DIE RÜCKKEHR ZUM MITTELPUNKT DER ERDE - Greig Beck - E-Book

DIE RÜCKKEHR ZUM MITTELPUNKT DER ERDE E-Book

Greig Beck

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Beschreibung

Tief unter der Erde, jenseits der tiefsten bekannten Höhlen, liegt eine verborgene Welt. Mike Monroe und Jane Baxter haben ihre Reise zum Mittelpunkt der Erde nur mit knapper Not überlebt. Doch es plagt sie immer noch die Neugier nach der Herkunft jener blassen Kreaturen der unterirdischen Höhlen, oder die Frage, warum ihnen in ihren Träumen ein monströses Wesen erscheint, welches älter als die Zeit zu sein scheint. Als sich eine russische Expedition auf den Weg macht, ihrer Entdeckung nachzugehen, sehen sie sich gezwungen, noch einmal an jenen Ort zurückzukehren, den sie eigentlich nie wieder betreten wollten. Dieses Mal werden sie jedoch von einem Team bestens ausgebildeter Söldner und Wissenschaftler begleitet, die ihnen helfen sollen, die Russen zu finden und die Geheimnisse im Inneren der Erde zu lüften. Ihre Reise führt sie in eine Welt, in der die Evolution ganz andere Wege gegangen ist als an der Oberfläche, und auf etwas, dass dort geduldig auf ihre Rückkehr wartet … Bestseller-Autor Greig Beck, der mit seiner "Primordia"-Trilogie bereits Arthur Conan Doyles "Vergessene Welt" in unsere Zeit transportierte, entführt den Leser nun in die mystische unterirdische Welt eines Jules Verne – voller Wunder, Gefahren und atemloser Abenteuer.

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Rückkehr zum Mittelpunkt der Erde

Greig Beck

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com Title: RETURN TO THE CENTER OF THE EARTH. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2020. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

 

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

 

Danksagung

Impressum

Deutsche Erstausgabe Originaltitel: RETURN TO THE CENTER OF THE EARTH Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Burkhardt Röder Lektorat: Manfred Enderle

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-847-8

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

Rückkehr zum Mittelpunkt der Erde
Danksagung
Impressum
Prolog
EPISODE 06
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
EPISODE 07
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
EPISODE 08
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
EPISODE 09
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
EPISODE 10
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Epilog
Über den Autor

»Wer in die Dunkelheit hinabsteigt, findet Ungeheuer. Oder wird zu ihnen.«

Prolog

Der gefrorene Norden Georgiens, Kaukasusregion, vor ca. 102.000 Jahren

Der Clan saß da und starrte wie hypnotisiert in das knisternde Feuer. Die Flammen waren winzig, aber in der Mitte des Feuers glühte die Glut noch immer in einem sengenden Rot, das ihre Wangen wärmte und die Höhle mit dem Geruch von harzigem Holzrauch erfüllte.

Ihre Gruppe bestand aus vier Familien mit sieben Jägern im Alter zwischen zwölf und achtundzwanzig Jahren. Es gab auch Frauen, fünf kleine Kinder, ein einziges Neugeborenes und zwei zahnlose Älteste in den Vierzigern.

Sie hatten mehrere Generationen lang in den vorderen Räumen der riesigen Höhle gelebt, sie gegen andere Familiengruppen verteidigt und einmal sogar einen riesigen Bären abgewehrt.

Aber diese Jahreszeit war immer hart, denn Tag und Nacht fiel Schnee und der Boden war gefroren, sodass es keine grünen Triebe gab. Und keine grünen Triebe bedeuteten, dass es kaum Wild gab, und sie brauchten mindestens einmal pro Woche ein großes Tier, um die Sippe ernähren zu können.

Druga war erst zehn Jahre alt, aber nun in einem Alter, um mit den anderen Männern hinauszugehen. Doch es würde noch zwei Sommer dauern, bis er einen Speer tragen durfte.

Wenn es etwas zu essen gab, wurde es zuerst unter den Jägern aufgeteilt, denn ohne ihre Kraft würde der Stamm schwach und verwundbar werden. Aber das bedeutete, dass die Alten und die ganz Jungen nur dann etwas zu essen bekamen, wenn genug übrig war, und in der Kälte des Winters starben die Alten und Schwachen immer.

So kam es, dass der alte Clee-ak schließlich verstarb. Der kleine Druga vermutete aber im Stillen, dass seine üblen Gasgerüche und sein hartnäckiger nächtlicher Husten nicht vermisst werden würden.

Wie es Brauch war, wurde sein Körper einen Tag lang besungen, dann in die besten Felle gekleidet und mit dem feinsten Knochenschmuck und Waffen geschmückt. Danach wurde ihm alles wieder abgenommen, seine verbliebenen Besitztümer unter dem Stamm aufgeteilt und sein nackter Körper in die tiefen Höhlen gebracht und dort in der Dunkelheit zurückgelassen, damit er sich mit den Ahnen vereinen konnte.

Zwei Jäger trugen den fast schwerelosen Körper in die Tiefen der Höhle.

Druga folgte der kleinen Prozession als Fackelträger.

Sie liefen tief über ihre äußeren Kammern hinaus zum Ort der Ahnen.

Normalerweise gingen sie niemals so weit, denn dort war es immerwährend dunkel, und die Dunkelheit war etwas, das sie zutiefst fürchteten.

Druga fand es seltsam, dass die Männer, je weiter sie gingen, immer vorsichtiger wurden und ihre Augen die ganze Zeit umherschweiften. Er hatte immer gedacht, seine Vorfahren würden verehrt werden und nicht gefürchtet, deshalb hatte er sie immer sehen wollen. Also hielt er die Augen nach ihnen offen.

Schließlich kamen sie zu einer Öffnung im Höhlenboden. Der Junge beugte sich vor und blickte in die Grube hinunter, aber die vollkommene Dunkelheit verriet nichts, außer einem wärmenden Luftzug an seinen Wangen.

Die Männer legten die Leiche vorsichtig ab, und sofort nahm Druga einen überwältigenden Gestank wahr, der an gammeliges Fleisch oder an den Atem des alten Clee-ak erinnerte, wenn dieser einem zu nahe gekommen war.

Das Trio wich von der Leiche zurück und begann gerade, sich zu verkriechen, als von hinten plötzlich ein scharrendes Geräusch zu hören war.

Druga wusste sofort, dass es Clee-aks Leiche war, die in die Grube geschleift wurde.

EPISODE 06

Alles war schwarz, ein so dichtes Schwarz,

dass meine Augen nach einigen Minuten nicht einmal mehr

den schwächsten Schimmer wahrnehmen konnten.

– Jules Verne –

Kapitel 1

Harry Wenton wurde aus dem Käfig gezerrt. Er trat und schlug um sich, aber sein weicher Körper war den hartschaligen Monstrositäten, die ihn herauszerrten, nicht gewachsen.

Die Dinger klickten, quietschten und zuckten in ihrer Erregung, als die letzten Reste seiner Kleidung von seinem Körper gerissen wurden.

Harry schrie voller Panik, aber er wusste, dass ihn niemand hören würde … dass niemand kommen würde, um ihn zu retten, und dass es auch niemanden interessierte, da sie ihn alle verlassen hatten, sodass er in dieser höllischen roten Unterwelt zu Tode gequält werden würde.

Er wurde brutal an seinen langen, verfilzten Haaren zu einer Reihe zusammengebundener Baumstämme gezerrt und dann an Knöcheln, Handgelenken und Hals daran gefesselt. Er bettelte, schrie und weinte, aber die Glupschaugen der Kreatur auf den zitternden Stielen waren so leidenschaftslos wie dunkle Glaskugeln.

Krallenartige Hände tauchten kleine Zweige, die noch Blätter trugen, in einen Eimer und bespritzten ihn mit etwas, das nach Fett roch.

Er wurde von den Fußsohlen bis zum Scheitel damit getränkt und musste sich die ölige Flüssigkeit aus den Augen blinzeln und den Mund zusammenpressen.

Er begann zu weinen, weil er wusste, was das bedeutete. Dann wurde er hochgehoben und in Richtung der Feuerstelle getragen. Das Klicken und Quietschen der widerlichen Kreaturen wurde zu einem Crescendo, und er fragte sich unwillkürlich, ob dies ihre Form des Lachens oder vielleicht sogar des Singens war.

»Hilfe! Hiiilllfffeeeee!«

Er schrie, bis seine Stimme brach und hörte erst auf, als sich eines der albtraumhaften Wesen über ihn beugte, um ihm ins Gesicht zu schauen.

»Töte mich zuerst … bitte«, flehte er.

