DIE FLUCHT VOM MITTELPUNKT DER ERDE - Greig Beck - E-Book

DIE FLUCHT VOM MITTELPUNKT DER ERDE E-Book

Greig Beck

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Beschreibung

»Ich bin es, Ally. Helft mir! Bitte helft mir!« Aus den Tiefen der russischen Kola-Bohrung wird eine geisterhafte, schluchzende Stimme aufgefangen. Sofort wird ein russisches Team ausgesandt, die Frau zu finden. Aber wie ist sie in diese Tiefen gelangt? Zeitgleich bereiten die Amerikaner eine eigene Expedition vor, nachdem sich ein weiterer Riss zum Mittelpunkt der Erde im Marianengraben im Westpazifik gebildet hat. Mike Monroe und Jane Baxter schließen sich der Expedition an … auch deshalb, um ein Mittel gegen den Krebs zu finden, welcher sie seit ihrer Zeit in der roten Hölle des Erdinneren langsam auffrisst. Ihre Mission führt sie erneut in das Innere unseres Planeten, eine Welt voller undurchdringlicher Dschungel, gefallener Königreiche und monströser Kreaturen, die nie an die Oberfläche gelangt sind und so albtraumhafte wie tödliche Formen angenommen haben. Und dort lauert noch etwas anderes – ein gigantisches Wesen so alt wie die Welt selbst. Es wartet auf sie. Und dieses Mal wird es sie nicht entkommen lassen. Bestseller-Autor Greig Beck, der mit seiner "Primordia"-Trilogie bereits Arthur Conan Doyles "Vergessene Welt" in unsere Zeit transportierte, entführt den Leser nun in die mystische unterirdische Welt eines Jules Verne – voller Wunder, Gefahren und atemloser Abenteuer.

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Die Flucht vom Mittelpunkt der Erde

Greig Beck

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com

Title: ESCAPE FROM THE CENTER OF THE EARTH. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2021. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

Impressum

Deutsche Erstausgabe Originaltitel: ESCAPE FROM THE CENTER OF THE EARTH Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Burkhardt Röder

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-850-4

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

Die Flucht vom Mittelpunkt der Erde
Impressum
Prolog
EPISODE 11
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
EPISODE 12
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
EPISODE 13
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
EPISODE 14
Kapitel 18
Kapitel 19
Epilog
Über den Autor

»Steig hinab, kühner Reisender, in den Krater des Jokul von Sneffels,

den der Schatten des Skartaris vor den Julitagen berührt,

und du wirst den Mittelpunkt der Erde erreichen.

Das habe ich, Arne Saknussemm, getan.«

- Jules Verne, Reise zum Mittelpunkt der Erde -

WISSENSCHAFTLER ENTDECKEN ANZEICHEN FÜR EINE VERBORGENE STRUKTUR IM INNEREN DES ERDKERNS

 

5. März 2021: Forscher haben Beweise dafür gefunden, dass der innere Kern der Erde einen weiteren, noch tieferen Kern zu haben scheint.

 

»Traditionell wurde uns beigebracht, dass die Erde aus vier Hauptschichten besteht: der Kruste, dem Erdmantel, dem äußeren und dem inneren Kern«, erklärt die Geophysikerin Joanne Stephenson von der Australian National University. »Unser Wissen darüber, was sich unter der Erdkruste befindet, wurde hauptsächlich aus dem abgeleitet, was Vulkane preisgegeben und seismische Wellen geflüstert haben.«

Doch nun haben Stephenson und ihre Kollegen weitere Beweise dafür gefunden, dass der innere Erdkern aus zwei verschiedenen Schichten bestehen könnte.

»Das ist sehr aufregend«, fügte sie hinzu. »Denn es könnte bedeuten, dass wir die Lehrbücher komplett neu schreiben müssen!«

 

Prolog

Sie hatten über ihn gelacht. Jeder von ihnen. Aber er hatte recht gehabt.

Arkady Saknussov breitete die Arme aus, das Gesicht zum Himmel gerichtet und sonnte sich im heißen, roten Schein der kochenden Decke, die kilometerweit über ihm lag.

Vor ihm erstreckte sich ein schier endloses Meer, das mit karminroten, bernsteinfarbenen und feurigen Reflexionen funkelte. In seinen warmen Urtiefen schwammen träge Dinge, manche knapp unter der Oberfläche verborgen, andere hoben ihre langen, chitingepanzerten Rüssel über die Wasserlinie und brüllten basstiefe Balz- oder Warnrufe.

Was für eine wundersame Welt, dachte er, schloss die müden Augen, setzte sich hin und atmete tief ein, wobei er den Geruch eines salzigen Ozeans, trocknenden Seetangs an einer schwarz schimmernden Küste und einen Hauch von Urschwefel einatmete. Das hier war weit entfernt von dem gefrorenen Russland, das er hinter sich gelassen hatte – wie lange war das her? Wochen, Monate oder schon Jahre? Es spielte keine Rolle mehr.

Saknussov öffnete plötzlich die von einem Anflug von Wahnsinn erfassten Augen und richtete sich ruckartig auf, um schnurgerade zu stehen.

»Im Jahre 1485 erhebe ich Anspruch auf dieses Land im Namen Iwans III., des ersten Zaren und wahren Herrschers von ganz Russland.«

Er schlug sich die Hände vor den Mund, verdrehte die Augen und wich kichernd zurück. Halt die Klappe, du Narr, sie werden dich noch hören. Nach einem weiteren Moment, als er sich vergewissert hatte, dass er immer noch allein war, atmete er mit einem langen Seufzer aus.

Dieser Ort hatte einen Tribut an seinem Körper und Geist gefordert, aber wenigstens lebte er noch, im Gegensatz zu seinem Team, die nun alle tot waren. Einige waren aus großer Höhe gestürzt, andere ertrunken, einige waren einfach in den Labyrinthen verschwunden, und ein paar starben einen schrecklichen Tod durch seltsame Infektionen oder durch die Zähne und Klauen der schrecklichen Dinge, die diese innere Welt bewohnen.

Der Tod würde auch ihn bald ereilen, dachte er, als er an sich heruntersah. Er war fast zerstört – seine Kleidung bestand nur noch aus zerfetzten Resten, seine dürren Arme und Beine waren mit Schürfverletzungen und offenen Wunden übersät, und die gebrochenen Knochen in zwei seiner Finger hatten sich durch die Haut gebohrt. Saknussov beschloss, eine Weile nur das Meer zu beobachten. Er wusste bereits, dass er es nie wieder zurück an die Oberfläche schaffen würde … dass er nie mit jemandem über seine wundersamen Entdeckungen sprechen könnte. Schlimmer noch, er würde nie in der Lage sein, jemanden zu warnen.

Er blickte zum höllisch roten Himmel hinauf. »Folgen Sie mir nicht.« Er senkte seinen Blick. »Denn das Licht Gottes reicht nicht bis hierher.«

Aber er wusste, dass sie kommen würden. Eines Tages. Denn Neugierde war eine unwiderstehliche Droge … und am Ende genauso tödlich.

EPISODE 11

»Ich danke Gott, dass er mich durch das Labyrinth der Finsternis

zu dem einzigen Punkt geführt hat,

an dem mich die Stimmen meiner Gefährten erreichen konnten.«

- Jules Verne, Reise zum Mittelpunkt der Erde -

Kapitel 1

Kol'skaya (Kola) Supertiefes Bohrloch - Bezirk Pechengsky, Provinz Oblast, Russland

Oskar Svegeny langweilte sich, so wie jedes Mal, wenn er und Grigory Valadin eine lange Schicht am Bohrloch hinter sich hatten. Obwohl das Loch selbst schon seit fast dreißig Jahren geschlossen war, mussten sie es immer noch überwachen und Instandhalten, da das viele Kilometer tiefe Loch niemals gefüllt worden war.

Oskar las schnell die Daten von den Monitoren ab und hakte die sich nie ändernden Details ab. Er schätzte mal, dass immer gleich gut war.

Die Kola-Bohrung war ein wissenschaftliches Was-wäre-wenn gewesen. Das Ergebnis eines Bohrprojekts, bei dem so tief wie möglich in die Erdkruste gebohrt werden sollte, mit dem Ziel, eine Tiefe von knapp vierzehn Kilometern zu erreichen.

Die Bohrungen begannen am 24. Mai 1970 und erreichten 1989 eine Tiefe von zwölf Kilometern, was damals der tiefste von Menschenhand geschaffene Punkt der Erde war. Es war eine beeindruckende Demonstration russischen Einfallsreichtums und russischer Ingenieurskunst gewesen.

