LEMURIA - Die geheimnisvolle Insel - Greig Beck - E-Book

LEMURIA - Die geheimnisvolle Insel E-Book

Greig Beck

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Beschreibung

Seit Anbeginn der Zeit werden an einem trostlosen Strand in Schottland die verschiedensten Dinge angespült. Im Inneren eines kleinen Eisbergs findet sich die Scherbe eines Gefäßes der Wikinger, die in Teilen von einer mysteriösen Insel zu berichten weiß, verborgen hinter Eis und Nebel, welche große Schätze und noch größere Schrecken bergen soll. Aus dem gleichen Eisblock taut auch ein verrottetes Stück Haut auf, welches sich nicht identifizieren lässt, dessen Hautmuster aber an eine Kreatur erinnert, die seit einhundert Millionen Jahren als ausgestorben gilt … Troy Storm und die rätselhafte Elle Burgan begeben sich auf die Suche nach dieser legendären mysteriösen Insel, verfolgt von einer Gruppe brutaler Killer, die sich für die rechtmäßigen Erben einer der größten Schätze der Menschheit halten – Odins Herz.

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LEMURIA

Die geheimnisvolle Insel

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com Title: LEMURIA. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2021. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

 

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

 

Impressum

Deutsche Erstausgabe Originaltitel: LEMURIA Copyright Gesamtausgabe © 2023 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael SchubertÜbersetzung: Madeleine Seither

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2023) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-828-7

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

LEMURIA
Impressum
PROLOG
EPISODE 01
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
EPISODE 02
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
EPISODE 03
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
EPISODE 04
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
EPISODE 05
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
EPISODE 06
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
EPISODE 07
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
EPISODE 08
Epilog
Über den Autor

Vor hunderttausend Jahren waren Wollhaarmammuts in der nördlichen Hemisphäre von Spanien bis Alaska weit verbreitet. Doch dann setzte vor fünfzehntausend Jahren eine globale Erwärmung ein, die ihr Verbreitungsgebiet auf Nordsibirien und Alaska schrumpfen ließ.

Eis und Schnee zogen sich zurück, der Meeresspiegel stieg an, und Wasserstraßen, die einst aus Kilometern von Eis bestanden hatten, wurden zu Flüssen und Seen. Hochländer wurden zu Inseln, und eine solche abgelegene Insel im Nordpolarmeer wurde zum letzten Rückzugsort für das riesige Wollhaarmammut.

Während die mächtigen Mammuts überall sonst auf der Welt ausstarben, überlebten sie auf der Wrangelinsel bis vor viertausend Jahren. Das bedeutet, dass die Mammuts noch immer ihren letzten Rückzugsort durchstreiften, als die Ägypter ihre Pyramiden bauten. Und diese Kreaturen waren nicht die kleinwüchsigen Zwerge, die ihre Existenz unwesentlich größer als Ponys beendeten, sondern die fünfeinhalb Tonnen schweren Riesen mit dreieinhalb Metern Schulterhöhe der fernen Vergangenheit.

Leider besiegelten Inzucht und die Ausbreitung der prähistorischen Menschen letztlich das Schicksal der Mammuts. Doch das zeigt uns, dass es in unseren undurchdringlichen Dschungeln und tiefen Höhlen, auf unseren abgelegenen Berggipfeln und verschollenen Inseln Orte gibt, die wir noch nicht entdeckt haben. Und wenn wir das tun, werden dort vielleicht noch wunderlichere oder wundervollere Kreaturen als Mammuts darauf warten, dass wir sie finden.

 

 

 

In einem verschwundenen Land, inmitten eines Meers gefrorener Tränen.

 

Sie ist verschollen, aber sie ist da.

 

Lemuria – die geheimnisvolle Insel.

PROLOG

1864 – Aufklärungsballon der konföderierten Armee, irgendwo über dem Nordatlantik

»Es ist eiskalt.« Jack Pencroft schlang die Arme um sich. »Und ich kann nicht mehr erkennen, ob wir über Land oder über Wasser sind.«

Die vier vor der Union Geflohenen versuchten, den Korb des Ballons auszubalancieren, indem sie sich auf alle Ecken verteilten, und spähten jetzt über die Bordwände. Pencroft hatte recht: Der Nebel war so dicht, dass es unmöglich war, Land oder Meer unter ihnen auszumachen.

Die kleine Gruppe war aus einem Gefängnis im Norden geflohen, als der Bürgerkrieg seinen Höhepunkt erreicht hatte, und hatte dann einen mit Wasserstoff gefüllten Aufklärungsballon gekapert. Zu Beginn schien der Plan brillant zu sein. Bis der Sturm aufzog.

Dann hatten die orkanartigen Winde sie tagelang umhergeweht, und ihr Ballon hatte unvorstellbare Höhen und Geschwindigkeiten erreicht. Zunächst glaubten sie, sie würden womöglich über dem Pazifik enden, aber der heftige Wind hatte sie stattdessen nach Norden katapultiert. Weit nach Norden. Und kurz bevor sie alles und jeden aus den Augen verloren hatten, hatten sie einen Eisberg gesichtet.

Cyrus Smith, ein Eisenbahningenieur, wahrscheinlich der klügste unter ihnen, spähte, mit seinen riesigen Händen den Rand des Korbes umklammernd, über die Seite. »Irgendwo über dem Nordatlantik, möchte ich wetten. Oder vielleicht sogar noch weiter nördlich.«

Pencroft fluchte. »Für diese Art von Kälte sind wir nicht angezogen. Wir werden erfrieren.«

Cyrus sah nach oben. »Es wird noch schlimmer. Der Ballon wird schlaff.«

Gideon Spilett, der Journalist, schnaubte. »Vergiss deine Wollsachen, Pencroft. Wenn der Ballon an Höhe verliert und wir ins Wasser fallen, sind wir binnen Minuten tot.«

Pencrofts Adoptivsohn Herbert gab ein kleines Wimmern von sich, während Cyrus’ Hund Top ein Mal kläffte und versuchte, sich hinter die Stiefel seines Herrchens zu drängen. Cyrus sah hinunter und tätschelte den Kopf des kleinen Tieres. »Keine Sorge, Junge. Ich verspreche, dass wir nicht lange schwimmen müssen.«

Im nächsten Moment konnten sie etwas durch den dichten Nebel ausmachen. Und es war nicht das, was sie sehen wollten: Eine riesige Eiswand ragte plötzlich vor ihnen aus dem wabernden Nebel. Die Ballonhülle prallte zuerst dagegen, dann schlug der Korb hinein. Alle fünf Männer und auch der kleine Hund wurden zu Boden geschleudert.

Glücklicherweise landete der Ballon nicht sofort auf dem Wasser und dem aufgebrochenen Eis unter ihnen. Stattdessen zerrte sie eine steife Brise noch eine halbe Stunde lang an dem Gebilde entlang.

»Was ist los? Werden wir schneller?«, fragte Herbert.

Pencroft drehte sich um, die Stirn gerunzelt. »Spürt ihr das?« Er drehte sich wieder zurück. »Warme Luft.«

Im nächsten Moment erreichten sie einen riesigen Riss in der Eiswand, und als ob ein Riese einatmen würde, wurde ihr Ballon rasch hineingesaugt.

»Festhalten!«, rief Cyrus, als der Ballon in dem engen Korridor aus dunkelblauem Eis hin und her geworfen wurde.

Das Licht wurde schwächer und verschwand schließlich ganz, als sie in eine riesige Höhle gezogen wurden. Nur wenige Augenblicke später wurde der Ballon von der zerklüfteten Decke zerrissen und ihr Korb landete spritzend in einem großen Gewässer.