Das Ding starrte vor sich hin, kam immer näher und Harry sah die zahlreichen Mundwerkzeuge und Fühler, die wütend in seinem Maul arbeiteten.

»Bitte«, flüsterte er.

»II-ttt-eee«, begann das Ding ihn zu imitieren. Die Glupschaugen zitterten aufgeregt, als das Klicken und Quietschen wieder einsetzte. Das Ding zog sich zurück und Harry wurde in die Höhe gehoben.

Hinter ihnen tauchte eine weitere Kreatur auf, ein Monstrum von gigantischem Ausmaß. Alle anderen hielten sich zurück, vielleicht warteten sie auf Anweisungen.

Harry behielt das Wesen im Auge und lehnte sich dann zurück. Auch wenn er kein religiöser Mann war, begann er jetzt zu beten. Er betete, dass dies alles nur ein Albtraum war, er betete, dass er gerettet oder verschont werden würde, und er betete, dass sein Herz augenblicklich aufhören würde zu schlagen.

Aber das tat es nicht.

Dann wurde Harry Wenton, Engländer, Anwalt, Multimillionär und professioneller Höhlenforscher, hochgehoben und über die Feuergrube gelegt, um gekocht zu werden.

Harry schrie und schrie und schrie …

»Arghhh.«

Jane setzte sich auf und vergrub das Gesicht in ihren Händen.

In der Dunkelheit ihres Zimmers begann sie zu weinen.

Bitte, nein, dachte sie kläglich. Wir haben ihn einfach zum Sterben zurückgelassen.

Sie schwang ihre Beine über die Bettkante und saß da, als wäre ihr Herz zu Blei geworden. Sie wusste, was Mike sagen würde: Es gab nichts, was sie hätten tun können, und er hatte recht. Tatsächlich war sogar sie es gewesen, die Mike von dem armen Harry weggezerrt hatte.

Sie presste ihre Handballen auf ihre Augenlider und versuchte, die geistigen Bilder auszulöschen. Auch wenn der Kerl ein Arschloch gewesen war, das hatte er nicht verdient. Niemand hatte das verdient.

Er könnte noch am Leben sein, flüsterte ihr Gewissen.

Aber sie wusste, dass das ein noch schlimmeres Schicksal sein könnte.

Jane schaute auf ihre Nachttischuhr. Es war kurz nach vier Uhr morgens, alles war ruhig. Sie war zu Hause, sie war in Sicherheit, und es war über ein Jahr her, dass sie aus diesem Erdloch geklettert waren.

Die meisten Erinnerungen an ihren Abstieg zum Mittelpunkt der Erde glichen jetzt eher einem anhaltenden Fiebertraum. Vieles davon war vage und fühlte sich an wie ein altes Foto, das in der Sonne gelegen hatte und an den Rändern verblasste. Sie wusste, dass es sich dabei um eine Art psychologischen Bewältigungsmechanismus handelte, und die einzige Zeit, in der sie wirklich beunruhigt war, war im Schlaf, wenn ihre mentalen Abwehrmechanismen heruntergefahren waren. Denn dann war es dunkel.

Unmittelbar nach ihrer Flucht war sie mit Mike Monroe ausgegangen, aber nach einer Weile hatte er sich zurückgezogen.

Er war besessen von ihrem Abenteuer gewesen und hatte gesagt, dass er ihre Geschichte immer noch niederschrieb. Dann hatte er sich einfach von seinen Freunden und auch von ihr abgeschottet. Sie wusste, dass die Neugierde noch immer in ihm brannte, aber er hatte ihr versprochen, dass es nichts gab, was ihn dazu bringen könnte, noch einmal dorthin zu reisen.

Sie hatte ihm glauben wollen. Aber dann hatte er ihr erzählt, dass er versucht hatte, Katya Babikov in Russland zu kontaktieren. Er fand heraus, dass sie nicht mehr in der medizinischen Einrichtung in Krasnodar war, und alles, was man ihm sagte, war, dass russische Regierungsbeamte sie für eine spezielle Krebsbehandlung irgendwohin gebracht hatten. Doch da war noch etwas, das an ihm nagte.

Von den anderen Teammitgliedern, die überlebt hatten, war Andy irgendwohin zum Surfen gegangen, und sie und Maggie waren schließlich zu ihren Jobs zurückgekehrt. Michael jedoch, der unabhängig und wohlhabend war, konnte allein in seiner abgelegenen Hütte im Wald sitzen, schreiben und über einen geheimen Ort im Zentrum der Welt nachdenken.

Sie hatte sich gefragt, ob es nur ihr schwerfiel, wieder in ein normales Leben zurückzufinden, aber als sie mit Maggie gesprochen hatte, hatte ihre Freundin ihr dasselbe gesagt. Alles schien plötzlich fade, farblos und unscheinbar zu sein, seit sie aus dieser roten Hölle entkommen waren.

Jane sah wieder auf die Uhr; es war noch viel zu früh, um aufzustehen, also legte sie sich wieder auf ihr schweißnasses Kissen zurück. Sie zwang sich dazu, die Augen geschlossen zu halten, und versuchte, an einen azurblauen Himmel über schneebedeckten Bergen, an singende Vögel und Blumenfelder zu denken.

Denn sie wollte nicht hören, wie Harry Wenton aus dem kochend heißen, roten Mittelpunkt der Erde schrie.

Kapitel 2

Nationales Verteidigungskommando und Kontrollzentrum Moskau

Katya hasste ihr Zimmer. Das Himmelbett war hart, und die Laken waren so straff gespannt, dass sie sich ihre Zehen daran stieß. Aber wenigstens waren sie sauber.

Um sie herum waren strahlend weiße Keramikfliesen, die einen Raum bedeckten, der viel zu groß für sie allein war. Er war größer als ihre gesamte Wohnung in der psychiatrischen Klinik von Krasnodar, in der sie jahrzehntelang gelebt hatte.

Sie seufzte und ließ ihren Blick über das karge Innere des Raumes schweifen; am meisten hasste sie es, dass man hier nachts alle Lichter ausschaltete, denn das machte ihr Angst. Es gab Pfützen absoluter Dunkelheit, die ihre Fantasie zu steilen Tunneln werden ließ, die sich bis zum Mittelpunkt der Erde hinunterwühlten.

Als sie vor fast einem halben Jahrhundert aus den lichtlosen Höhlen geflohen war, hatte sie nie wieder in der Dunkelheit sein wollen. Denn in der Dunkelheit versteckten sich Dinge. Dinge, die sehen und riechen konnten und die einen selbst in einer Schwärze fanden, die so vollkommen war, als wäre man blind.

Katya hatte einmal versucht, aus ihrem Zimmer zu fliehen, aber draußen hatte sie festgestellt, dass sie sich gar nicht in einem Krankenhaus befand, denn auf den Fluren waren keine anderen Patienten, Ärzte oder Krankenschwestern zu sehen gewesen, sondern Militärs, deren freudlose Gesichter sie mit steinerner Empathie angesehen hatten.

Sie war schnell gefasst worden und trug nun Handfesseln, zu ihrem eigenen Schutz, wie ihr der stämmige Pfleger sanft erklärt hatte, als er sie festgeschnallt hatte.

Und dann waren da noch die Interviews, die nun schon seit einigen Wochen stattfanden … oder waren es sogar schon Monate? Sie wollten alles wissen, von dem Zeitpunkt an, als sie 1972 mit ihren Freunden zum ersten Mal in die Krubera gelangt war und sie die neue Passage gefunden hatten, die sie bis zum Mittelpunkt der Erde geführt hatte.

Sie wollten wissen, wie sie gereist waren, wohin sie gereist waren und was sie dort genau gefunden hatten. Sie wollten alles über die Wesen wissen, die sie gerufen hatten, und wie ihre Freunde gestorben waren, jeder Einzelne von ihnen. Sie durfte kein Detail auslassen, egal wie grausam oder schmerzhaft es für sie auch war.

Sie hatte tagelang darüber nachgedacht, wie sie es allein hinausgeschafft hatte, und auch über ihre Schwester Lena, die fast entkommen wäre.

Dann hatte man sie allen möglichen Tests unterzogen, um zu beweisen, dass sie die Wahrheit sagte. Von Injektionen mit eiskalter Flüssigkeit in ihre Venen, die sie die ganzen Schrecken noch einmal durchleben ließen, bis hin zu Maschinen, die ihre Herzfrequenz überwachten und kratzende Linien auf Papier zeichneten, während sie ihre Geschichte erzählte.

