18,99 €
»Bemerkenswert, die oft romantisierte Rolle der Bäuerin so ins rechte Licht zu setzen.« Raynor Winn Vor der Morgendämmerung genießt Helen Rebanks die wenigen Minuten der Ruhe bei einer Tasse Tee, bevor ihr Mann und ihre vier Kinder im Haus herumwirbeln. Es gibt auch sechs Schäferhunde, zwei Ponys, 20 Hühner, 50 Rinder und 500 Schafe zu versorgen. Helen Rebanks ist Bäuerin. In einzigartiger Weise erzählt »Die Frau des Farmers« vom Leben einer Frau auf einem modernen Bauernhof im malerischen Lake District Englands. Als junges Mädchen träumte Helen Rebanks von einem Leben als Künstlerin. Auf keinen Fall wollte sie wie ihre Mutter und Großmutter das Leben einer Bäuerin führen.Sie verlässt die Familie, studiert Kunst, sucht eigene Wege – und doch kommt es anders: Heute sitzt sie auf ihrem eigenen Gehöft und betreibt mit ihrem Mann James Rebanks eine große Farm. Traditionell wird die Stellung der Bäuerin als Nebenrolle gesehen: immer da, aber doch im Hintergrund. Doch ohne die Frauen geht es nicht. Eingebettet in Erinnerungen erzählt Helen Rebanks von ihrem Leben an einem Tag: von der Entscheidung doch ein Landleben zu führen, der Organisation des Haushalts und der Familie, der Verwaltung eines modernen Hofes, von ihrer Liebe zum Kochen und zu den Tieren, der großen Verbundenheit zur Natur und von der Bedeutung und Herkunft unserer Nahrung. Authentisch und ergreifend ist dies die Geschichte eines verborgenen Lebens, das alles zusammenhält, und eine Hommage an alle Landfrauen. Mit zahlreichen, wunderschön illustrierten Familienrezepten
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 513
Veröffentlichungsjahr: 2025
Helen Rebanks
Die Frau des Farmers
Mein Leben in einem Tag
Aus dem Englischen von Nastasja S. Dresler
Klett-Cotta
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe zum Zeitpunkt des Erwerbs.
Klett-Cotta
www.klett-cotta.de
J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH
Rotebühlstraße 77, 70178 Stuttgart
Fragen zur Produktsicherheit: [email protected]
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Farmer’s Wife. My Life in Days« im Verlag Faber & Faber Limited, The Bindery, 51 Hatton Garden London EC1N 8HN.
© 2023 by Helen Rebanks
Für die deutsche Ausgabe
© 2025 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle deutschsprachigen Rechte sowie die Nutzung des Werkes für Text und Data Mining i. S. v. § 44 b UrhG vorbehalten
Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg
unter Verwendung einer Abbildung von © akg-images/Glasshouse Images
Illustrationen: © 2023 Eleanor Crow
Gesetzt von C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen
Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck
Lektorat: Doreen Fröhlich, Chemnitz
ISBN 978-3-608-96673-2
E-Book ISBN 978-3-608-12478-1
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
MORGENGRAUEN
1
Marmelade
Carbonara (Variante)
Schinkensandwiches
Eine Schale mit Chips
Wasser
Porridge
MORGEN
2
Pizza
Kaninchen
Essen aus der Mikrowelle
Zitronenbaisertorte
Santiago
NACHMITTAG
3
RoastBeef und Yorkshire-Pudding
Rosenkohl
Frühlingsgrün
Kalter Tee
4
Schokoladen-Knöpfe
Essig
Gefangen
Eier
Picknick
SPÄTER NACHMITTAG
5
Geburtstagskuchen
Weißer Toast
Trifle
Baguette
Brühe
Schokoladenkuchen
Nudeln mit cremiger Soße
Bananenschale
ABEND
HILFREICHE LISTEN
Grundnahrungsmittel
Haltbares für die Vorratskammer
Haltbares für den Kühlschrank
Für das Gefrierfach
Gerichte, die uns kein schlechtes Gewissen machen sollten
TOAST MIT ALLERLEI
SUPPE
FISCHSTÄBCHEN-BRÖTCHEN
PIZZA
Bacon
GERÄUCHERT VS. UNGERÄUCHERT
Kreative Ideen fürs Pausenbrot
EIN PAAR IDEEN FÜR EINE INTERESSANTE MITTAGSPAUSE
Einfache Studentenküche
ABENDESSEN AUS DEM OFEN
SUPPE
KÄSE-MAKKARONI MIT PANCETTA UND LAUCH
IN DER PFANNE GEBRATENE NUDELN UND GESCHWENKTES GEMÜSE
WURSTEINTOPF ODER GNOCCHI MIT WÜRSTCHEN
SCHNELLE BOLOGNESE
PELLKARTOFFELN MIT VERSCHIEDENEN FÜLLUNGEN UND BEILAGEN
SCHNELLES CURRY MIT HUHN ODER GEMÜSE
SALATE
EINFACHES STROGANOFF
EINFACHES RISOTTO
Lieblingskochbücher
Nahrhafte Gerichte, die der Selbstfürsorge dienen
Gerichte, wenn ich im Überlebensmodus bin
EINFACHES FÜR DIE KLEINEN
Hinweis zum Kauf von Kuchen
Zusätzliche Rezepte
DANKSAGUNG
Für James, Molly, Bea, Isaac und Tom
Doch der Einfluss ihres Lebens auf die Menschen um sie herum war unglaublich weitreichend: So hängt das wachsende Wohl der Welt zum Teil von unhistorischen Taten ab; und dass die Dinge für mich und dich nicht so schlecht stehen, wie sie es hätten sein können, ist zum großen Teil denjenigen zu verdanken, die ein redliches Leben im Verborgenen geführt haben und nun in einsamen Gräbern ruhen.
George Eliot, Middlemarch
Der Hahn kräht. Es ist 5.30 Uhr: Ich ziehe mir die Decke über den Kopf und versuche, die Nacht noch ein klein wenig länger andauern zu lassen. Wenn ich an manchen Tagen morgens aufwache und noch im Halbschlaf bin, vergesse ich, in welchem Abschnitt meines Lebens ich mich gerade befinde, vergesse ich, dass ich Mutter und Ehefrau bin und tausend Dinge erledigen muss. Ich hatte diese Rollen nicht immer inne, aber gekannt habe ich sie gut. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, auf dem es drunter und drüber ging. Mein Zimmer war im Dachgeschoss. In Jugendtagen lag ich morgens manchmal im Bett und starrte durch die Dachluke in die Wolken, den Kopf voller Ideen, wie ich dem Alltag auf dem Hof entkommen könnte. Küchengeräusche drangen die Treppe hinauf. Der Teekessel kochte. Hunde bellten. Türen schlugen. Meine Mutter rief, dass ihr jemand bei der Arbeit helfen oder ich mich für die Schule fertig machen solle. Ich träumte von einem Leben als Künstlerin, davon, auf Reisen zu gehen, ich träumte von einem Leben, das gefüllt war mit Tagen, an denen ich viel Zeit zum Lesen und Nachdenken hatte. Auf keinen Fall wollte ich Bäuerin sein. Die Frauen und Mädchen arbeiteten im Haus und rochen nach Seife. Ihre Arbeit fand kein Ende: Waschen, Bügeln, Kochen und Putzen. Die Männer und Jungen arbeiteten draußen und rochen nach Dreck. Ihr Tagesablauf folgte einer schmutzigen, nassen und kalten Routine des Melkens, Fütterns und Hütens, und sie sprachen kaum über etwas anderes. Auf keinen Fall wollte ich später so an den Hofalltag gebunden sein.
Und doch sitze ich, meiner damaligen Vorstellung zum Trotz, nun hier, auf meinem eigenen Gehöft auf einem Hügel im Lake District, nur an die zehn Kilometer davon entfernt, wo ich aufgewachsen bin. Ich lebe mit meinem Mann James zusammen, wir haben vier Kinder – Molly, Bea, Isaac und Tom. Außerdem haben wir sechs Hunde, zwei Ponys, 20 Hühner, 500 Schafe und 50 Rinder, um die wir uns kümmern müssen. Ich bin eine Bäuerin geworden, und dies ist meine Geschichte.
Mein Vater sagt oft: »Wie man sich bettet, so liegt man.« Jedes Mal, wenn ich das höre, schrecke ich auf, weil er dies meist dann von sich gibt, wenn ich mit etwas zu ringen habe. Ich finde das nicht gerade nett von ihm und auch nicht sonderlich hilfreich. Ich weiß, was er damit meint – dass wir alle so leben, wie wir uns entschieden haben, und einen Preis dafür zahlen. Es stimmt natürlich, »man kann nicht alles haben«. Aber dieses unerbittliche, alte Sprichwort lässt einem keine Möglichkeit, etwas zu ändern. Es impliziert, dass ein Bett – beziehungsweise ein Leben – einmal gemacht wird und dann unveränderlich bis in alle Ewigkeit so steht. Es impliziert, dass man niemals wachsen und sich nicht verändern kann, sondern die Dinge, wie sie dann eben sind, erleiden und aushalten muss. Ich denke hingegen, dass wir uns jeden Tag aufs Neue betten – das Leben ist ein ständiger Prozess des Gestaltens und Umgestaltens von uns selbst und der Art, wie wir unsere Tage verbringen. Ich bin pausenlos auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, »mich zu betten«, und nach Wegen, um nicht stecken zu bleiben.