»Ich kann etwas erkennen … da vorn ist Licht«, bemerkte Herbert. »Und Land.«

»Paddelt, alle, ehe der Korb sinkt«, drängte Cyrus.

Die vier Männer schafften es, den Korb an den Strand zu manövrieren, und sprangen dann heraus, um ihn einige Meter weit auf den Sand zu ziehen. Weiter brachten sie ihn jedoch nicht, da der Ballon voller Wasser war und sich wie ein Anker verhielt.

Top, Cyrus’ Hund, rannte über den Strand ins Dickicht und kläffte wie ein Verrückter, während sich die Männer in den Sand fallen ließen.

»Was ist das für ein Ort?«, fragte Spilett. »Es ist wie eine tropische Insel.« Er sah nach oben. »Und sind wir drinnen oder draußen?«

Flach daliegend, drehte Pencroft den Kopf. »Nicht besonders warm für eine tropische Insel.«

»Eins nach dem anderen. Wir brauchen Nahrung und Wasser. Sobald wir unsere Vorräte aufgefüllt haben, können wir klar denken und herausfinden, wo wir sind«, verkündete Cyrus. »Und was wir tun müssen, um nach Hause zu kommen.«

Pencroft und Spilett setzten sich auf und drehten sich um, um das Dickicht des Waldes hinter ihnen zu betrachten.

»Ich glaube, das könnte eine der Inseln von Neuseeland sein.« Pencroft zog die Augenbrauen hoch.

In diesem Moment ertönte aus den Tiefen des Dschungels ein gewaltiges Brüllen, das den Männern die Haare zu Berge stehen ließ.

Pencroft schüttelte langsam den Kopf. »Wenn ich es mir recht überlege, glaube ich nicht, dass das hier Neuseeland ist.«

***

Drei Monate später tauchte Gideon Spilett den Zweig in den Schnitt, den er in seinen Unterarm gemacht hatte, und benutzte das Blut als Tinte, um einen weiteren Satz auf den zerfledderten Pergamentfetzen zu schreiben, den er mit der anderen Hand offen hielt.

Seine Kleidung war zerschlissen, seine Füße nackt, und sein einziger Begleiter war Cyrus Smiths kleiner Hund Top, dessen Rippen deutlich hervortraten.

Er starrte das Tier an. Es sehnte sich immer noch nach seinem Herrchen, Cyrus. Sie hatten beide gesehen, wie der Mann in Stücke gerissen und dann gefressen wurde. Spilett hatte sich umgedreht, um wegzurennen, war aber stehen geblieben, um den Hund aufzuheben, ihn davon abzuhalten, sich heldenhaft, aber selbstmörderisch, in den Kampf gegen das Monster zu stürzen.

Er starrte das Tier weiter an, und ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Er war am Verhungern, und der Hund würde ihn mehrere Tage lang ernähren, wenn er ihn sparsam portionierte. Er schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Aus Respekt vor Cyrus und den anderen könnte er das niemals tun.

Top winselte, und Spilett öffnete die Augen und kratzte an einem der zahlreichen Insektenstiche, die seinen Körper bedeckten. Auch der Hund hob ein Hinterbein, um sich zu kratzen.

»Ja, diese Sumpffliegen waren schlimm.« Er lächelte leicht und nickte dann. »Die Schlingpflanzen auch.« Seine Augen weiteten sich. »Und die Riesenkrabbe, die uns fast umgebracht hätte. Zum Glück hat dein Herrchen Wissenschaft eingesetzt, seinen Speer als Hebel und einen Felsen als Stützpunkt, und hat sie umgekippt.«

Er tätschelte den Kopf des Hundes. »An jenem Tag haben wir gut gegessen, nicht wahr?«

Bei der Erinnerung daran lief ihm das Wasser im Mund zusammen, und er ließ den provisorischen Federkiel und das Pergament sinken, um sich einen Moment zurückzulehnen. Sie hatten mehrere Monate lang überlebt, gekämpft, waren gerannt und hatten sich versteckt, doch am Ende überstiegen die Bestien, die auf dieser geheimnisvollen Insel lebten, alles, was er, ein Mann, der seinen Lebensunterhalt mit Worten verdiente, beschreiben oder sich überhaupt vorstellen konnte. Und schlussendlich hatten die Biester sie erwischt und einen nach dem anderen geholt.

Spilett seufzte. Er musste versuchen, jemandem zu berichten, was dieser tapferen und unglückseligen Ballonbesatzung zugestoßen war. Er hob sein Pergament wieder auf.

Spilett beendete seine Aufzeichnung im Wissen, dass er es nie tun würde, wenn nicht jetzt, denn seine Lebenskerze war beinahe auf den Docht heruntergebrannt. Dann rollte er das Pergament fest zusammen, zog die Flasche zu sich und entkorkte sie. Er stopfte die Seiten hinein, verkorkte die Flasche wieder und stand dann auf.

»Wen es interessieren mag.« Er warf die Flasche weit ins Wasser, wo sie mit einem Platschen landete und einen Moment lang auf und ab wippte.

Spilett sah zu Top hinunter. »Was hältst du davon, einen letzten Spaziergang am Strand zu machen, alter Freund? Mal sehen, was passiert.«

Top wedelte kurz mit seinem kleinen Peitschenschwanz und grinste zu ihm hoch. Doch dann verschwand sein Grinsen und sein Kopf drehte sich zum Wald mit seinen riesigen Farnwedeln, dem wabernden Nebel und den tiefen Schatten. Er begann zu knurren.

Spilett drehte sich langsam um. »Oder vielleicht auch nicht.«

***

Einen Monat später durchquerte das französische Schiff Arcole den nördlichen Atlantik auf seinem Rückweg nach Frankreich. Es bewegte sich langsam, denn der Wind war abgeflaut und die Segel hingen schlaff herunter.

Die beiden Matrosen an Deck rauchten und redeten, und ihre Zeit war mit zu vielen vom Kapitän befohlenen Wartungsarbeiten ausgefüllt. Es schien, als hätten sich ihre Aufgaben verdoppelt, sobald der Wind nachgelassen hatte.

Evian und François machten eine Zigarettenpause und blickten über die Bordwand auf das glatte, aber eiskalte Wasser.

»Hey, sieh mal!« Evian rannte los, um das lange Netz zu holen. »Halt meine Beine fest.«

François folgte der Aufforderung, und einen Moment später kam Evian mit einer Flasche im Netz wieder hoch.

»Da ist ein Zettel drin«, sagte er und löste den Korken.

»Rum wäre mir lieber«, beklagte sich François. »Was steht drauf?«

Evian überflog jede der Seiten und zuckte dann mit den Schultern. »Kannst du Englisch lesen?«

François streckte die Hand aus. »Ein bisschen.« Er betrachtete die Seiten kurz und schüttelte dann den Kopf. »Miese Schrift, mit zittriger Hand geschrieben.«

»Was haben Sie da?« Einer der wenigen zahlenden Passagiere kam auf sie zu geschlendert.

Evian sah auf und tippte sich an die Mütze. »Wir haben einen Zettel in einer treibenden Flasche gefunden, Sir.« Er zog die Augenbrauen hoch. »Können Sie Englisch lesen, Sir?«

EPISODE 01

»Wissenschaft – sie besteht aus Fehlern, aber es sind Fehler, die nützlich sind, denn sie führen Schritt für Schritt zur Wahrheit« – Jules Verne

Kapitel 1

Vor 25 Jahren – Wikingerschiffmuseum, Halbinsel Bygdøy, Oslo, Norwegen

Der zehnjährige Troyson Strom drängte sich an seinem Vater vorbei, der gerade die Tür für ihn aufzog.

