ODINS HERZ - Die geheimnisvolle Insel 2 - Greig Beck - E-Book
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ODINS HERZ - Die geheimnisvolle Insel 2 E-Book

Greig Beck

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Beschreibung

Die Legende von Lemuria, der geheimnisvollen Insel, mit all ihren Wundern und Gefahren erwies sich als überaus real. Aber die alten Geschichten über einen großen Schatz und noch größeres Grauen auf dieser Insel konnten Troy Storm und Anne Walsh nicht darauf vorbereiten, was sie tatsächlich dort vorfinden sollten – monströse Kreaturen, die im Meer, in der Luft und an Land lebten. Und nun sind die beiden unter ihnen gefangen … Aber sie haben einen Plan. Wenn sie das Herz Odins finden könnten, einen riesigen Rubin, könnte dieser ihnen zur Flucht verhelfen. Doch um an ihn zu gelangen, müssen sie die urzeitliche Insel voller furchteinflößender Kreaturen durchqueren, die sich den Gesetzen der Evolution widersetzt zu haben scheinen. Ihr Weg führt sie dabei in die Höhle eines wahrhaftigen Drachen und auf die Spur des ersten Wikinger-Klans, der einst seine Füße auf dieses verwunschene Stück Land setzte. Bestseller-Autor Greig Beck nimmt sich eines weiteren Klassikers von Jules Verne an und verwandelt ihn auf die für ihn typische Weise in eine spannende Mischung aus Horror-Elementen und Action, ganz in der Tradition seiner Primordia-Reihe.

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ODINS HERZ

– Die geheimnisvolle Insel Band 2 –

Greig Beck

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com Title: BEYOND ODIN’S GATE. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2022. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

 

Impressum

Deutsche Erstausgabe Originaltitel: BEYOND ODIN’S GATE Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Madeleine Seither

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-877-5

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

ODINS HERZ
Impressum
Prolog
EPISODE 08
Kapitel 1
Kapitel 2
EPISODE 09
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
EPISODE 10
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
EPISODE 11
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
EPISODE 12
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
EPISODE 13
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
EPISODE 14
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
EPISODE 15
Kapitel 45
Epilog
Über den Autor

Das Unerwartete erwarten –

Wo bleibt da der Spaß?

Greig Beck

Im Jahr 1902 entdeckte der berühmte Archäologe Robert Koldewey das sagenumwobene babylonische Ishtar-Tor, das um 575 vor Christus erbaut worden war. Ihm fiel auf, dass es viele Abbilder der riesigen drachenartigen Kreatur, die als Sirrusch bekannt ist, enthielt.

Nach jahrelanger intensiver Recherche entschied er, dass die Bilder die Darstellung eines echten Tieres waren, da sie in der babylonischen Kunst über viele Jahrhunderte hinweg konsistent war, während sich jene aller anderen mythologischen Kreaturen mit der Zeit veränderten, manchmal drastisch. Nur der Sirrusch nicht. Darüber hinaus wurde der Sirrusch auf dem Ishtar-Tor neben echten Tieren gezeigt, dem Löwen und dem Auerochsen, was ihn zu der Spekulation veranlasste, dass es eine Kreatur war, mit der die Babylonier wohl vertraut waren.

Die babylonischen Aufzeichnungen berichteten, dass der Drache dafür bekannt war, aufzutauchen und dann für Jahre oder Jahrzehnte zu verschwinden, bevor er erneut erschien. Aber niemand wusste, wohin er ging oder woher er kam.

Prolog

1865 – Lemuria, die geheimnisvolle Insel, tief unter Grönland

Gideon Spilett stand mit in die Hüfte gestützten Händen da und sah in den himmelhohen Baum hinauf. Seine Hose war zerlumpt und um die Taille mit einem Seil festgebunden, und was von seinem Hemd übrig war, hing in Streifen von einem knochigen, unterernährten Körper.

Er war das letzte überlebende Besatzungsmitglied des gestohlenen Aufklärungsballons, der bruchgelandet war, was ihn auf dieser geheimnisvollen Insel festgesetzt hatte. Nach achtzehn Monaten wusste er, dass er kein Jäger war, kein Fischer und kein Naturbursche, und er hatte hauptsächlich von Nüssen, Pilzen, Beeren und interessanten Dingen, die er unter umgefallenen Baumstämmen gefunden hatte, überlebt. Manchmal musste er die Augen schließen und den Atem anhalten, wenn er sie sich in den Mund steckte, da ein Mann mit solch kultiviertem Feingefühl wie er am Ende seinen Mageninhalt entleeren könnte, und ihm war bewusst, dass er die Nahrung im Moment dringender brauchte als seine Manieren.

Topper, sein kleiner, treuer Hund, kannte keine solchen Skrupel, und sobald ein Baumstamm umgedreht war, flitzte das Tier hin und schnappte sich alles, was sich bewegte. Einmal hatten sie ein Gelege gefunden, jedes Ei so groß wie seine Faust, und wenngleich sie nach Fisch geschmeckt hatten, aßen Gideon und Top an jenem Tag gut.

Er nickte. »Ich glaube, ich kann es schaffen.«

Er sah zu Top hinauf, der unverwandt zurückblickte und den Kopf schief legte, schwer bemüht, seine Worte zu verstehen. Der kleine Hund winselte.

»Klar, es ist hoch. Aber ich muss sehen, ob es einen Ort auf dieser Insel gibt, der zu einem Weg herunterführen könnte. Ich weiß, dass du auch nach Hause willst.«

Topper sah kurz über die Schulter in die zwielichtige Düsternis des überwucherten Waldes, dann zurück zu seinem großen Freund. Er winselte wieder.

»Ich brauche nicht lange«, sagte Spilett und wandte sich den oberen Ästen zu.

Der Baum, den er ausgewählt hatte, stand auf der Spitze eines kleinen Hangs und schien die anderen zu überragen. Er wäre ein guter Aussichtspunkt, vorausgesetzt, er konnte in diese Höhe klettern.

Spilett entschied sich für eine Route und zog rasch die Seiltasche aus, die über seiner Schulter hing, beschloss aber, sein Messer zu behalten, da es die einzige Waffe, das einzige Werkzeug, war, dass er übrig hatte.

Er holte tief Luft und begann zu klettern.

Zunächst war es eine mühelose Aufgabe, und sein unterernährter Körper war leicht, aber das bedeutete auch, dass er seiner Muskeln beraubt und daher schwach war, und er ermüdete schnell. Von Zeit zu Zeit musste er anhalten, um Atem zu schöpfen, und nach einer Viertelstunde war er doch nur etwa sieben Meter weit oben.

Er schaute nach unten. Als Topper ihn sah, begann er, mit seiner kleinen Peitschenrute wedeln. Er jaulte, und Spilett befahl ihm, still zu sein. An diesem Ort zahlte es sich nicht aus, anzukündigen, wo man war.

Er kletterte weiter, hielt an, um sich auszuruhen, und kletterte wieder. Nach weiteren dreißig Minuten schnaufte er wie eine Dampflok und sein Herz hämmerte, aber er schaffte es über die Baumkronen. Langsam bewegte er sich auf einer Seite nach außen, und dort verharrte er und betrachtete das Panorama. Er seufzte. Das Land war viel größer, als er erwartet hatte. In der Ferne erstreckte sich ein Berg und verschwand in der Nebelgrenze, die über ihm hing.