Eine Fliege schwirrt surrend ans Fenster. Ich stehe auf und öffne den Griff, um sie hinauszulassen. Der Ruf eines Kuckucks hallt durch das grüne Tal. James ist schon hinausgegangen, um nach einer kalbenden Kuh zu sehen, und der Rest des Hauses schläft noch, unbeeindruckt vom Remmidemmi draußen.
Ich schlüpfe in meinen hellblauen Morgenmantel und trage drei Tassen die Treppe hinunter, die die Kinder haben stehen lassen. Auf dem Teppich sehe ich eine verräterische Spur Krümel von stibitzten Keksen.
Ich gehe mit meinem Wasserkessel aus Edelstahl zur Spüle, kippe ihn aus und fülle ihn auf, zünde das Gas auf dem Herd an und bringe ihn zum Kochen. Dann drehe ich eine Runde durch die Küche, den Raum, in dem wir leben, arbeiten, kochen und essen. Nachdem ich die Kissen zurück in ihre ursprüngliche Form geschüttelt habe, platziere ich sie wieder ordentlich auf dem grauen Samtsofa. Ich lese Spielzeugdinosaurier und achtlos zur Seite geworfene Socken vom Boden auf und räume einen Stapel mit Papieren und die Post von gestern auf. Die Blumen aus unserem Garten sind verwelkt, also bringe ich sie nach draußen und stelle die alte Vase meiner Großmutter in die Spüle, um sie später abzuwaschen. Heute wäre ihr Geburtstag gewesen. Ich wische den Tisch ab und rücke die Holzstühle zurecht. Unter meinen nackten Füßen spüre ich die kalten Steinfliesen, also suche ich nach meinen Hausschuhen. Floss, unser Collie im Ruhestand, liegt noch immer in ihrem Bett und hat keine Lust, so früh aufzustehen. Sie wedelt sachte mit dem Schwanz, als ich sie streichle. Ich bereite mir einen Tee in meiner Lieblingstasse zu, umfasse sie mit beiden Händen und spüre, wie der Dampf in mein Gesicht steigt. Ich mache es mir auf meinem Stillsessel gemütlich, den ich in die Nähe des Kamins gestellt habe, neben die Rundbogentüren, die auf die Terrasse vor dem Haus führen. Ich brauche diesen Schaukelstuhl nicht mehr, aber er bleibt für mich ein heimeliges Plätzchen inmitten unseres chaotischen Haushalts und hektischen Familienalltags. Beim Hin- und Herschaukeln denke ich wehmütig an die Tage und Nächte, in denen ich meine Babys gestillt habe, und bin zugleich erleichtert, dass ich kein kleines Kind mehr an meiner Brust hängen habe oder in seinen unruhigen Phasen in den Schlaf wiegen muss. Die auszehrenden Tage mit einem Säugling liegen hinter mir, und die schönsten Erinnerungen daran trage ich fortan in meinem Herzen.
Die Sonnenstrahlen dringen durch die Blätter der Bäume, während ein rotes Eichhörnchen oberhalb der Gartenmauer entlanghüpft, ohne zu merken, dass es beobachtet wird. Ich nehme ein Buch vom Schemel am Fenster und versuche zu lesen, doch meine Gedanken schweifen von den Zeilen ab.
Ich liebe diese ruhige Zeit im Haus. Bald wird es laut werden und alles durcheinandergehen.
Von oben höre ich Tom »Mama« rufen. Als ich in sein Zimmer komme, rollt er sich auf die andere Seite und schläft noch mal ein. Ich lese einen Haufen schmutziger Wäsche vom Treppenabsatz auf, sortiere sie und stecke eine Ladung in die Maschine. Die nassen Sachen von der letzten Wäsche hänge ich auf den Ständer, die trockenen falte ich in einem Korb zusammen. Durch die Glastür des Hauswirtschaftsraums kann ich sehen, wie unsere beiden Sattelschweine im büscheligen Gras dösen. Sie haben in einem Stückchen Boden herumgewühlt, in dem ich kommendes Jahr Gemüse anbauen möchte. Sie wackeln mit den Ohren und liegen auf der Seite, eines an das andere geschmiegt.
Dann höre ich den vertrauten Laut eines blökenden Lamms und lasse von der Wäsche ab. Eine Woche lang etwa habe ich es im Schafstall gefüttert, weil die Mutter bei schlechter Gesundheit war und wenig Milch gab. Mittlerweile hat sich die Mutter erholt, und die beiden sind wieder zusammen draußen auf der Weide, aber Milch gibt sie noch immer nicht genug, also helfe ich weiter nach. Das Lämmchen glaubt jetzt, es habe zwei Mütter. Ich gehe in die Küche, mische Schafsmilchpulver aus einem Becher neben dem Waschbecken mit warmem Wasser und fülle es in eine Nuckelflasche mit Gummisauger. Die Kleine hat sich durch das Gartentor gezwängt und wartet laut mähend an der Küchentür.
Ich sitze draußen auf der Holzbank, füttere sie in meinen Hausschuhen und lausche den Vögeln, die um mich herum zwitschern. Das Lamm braucht nicht lange, um die Flasche leer zu trinken, und schlägt sie mir beinahe aus der Hand, bevor es sich davonmacht, um seine etwas verärgerte Mutter ausfindig zu machen, die es schon erwartet. Die Blüte der rosaroten Rosen hebt sich von dem blauen Lakeland-Stein unseres Hauses ab. Ich laufe die Gartentreppe hinunter, Floss ist mir dicht auf den Fersen. Ich streife den Lavendel in den Hochbeeten am Tor. Bald bin ich unten auf der Weide vor unserem Haus angelangt und stapfe mit meinen Hausschuhen durch Brennnesseln und Ampfer, um mir einen Weg zu bahnen. Ich lasse die Hühner aus ihrem Stall, werfe einen Blick in die Nistkästen und fülle meine Kitteltaschen mit fünf tiefbraunen Eiern. Ich tauche den Wassereimer der Hühner in den Bach und lasse ihn von der Strömung füllen. Zurück im Stall, kommen die Hühner angerannt und recken ihre Schnäbel nach dem Wasser. Sie legen ihre Köpfe in den Nacken, damit es ihre Kehlen hinabfließen kann. Floss beschnüffelt den Boden; wahrscheinlich war ein Fuchs in der Nacht hier. Um mich herum gackern die Hühner, und ich werfe ein wenig von ihrer Futtersaat auf den Boden, da ich gerade keine Küchenabfälle bei mir habe. Ständig bin ich damit beschäftigt, jemanden oder etwas zu füttern oder zu tränken.
Die frische Morgenbrise in meinem Haar fühlt sich gut an. Ich sage mir, dass ich nicht den ganzen Tag im Haus bleiben darf. Es passiert schnell, dass ich mich in die Hausarbeit vergrabe. Es liegt an mir, die Last aufzuteilen. Die Kinder müssen lernen, Aufgaben selbst zu übernehmen. Ich muss meine Familie dazu bringen, die ganze unsichtbare Arbeit zu sehen und wertzuschätzen.
Manchmal sehe ich nur den Haufen Schmutzwäsche auf dem Boden und verliere die in einem ständigen Wandel begriffene Welt da draußen aus dem Blick. Gäste und Besucher halten unser Leben immer für ausgesprochen idyllisch, weil sie an einem sonnigen Tag vorbeikommen, wenn alles grün ist und das Tal atemberaubend anzusehen ist, und wir alle lächeln, doch wir sind wie jede andere Familie auch: Wir müssen hart arbeiten, um unsere Rechnungen zu bezahlen, und die Stimmung eines jeden von uns wechselt wie das Wetter.
Eine Stunde später sind alle anderen aufgestanden, das Haus brummt von elektrischen Zahnbürsten und Geplapper. Das Quad-Bike röhrt in die Einfahrt, Bea springt herunter und kommt ins Haus gelaufen, um ihre Bauernstiefel widerwillig gegen die Schulschuhe einzutauschen. Sie war oben im Stall, um den Welpenwurf von Bess zu füttern – nächstes Wochenende werden sie in ihr neues Zuhause umziehen. Es gelingt mir, das Heu von Beas Pullover zu bürsten, während sie sich auf den Weg zum Auto macht. »Schnell, du kommst sonst zu spät zum Bus«, sage ich. Ich reiche James meine halbe Toastscheibe, als er sich umdreht und ihr zum Auto folgt. »Ich brate dir etwas Speck. Wenn du wieder da bist, ist er fertig.« Ich höre, wie die Mädchen darüber streiten, wer die Schubkarre mit dem Mist hat stehen lassen, ohne sie auszuleeren. Sie müssen versuchen, sich von ihrem Zuhause, der Arbeit auf dem Bauernhof, darauf umzustellen, den ganzen Tag in einem Klassenzimmer zu verbringen, und ich weiß natürlich, was von beidem ihnen lieber ist. Molly steht kurz vor ihren Prüfungen und kann es kaum erwarten, die Schule zu beenden. So wie ich das sehe, gibt es nichts, was sie dort noch halten könnte.
Ich jage Tom durch die Küche hinterher, um ihn anzuziehen. »Ich muss dir das jetzt überziehen, damit du in den Kindergarten kannst – du kannst nicht im Schlafanzug gehen!« Er kichert, als ich ihn packe und kitzle. »Ich will zu Hause bleiben und mit meinen Dinosauriern spielen«, sagt er. »Ja, ich weiß, aber um die Mittagszeit bist du wieder hier, heute ist es nur ein Vormittag. Oma holt dich ab und bringt dich nach Hause. Ich verspreche dir, dass ich deine Spielsachen auf dem Boden nicht anrühren werde. Wenn du zurückkommst, wird alles genauso daliegen wie vorher.« Er verrenkt seinen Körper in alle möglichen Richtungen, um mir das Anziehen zu erschweren. Sobald er seine Socken anhat, führt er halb nackt einen Tanz auf und ist fest entschlossen, den Rest selbst zu machen. Er verheddert sich in seinen langen Ärmeln, als er versucht, seinen Arm durch den Kopfausschnitt seines Oberteils zu stecken.