»Hey.« Sein Vater grinste, aber Troyson ging schnell weiter. Er breitete die Arme aus, legte den Kopf in den Nacken, drehte sich um und aalte sich in der gesegneten Kühle des Innenraums; eine Wohltat nach der Hitzewelle draußen.

Auf Troys Wangen zeigten sich Grübchen, als er lächelte, während er den Geruch von Bohnerwachs, Erde und altem Holz tief einatmete, und sein dichtes, dunkles Haar hatte sich dem Kämmen wie üblich verweigert. Es war der erste Urlaub, den er und sein Vater machten, seit seine Mutter vor etwas mehr als einem Jahr gestorben war. Troy spürte den Kloß in seinem Hals, der sich jedes Mal bildete, wenn er an sie dachte, und sperrte die Erinnerung rasch hinter eine Tür, wo er sie für später aufhob, damit sie diesen Tag nicht ruinieren konnte.

Orin, sein Vater, hatte ihn zurück in sein Heimatland Norwegen gebracht, um ihm seine Wurzeln zu zeigen, nachdem er sein ganzes Leben lang in Amerika, im ruhigen, grünen New Yorker Vorort Jericho, aufgewachsen war. Denn als er erfahren hatte, dass er von Wikingern abstammte, war das die coolste Sache überhaupt gewesen. Und auch wenn sein Vater eine Menge Geld mit einem Import-Export-Geschäft zwischen den USA und Europa verdiente, hatten die Bilder von Donnergöttern, Riesenwölfen und runenbesetzten Streitäxten das sofort übertrumpft.

Troy hatte sein Erbe in sich aufgesogen, es sich eingeprägt, und darüber gesprochen, als wäre er hineingeboren worden. Und jetzt war er ein kleiner Experte. Während der drei Tage, die sie in Norwegen verbringen wollten, hatte er verlangt, dass sie jedes Museum, jede Ausgrabungsstätte und jedes Artefakt besichtigten, das sie finden konnten. Und das Beste war, dass sein Dad einfach gelächelt und zugestimmt hatte.

Er ließ seinen Vater zurück und flitzte von Schaukasten zu Schaukasten, während er mit seiner neuen Digitalkamera alles fotografierte, was ihm in den Weg kam.

»Dad …« Troy zeigte auf eine offene Tür zum nächsten Ausstellungsraum.

»Klar, geh nur.« Orin winkte, als Troy im Raum mit den Booten verschwand. Troy war fast vor Vorfreude geplatzt, die geborgenen Langboote und anderen Artefakte zu sehen, sobald er davon erfahren hatte.

Im ersten Raum befand sich das berühmte Oseberg-Schiff, ein gut erhaltenes Wikingerschiff, das 1904 in einem großen Grabhügel auf dem Hof Oseberg in der Nähe von Tønsberg in der Provinz Vestfold entdeckt wurde. Es war nicht ungewöhnlich, dass Häuptlinge oder andere hochrangige Wikinger mit, oder in, ihren Langbooten begraben worden waren, damit sie ihnen in Walhalla, ihrer Version des Himmels, von Nutzen sein konnten.

Troy ging langsamer, um das Schiff auf sich wirken zu lassen, und staunte über die Schönheit seiner Linien. Es war eines der schönsten vollständigen Artefakte, die aus der Wikingerzeit erhalten geblieben waren. Das zweiundzwanzig Meter lange Schiff war vom Alter zu einem dunklen Mahagoni gefärbt worden, obwohl es fast vollständig aus Eichenholz bestand. Wissenschaftliche Untersuchungen legten nahe, dass Teile davon aus dem Jahr 800 stammten und andere Teile seiner Struktur möglicherweise noch viel älter waren.

Troy wollte es unbedingt anfassen. Das Holz unter seinen Fingern spüren, als ob seine Berührung irgendwie Erinnerungen an jene längst vergangenen Seereisen und Abenteuer vermitteln würde. Er sah sich langsam um und dachte darüber nach, aber ein älterer Wachmann nickte ihm zu und lächelte, und Troy lächelte zurück und ließ die Idee augenblicklich fallen. Für den Moment.

Schließlich ging er ein Mal um das Schiff herum, blieb unterwegs stehen, um einige Aspekte der Konstruktion zu betrachten und ein paar Fotos zu machen. Doch dann lief er in den nächsten Raum, der laufende Arbeiten und weitere obskure Artefakte aus der Wikingerzeit enthielt. Und das hatte seinen Grund. Es gab eine Sache, die seine Neugierde mehr befeuerte als alles andere, und sie war bis zum heutigen Tag eine Anomalie in der wissenschaftlichen Gemeinschaft geblieben.

Aufgrund der Temperierung war der schwach beleuchtete Raum kalt. Es gab mehrere Glaswände und Vitrinen, manche versiegelt, die angestrahlte Gegenstände enthielten, welche im Laufe der Jahre geborgen worden waren.

Doch der seltsamste Gegenstand, der den Raum dominierte, war das teilweise rekonstruierte Schiff hinter einer Wand aus bruchsicherem Glas. Die Überreste dieses Wikingerschiffs, der Skidbladnir, waren einzigartig, weil man es nicht vergraben gefunden hatte oder seine Deckbalken aus den Tiefen eines gefrorenen Sees gezogen worden waren. Stattdessen war es mitten in einem Eisberg eingeschlossen entdeckt worden, der sich, wie man annahm, vom schmelzenden Treibeis irgendwo vor Nordgrönland gelöst hatte.

Der Fund war ein Glücksfall gewesen, denn der massive Eisblock, der das Wrack eingeschlossen hatte, war gerade genug geschmolzen, um den Drachenbug des kaputten Schiffes freizulegen. Ein bisschen weniger Schmelze, und es wäre unsichtbar geblieben. Und wäre mehr geschmolzen, wären die Überreste auf den Grund gesunken und innerhalb weniger Wochen zu Schlamm zerfallen.

Troy blieb stehen und starrte es wie in Trance an. Nur der vordere Teil des Schiffes war geborgen worden und wurde noch immer restauriert. Selbst dieses Stück war größer als normal, was bedeutete, dass es eine Kombination aus Kriegs- und Reiseschiff war. Er wusste bereits, was es war: ein echtes Drekiskip – ein Drachenschiff. Und er wusste auch, warum der traditionelle Bug mit einem wütend dreinschauenden Drachen verziert war. Dieser hier hatte ein einzelnes verbliebenes isländisches Jadeauge, und im Neonlicht des Raumes funkelte die menschengroße Kugel noch immer in einem satten Grün.

Den Wikingern war Macht und Symbolik des Drachens wohlbekannt, denn er vermittelte Stärke und Tapferkeit und war ein Totem, das böse Mächte abschrecken sollte. Das Seltsame war, dass die Ära der Wikinger fast dreihundert Jahre andauerte und sich über mehrere Länder erstreckte, von denen alle ein auffallend ähnliches Drachendesign aufwiesen. Es war, als ob alle einem ähnlichen Motiv folgten. Oder sie hatten tatsächlich einen Echten gesehen.

Troy musste die Informationstafel neben der Restauration nicht lesen. Er wusste alles auswendig: Das gefrorene Schiff, die Skidbladnir, war von dem legendären Ulf Skarsgard gesteuert worden, und das wusste man, weil man im Eisgrab des Wracks auch die Scherbe einer prächtig verzierten Tonurne gefunden hatte, die die Geschichte seiner letzten Reise zu einer verborgenen Welt oder Insel erzählte. Oder zumindest einen Teil der Geschichte.

Ein leises Geräusch ließ ihn herumfahren. Er hatte erwartet, dass der Raum leer wäre, aber das war er nicht.

