Die Iden des März - Thornton Wilder - E-Book

Die Iden des März E-Book

Thornton Wilder

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Beschreibung

Die Iden des März‹ - Thornton Wilders erzählerisches Hauptwerk über die letzten Tage der Römischen Republik unter Julius Caesar In diesem großen Roman um Leben und Sterben von Julius Caesar zeichnet sich sinnlich prägnante Antike ohne den Staub des Musealen ab - als eine Welt aus Schönheit und Macht, Größe und Verrat. Nicht gefunden, sonder erfunden wurden die Dokumente dieses sozusagen historischen Romans, der, nach Wort und Willen des Autors, »eine Phantasie über gewisse Ereignisse und Personen aus den letzten Tagen der Römischen Republik« ist. Wilders fiktive Fundstücke - Staats- und Liebesbriefe, Spitzelberichte, Tagebuchseiten, Protokolle und Pamphlete - reflektieren das gesellschaftliche Leben im antiken Rom in seiner Mischung aus Klatsch, Klugheit, Witz und Weisheit, Glaube und Aberglaube. Im Brennpunkt des Romans steht Caesar, der Diktator, in Wilders Darstellung ein vornehm-menschlicher, unter der Einsamkeit seines Amtes leidender Herrscher. »Die Leichtigkeit Thornton Wilders ist die Leichtigkeit der Vollendung.« Alfred Andersch

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Thornton Wilder

Die Iden des März

Roman

Aus dem Amerikanischen von Herberth E. Herlitschka

FISCHER E-Books

Inhalt

Dieses Werk ist zwei [...]»Das Schaudern ist der [...]HISTORISCHE REKONSTRUKTION ist nicht [...]Erstes BuchI Der Vorsteher des Augurncollegiums an Gaius Julius Caesar, Obersten Priester und Dictator des römischen Volks.I-A Weisungen Caesars an seinen Sekretär für Kultusangelegenheiten. Vertraulich.I-B Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.II Die Herrin Clodia Pulcher, aus ihrer Villa in Baiae an der Bucht von Neapel, dem Wirtschafter ihres Hauswesens in Rom.II-A Cicero, aus Rom, an Atticus in Griechenland.II-B Sgraffitti auf Mauern und Gehsteigen Roms.III Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.IV Die Herrin Julia Marcia, Witwe des großen Marius, von ihrem Landgut in den Albanerbergen, an ihren Neffen Gaius Julius Caesar in Rom.IV-A Caesars Antwort an Julia Marcia; mit wendendem Boten.V Die Herrin Sempronia Metella, aus Rom, an die Herrin Julia Marcia auf ihrem Landgut in den Albanerbergen.VI Clodia, aus Capua, an ihren Bruder Publius Clodius Pulcher in Rom.VI-A Clodius an Clodia.VII Clodia, aus Capua, an Caesars Frau in Rom.VII-A Caesars Frau an Clodia; mit wendendem Boten.VIII Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus.IX Cassia, die Frau des Quintus Lentulus Spinther, aus ihrer Villa bei Capua, an die ehrwürdige Jungfrau Domitilla Appia, Clodias Cousine, eine der Vestalinnen.X Clodia, unterwegs nach Rom, an Caesar.X-A Caesar an Clodia.XI Caesar an Pompeia.XII Aus dem Merkbuch des Cornelius Nepos.XIII Catull an Clodia.XIII-A Clodia an Catull.XIII-B Catull.XIV Asinius Pollio, aus Neapel, an Caesar in Rom.XIV-A Cornelius Nepos: Merkbuch.XV Catullus an Clodia.XVI Pompeia an Clodia.XVI-A [Beilage] Caesar an Clodia.XVII Cicero, aus seiner Villa in Tusculum, an Atticus in Griechenland.XVIII Bericht der Geheimpolizei des Dictators über Gaius Valerius Catullus.XVIII-A Die Mutter Catulls an ihren Sohn.XVIII-B Clodia an Catull.XVIII-C Allius an Catull.XIX Anonymer Brief [von der Hand Clodius Pulchers, aber als Frauenschrift verstellt] an Caesars Gemahlin.XX Abra, Kammerfrau bei Caesars Gemahlin, an Clodia.XX-A Pompeia an Clodia.XX-B Der Polizeipräsident an den Leiter der Geheimpolizei.XXI Asinius Pollio an Vergil und Horaz.Zweites BuchXXII Anonymer Brief [geschrieben von Servilia, der Mutter des Marcus Junius Brutus] an Caesars Frau.XXIII Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.XXIV Cleopatra, aus Alexandria, an ihren Gesandten in Rom.XXV Pompeia, aus Rom, an Clodia in Baiae.XXV-A Clodia, aus Capua, an Pompeia.XXVI Clodia, aus Baiae, an Catull in Rom.XXVI-A Catull.XXVI-B Cornelius Nepos: Merkbuch.XXVII Caesar, aus Rom, an Cleopatra in Carthago.XXVII-A Erste Antwort auf obigen Brief. Cleopatra an Caesar.XXVII-B Zweite Antwort. Cleopatra an Caesar.XXVIII Catull an Clodia in Rom.XXVIII-A Catullus an Clodia.XXVIII-B Catullus.XXIX Caesar an Cornelius Nepos.XXIX-A Cornelius Nepos an Caesar.XXX Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.XXXI Cicero, aus Rom, an Atticus in Griechenland.XXXII Abra, die Kammerfrau Pompeias, an Clodia.XXXIII Cornelius Nepos: Merkbuch.XXXIII-A Cicero, aus Rom, an seinen Bruder.XXXIV Cleopatra an Caesar: Brief und Fragebogen.XXXIV-A Cytheris, die Schauspielerin, aus Baiae, an Cicero in seiner Villa bei Tusculum.XXXV Caesar an Clodia.XXXV-A Clodia an Caesar.XXXVI Caesar an Cleopatra: Auswahl aus den täglichen Briefen.XXXVII Catull an Clodia.XXXVII-A Clodia an Catull.XXXVIII Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.XXXIX Drei Briefchen von Clodia Pulcher an Marcus Antonius.XL Die Herrin Julia Marcia, aus Rom, an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.XLI Cytheris, die Schauspielerin, an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.XLI-A Cleopatra an Caesar.XLI-B Caesar an Cleopatra.Drittes BuchXLII Caesar, Oberster Priester, an die Vorsteherin der Vestalinnen.XLII-A Caesar an die Herrin Julia Marcia auf ihrem Landgut in den Albanerbergen.XLII-B Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.XLIII Cleopatra, aus Ägypten, an Caesar.XLIII-A Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.XLIV Die Herrin Julia Marcia, aus Caesars Haus in Rom, an Clodia.XLIV-A Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.XLIV-B Aus ›Der Tugendpreis‹, einem Mimus des Pactinus.XLV Abra, Pompeias Kammerfrau, an den Oberkellner in der Taverne des Cossutius (einen Agenten des geheimen Nachrichtendienstes Cleopatras).XLVI Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.XLVI-A Cornelius Nepos: Merkbuch.XLVI-B Aus einem Bericht der Geheimpolizei Caesars.XLVI-C Aus hinterlassenen Aufzeichnungen Plinius’ des Jüngeren.XLVII Kundmachung der Königin von Ägypten.XLVIII Caesar an Cleopatra.XLVIII-A Cleopatra an Caesar.XLIX Alina, die Gemahlin des Cornelius Nepos, an ihre Schwester Postumia, die Gemahlin des Publius Cecinnius, in Verona.XLIX-A Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.L Caesar an Cytheris.LI Die Königin von Ägypten: Memorandum für ihren Staatssekretär.LII Pompeia an Clodia.LIII Cytheris an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.LIV Clodia, aus Nettuno, an ihren Bruder in Rom.LV Cleopatra an Caesar.LV-A Caesar an Cleopatra.LVI Alina, die Gemahlin des Cornelius Nepos, an ihre Schwester Postumia, die Gemahlin des Publius Cecinnius in Verona.Viertes BuchLVII Servilia, aus Rom, an ihren Sohn Marcus Junius Brutus.LVII-A Brutus an Servilia.LVII-B Cornelius Nepos: Merkbuch.LVIII Caesar, aus Rom, an Brutus in Gallien.LVIII-A Brutus an Caesar.LIX Caesar an Porcia, die Frau des Marcus Junius Brutus, in Rom.LIX-A Porcia an Caesar.LIX-B Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.LX Die Flugblätter der Verschwörung.LX-A Asinius Pollio an Caesar.LX-B Zweites Flugblatt.LX-C Cornelius Nepos: Merkbuch.LXI Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus.LXII Aufzeichnungen Catulls, gefunden von Caesars Geheimpolizei.LXII-A Caesar an Catull.LXII-B Catull an Caesar.LXII-C Drittes Flugblatt der Verschwörung, geschrieben von Caesar.LXIII Gaius Cassius, aus Palestrina, an seine Schwiegermutter Servilia in Rom.LXIV Porcia, die Gemahlin des Marcus Junius Brutus, an ihre Tante und Schwiegermutter Servilia.LXIV-A Inschrift.LXV Die Herrin Julia Marcia, aus dem Haus des Dictators in Rom, an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.LXVI Cleopatra an die Herrin Julia Marcia auf ihrem Landgut in den Albanerbergen.LXVI-A Die Herrin Julia Marcia an Cleopatra.LXVII Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.LXVIII Inschriften an öffentlichen Orten.LXVIII-A Cornelius Nepos: Merkbuch.LXIX Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.LXX Caesar an Brutus: Memorandum.LXX-A Brutus an Caesar.LXX-B Brutus an Caesar.LXXI Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.LXXII Calpurnia an ihre Schwester Lucia.

