige Wiederholung bestimmter Pflichten, dies letztlich beinahe mechanisch vollbringt – denn man kann nicht jeden Tag seines Lebens dieselbe Begeisterung für die ewig gleiche Runde finden.“43

 

Neben den veröffentlichten Erinnerungen der Königin Maria, die sich an eine breite Öffentlichkeit richteten, sind auch die Aussagen aus dem privaten Briefwechsel der Kronprinzessin Maria mit ihrer Mutter, Herzogin Maria von Edinburgh44, beachtenswert, vor allem, weil anzunehmen ist, dass sie hier weniger (selbst-) zensiert schrieb und die Briefe somit die aufrichtige Meinung der Prinzessin zu jener Zeit wiedergeben. In einem Brief der Kronprinzessin Maria an ihre Mutter, nach der Rückkehr der Königin Elisabeth aus dem Exil am 10. September 1894, heißt es:

„Nun, der große Tag ist vorüber. Onkel und Tante sind angekommen, und ich bin mir sicher, Du willst alles darüber erfahren. Es war ein himmlisch schöner Tag, sehr warm nach dem sehr kalten Wetter. Sie kamen mit demselben Zug an wie Du letztes Jahr, natürlich waren Massen von Menschen dort (unnötig zu erwähnen, alle Minister mit ihren Ehefrauen, das versteht sich von selbst, die geliebten Minister!), dann waren alle ehemaligen Hofdamen der Tante (und diese sind nicht wenige) und noch eine Reihe anderer Personen. Die Menge und das Gedränge sind nicht zu beschreiben, und dann die Gerüche! Oh, die Gerüche! Die Stiefel, schlechter Atem, Knoblauch, starker Blumenduft, Patchuli und poudre de riz, alles gemischt mit einem gewissen Duft geschminkter Damen, das sicher ein spezielles Parfüm ist, ich weiß nicht ob Du es kennst. […] Endlich kam der Zug an und Onkel und Tante stiegen aus! Das war der große Moment! Die arme Tante muss sehr gemischte Gefühle gehabt haben, aber sie war sehr still, was uns verblüfft hat. […] Natürlich fuhren wir direkt zur Kirche, wo ein Te Deum gehalten wurde, und dann endlich zum Schloss, wo der geliebte Sohn45 wartete. Dies war ein anderer Augenblick furchtbarer Emotionen für die Tante, aber sie überstand ihn gut und war einfach entzückt vom Jungen, der sehr fröhlich war, sehr umgänglich aber très turbulent, er zwang geradezu den Onkel, mit ihm den Gang hinunter zu gehen, was sehr lustig war. Aber wie die Tante angezogen war, ist nicht zu beschreiben. In einem beigen Ulster46 mit einer Haube am Hinterkopf und einem Schleier, lose geknotet über ihrer Stirn und Nase. Dann, am Abend, ein Teekleid aus blauem Plüsch mit eingefassten Federn, oh, grässlich! Aber gestern sah sie sehr reizend aus im rumänischen Kostüm. Noch nie hatte ich es in einer solchen Perfektion getragen gesehen.”47

 

Zu der jüngeren Generation der Kronprinzessin Maria gehört auch die Diplomatentochter und -gattin Anna Lahovary, geborene Kretzulescu (1865-1964). Durch ihren Vater, den rumänischen Arzt und Diplomat Nicolae Kretzulescu (1812-1900), lernte Anna Kretzulescu-Lahovary das rumänische Fürstenpaar Carol I. und Elisabeta bereits in ihrer Kindheit kennen, wenn diese auf dem Familiengut in Leurdeni zu Gast waren. Mit ihrem Ehemann, dem rumänischen Diplomaten Alexandru Em. Lahovary (1855-1950), lebte Anna Lahovary zeitweise in Konstantinopel, Paris und Rom im Auftrag des Königs Carol I. von Rumänien. In ihren Erinnerungen beschreibt sie unter anderem auch den Musiksalon Königin Elisabeths in Bukarest um 1899-1900, der, ganz anders als für Kronprinzessin Maria von Rumänien zur selben Zeit, für die Diplomatengattin Anna Lahovary einen Genuss ersten Ranges bedeutete:

 

„Ich betrat zuerst das Treibhaus, dann den Salon der Königin. Sie selbst erwartete uns voller Grazie und Freundlichkeit am Eingang. Als ich ihre Hand küsste, näherte sie sich zu uns, küsste uns und nannte uns 'die zwei Schwestern'48. Sie sagte dies mit einem warmen Lächeln. Einer nach dem anderen, nahmen die Gäste ihren Platz um Ihre Majestät ein.

