Die Frau aus Andros - Thornton Wilder - E-Book

Die Frau aus Andros E-Book

Thornton Wilder

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Beschreibung

Thornton Wilders Roman ›Die Frau aus Andros‹ erzählt von einer beeindruckenden Frau in der Spätzeit der griechischen Antike Eingebunden in Hinweise auf das »Land, das bald das Heilige genannt werden sollte«, spielt dieser Roman Thornton Wilders in der Spätzeit der griechischen Antike. Chrysis, die Nichtgriechin von der Kykladeninsel Andros, hat zur Zeit um Christi Geburt auf der ägäischen Insel Brynos zum Ärger der auf Handel eingeschworenen Bewohner den alten Brauch des Hetärenmahls mit Rezitation, Musik und Diskussion über philosophische Probleme wiederaufgenommen. Von den wohlhabenden Bürgern verachtet, versammeln sie und ihre Schwester Glykerion die sozial Schwachen, aber auch, sehr zum Leid ihrer Eltern, die jungen Männer. »Mit diesem Werk erreichte Wilder einen vorläufigen Höhepunkt seiner künstlerischen Entwicklung.« Hermann Stresau

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Seitenzahl: 111

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Thornton Wilder

Die Frau aus Andros

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Inhalt

Der erste Teil dieser [...]Seufzend drehte sich die [...]Die Anschauung vom Leben, [...]Brynos erwachte stets mit [...]Das war zu Beginn [...]Es währte nicht lange, [...]Simo erhob sich zeitig, [...]Eines Tags, mehrere Monate [...]Pamphilos war beinahe zu [...]Pamphilos setzte seinen Weg [...]Simo wurde kurz vor [...]

Der erste Teil dieser Erzählung

ist von der ANDRIA des Terenz angeregt,

die wieder auf zwei verlorengegangene

Komödien des Menander zurückgeht.

Seufzend drehte sich die Erde auf ihrer Bahn; der Schatten der Nacht schlich allmählich das Mittelmeer entlang, und Asien glitt ins Dunkel. Die große Klippe, die einmal Gibraltar hieße, behielt noch lange einen rötlichen Schein, indes drüben die Berge des Atlas tiefblaue Schründe in ihren Flanken zeigten. Die Grotten um den Golf von Neapel versanken in dichtere Schwärze und sandten ihr klingendes oder dumpfes Dröhnen aus der Finsternis. Von Griechenland war die Glorie und von Ägypten die Weisheit gewichen, aber mit dem Herannahen der Nacht schienen sie ihre verlorenen Ehren wiederzugewinnen, und das Land, das bald das Heilige genannt werden sollte, ließ in der Dunkelheit seine wundervolle Bürde reifen.

Das Meer war weiträumig genug, das mannigfaltigste Wetter zu fassen. Ein Gewitter umtobte Sizilien und seine rauchenden Berge, aber an der Mündung des Nils glichen die Wasser einem feuchten Estrich. Eine munter hintanzende Brise kräuselte das Ägäische Meer, und alle die Inseln Griechenlands fühlten Erfrischung, als der Tag zu Ende ging.

Auch der glücklichsten und unberühmtesten unter ihnen, Brynos, war die Brise willkommen. Der Abend währte lange. Eine Weile noch wurde das Geräusch der Wellen, die kräftig gegen die Mauer des kleinen Hafens schlugen, übertönt vom Schwatzen der Frauen, vom Geschrei der Knaben und vom Blöken der Lämmer. Als die ersten Lichter erschienen, zogen sich die Frauen zurück; als das Gepolter der Balken, mit denen die Händler und Krämer ihre Läden verschlossen, die Luft erfüllte, verstummte das Lärmen der Knaben; und endlich vermengte sich den Geräuschen, die vom Meer herkamen, nur noch das Gemurmel der Männer, die in den Weinschenken die elfenbeinernen Spielsteine hin und her schoben. Ein flimmerndes Sternenlicht, darein schon eine Ahnung des Mondes verwoben war, fiel über das ansteigende Gewirr kleiner Häuser und in die winkeligen Treppengäßchen, die sich zwischen ihnen hinwanden.