Dieses Werk ist zwei Freunden gewidmet: LAURO DE BOSISdem römischen Dichter, der sein Leben verlor beim Versuch, einen Widerstand gegen die absolute Macht Mussolinis zu sammeln: von den Flugzeugen des Duce verfolgt, stürzte das seine ins Tyrrhenische Meer; und EDWARD SHELDONder, unbeweglich und blind, gleichwohl mehr als zwanzig Jahre lang vielen Menschen Weisheit, Lebensmut und Heiterkeit spendete.

»Das Schaudern ist der Menschheit bestes Teil;

Wie auch die Welt ihm das Gefühl verteure, …«

Goethe: Faust, II.

 

 

 

Glosse: In Furcht und Schaudern zu erkennen, daß es ein Unerkennbares gibt, daraus entspringt alles Beste für den Menschen bei den Erkundungsflügen seines Geistes -wenngleich diese Erkenntnis ihn oft zu Aberglauben, sklavischer Abhängigkeit und übermäßiger Zuversicht verleitet.

HISTORISCHE REKONSTRUKTION ist nicht eine der Hauptabsichten dieses Werks. Man könnte es vielleicht eine Fantasie über gewisse Ereignisse und Personen aus den letzten Tagen der Römischen Republik nennen.

Die größte Freiheit, die sich der Verfasser nahm, besteht in der Verlegung eines Ereignisses des Jahres 62 v.Chr. – der Entweihung der Mysterien der Bona Dea durch Clodia Pulcher und ihren Bruder – auf die Feier dieser Riten siebzehn Jahre später, am 11. Dezember 45.

Im Jahre 45 wären manche der vorkommenden Personen nicht mehr am Leben gewesen: Clodius, den gedungene Mörder auf einer Landstraße getötet hatten; Catull, wenngleich wir nur das Wort des hl. Hieronymus dafür haben, daß er schon im Alter von dreißig Jahren starb; der Jüngere Cato, der sich einige Monate früher in ebendiesem Jahr, nach vergeblichem Widerstand gegen Caesars absolute Macht, in Afrika selber den Tod gab; und Caesars Tante, die Witwe des großen Marius, die sogar schon vor 62 gestorben war. Und lange vor dem Jahre 45 hatte sich Caesar von seiner zweiten Frau, Pompeia, scheiden lassen und seine dritte, Calpurnia, geheiratet.

Einiges in diesem Werk, was am meisten den Anschein erwecken könnte, vom Verfasser erfunden zu sein, ist dagegen geschichtliche Tatsache: Cleopatra traf im Jahre 46 in Rom ein und wurde von Caesar in seiner Villa jenseits des Tibers untergebracht; sie blieb da bis zu seiner Ermordung, nach der sie fluchtartig in ihr Land zurückkehrte. Ob Marcus Junius Brutus der Sohn Caesars war, wird fast von jedem Geschichtsforscher, der sich mit Caesars Privatleben befaßte, erwogen und allgemein verneint. Daß Caesar eine Perle von unvergleichlichem Wert Servilia zum Geschenk machte, ist geschichtlich. Den Gedanken der verschwörerischen Schneeballenbriefe legten Ereignisse unserer Tage nahe. Solche Briefe wurden in Italien von Lauro de Bosis gegen die faschistische Herrschaft in Umlauf gesetzt, wie es heißt, auf den Rat Bernard Shaws.

Die Aufmerksamkeit des Lesers sei auf die Form gelenkt, in welcher der Stoff dargeboten ist:

Innerhalb eines jeden der vier Bücher sind die Dokumente in annähernd zeitlicher Folge wiedergegeben. Im ersten umfassen sie den September 45 v.Chr. Das zweite, das Material zu Caesars Untersuchung über das Wesen der Liebe enthält, beginnt früher und durchläuft den ganzen September und Oktober. Das dritte, vornehmlich von Religion handelnd, beginnt noch früher, durchläuft den ganzen Herbst und schließt mit den Zeremonien zu Ehren der Guten Göttin im Dezember. Und das vierte, das alle Untersuchungen Caesars zusammenfaßt, besonders über die Rolle, welche er selbst vielleicht als ein Werkzeug des »Schicksals« spielte, beginnt mit dem frühesten Dokument des ganzen Bandes und schließt mit Caesars Ermordung.

Alle Dokumente sind frei erfunden, mit Ausnahme der Gedichte Catulls und der letzten, aus Suetons »Leben der Caesaren« entnommenen Eintragung.

Quellenmaterial über Cicero ist im Überfluß vorhanden; über Cleopatra spärlich; über Caesar reichlich, aber es ist oft rätselhaft und von politischem Vorurteil verzerrt. Das Folgende ist eine durch die Ungleichheiten dieser Überlieferungen angeregte mutmaßliche Darstellung.