Sie waren unhöflich zu ihr, grob und gefühllos, und behandelten sie mit einer Mischung aus Spott und Verachtung. Sie wusste, dass diese Leute wollten, dass sie wieder dorthin reiste, und zunächst wollte sie alles tun, um zu verhindern, dass sie das Schicksal ihrer eigenen Teammitglieder noch einmal erleiden musste.

Katya beugte sich vor, um auf ihre gefesselten Hände und auf die Verbände hinunterzusehen, die die Geschwüre auf ihrem ganzen Körper bedeckten. Die Krankheit war auf ihrer Haut und metastasierte immer tiefer in ihren Körper hinein. Sie fraß sie auf, einen winzigen zellgroßen Bissen nach dem anderen.

Doch die Tests gingen weiter. Sie senkte den Kopf und seufzte.

Nach einer Weile begann sie, die Leute zu hassen, und schließlich erzählte sie ihnen alles, auf besonders grausame Art und Weise, weil sie wollte, dass sie das erlebten, was sie durchgemacht hatte, und um ihnen die ungläubigen Blicke aus dem Gesicht zu wischen.

Sie wusste, dass sie dorthin gehen würden, und sie wusste auch, dass ihre Erkundungstour nicht nur wissenschaftlichen Zwecken diente. Die Anwesenheit des Militärs reichte aus, um ihr das zu bestätigen. Was auch immer sie vorhatten, es hatte wahrscheinlich nur wenig mit Wissenschaft zu tun.

Dann ließen sie die Bombe platzen und die Wahl, die man ihr ließ, war die Wahl des Teufels. Es würde keine weitere Behandlung für ihre Krebserkrankung geben, und sie würde hier sterben, allein und vergessen mit schrecklichen Schmerzen. Oder sie könnte mit ihnen kommen, um sie dorthin zu führen und eine Nationalheldin werden. Und dann gaben sie ihr ein letztes Versprechen: dass sie sie wieder gesund machen würden.

Letzten Endes hatte sie keine Wahl.

Kapitel 3

CIA-Hauptquartier, Fairfax County, Virginia, Vereinigte Staaten

Robert Lee Johnson arbeitete für die ISOD, die International Surveillance Operations Division des US-Geheimdienstes Central Intelligence Agency, und war einer von Dutzenden von Agenten, die für das Sammeln, Bewerten und Analysieren von Informationen zuständig waren, die sie von ihren ausländischen Agenten gesammelt hatten.

Er zog die Augenbrauen zusammen, als er die neuesten Daten aus einer hochrangigen Quelle innerhalb der Russischen Föderation las: Eine Erkundungsexpedition war dort genehmigt worden, um in die Tiefen der Erde zu reisen, mit dem Ziel, dort die Möglichkeit der Errichtung einer Militärbasis zu prüfen.

Zunächst dachte er, es ginge um die Unterbringung weiterer russischer Militäreinrichtungen, was für die Strategen der US-Streitkräfte von Interesse gewesen wäre. Als dann aber immer mehr bestätigende Informationen eintrafen, wurde ihm klar, dass es um so viel mehr zu gehen schien.

»Das soll wohl ein Scherz sein.« Hätte er den Namen der Quelle nicht gekannt, hätte er dieses Dokument sofort weggeworfen. Aber diese Quelle war immer äußerst genau und wurde auf der höchsten Ebene der russischen Militärverwaltung eingesetzt. Wenn dieser Agent sagte, etwas würde geschehen, dann geschah es auch.

Kapitel 4

Blue Ridge, Georgia, Vereinigte Staaten

Michael Monroe joggte auf seiner üblichen Strecke durch die Wildnis. Er wohnte jetzt fest in seinem Ferienhaus im Wald. Kein Autohupen, keine Abgase, keine Glas-, Beton- und Stahltürme und keine schreienden Menschen an jeder Ecke. Nur Hunderte von Kilometern Kiefernwald, Seen und Flüsse, Berge und eine Luft, die so frisch war, dass er sie am liebsten für immer eingeatmet hätte.

Seit er vor über einem Jahr aus der Krubera-Höhle aufgetaucht war, machte ihn der Gedanke an geschlossene Räume ängstlich und unruhig.

Aber im Moment hatte er das Gefühl, so weit davon entfernt zu sein, wie es nur ging.

Er grinste, als er lief; er erinnerte sich daran, dass Jane ihn gefragt hatte, ob er Angst vor Bären oder Wölfen in den Wäldern habe, als er zum ersten Mal hierhergekommen war. Niemals, hatte er geantwortet, denn nach dem, was er und sein Team da unten erlebt hatten, würde ihn auf der Oberfläche des Planeten gar nichts mehr erschrecken können.

Er hatte sogar endlich sein Manuskript fertiggestellt, komplett mit Illustrationen der Welt innerhalb der Welt und den seltsamen, wilden und wunderbaren Dingen, die er dort gesehen hatte. Er beschrieb die Schwerkraftbrunnen und wie sie seiner Meinung nach funktionieren. Er fügte auch einige seiner Theorien darüber hinzu, was es dort unten noch alles geben könnte.

Das fertige Dokument war ziemlich groß geworden und brauchte sehr viel Speicherplatz, also hatte er frühere Versionen in der Cloud gespeichert anstatt auf seinem lokalen Laufwerk.

Dem Himmel sei Dank für das Internet der neuen Generation, dachte er.

Mike joggte normalerweise eine Stunde lang und war schon halb fertig, als er zum ersten Mal seit Monaten einen Hubschrauber über sich fliegen hörte. Er fragte sich, ob ein Nachbarbezirk ein paar Holzfäller einflog, oder ob ein paar Wilderer einen Hubschrauber gemietet hatten, damit dieser sie außerhalb der Saison tief in den besten Jagdgründen absetzte.

Mike knurrte tief in seiner Brust. Wenn das tatsächlich Wilderer waren und er sie erwischte, würde er sie zum Teufel jagen. Er hatte ein Gewehr und wusste, wie man es benutzte.

Auf dem Rückweg roch er den Auspuff des Hubschraubers. Seit er aus dem Zentrum der Erde zurückgekehrt war, schienen seine Sinne sehr geschärft zu sein. Vielleicht war es die Tatsache, dass er dem Tod so nahe gewesen war, die ihm seine Umgebung so viel bewusster machte und ihm zeigte, wie es war, wirklich am Leben zu sein.

Er kam aus dem letzten Baumbestand heraus und sah den Hubschrauber, dessen Rotorblätter nun vollständig angehalten hatten. Er trug keine Insignien, sah aber militärisch aus und war möglicherweise ein MH-139. Mike konnte im Cockpit einen behelmten Piloten sehen, mit der obligatorischen dunklen Flieger-Sonnenbrille bekleidet.

Der Mann drehte sich um und nickte ihm zu. Dann deutete er auf Mikes Hütte, deren Tür nun einen Spalt breit geöffnet war.

»Du willst mich wohl verarschen!« Mike sprang die wenigen Holzstufen hinauf, stieß die Tür ganz auf und stellte sich in den Rahmen.

Im Inneren saß ein einzelner Mann an seinem Tisch. Er war etwa so alt wie Mike, sah aber extrem fit und kräftig aus.

Er lächelte, stand auf und streckte eine Hand aus. »Raymond Harris. Sie können mich Ray nennen.«

Mike ignorierte ihn. »Was machen Sie in meinem Haus?«

Harris ließ seine Hand sinken, aber das Lächeln blieb. »Die Tür war nicht verschlossen, und ich bin hier, weil ich Sie sehen wollte.«

»Warum?« Mike blieb, wo er war.

Harris winkte ihn zu sich. »Kommen Sie schon, Mike, setzen Sie sich und trinken Sie einen Kaffee. Ich will nur fünf Minuten Ihrer Zeit, und ich habe gerade eine frische Kanne aufgesetzt.« Er setzte sich wieder und sah sich um. »Ihr Haus gefällt mir übrigens sehr gut. Ich besitze etwas Ähnliches außerhalb von Boulder in Colorado. Es ist gut, ab und zu vom Alltag wegzukommen, oder?«

»Ich dachte, ich wäre von allem weg. Ich schätze mal, ich habe mich geirrt.« Mike nahm eine Tasse aus seinem Küchenschrank und schenkte sich einen Kaffee ein. »Sind Sie beim Militär?«

»Ich? Nein.« Harris wartete, bis Mike sich endlich setzte. »Nicht wirklich.« Er nippte an seinem Kaffee und sein Lächeln verschwand. »Sie leben schon seit geraumer Zeit sehr zurückgezogen. Woran liegt das?«

Mike zuckte mit den Schultern. »Ich arbeite.«

»Sie arbeiten? An was?« Harris stellte seine Tasse ab.

