Die Frankfurter Schule - Rolf Wiggershaus - E-Book

Die Frankfurter Schule E-Book

Rolf Wiggershaus

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Beschreibung

Die Frankfurter Schule steht für ein Spektrum von Intellektuellen, die langfristig oder zeitweilig dem 1924 in Frankfurt am Main gegründeten Institut für Sozialforschung und dessen Projekt einer kritischen Theorie der Gesellschaft verbunden waren. Rolf Wiggershaus zeichnet die Geschichte der Frankfurter Schule nach. Sein Buch gibt Aufschluss über das so spannungsreiche wie ergiebige Zusammenwirken einflussreich gewordener Intellektueller wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Walter Benjamin und Jürgen Habermas, Herbert Marcuse und Erich Fromm, Oskar Negt und Axel Honneth.   Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

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Rolf Wiggershaus

Die Frankfurter Schule

 

 

 

Über dieses Buch

Die Frankfurter Schule steht für ein Spektrum von Intellektuellen, die langfristig oder zeitweilig dem 1924 in Frankfurt am Main gegründeten Institut für Sozialforschung und dessen Projekt einer kritischen Theorie der Gesellschaft verbunden waren. Rolf Wiggershaus zeichnet die Geschichte der Frankfurter Schule nach. Sein Buch gibt Aufschluss über das so spannungsreiche wie ergiebige Zusammenwirken einflussreich gewordener Intellektueller wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Walter Benjamin und Jürgen Habermas, Herbert Marcuse und Erich Fromm, Oskar Negt und Axel Honneth.

 

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Vita

Rolf Wiggershaus, geboren 1944 in Wuppertal. Studium der Philosophie, Soziologie und Germanistik in Tübingen und Frankfurt am Main. Promotion 1974. Er lebt als Philosoph und Publizist bei Frankfurt am Main. Veröffentlichungen: (Hg.) Sprachanalyse und Soziologie (1975); Die Frankfurter Schule. Geschichte, theoretische Entwicklung, politische Bedeutung (1986); Theodor W. Adorno (1987); Wittgenstein und Adorno. Zwei Spielarten modernen Philosophierens (2000). Jürgen Habermas (2004, rowohlts monographien Bd. 50644); Max Horkheimer. Unternehmer in Sachen «Kritische Theorie» (2013).

Impressum

rowohlts monographien

begründet von Kurt Kusenberg

herausgegeben von Uwe Naumann

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2024

Copyright © 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Für das E-Book wurden der Text und die Bibliographie aktualisiert, Stand: März 2024

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten

Redaktionsassistenz Katrin Finkemeier

 

Covergestaltung any.way, Hamburg

Coverabbildung oben links ullstein bild/Keystone (Max Horkheimer, 1960er Jahre), oben rechts ullstein bild/akg-images (Theodor W. Adorno, 1960), unten links aus «Walter Benjamin: Briefe.» Bd. 1, Frankfurt a.M. 1966 (Walter Benjamin, 1927), unten rechts ullstein bild/Timpe (Jürgen Habermas, 1985)

ISBN 978-3-644-02057-3

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

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Dieses E-Book entspricht den Vorgaben des W3C-Standards EPUB Accessibility 1.1 und den darin enthaltenen Regeln von WCAG, Level AA (hohes Niveau an Barrierefreiheit). Die Publikation ist durch Features wie Table of Contents (Inhaltsverzeichnis), Landmarks (Navigationspunkte) und semantische Content-Struktur zugänglich aufgebaut. Sind im E-Book Abbildungen enthalten, sind diese über Bildbeschreibungen zugänglich.

 

 

www.rowohlt.de

Vorwort

Wer versucht, dem Begriff Frankfurter Schule Konturen zu verleihen, wird immer wieder auf zwei Namen stoßen: Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, sowie auf die zunächst von Horkheimer, später immer mehr von Adorno dominierte Geschichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Inspiriert von gesellschaftlichen und kulturellen Aufbruchserwartungen der Zwischenkriegszeit, wurden diese beiden dank zufälliger Umstände und historischer Entwicklungen zu Philosophen und Soziologen, die immer auch einen Bezug zu empirischer Forschung hatten. Ihre Aufgabe sahen sie aber vor allem in einer kritischen Gesellschaftstheorie, in der ihre Hoffnungen und Zeiterfahrungen aufgehoben waren. Was dabei zustande kam, enthält Vergangenes, an das für qualitativ Neues angeknüpft werden kann. Soweit theoretische Konzeptionen und Entwicklungen wie die von Jürgen Habermas Erweiterungen, Modifikationen oder Konkretisierungen bieten, bereichern sie die Substanz dessen, was sich sinnvollerweise als Frankfurter Schule bezeichnen lässt und was unter diesem Titel weiterzugeben wichtig ist. Um davon auf knappem Raum möglichst viel nicht bloß zu benennen, sondern anschaulich und zusammenhängend zu präsentieren, musste auf die Einbettung in historische und wissenschaftliche Kontexte weitgehend verzichtet werden.