Nachdem ich ihm geholfen habe, schlage ich drei Eier in einer Schüssel auf, schmelze etwas Butter in der Pfanne und rühre die Eier mit einem Holzlöffel um. Isaac ist damit beschäftigt, seinen eigenen Toast zu buttern. »Stecke bitte eine Scheibe für mich ein«, sage ich und löffle ihm etwas von dem gekochten Ei auf einen kleinen Teller. »Hier, iss, das macht satt.« Tom setzt sich am Tisch auf, als ich ihm eine Schüssel mit Joghurt und sein Lieblingsmüsli mit den »rosa Stückchen« bringe.
Die Grundschule, in die die Jungs gehen, liegt eine Viertelstunde entfernt an der Seestraße. Stunden gehen dafür drauf, diese Strecke zu fahren. An Tagen, an denen ich es als lästige Pflicht empfinde, rufe ich mir in Erinnerung, dass es eine der landschaftlich reizvollsten Straßen in ganz Großbritannien ist. Sobald wir das Dorf hinter uns lassen, eröffnet sich das Bergpanorama, und unter uns glitzert der See in der Sonne. Tom drückt den Knopf des Autofensters, während wir die Straßen hinunterkurven. Er lässt uns wissen, dass er »den Wind der Veränderung« auf seinem Gesicht spüren wolle, und bringt mich und Isaac mit seinem Unfug zum Lachen. Ich kann sehen, wie seine pummeligen Finger die Fensterscheibe umgreifen, weil sie sich nicht vollständig herunterfahren lässt, und wie er seine kleine Nase an die Scheibe presst. Ich bitte die Jungs, mir ein Wort zu nennen, mit dem sich das Wasser heute beschreiben lässt – Tom sagt »tief« und Isaac »glitzernd«.
Ich kenne diese Straße wie im Schlaf. Ich kenne ihre toten Winkel, weiß, wo ich langsamer fahren muss und wo ich beschleunigen kann. Nachdem ich sie zwei- oder dreimal am Tag fahre, ist mir die Strecke in Fleisch und Blut übergegangen. Ich halte Ausschau nach Tommy auf seinem Traktor oder Adam in seinem Pick-up, wenn ich um den großen Felsbrocken fahre, der in einer bestimmten Kurve hervorragt. Dann erreichen wir pünktlich die Schule, und die Jungs stürmen in ihre Klassen, ohne sich noch mal umzublicken. »Ich liebe euch … bis später!«, rufe ich in den Wind. Bei meiner Rückkehr zum Auto spüre ich die seltsame Mischung aus Erleichterung, Freiheit und erdrückender Leere, wie sie wohl jede Mutter kennt.
Auf dem Weg zurück komme ich an Leuten vorbei, die am Ufer stehen und Fotos machen. Ein Paar ist gerade dabei, ein Kajak vom Dach seines Autos herunterzulassen. Der Mann, der jeden Tag die Schwäne in der Glencoyne Bucht füttert, kniet auf seinem Paddelbrett, von den weißen Vögeln umschwärmt. Das Wasser sieht ruhig aus. Ich fahre weiter und erspähe eine Lücke auf einer Rasthaltestelle unweit eines meiner Lieblingsplätze, also halte ich an. Der Boden unter den Bäumen ist übersät mit einem Teppich aus Glockenblumen, der sich von der Straße bis zum Ufer erstreckt. Ich laufe durch das Meer zarter Blüten. Noch vor ein paar Wochen hatten sich die Blumen schlafend unter dem gefrorenen Boden verborgen. Im Frühjahr kamen sie hervor und haben über ihre Blätter die Energie der Sonne aufgenommen, jetzt sind sie aufgegangen und blühen. Und wenn die Blütezeit vorbei ist, werden sie sich in ihre Zwiebel zurückziehen und den Zyklus wiederholen. Wie schön es doch ist, dass etwas so Kleines und Hübsches so widerstandsfähig sein kann.
Ich laufe hinab und lasse mich auf einen Felsen am Ufer nieder. Ich blicke über den Ullswater zu den kleinen, felsigen Buchten und dem Gestrüpp auf den Hallin Fell hinüber. Es ist so friedlich hier. Die Urlaubssaison hat gerade erst begonnen. Das Wasser ist für die Touristen noch zu kalt, um darin zu baden, der Wind zu scharf, um am Ufer zu grillen. Der See umspült sanft die Steine zu meinen Füßen. Über mir sprießen die Äste mit leuchtend grünen Trieben und Blättern.
Ich kann mir diese Pause, diesen Moment des Innehaltens gönnen, weil wir gerade die anstrengende Lämmersaison hinter uns gebracht haben. Es waren sechs arbeitsintensive Wochen im Team, in denen unsere eigenen Bedürfnisse hinter denen der Schafe standen. Die Lämmerzeit führt unsere Kinder nah an den Kreislauf von Leben und Tod heran. Bei unseren drei Ältesten kann ich bereits ein tiefes Verständnis dafür erkennen, was es bedeutet, sich um Vieh und Land zu kümmern. Sie wissen, dass die Welt größer ist als jeder Einzelne von uns und die Natur unsere Anführerin.
Mein Telefon klingelt, ich erkenne die Nummer des Buchhalters, der mir wegen einiger Formulare, die wir bereits unterschreiben und zurückschicken hätten sollen, im Genick sitzt. Ich stecke das Telefon zurück in meine Tasche und habe ein schlechtes Gewissen. Sobald ich zu Hause bin, werde ich ihn anrufen.
Ich fahre zurück zum Hof, die kurvenreiche Straße hinauf, vorbei am Gowbarrow Fell und durch den Ort, und biege in unsere Gasse ein. Ein Lieferwagen kommt heraus. »Ist Ihr Mann da?«, fragt mich der Fahrer.
Ich schaue ihn einen Moment lang an. Er trägt Hemd und Krawatte, mit einem Firmenlogo auf dem Ärmel seines Blazers.
»Warum?«, erwidere ich.
»Nun, ich wollte mit ihm über einen Straßenbelag für Ihre Fahrbahn sprechen – ich könnte ihm ein gutes Angebot machen.«
»Wie viel pro Tonne soll der kosten?«, frage ich, leicht gereizt, weil er mit meinem Mann sprechen will und nicht mit mir. In der Ferne sehe ich James auf dem Traktor, der gerade eine Heuraufe zurück auf den Hof fährt. Er kann Verkäufer nicht ausstehen. Den Mann im Lieferwagen überrascht meine Frage. Er schaut auf ein Klemmbrett mit Notizen und ist um eine Antwort verlegen. Ich komme ihm zuvor und sage: »Die letzte Bestellung, die ich bei Ihnen aufgegeben habe, hat nichts getaugt«, und füge hinzu: »Die hat furchtbar gestaubt, und sehen Sie mal, die Schlaglöcher hat sie auch nicht ordentlich ausgefüllt.«
»Hier haben Sie meine Nummer«, sagt er hastig. Ich nehme seine Karte durch mein Fenster entgegen und werfe sie in den Fußraum.
Dann fahre ich die Straße hinauf zum Haus. Die Hühner picken in den Hochbeeten nach Schnecken, und Floss wartet vor der Tür auf mich.
Ich kann mir nie ganz sicher sein, wie sich mein Tag so entwickeln wird. An manchen Tagen bleibt mir nichts übrig, als in den Kampfmodus zu gehen. Verschiedene Vorkommnisse, die Wetterlage, die Bedürfnisse der Tiere oder meiner Familie nehmen mich ordentlich in die Mangel. Manchmal wird mir das alles zu viel, aber ich versuche, jeden Tag als einen neuen Anfang zu werten und mehr darin zu sehen als nur Hausfrauenarbeit. Ich halte Ausschau nach der Schönheit der Welt um mich herum, versuche, jeden Tag etwas Neues zu lernen. Und ich rufe mir in Erinnerung, dass dieses arbeitssame Leben, das wir uns aufgebaut haben, aus unserer Liebe füreinander entstanden ist. Ich weiß, dass wir schwere Dinge gemeinsam bewältigen können.
Das große, rechteckige Bauernhaus liegt auf einem Hügel mit Blick auf die nächstgelegene Stadt. Es ist von 120 Hektar fruchtbarem Land umgeben, deren Erde eine tiefrote Farbe hat. Meine Großeltern sind 1946 hierhergekommen, den Pachtvertrag haben sie kurz vor ihrer Hochzeit unterschrieben. Großvater war ein großer, breitschultriger Mann, der immer ein einfaches Hemd und eine Jacke trug, dazu eine graue Hose, die von zwei Hosenträgern gehalten wurde, die sich über die beiden Seiten seines üppigen Bauchs spannten. Ich habe ihn nie in schmutziger Kleidung gesehen. Landwirte erwarben sich ihr Ansehen und den Respekt ihrer Mitmenschen zu jener Zeit durch die Qualität der Tiere, die sie züchteten, etwas, das jeder auf den ersten Blick erkannte, auch wenn er vielleicht nicht erklären konnte, woran er es genau festmachte. Man sah es am glänzenden Fell der Pferde, an der Größe und Gesundheit der Rinder und den Prachtexemplaren, die sich am Verkaufstag unter den Schafen fanden. Großvater war ein gestandener Landwirt, aber vor allem war er ein Pferdemensch. Er war weit und breit bekannt für die Zucht von reinrassigen und preisgekrönten Clydesdale-Pferden. Jeden Donnerstag putzte meine Großmutter das Silber in der Vitrine im Wohnzimmer. Sie war voller Trophäen, darunter eine für den Titel des männlichen Siegerpferds bei der Royal Highland Show, das den Namen Bell Mount Ideal trug. Einmal kam ein Mann am Bahnhof an und trug einen Koffer voller Geld den ganzen Weg bis zum Hof. Er kaufte eine Stute, mit der er zurück nach Neuseeland wollte. In den 1950er- und 1960er-Jahren exportierte Großvater Pferde nach Kanada. Er reiste zur Wintermesse in Toronto und sah sich in der Arena die Pferde an ihren Gespannen an.