Er starrte zur weißen Decke über sich hinauf. Cyrus hatte postuliert, dass es ein solides Dach aus Eis war. Er wandte sich wieder dem Berg zu und erkannte, dass mächtige Bäume ihn umgaben, und er meinte, dass an seinem Westhang Höhlen sein könnten.

Während er hinsah, trompetete etwas; der schwermütige Ruf hallte durch die Landschaft, und einige Bäume erzitterten und neigten sich aus zur Seite, als ginge eine Kreatur von kolossaler Größe unter ihren Kronen her. Dann glaubte er, zu sehen, dass sich ein Berg bewegte, ein riesiger schuppiger Rücken vielleicht, fast auf der Höhe der Baumkronen, dachte aber, dass es seine Einbildung gewesen sein musste. Sicherlich konnte kein lebendes Ding so groß sein.

Nach einigen weiteren Augenblicken senkte es sich und war verschwunden. Dann wandte sich Spilett nach Osten: Dort war noch mehr Wasser, das ihm bestätigte, dass er sich auf einer Insel befand. Und hinter dem Wasser stand eine Wand aus Fels und Eis, die in den Himmel hinauf ragte. Sein Mut sank. Es schien keinen Ausweg zu geben.

Er wandte sich wieder dem Berg zu und folgte seinen Höhen dahin, wo er verschwand. Wieder dachte er an Cyrus’ Theorie über das Eisdach. War es solide oder könnte es einen Weg hindurch geben. Falls er sich in den Berg vorwagte, könnte er dann in seinem Inneren hinaufklettern?

Er dachte über diese Reise nach. Außer Zeit besaß er nichts, also war es vielleicht ein Ausflug, den auf sich zu nehmen es wert wäre.

Er starrte weiter, hatte den Blick aber nach innen gerichtet, während er in Gedanken plante, und genau da zog ein Schatten über ihm vorbei, und er duckte sich instinktiv. Er wusste von den riesigen, ledrigen, fledermausartigen Kreaturen und hatte nicht das Verlangen, sich mit einer von ihnen anzulegen, während er auf einem Ast saß.

Spilett bewegte sich zum Mittelstamm zurück und wollte gerade hinunterklettern, als er innehielt. Dort war etwas in den Baum geritzt … Vier Buchstaben, nur vier … Er fuhr sie mit dem Finger nach: N E M O. Ist das ein Name?, fragte er sich. Es klang nicht nach einem englischen Namen, aber er wettete, dass er von Menschenhand eingeritzt worden war. Er kratzte an der Rinde. Die Schnitzerei war trocken und verheilt, aber nicht überwachsen, was bedeutete, dass sie während der letzten Jahre entstanden sein musste.

Seine Umgebung überdenkend drehte sich Spilett langsam um. Jemand hatte genau hier gestanden und seine Zeit mit Schnitzen verbracht.

»War noch jemand hier? Ist jemand hier?«, fragte er sich selbst.

Genau dann schoss der Schatten wieder über ihm vorbei, und er wusste, dass seine Zeit abgelaufen war. Er begann, hinabzuklettern, und brauchte genauso lange wie fürs Hinaufklettern. Als er noch immer fünfzehn Meter über dem Boden war, fing Topper wieder zu bellen an.

Zuerst glaubte er, das läge daran, dass sein kleiner Freund erspäht hatte, dass er zurückkam, und aufgeregt wurde, und vermutlich erleichtert war. Doch dann wurde sein Bellen rasend und mit Knurren vermischt, wie eine winzige Maschine, deren Zahnräder knirschten.

»Top?« Spilett kletterte schneller hinunter. »Topper?«

Etwas huschte durchs Laub unter dem Baum, und er sah hinunter und erspähte das kleine Tier mit breiten Beinen dastehen, den kleinen Schwanz pfeilgerade in der Luft.

Toppers Zähne waren gefletscht, und er schüttelte sich entweder vor Wut oder Angst über etwas direkt am Gebüschrand.

»Top?« Spilett kam etwas weiter herunter und hielt an, um die Stirn zu runzeln. Eine Sache, die er während seiner Zeit an diesem elenden Ort gelernt hatte, war, dass manche Farben nicht oft in der Natur existierten. Und die meisten Kreaturen entschieden sich für Tarnfarben, welche zum Verstecken und Jagen am besten geeignet war. Aber hin und wieder kündigte sich etwas mit auffälligen Schattierungen an: den Farben von Warnung und Gefahr.

Während er hinstarrte, sah er einen blutroten Kopf so groß wie eine Schaufel langsam unter einigen Palmwedeln hervorkommen. Zu beiden Seiten befand sich ein ähnlich gefärbtes Paar enormer, böse aussehender Scheren, die sich öffneten und schlossen.

Das Ding war segmentiert, und jedes Segment hatte ein gegliedertes Beinpaar. Bislang war etwas über einen Meter davon aufgetaucht, aber Spilett zweifelte nicht daran, dass sich der Großteil davon noch zeigen würde. Und es kam, um sich einen leckeren kleinen Happen Hundefleisch zu holen.

»Zurück, Top, geh zurück«, drängte Spilett, aber das kleine Tier wich nicht von der Stelle, sondern versuchte, den Vorstoß des Dings zu verhindern.

Eine Sache, die er über Topper gelernt hatte, war, dass er es für seine Aufgabe hielt, seinen Menschen zu beschützen, und der mutige kleine Narr war bereit, dabei zu sterben.

Der riesige Hundertfüßer kam ein Stück weiter heraus, und seine Kiefer öffneten sich und blieben offen. Er schien in sich selbst zurückzuweichen, aber Spilett wusste, dass er sich nicht zurückzog, sondern sich stattdessen einrollte, bereit, sich geradewegs auf seinen Hund zu stürzen. Danach, sobald er Top mit seinen Scheren aufgespießt hätte, würde er ihn rasch wegzerren. Spilett zog seine Klinge.

Er hatte sich nie als mutigen Mann betrachtet. Aber Freunde hielten zusammen. Und Top war der Letzte, den er noch hatte.

Gideon Spilett, Gentleman und Zeitungsjournalist, hob die Klinge und sprang aus drei Metern Höhe hinunter.

EPISODE 08

Kapitel 1

2002 – Provinz Liaoning, Nordost-China, Grenze zu Nordkorea

Lin Bao parkte seinen Truck und stieg aus. Es war eine lange und staubige Fahrt gewesen, und obgleich er als Leiter der paläontologischen Abteilung des Chinesischen Paläozoologischen Museums in Peking viele schwer zu findende und extrem gefährliche Orte auf der ganzen Welt besucht hatte, gefiel es ihm nicht, so nah an der nordkoreanischen Grenze zu sein.

Die Nordkoreaner waren allem und jedem gegenüber so misstrauisch, dass sie dafür bekannt waren, aufs Geratewohl auf Menschen zu schießen, die zu nahe kamen. Ihre Einstellung lautete sehr wohl erst schießen, dann fragen. Oder sogar erst schießen, dann die Leichen vergraben.

Bao sah sich um. Der Tag war heiß, und er spürte augenblicklich, wie ihn die Sonne im Nacken brannte. Er setzte seinen breitkrempigen Hut auf, einen australischen Akubra, der beste, der während der letzten zehn Jahre sein Gefährte gewesen war. Er war ein Geschenk von einem Archäologenkollegen bei einer Dinosaurierausgrabung in Lightning Ridge gewesen.

»Ah.« Er entdeckte die Ausgrabungsstätte und ging hinüber.