***

Der junge Troy umrundete die riesige, gewölbte Scheibe aus gehärtetem Glas und blieb wie versteinert stehen. Er senkte seine Kamera und starrte einen Moment lang geradeaus.

»Hallo«, sagte er leise.

Das Mädchen, vermutlich ein paar Jahre jünger als er und mit den weißesten Haaren, die er je gesehen hatte, starrte durch die Glasscheibe zum Boot. Sie drehte sich nicht um.

Er stellte sich neben sie und betrachtete sie einen Moment lang. Zu ihrem langen, nordisch blonden Haar und den Sommersprossen auf ihren Wangen hatte sie eine gerade, nach oben geneigte Nase. Aus irgendeinem Grund bekam er ein komisches Gefühl im Bauch, wenn er sie nur ansah. »Schmetterlinge«, hätte seine Mutter gesagt.

Troy drehte sich um, um ebenfalls zum Schiff zu schauen. »Ziemlich cool, hm?«

»Es heißt Skidbladnir«, sagte sie. »Weißt du, was das bedeutet?«

Er nickte. »M-hm, das bedeutet ›Holzklinge‹. Zum Schneiden des Wassers. Und der Kapitän war Ulf Skarsgard. Ulf war der Steuermeister, oder Kapitän. Sein Name bedeutet Wolf.«

»Das stimmt.« Endlich lächelte sie und drehte sich um. Sie schien ein wenig beeindruckt zu sein. »Du weißt eine Menge. Für einen Amerikaner.«

Er erwiderte das Lächeln, auch wenn er vorübergehend verblüfft war. Sie hatte die grünsten Augen, die er je gesehen hatte. Oder besser gesagt, ein Auge. Das andere war von einer rosa Augenklappe bedeckt.

»Dein Auge. Oh …«, sagte er unbeholfen. »Ist es entzündet?«

Ihr Lächeln wurde ein wenig schwächer und sie wandte sich wieder dem Boot zu. »Nein, ich, äh, habs verloren. Ist egal.«

»Es macht mir nichts aus.« Er zuckte mit den Schultern. »Und mein Vater ist Norweger, also, hier geboren, jedenfalls. Wir leben in New York. Wir sind zusammen hier.« Troy legte den Kopf schief. »Bist du Norwegerin?«

»Jeg er begge – Engelsk og Norsk«, antwortete sie.

»Du bist Engländerin und Norwegerin?«, grinste er.

»Du sprichst also ein bisschen Norwegisch.« Sie kicherte.

Troy mochte ihr Lachen. »Ich kann es besser verstehen, als ich es sprechen kann.«

Sie drehte sich um und sah zu ihm auf. »Ja, ich wurde hier geboren, aber meine Eltern ziehen geschäftlich hin und her.«

»Sind sie mit dir hier?«, fragte Troy.

Sie schüttelte den Kopf, breitete die Arme aus und drehte sich langsam. »Ich komme allein hierher. Das tue ich immer.« Sie senkte die Arme und sah ihn an. »Meine Brüder gehen lieber angeln, aber ich bin gern hier. Ich habe das Gefühl, dass ich hierher gehöre.«

Sie wurde wieder ernst, als sie zu den Überresten des Schiffes nickte. »Man sagt, es wurde 1869 in einem Eisberg gefunden, und die Strömungen in dem Gebiet könnten es bis von der Spitze Grönlands hergebracht haben. Sieh dir den Drekahofud an, das Drachenauge.« Sie seufzte. »Das ist das Schönste, was ich je gesehen habe.«

Er bemerkte jetzt, dass das grüne Jadeauge fast die gleiche Farbe hatte wie das Auge des Mädchens.

»Ja, es ist cool«, sagte er. »Es sieht fast echt aus.«

»Es ist echt.« Sie lächelte wieder. »Was glaubst du, was das Schiff da oben gemacht hat?«

»Es hat nach etwas gesucht«, antwortete Troy. »Sieh dir das an.« Er winkte sie zu einer kleineren Vitrine mit einem einzelnen Gegenstand im Inneren und zeigte darauf. »Sie haben nach einer verborgenen Welt gesucht. Eine Insel, glaube ich. Das steht auf der Urne. Zumindest die Hälfte der Geschichte.« Troy hob seine Kamera. »Sie wird Lemuria-Urne genannt.«

Wieder betrachtete sie die fünfundvierzig Zentimeter hohe Scherbe aus verziertem Ton. »Eine verborgene Insel«, wiederholte sie leise. »Ich frage mich, was dort versteckt ist.«

»Schätze natürlich.« Troy nickte zuversichtlich, während er die kleine Vitrine umrundete und Foto um Foto schoss.

»Und furchterregende Drachen, und Seeschlangen, so steht es hier.« Sie reckte das Kinn.

Er zuckte mit den Schultern. »Egal. Davor fürchte ich mich nicht.«

»Oh, ich auch nicht«, sagte sie leidenschaftlich und drehte sich zu ihm um. »Elleanor Burgan. Meine Freunde nennen mich Ellie oder Elle.« Sie streckte eine kleine, rosa Hand aus.

Er machte ein Foto von ihr. »Mein Name ist Troyson Strom, aber nenn mich Troy.« Er schüttelte ihre Hand, mochte sie augenblicklich noch mehr, und nickte dann zur Urne. »Eines Tages werde ich diese geheimnisvolle Insel in dieser verborgenen Welt finden.«

Sie starrte ihn einen Moment lang an, dann wieder die Urne. »Ich frage mich, was auf den anderen Teilen war.«

Troy wollte wetten, dass er es wusste. Langsam ging er um die Vitrine herum und sah Ellies eine Auge ihm durch das Glas folgen. »Viele Urnen wurden benutzt, um Geschichten zu erzählen.« Er blieb stehen und sah sie an der Scherbe vorbei an. »Und diese hier erzählt die Geschichte von Ulfs Reise zur Insel, und ich wette, das oder die fehlenden Stücke würden uns zeigen, wie man dorthin kommt.«

Sie nickte nur. Eine Hälfte ihres Mundes verzog sich wieder zu einem kleinen Lächeln.

Er kam wieder um die Vitrine herum. »Wusstest du, dass zwischen den Bootsplanken angeblich noch ein weiterer Gegenstand gefunden wurde, der noch nie ausgestellt worden ist? Es war ein riesiges Stück Eierschale. Kein Wissenschaftler konnte je herausfinden, wovon es kam – Vogel oder Reptil. Man konnte keine Übereinstimmung finden.« Er zuckte mit den Schultern. »Habe ich zumindest gehört.«

»Was denkst du, was es war?«, fragte sie mit einem großen Auge.

Er lächelte leicht. »Manche glauben, dass es von einer neuen Spezies von Riesenalligator stammt, die die Wikinger auf ihren langen Reisen in wärmere Klimazonen aufgesammelt hatten, und vielleicht haben sie sie die Eier als Nahrung behalten.«

»Alligator? Langweilig«, schnaufte sie.

»Aber es hieß, es sei zu groß«, antwortete er.

»Oh?« Sie drehte sich um. »Aber was glaubst du, was es war?«, drängte sie.

Troy konnte sehen, wie sie ihn mit einem weit aufgerissenen Auge anstarrte, ein Anflug von Furcht im Blick. Er erinnerte sich daran, was er sonst noch über die seltsame Schale erfahren hatte. Er hatte in einer alten Wissenschaftszeitschrift gelesen, dass viele Paläontologen aufgrund ihrer Größe und Form davon ausgingen, dass es sich um die fossilen Überreste einer unbekannten, mittelgroßen Echse handelte, eines Dinosauriers. Aber die Lebenszeit der Anomalie wurde auf die Zeit des Schiffes datiert, vor etwa tausend Jahren. Und das war unmöglich.