 

THORNTON WILDER

Erstes Buch

IDer Vorsteher des Augurncollegiums an Gaius Julius Caesar, Obersten Priester und Dictator des römischen Volks.

[1. September 45 v.Chr.]

 

(Abschriften an den Priester des Capitolinischen Jupiter etc.; an die Vorsteherin des Collegiums der Vestalinnen etc., etc.)

Dem ehrwürdigsten Pontifex maximus:

Sechster Bericht unter diesem Datum.

Ablesungen aus dem Mittagsopfer:

Eine Gans: Flecke auf Herz und Leber. Bruch des Zwerchfells.

Zweite Gans und ein Hahn: Nichts Bemerkenswertes.

Eine Taube: Unheilbedeutender Zustand; Niere verlagert, Leber vergrößert und gelb verfärbt; Rosenquarz im Kropf. Weitere, eingehende Untersuchung wurde angeordnet.

Zweite Taube: Nichts Bemerkenswertes.

Beobachtete Flüge: Ein Adler von drei Meilen nördlich des Bergs Soracte bis zur Grenze des Gesichtsfelds über Tivoli. Der Vogel zeigte bei seiner Annäherung an die Stadt einige Unsicherheit in der Wahl der Richtung.

Donner: Keiner gehört seit dem zuletzt gemeldeten vor zwölf Tagen.

Dem ehrwürdigsten Pontifex maximus Gesundheit und langes Leben.

I-AWeisungen Caesars an seinen Sekretär für Kultusangelegenheiten. Vertraulich.

1. Verständige den Vorsteher des Collegiums, daß es unnötig ist, mir täglich fünfzehn dieser Berichte zu senden. Ein einziger, summarischer Bericht über die Beobachtungen des Vortags genügt.

2. Wähle aus den Berichten der letzten vier Tage drei bezeichnend günstige und drei ungünstige Auspizien. Ich werde sie vielleicht heute im Senat brauchen.

3. Verfasse und versende eine Kundmachung folgenden Inhalts:

Mit der Einführung des neuen Kalenders wird die Gedenkfeier der Stadtgründung am siebzehnten Tag eines jeden Monats nunmehr zu einem Staatsakt von höchster Bedeutung erhoben.

Der Pontifex maximus wird, wenn er in der Stadt weilt, jedesmal anwesend sein.

Das ganze Ritual ist mit den folgenden Zusätzen und Abänderungen einzuhalten:

Zweihundert Soldaten haben zur Stelle zu sein und die Anrufung des Mars zu sprechen, wie auf Militärstationen üblich.

Die Anbetung der Rhea wird durch die Vestalinnen erfolgen. Die Vorsteherin des Collegiums ist persönlich verantwortlich für tadellose Durchführung, für vollzählige Anwesenheit und würdiges Benehmen der Teilnehmerinnen. Die Übelstände, die sich in das Ritual eingeschlichen haben, sind sogleich abzustellen; diese Zelebrantinnen werden bis zur Schlußprozession unsichtbar bleiben, und von der mixolydischen Tonart ist kein Gebrauch zu machen.

Das Testament des Romulus ist gegen die der Aristokratie vorbehaltenen Sitze gerichtet zu verlesen.

Die Priester, welche in den Responsorien mit dem Pontifex maximus abwechseln, müssen ihren Text fehlerlos innehaben. Priester, die sich dabei auch nur die geringste Nachlässigkeit zuschulden kommen lassen, erhalten dreißig Tage Ausbildung und sind zum Dienst in den dortigen Tempeln nach Afrika und Britannien zu senden.

I-BCaesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.

[Eine Beschreibung dieses Tagebuchbriefs findet sich am Anfang des Dokuments III.]

968. [Über religiöse Bräuche.]

Dem Paket dieser Woche schließe ich ein halbes Dutzend der unzähligen Berichte bei, die ich als Pontifex maximus von den Augurn, Wahrsagern, Himmelsbeobachtern und Hühnerwärtern erhalte.

Ich lege auch die Weisungen bei, die ich für die allmonatliche Gedenkfeier der Stadtgründung gegeben habe. Was ist zu tun?

Ich habe diese Last von Aberglauben und Unsinn geerbt. Ich regiere unzählige Menschen, muß aber anerkennen, daß ich von Vögeln und Donnerschlägen regiert werde.

Das alles hemmt und hindert häufig die Staatsführung; es schließt tagelang und sogar wochenlang die Tore des Senats und der Gerichtshöfe; es hält mehrere tausend Personen beschäftigt. Jedermann, der etwas damit zu tun hat, einschließlich des Pontifex maximus, manipuliert damit zu seinem eignen Vorteil.

Eines Nachmittags im Rheintal verboten mir die Augurn unsres Hauptquartiers, mich mit dem Feind in eine Schlacht einzulassen. Anscheinend waren unsre heiligen Hühner beim Fressen sehr wählerisch gewesen. Gevatterinnen Kratzefuß traten beim Gehn mit den Füßen übereinander. Sie spähten häufig zum Himmel auf und über die Schulter zurück, und das mit gutem Grund. Auch ich war beim Betreten des Tals durch die Wahrnehmung entmutigt worden, daß es ein Aufenthalt von Adlern war. Mit uns Feldherren ist es so weit gekommen, daß wir den Himmel mit den Augen einer Henne betrachten müssen. Ich gab für einen Tag nach, obgleich darin, daß ich den Feind hätte überraschen können, einer meiner wenigen Vorteile lag und ich befürchten mußte, am Morgen auf gleiche Weise gehindert zu werden. An diesem Abend jedoch machte ich mit Asinius Pollio einen Gang durch den Wald; wir sammelten zwei Dutzend Larven und Raupen; wir zerschnitten sie mit unsern Dolchmessern in kleine Stücke und streuten sie in das geheiligte Fütterungsgehege. Am nächsten Morgen wartete das ganze Heer in großer Spannung darauf, den Willen der Götter zu erfahren. Die Schicksalsvögel wurden zum Fressen hinausgelassen. Sie überblickten zunächst den Himmel und stießen dieses Alarmgegacker aus, das genügt, zehntausend Mann zum Halten zu bringen; dann wandten sie den Blick ihrem Frühstück zu. Beim Hercules, die Augen sprangen ihnen fast aus dem Kopf! Sie ließen Schreie verzückter Gefräßigkeit ertönen; sie stürzten sich wie wild auf ihre Mahlzeit; und so war mir denn erlaubt, die Schlacht von [Köln] zu gewinnen.

Vor allem aber wird durch diese Observanzen der wahre Lebensgeist im Gemüt des Menschen angegriffen und untergraben. Sie gewähren unsern guten Römern, vom Kehrichtfeger bis zum Consul, ein unbestimmtes Gefühl der Zuversicht, wo es keine Zuversicht gibt, und flößen ihnen gleichzeitig eine Ängstlichkeit ein, die weder zum Handeln anspornt noch den Geist erfinderisch macht, sondern nur lähmt. Sie nehmen von den Schultern der Menschen die unerläßliche Verpflichtung, in jedem Augenblick ihr eignes Rom zu schaffen. Sie sind uns, durch den Brauch unsrer Vorfahren geheiligt, überkommen und atmen die Geborgenheit unsrer Kindheit; sie schmeicheln der Untätigkeit und trösten die Unzulänglichkeit.