»Privater Kram.« Mike mochte das übermäßige Selbstvertrauen des Mannes nicht und hatte genug von dessen Fragen. Er wollte ganz sicher etwas Bestimmtes von ihm. »Ray, nicht wahr?«

»Ja, Ray … Raymond oder einfach nur Harris.« Er zuckte erneut mit den Schultern. »Ich antworte auf jeden von diesen Namen.«

»Nun, einfach nur Harris, Sie haben jetzt noch vier Minuten Zeit. Warum sind Sie hier?« Mike lehnte sich zurück.

Harris nickte einen Moment lang. »Ich bin einen weiten Weg gekommen, um Sie zu sehen.« Er griff in die Tasche seiner Bomberjacke und holte einige gefaltete Papiere heraus. Er legte sie vor sich auf den Tisch.

Mike sah sofort, was es war, und schoss mit geballten Fäusten auf die Beine.

»Sie diebischer Hurensohn. Wo zum Teufel haben Sie die her?«

»Zum Mittelpunkt der Erde?« Harris zog die Augenbrauen in die Höhe.

»Ziemlich cooles Zeug hier drin … wenn etwas davon tatsächlich wahr ist.«

Mike funkelte ihn an und sein Kiefer spannte sich an.

Harris beugte sich nach vorne. »Immer mit der Ruhe, Mike. Ich glaube es ja … alles davon.« Er schlug die Hände zusammen. »Und Ihr Vorschlag, diese ganze Fusionsenergie eines Tages direkt anzapfen zu können, ist wirklich inspirierend.« Er zog die Brauen hoch. »Das bedeutet nahezu grenzenlose Macht.«

»Fast grenzenlos und noch dazu sauber«, entgegnete Mike misstrauisch und vermutete plötzlich, dass der Typ von einem Energiekonzern war.

»Eine Energiechance, die es garantiert wert ist, untersucht zu werden, aber das ist nicht mein Hauptanliegen.« Harris spreizte seine Finger auf dem Tisch; sie waren groß und schwielig.

»Sie laden Dinge in die Cloud hoch, und einige Programme der Regierung, die auf der Grundlage von uns definierter Auslösewörter, auf Daten zugreifen, suchen und sammeln so etwas.«

Harris blickte ihn an. »Und obwohl sie international gesucht haben, ist Ihr Dokument dort aufgetaucht, genau hier, in den guten alten Vereinigten Staaten von Amerika.«

Mike fluchte mit zusammengebissenen Zähnen und starrte den Kerl an.

»Wollen Sie etwas Interessantes wissen?« Harris hob sein Kinn. »Unsere Raketenabwehrschilde kosten uns etwa drei Billionen Dollar, einschließlich Wartung. Der Krieg der Sterne, bei dem wir potenziell alles von Satelliten bis hin zu ankommenden Interkontinentalraketen mit Lasern und Hochgeschwindigkeitsraketen ins Visier nehmen können, wird, wenn es fertig ist, noch viel mehr Billionen kosten.«

Er lachte einen Moment lang düster. »Stellen Sie sich vor, die Chefetage findet heraus, dass nach all dem Geld und noch vor der Fertigstellung alles umsonst war, weil uns jemand von dort aus angreifen könnte, wo wir nicht hingeschaut oder es auch nur vermutet haben.«

Mike runzelte die Stirn. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«

»Ich glaube schon. Aber wollen Sie nicht wissen, warum ich all diese verrückten Dinge glaube, die Sie geschrieben haben? So sehr, dass ich den ganzen Weg hierher geflogen bin?«

»Ja, das habe ich mich tatsächlich gefragt.«

»Stellen Sie sich vor, jemand feuert eine Atombombe in eines dieser tiefen Löcher … wie nannten Sie diese noch mal?« Harris schnippte mit den Fingern. »Ach ja, genau, Gravitationsbrunnen. Also, stellen Sie sich vor, jemand feuert eine Atombombe in eines dieser Löcher, das sich zufällig unter New York oder L.A. oder irgendwo auf US-Boden befindet. Oder vielleicht taucht eine feindliche Nation aus dem Nichts auf, und zwar mit einer ganzen Armee.«

»Das ist lächerlich.«

»Ist es das?« Harris beugte sich nach vorne. »Jetzt kommt der Clou: Die Russen sehen das nicht so. Nachdem sie wochenlang eine ihrer eigenen Leute namens Katya Babikov verhört haben …« Harris hielt inne und beobachtete ihn nun ganz genau.

Mike konnte nicht anders, als auf den Namen der russischen Frau zu reagieren.

»Ja, ich weiß, dass Sie sie kennen und sie in Krasnodar getroffen haben, auch wenn Sie ihren Namen nicht in Ihren Notizen erwähnt haben.«

Harris verschränkte seine Finger ineinander. »Wie auch immer, Mike, lassen Sie mich Ihnen sagen, was mit ihr passiert ist. Nachdem die Russen sie wochenlang verhört hatten, müssen sie ihr offenbar geglaubt haben, denn sie haben beschlossen, eine Expedition zum Mittelpunkt der Erde zu unternehmen. Es ist eine militärische Mission mit einem kleinen wissenschaftlichen Team.«

Harris starrte ihn weiter an. »Das sind natürlich keine guten Nachrichten für uns und für jeden anderen auf der Welt, denn ich sage Ihnen, Mike: Wenn die erst einmal einen Brückenkopf dort unten errichtet haben, bleiben sie für immer.«

»Ich kann Ihnen leider nicht helfen.«

»Sie können oder Sie wollen nicht?« Harris lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloss seinen Mund einen Moment lang. »Ich werde Ihnen ein Geheimnis verraten.« Er sah Mike fest in die Augen. »Wir haben schon vor Monaten ein Expeditionsteam dorthin geschickt, um den Russen zuvorzukommen. Unser Team ist über das rumänische Höhlensystem eingestiegen.«

Er lächelte, während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte. »Wir haben nie wieder etwas von ihnen gehört. Auch nicht von den Leuten, die wir als Späher über dem Gravitationsbrunnen stationiert hatten.« Seine Augen blickten zu Mike auf. »Vielleicht sind sie diesen haarlosen Hundemenschen begegnet, die Sie in Ihrem Bericht beschrieben haben.«

»Haarlose Hundemenschen«, wiederholte Mike leise die Worte. Er starrte auf die Tischplatte und nahm auf, was ihm gerade gesagt worden war.

Mike hatte vor Monaten Informationen von einem zoologischen Hämatologen erhalten, und dieser hatte ihm gesagt, dass ihm jemand einen Streich gespielt hatte. Denn die von ihm zur Verfügung gestellte Probe war größtenteils nicht schlüssig, aber die größte Annäherung an eine Übereinstimmung war hominide DNA, ein naher Verwandter, mit der Möglichkeit, dass es ein Mensch ist, oder einst einer gewesen war.

Er erinnerte sich an das, was Jane in den tiefen Höhlen zu ihm gesagt hatte, und sah wieder in Harris' Gesicht, als er flüsterte: »Wer in die Dunkelheit hinabsteigt, findet dort Monster, oder wird zu ihnen.«

»Was sagen Sie?«

»Vergessen Sie es.« Mike winkte ab. »Ich würde vorschlagen, dass Sie sich da raushalten, und ich bin mir sicher, dass die Russen zweifellos das gleiche Schicksal erleiden werden wie Ihr erstes Team.«

»Wir können es nicht einfach dem Zufall überlassen, Mike. So funktioniert die Nationale Sicherheit nicht.« Harris richtete sich auf. »Lassen Sie es mich auf den Punkt bringen. Wir gehen wieder hinunter, doch dieses Mal brauchen wir einen erfahrenen Höhlenforscher, der bei der nächsten Expedition als Berater dabei ist.«

»Das wird ganz bestimmt nicht passieren!«

»Wir wollen nur ein wenig Aufklärung betreiben und sicherstellen, dass unsere russischen Freunde nichts tun, was unser Land, unsere Bürger oder unsere Energiezukunft bedroht.« Er hob die Hände. »Nur ein kurzer Blick, das ist alles.«

Mike schüttelte langsam den Kopf. »Tut mir leid, dass Sie Ihre Zeit verschwendet haben.«

Harris zuckte mit den Schultern. »Nein, nein, das war überhaupt keine Zeitverschwendung. Sie haben damit Ihren Bericht bestätigt und auch meine Befürchtungen. Wir werden dorthin gehen, mit Ihnen oder ohne Sie.«

Mike wahrte ein Pokerface und musterte den Mann. »Sie haben mir nicht gesagt, wer Sie geschickt hat«, meinte Mike.