Doch nur wenige Monate später wurden die Bohrungen abrupt eingestellt. Als Grund wurde angegeben, dass die Temperaturen höher als erwartet gewesen waren und die Bohrer dadurch beschädigt worden waren. Außerdem wurde vermutet, dass sich die Gesteinseigenschaften verändert hatten. Die Dichte hatte merkwürdig abgenommen und die Porosität zugenommen, was dazu geführt hatte, dass sich die tiefe geologische Matrix wie Plastik verhalten hatte.

Aber Oskar wusste, dass das nicht alles war – es gab noch andere Gründe, geflüsterte Gründe, die in den offiziellen Berichten nicht erwähnt wurden. Die Ingenieure weigerten sich, nachts auf der Baustelle zu arbeiten, da aus der Tiefe Geräusche kamen, die die Mannschaften verunsicherten – leises Gemurmel, Grunzen und gequälte Schreie – die Stimmen der Verdammten, wie es hieß.

Dann gab es eines Tages den Angriff. Ein Team, das auf der untersten Ebene arbeitete, berichtete, dass sie von Dingen angegriffen worden waren, die sich buchstäblich aus Rissen in den Wänden herausgezwängt hatten … menschenähnlich, aber definitiv nicht menschlich. Sie hatten mehrere der Mitarbeiter weggezerrt, bevor ihnen geholfen werden konnte. Die anderen hatten sie gesucht, aber sie waren nie gefunden worden.

Das Kola-Bohrloch war in diesem Jahr versiegelt und niemals wieder geöffnet worden.

Es wurde niemals wieder darüber gesprochen, und daher verschwand es irgendwann aus dem wissenschaftlichen Interesse.

Jetzt gab es nur noch ein paar Mitarbeiter für die Überwachung. Gutes Geld, dafür, dass man gelangweilt dasaß und auf ein Loch aufpasste, das, wie man munkelte, bis in die Hölle hinein gebohrt worden war.

Grigori war jetzt mit dem Monitor an der Reihe, er kniff die Augen zusammen und verzog angewidert den Mund, als er den Geräuschen lauschte. Er schüttelte den Kopf. »Sie sollten diesen abscheulichen Ort in die Luft jagen.«

»Hm, was?« Oskar las weiter in seiner Zeitschrift. »Warum?«

Er nahm das Headset von seinen Ohren. »Die Stimmen der Verdammten.« Er warf den Kopfhörer vor Oskar auf den Schreibtisch. »Hör selbst zu.«

Oskars Mund verzog sich. »Ich habe es schon gehört. Tausendmal. Angeblich sind es nur die geologischen Schichten, die sich verschieben. Na und?«

»Hör einfach zu«, drängte ihn Grigori.

Oskar seufzte, legte sein Buch weg und nahm das Headset. Er hielt es rechts an sein Ohr und wippte mit dem Kopf von einer Seite zur anderen. »Nur das Übliche: Knacken, Klicken und seltsame knirschende Geräusche aus der Tiefe. Vielleicht sind es Wale«, spottete er. »Absolut nichts Neues.« Er wollte das Headset wieder hinlegen.

»Warte«, sagte Grigori nachdrücklich.

Oskar nahm das Headset herunter. »Nein, ich habe Besseres zu tun …«

Grigori legte daraufhin einen Schalter um und ließ die Geräusche nun über den Deckenlautsprecher erklingen.

Nach ein paar weiteren Sekunden ertönte etwas, das das Schluchzen einer Frau hätte sein können. Oskar runzelte die Stirn und sah dann langsam auf.

»Helft mir.«

Der Russe schluckte den trockenen Kloß in seinem Hals hinunter. »Das war englisch«, flüsterte er. »Das ist ein Scherz, oder?«

Oskar zuckte mit den Schultern. »Aber wie? Es gibt keine anderen Abhörgeräte, die mit diesem Ort verbunden sind, und wir sind weit entfernt von irgendwelchen externen Oberflächen- oder atmosphärischen Störungen.«

Grigori schloss die Augen und konzentrierte sich.

»Helft mir. Mein Name ist Ally … Ally Bennet.«

»Scheiße. Das muss ein Scherz sein.« Grigori stürzte sich auf den Lautsprecher und schaltete ihn hastig aus.

»Bestimmt ist es das.« Oskar lächelte unbehaglich. »Also tun wir jetzt, was wir immer tun: aufnehmen, aufnehmen, aufnehmen.« Er legte das Headset auf den Schreibtisch. »Und hör auf, den Geistern aus vierzehn Kilometern Entfernung zuzuhören.«

***

Einige Tage später lud Oskar die Aufnahme auf einer Spuk-Website in Moskau hoch, um sich einen Scherz zu erlauben und weil er wusste, dass es die Leute interessieren würde.

Eine Stunde später wurde sie von einer der amerikanischen Spionageagenturen aufgefangen, und nun hörten auch andere Ohren die seltsame Aufnahme einer Frau, die vierzehn Kilometer unter der Erdoberfläche um Hilfe rief.

Kapitel 2

Westlicher Pazifik, Marianengraben – elf Kilometer tief

»Du wirst es nicht glauben, aber ich denke, hier unten ist eine Höhle.«

Barry Gibbons verlangsamte das DSV (deep-submergence-vehicle) auf kaum mehr als eine treibende Geschwindigkeit. Die acht winzigen Propeller rund um das Fahrzeug arbeiteten stoßweise, um es in dem tiefschwarzen Wasser nahezu bewegungslos zu halten.

»Eine große, eine sehr große.« Er beugte sich vor und starrte aus der verstärkten Kuppelscheibe. »Das wird sich verrückt anhören, aber es sieht so aus, als gäbe es da drin eine Art Struktur.«

»Wie bitte, DSV Omaha? Sagten Sie Struktur? Wie von Menschenhand geschaffen?« Oben hörte sich Frank Abbott, der Leiter der Oberflächencrew, so an, als hätte er das Mikrofon näher an den Mund geführt.

»Das ist richtig, Frank. Aber ich habe nicht gesagt, dass es von Menschenhand gemacht wurde, oder?« Gibbons kicherte.

»Barry, sieh zu, dass du …«

»Ich nehme es auf. Verstanden, und …«, Gibbons startete die Videoaufzeichnung, »… gesendet.«

***

Frank Abbott, der sich im Überwachungs- und Kontrollraum des Schiffes befand, sah, wie der kleine Bildschirm zum Leben erwachte und die ersten Bilder zu sehen waren. Mit Mühe konnte er die riesige Höhle auf dem Grund des Marianengrabens ausmachen – der Wasserdruck dort unten betrug erdrückende acht Tonnen pro Quadratzoll, also etwa das Tausendfache des Drucks auf Meereshöhe. Außerdem war es knochentrocken, kalt und so lichtlos wie der Hades, sodass es verdammt schwer war, etwas Schwarzes in der bereits stygischen Schwärze zu erkennen.

Sie befanden sich gerade in einem unerforschten Bereich des Grabens, und angesichts der Tatsache, dass der massive Riss im Meeresboden 2414 Kilometer lang und im Durchschnitt etwa neunundsechzig Kilometer breit war, gab es dort unten eine Menge Land, dessen sich noch niemand auch nur genähert, geschweige denn gesehen hatte.

Abbott kniff die Augen zusammen; die übertragenen Bilder waren leider nicht so klar, wie er es sich gewünscht hätte, und bisher beschränkten sich die Übertragungen mehr auf die Lichtkreise der zahlreichen, leistungsstarken Lampen des DSV. Dahinter lag eine scheinbare Unendlichkeit des Nichts.

Er wusste, dass es in diesen Tiefen normalerweise eine Art Tiefseeschlamm gab, der aus zersetztem Gestein und Detritus besteht, der von oben herabregnete. Er erwartete einige große, stark gepanzerte Copepoden, einige klumpige Kopffüßer und gelegentlich einen seltenen, grätenlos aussehenden Fisch. Aber nicht jetzt.

Abbott saß mit offenem Mund da. Einige der anderen Crewmitglieder hatten sich von ihren eigenen Schalttafeln abgewandt und schauten ihm interessiert über die Schulter.

Er begann zu lächeln. »Das ist unmöglich.«

Es gab dort unten Säulen, hoch aufragende Bauwerke und Treppen … und wenn man die Greifarme des DSV zum Vergleich heranzog, hatte all das eine unglaubliche Größe und schien so alt zu sein wie die Zeit selbst.

Einige der Säulen waren zerbrochen oder zerbröckelt und mit graugrünen Moosen und seltsamen Gewächsen überwuchert, die wie monströse Spinnweben zwischen den alten Steinbauten hingen.

»Ist das eine Art versunkene Stadt?«, fragte Benson über Abbotts Schulter hinweg.

»Vielleicht, wenn die Bewohner Riesen waren«, antwortete Abbott. »Siehst du den Greifarm des DSV da vorne?«

»Ja.« Der Tontechniker rollte seinen Stuhl näher heran.