Auf halbem Weg wurde er von Wu Jintao empfangen, Ausgrabungsleiter und die Person, die ihn persönlich zu dieser Ortsbegehung eingeladen hatte. Seine kryptischen, aber verlockenden Hinweise auf das, was er entdeckt hatte, waren unwiderstehlich gewesen. Und während er sich näherte, war das Lächeln des jungen Mannes so breit und hell wie der Sonnenschein.

Bao winkte zurück. Er wusste, warum er eingeladen worden war: Das Museum konnte Fördergelder bewilligen, falls es Projekte der kulturellen Investition für würdig hielt, und wenn die Ergebnisse wichtige Exemplare hervorbrachte, hatte das Museum als erstes Anrecht darauf.

»Sie haben uns also gefunden?« Jintaos Grinsen wurde breiter, und er wischte sich eine seiner staubigen Hände an der Hose ab und strecke sie aus.

Als Bao dem jungen Mann die Hand schüttelte, spürte er die rauen Schwielen. Gut, dachte er. Er war ein arbeitender Manager, kein universitätsgelehrter Kerl, der wenig mehr tat, als Geschäfte zu leiten.

»Ja, Sie waren leicht zu finden«, sagte Bao. »Nur aus der Stadt raus und tausend Meilen weiter.« Er lachte leise, zeigte dann aber zum Horizont. »Irgendwelche Probleme mit den Nachbarn?«

Jintao drehte sich halb um und grunzte. »Sie sind da und schauen ständig zu. Aber sie haben uns nicht unmittelbar gestört.«

»Gut. Aber seien Sie vorsichtig. Die sind unberechenbar und trauen niemandem. Wenn die glauben, dass Sie etwas im Schilde führen, sind sie verpflichtet, Sie zu bombardieren«, antwortete Bao. »Nun, wofür haben Sie mich den ganzen Weg hierher geschleppt?«

»Etwas.« Er drehte sich um. »Etwas Tolles.«

Jintao führte Bao den Hügel hinauf. Oben angekommen sah er die Männer und Frauen, Dutzende von ihnen, die wie eingespielte Wanderameisen am Hang arbeiteten, effizient und unermüdlich gruben und tonnenweise Stein und Erdreich in Körben wegtrugen.

»Ein großes Team«, bemerkte Bao.

»Ja. Und ein sehr gutes Team, aber auch ein teures.« Jintao nickte in ihre Richtung. »Und deshalb sind Sie hier. Zum Zeitpunkt unserer größten Entdeckung sind wir am Rand unserer Reserven. Wir brauchen weitere Gelder.«

»Wir werden sehen«, antwortete Bao unverbindlich.

Der erste Halt war bei einem großen Zelt im Camping-Stil und der heißen Brise, die die Tuchwände flattern ließ und an den Seilen zerrte, die von Metallheringen festgehalten wurden. Jintao schob die herabhängende Zeltklappe des Eingangs mit einem Arm zurück und hielt sie offen, damit Bao eintreten konnte.

Im Inneren, mit einem Laken bedeckt, lag etwas auf dem Boden, das um die dreieinhalb Meter lang war und um die anderthalb breit. Und das war alles.

Jintao schob seinen Hut zurück und die Kordel um seinen Hals hielt ihn fest. Er wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn, hinterließ einen braunen Streifen im Schweiß, und näherte sich. Er ging in die Hocke, die Finger gefaltet, und sah zu Bao hinauf.

»Sie wissen, was die K-P-Grenze ist, nicht?«, fragte er.

»Natürlich«, antwortete Bao brüsk. »Das ist die zweieinhalb Zentimeter dicke Tonschicht, auch als Kreide-Paläogen-Grenze oder K/T-Grenze bekannt, die den Übergang von der Zeit der Dinosaurier, der Kreide, zur nachfolgenden post-dinosaurischen Zeit, dem Paläogen, bildet.«

»Perfekte Beschreibung.« Jintao lächelte. »Sie stimmt mit einem der größten Massenaussterben in der Erdgeschichte überein, als vor sechsundsechzig Millionen Jahren ein massiver Asteroid einschlug und siebenundfünfzig Prozent aller lebenden Spezies, alle Dinosaurier eingeschlossen, vernichtete. Im Prinzip finden wir unter der K-P-Grenze Dinosaurierknochen. Und darüber nichts.« Er lächelte wieder. »Bis jetzt.«

Jintaos Brauen zogen sich zusammen. »Sie wollten wissen, was so wichtig war, dass ich Sie gebeten habe, hier raus zu kommen.« Er sah auf. »Das war deswegen.« Er schlug das Laken zurück.

Baos Stirn runzelte sich, während er auf den Stein und das, was darin eingeschlossen war, hinunter starrte.

»Ist das …« Er kniff die Augen zusammen. »… Ist es echt?«

»Ja«, antwortete Jintao und legte eine Hand neben das, was im Stein war. Er zeichnete es mit den Fingern nach. »Ich glaube, dieses Ding war zur Zeit der Dinosaurier hier, hat sie aus dem Feld geschlafen und sie dann überlebt.« Er nickte. »Und sie vielleicht sogar ausgerottet.«

»Ich halte das für eine ungewöhnliche Annahme«, spottete Bao.

»Vielleicht«, entgegnete Jintao. »Aber wissen Sie, was der größte Zahn eines Karnivoren war?«

Bao antwortete augenblicklich. »Ah, ja, der kam von einem Megalodon und war um die neunzehn Zentimeter lang. In der Wüste von Ocucaje in Peru gefunden.«

»Das ist korrekt. Aber der größte je dokumentierte Zahn eines prähistorischen Landkarnivoren gehörte einem T-Rex und war sage und schreibe dreißig Zentimeter lang! Obwohl dieses Maß die Zahnwurzel einschließt, der freiliegende Teil des Zahns war also fünfzehn Zentimeter lang.«

Er breitete die Hände über dem Stein aus. »Aber die Länge dieses Dings beträgt etwa einen Meter.«

»Unmöglich«, flüsterte Bao und streckte die Hand aus, um es mit den Fingerspitzen zu berühren.

»Und doch ist er hier.« Jintao stand langsam auf, den Blick weiter nach unten gerichtet. »Aber von welcher Kreatur kann er gekommen sein? Nichts dergleichen wurde je im Fossilbericht aufgezeichnet.«

»Ein wahres Monster«, sagte Bao leise. »Wie muss es wohl ausgesehen haben?«

»Ein Monster, ja, das muss es gewesen sein.« Jintao wandte sich dem Museumsdirektor zu. »Und das bringt mich zur zweiten Sache, die ich Ihnen zeigen wollte.« Er zog seinen Hut wieder auf.

»Es gibt noch etwas?« Baos Augenbrauen gingen in die Höhe.

»Oh ja. Nennen wir es das große Ganze. Haben Sie Lust auf eine kurze Klettertour?« Er lächelte geheimnisvoll.

Bao schnaubte, als er ebenfalls aufstand. »Machen Sie Witze? Nachdem ich das gesehen habe, würde ich zum Mond laufen. Gehen Sie vor.«

Die zwei Männer machten sich zu einem staubigen Pfad neben der Ausgrabung auf. Obwohl die Sonne gnadenlos auf die beiden herabbrannte, machte es Bao überhaupt nichts aus, da sein Verstand noch um den Anblick des einzigartigen und verblüffenden Fossils kreiste. Er konnte sich nicht vorstellen, von was für einer Art Tier es gekommen war, aber seine Größe war derart bemerkenswert, dass es etwas Atemberaubendes sein musste.