Großmutter erzählte uns immer von den weit entfernten Orten, an denen sie gemeinsam gewesen waren, doch sie klang traurig darüber, dass sie die Städte und Ortschaften selbst nie wirklich besucht und keine der Sehenswürdigkeiten zu Gesicht bekommen hatten. Stets sind sie direkt zu den Ausstellungen oder Viehauktionen und dann schnurstracks wieder nach Hause gefahren – nur wenn es unbedingt notwendig war, machten sie Halt in einem Hotel.
Großmutter war eines von acht Kindern und ist auf einem kleinen Hof aufgewachsen, auf dem auch Pferde gehalten wurden. Sie erinnerte sich daran, wie sie in den nächsten Ort gerannt war, um den Arzt zu holen, als ihre Mutter ihre jüngste Schwester zur Welt brachte. Der Arzt kam mit seinem Pferdewagen, um bei der Geburt zu assistieren, und traf gerade noch rechtzeitig ein, um das Kind zu retten. Meine Urgroßmutter war klein und trug ihr graues Haar zu einem Dutt; auf den alten Schwarz-Weiß-Fotos trägt sie eine kleine Brille mit kreisförmigen Gläsern. Die Kinder halfen alle auf dem Hof mit, sie melkten die Kühe, stellten Butter und Käse her, hackten und ernteten Kartoffeln, wuschen und kochten. Großmutters Traum war es gewesen, Lehrerin zu werden. Doch dann entschied sie sich für die Ehe: Großvater tauchte auf der Bildfläche auf, als sie 30 war, und bewahrte sie davor, »eine alte Jungfer« zu werden. Zwei ihrer Geschwister waren unverheiratet geblieben; sie übernahmen den Hof der Familie und lebten den Rest ihres Lebens zusammen. Großvater war sehr still, als er Großmutter das erste Mal begegnete. Alle sagten, er sei sehr schüchtern und nicht gerade ein Romantiker gewesen, aber er konnte ihr eine solide Zukunft bieten. Innerhalb weniger Jahre bekamen sie drei Kinder.
Mit der Landwirtschaft ließ sich in den 1950er- und 1960er-Jahren gutes Geld verdienen, und Großmutter gefiel es, den Status einer namhaften Bäuerin zu haben. Bald konnten sie es sich leisten, das Haus einzurichten, das zum Zeitpunkt ihres Bezugs noch leer gestanden hatte. In den 1960ern besuchten sie Tanzveranstaltungen, sie besaßen ein großes Auto und verbrachten die Tage mit Freunden bei Pferderennen. Großmutter trug einen Nerzmantel und funkelnden Modeschmuck, und Großvater sah groß und elegant in seinen Anzügen aus. Ich bekam nur das Ende ihrer glorreichen Tage mit, und als ich älter wurde, wurde mir klar, dass er nicht immer nett zu ihr war. Es war keine große Liebesgeschichte. Jeder wusste, wie schwer das Zusammenleben mit ihm war. Er saß in der Küche und ließ sich von ihr bedienen, und er trank viel. Familie und Freunde waren ihr Rettungsanker; jeden Dienstag, wenn er auf einer Auktion und später in der Kneipe war, erledigte sie die Einkäufe und aß mit ihren Freundinnen und Schwägerinnen zu Mittag. Als Kinder nannten wir diese Damen alle »Tantchen«, unabhängig davon, ob sie mit uns verwandt waren oder nicht. Tantchen Doris, Tantchen Edna, Tantchen Renee, Tantchen Marian, Tantchen Peggy. Zwischen diesen leidgeprüften Landfrauen bestand eine Art von Schwesternschaft. Großmutter traf sich auch regelmäßig mit ihrer besten Freundin Mary Muir, die roten Lippenstift trug und ihre Zigaretten in einer schicken Zigarettenspitze rauchte. Sie tranken Brandy und spielten Karten zusammen. Es macht mich glücklich, wenn ich zurückblicke und daran denke, dass es auch gute Freundschaften und etwas Spaß und Glamour in ihrem Leben gab.
Dad kann sich an die Geburtstagspartys all seiner Cousins erinnern. Sie spielten Spiele, die Tische bogen sich vor Essen. Dad war das jüngste von drei Kindern und ging mit 15 Jahren von der Schule ab, um auf dem Hof zu arbeiten. Nachdem sein älterer Bruder Norman an Arthritis erkrankt war und noch vor seinem zwanzigsten Geburtstag erblindete, hatte er keine andere Wahl. Das war für alle ein Schock gewesen. Großmutter kümmerte sich um Onkel Norman, und er lebte bei ihnen, als sein Gesundheitszustand sich verschlechterte und die Arthritis ihn an den Rollstuhl fesselte. Obwohl Dad den Hof mehrere Jahre lang geführt und die ganze Arbeit erledigt hat, behandelte Großvater ihn nicht besser als die angestellten Hilfskräfte. In seinen Augen war Dad der Knecht, und er war der Boss. Schon in meinen frühesten Erinnerungen hatte ich den Eindruck, dass sie sich nicht mochten. Großvater kritisierte Dad, wenn die Dinge nicht nach seinen Vorstellungen liefen, und suchte immer nach irgendwelchen Fehlern. Mum und Dad hinter seinem Rücken über den mürrischen alten Mann schimpfen zu hören, bildet den Soundtrack meiner Kindheit.
Wir hatten eine Herde schwarz-weißer Friesenkühe, die zu Dads ganzem Stolz wurden. Jeden Morgen stand er in aller Herrgottsfrühe zum Melken auf, und ging am Nachmittag noch mal zu ihnen. Zum Abendessen war er stets um 18 Uhr zurück im Haus. Er stand mitten in der Nacht auf, um nach einer Kuh zu sehen, wenn sie kalbte, und wich ihr erst von der Seite, wenn er sicher sein konnte, dass alles in Ordnung war. Das Jahr folgte einem festen Ablauf: Fütterung der Schafe und Rinder in den Ställen in den Wintermonaten, Ablammen und Kalben im Frühjahr, Herstellung von Silofutter im Mai, Heuzeit im Juli, Verkaufszeit im Herbst. Dad hielt eine Herde von 100 Truthähnen, die er an Weihnachten verkaufen würde. Seit meinem siebten Lebensjahr etwa half ich beim Abwiegen der Truthähne und beim Organisieren der Bestellungen. Nachdem sie im Stall getötet, gerupft, aufgehängt und ausgenommen worden waren, legten wir die ofenfertigen Vögel auf große Sandsteintische im kühlen Keller unseres Bauernhauses. Von der Küche führte eine schmale Steintreppe ins Untergeschoss, und ich hatte immer Angst hinzufallen, weil es so dunkel war und kein Geländer gab. An den drei Tagen vor Weihnachten pflegte Großvater mit den Bauern, die die Truthähne abholten, zusammenzusitzen und Whisky zu trinken. Die Männer vergaßen die Zeit, tranken vergnüglich einen Whisky nach dem anderen und tauschten mit Großvater Geschichten aus. Die Ehefrauen standen derweil in unserer Küche herum und sagten Dinge wie: »Wir können nicht lange bleiben …«. Sie unterhielten sich mit Mum darüber, wie viel sie zu Hause zu tun hatten, behielten ihre Mäntel an, ereiferten sich über das Geschwätz ihrer Männer und machten einen ziemlich frustrierten Eindruck. Es gab eine Tasse Tee nach der anderen und hausgemachte Mince Pies, in der Spüle türmte sich der Abwasch. Und ich erinnere mich an eine Tupperdose, die in einer Schublade der Kommode aufbewahrt und in die das ganze Geld gestopft wurde. Am Ende des Tages öffnete Großvater diese, faltete die Pfundnoten zusammen und steckte sie in seine Jackentasche. Mum beschimpfte ihn wüst und schlug die Tür zu. Sie und Dad machten die ganze Arbeit, und er nahm sich das Geld.
Am liebsten habe ich die Kälber im Freien gefüttert. Ich rührte ihr Milchersatzpulver mit warmem Wasser an und fand es toll, wie sie mit ihren rosafarbenen Schnauzen schnupperten und ihre Zungen die grauen Metalleimer ausschlürften. War es ungewohnt für sie, aus einem Eimer zu trinken, steckte ich meine Finger hinein und ließ sie daran lutschen, bis sie das Prinzip verstanden hatten. Was ich gar nicht mochte, war, wenn wir sie enthornen mussten und Dad einen Gasbrenner auf ihre winzigen Hornknospen drückte. Manchmal hielt ich ihre Köpfe fest, doch ich hasste den brennenden Geruch.