Auf erstaunliche Weise fällt bei den dreien, die gewissermaßen die Pole der folgenden Darstellung bilden, dreierlei zusammen: theoretische Bedeutung, der wenigstens zeitweise Kontakt mit empirischer Sozialforschung und eine literarische Qualität, die es ermöglichte, ein über wissenschaftliche Kreise weit hinausreichendes Publikum zu erreichen, zu beeinflussen und zu inspirieren. Horkheimers Aphorismen und Aufsätze, Adornos Essays und Vortragstexte und Habermas’ Kleine politische Schriften sind Beispiele für eine engagierte und perspektivenreiche Verarbeitung gesellschaftlicher und historischer Erfahrungen.

Alle drei haben aber auch einem Vierten ihre Reverenz erwiesen: Walter Benjamin. Er steht für eine nicht frei gewählte Ausgesetztheit an bedrängende und bedrohliche Realitäten, die besondere Qualitäten zutage förderte. In der Mitte der Exilzeit des Horkheimer-Kreises und des Instituts für Sozialforschung hielt Adorno den von Benjamin verkörperten Aspekt der Frankfurter Schule einmal Herbert Marcuse vor Augen, der hier als Fünfter zu nennen wäre. Als Marcuse einmal die Bedeutung einer engen Verbindung des Instituts zur New Yorker Columbia-Universität betonte, habe er, so Adorno selbstbewusst in einem Brief an Horkheimer, sehr gebellt und ihm gesagt, daß die Qualität unserer Arbeit nicht von der Anerkennung eines akademischen Betriebs abhängt und daß ich es außerdem in einer Welt, in der seit Schopenhauer und Feuerbach kein ernsthaft in Betracht kommender Denker sein Leben ohne schwerste Konflikte mit den Universitäten zugebracht habe, für eine größere Ehre betrachte, ein Literat zu sein als einer von jenen[1].

Ein Neubeginn am Frankfurter Institut für Sozialforschung

Wie so vieles hat auch die sogenannte Frankfurter Schule ihren Namen erst bekommen, als es sie schon längere Zeit gab, nämlich Ende der 1950er Jahre. Was man seitdem so nennt, hat einen genau datierbaren Anfang. Am 24. Januar 1931 hielt Max Horkheimer seine Öffentliche Rede bei Übernahme des Lehrstuhls für Sozialphilosophie und der Leitung des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main. Diese Rede wurde zu einem Gründungsdokument, auf das in späteren Selbstdarstellungen des Instituts immer wieder zurückgegriffen wurde, auf das Horkheimer sich auch 1951 bei der Feier zur Wiedereröffnung des aus dem US-amerikanischen Exil zurückgekehrten Instituts wieder berief und auf das bis heute von Repräsentanten des Instituts Bezug genommen wird.

Es war die Rede eines – wie der Vortragende sich selbst bezeichnete – jungen und unbekannten Mannes, der seinen Vorgänger, den seit einem Schlaganfall arbeitsunfähigen neunundsechzigjährigen österreichischen wirtschaftlichen Staatswissenschaftler und Sozialdemokraten Carl Grünberg, als einen großen Gelehrten würdigte, der, in der Tradition der historischen Schule der Nationalökonomie stehend, hauptsächlich die Geschichte der Arbeiterbewegung gepflegt, neben reichem Archivmaterial eine einzigartige Spezialbibliothek mit ungefähr 50000 Bänden aufgebaut und in der Schriftenreihe des Instituts hervorragende wissenschaftliche Werke von Forschern verschiedenster Einstellungen publiziert habe.