Mit den andern Feinden der Ordnung läßt sich fertig werden: mit den planlosen Umtrieben und der Gewalttätigkeit eines Clodius; der grollenden Unzufriedenheit eines Cicero und eines Brutus, von Mißgunst geboren und vom feingesponnenen Klügeln altgriechischer Texte genährt; mit den Verbrechen und der Habgier meiner Proconsuln und Beauftragten. Aber was vermag ich gegen Teilnahmslosigkeit, die froh ist, sich in den Mantel der Frömmigkeit hüllen zu können; die mir erzählt, Rom werde durch über allem wachende Götter aus jeder Gefahr errettet werden, oder sich damit bescheidet, daß Rom untergehn werde, weil die Götter böswillig seien?

Ich neige nicht zu düsterem Hinbrüten, aber ich ertappe mich oft beim Nachsinnen über diese Dinge.

Was ist zu tun?

Manchmal, mitten in der Nacht, versuche ich mir vorzustellen, was geschähe, wenn ich das alles abschaffte; wenn ich, der Dictator und Pontifex maximus, jede Beachtung von Glücks- und Unglückstagen abschaffte, alles Beschauen von Eingeweiden, Beobachten von Vogelflügen und von Donner und Blitz; wenn ich alle Tempel schlösse bis auf den des Capitolinischen Jupiter.

Und was ist’s mit Jupiter?

Davon sollst Du mehr hören.

Bereite Dich in Gedanken, mich zu leiten.

Am nächsten Abend.

[Der Brief ist auf griechisch fortgesetzt.]

Wieder ist es Mitternacht, mein lieber Freund. Ich sitze an meinem Fenster und wünsche mir, man sähe daraus auf die schlafende Stadt hinab und nicht auf die transtiberischen Gärten der Reichen. Die Motten tanzen um meine Lampe. Der Fluß spiegelt kaum ein verstreutes Licht der Sterne. Drüben auf dem andern Ufer streiten ein paar trunkene Bürger in einer Taverne, und mitunter trägt die Luft meinen Namen herüber. Ich bin von der Seite meiner schlafenden Frau aufgestanden und habe versucht, meine Gedanken durch Lesen im Lucretius zur Ruhe zu bringen.

Mit jedem Tag fühle ich einen größeren Druck auf mir, der von der Stellung kommt, die ich innehabe. Ich werde mir mehr und mehr bewußt, wieviel sie mir zu vollbringen ermöglicht, wieviel zu vollbringen sie mich aufruft.

Aber was sagt sie mir? Was fordert sie von mir?

Ich habe der Welt den Frieden gebracht; ich habe die Wohltaten des römischen Rechts auf unzählige Menschen ausgedehnt; gegen großen Widerstand erstrecke ich auf sie auch die Bürgerrechte. Ich habe den Kalender reformiert; unsre Tage sind durch eine brauchbare Anpassung an die Umläufe von Sonne und Mond geregelt. Ich sorge dafür, daß die Welt gleichmäßig ernährt werde; meine Gesetze und meine Schiffe werden Ausfall und Überschuß von Ernten dem allgemeinen Bedarf gemäß ausgleichen. Nächstens wird die Folter aus dem Strafgesetzbuch verschwinden.

Aber das alles ist nicht genug. Diese Maßnahmen waren bloß das Werk eines Feldherrn und Landesverwalters. Mit ihnen bin ich für die Welt, was jeder Vorsteher für sein Dorf ist. Andres bleibt zu tun, aber was? Ich habe ein Gefühl, als wäre ich nun, nun erst bereit zu beginnen. Das Lied, das auf aller Lippen ist, nennt mich ›Vater‹.

Zum erstenmal in meinem öffentlichen Leben bin ich unsicher. Meine Handlungen stimmten bisher mit einem Grundsatz überein, den ich einen Aberglauben nennen könnte: nichts versuchsweise zu tun. Ich beginne eine Handlung nicht, um durch ihre Ergebnisse belehrt zu werden. Weder in der Kriegführung noch in der Politik tue ich etwas ohne äußerst genau bestimmte Absichten. Taucht ein Hindernis auf, entwerfe ich sogleich einen neuen Plan, dessen jede mögliche Folge mir klar ist. Von dem Augenblick an, da ich sah, daß Pompeius einen kleinen Teil jedes Vorhabens dem Zufall überließ, wußte ich, daß ich Herr der Welt sein würde.

Die Unternehmen jedoch, die mir nun vorschweben, schließen Elemente ein, deren gewiß zu sein, ich nicht gewiß bin. Um sie in die Tat umzusetzen, muß ich mir klar sein, welches im Leben des Durchschnittsmenschen seine Ziele sind und wessen die menschliche Natur fähig ist.

Der Mensch – was ist das? Was wissen wir von ihm? Seine Götter, seine Freiheit, sein Geist, sein Lieben, sein Schicksal, sein Tod – was bedeuten sie? Du erinnerst Dich wohl, wie wir, noch halbe Knaben, in Athen und dann später, vor unserm Zelt in Gallien, diese Dinge im Gespräch endlos hin und her wendeten. Ich bin wieder ein Jüngling, der philosophiert. Wie Plato, dieser gefährliche Berücker, sagt: Die besten Philosophen der Welt sind Knaben, denen der erste Flaum am Kinn wächst. Ich bin wieder ein Knabe.

Aber sieh nun, was ich mittlerweile in dieser Sache der Staatsreligion getan habe! Ich habe sie gepölzt durch Wiedereinführung der allmonatlichen Gedenkfeier der Stadtgründung.

Ich tat das vielleicht, um in mir selbst zu erforschen, was ich an letzten Spuren von Gläubigkeit da zu entdecken vermag. Auch schmeichelt es mir, zu wissen, daß ich in religiösen Dingen von allen Römern am kundigsten bin, wie meine Mutter das vor mir war. Ich gestehe, daß mich, während ich die ungefügen Gebete spreche und die Schritte und Gebärden des verwickelten Rituals ausführe, eine wirkliche Gemütsbewegung erfüllt; aber diese Gemütsbewegung steht in keiner Beziehung zur übernatürlichen Welt: Ich erinnere mich, wie ich mit neunzehn Jahren als Priester des Jupiter zum Capitol hinaufstieg, meine Cornelia mir zur Seite, die ungeborene Julia unter ihrem Gürtel. Welchen Augenblick, der jenem gleichkäme, hat das Leben seitdem geboten?

Still! Soeben ist die Wache vor meiner Tür abgelöst worden. Die Posten haben ihre Schwerter aneinandergeschlagen und das Losungswort getauscht. Das Losungswort für heute nacht lautet: CAESAR WACHT.

IIDie Herrin Clodia Pulcher, aus ihrer Villa in Baiae an der Bucht von Neapel, dem Wirtschafter ihres Hauswesens in Rom.

[3. September 45 v.Chr.]

Mein Bruder und ich geben ein Gastmahl am letzten Tag des Monats. Wenn diesmal irgend etwas nicht klappt, werde ich einen andern an Deine Stelle setzen und Dich zum Kauf ausbieten.