Der Tee wird im maurischen Salon serviert. Um dorthin zu gelangen, muss man erneut in das Treibhaus hinausgehen und von dort über einige Treppen hinaufgehen. Frau Bengescu macht die Honneurs beim Teetisch. Die Damen unterhalten sich, alle servieren den Tee stehend. Die Jungen versammeln sich untereinander: Jeanne und Dénise Henry, Adine Moruzzi, Colette und andere. Wir gehen wieder die Paar Treppen hinunter, um uns auf unsere Plätze im Musiksaal zu setzen. Dieser besteht aus zwei miteinander verbundenen Salons, die durch einen reich verzierten Bogen geteilt ist. An den Wänden hängen alte Gemälde. Im ersten Salon, auf der rechten Seite, fällt eine imposante Orgel auf. Die verschieden großen Sofas und Sessel werden schnell von den Damen besetzt. Am Ende des zweiten Salons ist eine Bühne, auf der sich das Klavier und die Notenständer für die Violinisten befinden. Gleich neben der Bühne sitzt die Königin in ihrem weiten Sessel, auf dessen Pult die Werkzeuge ihrer verschiedenen Tätigkeiten angeordnet liegen: Bücher, Schreibfeder und Handarbeit. Sie trägt ein schwarzes Kleid und einen Schleier auf dem Kopf. Sie sitzt in der Nähe der Künstler, spricht zu ihnen, verfolgt sie die ganze Zeit mit ihrem Blick, und auf ihrem ausdrucksstarken Gesicht kann man die Freude oder den Schmerz ablesen, zu denen ihre enthusiastische Natur durch die Musik inspiriert wird.

Unter den Damen sind Frau Henry, Frau Tombagi, Margit Catargi und Zoe Caribol49, der eine besondere Aufmerksamkeit zuteil wird, Marie Mavrocordat, Zoe Lahovary, die Töchter Brătianu etc. Dinescu, Enescu und Podowski spielen ein Trio von Beethoven, eine wunderbare Interpretation einer herrlichen Komposition. Dann spielt Podowski allein am Flügel. Das letzte Prélude von Chopin elektrisiert durch die Nuancen einer süßen, einhüllenden Tristesse. Ich habe mir einen zurückgezogenen Sessel gewählt, in der Nähe der Bühne, geschützt von den Blicken der Menschen, seitlich, wo man zur Bühne hinaufgeht. Ich freue mich von ganzem Herzen an der wunderbaren Harmonie, die ein Künstler schaffen kann, der ein Meister ist. Chopin überströmt uns mit der himmlischen Süße aus Berceuse. Die Königin hatte Podowski aufgefordert, es zu spielen. 'Das süßeste und leichteste Stück, wie ein Windhauch', sagte sie und breitete ihre Arme aus wie zum Flug.

La Berceuse beginnt einfach, dann setzt es sich sanft fort, aufwühlend wie die Träume, die sich vor dem Einschlafen an uns heranschleichen, an jene erinnernd, die wir lieben, an undeutliche Gefühle von früher, deren Eindruck sich in einem exotischen und unwirklichen Genuss verliert. Dann beginnt die Musik von neuem, erst einfach, dann süß und langsam, eine Weise, ein Akkord, ein kaum wahrnehmbarer Laut. Keiner bewegt sich, dass man meinen könnte, diese traurige Melodie nur zu träumen, die unter den Fingern des Künstlers eingeschlafen zu sein scheint.

Ich lernte die beiden Fräulein Preghi kennen, Schweizerinnen. Eine von ihnen ist eine Sängerin von großem Talent. Sie stieg auf die Bühne, klein von Wuchs, nicht schön, aber bezaubernd, trotz ihrer gewöhnlichen Erscheinung. Und der Gesang verwandelt sie: Schuhmann erfüllt sie mit ehrlicher Leidenschaft, sie singt mit warmer, vibrierender Stimme, ihr Gesicht widerspiegelt die von der Musik ausgedrückten Empfindungen, ihr Blick ist wonnig, einschmeichelnd und der Mund weit geöffnet über dem zu großen Kinn. Man fühlt ihre ganze Leidenschaft und, nachdem sie mit dem Singen aufgehört hat, bebt man weiter unter dem Eindruck, den ihr Gesang hinterlassen hat. Mir scheint, ihre Gesangsweise ist vielmehr eine Art Rezitativ.