Die beiden unterhielten sich während Ihres Aufstiegs. »Aus welcher Strata kam das Fossil?«, fragte Bao.

Jintao grunzte. »Die meisten Dinosaurierfossilien stammen aus den Schieferschichten, die auf das Mesozoikum datiert werden, zwischen den Perioden Kreide und Paläogen, also vor rund zweihundertvierundfünfzig und fünfundsechzig Millionen Jahren. Dieses kommt aus einem Schieferlager über der K-P-Grenze. Nach dem Aussterben.«

»Was? Unmöglich. Zu dieser Zeit gab es keine Land-Leviathane. Die waren alle verschwunden.« Bao runzelte die Stirn. »Es sei denn, es war eine unentdeckte Spezies aus dem Meer.« Er war fasziniert.

»Leviathan? Ja, das ist ein angemessener Bezug. Und ich glaube nicht, dass diese Form aquatisch war. Wir sind uns noch nicht ganz sicher, was es war«, antwortete Jintao. »Wir brauchen weitere Ausgrabungen. Und Forschungen.«

»Und da komme ich ins Spiel, hmm?« Bao lächelte leicht.

Jintao berührte seinen Hut und nickte ein Mal. »Ich denke, diese Kreatur hatte einen Rückzugsort. Irgendwo, wo sie überleben konnte, als der Asteroid einschlug. Dann tauchte sie wieder auf.«

»Jede Menge Fragen«, sagte Bao. »Liefern Sie mir Antworten.«

»Ich habe einige. Hier entlang.« Jintao ging lächelnd voraus.

Die beiden Männer gingen weiter, und sie brauchten noch zwanzig Minuten, bis sie einen ebenen Pfad erreichten, von dem man die Ausgrabungsstätte überblicken konnte. Weit unten drängten sich die Arbeiter in der Fossilschicht, und Jintao holte eine silberne Pfeife aus seiner Tasche, mit der er laut und schrill pfiff.

Die Arbeiter hörten auf, als hätten sie den Sirenengesang erwartet, und machten Platz. Dann trat Jintao vor und streckte einen Arm aus, zeigte auf die Ausgrabung hinunter. Er bewegte ihn langsam von einer Seite zur anderen.

»Erblicken Sie das Monster.«

Bao trat vor und beobachtete, wie die Grabenden beiseitetraten und die gesamte Ausgrabung enthüllten. Und er sah das Fossil, das auf deren Oberfläche auftauchte.

Sein Mund öffnete sich, und er spürte ein Prickeln durch seinen Körper gehen, von den Zehen bis zur Kopfhaut, während er auf die längst tote Kreatur herabstarrte, die freigelegt wurde.

»Bei meinen großen Ahnen«, wisperte Bao.

Das Fossil war in sich gekrümmt, doch aus der Boden des Schieferbetts tauchte ein Schädel auf, von dem offensichtlich der Zahn gekommen war. Außerdem ein teilweises Rückgrat, das sich zu einem Schwanz wölbte, der entweder noch vergraben oder dank der geologischen Bewegung während mehrerer Millionen Jahre abgebrochen war.

Doch es war die Größe, die ihm den Atem verschlug. Das Ding war weit über sechzig Meter lang, und wäre der Schwanz intakt und ausgestreckt, wäre es sogar noch größer.

Jintao stützte die Hände in die Hüften. »Der Argentinosaurus war ein Mitglied der Familie der Titanosaurier und gilt als eines der, wenn nicht sogar das größte Landtier aller Zeiten«, sagte er. »Er wurde über fünfunddreißig Meter groß und wog um die siebzig Tonnen.« Er nickte langsam. »Aber das Ding da hätte ihn zum Frühstück verspeist.«

»Eine neue, unbekannte Spezies.« Bao ging in die Hocke, weil er das Gefühl hatte, sonst möglicherweise umzukippen. »Und die hauerartigen, nach hinten gebogenen Zähne verraten mir, dass diese Kreatur ein Fleischfresser war.«

»Ja, war sie.« Jintao sah zu ihm hinunter. »Bekommen wir unsere Fördergelder?«

Bao nickte wie in Trance. »Sie bekommen alles, was Sie brauchen.« Sein Verstand überschlug sich, während er den Blick nicht von dem Ding abwenden konnte. Gedanklich versuchte er, Fleisch auf seine Knochen zu packen, aber sein Kopf weigerte sich, ein auf jeglichen Dinosauriern, die er bereits kannte, basierendes Bild heraufzubeschwören. Er dachte sich nur ein einziges Bild aus. Ein fantastisches.

»Können Sie sich vorstellen, wie dieses Ding gewesen sein muss?«, fragte Jintao.

»Kann ich, und ich scheue mich nicht, es laut auszusprechen: Es sieht wie ein Drache aus«, antwortete Bao.

»Ein mythisches Tier, jetzt als real bewiesen.« Jintao nickte und sah auf seine Uhr. »Es ist zu spät, um zurückzufahren; bleiben Sie zum Abendessen, dann können wir Ihnen erzählen, was wir für die Entnahme geplant haben.«

»Sehr gern«, sagte Bao leise. Er hörte den jungen Paläontologen kaum.

***

Die neun Meter lange, flüssigkeitsangetriebene, ballistische Rakete aus der Musudan-Reihe startete exakt um acht Uhr abends vom Rand der nordkoreanischen Stadt Kusŏng.

Die ansässigen Spione des koreanischen Militärs hatten die Information weitergeleitet, dass möglicherweise Grabungen für eine Raketenbasis an ihrer Grenze stattfanden. Wenngleich China ein distanzierter Verbündeter war, waren sie in Wirklichkeit keine Freunde, wenn es um Drohungen gegen das Einsiedlerkönigreich ging.

Ihre Aufklärungssatelliten hatten zwei Dinge bestätigt: Erstens gab es eine großangelegte Grabung, die schnell vorankam. Und zweitens verschaffte sie ihnen ein zentralisiertes Ziel.

Die Rakete mit dem konventionellen Sprengkopf legte die zweitausend Meilen bis an jene Stelle zurück und traf nah genug, um es einen direkten Treffer zu nennen. Der gesamte Berghang wurde zerstört und sämtliche Gebäude, Ausrüstung oder Menschen dort vaporisiert.

Kapitel 2

Heute – Lemuria, irgendwo unter dem Eis und dem Schnee Grönlands

Troy und Anne rannten um ihr Leben. Troy schwang sein Messer hin und her, um einen Pfad durch das steife Schilfrohr zu bahnen, und pflügte durch den Rest.

In der Hoffnung, dass die anderthalb Meter hohen grasartigen Pflanzen ihnen Deckung bieten würden, hatten sie versucht, die Ebene zu überqueren. Und das hatte auch geklappt. Für eine Weile. Doch dann hatte etwas sie gefunden. Und es kam mit jeder Minute näher.

»Es kommt zurück«, keuchte Anne, während sie weiter stolperte.

»Wir müssen weg, wir müssen weg«, sagte Troy und streckte den Arm hinter sich, um sie an der Hand zu packen und sie vorwärts zu ziehen.

Er konnte die Baumgrenze auftauchen sehen, aber sie schien nicht näherzukommen. Er bekam schmerzhafte Seitenstiche, die seine Lunge wie Feuer brennen ließen.