Einladungen ergingen an den Dictator, seine Frau und seine Tante; an Cicero; an Asinius Pollio; und an Gaius Valerius Catullus. Das Ganze wird nach der alten Sitte gehalten sein, das heißt, die Frauen werden erst während der eigentlichen Mahlzeit anwesend und nicht gelagert sein.

Wenn der Dictator die Einladung annimmt, wird das strengste Zeremoniell einzuhalten sein. Fang schon jetzt mit der Dienerschaft zu proben an: den Empfang vor der Tür, das Tragen des Sessels, den Rundgang durchs Haus und den Abschied. Sorge dafür, zwölf Trompeter zu mieten. Verständige die Priester unsres Tempels, daß sie die dem Pontifex maximus beim Empfang gebührende Zeremonie zu vollziehn haben werden.

Nicht nur Du, auch mein Bruder wird die für den Dictator bestimmten Gerichte in seiner Gegenwart vorkosten, wie das in frühern Tagen geschah.

Die Speisenfolge wird von den neuen Zusatzanträgen zum Aufwandgesetz abhängen. Wenn sie bis zum Tag des Gastmahls angenommen sind, wird der ganzen Gesellschaft nur einerlei Hauptgericht gereicht werden. Und zwar das ägyptische Ragout von Meertieren, das Dir der Dictator einmal beschrieben hat. Ich weiß gar nichts darüber; geh sogleich zu seinem Küchenmeister und bring in Erfahrung, wie es zubereitet wird. Sobald Du Dich des Rezepts versichert hast, laß es mindestens dreimal machen, um Dich zu vergewissern, daß es an dem Abend tadellos gelingen wird.

Wenn die neuen Gesetze bis dahin nicht in Kraft sind, werden wir mehrerlei Gerichte haben.

Der Dictator, mein Bruder und ich werden das Ragout nehmen. Für Cicero junges Lamm am Spieß nach griechischer Art. Für des Dictators Frau den Lammskopf mit gebratenen Äpfeln, den sie so höchlich lobte. Hast Du ihr das Rezept gesandt, wie sie von Dir verlangte? Wenn ja, ändre die Zubereitung ein wenig; ich rate Dir, drei oder vier in Albanerbranntwein getränkte Pfirsiche hinzuzutun. Der Herrin Julia Marcia und Valerius Catullus wird die Wahl zwischen diesen Gerichten geboten werden.

Asinius Pollio wird wahrscheinlich wie gewöhnlich nichts essen, aber hab ein wenig Ziegenmilch und Bergamasker Hafergrütze bereit. Die Zusammenstellung der Weine überlasse ich ganz Dir; beachte, was die neuen Gesetze darüber etwa sagen.

Ich lasse zwanzig bis dreißig Dutzend Austern in Schleppnetzen unter Wasser nach Ostia schaffen. Einige können am Tag des Gastmahls nach Rom gebracht werden.

Geh sogleich zu Eros, dem griechischen Mimen, und nimm ihn für den Abend auf. Er wird wahrscheinlich seine gewohnten Schwierigkeiten machen; Du kannst ihm den Rang der Gäste andeuten, die ich erwarte. Wenn Du alles mit ihm vereinbart hast, kannst Du ihm sagen, daß ich ihm zu seinem üblichen Honorar Cleopatras Spiegel schenken werde. Sag ihm, ich wünsche, daß er mit seiner Truppe ›Aphrodite und Hephaistos‹ und des Herondas ›Osirisprozession‹ aufführe. Und ihn allein wünsche ich Sapphos Zyklus ›Die Girlandenflechterin‹ vortragen zu hören. Ich verlasse Neapel morgen und werde eine Woche bei der Familie des Quintus Lentulus Spinther in Capua bleiben. Ich erwarte, dort einen Brief von Dir zu erhalten, der mir sagt, wie mein Bruder sich beschäftigt. Du kannst damit rechnen, daß ich um den 10. in Rom eintreffe.

Ich wünsche von Dir einen Bericht, wie es mit dem Entfernen all dieses Geschmiers über unsre Familie von öffentlichen Orten steht. Ich will das sehr gründlich besorgt wissen.

[Was Clodia mit diesem letzten Absatz meinte, wird am besten durch eine Stelle aus einem Brief Ciceros und durch einige ausgewählte Sgraffitti veranschaulicht:]

II-ACicero, aus Rom, an Atticus in Griechenland.

[Geschrieben im Frühling dieses Jahrs.]

Gleich nach unser aller Herrn ist Clodia jetzt die meistbesprochene Person in Rom. Verse auf sie, von grenzenloser Zotigkeit, werden an die Wände und auf die Fliesen aller Bäder und Urinale in Rom gekritzelt. Man sagt mir, daß sich in der Abkühlungshalle der Bäder des Pompeius eine ihr gewidmete längere Satire finde, siebzehn Dichter sich bereits an ihr versucht haben und sie täglich Zusätze erhalte. Es soll sich darin großenteils um die Tatsache drehn, daß sie Witwe, Tochter, Nichte, Enkelin und Urenkelin von Consuln ist und ihr Vorfahr Appius die Straße bauen ließ, auf welcher sie nun tröstenden, wenngleich nicht lohnenden Anschluß sucht.

Die Dame, so sagt man mir, hat von diesen Huldigungen gehört. Drei Putzer sind allnächtlich mit heimlichem Abkratzen beschäftigt. Sie sind überarbeitet; sie können nicht Schritt halten mit ihrer Aufgabe.

Unser Schulmeister [Caesar] braucht keine Arbeiter zum Reinwaschen aufzunehmen. Es gibt zotige Verse genug auf ihn; aber für jeden Lästerer hat er drei Lobredner. Seine Veteranen haben sich wieder bewaffnet – mit Schwämmen.

Das Dichten ist zu einem Fieber geworden in unsrer Stadt. Ich höre, daß die Verse dieses neuen Mannes Catullus – Verse, die gleichfalls an Clodia gerichtet sind, jedoch in einem andern Ton, – sich ebenso an die Wände unsrer öffentlichen Gebäude gekritzelt finden. Die syrischen Pastetenverkäufer können sie auswendig. Was sagst Du zu so etwas? Unter der absoluten Macht eines einzigen Mannes werden uns unsre Berufe genommen oder verlieren ihren Reiz. Wir sind nicht Bürger, sondern Sklaven, und die Dichtkunst ist die Zuflucht eines erzwungenen Müßiggangs.

II-BSgraffitti auf Mauern und Gehsteigen Roms.

Clodius Pulcher sagt im Senat zu Cicero:

Meine Schwester, die will nicht nachgeben, keinen Fuß, so sagt sie.

Oh, sagt Cicero, wir hielten sie für viel williger;

Wir dachten, daß sie dir nachgibt bis übers Knie, so sagt er.

Ihre Vorfahren pflasterten einst die Via Appia.

Caesar riß diese Appia auf und pflasterte sie anders. Ho, ho, ho!

Millionärin ist das Viersoldi-Mädel, doch nie

Hat sie genug, und sie geht nicht gern müßig;

Wie sie stolz ihre fünfzig Soldi heimbringt am Morgen!