Ach, Musik, du bringst versteckte Gefühle zum Vorschein, störst die Ruhe gewöhnlichen Lebens in unserem Herzen, weckst die Leidenschaft, den Schmerz, den Wunsch, die Liebe, weckst sie und bringst sie zum Sieden. Fort mit dir, Verführerin, oder aber verliere dich in den Alltag! Wenn auch du dem frohen Herzen Freude schenkst, dem unruhigen bietest du Schmerz.

Dann erhebt sich die Königin, steigt auf die Bühne zu Fräulein Preghi und grüßt uns alle von dort oben. Wir schütteln einander die Hand und nehmen Abschied. Und die Macht der wirklichen Welt kehrt wieder zurück zu all jenen, die von der Musik nicht zu hoch hinaufgetragen wurden und die nicht haben, von wo herab zu steigen. Die anderen aber fallen tief, und der Sturz ist schmerzhaft. Also muss man banal sein, um glücklich zu sein?

Es waren etwa fünfzig Personen an diesem angenehmen Nachmittag eingeladen. Die in einem wunderbaren Rahmen für die künstlerischste unter allen Herrscherinnen gespielte Musik war ihr gewidmet. Sie inspiriert die Interpretation, den Gesang, und sie versammelt sie alle unter ihre Fittiche. Hier können die Musiker das Beste geben. Und auch die Musiker sind Künstler, sie lassen sich von der Seele dieses Ortes verwandeln, und die Musik ist himmlisch. Das Umfeld inspiriert einen und umso mehr die Gastgeberin. Und die Gäste – sofern sie nicht taub sind, wie es heute einigen passiert ist, die fast eingenickt sind – gehen aus den Konzerten hinaus mit dem von der Größe der musikalischen Harmonie veredelten Gefühl, einer Kunst die Augen und Ohren entzückt.“50

 

Zeitgenössische Gelehrte, Künstler und Schriftsteller, befreundete und geförderte Künstler über die Fürstin und Königin Elisabeth

 

Anton Springer (1825-1891) war seit 1860 Professor für Kunstgeschichte an der Universität Bonn und ein Freund der Fürstin Marie zu Wied, Elisabeths Mutter. Im Sommer 1870 begleitete Springer Fürstin Marie zu Wied nach Rumänien und schilderte seine Eindrücke über den Fürstenhof von Carol I. und Elisabeth in seinen Memoiren. Auffallend und erwähnenswert waren für ihn vor allem die Reaktionen aus der rumänischen Oberschicht im Umfeld des deutschstämmigen Fürstenpaares und insbesondere gegenüber Fürstin Elisabeth:

 

„Schon die deutsche Abstammung des Fürsten erschien vielen Bojaren als Makel und immer wieder tauchte die Verleumdung auf, daß das Wohl des Staates den Hohenzollernschen Interessen nachgestellt werde und Rumänien an Preußen als Vasallenland verhandelt worden sei. Franzosenfreunde gab es stets sehr viele unter den Bojaren und besonders Bojarenfrauen. Dem Fürsten Karl waren die Schwierigkeiten seiner Stellung wohl bekannt. Er blieb kaltblütig, ließ die gefaßte Aufgabe, Rumänien eine geordnete Verwaltung, ein brauchbares Heer zu verschaffen, nicht einen Augenblick aus den Augen. […] Am frühesten gewann er durch seine militärische Tüchtigkeit die Achtung des Heers. Bald erkannten auch die bessern Politiker, daß es geratener sei, mit ihm, als gegen ihn zu arbeiten.

In anderer Weise machte die Fürstin Elisabeth für die Dynastie erfolgreiche Propaganda. Die Königskrone schwebte eigentlich schon lange über ihrem Haupte, ehe die glorreichen Siege des Gemahls sie ihr in das schöne Haar gedrückt hatten. Sie besaß eine angeborene Majestät, verband aber damit die echte Frauenanmut und heitere Liebenswürdigkeit. Die Natur hatte sie reich, fast allzureich mit Gaben bedacht. Mein gewöhnlicher Streit mit Fräulein Lavater51 bezog sich darauf, ob in der Musik, ob in der Poesie die wahre Stärke der Fürstin liege, ob die Tiefe der Gedanken, oder die Glut der Empfindungen am meisten an ihr zu bewundern sei. Je nachdem sie an dem Tage gerade diese oder jene Seite ihrer Natur enthüllt hatte, trafen wir die Entscheidung. Von der herbsten Schwermut bis zur ausgelassensten Laune beherrschte sie alle Stimmungen. Niemals merkte man eine Anstrengung, stieß auf etwas Gemachtes oder Gekünsteltes. Alles, ihre Lieder, ihre Sinnsprüche, ihre Erzählungen und Märchen quollen frei und leicht aus ihrer Phantasie. Die Fürstin Elisabeth besaß das Genie eines Improvisators, zugleich den gediegenen Ernst des wahren Dichters. Oft war ich Zeuge, wie sich in der Hofgesellschaft Herren und Damen mit spöttischer Miene der Fürstin näherten, als wollten sie sagen: 'die kleine deutsche Prinzessin werden wir schon übertrumpfen', wie sie dann aber nach dem Schlusse der Vorstellung in eine laute Bewunderung ihrer Anmut und ihres geistreichen Wesens ausbrachen. Dem Zauber der Fürstin konnte niemand entgehen.“52