Die Weinschenken umgaben den roh gepflasterten Hafenplatz, und in der einen saßen fünf oder sechs der vornehmsten Stadtväter beim Spiel. Als der Mond aufging, hatten zwei von ihnen, Simo und Chremes, ihre Gefährten überdauert. Simo war Eigentümer zweier Warenspeicher; er war ein Kaufmann und besaß drei Schiffe, die beständig zwischen den Inseln auf Fahrt waren.

Die beiden Männer hatten ihr Spiel soeben beendet; die Steine lagen noch zwischen ihnen auf der Tischplatte, und sie seufzten in den Bart, als sie an den langen Heimweg unter den gespenstischen Ölbäumen dachten. Simo war müder als sonst; während die Regeln der Mäßigung uns lehren, daß der Geist nicht länger als drei Stunden täglich mit Waren und Zahlen beschäftigt sein kann, ohne sich zu besudeln, hatte Simo an diesem Tag fünf mit Feilschen und Handeln verbracht.

»Simo«, begann Chremes mit dem Gebaren eines Menschen, der sich endlich zu einem unangenehmen und lange aufgeschobenen Vorhaben aufrafft, »dein Sohn ist jetzt fünfundzwanzig …«

Simo stöhnte, als er die Frage auftauchen sah, der er nie ins Gesicht zu sehen vermochte.

»Es sind nun vier Jahre«, fuhr Chremes fort, »seit du mir zum erstenmal sagtest, ein junger Mann dürfe von seinen Eltern nicht in die Ehe hineingezwungen werden. Und sicherlich hat niemand Pamphilos zu zwingen versucht. Aber worauf wartet er? Er hilft dir im Warenlager; er übt in der Palästra; er ißt zu Nacht bei der Andrierin. Wie viele Jahre soll diese Lebensweise fortdauern, bevor du mir beistimmen wirst, daß er als Gatte meiner Tochter besser daran wäre?«

»Er muß aus eigenem Antrieb zu mir kommen, Chremes. Ich will nicht der erste sein, der davon spricht.«

»Der erste! Es wäre nicht das erste Mal, daß davon gesprochen würde, Simo. Es war seit Jahren zwischen unsern Familien ausgemacht, daß er Philumena heiraten soll. Es wird die ganze Zeit davon geredet. Die Burschen necken ihn von früh bis spät damit. Er weiß sehr gut, daß meine Tochter bereit ist, ihn zu heiraten. Es ist nichts als Trägheit von ihm. Er will nur nicht die Verantwortung übernehmen, ein Ehemann und Vater und der angesehenste Hauswirt der Insel zu sein.«

»Er ist ein junger Mann, der weiß, was er will. Ich mag ihn nicht zwingen.«

»Dann ist es gewiß, daß er meine Tochter nicht heiraten wird. Es ist eine Demütigung für sie, all die Jahre warten zu müssen, daß er sich entschließe, und ihre Mutter ist seit langem hinter mir her, die Sache ins reine zu bringen. Ich sollte es vielleicht nicht sagen, aber ihr werdet durch schiere Unentschlossenheit euch was Gutes verscherzen, ihr beiden. Philumena ist weitaus das gesündeste und hübscheste Mädchen, das man auf einer unsrer Inseln nur finden kann. Und sie ist geschickt zu allem, was man sich von einer Frau in der Häuslichkeit erwartet. Die Verbindung unsrer beiden Familien hat Vorteile, Simo, die ich dir nicht erst aufzuzählen brauche. Aber dieses lange Hinziehen hat mir klargemacht, daß dein Sohn vermutlich warten wird, bis sein Sinn von einer andern gefangen ist. Gut, gut! Heut abend noch soll meine Frau beginnen, sich nach einem andern Schwiegersohn umzusehn.«

»Chremes, Chremes, er ist erst fünfundzwanzig! Laß ihm noch ein wenig sein Vergnügen! Warum müssen sie so früh Ehemänner und Väter werden? Er ist ein guter Sohn, und er ist glücklich. Auch deine Tochter ist es. Laß sie beide noch eine Weile!«

»Enkel! – Enkel möchte ich sehen! Es soll kein so großer Abstand zwischen den Generationen sein. Das ist schlecht für Sitte und Brauch.«