Abbott schaltete das Mikrofon ein. »Barry, schwebe und drehe dich langsam.«

»Verstanden.« Barry Gibbons im DSV verlangsamte sein Tempo und drehte das DSV in dem tintenschwarzen Wasser.

Die starken Lichter beleuchteten mehr von dem in Stein gehauenen Material an den Rändern des Lochs im Boden des Meeresgrabens. Vieles war noch außerhalb der Reichweite der Lichter, aber was sie sehen konnten, hatte gigantische Ausmaße.

»Hast du das drauf?«, fragte Gibbons atemlos und streckte die Klaue des Gefährts aus.

»Oh ja«, sagte Abbott über seine Schulter. »Diese Kralle hat einen Durchmesser von fünfundzwanzig Zentimetern. Nimm sie mal als Maßstab für die Trittstufe.«

Benson und die Gruppe um ihn herum beugten sich weiter nach vorne, und Abbott zoomte das Bild ein wenig zurück, als das DSV an der Seite der riesigen Stufe entlang manövrierte.

»Ach du heilige Scheiße. Ich dachte, das wäre eine Wand.« Benson blies Luft zwischen seinen zusammengepressten Lippen hindurch. »Dabei ist es nur eine der Stufen. Das ist vollkommen verrückt.«

Tatsächlich, die Treppenstufen hatten eine Höhe von etwa sechs Metern und führten von einer Plattform, die von zerbrochenen Säulen umgeben war, hinunter zum Rand des Lochs und dann immer weiter.

»Ich werde mir das mal genauer ansehen«, sagte Gibbons fast ehrfürchtig. »Over.«

Abbott nickte stumm und erinnerte sich dann daran zu sprechen. »Ja, okay, Barry, verstanden. Pass auf dich auf. Over.«

»Darauf kannst du wetten, Frank. Over«, antwortete Gibbons.

Das DSV drehte sich im Wasser und steuerte dann auf eine Öffnung zu, die eher einer höhlenartigen Wunde im Meeresboden glich.

Oben in der Kommandozentrale brach das Signal des DSV für einen Moment ab.

Abbott runzelte die Stirn. »Barry, bist du okay?«

»Ja, ja, aber sieh dir das an«, antwortete Gibbons aufgeregt.

Das übertragene Bild zeigte nun etwas, das mitten im Wasser hing.

»Sie sehen aus wie Felsen, hängen aber nur da und schweben.« Gibbons verharrte über dem Loch und streckte den Greifarm des DSV aus. Er stieß das Objekt an und erzeugte so ein festes Geräusch, als würde er auf Stein schlagen. Doch das Ding schwebte daraufhin davon wie ein Kinderluftballon.

»Vielleicht ist es wie eine Art Bimsstein.« Abbott sah Benson an und beide zuckten mit den Schultern.

»Ich verbuche es als eine weitere Anomalie unter all den anderen Anomalien.« Gibbons lachte. »Willst du noch etwas Seltsames hören? Das Wasser über diesem Loch ist warm, vierundzwanzig Grad warm. Das ist beinahe tropisch.«

»Das muss eine Art vulkanischer Schlot sein«, antwortete Abbott. Er überprüfte die Tiefenanzeige des Unterwassergefährts. »Barry, du bist jetzt elf Kilometer tief – auf dem Grund des Marianengrabens.«

»Und es gibt noch mehr zu tun.« Gibbons bewegte das DSV so, dass er in die riesige Leere hinuntersehen konnte. »Wir werfen jetzt eine Kugel ab.«

Nach einigen Sekunden ließ das DSV eine kleine, runde Leuchtkugel fallen, die Licht in alle Richtungen ausstrahlte. Sie war beschwert und hätte daher in den Abgrund stürzen müssen, doch stattdessen schwebte sie nun auch im Wasser, genau wie die Steine.

»Es wirkt so, als hätte alles über diesem Loch einen negativen Auftrieb, aber ich kann keine Strömung feststellen«, meinte er. Dann sagte er: »Ich bringe sie am besten rein.«

»Verstanden.« Abbott konnte seinen Blick nicht abwenden. Er konnte nicht einmal blinzeln. Gibbons startete die Motoren des DSV und begann, in die Leere hinabzusinken.

Fast sofort fing der Bildschirm an, statisch zu flackern. »Wow«, sagte Barry Gibbons nun.

»Sprich mit mir, Barry. Was ist los?«

»Ich bin drin. Aber es ist total seltsam. Denn ich nehme stetig Fahrt auf, obwohl es hier keine Strömung gibt«, antwortete er.

Auf dem Bildschirm gab es kein Anzeichen von rauschendem Wasser oder Turbulenzen, aber die Tiefenanzeige des DSV begann sich mehr und mehr zu beschleunigen.

»Was zum Teufel ist da los?« Abbotts Brauen zogen sich zusammen.

»Mein Gott, Barry, zieh hoch, du beschleunigst immer mehr.«

»Ich … kann nicht … (knisterndes Rauschen) … aufhören …« Barry Gibbons klang, als würde er sich extrem anstrengen, und Abbott sah vor seinem inneren Auge, wie dieser mit aller Kraft die Kontrollhebel zurückzog.

Dann wurde der Bildschirm komplett schwarz.

»Was ist passiert?«, schrie Abbott. »Wie ist der Stand der Dinge?«

»Er ist noch da, schwebt aber zu Boden … und zwar schnell«, erwiderte Benson.

»Zieh dich zurück, Barry. Hast du mich verstanden? Zieh dich zurück, um Himmels willen.« Abbott stand halb, während er sich über die Konsole beugte.

»Zehn Kilometer … zwölf … vierzehn …« Benson schüttelte den Kopf. »Vierundzwanzig … und er beschleunigt weiter.«

»Das ist unmöglich. So tief kann dieses Loch nicht sein!«, schrie Abbott erschrocken.

»Er ist weg.« Benson lehnte sich zurück, sein Gesicht war schweißüberströmt. Er drehte sich um. »Er ist verschwunden.«

»Implosion.« Abbott lehnte sich ebenfalls langsam in seinem Stuhl zurück.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Benson. »Das Signal wurde ausgeblendet, nicht abgeschnitten. Es ist eher so, dass er …«

»Als ob er einfach außer Reichweite wäre, weil er immer tiefer getaucht ist«, flüsterte Abbott. Er drehte sich um und sah ihn an. »Aber wohin?«

Kapitel 3

Boston, Massachusetts - Ellery Street

Matt Kearns pfiff leise, als er an seinem Haustor anhielt, um den Briefkasten zu öffnen. Darin befanden sich mehrere Briefe, die meisten davon diese lästigen mit den kleinen Plastikfenstern vorne, die einem mitteilten, wie viel man jemandem schuldete.

Er klemmte sie unter seinen Arm und griff nach dem letzten Stück, einem kleinen Karton aus einem Ort namens Huntsville, Alabama.

Er drehte ihn um und schüttelte ihn dann vorsichtig. Darin befand sich offenbar etwas Kleines, das allerdings schwer war, ungewöhnlich schwer. Er schloss seinen Briefkasten, während er noch einmal die Handschrift auf der Vorderseite betrachtete – ordentlich, professionell und mit Kugelschreiber geschrieben.

Matt konnte sich nicht erinnern, ob er in letzter Zeit irgendetwas online bestellt hatte, aber er war von dem kleinen Paket unwillkürlich fasziniert.

Als er durch die Haustür trat, warf er die Briefe auf das Eingangstischchen und ging zuerst in die Küche, um sich ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen. Er warf einen Blick auf das Telefon, um zu sehen, ob es irgendwelche Nachrichten gab – es gab keine – und ging dann in das vordere Zimmer, wo das ganze Licht durch die Fenster strömte.

Er ließ sich auf die Couch fallen, trank einen Schluck Bier – einen großen – und machte sich dann daran, die Verpackung des Kartons, die aus braunem Packpapier und viel zu viel Klebeband bestand, zu öffnen.

Er brauchte einige Zeit, da es mehr Schichten gab, als er erwartet hatte, aber schließlich gelangte er zu einer normal aussehenden Schachtel, und als er den Deckel öffnete, fand er darin Watte. Er zog die oberste Schicht ab und seine Augenbraue hob sich.

»Whoa«, flüsterte er. »Hallo, meine Schöne.«

Matt hob die nicht ganz dollargroße Münze heraus und hielt sie in die Höhe. Am Gewicht konnte er sofort erkennen, dass es sich um Gold handelte. Und sie war alt … sehr alt. Auch Gold konnte mit dem Alter oxidieren und verfallen, aber das dauerte Tausende von Jahren.