Viele andere Wissenschaftler nannten sie jedoch eine Fälschung, und inzwischen war sie in einem der Kellerschränke des Museums verschwunden, wo sie wahrscheinlich weitere tausend Jahre ungestört liegenbleiben würde.

Ellie drehte sich wieder zur Vitrine mit der Scherbe um. »Also, was?« Sie legte den Kopf schief.

»Ich glaube, es war …«

In seinem Herzen wettete Troy, dass es, was es auch war, von der Insel stammte, die Ulf Skarsgard gesucht hatte. Und vielleicht gefunden. Er drehte sich zu ihr um und lächelte. »Ich glaube, es war ein Zauberdrache. Aus einem geheimen Königreich.«

Ihr Lächeln kehrte zurück. »Ja.«

»Eines Tages werde ich den Rest dieser Urne finden«, verkündete er. »Und ich werde lesen, was da steht.«

»Sie wird dir sagen, wo die geheimnisvolle Insel ist. Und der vergrabene Schatz. Und die Zauberdrachen«, verkündete Ellie. »Und sie wird dich zu Odins Herz führen.«

»Ja. Und dann werde ich ein großes Boot kaufen und hinfahren. Und ich werde reich und berühmt werden«, verkündete er. Sein Lächeln schwand. Was hat sie gerade gesagt?

»Hey, Moment. Was ist das Herz von Odin?« Davon habe ich noch nie gehört, dachte er.

»Ein Geheimnis.« Sie legte einen Finger an die Lippen.

Troys Augenbrauen zogen sich zusammen. »Aber …«

»Troy.« Sein Vater betrat den Raum. »Es wird Zeit«, sagte er.

»Ich komme«, rief Troy zurück. »Eine Minute«, fügte er hinzu.

Ellie sah zu Troys Vater und wieder zu ihm. »Versprich mir, dass du mich mitnimmst, wenn du dorthin gehst.« Sie wich langsam zurück. »Versprich es.«

Er grinste. »Okay, ich verspreche es … eines Tages.«

Mit einem Zwinkern in ihrem einzigen grünen Auge eilte sie zu ihm zurück, packte die Schultern seines Shirts und zog sein Gesicht näher heran. Er dachte, sie würde ihm ein weiteres Geheimnis zuflüstern, aber stattdessen küsste sie ihn auf die Wange.

»Und ich weiß, dass du dein Versprechen halten wirst«, sagte sie, »weil du ein Junge bist, der zu seinem Wort steht, Troyson Strom. Das kann ich dir ansehen.«

»Äh, ich werde morgen hier sein«, setzte Troy schnell nach, während sich sein Gesicht glühend heiß anfühlte.

Ellie hatte schon davonlaufen wollen, doch dann blieb sie stehen. »Hey, glaubst du, dass noch jemand die Insel gefunden hat? Seit den Wikingern, meine ich. Und hingegangen ist?«

Troy wackelte kurz mit dem Kopf. »Es gibt viele Geschichten über Menschen, die untergegangene oder geheimnisvolle Inseln gefunden haben. Aber die meisten sind nur ausgedacht.«

Sie legte den Kopf schief. »Weißt du, ich wette, die Leute haben sie gefunden. Und vielleicht haben sie darüber geschrieben, aber wir glauben, dass sie sich das nur ausgedacht haben.« Sie wackelte mit dem Finger. »Aber ich glaube, manche Legenden sind wahr.« Und dann drehte sie sich um und verschwand.

***

Wie versprochen kam Troy am nächsten Tag und stellte sich neben das Boot. Während er es anstarrte, verlor er sich in Tagträumen, und seine jugendliche Fantasie nahm ihn mit auf eine Reise zu eisumschlossenen Kontinenten mit dunklen Passagen zu verborgenen Meeren und einer geheimnisvollen Insel.

Er stand immer noch dort, als sein Vater dreißig Minuten später kam, um nach ihm zu sehen. Er bettelte um etwas mehr Zeit, aber nach einer vollen Stunde ahnte er, dass Ellie nicht auftauchen würde. Dann erinnerte er sich daran, dass sie nie gesagt hatte, dass sie kommen würde.

Das macht nichts, dachte er. Aber er wettete, dass sie recht hatte und manche Legenden wahr waren.

Kapitel 2

Gestern – Dorf Dunnet, Caithness, Schottisches Hochland

»Du solltest besser was unternehmen, Owen, weil es hier nämlich alles vollstinkt.« Morag McGregor hatte sich ein Geschirrtuch um die untere Gesichtshälfte gewickelt und die Hände fest in die Hüften gestemmt. »Meine Gäste beschweren sich höllisch.«

Constable Owen McGinley atmete durch die Nase aus und nahm einen tiefen Atemzug, durch die Zähne, um den Gestank der Fäulnis nicht riechen zu müssen. Der Fleischhaufen war ein kleiner, grauer Berg direkt an der Flutlinie. Er konnte beinahe die öligen Gasschwaden sehen, die von ihm ausgingen, während er in der Frühlingssonne verweste.

»Wir könnten es begraben.« Er wackelte mit dem Kopf. »Ah, nein, stimmt ja, mir fällt gerade ein, dass Jock den großen Bagger momentan in der Reparatur hat.«

»Also, du lässt das nicht einfach da liegen, das will ich dir gesagt haben«, warnte Morag. »Das ist eine Frage der öffentlichen Gesundheit. Ganz genau das. Davon werden die Kinder krank.«

McGinley seufzte. »Ach, Morag, ich glaube wirklich nicht …«

»Es vergiftet die Luft. Spreng es«, unterbrach sie ihn.

»Es ist nur ein toter Wal oder so.« Er runzelte die Stirn.

»Und weiter? Es ist mir scheißegal, ob es Moby Dicks Schwanz ist.« Sie starrte ihn an. »Spreng es in die Luft und vergrabe die Einzelteile. Heute noch.«

Constable McGinley kratzte sich am Kinn. »Tja, ich glaube, Jock hat noch ein kleines bisschen Dynamit übrig.«

»Na also. Mach es. Heute.« Morag rückte ihr Geschirrtuch zurecht und wackelte dann mit dem Finger. »Und komm heute Abend nicht in meinen Pub, wenn es nicht erledigt ist.«

»Och.« McGinley blickte zurück auf den riesigen Fleischhaufen, der gut mehrere Tonnen wiegen musste. Seine Größe verriet ihm, dass es ein Wal sein musste, aber er war mit seltsamen Stacheln und Beulen übersät.

Vielleicht einer von diesen komischen russischen Walen, dachte er.

Er sah auf die Uhr. »Okay, ich verwandle dieses Riesenvieh in Katzenfutter. Nur für dich, Morag.« Er tippte sich an die Mütze und ging zurück zu seinem Auto.

***

Einige Tage später leckte Mr. Blair Findlay, Inhaber von Dunnet Kuriositäten und Antiquitäten, seinen Zeigefinger ab, blätterte damit die Zeitung um und las sie mit einem wegen dem neben seines Gesichts aufsteigenden Pfeifenrauchs zusammengekniffenen Auge.

Eine rasch kalt werdende Tasse voll schwarzem Tee stand auf seinem Tisch, und endlich konnte er das Gebräu riechen. Das war wesentlich besser als der Gestank, der von dem toten Wal ausgegangen war. Der war nicht mehr viel größer als ein Brotlaib gewesen, als er an jenem Tag nach der Explosion hingegangen war. Er kicherte, als er sich daran erinnerte, wie dieser Trottel, Constable McGinley, das Ding über eine halbe Meile verteilt und es sogar geschafft hatte, mit seiner Explosion Möwen vom Himmel zu holen.