Der fünfunddreißigjährige Horkheimer kündigte nun an, die Arbeiten des Instituts auf neue Aufgaben zu richten und insbesondere die von seinem Vorgänger so genannte Diktatur des Direktors zu nutzen, um wenigstens im engsten Rahmen gemeinsam mit meinen Mitarbeitern eine Diktatur der planvollen Arbeit über das Nebeneinander von philosophischer Konstruktion und Empirie in der Gesellschaftslehre zu errichten.[2] Für einen Augenblick klang es so, als wollte der neue Leiter sich ein Beispiel an der von Lenin begonnenen und von Stalin fortgesetzten sowjetischen planwirtschaftlichen Entwicklungsdiktatur nehmen. Doch was Horkheimer dann ausführte, ließ eher an Wiener Kreis und Positivismus denken.

Er distanzierte sich sowohl von einem abstrakten und daher schlecht verstandenen Hegel – die Ideen seien das Primäre, das materielle Leben das Sekundäre – wie von einem abstrakt und daher schlecht verstandenen Marx – menschliche Psyche, Recht, Kunst, Philosophie seien das bloße Spiegelbild der Wirtschaft. Abgesehen davon, daß in solchen Thesen eine unkritische, veraltete und höchst problematische Scheidung von Geist und Wirklichkeit naiv absolut gesetzt […] wird, sind solche Aussagen, sofern sie in dieser Abstraktheit ernstgenommen werden, grundsätzlich jeder Kontrolle entzogen: alle haben es unterschiedslos leicht, immer recht zu behalten. […] Anders verhält es sich, wenn man die Frage in folgender Weise genauer stellt: welche Zusammenhänge lassen sich bei einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe, in einer bestimmten Zeitspanne, in bestimmten Ländern nachweisen zwischen der Rolle dieser Gruppe im Wirtschaftsprozeß, der Veränderung in der psychischen Struktur ihrer einzelnen Mitglieder und den auf sie als Gesamtheit im Ganzen der Gesellschaft wirkenden und von ihr hervorgebrachten Gedanken und Einrichtungen? Dann tritt die Möglichkeit der Einleitung wirklicher Forschungsarbeiten in den Blick, und diese sollen im Institut in Angriff genommen werden. Dabei, so Horkheimer in einer berühmt gewordenen Passage seiner Rede, komme es darauf an, aufgrund aktueller philosophischer Fragestellungen Untersuchungen zu organisieren, zu denen Philosophen, Soziologen, Nationalökonomen, Historiker, Psychologen in dauernder Arbeitsgemeinschaft sich vereinigen und das gemeinsam tun, […] was alle echten Forscher immer getan haben: nämlich ihre aufs Große zielenden philosophischen Fragen anhand der feinsten wissenschaftlichen Methoden zu verfolgen, die Fragen im Verlauf der Arbeit am Gegenstand umzuformen, zu präzisieren, neue Methoden zu ersinnen und doch das Allgemeine nicht aus den Augen zu verlieren.[3] Erst nach der Darlegung des wissenschaftlich-methodologischen Interesses folgte die Angabe einer Art Testobjekt, nämlich die besonders wichtige und kennzeichnende gesellschaftliche Gruppe der qualifizierten Arbeiter und der Angestellten.

Grünberg hatte sich zum Marxismus bekannt, am Institut jedoch keine aktuelle Gesellschaftsforschung betrieben. Horkheimer vermied jegliches öffentliche Bekenntnis zum Marxismus, nutzte nun aber den Apparat des Instituts für theoretische und empirische gegenwartsbezogene Forschungen über Mentalität und politisches Bewusstsein von Arbeitern und Angestellten. Dementsprechend trat an die Stelle von Grünbergs «Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung» seit 1932 die Zeitschrift für Sozialforschung. Für das Programm, das Horkheimer damals entwarf, bürgerte sich die Bezeichnung «interdisziplinärer Materialismus» ein. Das ist – richtig verstanden – eine treffende Prägung. Denn die Konnotationen «historischer Materialismus», «dialektischer Materialismus» und «Marxismus» sind nicht fehl am Platz. Aber der Zusatz «interdisziplinär» macht deutlich: Es geht nicht um Materialismus als Weltanschauung, sondern um eine für neuere wissenschaftliche Entwicklungen offene Untersuchung der realen Probleme der Gesellschaft. Im ersten Heft der Zeitschrift für Sozialforschung, dem neuen Organ des Instituts, hieß es 1932 in Horkheimers Eröffnungsaufsatz Bemerkungen über Wissenschaft und Krise:

Wenn aber der Idealismus nicht in [einer] fragwürdigen Metaphysik, sondern vielmehr in dem Bestreben gesehen wird, die geistigen Anlagen der Menschen wirklich zur Entfaltung zu bringen, dann entspricht die materialistische Theorie der Unselbständigkeit des Ideellen besser diesem Begriff der klassischen deutschen Philosophie als ein großer Teil der modernen Metaphysik; denn der Versuch, die gesellschaftlichen Ursachen der Verkümmerung und Vernichtung menschlichen Lebens zu erkennen und die Wirtschaft wirklich den Menschen unterzuordnen, ist jenem Streben angemessener als die dogmatische Behauptung einer vom Lauf der Geschichte unabhängigen Priorität des Geistigen.[4]

Nur sehr verhalten war in Horkheimers öffentlicher Antrittsrede eine Empörung über gesellschaftliches Unrecht spürbar. In zwischen 1926 und 1931 entstandenen Notizen und Aphorismen verlieh er ihr indes teilweise drastischen Ausdruck. Die Notizensammlung Dämmerung erschien 1934 im Züricher Verlag Oprecht und Helbling unter dem Pseudonym Heinrich Regius, als Horkheimer bereits nicht mehr in Europa war. Sie wirkt wie eine in Europa hinterlassene Erläuterung dessen, was Horkheimer, kaum begonnen, in Deutschland und Europa hatte abbrechen und aufgeben müssen. Sie wirft aber auch ein Licht auf den für Horkheimer charakteristischen Konflikt zwischen radikalem Denken und ängstlichem Verhalten.

Er wollte auf keinen Fall zu denen gehören, die durch eine skeptisch einschränkende Anerkennung der Marx’schen Theorie zur Einrichtung im Bestehenden beitrugen. Die Übersetzung des Marxismus in den akademischen Stil, so erklärte er in einer Notiz über Die Urbanität der Sprache, wirkte im Nachkriegsdeutschland als ein Schritt, den Willen der Arbeiter zum Kampf gegen den Kapitalismus zu brechen. Solchen als berufene Vertreter der Menschheit agierenden und Sprengminen entschärfenden Professoren wollte er nicht zugerechnet werden. Andererseits ist aber das Licht der Sprache unentbehrlich für den Kampf der Unterdrückten selbst. Sie haben Grund, die Geheimnisse dieser Gesellschaft an den Tag zu bringen und sie so verständlich, so banal wie möglich auszudrücken. Sie dürfen nicht ruhen, die Widersprüche dieser Ordnung in die öffentliche Sprache zu fassen.[5] Das aber verlange, so Horkheimer im Aphorismus Kategorien der Bestattung, Vorsicht gegenüber der heute beliebtesten Form, eine Theorie unschädlich zu machen, indem nämlich Fachleute Begriffe der revolutionären Theorie in ihre Darstellungen gleichsam selbstverständlich einweben und ihren ideologischen Bestrebungen dienstbar machen. So läßt man Voltaire, Rousseau, Lessing, Kant und ihre Nachfahren bis in die moderne Literatur und Wissenschaft hinein als große Köpfe, tiefe Denker und Feuergeister gelten, aber ihre Gesinnung, die Triebe und Motive, welche sie beseelten, der Sinn ihrer Lehren, ihre Unversöhnlichkeit mit dem herrschenden Unrecht werden zurückgewiesen und verlacht, für armselig, flach, einseitig erklärt, im Ernstfall verfolgt und ausgerottet, wo man sie antrifft.[6]

Horkheimers Notizen aus den späten Jahren der Weimarer Republik machten deutlich: Dass er mit dem Bekenntnis zum Marxismus und mit der Berufung auf Marx zurückhaltend war, geschah nicht nur aus Vorsicht, zu der er sich durchaus ebenfalls bekannte, sondern mindestens ebenso sehr, um plakative Etikettierungen und eine die Erfahrungs- und Ausdrucksfähigkeit einschränkende statt steigernde Funktion von Theorien zu vermeiden. Manche Menschen, heißt es in einem Aphorismus über Gefahren der Terminologie, beruhigten sich bei der Feststellung eines Übels durch den Besitz einer Theorie, die es erkläre. Ich denke dabei auch an manche Marxisten, welche angesichts des Elends rasch dazu übergehen, es zu deduzieren. Man kann auch mit dem Begreifen zu rasch sein.[7] Davor sah Horkheimer sich durch eine Komponente seines Denkens gefeit, die lebenslang die prominenteste Stelle in seinem geistigen Stammbaum einnahm. Das war die Philosophie Schopenhauers, dessen Bild damals bei ihm im Direktorenzimmer des Instituts hing.