Er legte die schwere Münze auf den Tisch, schob sein langes Haar zurück, beugte sich darüber und musterte sie eingehend. Auf der Seite, die er betrachtete, war ein menschlicher Kopf zu sehen, allerdings mit drei Gesichtern. Ein König oder Könige vielleicht, dachte er.

Am äußeren Rand befand sich eine Inschrift, die er aber nicht entziffern konnte. Er drehte die Münze um.

»Heilige Mutter Gottes.«

Die dargestellte Bestie war absolut abscheulich und fesselnd zugleich. Sie kam ihm seltsam bekannt vor, irgendetwas nagte an seiner Erinnerung. Das hünenhafte Ding besaß Ranken oder Tentakel, die von einem monströsen Gesicht mit hypnotischem Blick herabhingen, und riesige Arme, die in greifenden Klauen endeten.

»Ich habe dich schon mal irgendwo gesehen.« Matt rieb sich kurz das Kinn, bevor er aufsprang und zu seinem Schreibtisch hinüberging. Er zog die oberste Schublade heraus und schnappte sich seine Lupe. Auf dem Rückweg nahm er noch ein paar uralte, in Leder gebundene Bücher aus dem Regal und ließ sich dann wieder auf die Couch fallen.

Matt schlug das Größte seiner Bücher auf; es war ein alter kryptozoologischer Text über Fabelwesen aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Er hatte schon eine Ahnung, wonach er suchte, deshalb fand er es schnell. Er lehnte sich zurück.

»Dagon«, flüsterte er. »Der Schläfer unter uns.«

Matt stürzte nach vorne, griff nach der Lupe und konzentrierte sich auf die winzige Inschrift. Langsam begann er zu grinsen – er erkannte sie nicht und konnte sie daher auch nicht lesen, und das erregte ihn noch mehr.

Matt war einer der – wenn nicht sogar der –beste Paläolinguist der Welt, und wenn er die Schrift nicht kannte, dann kannte sie niemand.

»Eine neue Sprache also. Danke, wer immer du auch bist« Er nahm die Schachtel wieder in die Hand und zog die restliche Watte heraus. Am Boden befand sich ein kleiner Zettel. Er las ihn aufgeregt.

Die verlorene Stadt in der Kristallhöhle.

Als er den letzten Satz las, blieb ihm der Mund offen stehen.

Diese existiert im Mittelpunkt der Erde.

Kapitel 4

Universität von Alabama, Huntsville - Hörsaal M106 - heute

Jane Baxter stand auf dem Podium und fühlte sich nach zwei Jahren Pause vom Unterrichten sofort wieder wie zu Hause.

Zurück zu meinen Wurzeln, dachte die Biologielehrerin, die nach ihrem Besuch in der riesigen Welt im Mittelpunkt der Erde ihren Doktor in Evolutionsbiologie gemacht hatte – ihr Geheimnis und ihr Kreuz, das sie zu tragen hatte.

Aber das Vermächtnis ihrer Reise lebte in ihr weiter, und sie zog unwillkürlich den Kragen ihres Hemdes ein wenig höher, um die Hautkrebs-Läsionen zu verbergen, die sich an ihrem Hals gebildet hatten. Sie befanden sich auch auf ihrem Rücken und waren nach Ansicht der Onkologen unbehandelbar, aggressiv und würden sie schließlich auffressen, genau wie die alte Russin Katya Babikov.

Sie spürte ein Ziehen im Magen, da sie wusste, dass es Mike Monroe noch viel schlechter ging als ihr. Es schien so, als ob ihre Neugier oder Dummheit einen hohen und schrecklichen Preis gehabt hatte.

Jane verdrängte die morbiden Gedanken und atmete den beruhigenden Geruch von altem Holz, Bodenreiniger und Whiteboard-Marker ein. Das war genau das, was sie jetzt brauchte, um sich von dem Blatt abzulenken, das sie und Mike bekommen hatten.

Jane lächelte, als sie hörte, wie die Schüler begannen, den Saal zu füllen. Es war eine Mischung aus Gemurmel, Husten, Lachen, schlurfenden Füßen und Büchern, die auf die Schreibtische geknallt wurden. Einige waren voller Enthusiasmus, andere träge, und wieder andere waren nur hier, um ein paar zusätzliche Credits für die Universität zu bekommen oder um nach einer anstrengenden Nacht eine zusätzliche Stunde Schlaf zu kriegen.

Doch es spielte keine Rolle, sie liebte sie trotzdem alle und hatte das Ganze vermisst. Der Job war mehr als eine Belohnung, denn er war sicher und sie fühlte sich geborgen. In gewisser Weise war er psychologisches Jod, mit dem sie ihre seelischen Wunden versorgen konnte.

Es war mittlerweile ein Jahr her, dass sie und Mike aus der Gadime-Höhle im Kosovo geklettert waren. Alle, die mit ihnen gereist waren, waren verloren gegangen, und zwar auf brutale Weise. Über Harris und Ally, die nie wieder aufgetaucht waren, schwebte immer noch ein großes Fragezeichen. Aber sie mussten tot sein. Das mussten sie einfach.

Sie und Mike waren jetzt ein Paar, und anfangs hatten sie ihre Geschwüre mit den Resten der Salbe des roten Volkes eingerieben, die er aufbewahrt hatte, und es hatte funktioniert. Aber als ihnen die Salbe ausging, kam der Krebs zurück, und zwar größer und noch hungriger nach mehr von ihrem Fleisch.

Kurz bevor Mike sie verlassen hatte, hatte Jane eines Morgens vor ihrem Ganzkörperspiegel gestanden und sich untersucht. Bekleidet konnte sie den Krebs vergessen, denn sie und Mike waren beide noch körperlich stark, aber nackt erinnerte ihre Haut sie an einen Anzug, in den die Motten eingedrungen waren und winzige Löcher im Stoff hinterlassen hatten.

Mike hatte ihren Blick bemerkt, reumütig gelächelt und gesagt: »Sieht so aus, als würden wir doch noch lebendig gefressen werden.«

»Es ist schrecklich, so etwas zu sagen«, hatte sie erwidert, es aber sofort bereut, denn er hatte nur versucht, ihre missliche Lage mit Humor zu erhellen. Doch es war schrecklich, weil es so wahr war, und sie hasste es.

»Ich werde uns niemals aufgeben. Ich werde das in Ordnung bringen«, hatte er zu ihr gesagt. Dann hatte er sie angefleht, mit ihm in seine Hütte zu kommen, um dort von der Natur umgeben zu sein, und nicht von Beton, Glas, Smog und schreienden Stimmen. Sie hatte sich nicht dagegen gewehrt, weil sie es verstanden hatte, aber sie war nicht mit ihm gegangen. Noch nicht, dachte sie nun.

Jane rieb sich eines der Geschwüre an der Schulter, seufzte und schenkte ihren Vorlesungsunterlagen ein schiefes Lächeln, als sie diese zusammenstellte. Es kam ihr so vor, als würden Schmetterlinge in ihrer Magengrube kribbeln, und sie atmete mehrmals tief durch.

Konzentriere dich, verlangte sie von sich selbst, du brauchst das. Also holte sie tief Luft und überflog den Titel auf der ersten Seite: Die Evolution der Giganten.

Ihr biologischer Hintergrund und das, was sie durchgemacht hatte, zwangen sie dazu, eine Expertin zu werden … das war die Art, wie sie ihre Dämonen austrieb … durch eine Art Exorzismus im Hörsaal. Sie sprach darüber, als wäre es ein Laborexperiment, tat so, als wäre es jemand anderem passiert, und schaffte so eine Distanz zwischen den schrecklichen Ereignissen und der neuen Jane Baxter, die sie heute erschaffen wollte.

Sie schaute auf ihre Uhr: 14:01 Uhr. Zeit, loszulegen.

Jane klopfte auf das Rednerpult, um den Raum zum Schweigen zu bringen und blickte auf die Reihen jugendlicher Gesichter – sehr viele Gesichter – ein volles Haus. Es mussten hundertfünfzig Leute sein. Das Interesse an ihrem Thema war äußerst erfreulich.

Janes Vortrag befasste sich mit dem Gigantismus, der durch die Evolution hervorgerufen wurde, und konzentrierte sich auf die riesigen Meerestiere von heute und die aus der Vergangenheit unserer Welt, und wie die Evolution immer eine Nische mit dem Rohmaterial füllt, das sie finden kann.

Sie begann: »Am Anfang war das Meer. Nur das Meer.« Sie drückte auf die Tasten, um einen Stummfilm auf die Leinwand hinter sich zu projizieren. »Lassen Sie mich Sie in die Vergangenheit entführen … in die warmen Gewässer der Devon-Periode, vor etwa vierhundert Millionen Jahren.«

Das Bild auf dem Bildschirm zeigte zunächst grellen Sonnenschein auf einer endlosen Wasserfläche, bevor es nach unten abtauchte, wo Vorhänge aus Licht in die seichten Tiefen reichten.