»Durch Übereilung wirst du einen größern Fehler begehn als durch Verzug.«

»Nun«, fuhr Chremes fort, »es gibt noch einen Grund, warum ich die Sache bald geordnet wissen will. Und der ist: Wir sehen es nicht gern, daß Pamphilos dieses Weibsbild aus Andros besucht. Es fällt mir gewiß schwer, Simo, darin streng zu sein, denn mein eigener Sohn geht auch hin. Aber es ist nur natürlich, daß ein Vater an seinen Schwiegersohn höhere Ansprüche stellt als an seinen Sohn.«

Simo blickte noch unbehaglicher drein und verharrte in Schweigen. Chremes sprach weiter:

»Ich glaube, du siehst dieses Herlaufen hinter fremden Weibern ebenso ungern wie ich. Unsre Inseln waren stets berühmt für züchtige und gute Lebensart. Wenn uns der Hafer stach, als wir junge Burschen waren, wußten wir immer eine Hirtin, der wir einen dunkeln Bergpfad hinauf folgen konnten. Aber diese Andrierin hat das ganze Unwesen Alexandriens in unsre Stadt gebracht, Wohlgerüche und heiße Bäder und spätes Schlafengehn.«

Simo rieb sich das Kinn und erwiderte dann brummend: »Ach was, wenn’s nicht das eine ist, ist’s das andre. Ich weiß gar nichts über diese Frau aus Andros. Die Weiber scheinen von morgens bis abends von nichts sonst zu reden, aber man kann ihrem Geschwätz nicht glauben.«

Solcherweise aufgefordert, legte Chremes mit beträchtlichem Genuß los und blickte von Zeit zu Zeit prüfend in Simos Gesicht, um zu sehen, ob die Einzelheiten bei diesem ein gleiches Interesse erweckten, wie sie für ihn selbst besaßen. »Sie heißt Chrysis, und ich weiß nicht, was sie damit meint, sich eine Andrierin zu nennen. Die Insel Andros war nie berühmt ob solchen Wesens und Gehabens, wie sie es zur Schau trägt. Sie ist von Korinth und Alexandria hergeflattert; das kannst du mir glauben. Sie hätte in diesen Großstädten bleiben sollen, statt sich hier bei uns zu vergraben und unsern jungen Männern Poesie zu deklamieren. Ja, ja, sie spricht ihnen Dichtungen vor wie die ganz Berühmten. Sie hat ein Dutzend oder mehr von ihnen alle sieben oder acht Tage zu Gast beim Nachtessen – die Unverheirateten, versteht sich. Sie lungern auf Ruhebetten und essen sehr kuriose Speisen und führen Gespräche. Alsbald erhebt sie sich und deklamiert; sie kann ganze Tragödien aus dem Kopf vortragen. Sie ist offenbar sehr streng mit den jungen Männern. Sie sieht darauf, daß sie alle attischen Akzente beachten; sie essen nach athenischer Art, bringen Trinksprüche aus und tragen Blumenkränze, und jedesmal wird ein andrer zum Symposiarchen gewählt. Und am Schluß werden gewärmte Tücher herumgereicht, damit sie sich an ihnen die Hände abwischen können.«

Simo gewährte Chremes nicht das Vergnügen, ihn seine gespannte Aufmerksamkeit merken zu lassen; sein Blick blieb gesenkt, und sein Gesicht trug dieselbe gelangweilte Miene, die er allem Inselklatsch gegenüber zeigte. Chremes entschloß sich, weniger ausführlich zu sein, und setzte mit billiger Entrüstung hinzu: »Was mich anlangt, für mich ist Alexandria Alexandria und Brynos Brynos. Noch ein paar solche aus der Fremde eingeführte Ideen, und unsre Insel wird für immer verdorben sein. Sie wird zu einem Haufen armseliger, unverdauter Nachahmungen werden. Alle Mädchen werden lesen und schreiben und deklamieren wollen. Was soll aus der Häuslichkeit werden, wenn die Weiber lesen und schreiben können? Du und ich, wir heirateten die schönsten Mädchen unsrer Zeit, und wir sind glücklich gewesen. Wir können für wenigstens noch ein Menschenalter gesunden Verstands und guter Sitten auf dieser Insel Vorsorgen, ehe die Zeit kommt, wann die Frauen alle sich wie Tänzerinnen benehmen und die Männer alle ihnen zu Füßen liegen werden.«