Eine unwahrscheinliche Konstellation

Was mit Horkheimers Übernahme der Leitung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung begann, verdankte sich ganz unterschiedlichen Faktoren. Einen günstigen Nährboden bildete die Stadt Frankfurt am Main mit ihrer noch jungen Universität – der in Reaktion auf die Industrialisierung mit all ihren sozialen Problemen noch vor dem Ersten Weltkrieg entstandenen einzigen deutschen Stiftungsuniversität. Sie war «von Anfang an als experimentierfreudige, liberale, neue Wege beschreitende Anstalt gedacht, die neben den traditionellen Wissenschaften auch solche Gebiete in den Blick nehmen sollte, die an den bestehenden Universitäten weniger Aufmerksamkeit erfuhren, aber die moderne Welt zunehmend bestimmten und ängstigten. Auf die traditionsreichen Theologischen Fakultäten meinte man hingegen verzichten zu können.»[8] Unter den zahlreichen wohlhabenden Familien in Frankfurt waren viele jüdischer Herkunft. Sie erwiesen sich als großzügige Förderer der Universitätsidee. Auch wenn sie sich oft nicht mehr als Juden verstanden, gab es einerseits ein Gefühl der Dankbarkeit, in einer liberalen städtischen Umwelt Heimat und Bürgerrecht zu haben, andererseits das Bedürfnis, angesichts der Tatsache, dass nach wie vor bestimmte Berufe und Positionen Bewerbern jüdischer Abstammung verschlossen waren, durch eine eigene Universität «für größere Offenheit zu sorgen» und «begabten Gelehrten wie auch neuen Disziplinen einen Weg zu öffnen».[9]

Nach den schwierigen Nachkriegsjahren wurde Frankfurt neben Berlin zu einem Schauplatz kultureller Aufbruchsstimmung in der von sich verschärfenden ökonomischen Krisen und politischen Auseinandersetzungen bedrohten Weimarer Republik. Im Lauf der zwanziger Jahre kamen dabei in Frankfurt zusammen: das Institut für Sozialforschung, gestiftet von Hermann und Felix Weil; das Freundespaar Max Horkheimer und Friedrich Pollock; ferner eine Heidelberg-Frankfurter südwestdeutsche Psychoanalytikergruppe, zu der unter anderem Erich Fromm gehörte; und schließlich Theodor Wiesengrund-Adorno, Musikkritiker und Philosoph mit Verbindungen zum Wiener Schönberg-Kreis und zu Intellektuellen und Schriftstellern wie Siegfried Kracauer, Walter Benjamin und Ernst Bloch.

Felix Weils Vater Hermann Weil, der einer badischen jüdischen Kaufmannsfamilie entstammte, war in Argentinien durch den Weizenhandel zu großem Wohlstand gelangt. Er war aus Krankheitsgründen vor dem Ersten Weltkrieg nach Deutschland zurückgekehrt und hatte sich schließlich 1912 mit Frau und Kindern in Frankfurt am Main niedergelassen. Felix Weil war 1919 zum Studium bei dem Kathedersozialisten Robert Wilbrandt nach Tübingen gegangen, wurde wegen sozialistischer Aktivitäten aus Württemberg ausgewiesen und wurde dann mit einer Arbeit über den Begriff der Sozialisierung in Frankfurt am Main promoviert. Er war auf vielfältige Weise als linker Mäzen tätig, unterstützte u.a. den Maler George Grosz und den Malik-Verlag.

Die Geschichte des Instituts für Sozialforschung beginnt mit Kurt Albert Gerlach, einem von Aachen nach Frankfurt am Main berufenen Staatswissenschaftler. Eine im Auftrag des Vereins für Sozialpolitik durchgeführte Expertenbefragung zur Reform der staatswissenschaftlichen Studien hatte Gerlach zur Konzeption eines Forschungsinstituts veranlasst, dessen besondere Aufgabe es sein sollte, einen Überblick über das verwickelte Netz der gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftszusammenhänge zu erhalten. Er fand in Felix Weil einen Bundesgenossen. Der junge und reiche Nationalökonom hatte 1923 eine «Marxistische Arbeitswoche» in Thüringen finanziert, zu deren Teilnehmern Georg Lukács und Karl Korsch gehörten, Autoren der im gleichen Jahr erschienenen Bände «Geschichte und Klassenbewußtsein» und «Marxismus und Philosophie».