Sie waren einem alten Flussbett gefolgt, hatten aber um einen großen Theropoden herumgehen müssen, der sich im Blattwerk versteckt hatte. Und so hatten sie sich der Ebene zugewendet, um Raubtiere zu vermeiden, und durch die hohen, schilfartigen Gräser zu schleichen, war ihnen wie eine gute Idee erschienen.

Doch der Boden wurde schlammig und zog lautstark an ihren Stiefeln. Und dann fanden sie heraus, dass es Dinge gab, die in diesem morastigen Gelände jagten.

Troy hielt Anne fest und zog sie weiter. Er konnte die Kreatur mit einer Geschwindigkeit, die ihre überstieg, durch die Gräser preschen hören.

Annes Hintergrund sorgte dafür, dass sie nicht anders konnte, als sie zu identifizieren. »Carnufex carolinensis«, schnaufte sie. »Das bedeutet Schlächter von Carolina.«

»Das ist toll, Anne, danke.« Troy rannte weiter, warf aber einen weiteren Blick auf die Kreatur, und er spürte, wie ein neuer Schreck sein System erschütterte.

Das Ding war eine Art Alligator, der um die drei Meter lang war und auf seinen langen, unglaublich kräftigen Hinterbeinen rennen konnte. Er war nur semi-aquatisch, und seine mächtigen Gliedmaßen bedeuteten, dass er das Wasser verlassen konnte, um Beute zu machen.

Und im Moment war ein weiches menschliches Wesen genau das, wonach ihm der Sinn für seine nächste Mahlzeit stand.

Troy hatte noch zwei Schusswaffen, und seine übrige Munition hatte er gespart. Er hatte so ein Gefühl gehabt, dass er in Kürze etwas davon verbrauchen würde, und hoffte nur, dass er gut genug zielte, um einen Alligator, der zum Teil ein Roadrunner war, zu verlangsamen oder sogar zu töten.

Endlich trat Troys Fuß auf festeren Grund, und er bewegte sich einen kleinen Hang hinauf. Der trockenere Boden bedeutete auch, dass er Geschwindigkeit aufnehmen konnte. Trotzdem wusste er, dass die Kreatur, falls sie einen Zahn zulegte, in der Lage wäre, sie innerhalb weniger weiterer Schritte einzuholen.

Das Schilfrohr wurde etwas dicker und stand jetzt mit Farnwedeln zusammen, und gelegentlichen Bäumen. Die Deckung war willkommen.

Er ließ Annes Hand los und zog die Waffe. In der anderen Hand hielt er sein Messer, das er immer noch wie eine Sichel vor- und zurückschwang. Der kühle Nebel lag schwer auf ihnen, und er betete, dass er sie in seiner blinden Eile nicht direkt in irgendetwas Größeres und Schlimmeres hineinführte als das, was sie gerade jagte.

Anne fiel zurück, und er drehte sich leicht um, um nach ihr zu sehen. Er erblickte ihr gerötetes Gesicht, als sie über den Pfad preschte, den er geschaffen hatte. Aber nicht weiter als fünfzehn Meter hinter ihr sah er, wie die Gräser beiseite gedrückt wurden, und erhaschte einen Blick auf den langen, zahnbewehrten Kopf des Raubtiers. Seine Augen waren grüne Schlitze, und sein Maul stand mit einem Grinsen der Vorfreude auf den bevorstehenden Riss offen.

Troy erinnerte sich an einen Spruch vom Schulhof: Hüte dich vor dem Lächeln eines Krokodils. Damals war es lustig erschienen.

Troy wandte sich wieder nach vorne. Er wusste, er brauchte einen Ort, an dem er sie verteidigen konnte … und dann führte ihn sein nächster Schritt über nichts. Er stolperte in die Leere und fiel gute sechs Meter tief, ehe er auf flaches Wasser traf. Er prustete und rappelte sich sofort auf, gerade als Anne auf ihn herunterfiel, was ihren Fall milderte, ihn aber wieder umwarf.

Er schob sie von sich, blinzelte Schlamm und Wasser fort, und dann hielt er die Waffe hoch und zielte auf das Loch, durch das sie gefallen waren.

Anne rollte sich herum und zog ein Messer, um es ebenfalls zur Decke zu richten. Dann warteten die beiden, starrten hinauf und atmeten kaum, obwohl ihnen das Herz im Brustkorb hämmerte.

Weitere Sekunden vergingen.

»Wo ist es?«, flüsterte Anne.

»Da. Auf zwei Uhr«, antwortete er genauso leise.

Direkt am Rand des Lochs im Höhlendach befand sich ein langer, eckiger und äußerst zahnbewehrter Kopf. Er spähte hinunter und neigte sich zur Seite, damit ein Auge die Tiefe begutachten konnte. Dann zog er sich zurück und tauchte ein Stück weiter wieder auf.

»Sucht nach einem Weg nach unten«, sagte Troy, während er ihm mit der Waffe folgte.

»Problembewältigung«, flüsterte Anne.

Nach einem weiteren Moment versuchte er es woanders. Und dann knurrte er seinen Frust heraus, zog sich zurück, und kam nicht wieder.

Eine kurze Weile später senkte Troy langsam die Waffe. »Tja, das war krass.« Er atmete aus, und als das Adrenalin aus seinem Körper wich, spürte er plötzlich, wie kurzatmig er war.

»Ich glaube, er hat aufgegeben«, sagte er.

»Ich weiß, warum.« Anne zeigte auf etwas. »Schau.«

Er folgte ihrem Fingerzeig und entdeckte die Knochen.

»Das ist eine Dolinen-Falle. Jahrelang sind hier viele Dinge reingefallen, und die meisten Kreaturen, die zu dumm oder klein genug waren, um reinzufallen, waren zu klein, um rauszuklettern.«

»Wen nennst du hier dumm?« Troy drehte sich um und erkannte, dass jenseits des Lichtstrahls, in dem sie standen, Wände im Westen, Süden und Norden lagen, aber in östlicher Richtung befand sich eine lange Höhle. Und weiter unten weitere Lichtstrahlen.

»Sieht aus, als wäre oder war das ein unterirdischer Wasserlauf. Hat den Boden erodiert, und ein Teil davon muss eingestürzt sein.« Anne sah mit schmalen Augen in die Höhle. »Weiter vorne könnte es eine Stelle geben, an der wir leichter raufklettern können.«

Troy nickte. »Gute Idee. Ich vertraue nicht darauf, dass das langbeinige Arschloch nicht da oben auf uns lauert.« Er rieb sich eine Stelle am Hals, die vom Fall wehtat. »Geht‘s dir gut?«

»Ja, alles klar.« Sie kicherte. »Ich bin auf was Weichem gelandet.«

»Dann sei mal dankbar, dass ich zuerst gefallen bin, und nicht auf dich.« Troy streckte eine Hand aus. »Setzen wir uns wieder in Bewegung.« Sie ergriff sie und er zog sie hoch.

Zuerst kletterten sie über eine kleine Reihe von Felsblöcken, dann folgte das Paar dem versunkenen Flussbett.

Mehrere Male hielten sie an, und Anne legte einen Finger an die Lippen und die beiden manövrierten vorsichtig hinter Felsen oder in Spalten und warteten, dass eine räuberische Kreatur erschien, aber entweder waren es nur Echos oder die Tiere waren geschickter darin, sich zu verstecken, als die Menschen es waren, sie zu finden.