Als ich drei Jahre alt war und wir auf den Hof zogen, gab es nur noch eine Stute. Sie stand auf der vorderen Wiese, und ich beobachtete sie gern, aber sie war groß und überragte mich, sobald ich mich in ihre Nähe wagte, und ich traute mich nicht, sie zu bürsten. Als sie fohlte, wurde sie verkauft, weil Großvater zu alt geworden war, um sich noch um die Pferde zu kümmern. Dad mochte keine Pferde – er meinte, sie fielen einem nur zur Last, wenn es echte Arbeit zu tun gäbe. Als ich jedoch acht oder neun war, wollte ich unbedingt ein Pony haben. Jeden Abend legte ich ein Buch mit dem Titel Show Pony unter mein Kopfkissen. Ich träumte davon, bei einer regionalen Pferdeschau auf dem Siegerpony zu reiten, wie alle in einem schicken Reiterdress. Ich brachte Stunden damit zu, Geschichten über Mädchen zu lesen, die Abenteuer auf dem Rücken eines Pferds erlebten. Aber ich konnte meine Eltern nicht dazu überreden, Reitstunden nehmen zu dürfen. Dad sagte immer, dass er Pferde nicht leiden könne. Erst als ich wesentlich älter war und über all das nachdachte, wurde mir klar, dass dies vielleicht mit dem schmerzhaften, traurigen Umstand zu tun hatte, dass Großvater immer so nett zu den Pferden war und so grob zu ihm.
Nachdem er ein Jahr lang mein inständiges Bitten und Betteln vernommen hatte, stimmte Dad schließlich zu, ein Pony zu überwintern. Wir liehen es uns für ein paar Monate von Dads Cousin, der in der Nähe ein Trekkingzentrum betrieb. Das Pony hörte auf den Namen Pearl. Ich bürstete es mit großer Begeisterung und versuchte verzweifelt, sein wuscheliges Fell zu bändigen, aber es sah irgendwie immer zerzaust aus, egal was ich tat. In diesem Winter ritt ich mit Pearl nur ein paarmal auf unserem Hof auf und ab. Dad führte mich, bevor er zum Melken musste.
Im Familienalbum gibt es ein Foto von mir mit meinem Großvater. Ich bin ein Baby, das in dem Moment, in dem das Foto aufgenommen wurde, eingewickelt in eine Decke auf seinem Schoß sitzt, er lächelt gequält. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er jemals so richtig Notiz von mir genommen oder etwas Nettes zu mir gesagt hat, und war auch nicht besonders traurig, als er starb. Ich war mir nicht sicher, ob ich bei seiner Beerdigung weinen sollte – niemand sonst vergoss auch nur eine Träne. Dass sein eigener Vater gestorben war, als er acht Jahre alt war, erfuhr ich erst viel später. Erst jetzt, als Mutter, stelle ich mir meinen Großvater als kleinen Jungen vor, wie er seinen Vater verlor, und ich weiß, wie schwer das für seine Mutter gewesen sein muss. Als Junge hatte er auf kalten Feldern Rüben geerntet, den Boden gepflügt, indem er hinter einem Gaul herstapfte, und Schweinen die Kehle durchtrennt, um das Blut in Pfannen aufzufangen, woraus seine Mutter dann Blutwurst zubereitete. Bauernjungen wie er mussten harte Arbeit leisten. Er war rasch zu einem starken Arbeiter herangewachsen und stolz darauf, einen eigenen Hof zu besitzen und mit seinen Pferden Turniere zu gewinnen. Das Familienleben schien ihm fremd zu sein. Er verstand viel von Landwirtschaft, aber vielleicht nicht viel von der Liebe.
Bis zu meinem dritten Lebensjahr wohnten wir in einem Bungalow, der etwas mehr als einen Kilometer vom Hof entfernt lag. Meine Eltern sprachen die ganze Zeit über den Hof, wobei Mum und ich eigentlich nicht sehr oft dort waren. Sie spielte viel mit mir und meinem kleinen Bruder, wir machten Kaffeekränzchen und Picknicks und backten in den Blumenbeeten Schlammkuchen. Es machte viel Spaß mit ihr. Der Garten hinter dem Bungalow war vielleicht 70 Fuß lang, aber er kam mir so groß vor, dass ich mich nicht bis zum anderen Ende traute. Einmal schreckte Mum einen schlafenden Fuchs im Gartenschuppen auf. Ein anderes Mal rettete sie eine Brieftaube mit einem gebrochenen Flügel, und wir fütterten sie mit Vogelfutter, das wir in der Tierhandlung gekauft hatten. Sie hielt die Taube ein oder zwei Wochen lang auf der Veranda, doch wir hatten eine schwarz-weiße, flauschige Katze namens Dandy, die Mum im Verdacht hatte, sie könnte den Vogel töten, wenn wir die Verandatür öffneten, also stauchte sie jeden zusammen, der rausging, ohne dass sie die Katze vorher in ein anderes Zimmer bringen konnte. Die Taube erholte sich vollständig, und Mum machte anhand der Nummer auf dem Ring den Besitzer ausfindig.
Der Bungalow war das erste Haus von Mum und Dad, doch irgendwie war es doch nicht ihr Haus, denn es gehörte zum Hof. Der Plan war, dass meine Großeltern dort ihren Lebensabend verbringen würden, also musste alles gemeinsam und in Abstimmung entschieden werden. Familienbetriebe funktionieren oft so – jeder geht jeden etwas an. Als wir schließlich das Haus mit meinen Großeltern tauschten, hatte es nach außen den Anschein, als wäre Dad jetzt der Chef, doch Großvater hatte noch immer das Sagen. Jeden Morgen saß er am AGA-Herd in unserer Küche und erkundigte sich, wie viele Lämmer wir bekommen hätten, ob Dad den Mist verteilt oder Truthähne bestellt hätte. Dad war so damit beschäftigt, Auskunft zu geben, dass er kaum sein Frühstück essen konnte. Wenn Großvater da war, ging ich ihm aus dem Weg.
Mums Leben gehörte nicht mehr ihr; den Hofbetrieb zu managen und die Landarbeiter und uns Kinder zu verköstigen, war ein Fulltime-Job. Außerdem musste sie sich um einen großen Garten kümmern. Die frisch ausgegrabenen Kartoffeln und Möhren mussten geschrubbt, die Erbsen geschält und Himbeeren, Rhabarber, Pflaumen und Äpfel zügig verarbeitet werden, die alle zur gleichen Zeit reif waren. Kohlköpfe wurden in die Küche gebracht, von denen jemand die zappelnden kleinen grünen Raupen auflesen musste. Mum meinte, sie habe schon immer Bäuerin werden wollen, aber ich glaube, ihre Vorstellung war eher die, ein paar Hühner zu halten und im Freien zu arbeiten; die Gartenarbeit kam dem noch am nächsten. Die Arbeiten auf dem Hof wurden ausschließlich von den Männern erledigt. Meine Mutter hatte keine andere Möglichkeit, als eine Hausfrau in Vollzeit zu sein.
Ich stehe am Tisch auf einem Stuhl und trage eine marineblaue Cord-Schürze mit bronzefarbenen Schnallen, die meine Großmutter für mich genäht hat, dazu eine flaschengrüne Strumpfhose, meine langen T-Shirt-Ärmel sind hochgekrempelt. Mum stellt eilig Sachen auf den Tisch. Ich drehe am Griff des Fleischwolfs, während sie Stückchen einer Orangenschale und die weiße Innenhaut in die Öffnung steckt. Ich versuche es ihr nachzumachen. »Steck’ deine Hand da nicht rein!«, schimpft sie. In der Küche herrscht das reinste Chaos. Der Fleischwolf ist an einer Kante des Tischs festgeschraubt. Damit er keine Spuren auf dem Tisch hinterlässt, ist darüber und darunter Zeitungspapier mit einer Klammer befestigt. Der Rest des Tischs ist mit einem alten, abwaschbaren Wachstuch eingedeckt. Braun lasierte Schüsseln von Mason Cash sind gefüllt mit zerkleinerten Schalen und dem gewürfelten Fruchtfleisch von Orangen. In den Saftschüsseln liegen mit Kernen und Orangenhaut gefüllte und in Mulltuchbinden verschnürte Bündel. Gleich ist es Zeit, mit dem Einkochen zu beginnen. Wenn wir Marmelade machen, müssen alle anderen Arbeiten und das Essen warten.
Ich erinnere mich an diesen Nachmittag, als wäre es gestern gewesen. Es war ein paar Wochen nach Weihnachten, aber die Kisten mit dem Weihnachtsschmuck standen immer noch am Treppenabsatz. Mum hatte alle Zimmer im Haus hektisch geputzt, angefangen von oben bis ganz nach unten. Jeden Dienstagmorgen stellte sie das Putzen ein, und wir fuhren zum Gemüseladen in die Stadt, um nachzusehen, ob die Orangen eingetroffen waren. An diesem Morgen waren wir mit etwas Verspätung aufgebrochen, weil Dad ihre Hilfe beim Kalben einer Kuh gebraucht hatte und erst spät zum Frühstücken gekommen war. Zur Kaffeezeit rief Großmutter an und sagte: »Ich habe meine Orangen bekommen, habt ihr eure schon geholt?« Aufgeregt drängte Mum uns zum Aufbruch und sagte, sie hoffe, nicht zu spät dran zu sein, da sie von ihrer Schwiegermutter nicht »vorgeführt« werden wolle. Als wir beim Gemüseladen ankamen, reihten wir uns in eine Schlange mit ein paar anderen ungeduldigen Frauen ein. Mum beruhigte sich, als sie den Stapel mit den frisch gelieferten Kartons auf dem Boden stehen sah; sie zeigte in die Ecke und sagte leise zu mir: »Darum sind wir hier.« Der Gemüseladen war ein schmaler kleiner Laden, der von einem Ehepaar geführt wurde, das intuitiv zu wissen schien, was man wollte, schon wenn man zur Tür hereinkam. Ihre Tage verbrachten sie damit, alten Damen zwei oder drei Birnen in Papiertüten zu stecken und die Tüten auf magische Weise zu drehen und zu wenden, ohne dass ihnen Früchte herausfielen. Ich fand es toll, ein paar Kirschen in meine braune Papiertüte zu bekommen, und während wir durch die Stadt liefen, um den Rest der Einkäufe zu erledigen, spuckte ich die Steine zurück in die Tüte. An diesem Tag verließen wir den Laden triumphierend mit drei Kisten voller noch fest und hart aussehenden Orangen, die eine knorrige und unebene Schale hatten und an denen noch ein oder zwei Blätter hingen. Sie sahen nicht besonders ansprechend aus und waren für den Verzehr zu bitter. Als Kind wusste ich nicht, woher diese Orangen kamen. Der Aufdruck »Sevilla-Orangen« auf der Verpackung sagte mir nichts. In den Kartons befanden sich auch noch eine Handvoll Zitronen und ein paar Packungen Zucker, die wir im Supermarkt gekauft hatten.