Obwohl es den Strand vollgestunken und die Flutlinie in eine schmierige Sauerei verwandelt hatte, hatte er einige Teile entdeckt, die ihn neugierig gemacht hatten. Er sah an einem seiner hohen Regale hinauf zu dem Ding im Einmachglas. Nur Stücke, aber interessante Stücke.

Die Vormittagssonne drang gerade erst durch die Fenster seines Kuriositätenladens. Es war ruhig, wieder einmal. Tatsächlich war die Stadt immer ruhig, da es nur wenige Einheimische gab und es erst der Beginn der frühjährlichen Touristensaison war.

Auch wenn Blair Mitte siebzig war, hatte die alte Mrs. Findlay keine Idioten großgezogen, und er hatte rasch gelernt, wie man das Internet benutzt, und dann einen Online-Shop eingerichtet, der dazu geführt hatte, dass er seine Waren auf der ganzen Welt verkaufen konnte.

Er verdiente gutes Geld und musste sich nur noch selten persönlich mit Menschen abgeben – und so gefiel es Blair.

Jetzt verbrachte er seine Tage damit, die Dinge, die er angespült fand, zu fotografieren, sie auf die Auktionsseite zu laden und sie dann zum Versand über das Postamt in Dunnet am Ende der Straße zu verpacken.

Blair blätterte die Seite um und las die politische Hauptmeldung. Er schüttelte den Kopf. »Scheißkerle«, murmelte er.

Er nahm die Pfeife aus dem Mund, nippte an seinem Tee und klemmte sich die Pfeife wieder zwischen die Zähne. Er blätterte die nächsten Seiten um, bis er zum Sportteil kam.

Seine Fußballmannschaft hatte verloren. »Scheißkerle«, fluchte er wieder.

Die kleine, fröhliche Glocke über seiner Tür läutete, als diese sich öffnete. Er schlug die Zeitung zu und sah auf. Ein großer Mann, sehr groß, in einem Mantel und einer bis zu den Augenbrauen heruntergezogenen Wollmütze, trat ein.

»Guten Morgen, Sir«, sagte Blair. »Nur zu Besuch, was?«

»Ja«, antwortete der Mann, nicht unfreundlich, aber auch nicht freundlich.

Blair bemerkte, dass er seine dunkle Brille aufbehielt. Der junge Mann hatte einen leichten holländischen oder finnischen Akzent, und er konnte gerade so ausmachen, dass das Haar unter der Wollmütze blond war. Am Kragen des Mannes zeigte sich außerdem etwas, das ein grünes Tattoo sein könnte. Keins von diesen auffälligen bunten Dingern, sondern eher hausgemacht.

Blair nahm seine Pfeife aus dem Mund. »Wie kann ich Ihnen an diesem schönen Tag helfen, Sir?«

Der Mann griff in seine Tasche, holte ein gefaltetes Stück Papier heraus und trat an die Verkaufstheke. Er faltete es auseinander, strich es glatt und legte es vor Blair hin.

Er tippte mit einem großen Finger darauf. »Dieses Stück. Ich möchte es kaufen.«

Blair sah auf sein eigenes Internet-Posting einer Scherbe von verblasster Wikingertöpferei hinunter. »Ah, das. Sehr beliebt.« Er schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. »Und leider erst neulich verkauft.«

Der Mann stand da, als hätte er ihn nicht gehört.

»Tut mir leid.« Blair zuckte mit den Schultern und grinste dann. »Aber wie man so schön sagt: Da hätten Sie gestern kommen sollen, junger Mann.«

Der Mann drehte sich langsam um und musterte den kleinen Raum, betrachtete die Gegenstände in den Vitrinen und auf den Regalen, als überprüfe er, ob Blair die Wahrheit sagte. Schließlich richtete er seinen ausdruckslosen Blick wieder einen Moment lang auf Blair, ehe er sich vorbeugte. »Hatten Sie noch mehr Bilder davon?«

»Hatte ich, Sir.« Blair zückte sein neues Handy. Er entsperrte es, öffnete die Fotogalerie und wählte einige Bilder aus. Er legte das Telefon auf den Tisch und drehte es um.

»Drei Bilder.« Er zeigte ihm das erste. »Das ist …«

Der Mann vergrößerte das Bild mit den Fingern. Er wischte weiter, um das Nächste zu betrachten, und das Nächste.

Der riesige Mann musterte es mit der Intensität eines Juweliers, der einen kostbaren Edelstein untersucht. Es war, als versuchte er, die seltsamen Zeichen darauf zu lesen. Nach fünf vollen Minuten gab der Mann einen kehligen Laut von sich und richtete sich auf, und als Blair hinsah, bemerkte er, dass der große Kerl die Augen hinter seiner dunklen Brille geschlossen hatte.

»Ist alles in Ordnung, junger Mann?«, fragte Blair.

Der Mann sprach durch die Zähne. »Wem … haben Sie es verflucht nochmal verkauft?«, fragte er, leise und böse.

Blair schob das Telefon beiseite. Ihm gefielen weder Ton noch Ausdrucksweise des Mannes, und er stand langsam auf. Er war ein alter Mann, und der junge Mann war mehr als anderthalb Köpfe größer als er und an den Schultern zwei Axtstiele breiter, aber Blair war in seiner Jugend ein guter Amateurboxer gewesen und hatte nach wie vor ein starkes Rückgrat.

»Nun, Sie wissen, dass ich Ihnen diese Information nicht geben kann, Sir.« Blairs Augen wurden schmal. »Ich habe noch ein paar andere schöne Stücke. Warum atmen Sie nicht tief durch, legen Ihre Manieren wieder an und sehen sich um?«

Der Besucher war ungerührt. »Ich gebe Ihnen zweihundert Euro für den Namen. Ich will nur die Chance, es abzukaufen.«

»Ich bezweifle, dass sie es verkaufen wird. Sie schien sehr glücklich damit zu sein.« Blair behielt ein Lächeln im Gesicht, aber der große Besucher begann ihn zu verunsichern.

»Sie.« Der Mann dachte einen Moment lang über das Wort nach. »Natürlich.« Er schnaubte leise, dann richtete sich sein Blick wieder auf Blair. »Mach fünfhundert draus.«

Blairs Augenbrauen wanderten nach oben. Der Kerl musste dieses Stück wirklich unbedingt haben wollen. Plötzlich bereute er es, es so billig verkauft zu haben.

»Ich sage Ihnen, was ich tun kann. Sie geben mir Ihre Nummer, und ich rufe den Käufer an. Wenn s…er verkaufen will, werde ich ihm Ihre Nummer geben. Klingt das gut?« Er nahm einen Stift in die Hand.

Der große Mann legte eine geballte Faust auf die Theke. Blair gab sich Mühe, sie zu ignorieren. Er öffnete die Schreibtischschublade, um einen Notizzettel zu suchen, und entdeckte den aktuellen Verkaufsbeleg für das Stück. Er griff danach und zerknüllte ihn verstohlen in der Hand, während in seinem Verstand die Alarmglocken zu läuten begannen.

»Aber Sie haben doch ihre Nummer, oder?« Die Hände des Mannes sanken in seine Manteltaschen.

»Vielleicht hinten.« Blairs Blick wanderte zu seinem Handy auf der Arbeitsplatte. Es war noch entsperrt. Er griff danach.

Wie eine zuschlagende Schlange kam die linke Hand des Mannes aus der Manteltasche. Etwas Silbernes blitzte auf, und dann wurde Blairs Hand in den Holztisch genagelt; die spitze Klinge durchbohrte das Fleisch zwischen dem zweiten und dritten Mittelhandknochen.