»Nein, das habe ich nicht.« Harris lächelte. »Nun, meine Tür steht immer offen.« Er schob eine Karte über den Tisch. »Hier ist meine Nummer, falls Sie Ihre Meinung noch ändern. Aber Sie sollten sich besser beeilen.«

Er streckte die Hand aus, um Mikes zu schütteln, und dieser nahm sie dieses Mal sogar an.

Dann drehte sich Harris um und ging zur Tür hinaus.

Mike folgte ihm. Auf dem Landeplatz angekommen, ließ Harris seinen Finger in der Luft kreisen, und der Pilot startete den Motor. Die Rotorblätter des Hubschraubers begannen sich zu drehen, um den sofortigen Abflug vorzubereiten.

»Das war‘s?«

»Ja sicher, wir sind ja keine KGB-Tyrannen«, erwiderte Harris.

»Außerdem gibt es noch viel mehr Fische im Meer.« Er zwinkerte ihm zu, huschte zum Hubschrauber und sprang hinein. Dann grüßte er Mike mit zwei Fingern und sie verschwanden über den Baumwipfeln.

Mike starrte noch einige Minuten lang in die Richtung, in die sie geflogen waren, bis das Geräusch des Hubschraubers endgültig verstummt war.

Dummkopf, dachte er und wollte sich gerade abwenden, hielt dann aber doch inne. Er drehte sich um.

Außerdem gibt es noch viel mehr Fische im Meer, hatte Harris gesagt. Was hatte das zu bedeuten?

Mike ging wieder hinein und saß eine Stunde lang an seinem Tisch, dachte nach und hatte dabei ein bleiernes Gefühl im Bauch.

***

Ex-Special Forces Captain Ray Harris ließ sich vom Piloten zu Jane Baxters Privatnummer durchstellen. Sie nahm fast augenblicklich ab, so als ob sie den Anruf erwartet hätte.

»Hallo noch mal, Jane.« Seine Miene war unbewegt. »Ich kann bestätigen, dass Mike die Mission leiten wird. Er hofft, dass Sie sich ihm anschließen werden.«

Er grinste, als er hörte, wie sie genug Schimpfwörter aneinanderreihte, um einen Lastwagenfahrer zum Erröten zu bringen. Er hörte geduldig zu, wie sie noch mehr Dampf abließ.

»Ja, ja, ich weiß. Aber ich weiß auch, dass er Sie braucht.« Er wartete noch einen Moment lang, bis sich ihre Wut ein wenig gelegt hatte und stürzte sich dann auf sie: »Er hat gesagt, dass er Sie vermisst.«

Er hörte, wie sie tief ausatmete und einen weiteren Fluch flüsterte. Doch dieses Mal war weniger Gift darin enthalten. Er lauschte noch ein wenig und seine Mundwinkel hoben sich.

»Das ist gut, er wird sich bestimmt freuen.« Harris trennte die Verbindung. Dann griff er in seine Brusttasche nach seinem Telefon, das vibrierte und eine eingehende SMS signalisierte.

Genau zur richtigen Zeit, dachte er.

Wie erwartet, war es Mike Monroe, der schrieb: Bleiben Sie weg von Jane!

Er brummte leise vor sich hin, als er eine Antwort tippte: Sie hat bereits zugestimmt, uns zu führen.

Harris zählte im Geiste rückwärts: 5 … 4 … 3 … und schon klingelte sein Telefon.

»Sie Hurensohn! Ich wusste sogar, dass es das war, was Sie mit anderer Fisch im Meer meinten«, rief Mike verärgert.

»Sie wird von Fachleuten betreut und wird in Sicherheit sein. Ihr Bericht hat uns eine gute Vorstellung davon gegeben, was uns dort unten erwartet. Außerdem hat sie die nötige Erfahrung«, antwortete Harris gelassen. »Machen Sie sich keine Sorgen um uns, Mike, wir kommen schon klar.«

»Sie wissen nicht, worauf Sie sich einlassen. Dieser Ort besitzt hundert Möglichkeiten, Sie zu töten … und das, bevor Sie überhaupt das Zentrum erreichen. Sie haben keine verdammte Ahnung«, sagte Mike.

»Doch, das haben wir«, erwiderte Harris. »Wenn Sie wirklich wollen, dass Jane die besten Überlebenschancen hat, dann führen Sie unser Team gemeinsam dort hinein.«

»Sie Hurensohn! Was Sie brauchen, ist jemand, der die Scheiße aus Ihnen herausprügelt.« Mikes Stimme war jetzt so laut, dass Harris das Telefon von seinem Ohr weghalten musste. »Stellen Sie sich hinten an, Kumpel.«

Harris gluckste leise. »Also, Mike, sind Sie dabei oder nicht?«

Einige Augenblicke lang war nichts zu hören, dann sagte dieser: »Ich bin dabei.«

Harris atmete tief aus und nickte. »Guter Mann. Dann morgen früh, Punkt acht Uhr. Seien Sie bereit und …«

Die Leitung war tot, denn Mike hatte die Verbindung beendet, aber Harris wusste, dass der Mann für sie da sein würde. Er schien ein ehrenhafter Kerl zu sein, daher hasste er es auch, dass er die Situation hatte manipulieren müssen, indem er Jane Baxter benutzt hatte. Aber diese Sache war so wichtig, dass Regeln und Ehrgefühl keine große Rolle mehr spielten. Harris steckte das Telefon wieder in seine Tasche zurück.

Er schaute auf seine Armbanduhr; sie hatten noch viel zu besorgen und zu organisieren, aber sie würden es schaffen.

Als er das von Mike Monroe erstellte Dokument zum ersten Mal gelesen hatte, war es ihm wie eine Science-Fiction-Geschichte vorgekommen, und ein kleiner Teil von ihm hatte sich gefragt, ob der Kerl nur versuchte, einen Buchvertrag auszuhandeln. Aber nachdem sie die Infos von den Russen bekommen hatten, wusste er, dass Monroe die Wahrheit sagte. Und der Ausdruck auf dessen Gesicht und die echte Panik in der Stimme des Mannes hatten Harris verraten, dass dieser wirklich Angst hatte, wieder nach unten zu gehen.

Wenn also die Chance bestand, dass auch nur zehn Prozent der Geschichte stimmte, war Harris der Meinung, dass es richtig war, die von ihm beschriebenen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.

Jetzt war er zuversichtlich, dass er auf alles vorbereitet sein würde.

Kapitel 5

Auf dem Weg zum Bihole-Gebirge, Rumänien – das V5-Höhlensystem

Der Hubschrauber setzte leicht auf, verlangsamte aber nicht einmal seine Rotorblätter, als Mike vor seinem Haus abgeholt wurde, um danach direkt zum Flughafen geflogen zu werden. Von dort aus hatte er einen Direktflug nach Rumänien genommen, und nachdem er den Zoll passiert hatte, war er mit einem Lastwagen nach Fata Muncelului in den Bergen gebracht worden.

Einem grünen Paradies, das kaum mehr als ein Weiler weit draußen in der rumänischen Landschaft war.

Seine Reisegefährten, die er unterwegs in Rumänien getroffen hatte, hatten bisher nur wenig gesprochen. Vielleicht, weil sie wenig wussten oder einfach nicht reden wollten. Das Einzige, was sie getan hatten, war, sich vorzustellen. Ally Bennets Haut hatte die Farbe von verbranntem Honig, sie hatte glattes schwarzes Haar und große braune Augen. Ihr Reisegefährte war Russell Hitch, kräftig und bärenstark. Beide waren erfahrene Höhlenforscher und Kletterer, und nach dem Aussehen ihrer Muskeln, ihrer verschorften Knöchel und ihrer offensichtlichen Narben nach zu urteilen, waren sie entweder aktive Soldaten irgendeiner Abteilung der Streitkräfte oder vielleicht sogar Söldner.

Darüber dachte er einen Moment lang nach, denn wenn man ein Team hinunterschickt, um eine Gruppe von Russen, vielleicht sogar das russische Militär, zu konfrontieren, und etwas geht schief, dann möchte man sich sicher fühlen können. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, ist der Einsatz von Ex- oder inoffiziellen Agenten.

Mike ließ seinen Blick wieder zu den beiden Menschen hinübergleiten.

Wenigstens sahen sie nicht so aus, als würden sie das, was auf sie zukommen würde, einfach so hinnehmen, dachte er.

Der Lastwagen ließ sie für die letzte Etappe auf einem Hügel aussteigen, auf dem nur ein kleiner Pfad zu sehen war. Alle gingen jetzt zu Fuß zu dem kleinen Höhleneingang, aus dem er, Jane, Andy und Maggie vor über einem Jahr herausgekrochen waren.