Mum zog noch nicht einmal ihren Mantel aus, als wir von unserem Ausflug in die Stadt zurückkamen; sie meinte, Großmutter würde »gleich hier sein«, also versuchte sie stets, ihr einen Schritt voraus zu sein. Sie ging direkt zum Schrank unter der Treppe, schob den Weihnachtsschmuck beiseite und durchkramte Puzzles, Spiele und alte Mäntel, bis sie eine klappernde Schachtel mit Gläsern hervorholte. Dann eilte sie zurück in die Küche und wusch alle Gläser mit heißem Seifenwasser aus, während ich mit meinen Fingernägeln die Etiketten vom letzten Jahr abkratzte. Im Anschluss stellte sie diese in Schüsseln, um sie im Ofen zu sterilisieren, während sie sich an die Arbeit machte. Die Gläser wurden jedes Jahr wiederverwendet, und Mum hatte ihre Favoriten. Es gab eine Vielzahl von Formen und Größen, und wenn sie ein abgefülltes Glas von ihrem kostbaren, orange leuchtenden Schatz verschenkte, wurde von den Leuten erwartet, dass sie das Glas zurückgaben. Wer das nicht tat, bekam auch keines mehr.
Großmutter kam mit ihren eigenen Kisten voller Orangen an und machte sich ebenfalls an die Arbeit. Die beiden würfelten, hackten, zerschnitten und entkernten die Früchte, und ich half dabei, den Zucker abzuwiegen und die Zitronen auszupressen. Spritzte der Saft gelegentlich in meine Augen, zuckte ich zusammen. Es geschahen so viele verschiedene Dinge auf einmal. Großmutter hatte das Sagen und wies Mum an, was sie als Nächstes tun solle. Ich war der kleine Helfer in dieser großen, geheimnisvollen Angelegenheit. Man trug mir auf, eine Untertasse in den Gefrierschrank zu stellen, ohne dass ich so recht verstand, warum. Die beiden sprachen nicht viel miteinander; es ging nur darum, voranzukommen. Großmutter war nett zu mir und brachte mir all die Fähigkeiten bei, die sie im Lauf der Jahre erworben hatte. Sie war eine Expertin im Umgang mit Nadel und Faden und zeigte mir, wie man stickt und alle möglichen Dinge aus Stoff herstellt, oft unter geringem Materialaufwand. Doch als ich älter wurde, nahm ich auch eine ganz andere Seite an ihr wahr: Sie war ziemlich herrisch und sehr gut darin, alle um sie herum dazu zu bringen, das zu tun, was sie wollte. Während sie in den ersten Tagen, als meine Mum den Hof übernahm, nett zu ihr zu sein schien, wurde mir später klar, dass es da einen unausgesprochenen Verhaltenskodex gab, dem sie sich zu beugen hatte.
Nach einer Weile wurde ein Löffel der sehr heißen, goldenen Flüssigkeit auf die gefrorene Untertasse geschöpft und für ein oder zwei Minuten zum Abkühlen nach draußen auf die Fensterbank gestellt. Dann kam der Moment der Wahrheit … Großmutter schabte mit ihrem Finger über die Unterfläche und schob den Klecks vorsichtig auf. Ihre Finger waren kurz und stummelig wie meine, und sie trug einen schlichten goldenen Ehering; ihre kräftigen Hände waren es gewohnt zu arbeiten. Die Marmelade hatte eine Haut gebildet: Das Gelee war fest geworden, es war fertig. Mum schöpfte es mit einer Kelle aus dem Topf und goss diese durch einen Trichter in die abgekühlten Gläser. Ich bat darum, die weißen Klebeetiketten beschriften zu dürfen, aber Mum übernahm das selbst und notierte fein säuberlich das Datum. Stattdessen zeigte mir Großmutter, wie man die kleinen runden Wachsscheiben auflegt, und erklärte mir, dass damit der Deckel versiegelt werde, damit keine Luft an das Obst gelangt und es nicht schimmelt. Wie meine Großmutter, benutzte auch meine Mutter immer dünne Marmeladendeckel aus Kunststoff und Gummibänder, um die Gläser zu verschließen, und nicht den Gingham-Stoff, den ich in den Geschäften bewundert hatte und der mit einer Zackenschere in Kreise geschnitten wurde, um einen gefalteten Rand zu erhalten.
Sobald die Gläser abgekühlt waren, wurden sie in den Vorratsregalen aufgereiht. Die Arbeit für ein weiteres Jahr war gemacht.
Bis ich in meinen Zwanzigern war, habe ich Marmelade gar nicht so viel abgewinnen können. Vielleicht lag es daran, dass ich als Kind so viel davon gegessen habe – endlos viele knatschige, klebrige Marmeladensandwiches in meinen Schulpausen. Für mich bedeutete Marmelade immer reichlich Arbeit und zudem eine Menge Stress – hatte meine Mutter eine weitere von Großmutters Bewährungsproben in der Bauernküche bestanden? Erst viel später in meinem Leben brachte ich sie mit der köstlichen, würzigen Konfitüre in Verbindung, wie sie in den Feinkostläden verkauft wird. Die Herstellung von Marmelade war für mich kein Vorgang, der Spaß machte und dessen Wissen man weitergeben konnte. Wenn ich jetzt eine gute Marmelade probiere, sehe ich mich sofort wieder in dieser Küche an der Seite dieser beiden Hoffrauen stehen.
GRANNY PYPERS MARMELADE
Wollen Sie Marmelade mit etwas mehr Biss haben, hobeln Sie auch die Schale einer Zitrone oder einer anderen Zitrusfrucht in Streifen und mischen Sie sie unter die Orange.
Zutaten:
1,4 kg Sevilla-Orangen
3 Zitronen
3 l kaltes Wasser
3 kg Zucker (570 g auf 570 ml)
Vorbereitungszeit: 1 Stunde 30 Minuten
Kochzeit: 1 Stunde
Ergibt 12 Gläser (je 454 g)
Zubehör:
Ein großer Topf, eine Auswahl von 12 Gläsern mit Deckeln oder eine Packung Zellophan-Deckel mit Wachsscheiben und Etiketten (erhältlich in der Konservenabteilung im Supermarkt oder im Internet) – ein Mullbindetuch, etwas Schnur, ein Holzlöffel, ein Messbecher, eine große Schüssel, ein Fleischwolf oder ein Schneidebrett sowie ein Messer, ein Sieb, eine Untertasse oder ein kleiner Teller.
Zubereitung:
Die Gläser in heißem Seifenwasser waschen, gut ausspülen und 10 Minuten lang im Ofen bei 180 °C/Umluft bzw. Gas Stufe 3 erwärmen, um etwaige Keime abzutöten. Die Gläser vor dem Abfüllen nochmals aufwärmen; kochend heiße Marmelade kann ein kaltes Glas zum Bersten bringen.
Die Orangen mit einem Messer oder einem Handschäler schälen und halbieren. Die Zitronen ebenfalls halbieren, ohne sie jedoch zu schälen.
Den Saft der Orangen und Zitronen auspressen und in einen Krug oder eine Schüssel sieben.
Kerne und Fruchtfleisch aus dem Sieb nehmen und in ein Mullbindetuch geben, dann mit einer Schnur zusammenbinden.
Die weiße Innenhaut von den ausgepressten Orangenhälften abziehen und durch einen altmodischen Fleischwolf drehen oder in Scheiben schneiden und kleinhacken. Je nach Vorliebe für einen intensiveren oder milderen Geschmack grob oder fein hacken.
Die Zitronenhälften, die Orangenschale und den Mullbindebeutel mit den Kernen zusammen mit dem abgesiebten Saft in einen Topf mit Wasser geben. Den Inhalt über Nacht ziehen lassen oder gleich mit dem nächsten Schritt fortfahren.
Die Mischung zum Kochen bringen und ca. 40 Minuten köcheln lassen (einschließlich des Stoffbeutels mit den Kernen).
Abkühlen lassen und grobe Stücke, falls gewünscht, mit einem Schaumlöffel abschöpfen.
Sobald der Inhalt abgekühlt ist, den Beutel mit den Kernen über der Pfanne ausdrücken, um das Pektin (ein natürliches Verdickungsmittel) freizusetzen. Das Pektin mit einem Löffel oder Messer abschaben und zurück in die Mischung rühren.
Eine Untertasse oder einen kleinen Teller in den Gefrierschrank legen.
Die Mischung in einem Messbecher abmessen und auf 570 ml Flüssigkeit, die in den Topf zurückgegeben wird, 570 g Zucker hinzufügen.
Die Mischung erneut zum Kochen bringen und 10 Minuten lang umrühren.