Troy hoffte nur, dass sie, was sie auch waren, mehr Angst vor ihm und Anne hatten als die beiden von ihnen.

Sein Körper kühlte jetzt ab, aber die Anstrengung hatte seine Temperatur erhöht und ihn zum Schwitzen gebracht. Das führte dazu, dass Gerüche von ihm aufstiegen, und wenngleich sie schon eine Weile unterwegs waren, war das Auftragen einer dünnen Schicht aus Dinosaurierdung, obwohl widerlich, der beste Schild, den sie hatten, um sich vor dem ausgezeichneten Geruchssinn der riesigen Raubtiere zu verbergen.

Sich auf Sicht verlassende Fleischfresser waren allerdings immer ein Problem, wie der rennende Alligator, aber wenigstens läuteten sie windabgewandt nicht automatisch die Essensglocke.

Troy hatte es geschafft, die Waffen von Ord und Lars’ Leichen zu holen, und auch wenn nur ein paar Kugeln übrig waren, war es ein tröstendes Gefühl, zu wissen, dass sie ein Abschreckungsmittel besaßen, falls sie von einer größeren Theropoden-Spezies in die Enge getrieben wurden.

Zu dieser Expedition waren sie aus einem bestimmten Grund aufgebrochen: Bei einem früheren Fußmarsch hatten sie einen Hügel erklommen und waren unter dem Blätterdach des riesigen banyonartigen Baumes, das sich wie ein Schirm dreißig Meter weit erstreckte, herausgetreten. Vor ihnen lag eine Grasebene, durch die sich ein Fluss zog. Was allerdings ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, war, dass die Objekte am fernen Berghang wie mehrere zusammengedrängte Häuser aussahen.

»Wusste ich doch, dass ich Gebäude gesehen habe, als ich da oben im Baum war«, bemerkte Troy.

»Wikingisch?«, fragte Anne.

»Vielleicht«, antwortete er. »Sie haben nicht groß mit Stein gearbeitet, sondern eher mit Holz. Aber andererseits hat irgendwer Odins Festung erbaut, die das Herz beheimatet hat, also waren es vielleicht dieselben Menschen.«

»Apropos groß, warum haben sie die Festung so überdimensioniert?«, fragte Anne.

Troy zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wollten sie etwas, das groß genug war, um einem Gott zu imponieren.«

»Imposant und einschüchternd«, antwortete Anne. Sie holte ihre Taschenlampe hervor. Beide hatten eine, hatten aber einen Pakt geschlossen, sie nicht zur gleichen Zeit zu verwenden, um möglichst die Batterien zu schonen. Und selbst so benutzte sie sie sparsam.

Die zwei folgten der Höhle für dreißig Meter, und wenngleich es eine Flusshöhle war, konnten sie sehen, dass das Wasser längst vertrocknet war und sie auf festem Boden gingen.

»Ich schätze, das ist besser als Monstergebiet zu navigieren«, bemerkte Troy.

»Außer, wir treffen hier unten auf etwas noch Schlimmeres«, antwortete Anne.

»Tolle Aufmunterung, danke.« Er grinste.

Nach weiteren fünf Minuten waren sie unter mehreren Öffnungen vorbeigekommen, aber keine hatte einen einfachen Ausweg geboten. Auf ihrem weiteren Weg kletterten sie über einen Bereich, in dem die Wände nach innen gestürzt waren, und erkannten, dass sich die Höhle anschließend enorm geöffnet hatte. Und der Boden war geglättet worden.

»Das war vermutlich ein ziemlich großes Wässerchen, das vor vielen Jahren zum Meer geflossen ist.« Anne hob ihren Lichtstrahl zur Decke, die jetzt dreißig Meter über ihnen war. »Es ist zu hoch. Das wird immer unmöglicher.«

»Wir gehen noch zehn Minuten weiter, dann entscheiden wir, ob wir umdrehen müssen.« Troy marschierte weiter.

»Zehn Minuten, dann nochmal zehn, dann nochmal.« Anne drehte sich um. »Das sollte ein Tagesmarsch werden, hin und zurück. Wir wollen nicht zu weit vom Ufer weg sein, wenn Tygo und deine Ex-Freundin zurückkommen.«

Troy schnaubte und drehte sich ebenfalls um. »Hey, Elle ist nicht meine Ex.« Er stützte die Hände in die Hüfte. »Und ich hab Tygo ein Loch in die Hand gejagt. Es ist erst ein paar Wochen her. Er wird nicht zurückkommen, bevor er wieder bei voller Kraft ist. Ich kenne diesen Menschenschlag. Er wird keinen Nachteil wegen einer kaputten Pfote haben wollen. Er wird mindestens noch ein paar Wochen warten, bis sie überhaupt erst aufbrechen.«

»Ergibt Sinn«, stimmte sie zu. »Aber jemand muss außerdem Odins Herz aus dem Wasser holen.«

»Ja«. Er seufzte. »Und ich freue mich nicht darauf.« Er drehte sich wieder um und winkte sie weiter. »Gehen wir.«

Sie marschierten weiter und erblickten bald riesige, freilegende Wurzeln, die von Bäumen über ihnen herabhingen, und dann kamen Vorhänge aus getrocknetem Moos oder Algen, die bewiesen, dass dies einst ein nasserer Ort gewesen war. Vielleicht war er überirdisch gewesen, aber der Boden war abgesunken und dann irgendwie bedeckt worden, und anschließend während der Jahrtausende vom Flusslauf ausgehöhlt worden.

»Warte«, sagte Anne. Sie ging neben einer der Höhlenwände in die Hocke und hob eine Steinscherbe auf. Mit ihrer Hilfe bearbeitete sie etwas in der Erde und konnte es bald herausziehen. Sie hielt es in ihren Lichtstrahl.

»Was ist das?«, fragte Troy.

»Ein Stück eines Kieferknochens.« Sie schnaubte leise. »Aber schau dir seine Größe an. Er ist riesig.«

»Bist du sicher, dass er menschlich ist? Gab es früher nicht Riesenaffen?«, fragte Troy.

»Ja, die gab es. Sie heißen Gigantopithecus, und sie wurden über zweieinhalb Meter groß.« Sie drehte sich um. »Aber das stammt nicht von einem Affen. Es ist menschlich.«

Troy kam näher, und sie streckte ihm den Knochen hin. Er nahm ihn und erkannte, dass er viel größer als ein menschlicher Kieferknochen war.

Langsam schüttelte er den Kopf. »Ich hab keinen Plan.« Er reichte ihn ihr wieder. »Du bist die Expertin.«

Sie zog ihren Rucksack ab, öffnete die Klappe und steckte den Knochen hinein. »Das ist ein wichtiger Fund. Ich hab auch keinen Plan. Aber Menschen wurden nirgendwo so groß, zu keiner Zeit.«

»Doch, wurden sie.« Er lächelte. »In Legenden.«

Sie lächelte zurück. »Ich glaube, du meinst Märchen.« Sie zog den Rucksack wieder auf. »Ich hoffe, ich werde das jemandem zeigen können.«

»Wirst du, keine Sorge«, sagte er, wandte sich aber ab, bevor sie den Zweifel in seinem Blick sehen konnte.

Sie gingen tiefer in die Höhle, und die wurde breiter und die Decke sogar noch höher. Sie war jetzt unmöglich zu erreichen.