Simo wußte die Antwort darauf, aber er unterdrückte sie. Chremes war mehr als irgendein andrer Mann auf der Insel von seiner Frau beherrscht. Tatsächlich versuchte seine Frau, aus dem Winkel, wo ihr Webstuhl stand, die ganze Insel zu regieren, wobei sie sich ihres vielgeplagten Gemahls als ausführenden und strafenden Organs bediente. Simo fragte bloß:

»Was geschieht nach dem Gelage?«

»Jeder Gast zahlt für sein Gedeck, und noch dazu recht kräftig, und von Zeit zu Zeit wird dem einen oder andern gnädig gestattet, bis zum Morgen zu bleiben. Das ist alles, was ich weiß.«

»Ist dein Sohn bei jedem dieser Nachtmähler?«

»Er hat dort Streit gehabt oder sonst etwas – oder vielleicht hat er zuviel getrunken, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall wurde er für einige Zeit ausgeschlossen. Glatt auf die Straße geworfen von den andern Gästen. Aber er hat sich wiederum mit ihr versöhnt.«

»Sprichst du mit ihm über diese – diese Chrysis?«

»Warum? Nein. Ich tue, als wüßte ich von nichts.«

»Ist mein Sohn immer dort?«

»Fast immer, so heißt es.«

Langes Schweigen folgte. Der Bursche, der in der Schenke bediente, trat ins Mondlicht hinaus und begann die Läden vorzulegen. Alsbald kam er wieder herein und flüsterte Simo zu, daß eine Alte draußen warte, um ihn zu sprechen, und daß sie schon eine Weile dort gewartet habe. Dies war etwas Ungewöhnliches auf Brynos, aber Simo setzte seinen Stolz darein, niemals Überraschung zu verraten. Er nickte leicht und starrte weiter vor sich hin.

»Sind noch andre Frauen im Haus der Andrierin?« fragte er.

»Ich weiß es nicht. Manche sagen ja, und manche sagen nein. Aber ihr Haus ist dennoch voll von Leuten. Es ist in der Tat eine Art Asyl für Sieche und Lahme und allerlei alte, vom Leben zerbrochene Gnadenbrotesser. Das Haus steht ein Stück weit droben am Rande der Stadt …«

»Ich weiß, wo es ist.«

»… und diese Leute, wer sie auch sein mögen, kommen nie in die Stadt. Bei Tag gehn sie nicht einmal auf die Straße. Oh, du kannst sicher sein, unsre lieben Mitbürger reden von nichts anderm!« Chremes erhob sich und warf seinen Mantel um. Er merkte, daß Simo so weit wie je davon entfernt war, sich zu einer bindenden Zusage zu verstehn. »Ja«, sagte er, »so liegen nun die Dinge. Ich hoffe, daß du mir in zehn Tagen eine bestimmtere Antwort geben können wirst. Meine Frau setzt mir nicht wenig zu, Simo, und sie will, ich soll dir bloß dies eine sagen, daß mit keinem Gedanken an eine Heirat zwischen Pamphilos und Philumena zu denken ist, wenn er seine Besuche dort nicht unterläßt; und daß diese Hochzeit hübsch bald festzusetzen wäre – oder du wirst beginnen müssen, irgendein andres Mädchen zu suchen, das auch nur halb so gut ist.«

Zum erstenmal raffte Simo sich auf und sagte bedächtig: »Auch du und deine Frau, Chremes, würden etwas Gutes beiseite werfen. Eben weil Pamphilos jeden andern unsrer Burschen hier beträchtlich überragt, kann ich nicht zu ihm sprechen, wie man sonst zu einem Sohn spricht. Du kennst nicht alle seine Seiten.«

»Ja, Simo, wir wissen, daß er ein prächtiger junger Mann ist. Aber wir wissen auch, wenn du mir verzeihen willst, daß Pamphilos einen … einen Hang zur Unentschlossenheit hat, zum Aufschieben … Um sein Bestes zu leisten und seinen Platz in der Welt auszufüllen, muß er angetrieben werden von jemand wie dir selbst, jemand, den er bewundert. Und er kümmert sich nicht so sehr, wie er sollte, um diese unsre Insel und ihre Geltung. Kennst du den jungen Priester des Asklepios und Apollon? Nun, Pamphilos hat etwas von einem Priester in sich. Solche Menschen besitzen nicht den Eifer, es vorwärtszubringen. Sie haben noch nicht erkannt, worum es im Leben geht.«