Einen Teelöffel der Flüssigkeit auf die kalte Untertasse geben, um zu prüfen, ob sie fest wird. Eine Minute lang ruhen lassen. Beim Eindrücken mit dem Finger sollte sich eine faltige Haut bilden. Wenn das nicht der Fall ist, den Teller wieder in den Gefrierschrank stellen und die Marmelade weitere 5 Minuten kochen lassen. Auf diese Art weiterverfahren, bis die Marmelade auf dem Teller Falten wirft.
Die Marmelade in vorgewärmte, sterilisierte Gläser füllen, eine Wachsscheibe auf den Glasrand legen und entweder mit einem Stoff- oder Zellophandeckel – diese sind normalerweise in der Packung mit den Wachsscheiben und Gummibändern enthalten – oder einem Marmeladendeckel verschließen.
Die Gläser mit dem Einmachdatum beschriften. Wenn die Marmelade richtig sterilisiert und versiegelt und an einem kühlen, trockenen Ort aufbewahrt wird, ist sie über ein Jahr haltbar.
Als ich klein war, ging Großmutter ständig in unserer Küche ein und aus. Kurz vorher war es natürlich ihre Küche gewesen. Aber sie und Mum arbeiteten nicht Seite an Seite, abgesehen von der Zubereitung der Marmelade oder des Weihnachtskuchens, der jedes Jahr gebacken wurde. Damals wusste ich noch nicht, dass meine Mutter diese Art von Arbeit noch nie gemacht hatte. Sie war hier in einer Welt angekommen, in der alle Frauen all die Dinge zu wissen schienen, die Frauen wie sie wissen sollten, doch irgendwie hatte sie dies nie eingeschüchtert. Sie verfügte über so gut wie keinerlei Kochkenntnisse, ihre Mutter hatte ihr nichts dergleichen beigebracht. Durch eine Mischung aus schnellem Lernen und Improvisation hatte sie die ersten Jahre auf der Farm gut überstanden. Ich hörte sie oft vor sich hingrummeln, wenn Großmutter mit ihren gut gemeinten Ratschlägen über das Ziel hinausgeschossen war. Als ich dann im Teenageralter war, hatte Mum gelernt, einen besseren Weihnachtskuchen zu backen als Großmutter, und alle liebten ihre Marmelade. Jedes Jahr im Januar stand sie oft bis spät in die Nacht in der Küche, und wenn Großmutter sie fragte: »Hast du deine Orangen schon bekommen?«, erschien sie mit ein paar Gläsern, die sie in der Woche zuvor eingemacht hatte, und sagte beiläufig: »Ja, möchtest du welche?«
Mein Vater hat nie etwas selbst gekocht – außer einen Pudding, von dem er behauptete, er könne ihn besser als meine Mutter. Er hatte gelernt, sich diesen einmal in der Woche selbst zuzubereiten, denn immer dienstags, wenn meine Großmutter zum Einkaufen ging und sich mit ihren Freundinnen in der Stadt traf, setzte sie den Männern ein kaltes Mittagessen vor. Großvater verzog sich in der Zeit für gewöhnlich ins Agricultural Hotel und kippte sich einen hinter die Binde, irgendwann fuhr sie ihn nach Hause. Daher kam dienstags immer ein Teller mit Brot, kaltem Schinken, Rindfleisch oder Käse mit einer halbierten Tomate auf den Tisch, alles kräftig mit Salz und Pfeffer gewürzt. Im Anschluss gelüstete es die Männer noch nach einem Stück Kuchen oder Obst aus der Dose mit Pudding, damit es eine »gescheite Mahlzeit« wurde.
PUDDING
HAUSGEMACHTER PUDDING
Zutaten:
570 ml Vollmilch
200 ml Schlagsahne (Doppelrahmstufe)
1 TL Vanillezucker oder eine Vanilleschote
4 große Eigelb
3 EL Speisestärke
100 g Feiner Zucker
Vorbereitungszeit: 10 Minuten
Kochzeit: 25 Minuten
Ergibt ca. 800 ml
Zubereitung:
Milch und Sahne in einen Topf gießen und die Vanille hinzufügen. Bei Verwendung einer Vanilleschote die Schote mit einem scharfen Messer aufschneiden und das Mark auskratzen, beides zusammen in die Milch-Sahne-Mischung geben.
Das Milchgemisch bei mittlerer Hitze erwärmen. Zum Köcheln bringen, aber nicht aufkochen.
In einer Schüssel Eigelb, Speisestärke und Zucker miteinander verquirlen.
Das Milchgemisch kurz vor dem Aufkochen für 2 Minuten von der Herdplatte nehmen. Falls eine Vanilleschote verwendet wurde, diese vorsichtig herausnehmen; wenn man sie wäscht und trocknet und in ein Glas mit Zucker gibt, lässt sich nebenbei noch Vanillezucker herstellen.
Das Milchgemisch über die Paste aus Ei, Speisestärke und Zucker gießen und unter Rühren etwa 20 Minuten lang erwärmen, bis die Masse eindickt. Sofort servieren oder die Schüssel mit Frischhaltefolie abdecken, damit sich keine Haut bildet. Abkühlen lassen und abgedeckt bis zu drei Tage im Kühlschrank aufbewahren.
PUDDING AUS PUDDINGPULVER
Ergibt ca. 570 ml
Zutaten:
570 ml Vollmilch
2 gehäufte EL Puddingpulver
1 EL Zucker
Zubereitung:
Die Milch in einen Topf gießen.
In einer Schüssel das Puddingpulver und den Zucker mit 2 bis 3 EL der Milch aus dem Topf zu einer Paste verrühren.
Die Milch zum Kochen bringen, bis sie im Topf aufsteigt, dann von der Herdplatte nehmen und unter raschem Rühren in die Paste in der Schüssel gießen. Der Inhalt sollte zügig eindicken.
Vor dem Servieren 2 bis 3 Minuten ruhen lassen.
MAKRONEN (ZUR VERWENDUNG DES EIWEIß)
Zutaten:
2 Eiweiß
125 g gemahlene Mandeln
175 g Feiner Zucker
1/2 TL Mandel- oder Vanilleessenz
Vorbereitungszeit: 20 Minuten
Backzeit: 10 Minuten
Ergibt 24 Stück
Zubereitung:
Den Backofen auf 170 °C/Umluft bzw. Gas Stufe 2 vorheizen.
Das Eiweiß in einer sauberen, trockenen Schüssel zu einem steifen Schnee aufschlagen.
Die gemahlenen Mandeln, den Zucker und das Aroma mit einem Löffel unterheben, bis alles gut vermischt ist.
Auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech in gleichmäßigen Abständen aus der Mischung Kleckse à 12 g geben und im Ofen 10 Minuten lang backen, bis sie leicht gebräunt sind und sich fest anfühlen. Die Kruste härtet beim Abkühlen aus.
Abkühlen lassen und in einer luftdichten Dose aufbewahren.
Die Mahlzeiten waren ein fester Bestandteil im Tagesablauf. Da sie keinerlei Erfahrungen mitbrachte, musste Mum sich in dem großen Bauernhaus irgendwie zurechtfinden und alle anfallenden Arbeiten meist selbst erledigen. Sie hatten kein Geld, um ein Dienstmädchen zu bezahlen, das auf dem Dachboden wohnte, wie es zu Großmutters Zeiten der Fall gewesen war. Das Leben änderte sich. Mum weigerte sich irgendwann, den Männern jeden Tag um zwölf Uhr mittags ein gekochtes Essen auf den Tisch zu stellen. »Genug ist genug«, hörte ich sie sagen. Sie teilte den Landarbeitern mit, dass sie sich selbst Lunchpakete mitbringen sollten, und wies meinen Großvater an, sein Essen zu Hause zu sich zu nehmen. Dad bekam ein Käsesandwich und einen Pudding (falls er sich selbst welchen gemacht hatte). Als Nächstes teilte sie meinem Großvater mit, dass er nicht einfach so in »ihre« Küche kommen und so lange, wie er wollte, neben dem Herd sitzen könne. Ich war froh darüber, denn ich mochte es nicht, ihn im Haus zu haben. Ein paar Jahre später kam Großmutter nur noch freitags vorbei, um sich von Mum die Haare machen zu lassen. Während sie sich mit einem Handtuch um die Schultern über die Küchenspüle beugte, schüttete Mum ihr eine Schüssel mit Wasser über den Kopf und rieb Shampoo in ihr graues, lockiges Haar. Großmutter wirkte auf mich immer viel älter, wenn sie sich mit nassen Haaren zu mir umdrehte. Ärgerte sich Mum über sie, konnte das Wasser versehentlich zu heiß oder zu kalt sein. Im Anschluss kämmte und fixierte sie ihr Haar auf Lockenwickler und ließ es von einem Haartrockner föhnen, der auf der Kante des Küchentischs auf seinen Einsatz gewartet hatte und nun wie ein Weltraumhelm ihren Kopf umgab. Großmutter saß unter dem Trockner und blickte oft finster drein, während sie Mum bei der Arbeit zusah. Und während sie unter dem ohrenbetäubenden Gebläse hockte, bedachte Mum sie mit allen möglichen Begriffen, als Antwort auf ihre nicht abreißen wollende Kritik und ihre Kommentare. Immerhin brachte Großmutter in der Regel frische Backwaren mit, und wir waren gespannt darauf, was sie in ihren Dosen und Schachteln hatte – Apfelkuchen, Ingwerkekse, Madeleines und Lebkuchen. Am liebsten mochte ich ihre Kokosnuss- und Marmeladentörtchen. In den Augen meiner Mutter kam diese ganze Backerei jedoch einer Beleidigung gleich, da sie damit ja schließlich andeuten wollte, dass ihr werter Sohnemann in diesen lottrigen Verhältnissen andernfalls vor die Hunde gehen würde.