Troy erklomm einen Felsen, und oben angekommen sah er einen Lichtstrahl, der die Höhle vor ihnen anstrahlte. Zunächst fühlte er sich wieder wie das Kind in dem Museum in Oslo vor so vielen Jahren; seine Vorstellungskraft war von dem, was im Höhlenboden vor ihnen eingebettet war, angekurbelt worden.

Anne kletterte neben ihm hinauf und blieb ebenfalls wie angewurzelt stehen. Nach einer Weile packte sie seinen Arm. »Ist das … ist es real?«, wisperte sie.

»An diesem Ort scheint es, dass alles real sein kann.«

EPISODE 09

Kapitel 3

Kristianstad-Becken, nordöstliches Skåne, südlichste Provinz Schwedens

Es hatte seit Wochen geregnet. Stark, unnachgiebig und kalt. Der Steinbruch hatte geschlossen werden müssen, da der Boden durchweicht und schwer geworden war und wahrscheinlich gefährliche Erdrutsche auslösen würde.

Das flache Grasland dort draußen war für Fahrzeuge unpassierbar, und Hochwasserwarnungen waren ausgesprochen worden. Aber das Gebiet war spärlich besiedelt, und das schon seit tausend Jahren, bis zurück zu der Zeit, in der die letzten großen Dörfer Wikingersiedlungen gewesen waren.

In den Bergregionen konnten hunderte Tonnen Wasser, Schlamm und Fels binnen Sekunden nachgeben, einen Hang herunterrutschen und Besitztümer zerstören, Straßen unter sich begraben und sogar Flüsse umleiten. Aber sie konnten auch Schichten unter dem Erdrutsch enthüllen, die seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden nicht mehr gesehen worden waren. Genau wie heute.

Der Himmel öffnete seine Schleusen und es goss wie aus Kübeln, wie der Beginn einer biblischen Sintflut. Es war ein nahezu ohrenbetäubender Wasserfall, aber darunter lag ein Knarren. Jene mit Erfahrung hätten erraten können, was es war: Das Geräusch großer Baumwurzeln, die brachen und aus dem Boden gerissen wurden.

Das Hanggebiet des Kristianstad-Beckens bewegte sich einen Zentimeter, einen Meter, und dann, wie der Läufer eines Riesen, der zum Reinigen nach draußen gezogen wird, rutschte es von der Stelle, an der es über tausend Jahre lang verblieben war, davon.

Es kam herunter: Gras, Felsen und hohe Bäume schlitterten die zig Meter zur Ebene darunter hinab. Das Geräusch war donnergleich. Vögel und Tiere am Boden stoben auseinander, während der Boden wie Sirup dahinfloss, sich ausbreitete, als er den Grund erreichte, und neue Hügel und Waldgebiete schuf.

Und dann war es vorbei. Der Regen trommelte weiter herab und wusch den gerade freigelegten Hang sauber. Und entblößte die riesige Höhle, die mit Steinen, die so alt aussahen wie die Zeit selbst, zugemauert worden war.

***

Anders Ostenson und Freja van der Berg, beide Forscher, die für das Konsthall-Museum arbeiteten und außerdem unkündbare Professoren der Malmö-Universität waren, stiegen langsam aus dem Truck. Beide hatten ausschließlich Augen für das riesige, zugemauerte Areal, das in dreißig Metern Höhe am uralten Berghang freigelegt worden war.

Freja sprach, ohne sich umzudrehen. »Das muss achthundert Jahre alt sein.«

Anders schüttelte den Kopf. »Nein, älter, viel älter. Das sind handgehauene Steine. Eher zwölfhundert oder vielleicht sogar noch mehr. Die Sedimentschicht war sechs Meter dick.«

»Es muss wikingisch sein«, wisperte sie.

»Ja. Aber warum wurde es versiegelt?« Er wandte sich ihr zu. »Vielleicht aus Angst vor Plünderern?«

»Dann können wir, da es noch versiegelt ist, schlussfolgern, dass die Plünderer es nie gefunden haben.« Sie starrte versonnen hinauf. »Aber das werden wir erst mit Sicherheit wissen, wenn wir drin sind.«

Anders ließ den Blick über die geschichteten Steinblöcke wandern. »Wir brauchen ein Team.«

Freja schnaubte. »Fordere es telefonisch an. Ich verlasse diesen Ort nämlich nicht mal für eine Sekunde. Wir waren zuerst hier, und ich will als Erste drin sein.«

Er wandte sich ihr mit hochgezogenen Augenbrauen zu.

»Okay, eine der Ersten.« Sie grinste verlegen.

Sie brauchten sechs Stunden, um schweres Gerät und zuverlässige Studenten von der Universität zu organisieren. Das Team aus sechs Auserwählten war eine Mischung aus jungen, körperlich fitten Männern und Frauen, bei denen man sich darauf verlassen konnte, dass sie ein Geheimnis bewahren konnten.

Anders und Freja hatten Feuer gemacht und winkten, als die beiden Allrad-Fahrzeuge über die rasch trocknenden Erdhügel hüpften.

Anders grunzte. »Vor einer Woche hätten wir keine Chance gehabt, Fahrzeuge herzubringen.«

Freja stand mit den Händen in der Hüfte da. »Tja, hoffen wir, dass der Regen endgültig aufgehört hat.« Sie sah zu einem Flecken der Erde hinauf, die noch immer an den riesigen Hängen hing, die sie umgaben. »Sonst wird man in tausend Jahren uns ausgraben.«

Anders und Freja riefen die Gruppe heran, hießen sie willkommen und gaben jedem einen Becher Kaffee aus einem Eisenkessel, den sie übers Feuer gehängt hatten. Sie hatten minimale Ausrüstung mitgebracht und hofften, während der nächsten paar Tage eine physische Erkundung der Stätte vorzunehmen und dann zu berichten, um den Fund zu beanspruchen. Dann würden sie alles kennzeichnen und zum Studieren nach Malmö bringen.

Nachdem das Team versammelt und die Aufgaben zugewiesen waren, gingen sie mit Spitzhacken, Brecheisen und Schaufeln hinauf.

Anders erreichte die Mauer zuerst und benutzte einen starren Strohbesen, um sie flink abzukehren und die Steine und Markierungen zu enthüllen. Als er fertig war, ließ er den Besen fallen und grinste breit.

»Runen, Runen!« Er drehte sich zu Freja um, die zu ihm gekommen war. »Wie wir gehofft haben.«

»Wikinger«, hauchte sie.

An der Wand, in jeden einzelnen Stein, war ein Runengebet eingemeißelt, und Anders zeichnete es mit den Fingern nach.

»Das ist ein alter Schriftzug, hm, ›Här sover drekka.‹« Er ging zum Nächsten. »›Här sover drekka.‹« Dann zum Nächsten und zum Nächsten. »›Här sover drekka‹. Sie sind alle gleich.«

»Hier schläft der Drache«, übersetzte Freja. »Da drin? Will es uns das sagen?« Sie drehte sich zu ihm um. »Hinter dieser Wand?«

»Das muss sicher eine Allegorie sein.« Anders trat zurück und sah einen Moment lang an der Steinmauer hinauf, bevor er mit den Fingern schnippte. »Ein Drachenboot. Das muss es bedeuten.«

Freja presste die Hände wie zum Gebet zusammen und grinste. »Bitte lass es ein Grab mit einem intakten Langboot sein. Bitte lass das wahr sein.«

»Die haben sie nie so eingeschlossen. Eigentlich haben sie nie etwas so versiegelt; das ist selten.« Anders legte eine Hand auf einen der Steine. Er nahm ein Messer von seinem Gürtel, drehte es und schlug mit dem Griff gegen den Stein. Das Geräusch war tief und schwer, und die Erschütterung ließ einige Erdklumpen auf sie herabregnen.