»Es war warm, fast dreißig Grad, und es gab keine polaren Eiskappen, sodass der Meeresspiegel viel höher war als heute. Die Ozeane waren größer als zu jeder anderen Zeit. Unsere Erde war tatsächlich eine Wasserwelt.«

Das Video lief weiter, als ob sie durch das Wasser gleiten würden. Jane blickte kurz auf und sah, wie sich das blaue Leuchten des Bildschirms auf den jugendlichen Gesichtern spiegelte.

»Zu Beginn des Devon gab es noch kein Leben an Land. Aber unten, in den riesigen Ozeanen, explodierte die Vielfalt der Lebewesen. Und auch wenn es nur wenige Raubtiere gab, gediehen diese Lebewesen und wurden groß. Doch irgendwann reagieren die Raubtiere darauf, indem sie ebenfalls groß wurden, um die anderen Lebewesen erbeuten zu können.«

Der Film zeigte nun einen Trilobiten, der sich mit seinen vielen spindeldürren Beinen über den sandigen Meeresboden bewegte. Dann zog ein Schatten über ihn hinweg.

Die gepanzerte Kreatur kauerte sich zusammen, als sie die Bedrohung spürte, aber es nützte nichts. Riesige Klauen packten sie vom Meeresgrund und hielten sie fest, bevor sie sich in sie hineinkrallten und das Wasser mit einem Nebel aus Blut und Fleischfetzen füllten.

Die Kamera fuhr zurück und zeigte einen riesigen, gepanzerten Gliederfüßer, der wie eine Mischung aus Spinne, Hummer und Skorpion aussah.

»Eines der ersten Super-Raubtiere, das auf unserem Planeten gelebt hat – der Eurypterus Jaekelopterus, der riesige Seeskorpion.«

Jane hielt inne, um die Oohs und Aahs abklingen zu lassen.

»Er war 2,70 Meter lang und auf Schnelligkeit ausgelegt. Er hatte große, sechsundvierzig Zentimeter lange Klauen mit eingebetteten Zähnen, um seine Beute packen zu können, sowie den nach vorne gerichteten stereoskopischen Blick eines Jägers. Das Devon war eine Zeit, in der Gliederfüßer die Welt beherrschten.«

»Dann haben wir ja Glück, dass es nicht gehalten hat, hm?«, kam eine Stimme aus dem Publikum.

»In der Tat, das haben wir.« Sie blickte auf, aber die Gesichter lagen im Dunkeln. Sie fuhr fort: »Das Devon war auch eine Zeit des massiven Wandels der Lebensformen.«

»Adaptive Strahlung.« Wieder diese Stimme. Sie klang zu erwachsen für einen Studenten.

»Ja, ein Begriff, der explosive und vielfältige Veränderungen beschreibt. Leben explodierte in den Meeren, dann besiedelten Pflanzen das Land, und schließlich entwickelten sich überall auf der Welt Knochenfische. Anschließend folgten die Tiere, Gliederfüßer und Tetrapoden und verließen die Ozeane.«

Sie lächelte reumütig. »Die Gliederfüßer hatten einen Vorsprung, aber die Fische entwickelten effizientere Lungen und wurden zu Amphibien. Dann lernten sie, trockene Eier zu legen, die nicht im Wasser ausgebrütet werden mussten. Danach wurden sie immer größer. Es war Spiel, Satz und Sieg für die Gliederfüßer, die damit die anderen auf den zweiten Platz zurückgedrängt hatten.«

»Aber stellen Sie sich vor, wenn sie gewonnen hätten – die Arthropoden meine ich – wie die Welt dann jetzt aussehen würde. Können Sie sich das vorstellen? Ich denke, es wäre eine sehr beängstigende und gefährliche Welt.«

Sie blickte auf und suchte die Reihe ab, aus der die Stimme gekommen war. Dort befand sich eine überdurchschnittlich große Gestalt, aber das Gesicht war immer noch nicht zu erkennen. Sie würde noch einmal nachsehen, wenn das Licht wieder angeschaltet wurde.

»Fahren wir fort.« Sie drückte auf die Tastatur, um den Film weiterlaufen zu lassen. »Die Ozeane haben uns die ersten Giganten geschenkt.«

Auf dem Bildschirm waren ein paar wippende Ammoniten zu sehen, aufgerollte Muscheln mit großen Augen und Tentakeln, die aus dem offenen Ende herauswuchsen. Dann tauchte etwas aus dem blauen Dunst der Meerestiefen auf.

»Die ersten echten Riesen, die Meeresreptilien oder Fischechsen, erschienen in der Trias und beherrschten schnell die Meere.«

Auf dem Bildschirm erschien nun etwas, das wie ein riesiger Delfin mit spitzem Kopf aussah, nur dass sich sein Schwanz wie bei einem normalen Fisch hin und her bewegte.

»Der Ichthyosaurier wurde bis zu fünfzehn Meter lang und konnte sich für etwas so Großes extrem schnell bewegen.«

Die Menge pfiff vor Ehrfurcht, und Jane blickte auf. »Ich weiß, es ist ein großes Tier, aber 2016 wurden an einem Strand im Südwesten Englands bei einem gewaltigen Sturm die Überreste von Shonisaurus sikanniensis freigelegt, einer Ichthyosaurierart, die sechsundzwanzig Meter lang war – fast so groß wie ein Blauwal.«

Sie wandte sich kurz dem Bildschirm zu, als der riesige Fisch aus dem tiefen Blau auftauchte und an der Kamera vorbeischwamm. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er an ihnen vorbeigeschwommen war, und dann schwenkte ein Auge herum, das so groß wie ein Lkw-Reifen gewesen sein musste, und warf der Kamera einen glasigen Blick zu, bevor er weiter in das endlose blaue Wasser tauchte.

Die Kamera zoomte zurück, um sich hoch über den Ozean und dann über den Planeten zu erheben, und sie sahen zu, wie der einzelne riesige Kontinent zu zerbrechen begann.

»Spät in der Trias führte die Ausbreitung des Meeresbodens zu einer Spaltung zwischen dem nördlichen und dem südlichen Teil von Pangaea, das sich in zwei Kontinente aufspaltete, Laurasia und Gondwana, die in der Jurazeit vollendet werden sollten. Unsere vertraute Welt begann schon damals Gestalt anzunehmen.«

Dann folgte der Film den Küstenlinien und flachen Meeren, die kilometerweit ins Landesinnere reichten und die Jagdgründe der furchterregenden Mosasaurier gewesen waren. Dann ertönte ein Geräusch wie das tiefe Dröhnen eines rollenden Donners, und der Bildschirm wurde für einen Moment schwarz.

»Aber alle Dinge müssen enden.« Jane legte den Kopf schief und sah zu, wie die letzten Szenen des Films einen Ring aus Rauch und Feuer zeigten, der sich über den Globus bewegte. »Vor fünfundsechzig Millionen Jahren schlug ein Asteroid vor der Halbinsel Yucatan im Golf von Mexiko mit der Kraft von zehn Milliarden Atombomben auf der Erde ein. Er ließ Waldbrände über Tausende von Kilometern wüten, während eine riesige schwefelhaltige Wolke die Sonne auslöschte und den gesamten Planeten in einen jahrzehntelangen globalen Winter stürzte. Die furchterregenden Giganten von Land und Meer gingen dabei zugrunde.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber ohne das darauffolgende Massenaussterben hätten die Menschen nie die Chance gehabt, sich weiterzuentwickeln.«

»Ms. Baxter, glauben Sie, dass sich andere Riesen entwickeln werden – oder sich bereits entwickelt haben und wir es nur noch nicht wissen?« In der erwachsenen Stimme klang ein Lächeln mit. »Vielleicht sind sie ja irgendwo vor uns versteckt.«

Sie zuckte zusammen und ärgerte sich sofort darüber, dass sie sich immer noch aus dem Gleichgewicht bringen ließ. Aber diese Andeutung klang ein wenig zu wissend, und das verunsicherte sie.

Sie versuchte, sich zu beruhigen, und setzte ein Lächeln auf. »Wie ich bereits erwähnt habe, hasst die Natur das Vakuum einer leeren Nische und füllt es daher rasch. Aber im Moment gibt es kein Vakuum, und die Evolution braucht Millionen von Jahren. Vielleicht wird es eines Tages eines geben, aber wir werden es nicht mehr erleben.«

Sie blieb stehen und sah zu den Rängen auf. »Gibt es Fragen?«

Es gab viele, aber sie schaffte es, sie alle beim Thema zu halten.