Jeden Monat feiert Caesar die Gründung der Stadt –

Jede Stunde den Zerfall der Republik.

[Das folgende Volkslied fand sich in dieser oder andrer Fassung auf der ganzen Welt an Mauern und Wänden.]

Rom gehört die Welt, und die Götter gaben es Caesar;

Caesar stammt von den Göttern und selber ist er ein Gott.

Er, der nie eine Schlacht verlor, ist jedem Soldaten ein Vater.

Er, der den Fuß auf den Mund des Reichen gesetzt hat,

Ist dem Armen ein Freund und dem Schwachen ein Tröster.

Daran magst du erkennen, daß Rom von den Göttern geliebt wird:

Caesar gaben sie es, ihrem Enkel, der selber ein Gott.

[Die folgenden Verse des Catull scheinen sogleich populär geworden zu sein; binnen Jahresfrist waren sie als ein anonymer Spruch bis in die fernsten Teile der Republik gedrungen:]

Sonnen gehn unter und gehn wieder auf;

Uns, wenn dahin unser kurzes Licht,

Bleibt eine ewige Nacht zu durchschlafen.

IIICaesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus auf der Insel Capri.

[Wahrscheinlich 20. August bis 4. September.] [Dieses Brieftagebuch läuft von der Zeit an, als der Empfänger im Jahre 51 von den Belgiern gefangengenommen und verstümmelt wurde, bis zum Tod des Dictators. Die Eintragungen erfolgten auf die verschiedenste Weise; manche sind auf die Rückseite erledigter Briefe und Aktenstücke geschrieben; einige wurden in Eile, andre mit großer Sorgfalt verfaßt; manche sind diktiert und in der Handschrift eines Sekretärs. Sie wurden zwar fortlaufend beziffert, weisen aber nur gelegentlich eine Datierung auf.]

958. [Über die vermutliche Etymologie dreier veralteter Wörter im Testament des Romulus.]

959–963. [Über etliche Strömungen und Ereignisse der Tagespolitik.]

964. [Begründung seiner geringen Meinung von Ciceros Verwendung metrischer Kunstgriffe in seinen Reden.]

965–967. [Über Politik.]

968. [Über römische Religion. Diese Eintragung findet sich bereits als Dokument I-B.]

969. [Über Clodia Pulcher und ihre Erziehung.] Clodia und ihr Bruder haben uns zum Essen eingeladen. Ich scheine mich über diese beiden in meinen Briefen an Dich schon genügend verbreitet zu haben. Aber, wie das übrige Rom, mache ich die Entdeckung, immer wieder auf den Gegenstand zurückzukommen.

Ich bin nicht mehr sogleich von Mitleid erfüllt, wenn ich einem dieser unzähligen Menschen begegne, die ein gescheitertes Leben hinter sich her schleppen. Am allerwenigsten versuche ich Entschuldigungen für sie zu finden, wenn ich sehe, daß sie die schon selber gefunden haben; wenn ich sehe, wie sie auf ihrem eignen Urteil thronen, sich für entschuldigt, für freigesprochen halten und Anklagen gegen das geheimnisvolle Schicksal schleudern, das ihnen unrecht getan hat, und sich als reine Opfer hinstellen. Ein solcher Mensch ist Clodia.

Es ist nicht die Rolle, welche sie vor ihrer zahlreichen Bekanntschaft spielt; vor der tut sie, als wäre sie die glücklichste aller Frauen. Es ist jedoch die Rolle, welche sie in ihren eignen Augen und vor mir spielt, denn ich bin, glaube ich, der einzige unter den Lebenden, der von einem gewissen Umstand weiß, dessen Opfer sie vielleicht war, worauf sie seit mehr als fünfundzwanzig Jahren ihren Anspruch gründet, mit jedem neuen Tag ein neues Opfer zu sein.

Es ließe sich noch eine Entschuldigung für sie und für andre Frauen ihrer Generation finden, welche ebenso durch Zügellosigkeit Aufsehen erregen. Sie wurden in die großen Häuser des Wohlstands und Vorrechts geboren und in jener Atmosphäre edler Gefühle und unablässigen Sittenpredigens auferzogen, die wir heute »die alte römische Art« nennen. Die Mütter vieler dieser Mädchen waren große Frauen, aber eine Reihe der von ihnen entwickelten Eigenschaften vermochten sie nicht zu übertragen. Mutterliebe, Familienstolz und Reichtum hatten sich verbündet, um Heuchlerinnen aus ihnen zu machen, und ihre Töchter wuchsen in einer umhegten Welt glatter Unwahrheiten und Ausflüchte auf. Gespräche in ihrem Heim füllten sich mit zu vielen lauten Pausen, das heißt, zu vielem, worüber man nicht spricht. Die Töchter, zumindest die gescheiteren unter ihnen, wurden sich, als sie heranwuchsen, dessen bewußt; sie fühlten, daß sie belogen worden waren, und sie stürzten sich unverzüglich in öffentliche Bekundungen ihrer Befreiung von solcher Heuchelei. Einkerkerung des Leibes ist bitter; Einkerkerung des Geistes ist schlimmer. Die Gedanken und Handlungen derer, die erkennen, daß sie getäuscht wurden, sind für sie selbst schmerzlich und für andre gefährlich. Clodia war die gescheiteste von ihnen, wie ihr Benehmen nun das schändlichste ist. Alle diese jungen Weiber erlagen einer Leidenschaft, oder legten sie sich bei, in niederer Gesellschaft gesehn zu werden, und das Prunken mit Gewöhnlichkeit ist ein politischer Faktor geworden, mit dem ich mich befassen muß. Plebejertum selbst ist besserungsfähig, aber was kann ich mit einer plebejischen Aristokratie tun?

Sogar diejenigen jungen Frauen, deren Verhalten untadelig ist – wie Clodias Schwester, wie meine eigne Frau –, kehren den Groll aus Täuschung Erwachter hervor. Sie wurden dazu erzogen, die häuslichen Tugenden für selbstverständlich und allgemein verbreitet anzusehn; es wurde ihnen das eine Wissen vorenthalten, welches ein junges Gemüt am meisten anzieht: daß die Krone des Lebens die Ausübung freier Wahl ist.

Im Verhalten Clodias sehe ich auch etwas gespiegelt, das ich oft, vielleicht zu oft, mit Dir besprochen habe, – die Tatsache nämlich, daß die Gebrauchsweise und schon der Bau unsrer Sprache den Glauben einpflanzen und ausbilden, wir seien dem Leben gegenüber passiv, gebunden, ausgeliefert und hilflos. Unsre Sprache sagt uns, daß uns bei unsrer Geburt dies und jenes mitgegeben wird. Das will besagen, es sei ein großer Geber da, der Clodia Schönheit, Gesundheit, Reichtum, hohe Geburt und hervorragenden Verstand gab, und einer andern Sklaverei, Siechtum und Dummheit. Sie hat oft sagen hören, sie sei mit Schönheit ausgestattet (von welchem Ausstatter?) und eine andre trage den Fluch etwa der Scharfzüngigkeit, – hat die Gottheit geflucht? Auch wenn wir das Dasein eines Gottes annehmen, der, wie Homer sagt, aus seinen Urnen die guten und die bösen Gaben schüttet, muß ich staunen über die Frommen, welche die Gottheit beleidigen, indem sie nicht zu sehn vermögen, daß es, wie diese Welt nun einmal gelenkt wird, ein Bereich des Geschehens gibt, auf das sich göttliche Vorsehung nicht erstreckt, und daß die Gottheit das so beabsichtigt haben muß.