Blair heulte auf. Der Besucher ignorierte ihn und ließ die Klinge an Ort und Stelle stecken.

Der große Mann hob das Handy auf. »Ich nehme an, ihr habt vor kurzem miteinander gesprochen.«

Er blätterte durch das Anrufprotokoll und nickte, als er sich die Liste der letzten Anrufe ansah. Er lächelte, denn er hatte wohl gefunden, was er suchte.

Zuletzt änderte er das Passwort, bevor er sich abmeldete und das Handy in seine Tasche fallen ließ.

Er brachte sein Gesicht nahe an Blairs. »Wenn Sie in der Zeit zurückgehen könnten, würden Sie dann mein Geld nehmen?«

»Verpiss dich«, sagte Blair durch die Wogen von Schmerz.

Schneller, als Blair reagieren konnte, riss der Besucher dem alten Schotten die Klinge aus der Hand und rammte sie ihm mit voller Wucht in die Schläfe, wo sie bis zum Griff eindrang.

So hielt er sie fest, während der Körper des alten Mannes eine Weile zuckte und zappelte. Dann zog er sie heraus und trat zurück, um dem einzelnen, wie von einem Schlauch aus dem Schädel ausgespuckten Blutschwall auszuweichen.

Blairs Körper fiel zu Boden. Der Besucher sah sich ein letztes Mal um, ging dann zur Tür, drehte das kleine Schild um, um »Geschlossen« zur Straße hin anzuzeigen, und verließ das Gebäude unter dem Läuten der kleinen, fröhlichen Glocke.

Kapitel 3

Eine Woche später – Schottisches Hochland

Troy Strom stieg aus dem schwarzen Range Rover Geländewagen und streckte sich. Nachdem ihm in Edinburgh gerade ein riesiger Auftrag über Motorenteile entgangen war, benötigte er eine Auszeit, um den Kopf frei zu bekommen.

Tatsächlich hatte er diesen Auftrag wirklich gebraucht. Sein Unternehmen hatte nur noch wenige Bestellungen übrig, und billigere Alternativen zu seinen Produkten zehrten Tag für Tag an seinem neuen Geschäftsfeld. Nachdem er neun Jahre seines Lebens und sein ganzes Geld in das Unternehmen investiert hatte, war er, was neue Ideen betraf, an eine Grenze gestoßen.

Er atmete durch die Nase aus, als ihm ein alter Marketingspruch einfiel, der ihn heimsuchte: Ein Wettbewerbsvorteil ist nicht dasselbe wie ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil. Irgendwann wird der andere Kerl angreifen. Und wenn sein Produkt das gleiche ist wie deines, aber billiger, dann bist du aufgeschmissen, Kumpel.

Wie wahr. Er seufzte.

Troy betrachtete das Ingenieurwesen gerne als sein zweites Leben. Das saubere Leben. Das, welches er wirklich führen wollte.

Er hatte das College mit einem Ingenieurdiplom mit Auszeichnung abgeschlossen. Doch noch auf dem Campus wurde er von der CIA, der Firma, angeworben. Sie brauchten kluge junge Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, die über den Tellerrand hinausschauen konnten, und die Welt, die sie ihm boten, war aufregend und herausfordernd. Er erinnerte sich daran, dass ihn all das umgehauen hatte. Und so war das Geheimagentendasein zu seinem ersten Leben geworden. Das hatte sich als das Dunkle und Schmutzige herausgestellt.

Mit den Jahren hatte er sich im Nahkampf und beim Schießen hervorgetan und verfügte über beeindruckende Ermittlerfähigkeiten. Er war bei seinen Kollegen beliebt und wurde von ihnen respektiert, und mit seinen Vorgesetzten war es das Gleiche.

Manche dieser Jahre waren die besten seines Lebens. Andere die schlimmsten. In seinem Kopf waren dunkle Missionserinnerungen gespeichert, die sich ihm des Nachts aufdrängten.

Troy lehnte sich gegen das Auto und legte den Kopf in den Nacken, um in den blassblauen Himmel zu schauen. Er hatte Menschen gerettet, sein Land gerettet, rief er sich in Erinnerung.

Allein der Gedanke daran war wie eine Zeitmaschine, die ihn zurücktransportierte. Er erinnerte sich an eine gemeinsame Mission mit dem britischen MI6 und der französischen DGSE, der Generaldirektion für äußere Sicherheit, beides Äquivalente der CIA.

Sie hatten Informationen erhalten, dass ein potenzieller globaler Terroranschlag geplant war. Etwas Großes in ganz Europa und den USA. Und als die Anzeichen auf die Involvierung eines biologischen Kampfstoffs hindeuteten, war das genug, um ihnen die uneingeschränkte Befugnis zu erteilen, mit äußerster Härte einzugreifen. Gemeinsame Informationen hatten sie zu einer Zelle mit Basis in Ohio geführt, und es war Troys Aufgabe gewesen, ein Team hinzubringen, um sie zu zerschlagen.

Die Terroristengruppe hatte ein kleines, unscheinbares Haus in der Garfield Avenue in Findlay gemietet, direkt gegenüber der Universität. Wärmescans deuteten auf eine Gruppe von sechs Männern im Gebäude hin. Außerdem drei Fässer mit einer nicht identifizierten Substanz.

In Frankreich und Großbritannien waren ähnliche Interventionen geplant, und alle waren so abgestimmt, dass sie zur gleichen Zeit stattfanden. Die Priorität lag darin, die Übeltäter auszuschalten, ohne dass sie die anderen Zellen benachrichtigen konnten, und ehe einer von ihnen die Chance bekäme, das biologische Mittel zu verbreiten.

Während die Sekunden abliefen, meldete sich Troy freiwillig und ging lässig zur Eingangstür. Er trug einen AT&T-Overall und hatte ein Klemmbrett und einen Werkzeugkasten bei sich.

Er klopfte. »AT&T.«

»Gehen Sie weg«, lautete die Antwort.

Troy klopfte erneut. »Breitband-Update. Das muss heute passieren, Kumpel. Es ist genehmigt worden.«

»Nein. Gehen Sie weg.« Die Stimme erklang direkt hinter der Tür.

»Kann ich nicht. Mein Chef tritt mir in den Hintern, wenn ich heute nicht alle Grundstücke in der Garfield Avenue abhake. Kommen Sie, Kumpel, ich brauche nur zwei Minuten.« Troy wusste, dass der Kerl ihn durch den Türspion beobachtete, und tat so, als würde er auf sein Klemmbrett sehen.

Dann schob Troy den entscheidenden Satz nach. »Sonst könnten Sie Ihre gesamte Telekommunikation verlieren.«

Drinnen war ein gedämpftes Gespräch zu hören, dann die Geräusche von Bewegungen und sich schließenden Türen.

Das machte nichts, weil sich Troy bereits mit dem inneren Grundriss auskannte und wusste, wohin er zu gehen hatte.

In seinem Ohr berichtete das Überwachungsteam leise davon, was die Männer taten: Sie verbargen sich in anderen Räumen. Draußen standen zwanzig schwer bewaffnete Agenten, alle im Verborgenen und bereit, loszulegen, sobald er das Zentrum der Zelle gesichert hätte.

»Los geht’s«, flüsterte er.

Die Tür wurde geöffnet, und ein grimmiges Individuum packte ihn und schob ihn in den Flur.

»Hey, immer mit der Ruhe«, sagte Troy.