Aus einer hinteren Reihe fragte ein Schüler: »Glauben Sie, dass die Beispiele für Seeskorpione, die Sie uns gegeben haben, die größten waren, die diese Arten je erreicht haben?«

Jane dachte einen Moment lang darüber nach und zuckte dann mit den Schultern. »Vielleicht.« Sie drehte sich um. »Aber unwahrscheinlich.« Sie lehnte sich auf ihren Schreibtisch. »Sehen Sie es mal so: Der Durchschnittsmensch in den USA ist etwa 1,75 m groß.« Sie lächelte. »Aber George Bell, der von Guinness World Records als der größte Mann der Vereinigten Staaten anerkannt wurde, ist 2,33 m groß. Das sind dreißig Prozent mehr als der Durchschnitt.«

Sie kam um ihren Schreibtisch herum. »Was ich damit sagen will, ist, dass es immer Ausreißer gibt. 1,75 m ist der Durchschnitt. Aber selbst in diesem Saal gibt es eine Menge Leute, die größer sind als 1,80 m. Es gibt auch eine ganze Reihe von Leuten über 1,90 … und dann gibt es noch ein paar wie George Bell, die über zwei Meter groß sind. Sie sind selten, aber sie sind da draußen.«

Die Zeit war wie im Flug vergangen, und sie hatte den Kurs sehr genossen. Sie hatte auch das Gefühl, dass es den Schülern gefallen hatte.

»Damit kommen wir zum heutigen Finale – der größten Kreatur, die jemals in unseren Ozeanen gelebt hat und jemals leben wird.« Sie rief das letzte Bild eines riesigen Tieres auf. »Der Blauwal ist mit einer Länge von über achtunddreißig Metern sogar noch neun Meter länger als der riesige Ichthyosaurier. Er ist auch die schwerste Kreatur, die jemals gelebt hat. Diejenigen unter Ihnen, die den Verlust der mächtigen Meeresreptilien bedauern, sollten sich daran erinnern, dass wir immer noch in einem Zeitalter der Giganten leben.«

Jane beantwortete die letzten Fragen, schloss die Vorlesung und beobachtete, wie die Studenten, so laut wie sie hereingekommen waren, auch wieder hinausgingen.

»Eine Frage noch, Professor Baxter.« Es war die erwachsene Stimme aus ihrer Vorlesung. »Es stimmt, der riesige Blauwal ist das größte Meerestier, das je gelebt hat …«, er hob die Augenbrauen, »… auf der Oberfläche des Planeten. Aber vielleicht leben irgendwo anders noch größere Dinge, oder?«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Sie starrte ihn an, aber der Typ starrte einfach zurück.

»Was ist mit den legendären Bestien? Giganten wie der Krake oder der Leviathan …« Sein Lächeln blieb bestehen. »Oder vielleicht Dagon?«

Jane schaltete nun hastig das Licht im Raum an.

Der noch sitzende Mann war zu alt, um ein Student zu sein, und außerdem viel zu gut gekleidet. Er besaß die Bräune von jemandem, der an die freie Natur gewöhnt war, aber er wirkte zu geschniegelt, um jemand zu sein, der draußen arbeitete und hatte eher die gebräunte Haut von jemandem, der auf dem Deck von Schnellbooten lag.

»Soweit wir wissen, und das tun wir«, antwortete Jane, »gibt oder gab es nichts Größeres. Der Fossilbericht lügt nicht.«

»Sie haben Ihren Schülern doch gerade erklärt, dass Ausreißer manchmal im Verborgenen bleiben.« Er lächelte und behielt die Wärme in seiner Stimme bei.

»Nun, nach Jahrhunderten der Fossiliensuche an Land und im Meer sind wir zuversichtlich, dass wir eine gute Vorstellung davon haben, was einst existiert hat.« Sie zuckte mit den Schultern. »Und der Blauwal ist immer noch der König.«

»An der Oberfläche«, wiederholte er. »Haben Sie jemals von einem Russen namens Arkadi Saknussov gehört?«, fragte er. »Er hatte eine Theorie über die hohle Erde.«

Jane hob ihren Blick zu dem Mann und starrte ihn mehrere Sekunden lang an.

Ganz ruhig bleiben, forderte sie von sich selbst. Betont langsam schüttelte sie den Kopf. »Ich bin Wissenschaftlerin und habe mich daher heute nur mit der Realität beschäftigt. Aber vielleicht halte ich in Zukunft auch mal einen Vortrag

über mythologische Bestien. Das ist ein äußerst interessantes Thema, auch wenn es für mein Fachgebiet etwas kryptisch ist.«

»Ich bewundere Sie, Ms. Baxter.« Er behielt sein Pokerface bei.

Janes Brauen zogen sich zusammen. »Kennen wir uns?«

Der Mann stand auf und ging auf das Rednerpult zu. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie so überfalle, aber ich habe mich schon darauf gefreut, Sie kennenzulernen.«

Er lächelte sie mit einem perfekten Gebiss an. »Janus Anderson.« Er streckte eine Hand aus. »Ich bin Berater für private und öffentliche Einrichtungen, und habe mich auf Bergung und Wiederherstellung spezialisiert.«

Jane ergriff seine Hand. »Nun, Sie wissen ja schon, wer ich bin.« Sie wartete.

»In der Tat, das weiß ich.« Er deutete auf den Bildschirm. »Sie haben eine sehr gute Präsentation gehalten – informativ, faktenbasiert und unterhaltsam. Es scheint Ihnen außerdem genauso viel Spaß zu machen wie Ihren Schülern.«

Sie seufzte. »Mr. Anderson …«

»Janus.«

»Mr. Anderson, was kann ich für Sie tun?«, fragte sie und begann, ihre Notizen zusammenzusuchen.

»Ich, oder besser gesagt meine Firma, finde Dinge, Ms. Baxter. Dinge, die kürzlich verloren gegangen sind, und auch Dinge, die vor langer Zeit verloren gingen.«

»Lassen Sie mich raten: Schiffswracks und dergleichen.« Ihre Lippen formten sich zu einem Strich, während sie weiter packte.

»Ja, aber alles andere auch. Es gibt nichts, was ich nicht finden kann, und nichts, wo ich nicht hinkomme. Ich finde auch verlorene Leute.« Er holte sein Handy aus der Tasche und suchte einen Moment lang, bevor er auf Play drückte und ihr das Handy hinhielt.

»Helft mir.«

Es folgten ein paar Fetzen in russischer Sprache. Und dann: »Helft mir! Mein Name ist Ally. Ally Bennet.«

Jane schlug sich die Hand vor den Mund und hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Sie starrte ihn schockiert an. »Sie Mistkerl!«

Er nickte. »Man hat mich schon Schlimmeres genannt.« Sein Lächeln war schief. »Ich weiß, dass Sie sterben, und Sie wissen, dass Sie sterben. Aggressive Karzinome, hervorgerufen durch verschiedene Formen von Strahlung. Das gilt auch für Mike Monroe.«

Janus setzte sich auf den Platz direkt vor ihr und beugte sich vor, während er seine Hände im Schoß verschränkte.

»Ally Bennet ist noch da unten … und sie ist am Leben.« Er nickte langsam. »Die Regierung will sie zurück.«

»Sie sind verrückt. Vergessen Sie es.« Sie wandte den Blick ab.

Er seufzte. »Wenn Sie da unten gefangen wären, würden Sie wollen, dass wir das Ganze vergessen, oder sollten wir Sie holen?«

Ihr Kopf ruckte hoch und sie starrte ihn an. Sie war verblüfft über sein Wissen über ihren und Mikes Zustand und darüber, was er über alles wusste.

»Woher wissen Sie das alles? Über mich und Mike, und … Ally?« Sie hasste es, dass ihre Stimme ein wenig zittrig klang.

»Wie ich schon sagte, ich bewundere Sie und Mike.« Er behielt sein Lächeln bei. »Was Sie beide getan haben, wohin Sie gegangen sind und was Sie durchgemacht haben, übersteigt alles, was man auf diesem Planeten begreifen kann.« Er zuckte mit den Schultern. »Nur eine Handvoll Menschen weiß davon.« Er schnaubte leise. »Und die meisten von ihnen sind Russen.«

»Kommen Sie auf den Punkt.«

»Ms. Baxter … darf ich Sie Jane nennen?« Er hob sein Kinn.

»Nein.«

»Also noch nicht.« Er grinste, aber das Grinsen verschwand bald wieder. »Sie haben mich gebeten, zum Punkt zu kommen. Das werde ich jetzt auch, also entschuldigen Sie bitte meine Unverblümtheit.«

Jane wartete.