Aber um auf unsre Clodia zurückzukommen: Unter einer solchen Weltordnung erhalten die Clodias nie genug; sie sind vergiftet vom Groll gegen diesen knauserigen Geber, der ihnen außer Schönheit, Gesundheit, Reichtum, vornehmer Geburt und Verstand nichts gegeben hat und ihnen eine Million Gaben vorenthält, nämlich vollkommenes Glücklichsein in jedem Augenblick eines jeden Tags. Es gibt keine Habgier, die der von Bevorrechteten gleichkäme, welche fühlen, daß ihre Vorteile ihnen von irgendeinem höhern Verstand verliehen wurden, und keine Verbitterung wie die der Schlechtbedachten, welche fühlen, daß grade sie übergangen wurden.

O mein Freund, mein Freund, was könnte ich Besseres für Rom tun, als die Vögel zurückzuschicken in ihre Vogelwelt, den Donner unter die Phänomene der Atmosphäre und die Götter zurück in die Kindheitserinnerungen?

Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß wir an Clodias Gastmahl nicht teilnehmen werden.

IVDie Herrin Julia Marcia, Witwe des großen Marius, von ihrem Landgut in den Albanerbergen, an ihren Neffen Gaius Julius Caesar in Rom.

[4. September]

Clodius Pulcher und seine Schwester haben mich für den Letzten des Monats zum Abendessen gebeten; sie teilen mir mit, daß Du, mein lieber Junge, auch dort sein wirst. Ich hatte nicht beabsichtigt, vor Dezember in die Stadt zu kommen, wann meine Pflichten im Zusammenhang mit den Mysterien [der Guten Göttin] es nötig machen. Ich würde natürlich nicht daran denken, dieses Haus zu betreten, ohne die Versicherung, daß auch Du und Deine liebe Frau hingehen. Sende mir, bitte, durch diesen Boten ein Wort, ob Du wirklich anwesend sein wirst oder nicht.

Ich muß gestehen, daß ich – nach all den Jahren des Verbauerns – nicht wenig neugierig bin zu sehen, wie diese Palatin-Gesellschaft lebt. Die skandalisierten Briefe, die ich von Sempronia Metella, Servilia, Aemilia Cimber und Fulvia Manso erhalte, helfen mir da nicht viel. Die sind alle so eifrig bemüht, ihre eigene Tugend ins Licht zu rükken, daß ich nicht erkennen kann, ob das tägliche Leben auf dem Gipfel der Welt brillant oder trivial ist.

Ich habe auch noch einen anderen Grund, Clodia Pulcher wiederzusehen. Es könnte sein, daß ich früher oder später gezwungen wäre, eine sehr ernste Unterredung mit ihr zu haben – um ihrer Mutter und Großmutter willen, lieber Freundinnen meiner Jugend und mittleren Jahre. Kannst Du erraten, was ich meine? [Wie sich zeigen wird, verstand Caesar diese Andeutung nicht. Seine Tante war im Aufsichtsrat für die Mysterien der Guten Göttin. Falls ein Antrag gestellt werden würde, Clodia von der Teilnahme an den Mysterien auszuschließen, stünde die Entscheidung vor allem bei dem Laienausschuß und nicht bei den Vertreterinnen des Vestalinnencollegiums. Die endgültige Verantwortlichkeit fiele jedoch, als dem Obersten Priester des Staates, Julius Caesar selbst zu.]

Wir Landpomeranzen sind bereit, Deine Gesetze gegen übermäßigen Aufwand genau zu befolgen. Unsere kleinen Gemeinden lieben Dich und danken den Göttern täglich dafür, daß Du unseren mächtigen Staat lenkst. Ich beschäftige sechs Deiner Veteranen auf meinem Gut. Ihr Fleiß, ihre freudige Arbeitswilligkeit und die Treue, die sie mir bezeigen, sind, das weiß ich, ein Abglanz ihrer Verehrung für Dich. Ich bemühe mich, sie nicht zu enttäuschen.

Versichere Pompeia meiner Liebe.

[Zweiter Brief in demselben Paket.]

Mein lieber Neffe, dies schreibe ich am nächsten Morgen. Verzeih meine Anmaßung, die Zeit des Herrn der Welt in Anspruch zu nehmen, aber darf ich Dich ein Zweites fragen und um Beantwortung durch denselbigen Boten bitten?

Ist Lucius Mamilius Turrinus noch am Leben? Kann er Briefe empfangen? Kannst Du mir eine Anschrift nennen, unter der sie ihn erreichen?

Ich habe diese Fragen an eine Anzahl meiner Freunde gerichtet, aber niemand scheint imstande zu sein, sie mit Sicherheit zu beantworten. Wir wissen, daß er schwer verwundet wurde, als er an Deiner Seite in Gallien kämpfte. Manche sagen, er lebe in völliger Zurückgezogenheit im Seengebiet oder auf Kreta oder auf Sizilien. Andere behaupten, daß er schon vor einer Reihe von Jahren gestorben sei.

Ich hatte unlängst in der Nacht – Du wirst Nachsicht haben mit einer alten Frau – einen Traum, worin ich am Teich unserer Villa in Tarentum zu stehen schien, neben mir meinen lieben Räuberhauptmann von Gemahl. Zwei Knaben schwammen in dem Teich – Du selbst und Lucius. Dann kamt Ihr aus dem Wasser, und mein Mann legte Euch beiden die Hände auf die Schultern, sah dabei mir tief in die Augen und sagte lächelnd: »Schößlinge unserer großen römischen Eiche.«

Wie oft seid Ihr beiden zu uns gekommen! Den ganzen Tag verbrachtet Ihr auf der Jagd, und was für riesige Mahlzeiten Ihr dann verschlungen habt! Und erinnerst Du Dich, wie Du mit zwölf Jahren mir Homer vorzusprechen pflegtest? Wie Deine Augen dabei leuchteten! Und dann gingst Du mit Lucius nach Griechenland, um zu studieren, und schriebst mir lange Briefe über Philosophie und Poesie. Und Lucius, der keine Mutter mehr hatte, schrieb an Deine Mutter.

Oh, die Vergangenheit, die Vergangenheit, Gaius! Ich erwachte weinend aus meinem Traum, weinend um jene entschwundenen Wesen, um meinen Mann, Deine Mutter, Clodias Eltern und Lucius.

Du meine Güte, ich stehle Dir Deine Zeit!

Zwei Worte der Antwort: Clodias Gastmahl; und des Lucius Aufenthalt, falls er lebt.

IV-ACaesars Antwort an Julia Marcia; mit wendendem Boten.

[Die ersten zwei Absätze von der Hand eines Sekretärs.]