Mike ging mit Hitch und Ally, und obwohl er schon seit etwa dreißig Stunden unterwegs war und wusste, dass er sich eigentlich erst erholen musste, stieg sein Herzschlag zusammen mit seiner Nervosität, je näher er dem Höhleneingang kam.

Als sie durch den letzten Kiefernbestand auf den smaragdgrünen Hügel traten, riss ihn die Szene aus seinen Erinnerungen, und er wurde von einem plötzlichen Anfall von Übelkeit geplagt. Er drehte sich zur Seite, um seinen letzten Kaffee auf den Rasen zu erbrechen.

»Besser raus als rein, was, Mikey?« Ally klopfte ihm im Vorbeigehen auf den Rücken. Weder Ally noch Hitch störte es im Geringsten, dass er krank war, sie gingen einfach weiter.

Mike richtete sich auf, wischte sich den Mund ab und drehte sich langsam um. Es war alles genauso, wie er es in Erinnerung hatte. Das Gras war kissenweich mit gelegentlichen Büscheln kleiner weißer Glockenblumen, und die Luft war sauber und klar, mit einem Hauch von Wildblumen und dem feuchten Duft des Taus, der auf dem Gras trocknete.

»Komm schon, Mikey«, rief Ally ihm zu, als sie und Hitch gerade die Baumgrenze erreichten.

Erst nach einer weiteren Viertelstunde des Wanderns roch er den Rauch, und als er aus dem Wald trat, entdeckte er eine Gruppe, die um ein großes Zelt versammelt war, vor dem ein Feuer loderte. Er erkannte Jane sofort, und es gab ihm ein gutes Gefühl, ein freundliches Gesicht zu sehen … vor allem ihr Gesicht.

Er winkte ihr zu, als sie sich umdrehte, doch sie erwiderte den Gruß nicht, und er spürte, wie sein Herz ein wenig schwerer wurde.

Was nun?, fragte er sich.

Wenigstens winkte Ray Harris. »Na endlich.« Er grinste. »Wir wollten schon ohne Sie gehen.«

Mike nickte ihm zu, ging aber direkt auf Jane zu. Er lächelte herzlich. »Hi.«

Sie verpasste ihm eine Ohrfeige. So fest, dass sein Kopf durchgeschüttelt wurde.

»Hey!« Er rieb sich die brennende Wange.

»Du Arschloch!«

Mike hörte Harris lachen, und er wusste, dass die gesamte Mannschaft sie jetzt beobachtete.

Das war nicht die Begrüßung, die er sich vorgestellt hatte. »Jane, ich bin hergekommen, weil …«

»Halt die Klappe, Mike. Halt einfach die Klappe.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

Er war nur ihretwegen hier, und sie tat so, als würde er sich einmischen.

»Du hättest es mir sagen können, weißt du.«

»Dir was sagen? Wer hat es dem Einsiedler erzählt, der allein im Wald lebt?« Mit gesenkten Brauen sah sie zu ihm auf. »Du hast uns eine Kopie deines halb fertigen Manuskripts geschickt und bist dann einfach von der Bildfläche verschwunden. Das ist jetzt über sechs Monate her.«

Er wusste, dass er sich abgeschottet hatte, und wenn er darüber nachdachte und sie jetzt ansah, fragte er sich, warum. »Ich hatte mit … persönlichen Dingen zu kämpfen.«

»Wir hatten alle mit persönlichen Dingen zu kämpfen. Wir waren alle da, weißt du noch?« Sie gab ein angewidertes Geräusch von sich und wandte sich von ihm ab.

Er hob sein Kinn. »Ich weiß, und ich habe dich gebeten, mit mir zu kommen.«

»Ich erinnere mich daran. Doch du hast mich nur ein einziges Mal gefragt, und du hast nicht gerade überzeugend geklungen, dass du meine Gesellschaft wirklich willst.« Sie drehte sich um und warf die Hände in die Luft. »Und dann warst du einfach weg!«

Mike atmete tief ein und aus und sah sich dann um. »Bei dir klingt es so, als ob ich wirklich hier sein möchte. Das will ich aber nicht.«

»Blödsinn, du wolltest insgeheim schon zurückkehren, seit wir rausgeklettert sind.« Sie beäugte ihn misstrauisch.

»Ich bin nur hier, um zu helfen, das ist alles. Das ist kein Geheimnis.« Er hob abwehrend die Hände. »Wir müssen sie nur zum Gravitationsbrunnen bringen. Danach können wir entscheiden, was wir tun werden.« Er beobachtete sie weiter. »Warum hast du deine Meinung geändert? Du hast gesagt, du wolltest nie wieder in die Höhle gehen, und nun bist du dabei, diese Jungs in eine der tiefsten Höhlen der Welt zu führen.«

»Aus vielen Gründen.« Sie starrte ein paar Augenblicke in die Ferne und blickte dann wieder zurück. »Sie sind alle dumm, doch einer ist der Dümmste von allen.«

»Du glaubst Harris also? Ich meine die Sache mit den Russen, die angeblich da unten sind?«, fragte Mike.

»Ja, das tue ich«, antwortete Jane.

»Deshalb bist du hergekommen? Aus Pflichtgefühl?« Er legte den Kopf schief.

Jane schien einen Moment lang zu überlegen. »Da ist noch etwas anderes …« Sie schenkte ihm ein trauriges Lächeln und senkte ihre Stimme. »Ich habe immer wieder diesen Traum … einen Albtraum … über Harry.« Sie starrte ihn an. »Dass er da unten noch am Leben ist.«

Mike seufzte. »Ich denke, das ist äußerst unwahrscheinlich.«

»Ich weiß, wahrscheinlich nicht, aber …« Sie drehte sich um und starrte ins Feuer.

Er betrachtete ihr Profil noch einen Moment lang. Sie war immer noch so attraktiv wie früher, aber jetzt sah sie ein wenig gequält aus und die Ringe unter ihren Augen zeigten deutlich den fehlenden Schlaf aufgrund dieser Albträume.

Er beschloss, das Thema zu wechseln. »Wie auch immer … wie ist es dir ergangen? Gibst du immer noch Biologieunterricht?« Er lächelte zu ihr hinunter.

»Ich habe einen Job an der Universität bekommen und forsche. Nach dem, was wir erlebt haben, hatte ich das Gefühl, dass ich mehr über das Leben, die Lebensformen und die Evolution erfahren muss. Aber ein Urlaub wäre schon schön«, antwortete Jane.

Er kam näher. »Ich kann dir einen Ort mit langen, schwarzen Sandstränden und einem tropischen Dschungel empfehlen, und das alles unter einem warmen, roten Himmel.« Mike grinste.

»Das ist nicht lustig, Mike, und um deine Frage von vorhin zu beantworten: Nein, ich will nicht hier sein. Wenn du nicht wärst, würde ich mich nicht im Umkreis von tausend Meilen von diesem verdammten Ort aufhalten.«

»Was?« Seine Augenbrauen schossen hoch.

»Aber warum …?« Sie schritt davon.

Scheiße, dachte er. Er wollte sie wirklich davon überzeugen, dass er auch nicht hier sein wollte, aber auf dem Weg zu der rumänischen Höhle geschah etwas Seltsames. Zwischen seinem Zittern und seinem nervösen Herzklopfen stiegen Aufregung und Vorfreude in ihm auf.

Es stimmte, dass er immer von seiner Rückkehr geträumt hatte, und davon, was er beim nächsten Mal brauchen würde, um seine Arbeit richtig zu erledigen. Jetzt schienen ihm all diese Mittel auf einem Servierteller präsentiert zu werden. Er merkte plötzlich, dass er insgeheim erfreut darüber war.

Mike schaute sich im Lager um und sah, dass zwischen den Gruppen von Menschen mehrere Kisten aufgestapelt waren. Harris bemerkte, dass er sie betrachtete. Er winkte noch einmal und schlenderte dann näher heran, sein Gesicht von gespielter Sorge gezeichnet.

»Ärger im Paradies?«, fragte Harris.

»Nein, es ist nichts.«

»Machen Sie sich keine Sorgen. Sie wird darüber hinwegkommen, sobald Sie sich bei ihr entschuldigt haben.« Harris grinste.

»Für was denn? Ich habe nichts falsch gemacht«, beharrte Mike.