Gerlachs und Weils Projekt kam den Vorstellungen der in den 1920er Jahren fast durchgängig sozialdemokratisch bestimmten Bildungspolitik in Preußen entgegen. Die Großzügigkeit der Stiftung von Hermann und Felix Weil, zumal in einer Zeit finanzieller Restriktionen und wachsender Studentenzahlen, entwaffnete den Widerstand der universitären Fachprofessoren, der sich nicht nur gegen Sozialismus und Marxismus richtete, sondern auch gegen die Einführung neuer synthetisierender Lehrfächer wie der Soziologie. So entstand ein einzigartiges Institut. Es war der Universität angeschlossen, und der Leiter musste dort einen Lehrstuhl innehaben, doch gleichzeitig blieb es unabhängig und selbstbestimmt. Als der erste Leiter, Carl Grünberg, 1928 durch einen Schlaganfall arbeitsunfähig wurde, hatte er erfolgreich den Marxismus als eine wissenschaftliche Richtung etabliert, die einen Platz an der Universität verdiente wie andere dort vertretene wissenschaftliche Positionen auch.

Als Horkheimer Direktor des Instituts wurde, übernahm in Wirklichkeit ein verschworenes und seit langem zu Felix Weil in enger Beziehung stehendes Freundespaar die Leitung. Max Horkheimer und Friedrich Pollock verband eine fast lebenslange Freundschaft. Begonnen hatte sie bereits in der Stuttgarter Jugendzeit. Der fünfzehnjährige Max Horkheimer, vom strengen und konservativen jüdischen Vater zum Nachfolger in der Leitung seiner Fabriken bestimmt, war beeindruckt vom ein Jahr älteren Friedrich Pollock, der aus einer assimilierten Familie kam, die Teilnahme an einer jüdischen Tanzschule ablehnte und ihn mit der Welt der Literatur und mit Arthur Schopenhauer bekanntmachte. Gemeinsame Auslandsreisen und Bildungsjahre sorgten dafür, dass aus der schwärmerischen Beziehung zweier junger Männer eine enge Gemeinschaft mit konspirativen Zügen wurde, der es um das Glück eines der Erkenntnis gewidmeten gemeinsamen Lebens ging. Als sich Horkheimer gegen den langanhaltenden Widerstand der Eltern mit der Chefsekretärin seines Vaters verband und sie schließlich 1926 heiratete und Friedrich Pollock ihm dabei stets freundschaftlich zur Seite stand, war eine Dreier-Gemeinschaft zustande gekommen, die lebenslang währte. Horkheimer wurde in Frankfurt Philosoph, Pollock Ökonom.

Ende der zwanziger Jahre war Horkheimer ein Privatdozent, der noch durch keinerlei Publikation hervorgetreten war und der normalerweise keine Aussicht auf eine ordentliche Professur gehabt hätte. Dass er dennoch Direktor des Instituts wurde und zugleich das dafür nötige Ordinariat an der Frankfurter Universität erhielt, verdankte er vor allem der finanziellen Großzügigkeit Felix Weils und der Loyalität des als Generalbevollmächtigter Weils agierenden und seit den Gründungszeiten am Institut tätigen Friedrich Pollock. Felix Weil stiftete außer dem Wirtschafts-Lehrstuhl des erkrankten ersten Leiters für Horkheimer einen weiteren für Sozialphilosophie und ferner einen für den von der Universität als Nachfolger von Grünberg auf dem Lehrstuhl für wirtschaftliche Staatswissenschaften gewünschten Adolph Löwe. In den Notizen jener Jahre hatte Horkheimer in einem Aphorismus Zur Relativität des Charakters gemeint: Vor dem, der die Macht gewinnt, verwandelt sich die Mehrheit der Menschen in hilfsbereite, freundliche Geschöpfe. Vor der absoluten Ohnmacht, wie sie bei den Tieren ist, sind sie Viehhändler und Metzger.[10] Mit dem Institut, geleitet von den beiden Freunden, ergab sich die Möglichkeit, einer Welt, die nur respektierte, was Macht hatte, mit einer eine gewisse Macht verkörpernden Institution entgegenzutreten. Eine innere Reserve gegen die existierende Gesellschaft konnte so in gesellschaftskritische Theorie und Forschung verwandelt werden.