Ich habe nicht die Absicht, meine liebe Tante, zu Clodias Gastmahl zu gehn. Wenn ich glaubte, es gebe dort etwas von wirklichem Interesse für Dich, ginge ich selbstverständlich Dir zuliebe hin. Pompeia vereinigt jedoch ihre dringende Bitte mit der meinen, Du mögest an diesem Abend zu uns kommen. Es ist denkbar, daß Clodia die Keckheit hatte, auch Cicero einzuladen, und er schwach genug war, die Einladung anzunehmen. Ist dem so, werde ich ihn von ihrer Tischgesellschaft stehlen und ihn Dir darbieten. Ich glaube, Du wirst ihn gern wiedersehn; er ist noch witziger, als er schon immer war, und er kann Dir alles über diesen Klüngel auf dem Palatin erzählen. Übrigens, mach Dir nicht die Mühe, Dein Haus zu öffnen; unser Gartenhaus steht Dir zur Verfügung, und Al-Nara wird entzückt sein, Dich zu bedienen. Für solange, als Du da wohnen wirst, meine Liebe, werde ich Befehl geben, daß während der Nacht die Wachtposten es unterlassen, ihre Schwerter aneinanderzuschlagen; sie sollen das Losungswort nur flüsternd tauschen.

Du wirst Clodia ganz genug sehn, sobald Du zu den Zeremonien in die Stadt kommst. Wenn ich mir Clodia betrachte, finde ich in meinem Herzen kaum einen Tropfen des Mitgefühls, welches wir, wie Epikuros uns einschärft, den Irregegangenen entgegenbringen sollen. Ich hoffe, Du wirst mit ihr diese ernsten Unterredungen haben, von denen Du sprichst, und ich hoffe, Du wirst mir zeigen, wie ich einen Weg zu etwas Mitgefühl mit ihr finden kann. Ich bin beunruhigt durch die Dürre in meinem Herzen gegenüber einer, mit der ich durch eine solche Vielfalt von Beziehungen verbunden bin.

[Hier setzt Caesar den Brief eigenhändig fort.]

Du sprichst von der Vergangenheit.

Ich lasse meine Gedanken nicht lange bei ihr verweilen. Alles in ihr, alles scheint von einer Schönheit zu sein, die ich nie wiedersehn werde. Jene Wesen, wie vermöchte ich an sie zu denken? Bei der Erinnerung an ein einziges geflüstertes Wort, an ein Augenpaar, fällt mir die Feder aus der Hand, die Unterredung, die ich grade führe, wird zu Stein. Rom und seine Angelegenheiten werden zur Aufgabe eines Kanzlisten, zu einem trockenen und reizlosen Geschäft, mit dem ich meine Tage fülle, bis der Tod mich davon erlöst. Bin ich darin sonderbar? Ich weiß es nicht. Können andre Menschen vergangenes Glück in ihre gegenwärtigen Gedanken verweben und in ihre Pläne für die Zukunft? Vielleicht können das nur die Dichter; sie nur nutzen alles von sich in jedem Augenblick ihres Schaffens. Ich glaube, daß so einer unter uns gekommen ist, um unsern Lucretius zu ersetzen. Ich lege ein Bündel seiner Gedichte bei. Ich möchte, daß Du mir sagst, was Du von ihnen hältst. Diese Herrschaft über die Welt, die Du mir zuschreibst, ist es mehr wert, verwaltet zu werden, seit ich solche Proben dessen gesehn habe, was unsre lateinische Sprache vermag. Die Verse, welche sich auf mich selbst beziehn, lege ich nicht bei; dieser Catullus ist so beredsam im Haß wie in der Liebe.

Ein Geschenk erwartet Dich hier in Rom – allerdings wird mein Anteil daran mich einiges von der geflissentlichen Erfüllung meiner gegenwärtigen Pflichten kosten, welche, das sagte ich schon, auf jede Rückkehr zur Vergangenheit folgt, die ich wage. [In die monatliche Gedenkfeier der Stadtgründung führte Caesar eine Huldigung ein, die Rom den Manen ihres Mannes, Marius, darbrachte.]

Was Deine zweite Frage angeht, meine liebe Tante, bin ich nicht in der Lage, sie zu beantworten.

Pompeia erwidert liebevoll Deinen Gruß. Wir erwarten Dein Kommen mit großer Freude.

VDie Herrin Sempronia Metella, aus Rom, an die Herrin Julia Marcia auf ihrem Landgut in den Albanerbergen.

[6. September.]

Ich kann Dir gar nicht sagen, meine liebste Julia, wie entzückt ich bin, zu hören, daß Du in die Stadt kommst. Mach Dir nicht die Mühe, Dein Haus zu öffnen. Du mußt bei mir wohnen. Zosima, die den Boden anbetet, den Dein Fuß beschreitet, wird Dir aufwarten; ich kann sehr gut mit Rhodope mein Auslangen finden, die sich zu einer wahren Perle entwickelt.

Nun mach es Dir behaglich, meine Liebe, denn ich fürchte, dies wird ein sehr langes Geplauder werden.

Zunächst einmal höre auf den Rat einer alten, alten Freundin: Betritt das Haus dieser Person nicht. Man mag sich jahrelang immerzu sagen, daß man nicht auf Klatsch hören soll, daß Abwesende sich nicht gegen Anwürfe verteidigen können, etc., etc. – aber ist schließlich die Herausforderung von so viel Klatsch nicht selbst schon ein Vergehen? Ich persönlich glaube nicht, daß sie ihren Mann vergiftete oder unerlaubte Beziehungen zu ihren Brüdern hatte, aber Tausende glauben es. Mein Enkel sagt mir, daß Lieder darüber in allen Garnisonen und Tavernen gesungen werden und Verse auf sie sich an die Wände aller Bäder gekritzelt finden. Ein Spitzname für sie, den ich lieber nicht hierhersetzen möchte, ist in aller Mund.

Tatsächlich ist das Schlimmste, was man über sie weiß, der Einfluß, den sie auf diese ganze Palatinclique hat. Sie war es, die diesen Unfug begann, sich als jemand aus dem Volke zu kleiden und sich unter die niedersten Elemente der Stadt zu mischen. Sie führt ihre Freunde und Freundinnen in die Tavernen der Gladiatoren und trinkt mit denen die Nächte durch und tanzt für sie und – ich überlasse den Rest Deiner Vorstellungsgabe. Sie veranstaltet Picknickausflüge, Julia, und geht in die Wirtshäuser draußen auf dem Lande und mischt sich unter die Hirten und die Soldaten von den Militärposten dort. Das sind Tatsachen. Eines der Ergebnisse kann jedermann sehen: die Wirkung, die es auf die Sprache hat; es gilt nun als »fesch«, reinstes Pleb zu reden. Und es ist nicht zu bezweifeln, daß sie, und sie allein, daran schuld ist. Ihre Stellung, ihre Geburt, ihr Reichtum, ihre Schönheit und – man muß es gestehen – ihr fesselnder Reiz und ihr sprühender Geist haben die tonangebende Gesellschaft tief in einen Sumpf geführt.

Aber endlich hat sie Angst bekommen, und sie hat Dich zum Essen gebeten, weil ihr Unheil schwant.

Denn hör zu: Etwas sehr Ernstes bereitet sich vor, und zwar etwas, worüber die Entscheidung zuletzt Dir aufgebürdet werden wird.