KOKOSNUSS- UND MARMELADENTÖRTCHEN
Zutaten für den Blätterteig:
400 g Mehl, zusätzlich Mehl zum Bestäuben
½ TL Salz (sofern keine gesalzene Butter verwendet wird)
200 g kalte, ungesalzene Butter (oder 4 g Schmalz und 3 g Butter)
1 ½ TL Feiner Zucker
5–8 EL kaltes Wasser
Bei Bedarf kann auch fertiger Teig verwendet werden, aber das Schöne an der Herstellung eines eigenen Teigs ist, dass er keine versteckten Zutaten enthält.
Zutaten für die Füllung:
2 Eier
125 g Feiner Zucker
50 g geschmolzene Butter
1 TL Vanilleessenz
225 g Kokosnussraspeln
175 g Himbeermarmelade (ein schnelles, selbst gemachtes Rezept findet sich auf S. 216)
Vorbereitungszeit: 20 Minuten
Backzeit: 20 bis 25 Minuten
Ergibt 24 kleine Törtchen (es müssen zwei Lagen hergestellt werden, es sei denn, es sind 2 Muffinbleche verfügbar).
Zubereitung:
Den Teig herstellen. Falls eine Küchenmaschine verfügbar ist, Mehl, Salz, Butter und Zucker zu einer krümeligen Masse vermengen. Alternativ die Butter in einer Schüssel mit den Fingerspitzen mit Mehl, Salz und Zucker verkneten.
Nach und nach 1 EL Wasser hinzufügen und die Mischung im Mixer verquirlen, oder das Wasser mit einer Gabel einrühren, bis man eine Teigkugel erhält.
Den Teig aus dem Mixer oder der Schüssel auf eine saubere, fein bemehlte Fläche geben und den Rest mit der Hand verkneten.
Aus der Kugel eine abgeflachte Scheibe formen, abdecken und 30 Minuten lang kaltstellen.
Den Backofen auf 190 °C/Umluft bzw. Gas Stufe 3–4 vorheizen.
Für die Füllung die Eier mit einem Schneebesen gut verquirlen. Zucker, geschmolzene Butter, Vanillezucker und Kokosnussraspeln zu den geschlagenen Eiern geben und verrühren.
Die Muffinformen einfetten und mit Mehl bestäuben.
Den Teig auf eine Dicke von ½ cm oder so dünn wie möglich ausrollen, 24 Kreise von 8 cm Durchmesser herausschneiden und die Teigkreise in die Form drücken.
Einen knappen TL Himbeermarmelade in jede Vertiefung der Backform geben.
Die Marmelade mit 2 EL der Kokosnussfüllung bedecken. Die Mischung leicht verteilen, um gleichförmige Törtchen zu bekommen, oder strukturiert lassen.
Etwa 20 bis 25 Minuten backen, bis sie leicht goldbraun sind.
Vor dem Herauslösen aus der Form abkühlen lassen (die Restwärme in der Form trägt dazu bei, dass der Teigboden knusprig wird).
Im gesamten Bauernhaus war es eiskalt, außer in der Küche am AGA. Wenn ich zu Bett ging, kuschelte ich mich in meine Decken ein. Oft kauerte ich mich auf mein Kopfkissen, weil ich Angst vor dem Einschlafen hatte – ich träumte immer wieder von Hühnern am Fußende des Betts, die mir in die Zehen pickten, auch wenn wir gar keine Hühner hatten. Im Winter bildeten sich auf der Innenseite meines Schlafzimmerfensters in hübschen Mustern Eiskristalle. Mit elf Jahren setzte meine Monatsblutung ein, und in den ersten Monaten stieg ich mitten in der Nacht mit schrecklichen Bauchkrämpfen die Treppe hinunter. Ich setzte mich mit dem Rücken zum warmen Ofen, weinte leise vor Schmerzen und klammerte mich an eine Wärmflasche, um mir etwas Gutes zu tun.
Unter Mums Ägide wurde das in die Jahre gekommene Bauernhaus renoviert. Sie wollte ihr eigenes Geld verdienen, unabhängig vom Hofbetrieb, und so richteten sie und Dad zwei Bed & Breakfast-Zimmer ein und ließen im früheren, zu einem der vorderen Schlafzimmer gehörenden Ankleidezimmer ein eigenes Duschbad einbauen. Um Platz für diese Neuerungen zu schaffen, wurden wir aus dem guten Teil des Hauses verdrängt. Ich musste mir die Haare in der sogenannten »Hinterküche« waschen, einem Raum nahe der Hintertür, wo stinkende Stiefel hineingestellt und feuchte Mäntel abgeworfen wurden, bevor die Männer die warme Hauptküche betraten. Unter dem Fenster stand eine große Gefriertruhe mit Fleisch, und in der Ecke lagerte ein Kohlenvorrat.
Ich schiebe leere Konservendosen mit Hundefutter und schmale Überreste von eingetrockneter Fairy-Seife beiseite, während ich auf einem wackeligen Holzschemel stehe und meinen Kopf über das versiffte Waschbecken aus Metall beuge. Die Wasserhähne sind schmutzig von den Händen der Männer. Ich stecke die beiden Enden des Gummiduschschlauchs auf die Warm- und Kaltwasserhähne und überprüfe, ob sie auch fest sitzen, damit sie nicht abrutschen, wenn ich die Hähne aufdrehe. Es ist schwierig, die richtige Temperatur einzustellen, und Mum mahnt mich immer, dass ich nicht viel heißes Wasser verwenden darf. Der einfache Kunststoffduschkopf reicht kaum aus, um mein schulterlanges Haar richtig nass zu machen, aber ich schäume es mit einem Zwei-in-Eins-Shampoo ein und spüle es schleunigst wieder heraus, bevor irgendjemand das heiße Wasser an einer anderen Stelle im Haus anzapft und dafür sorgt, dass mein Wasser kalt wird.
Das »Hauptbadezimmer« im Obergeschoss ist in einem makellosen Zustand, darf von uns aber nicht benutzt werden. Die weiße Keramikwanne und das Waschbecken sind mit einem Handtuch trockengewischt und aufpoliert, die silbernen Wasserhähne glänzen. Ein unbenutztes Stück Seife liegt frisch ausgepackt auf dem Waschbecken. Das Toilettenpapier ist zu einem V gefaltet. Mum hat die Fußbodenmatte fein säuberlich in eine Richtung gesaugt, sodass sie aussieht wie ein Fußballfeld im Fernsehen, und flauschige Handtücher hängen an der warmen Stange.
Während der B&B-Saison gerieten die Essenszeiten unserer Familie durcheinander. Mum war bereits im Morgengrauen auf den Beinen, um das Frühstück für die Gäste zuzubereiten. Oft war sie schon dabei, die Betten abzuziehen, noch ehe die letzten Besucher das Ende unserer Auffahrt erreicht hatten, und putzte die Zimmer gründlich durch. Sie verfluchte das Telefon, dessen Geklingel eine potenzielle Buchung verhieß, wenn sie oben beim Bettenmachen war und hinunterrennen musste, um den Anruf entgegenzunehmen. Sie stellte frische Milch in Kannen und Kekse auf Teetabletts auf die Zimmer, bevor die Gäste kamen, und brachte Stunden damit zu, Laken, Bettbezüge und Kissenbezüge zu waschen, zu trocknen und zu bügeln. Sie plauderte aus Höflichkeit stundenlang mit alten Urlaubsehepaaren, die alle Zeit der Welt hatten. Sie verwendete viel Zeit darauf, sich mit sehr speziellen Fragen zu beschäftigen, zum Beispiel, welche Teelöffel in die Schälchen mit Konfitüre und Marmelade gehören. Sie schimpfte mit uns, wenn sie zu erschöpft war und alles zu viel wurde. Am Nachmittag hatte sie keinerlei Kraft mehr, sich noch zu überlegen, was es zum Abendessen gab.
Einmal, als ich mich nach dem Haarewaschen auf Zehenspitzen durch das Haus stahl, hörte ich meine Mutter an der Haustür in ihrem vornehmsten Ton sagen: »Oh, tut mir leid, wir haben heute Abend nichts frei, aber ich kann meine Freundin anrufen und fragen, ob sie ein Zimmer hat.« Keine freien Zimmer? Beide Zimmer waren leer. Ich war versucht, wieder nach unten zu rennen und zu rufen: »Doch, wir haben eins!«, aber ich hielt mich zurück. Mum hatte ein eigenes System, nach dem sie das B&B betrieb, und wir anderen hatten damit nichts zu tun. Später fragte ich sie in Gegenwart meines Vaters: »Warum hast du sie nicht aufgenommen?« Sie schnauzte mich an, dass die Kissenbezüge noch nicht gebügelt seien, das Zimmer noch nicht gesaugt worden wäre und sie nicht genügend Pilze für das Frühstück im Kühlschrank habe. Für mich ergab das alles keinen Sinn, denn ich fand die Zimmer völlig in Ordnung. Dad sagte: »Wir brauchen das verdammte Geld!«, aber Mum hatte ihre eigenen Regeln. Sie erledigte keinen Papierkram, bezahlte keine Rechnungen und verstand nichts von den Finanzen des Hofbetriebs. Um all das kümmerte sich Dad, indem er einmal im Monat eine überquellende Schublade aus der Kommode auf den Küchentisch ausleerte und bis spät in die Nacht Schecks ausfüllte.