Janus richtete sich auf. »Wir glauben, dass Ally Bennet noch am Leben ist. Sie ist unter der Erde gefangen.« Die Augen des Mannes waren starr. »Eine Abhörstation im Kola-Superdeep-Bohrloch hat ihre Stimme vor zwei Tagen aufgezeichnet. Wir wollen sie zurückholen, und unsere Regierung hat mir unbegrenzte Vollmachten erteilt, um das erreichen zu können.«

Er holte tief Luft und ging einen Moment lang auf und ab, bevor er stehen blieb und sich ihr zuwandte. »Ich weiß, dass Sie und Mike an aggressivem Karzinomkrebs sterben werden. Jetzt sind Sie noch stark und der Krebs hat noch keine inneren Metastasen gebildet, aber er wird es.« Seine Augenbrauen zogen sich traurig zusammen – ob es echt oder gespielt war, konnte sie nicht sagen. »Das wird kein angenehmer Tod werden.«

Jane spürte, wie Wut in ihr aufflammte, weil dieses arrogante Arschloch gerade ihr Leben und ihre Zukunft vor ihr ausbreitete. »Verdammt, wer hat Ihnen das alles erzählt?« Sie blieb stehen, als hätte sie einen Schlag auf den Kopf bekommen. »Mike?«

Janus nickte langsam. »Ja. Er will nicht sterben, aber was ihm noch wichtiger ist: Er will nicht, dass Sie sterben. Nicht auf diese Art und Weise.« Er seufzte leise.

Sie bedeckte ihr Gesicht und rieb es. »Ich kann nicht.« Sie blickte von ihren Händen auf. »Ich mochte Ally, aber ich kann es einfach nicht tun. Ich kann nichts tun, ich kann ihr nicht helfen.«

»Das weiß ich«, antwortete Janus leise. »Mike hat uns eine Menge Informationen gegeben, mit denen wir arbeiten können. Er hat uns detaillierte Beschreibungen der Lebensformen gegeben, denen Sie begegnet sind und der Geräte und Techniken, die Sie benutzt haben, um zu überleben.«

»Wir haben nicht überlebt, Mr. Anderson. Alle sind gestorben, außer Mike und mir, nur das wir dass Vergnügen haben werden, langsamer zu sterben, und …«

»Aber Sie haben überlebt. Vergessen Sie das nicht.« Er unterbrach sie. »Und Ally ist auch noch am Leben.«

Ihr Mund klappte zu und ihre Kiefer mahlten.

Janus fuhr fort: »Wir konnten die russische Impulswaffe nicht reproduzieren, und sie geben die technischen Einzelheiten nicht preis. Doch wir waren in der Lage, Ihren Schallkäfer zu bauen, oder zumindest ein Gerät, das die Tonhöhe erreicht, die sich in den Höhlen als so effektiv erwiesen hat. Unterm Strich werden wir dorthin gehen. Wir müssen es tun.«

»So ein Blödsinn!«, stieß sie hervor.

Er runzelte die Stirn. »Was?«

Jane lachte vergnügt. »Ich glaube nicht eine Sekunde, dass Sie das tun, um Ally Bennet zu retten, falls sie überhaupt noch lebt.«

Janus atmete langsam aus und setzte sich schwerfällig hin. Er hielt die Hände in die Höhe. »Sie haben recht. Sie haben mich erwischt«, erwiderte er. »Aber wir haben wirklich die Absicht, eine Rettungsaktion für unsere vermisste Soldatin zu starten.« Er bekreuzigte sich. »Bei meiner Ehre.«

»Und was noch?«, fragte sie scharf.

»Es gibt mehrere Gründe.« Janus verschränkte die Arme vor der Brust. »Wissen Sie, wie viele Menschen jedes Jahr an Hautkrebs sterben oder daran erkranken? Ich kann es Ihnen sagen – etwa drei Millionen. Die Pharmakonzerne schätzen, dass ein Heilmittel oder eine Behandlung für diese Form von Krebs Milliarden von Dollar kosten wird.« Er beugte sich nach vorne. »Und wenn es in irgendeiner Weise gegen andere Krebsarten eingesetzt werden kann, geht es sogar um Hunderte von Milliarden Dollar. Jedes Jahr.«

»Ich wusste es! Es geht nur um Geld.« Sie knurrte. »Es gibt immer irgendein reiches Arschloch, das noch mehr Geld verdienen will.«

Janus' Augen fixierten ihre. »Jane, zu Ihrer Information: Ich habe mich selbst hochgearbeitet. Ich weiß also ganz genau, dass es für jedes Arschloch, das mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wurde, tausend andere gibt, die mit einem Dorn im Fuß geboren wurden.« Seine Augenbrauen gingen nach oben. »Halten Sie außerdem ein Heilmittel für Krebs nicht für wichtig? Nicht einmal für Sie und Mike?«

»Wagen Sie es bloß nicht, das Ganze auf mich zu schieben«, erwiderte sie.

Er schüttelte den Kopf. »Das tue ich nicht.«

Jane kniff die Augen zusammen, während sie sprach. »Sie haben keine Ahnung, was da unten ist.« Ihre Augen öffneten sich wieder, und sie drehte sich zu ihm um. »Etwas Größeres und Schrecklicheres, als Sie sich vorstellen können.«

Janus' Augen waren starr. »Wir werden auf alles vorbereitet und bis an die Zähne bewaffnet sein.«

»Sie sind total verrückt. Die Bewaffnung, die Sie brauchen würden … allein der Weg dorthin, durch kilometerlange Höhlen, enge Löcher und Tausende Meter tiefe Abgründe, ist absolut unmöglich. Vergessen Sie es.«

»Nein, das Ganze ist sehr gut möglich, denn wir haben nicht vor, uns durch die Höhlen zu quetschen, die Sie durchquert haben, um dorthin zu gelangen. Wir glauben, dass wir eine der von Ihnen erwähnten Schwerkraftquellen im Meer gefunden haben, die uns direkt dorthin führen wird.«

»Das ist absolut verrückt.« Sie sammelte ihre Notizen und ihren Laptop ein.

Janus stand auf. »Wenn wir verrückt sind, dann ist Mike es auch, denn er will mitkommen.«

Jane blieb für ein paar Sekunden der Mund offen stehen, und sie konnte nicht einmal Worte formulieren.

»Es ist wahr. Wir haben sogar versucht, auch seinen Bruder mit an Bord zu kriegen … Jack Monroe.« Janus' Blick war fest.

»Den Haispezialisten?« Jane starrte nur vor sich hin, aber ihre Gedanken überschlugen sich.

»Das ist richtig. Aber anscheinend jagt er gerade irgendwo im Südpazifik einen riesigen Hai.« Janus zuckte mit den Schultern. »Jane, sehen Sie mal, alles, was Mike will, ist, dass wir mehr von der Salbe bekommen, die Krebs heilen kann, von der Rasse der roten Menschen, die Sie dort unten getroffen haben. Er will es für Sie tun, Jane.«

Sie senkte den Kopf. »Nein!« Sie sah auf. »Sie wissen, dass er bereits zu krank dafür ist. Er wird diese Reise nicht überleben.«

»Wir fahren mit speziell entwickelten Tauchbooten über den Ozean. Dann machen wir eine schnelle Expedition zu den roten Menschen. Er kennt sie und weiß daher genau, wo sie sind.« Janus streckte seine Hand mit der Handfläche nach oben aus. »In ein paar Tagen sind wir da und kurz darauf auch schon wieder weg.«

Sie schüttelte den Kopf. »Er kann nicht mitgehen. Er wird sterben.«

»Er ist so stark wie ein Ochse. Im Moment zumindest. Wir brauchen einen Führer. Er muss bei uns sein, um uns zu zeigen, wo sich diese Leute befinden.« Janus nickte. »Er liebt Sie, und offensichtlich wird er alles riskieren, um Sie zu retten. Er lässt sich nicht aufhalten, das wissen Sie.«

Sie fluchte leise. »Dieser Narr.« Sie musterte den adretten, jungen Mann an. »Er kann nicht gehen!«

»Ich glaube, er kann es, und er denkt das auch«, antwortete Janus leise. »Wenn Sie sich wirklich um ihn kümmern wollen, dann gehen Sie doch mit ihm.«

»Ich werde nicht noch einmal in diese Höhlen mit den Monstern, die in der Dunkelheit lauern, klettern. Und ich werde ihn auch nicht lassen.« Ihr Kiefer verkrampfte sich.

»Das müssen Sie nicht.« Er lächelte unverblümt.

Sie runzelte die Stirn. »Was? Und was wird dann aus Ally?«

»Es gibt ein eigenes Team, das sie retten soll – Russen. Betrachten Sie es als Buße für ihren Angriff auf uns unter der Oberfläche.« Er schaute auf seine Uhr. »Tatsächlich werden sie genau jetzt in das Kola-Bohrloch klettern.«

Kapitel 5

Bohrloch Kola – Provinz Murmansk, Russland

Oskar Svegeny schob seinen Turm vier Felder auf dem Schachbrett vor und lächelte dann zufrieden. »Schach.« Er lehnte sich zurück.