»Ich habe nicht gesagt, dass Sie etwas falsch gemacht haben, sondern dass Sie sich entschuldigen müssen.« Harris gluckste. »Sie waren wohl noch nie verheiratet, was?«

Mike hatte es jetzt verstanden. »Sehr witzig.« Er nickte in Richtung der Kisten. »Was haben Sie da mitgebracht?«

»Nun, Ihr Manuskript war sehr informativ, Mr. Monroe. Obwohl meine Vorgesetzten viele der Bilder als Science-Fiction betrachtet haben, die vielleicht durch die lange Zeit, die Sie unter der Erde gefangen waren, entstanden sind, dachten wir, dass die zugrunde liegende Substanz es dennoch ratsam macht, sich angemessen zu schützen.«

»Ich habe das meiste also nur geträumt?«

»Ich habe nicht gesagt, dass es das ist, was ich denke.« Er führte Mike zu den Holzkisten hinüber und klappte den Deckel auf. Darin waren in Reihen Gewehre gestapelt. Harris zog eines heraus. Das dunkle Metall schimmerte, doch das Erstaunliche war, wie flach die Waffe war. Harris klappte sie auseinander.

»Cool.« Ally Bennet kam näher heran. »Steyr AUG?«

»Fast.« Harris grinste. »Steyr AUG P-Variante; ein Spitzenmodell aus österreichischer Produktion. Schön leicht, flaches Gehäuse, Polymergriff, Laservisier und ein Magazin für eine Vielzahl von Patronen. Sollte den Job in engen Räumen perfekt erledigen.«

Harris reichte es ihr, und Ally legte es sofort an ihre Schulter und konzentrierte sich auf Objekte, während sie durch das Zielfernrohr schaute. Sie drehte es für einen Moment zur Seite und sah dann wieder zu Harris.

»Es gibt aber keinen Aufsatz für einen Raketenwerfer.«

»Das stimmt, aber nur, weil sie zu sperrig sind, genau wie ihre Munition. Wir müssen mit leichtem Gepäck reisen. Diese Babys sind tödlich genug.« Harris grinste. »Aber keine Sorge, wir haben auch ein paar zusätzliche Überraschungen dabei.«

Er öffnete weitere Kisten und holte etwas heraus, das wie kleine Angelkoffer aussah. Mike sah, dass sich Kugeln darin befanden, einige davon waren farblich gekennzeichnet.

»Wir haben hier Standardmunition, aber die mit den roten Spitzen sind brandgefährlich, und schwarze Spitzen bedeuten, dass sie explosiv sind. Allesamt sind panzerbrechend.« Er drehte sich zu Mike um und zwinkerte ihm zu. »Für ein paar von diesen großmäuligen Bastarden, die Sie erwähnt haben.«

Jane hatte die Hände in die Hüften gestützt. »So sehr wir uns auch den Tod einiger dieser Monster gewünscht haben, müssen wir doch bedenken, dass es ihre Welt ist und wir die Eindringlinge waren.«

Sie trat näher. »Oder sind die Waffen dafür da, einen Krieg mit Russland zu beginnen?«

Harris nickte ihr zu, was fast einer kleinen Verbeugung gleichkam.

»Beides werden wir nicht tun, Jane. Ich möchte nur sicherstellen, dass wir alle wieder heil nach Hause kommen. Ehrlich gesagt, hoffe ich, dass wir nicht einen Schuss abfeuern müssen. Aber wenn wir mit dem Rücken zur Wand stehen, wird das leider nicht lange der Fall sein.« Harris richtete sich auf und wandte sich an Ally. »Außerdem haben wir ein paar Mini-Splittergranaten dabei; nur so als Glücksbringer.«

»Cool.« Ally nickte zustimmend.

Jane stöhnte auf. »Bist du etwa mit dieser ganzen Feuerkraft einverstanden, Mike?«

Mike nickte. »Ja, ich denke schon. Besser, es zu haben und es nicht zu brauchen, als es zu brauchen und es nicht zu haben.«

»Bingo, Sir.«

Harris drehte sich langsam um. »Wir haben auch eine Reihe von Messern und Handfeuerwaffen für Sie.« Er sah, dass Jane protestieren wollte und hob die Hand. »Jane, wenn sie nie benutzt werden, ist das für mich auch in Ordnung.«

Ihr Mund verzog sich für einen Moment zu einem schmalen Strich, aber schließlich nickte sie.

Mike beobachtete sie und wusste, dass sie sich nur deshalb so aufbrausend verhielt, weil sie stinksauer war. Aber sie wusste auch, dass sie beschützt werden mussten.

»In Ordnung.« Harris wandte sich an die Gruppe und klatschte ein paar Mal in die Hände, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. »Hört zu, Leute. Morgen früh um Punkt sechshundert betreten wir das V5-Höhlensystem und machen uns dann auf den Weg zum G-Brunnen, zu dem uns unsere freundlichen Höhlenforscher hier führen werden. Heute Abend möchte ich, dass Sie sich alle mit Ihrer Ausrüstung, Ihren Waffen und Ihren Höhlenanzügen vertraut machen. Sie alle werden Ihre besten Freunde und Ihre Sicherheitsnetze sein, egal, wie lange wir unter der Erde sind.«

Harris verschränkte die Arme vor der Brust, und sein Hemd spannte über seinen Muskeln, als er ihre Gesichter musterte. »Sie alle haben den Bericht von Mr. Monroe gelesen. Wir gehen davon aus, dass wir auf verschiedene Formen großer, aggressiver einheimischer Lebensformen treffen werden. Wir werden versuchen, ihnen aus dem Weg zu gehen, aber wir sind hier, um einen Auftrag zu erfüllen, und diesem darf nichts im Wege stehen. Verstanden?«

»Hooah«, antworteten sie gemeinsam.

In diesem Moment wusste Mike, dass sein Verdacht richtig gewesen war und ihre Reisegefährten keine einfachen Höhlenforscher waren.

»Sie sagten, Sie seien hier, um einen Job zu erledigen. Erinnern Sie mich noch mal daran, was das eigentlich genau ist?«, meinte Jane.

Harris' Blick war unerschütterlich. »Verteidigen Sie die Vereinigten Staaten von Amerika, ihre Verbündeten, ihre Interessen und Sie selbst und Ihre Familien.« Seine Miene wurde weicher. »Keine Sorge, wir sind nicht auf einen Krieg aus. Wir wollen nur sehen, was unsere russischen Freunde vorhaben, und dabei am Leben bleiben.«

Jane blickte kurz auf die ganze Feuerkraft und dann wieder zu ihm. »Ich wünsche Ihnen Glück.«

Harris nickte und wandte sich ab. Jane trat näher an Mike heran und hob die Augenbrauen. »Ich weiß nicht, ob ich mich jetzt sicherer oder ängstlicher fühle.«

»Sicherer«, antwortete Mike zuversichtlich. »Das letzte Mal waren wir extrem unvorbereitet, das Ganze hier bedeutet, dass wir uns nun verteidigen können, wenn wir uns überhaupt dazu entscheiden, den ganzen Weg zu gehen«, fügte er hinzu.

Die beiden liefen zum Ausrüstungsbereich hinüber. Es gab dort Höhlenanzüge und alle Arten von Kletterausrüstung, und Mike war erfreut zu sehen, dass alles von bester Qualität war.

»Die haben keine Kosten gescheut«, sagte Mike.

»Nur das Beste vom Besten.« Dann griff Jane in eine Schachtel und holte ein seltsam aussehendes Headset mit vier Gläsern auf der Vorderseite heraus.

»Was zum Teufel ist das für ein Ding?«

»Vierfache Sicht, die besten in der Branche«, antwortete Ally Bennet, ohne von ihren Aufgaben aufzuschauen.

»Es gibt aber nur zwei Stück«, bemerkte Mike.