Zusammen mit dem nahe gelegenen Heidelberg bildete Frankfurt nach Wien und Berlin ein weiteres Zentrum der Psychoanalyse. Eine besondere Rolle spielte dabei Erich Fromm als personifizierte Verbindung von Soziologie und Psychoanalyse, und zwar Psychoanalyse als Theorie und Praxis. 1922 war er mit einer Arbeit zur Soziologie des Diasporajudentums bei Alfred Weber promoviert worden. Talmud-Studien und die Mitarbeit am Frankfurter Freien Jüdischen Lehrhaus machten den einer orthodoxen jüdischen Frankfurter Familie entstammenden Fromm auf intensive Weise mit dem Judentum vertraut. Angeregt durch das 1924 von Frieda Reichmann in Heidelberg eröffnete private psychoanalytische Sanatorium absolvierte er eine psychoanalytische Ausbildung in München, Heidelberg und Berlin. Ende der zwanziger Jahre war Fromm, inzwischen verheiratet mit Frieda Reichmann, praktizierender Psychoanalytiker in Berlin und gleichzeitig dort, in Heidelberg und in Frankfurt Dozent und Vortragender. Anfang 1929 wurde ein vom Heidelberger Kreis um Frieda Reichmann seit Jahren geplantes Unternehmen Wirklichkeit: In Frankfurt wurde ein Psychoanalytisches Institut eröffnet. Die Räume dafür stellte das Institut für Sozialforschung zur Verfügung. Auf diese erstmalige universitätsnahe Etablierung der Freud’schen Psychoanalyse folgte 1930 die erste öffentliche Ehrung Freuds durch die Verleihung des Goethe-Preises der Stadt Frankfurt.

Mit Fromm wurde 1930 ein Psychoanalytiker Leiter der Sozialpsychologischen Abteilung des Instituts, der wie Wilhelm Reich, Siegfried Bernfeld und Otto Fenichel zu der Handvoll linker Psychoanalytiker gehörte, die sozialen Fragen aufgeschlossen gegenüberstanden und Freud und Marx zu verbinden suchten. Darüber hinaus hatte er bereits ein empirisches Forschungsprojekt in Angriff genommen. Parallel zu einer historisch ausgerichteten psychoanalytischen Studie über die sozialpsychologische Funktion der Religion in der Abhandlung über Die Entwicklung des Christusdogmas interessierte ihn eine gegenwartsbezogene Untersuchung der sozialpsychologischen Funktion einer sozialistischen Weltanschauung bei Arbeitern und Angestellten. Dafür entwarf er einen Fragebogen mit 271 Positionen. Obwohl nur gut die Hälfte davon Einstellungsfragen waren, war das ein überdimensional angelegter Fragebogen, der entsprechend dem Pioniercharakter der Untersuchung eher die Funktion eines Tests hatte. Was ihn auszeichnete, war die gezielte Verwendung offener Fragen. Sie waren aufgrund theoretischer Überlegungen ausgearbeitet worden. Doch indem auf standardisierte Antwortvorgaben verzichtet wurde, wurden außer den theoretischen Vorüberlegungen auch die Problemdefinitionen der Befragten für die Resultate bedeutsam. Das entsprach den methodologischen Erwägungen des analytischen Sozialpsychologen Fromm, wonach die Antworten auf die gleiche Weise analysiert werden sollten, wie ein Psychoanalytiker mit den Assoziationen seines Patienten umging. Schon 1929 wurden die ersten der insgesamt 3300 Fragebogen an gewerkschaftlich organisierte und überwiegend der SPD oder der KPD verbundene Arbeiter und Angestellte verteilt.