»Beeilung. Arbeit erledigen und verschwinden.« Er blickte auf Troys Werkzeugkiste. »Halt.«

Er riss sie ihm aus der Hand, öffnete sie und durchwühlte die Werkzeuge darin. Troy sah eine weitere Person am Ende des Flurs lauern, einen Arm versteckt, und er verwettete sein letztes Geld darauf, dass der Kerl eine Waffe in der Hand hielt. Und das war sein Zielraum – der mit den Fässern. Er musste dort hineingelangen, alle Verbrecher ausschalten und ihn bis zum Tod verteidigen. Oder bis das Team hereinstürmte.

Der Werkzeugkasten wurde geschlossen und ihm gegen den Bauch gestoßen. »Okay, los.«

»Na, danke.« Troy ging über den Flur, bis er auf der Höhe seines Zielraums war.

Er ließ die Werkzeugkiste fallen. »Hoppla.«

Wie erwartet richteten sich alle Blicke auf das heruntergefallene Werkzeug, nur ganz kurz, und als sie zu ihm zurückkehrten, hatte Troy eine Waffe in der einen und ein Messer in der anderen Hand.

Der Erste, der starb, war der Mann in der Tür, mit einem sauberen Schuss in die Stirn. In denselben wenigen Sekunden rammte er die Klinge in den Hals des Mannes, der ihn hereingelassen hatte. Dann betrat er schnell und zielstrebig den Raum. Dort war es dunkler, und die Fässer waren an der Rückwand aufgereiht, alle miteinander verkabelt. Obenauf stand ein kleiner Zündkasten, dessen Licht grün leuchtete. Im Moment.

Doch im Raum war noch ein Mann, dessen Reaktion, als er sah, dass sein Partner zu Boden ging und Troy zügig hereinkam, darin bestand, einen Kugelhagel auf ihn zu entfesseln.

Troy bekam einen Treffer in den Kappenmuskel ab, wo Hals und Schulter aufeinandertreffen, ignorierte ihn aber und schoss zweimal. Beide Schüsse trafen sein Ziel. Doch fanatische Entschlossenheit und Schnelligkeit ließen den Mann weiter auf den Zündknopf zusteuern. Also machte Troy einen Hechtsprung, um ihn abzufangen.

Ihm blieben nur Sekundenbruchteile, bevor die anderen im Haus den Raum betreten und das Blatt zu seinen Ungunsten wenden würden. Er kollidierte mit dem Kerl und stieß ihn von der Fernbedienung weg, dann rammte er ihm die Waffe in die Rippen und schoss zweimal, gerade als sich die offene Tür mit den drei übrigen Hausbewohnern füllte.

»Böse Jungs am Tor«, sagte er in sein Kehlkopfmikro.

Die drei Terroristen schrien ihre Wut heraus, aber in ihrer Eile verkeilten sie sich im Türrahmen. Troy hob den Körper des Mannes, den er gerade ausgeschaltet hatte, hoch und benutzte ihn als Schild, gerade rechtzeitig, als mehrere Kugeln in das tote Fleisch einschlugen.

Dann wurde die Eingangstür nach innen geschleudert, als die Kavallerie eintraf, und hundert Kugeln zerfetzten die drei Männer in der Tür. Außer einem blutigen Nebel und waberndem Pistolenrauch blieb nichts übrig.

Troy ließ den kugelzerfressenen Körper fallen und spürte augenblicklich, wie das Adrenalin seinen Körper verließ. Ihm wurde schwindelig und übel. Er beugte sich vor und atmete mehrmals tief ein.

Sein Team kam zu ihm, klopfte ihm auf den Rücken und half ihm auf die Beine. Der Sanitäter untersuchte ihn und erklärte, die Wunde sei schmerzhaft, aber nicht gefährlich. Ein paar Tage auf den Bahamas und ein paar Biere, und er wäre so gut wie neu, hatten seine Freunde gescherzt.

Das waren die guten Zeiten, dachte Troy und lächelte, während die schottische Sonne ihm ins Gesicht schien. Ja, dieser Tag war ein guter Tag für die guten Jungs gewesen, erinnerte er sich. Und ein paar Siege wie dieser hatten ihn entschieden schnell in der Agency berühmt gemacht.

Doch dann kam der dunkelste Tag. Der Tag, an dem einer durch die Maschen schlüpfte und ihn aus der Bahn warf.

»Nein«, sagte er laut. Er weigerte sich, darüber nachzudenken.

Troy stieg wieder ins Auto und trat den letzten Teil seiner Reise an. Es könnte seine letzte für eine Weile sein, oder zumindest die letzte, die er sich leisten konnte. Deshalb hatte er sich für einen Urlaub mit dem Auto an einem seiner Lieblingsorte in Schottland entschieden. Es war eine dreihundertachtzig Kilometer lange Fahrt über die A9 und durch Inverness, zur Spitze der Insel bei Thurso, und dann ein kurzer Abstecher auf die andere Seite in das winzige Dorf Dunnet in Caithness, in den schottischen Highlands.

Die Landschaft hier war smaragdgrün und immer kalt, aber die kleinen Häuser waren so warm wie die Herzen der Einheimischen. Troys Mund verzog sich zu einem Lächeln. Genau wie ihre Pasteten und ihr Bier.

Das war es, was er wirklich liebte: obskure Gegenstände aufzuspüren, die seine Obsession mit Lemuria, der geheimnisvollen Insel der Wikinger-Legende nährten. Seit seiner Kindheit war Troys Liebe zur Wikingerzeit ungebrochen, und er hatte eine umfangreiche Sammlung von Wikingerartefakten aus der Eisenzeit zusammengetragen. Aus dieser Gegend kam er immer mit etwas Interessantem zurück. Besonders aus Dunnet, wo ein Gegenstand, der seine Fantasie beflügelt hatte, online im Kuriositäten- und Antiquitätenladen des alten Blair Findlay aufgetaucht war.

Die Bilder der zerbrochenen Tonscherbe, die Blair online gestellt hatte, waren zu schön, um wahr zu sein, und wenn es das war, was er vermutete, musste er es einfach haben. Selbst als Erwachsener träumte er immer noch davon, das sagenhafte Lemuria zu finden. Sein Verstand sagte ihm, dass es nur eine Legende war. Aber sein Herz flüsterte ihm zu, dass es echt war. Manche Legenden sind eben doch wahr, hatte ihm jemand vor langer Zeit gesagt.

Er seufzte. Das Problem war, dass Blair nicht auf seine Anrufe reagierte.

Troy fuhr langsamer, als er sein Zuhause für die nächsten Tage erspähte: das Northern Sands Hotel neben der Dorfkirche. Es hatte nur ein Dutzend Zimmer, einen Speisesaal mit niedriger Decke und eine kleine, freundliche Bar, und wenn er hereinkam, verdoppelte sich normalerweise die Zahl der Gäste, aber all das war ihm recht.

Die Stadt war extrem alt und ihre Lage an der windgepeitschten Küste bedeutete, dass seit Tausenden oder vielleicht Millionen Jahren Dinge aus der Nordsee, der Labradorsee und der Norwegischen See angeschwemmt wurden.

Das Haus, in dem Troy übernachtete, lag direkt an der Küste, und von seinem Zimmer aus konnte er nach Süden über den weichsten Teppich aus jadefarbenem Gras blicken, den man sich vorstellen konnte. Und wenn er nach Norden schaute, war dort der glitzernde Ozean, klirrend kalt, aber trügerisch einladend.

Jetzt gerade war Ebbe und die Sandebene erstreckte sich fünfhundert Meter weit bis zum Wasser. Deshalb war das Durchkämmen des Strandes so lohnenswert: Gegenstände wurden von den Wellen hereingebracht, die Flut ging zurück, weit zurück, und auf dem weißen Sand stachen sie hervor wie Schokostückchen auf einem Snow Cake. Dann krempelte man einfach die Jeans hoch und schlenderte hinunter, um sie einzusammeln.