Ally sah zu ihm auf. »Das stimmt, Mikey. Bei fünfundsechzigtausend pro Stück können wir allerdings froh sein, wenn wir eins bekommen, geschweige denn zwei.«

»Das Ding ist mehr wert als mein Auto.« Mike drehte es um, um das Gerät genauer zu untersuchen. »Die Nachtsicht hängt aber von der Verstärkung des Lichts ab, und da unten in den Höhlen gibt es kein Licht zum Verstärken, was ein Problem ist.«

»Du hättest recht, wenn es sich bei dem Gerät um eine Standard-FLIR Forward Looking Infrared Unit handeln würde.« Ally stemmte ihre Hände in ihre Hüften. »Diese Geräte hier arbeiten mit einer Bildverstärkung, die das einfallende schwache Licht auffängt, die Photonen in ein elektrisches Signal umwandelt, das Signal verstärkt und das verstärkte Bild dann auf einem grünen Phosphorschirm anzeigt.«

Jane nickte zustimmend. »Ich kenne mich mit Lichtverstärkern aus. Ich habe sie auch schon benutzt.« Sie lächelte. »Grün auf Grün ist die beste Farbe, weil das menschliche Auge Grüntöne besser unterscheiden kann als andere Farben.«

»Sehr gut.« Ally deutete auf das Set in Mikes Händen. »Aber diese bösen Buben brauchen nichts zu verstärken, denn die interne Software erzeugt eine Falschfarbendarstellung der beobachteten Infrarotstrahlung von dem, was du gerade betrachtest. In Kombination sind die beiden Technologien ein äußerst starkes Paar. Das Nachtsichtgerät ermöglicht unter normalen Bedingungen das Aufspüren von Objekten über große Entfernungen hinweg, während das IR-Sichtgerät diese Fähigkeit erweitert, wenn die Umgebungsbeleuchtung nicht vorhanden ist oder das Ziel durch Nebel, Staub oder andere Faktoren verdeckt wird.«

»Wir haben nur zwei Augen, was sollen also die vier Linsen?«, fragte Jane. »Wozu dienen diese?«

»Eine Achtzig-Grad-Sichtseite des Auges ist damit erfasst.« Sie grinste. »Es ist also fast unmöglich, sich im Dunkeln an jemanden heranzuschleichen, wenn dieser so etwas trägt.«

Mike hob es hoch. »Das Gerät ist so leicht.«

Sie nahm es ihm ab. »Es ist leicht, robust, und das Beste ist, es gehört mir.« Sie grinste. »Keine Sorge, Kinder, ich halte euch da unten den Rücken frei.«

Mike sah Jane an. »Nicht schlecht, denke ich.«

Von hinten meldete sich Harris zu Wort, der neben dem Feuer stand. »Meine Damen und Herren, bitte nehmen Sie alle Ihre Strahlenmedikamente vor dem Schlafengehen ein. Wir sehen uns mit strahlenden Augen und buschigen Schwänzen um Punkt sechshundert.«

Er wandte sich ab, um sich mit einem der Soldaten zu unterhalten.

Eine andere Frau kam jetzt mit ein paar kleinen Bechern und Wasserflaschen zu ihnen. Mike sah sofort, dass sie nicht die raue Härte der Soldaten besaß.

Sie lächelte und reichte ihnen jeweils einen Becher. »Hi, Sie sind Mike Monroe und Jane Baxter, richtig?«

Jane nickte. »Ja, und Sie?«

»Penny Gifford, Ärztin, Chirurgin und Teilzeit-Höhlenforscherin.«

Sie deutete über ihre Schulter auf einen jugendlich aussehenden, bärtigen Mann, der sich mit Harris unterhielt. »Das ist Alistair Peterson. Er ist Wissenschaftler, spezialisiert auf Biologie und Entomologie, und beschäftigt sich auch mit primitiven Sprachen.« Sie drehte sich wieder um. »Sie können also davon ausgehen, dass er tausend Fragen an Sie beide hat.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob wir tausend Antworten haben werden«, sagte Jane und blickte stirnrunzelnd auf die kleinen Pappbecher, die sie bekommen hatten und die halb voll mit Tabletten waren. »Ich nehme an, dass das nicht alles Vitamine sind, oder?«

Penny lächelte und schüttelte langsam den Kopf. »Kaliumjodid, ThyroShield genannt, eine nicht radioaktive Form von Jod. Außerdem Radiogardase, das Cäsium und Thallium in Ihrem Körper bindet, und Ihnen ermöglicht, es auszuscheiden. Und schließlich noch Diethylentriaminpenta-Essigsäure, eine Substanz, die Schwermetalle auffängt.« Sie lächelte. »Es ist das, was einer inneren Strahlenschutzpanzerung am nächsten kommt. Es schützt ein Jahr lang.«

Jane sah sich die Tabletten einen Moment lang an und wandte sich dann an Mike. »Die brauchen wir nur, wenn wir den ganzen Weg gehen.«

»Das stimmt.« Mike griff nach dem kleinen Becher und der Flasche.

Er betrachtete die Mischung aus blauen, weißen und roten Pillen noch einen Moment lang, dann warf er sie in seinen Mund und nahm schnell einen Schluck Wasser.

Er lächelte und zuckte mit den Schultern. »Es dauert eine Weile, bis sie wirken, also nur für den Fall der Fälle.«

»Argh.« Jane schnappte sich das andere und tat dasselbe.

Mike musterte die kleine Frau. »Sie sagten, Sie sind schon mal in Höhlen geklettert?«

»Ja, ein bisschen, aber ich bin schon oft auf Felsen geklettert. Deshalb bin ich auch einberufen worden«, antwortete Penny.

»Einberufen?«, fragte Jane.

»Ja, ich bin bei der Nationalgarde. Genau wie Alistair. Die nationale Sicherheit ruft, also sind wir hier.« Sie grinste.

Mike neigte den Kopf in Richtung Ray Harris und seiner Gruppe.

»Die sehen mir aber nicht nach Nationalgarde aus.«

Penny drehte sich kurz um. »Das sind sie auch nicht. Sie gehören irgendeiner Abteilung der Special Forces an, glaube ich. Oder vielleicht waren sie mal dort.« Sie drehte sich wieder um.

Mike sah Jane an und zuckte mit den Schultern. »Das macht nichts, denke ich.«

»Ich habe den Bericht gelesen, den Sie erstellt haben.« Penny senkte ihre Stimme. »Ich bin froh, dass Sie beide sich dazu entschieden haben zu kommen. Denn wir werden Ihre Erfahrung und Hilfe sicher brauchen, wenn auch nur die Hälfte von dem, was da drin stand, wahr ist.«

Mike und Jane tauschten einen Blick aus, und dann sagte Jane spöttisch: »Penny, lassen Sie mich Ihnen einen kostenlosen Rat geben. Wenn Sie überleben wollen, dann gehen Sie besser davon aus, dass alles wahr ist.«

»In Ordnung.« Penny nahm ihnen die leeren Becher ab. »Ich lasse Sie zwei jetzt ein wenig ausruhen, aber passen Sie auf Alistair auf, Jane, denn ich weiß, dass er Sie mit Ihrer Theorie über die Evolution der Gliederfüßer nerven wird.« Sie verabschiedete sich von ihnen und ging zurück zu dem, was wie ein einfacher Schlafsack neben dem Feuer aussah.

Mike und Jane wurde angeboten, in dem großen Zelt zu schlafen, aber sie lehnten ab. In den nächsten Tagen würden sie sowieso auf dem Boden der Höhle schlafen, also könnten sie genauso gut jetzt mit dem Akklimatisierungsprozess beginnen.

Mike setzte sich neben Jane und sah, wie diese in den Nachthimmel blickte. »Schaust du dir die Sterne an?«

Sie nickte. »Ich will mich nur daran erinnern, wie sie aussehen.«

Sie drehte sich um. »Und ihnen versprechen, dass ich zurückkommen werde.«

Er lächelte und legte eine Hand auf ihren Unterarm, aber sie zog ihn weg.

Mike ließ seine Hand sinken.

»Dieses Mal sind wir nur Berater.«

Sie schnaubte leise. »Warum habe ich dann das Gefühl, dass sie uns nicht gehen lassen werden, wenn es an der Zeit ist?«

»Das werde ich nicht zulassen«, sagte Mike nachdrücklich und meinte es auch so.

Sie wandte sich ihm zu. »Ich habe mir geschworen, nie wieder dort runterzugehen … und sieh nur, wo ich bin.« Sie legte sich hin, schloss aber nicht die Augen. »Gute Nacht.«

Kapitel 6

Die rumänische V5-Höhle wurde aus gutem Grund auch Schlagloch genannt. Die Öffnung an der Oberfläche war leicht zu übersehen und kaum mehr als ein kleiner Riss im Boden. Sie war schmal und fiel mehrere Hundert Meter tief ab, sodass sie für unzählige Jahrtausende ein Grab für unaufmerksame Tiere geworden war.

Jane stand auf dem Gipfel und stieg in die undurchdringliche Dunkelheit hinab.

Jetzt geht's wieder los, dachte sie.

Sie drehte sich um und sah über ihre Schulter zu dem Team. »Bereit?«

Sie starrte wieder nach unten. Obwohl die Höhle in der Trockenzeit für Höhlenforscher geöffnet war, hieß es in den Hinweisen, dass sie dennoch gefährlich sein könnte. Jane wusste, dass dies die Untertreibung schlechthin war, da es im Laufe der Zeit schon zahlreiche Todesfälle gegeben hatte und mehrere Höhlenforscher in den dunklen und verwinkelten Labyrinthen einfach spurlos verschwunden waren.

»Lass uns gehen.«