Frankfurt war auch die Heimat einer anderen Doppelbegabung, nämlich die des 1903 dort geborenen Sohnes eines zum Protestantismus übergetretenen jüdischen Weinhändlers und einer Sängerin: Theodor Wiesengrund-Adorno. Er war die personifizierte Verbindung von Philosophie und Musik, und zwar Musik in Theorie und Praxis. Noch keine dreißig Jahre alt, hatte er Anfang der dreißiger Jahre bereits an die hundert musikkritische beziehungsweise musikphilosophische Artikel publiziert. Studiert hatte er wie Horkheimer und Pollock beim Frankfurter Philosophieprofessor Hans Cornelius. Zur Zeit seiner Vorbereitung auf das mündliche Doktorexamen, bei der die beiden ihm halfen, schrieb er über einen Besuch bei ihnen in ihrem Haus in Kronberg an den Studienkollegen Leo Löwenthal, das seien beides sehr ungewöhnliche Menschen, [die] mich aufs liebevollste aufnahmen. […] Beide sind übrigens Kommunisten und wir hatten langwierige und leidenschaftliche Gespräche über materialistische Geschichtsauffassung, in denen wir uns gegenseitig viel zugestanden.[11] Im selben Jahr, 1924, hatte er beim Musikfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins in Frankfurt die Uraufführung von drei Fragmenten aus Alban Bergs Oper «Wozzek» gehört, dem bedeutendsten Werk des musikalischen Expressionismus und einem der erfolgreichsten der Schönberg-Schule. Nach der Promotion war er 1925 als Schüler Bergs nach Wien gegangen. Er wollte Komponist und Konzertpianist werden und als Mitglied des Schönberg-Kreises dessen Musik durchsetzen helfen. Sie bot in seinen Augen beseelte Formen in einer heillosen Zeit, verkörperte für ihn den Ausbruch aus einer Welt, in der alle Wege versperrt schienen. Doch enttäuscht vom Schönberg-Kreis, der zu jener Zeit kaum noch existierte, und irritiert durch die ablehnende Haltung Arnold Schönbergs, der keinen Gefallen an dem seiner Ansicht nach schwerverständlich schreibenden und kompositorisch wenig produktiven Berg-Schüler fand, kehrte Adorno nach Frankfurt zurück – fortan unentschieden, ob er mehr auf eine freie musikalische oder eine universitäre philosophische Karriere setzen sollte.

Für eine frühe theoretische Bildung hatte der vierzehn Jahre ältere Freund und Mentor Siegfried Kracauer gesorgt, der in den zwanziger Jahren Feuilletonredakteur der damals renommiertesten deutschen Zeitung, der «Frankfurter Zeitung», war und bis zu seiner Emigration ein einflussreicher Kritiker und Essayist. Unter Kracauers Anleitung lernte Adorno Immanuel Kants «Kritik der reinen Vernunft» als eine Art chiffrierte Schrift zu sehen, aus der sich der geschichtliche Stand des Geistes ablesen ließ, und als ein Spannungsfeld, in dem Objektivismus und Subjektivismus, Ontologie und Idealismus miteinander im Streit lagen. 1923 machte er die Bekanntschaft des elf Jahre älteren Walter Benjamin, der nach dem gescheiterten Versuch, sich mit seinem Ursprung des deutschen Trauerspiels in Frankfurt zu habilitieren, freier Schriftsteller und bis zu seiner Flucht aus Deutschland einer der bedeutendsten deutschen Literaturkritiker war. Nicht Mentor oder Freund, wohl aber intellektueller Bekannter war für Adorno Ernst Bloch, dessen Geist der Utopie ihn beeindruckt hatte als eine Philosophie, die vor der avancierten Literatur nicht sich zu schämen hatte; nicht abgerichtet zur abscheulichen Resignation der Methode […] eine einzige Revolte gegen die Versagung, die im Denken, bis in seinen pur formalen Charakter hinein, sich verlängert[12]. Es verband sie, die sich alle untereinander kannten, aber in spannungsreichen Beziehungen zueinander standen, ein theologisch inspirierter Materialismus, eine Faszination vom Marxismus nicht als Weltanschauung des Proletariats, sondern als Modell für geschichtsphilosophische und zeitdiagnostische Entdeckungen und Erkenntnisse im Konkreten, im Alltag, in Oberflächenphänomenen der Kultur und in künstlerischen Entwicklungen. Sie erwiesen sich, wenn die Verhältnisse es verlangten, als Meister der kleinen Form, und wenn die Verhältnisse es zuließen, als einfallsreiche Publizisten in Massenmedien.

Die Antrittsvorlesung, die Adorno wenige Monate nach der von Horkheimer im Mai 1931 unter dem Titel Die Aktualität der Philosophie hielt, war, ohne dass der Name genannt wurde, in starkem Maße Benjamin und insbesondere dessen Erkenntniskritischer Vorrede zum