»Dicker Stein«, sagte er und sah auf. »Wir können kein schweres Gerät benutzen. Ich denke, der Erdrutsch ist vorbei, aber ich will nicht, dass uns noch mehr aufgeweichte Erde auf den Kopf fällt.«

»Dann müssen wir es vorsichtig machen, von Hand«, sagte Freja.

Anders nickte, konnte sich aber nicht gegen eine gewisse Sorge wehren. Die kleine, gebetsähnliche Schrift war in jeden Stein gemeißelt, als wäre es eine Art religiöse Anrufung. Oder eine Warnung.

Aber die Neugier brannte auch ihn, und er und Freja teilten das Team ein und beschlossen, zunächst an einem einzelnen Stein zu arbeiten. Den würden sie als Teststück entfernen und dann einen Blick ins Innere werfen, bevor sie etwas Größeres unternehmen würden.

Die Gruppe machte sich daran, um einen der Steine in Hüfthöhe herum zu meißeln. Dabei konnten sie nicht verhindern, dass er beschädigt wurde, aber da die Wand über der Höhlenöffnung drei Meter hoch und zwei breit war, schätzte Anders, dass es über hundert dieser sechzig mal dreißig Zentimeter großen, massiven Granitblöcke geben musste.

Es dauerte eine Stunde, um den einfachen Mörtel um den Stein herum zu lösen, und anstatt zu versuchen, ihn herauszuziehen, benutzten sie einen Gummihammer und dann einen Stiefel, um ihn nach innen zu befördern.

Er fiel mit einem nachhallenden, dumpfen Schlag hinein, und die Gruppe stand um das offene Loch herum und tauschte Blicke. Anders reichte Freja eine Taschenlampe. »Die Ehre gebührt Ihnen, Madam.«

Freja beugte sich rasch vor, um ihn auf die Wange zu küssen, nahm die Lampe in beide Hände und lächelte Anders kurz strahlend an, bevor sie sich hinkniete. Sie schaltete die Taschenlampe ein und richtete sie in die Öffnung.

Hinter ihr legte sich Anders auf den Bauch. Da war nichts als Schwärze. Freja schob sich vor, das Gesicht direkt in die dunkle Leere gestreckt, und leuchtete mit der Lampe langsam von einer Seite zur anderen.

Das Innere war ein großer Raum, aber karg, und obwohl an den grob behauenen Wänden etwas Interessantes zu sehen war, schien es hier sonst wenig zu geben.

»Was kannst du sehen?« Anders kam neben sie.

»Kein Langschiff …«, sagte sie, und ihre Stimme triefte vor Enttäuschung. »Warte. Ich glaube, da ist ein Grabsockel mit einem Leichnam. Es ist eine Krypta.« Weiter spähend bewegte sie den Kopf hin und her. »Es gibt noch andere Dinge, aber es scheint größtenteils leer zu sein.«

»Könnte es von etwas anderem als Wikingern stammen? Die haben doch sonst keine solchen Krypten?« Anders runzelte die Stirn. »Aber es wirkt so viel älter.«

Sie drehte sich halb um. »Sieht eher wie eine Höhle als ein Raum aus, aber ich kann das Ende von hier aus nicht sehen.« Sie zog sich zurück und drehte sich zu ihm um. »Tja, es gibt keine andere Möglichkeit: Wir müssen hineingehen und uns umsehen.«

»Wir sollten es zuerst dem Museum melden.« Anders wusste, dass alle Wikingerartefakte nach dem Denkmalschutzgesetz bei den Behörden gemeldet werden mussten. Wenn nicht, könnte man ihnen dichtmachen, ihnen eine Geldstrafe aufbrummen oder sie sogar ins Gefängnis stecken, falls sie versuchten, etwas davon zu behalten.

»Ja, aber ich schlage vor, dass wir zuerst reingehen und nachsehen, was wir melden müssen«, antwortete Freja.

»Klingt vernünftig.« Anders stand auf, dann betrachtete er die Steine. Er zeigte darauf. »Wir entfernen diese Steine hier und schaffen eine Öffnung. Seid behutsam, Freunde, und achtet darauf, dass der Boden und die Steine nicht abrutschen. Wir wollen keine eingeschlagenen Schädel.«

Die Gruppe machte sich an die Arbeit, und nach einigen weiteren Stunden mühsam langsamem Abtragen von Steinen war endlich eine Öffnung entstanden, die breit genug war, dass ein Mensch hindurchschlüpfen konnte. Zuerst Freja, und dann trat das Team nacheinander ein.

Anders ging als Letzter hinein und atmete flach, während er seine Lampe herumschwenkte. »War lange Zeit versiegelt. Die Luft ist abgestanden und nicht sehr gesund.«

Freja ging direkt auf den Leichnam zu, aber der Rest der Gruppe bewegte sich in alle Bereiche der Höhle, die nur etwa viereinhalb Quadratmeter groß war. Es gab Waffen, Bierkrüge und etwas, das einmal ein Möbelstück gewesen sein könnte, aber jetzt nur noch ein Haufen vermodernder Stäbe war.

»Wandmalereien«, sagte Anders, als er sich einer der Wände näherte. Schnell entdeckte er die Runenschrift, in der von Schlachten, Göttern und Ragnarök die Rede war, wie es bei Wikinger-Wandbildern üblich war. Und es gab auch Hinweise auf so etwas wie Odins geheimen Ort.

Dann gesellte er sich zu Freja beim Leichnam. Er ruhte auf einer Plattform, die teilweise eingestürzt war, und das Skelett lag inmitten eines Haufens verrottender Trümmer. Der Mann war zu Lebzeiten wohl riesig gewesen, weit über eins achtzig groß.

Anders und Freja gingen in die Hocke. Sie zeigte auf den Schädel. »Er war noch jung. Hatte alle seine Zähne. Und sieh mal, hier: Der Kerl hat auf jeden Fall einiges erlebt.«

An den Knochen befanden sich viele Stellen mit verheilten Brüchen und Frakturen. »Da ist was.« Sie hob ein Stück Holz auf, in das eine Runenschrift geritzt war.

»Hier liegt Halfdan der DrekkaWathe.« Sie sah auf und grinste. »Der Drachenjäger.« Sie las weiter. »Er ist durch etwas namens Odins Tor gegangen.«

Anders betrachtete den Leichnam und entdeckte den Gegenstand in den Skeletthänden. Er nahm es den gebogenen Knochen ab. Es war ein Tuch, das um ein weiteres Tuch gewickelt war, Letzteres verknotet. Und darin befand sich ein Pergament.

Er rollte es vorsichtig auf. »Wow, ich glaube, das ist wichtig.«

Anders wusste, dass die sehr alten Wikinger keine langen Geschichten oder überhaupt viel niedergeschrieben hatten. Wenn also etwas geborgen wurde, war es meist von großer Bedeutung.

»Es ist eine Karte«, stellte er fest.

Der Ausgangspunkt war die Darstellung eines Wikingers, der die Hand ausstreckte. Auf seiner Handfläche lag etwas Kleines und Rundes. »Es ist ein Drekafinnari«, las er. »Ein Drachenfinder?«

»Was?« Freja stand auf und kam zu ihm, um ihm über die Schulter zu sehen.