 

Der deutsche Musiker August Bungert (1845-1915) wurde über den Bildhauer Carl Cauer (1828-1885) im Jahr 1881 auf Carmen Sylvas Lyrik aufmerksam gemacht, indem er ihm, auf Wunsch der Königin, einige Verse aus der Dichtung Die Hexe mitbrachte, die von einer Statue Cauers inspiriert war. Nach der ersten Begegnung in Sestri Ponente, an der italienischen Riviera, im Jahr 1883, entwickelte sich eine dichterisch-musikalische Zusammenarbeit zwischen Carmen Sylva und Bungert, und der Musiker war ein gern gesehener Gast in Neuwied.53 Über diese Freundschaft berichtete Bungert in einem Beitrag in der Festschrift Carmen Sylva zum 29. Dezember 1913:

 

„[…] die Freundschaft, wie C. Sylva selbst unsere Beziehung die Gnade hatte zu nennen, dauert nun schon über manche Begebnisse jeglicher Art hinaus, bereits über 30 Jahre.

Nunmehr, nachdem ich bald darauf nach meiner Rückkehr nach Deutschland in Segenhaus eingeladen war, in dem Hause der Mutter der Königin, entspann sich ein ebenso anregender, erhebender wie beglückender Verkehr, oben auf dem Berge in Segenhaus und auf Monrepos, dem Sommersitz des Fürsten Wilhelm zu Wied und seiner Familie.

Die Königin ward mit einer umfangreichen Mezzo-Sopranstimme bald meine Gesangschülerin, da wurde sozusagen, alles von alten Italienern, von Bach und Händel studiert, der ganze Schubert, Schumann wurde durchgesungen; Beethoven und Wagner bis zu Isoldes Liebestod erklang in den Salons.

Ebenso wurden andere Mitglieder der fürstlichen Familie Wied zu Gesangschülern von mir. In erster Linie der Fürst Wilhelm, der mit einer schönen Baßstimme begabt war; ich hör ihn noch das Solo des Homer in meiner Oper Nausikaa singen. Gesangunterricht erhielt auch der zweite Sohn des Fürsten, Prinz Wilhelm, und die außerordentlich talentvollen jungen Prinzessinnen Luise und Elisabeth, dann die Prinzessin Sophie zu Schönburg-Waldenburg, die jetzige Gemahlin des Prinzen Wilhelm, die alle außerordentlich stimmbegabt und musikalisch waren. Musiziert, gelesen, gemalt wurde eigentlich immer.

Wieviele Künstler haben in all den Jahren dort oben verkehrt! Wie viele bedeutende Menschen jeglichen Standes gingen als Gäste Winters und Sommers in dem stillen, poetischen, klingenden Haus aus und ein, sobald die Königin ihre Villegiatur bei ihrer Mutter aufgeschlagen hatte. Daß auch ich manche Künstler, insbesondere auch Sänger und Sängerinnen, hinzog, ist natürlich. So sei in erster Linie auch Frau Lilli Lehmann erwähnt, mit der ich in Berlin und anderen großen Städten wie Dresden, Frankfurt usw., Bungert-Konzerte mit Texten von Carmen Sylva mit schönem Erfolge gegeben hatte.

Was in jenem stillen Waldschloss alles in Monrepos an Liedern, an literarischen Werken, auch Malereien (ich gedenke des Ehepaares Bischop54 aus dem Haag) entstanden ist oder angeregt wurde, ist gar nicht möglich, auch nur anzudeuten. Da war auch nicht ein Tag, an dem nichts Neuers entstand oder Angefangenes vollendet wurde. Ja! Es wogte das Lied, wie sonnige Fluten durchs Herz!