Grigori Valadin sah kurz von seinem Buch auf, warf einen Blick auf das Brett und manövrierte dann seinen Springer über einen Bauern, um Oskars Turm zu erobern. Dann las er wieder in seinem Buch.

»Mann.« Oskar zog eine Grimasse und betrachtete die Figuren intensiv. Er legte eine Hand auf einen der Läufer, änderte dann aber seine Meinung und zog sie weg. Danach schob er die Dame auf das Brett, um einen gegnerischen Bauern zu schlagen. Er grinste. »Jetzt werden wir weitersehen. Schach … noch einmal.«

Grigori ließ sein Buch sinken und sah vom Brett zu Oskar. »Ernsthaft?«

»Ja.« Oskar runzelte die Stirn.

»In Ordnung.« Grigori zuckte mit den Schultern und benutzte dann seine eigene Dame, um Oskars zu schlagen. »Schachmatt in zwei Zügen.« Er lachte. »Du wirst immer besser.«

»Ich lasse dich nur gewinnen … manchmal.« Oskar studierte das Brett mit der Intensität eines Physikers, der kurz davor stand, ein Atom zu spalten. Er konnte immer noch nicht erkennen, wie …

»Hey, hast du das gehört?« Grigori neigte den Kopf nach oben.

Oskar drehte sich halb um. »Hubschrauber. Warum kommen die jetzt? Der Schichtwechsel ist erst in zwei Wochen fällig.«

Die beiden Männer standen von dem Brett auf und gingen auf die Stahltür zu. Die Kola-Anlage war nicht sehr groß, nur noch ein einziges Stockwerk. Aber es war immer noch eine stark befestigte Konstruktion, die direkt über dem Bohrloch errichtet worden war. An der Außenseite gab es mehrere Räume zum Kochen, Waschen, Schlafen und Lagern, und in der Mitte befand sich der versiegelte Schacht.

Sie zogen die schwere Tür rechtzeitig auf, um den großen Hubschrauber landen zu sehen, dessen Rotorblätter Schneestaub aufwirbelten und sie zwangen, ihre Augen vor dem Wind und den eisigen Partikeln zu schließen.

»Wer ist das?«, schrie Grigori.

Die Tür wurde zurückgezogen, Männer in Uniform sprangen heraus, und dann wussten sie plötzlich Bescheid.

***

Captain Viktor Zhukov sprang aus dem hinteren Teil des Hubschraubers und entdeckte die beiden Männer, die an der Tür der Anlage standen. Doch er ignorierte sie und schaute sich kurz um. Er hatte die Geschichten gehört, aber es erstaunte ihn trotzdem – die gesamte Landschaft war gefroren oder mit Schnee bedeckt, mit Ausnahme von etwa dreißig Metern um die Kola-Bohrlochzone herum. Er schnaubte leise; offenbar stieg die Hitze immer noch aus der Hölle auf.

Nun drehte er sich um, um seinem Team Befehle zuzurufen, und sah zu, wie diese ihre Ausrüstung ergriffen und aus dem Hubschrauber sprangen, um sich zu versammeln.

Die einzige Frau in der Gruppe war Dr. Valentina Sechin, eine Medizinerin und Biologin mit umfassender Erfahrung in der troglodytischen Flora und Fauna – die perfekte Besetzung für das Ziel ihrer Mission.

Zhukov beobachtete, wie sein Stellvertreter, Wladimir Ustinov, das Team organisierte und dann den Hubschrauber wegwinkte. Das zehnköpfige Team marschierte anschließend auf die Anlage zu, während er vor den beiden Kola-Wartungsmännern stehen blieb.

»Guten Morgen, meine Herren.« Er deutete auf einen der Männer. »Sie müssen Oskar Svegeny sein.« Der Mann nickte und tauschte einen verwirrten Blick mit seinem Kollegen. Zhukov wandte sich nun ihm zu. »Und Sie sind Grigori Valadin.«

Grigori sah zu ihm auf. »Und wer sind Sie?«

Zhukov zeigte auf das Gebäude. »Lassen Sie zuerst reingehen.«

»Aber natürlich. Bitte treten Sie ein.« Valadin neigte den Kopf, während er und Oskar zur Seite traten.

Drinnen angekommen, warf Zhukov einen Blick auf die Einrichtung; er kannte den Grundriss bereits. »Ich will, dass der Aufzug überprüft wird und bereit ist. Ich will außerdem, dass die Kommunikation hergestellt wird … und ich will einen Kaffee.« Er musterte die Gesichter seiner Truppe. »Und wenn jemand pissen oder scheißen muss, soll er es jetzt tun, denn wir werden uns schnell fortbewegen.« Er schaute auf seine Uhr. »Wir werden in einer Stunde aufbrechen.«

Vladimir Ustinov bellte wiederholt Befehle, als er die Aufgaben zuwies, und das Team zog in verschiedene Richtungen los.

Zhukov wandte sich danach an Oskar und Grigori. »Um Ihre Frage zu beantworten: Wir wurden für eine Rettungsmission in der Tiefe angefordert. Unser Einsatzteam heißt Glubokaya Zemlya –Tiefe Erde.«

Oskar schnippte mit den Fingern. »Oh, wegen dieser Stimme, die wir gehört haben, oder? Das war also kein Scherz?«

»Wir haben den Auftrag, genau das herauszufinden.« Zhukov starrte ihn ein oder zwei Sekunden lang an. »Sollte ich allerdings herausfinden, dass es sich um einen Scherz gehandelt hat, wird jemandes Kopf rollen.« Er wandte sich ab und betrachtete den Zustand des Raumes mit den Kommunikationsgeräten, dem Schachbrett, den Essensresten und den leeren Kaffeetassen. »Räumen

Sie diesen Ort gefälligst auf. Sie werden in den nächsten Tagen für uns arbeiten und Nachrichten über unsere Fortschritte an Moskau senden.«

Oskar warf einen Blick auf den Müll und nickte dann. »Ja, das wollten wir sowieso gerade tun.« Er trat näher an den großen Mann heran. »Wissen Sie, wo diese, äh, Person sich befindet?«

»Tief unten. Unsere Verfolgung der Schallwellen zeigt, dass die Emanationen bei etwa zwanzig Kilometern Tiefe und ungefähr zwölf Kilometer östlich liegen.«

Grigori pfeift. »Zwanzig Kilometer tief. Das Bohrloch ist erst bei vierzehn Kilometern.« Er zog die Brauen zusammen. »Aber wie ist das möglich? Wie ist sie da runtergekommen?«

»Vielleicht ist sie in einen Brunnen gefallen.« Zhukov klopfte dem Mann auf die Schulter. »Also, wir müssen jetzt arbeiten und Sie auch.«

Oskar hielt einen Finger in die Höhe. »Ach, noch etwas, Sir. Der Aufzug ist seit zwanzig Jahren nicht mehr benutzt worden … oder gar gewartet.«

Zhukov blickte den Mann an. »Wir haben unsere eigenen Ingenieure mitgebracht. Außerdem muss er nur noch zweimal funktionieren – einmal runter und wieder rauf.«

***

Vladimir 'Vlad' Ustinov drängte die Männer zur Eile; er hatte unter der Führung von Captain Zhukov an vielen Einsätzen teilgenommen und der Mann hatte niemals versagt. Vlad dachte immer, wenn er einen großen Bruder hätte, dann wäre das Zhukov.

Neben ihm stand die Wissenschaftlerin und Ärztin Valentina Sechin, die in ihrem Höhlenanzug wie ertrunken aussah. Sie schwitzte extrem stark, obwohl es in dem Raum nur etwa zehn Grad warm war, aber das lag wahrscheinlich daran, weil eine warme, feuchte Brise aus dem Bohrloch heraufwehte. Er grinste. Vielleicht hatte sie aber auch einfach nur eine Scheißangst.

»Alles in Ordnung?«, fragte er sie.

Sie nickte nur, die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst.

Sie scheißt sich also ein, dachte er innerlich grinsend.

Die beiden sahen zu, wie zwei Männer die große Metallröhre öffneten, die die Abdeckkonstruktion für den Aufzug darstellte. Die Metallabschirmung, die sie jetzt umgab, war erst später hinzugefügt worden, um die Hitze des Bohrschachts weitgehend einzudämmen. Aber man flüsterte sich zu, dass sie in Wirklichkeit die Geräusche von unten abhalten sollte. Vladimir schnaubte; die Geräusche von unten waren schließlich der Grund, warum sie überhaupt hier waren.