Die Frau, die er liebt - einem anderen versprochen - Norma Winter - E-Book

Die Frau, die er liebt - einem anderen versprochen E-Book

Norma Winter

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Beschreibung

Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Fürstenkrone Classic In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. Die blaue Luft war erfüllt vom Glockengeläut. Fanfarentöne schwangen zum Himmel empor, dem seidigen Mittsommerhimmel Spaniens. Die kleine Provinzstadt konnte kaum die Gäste fassen, die aus aller Welt herbeigeströmt waren. Vom kleinen Wochenschaureporter bis hinauf zu gekrönten Häuptern, roten Kardinalsroben und bestrickend schönen Gesichtern unter goldenen Diademen. Es gab viele Frauen aus dem europäischen Hochadel, die schöner waren als die Braut. Und die meisten von ihnen, wenn nicht sogar alle, waren größer als sie. Clarissa di Angeli, 24 Jahre alt, Prinzessin aus ehemals reichem, inzwischen verarmtem, aber sehr noblem Hause, reichte selbst ihrer Mutter nur bis zur Schulter. Sie war eine Miniatur­ausgabe, mit winzigen Füßen, winzigen Händen, zierlichster Gestalt und einem kleinen weißen Gesicht. Das Größte darin waren die Augen, schwarz und unergründlich, und schwarz war auch das Haar, das ihr glatt und glänzend bis auf die Schultern fiel. Sie war kein ausgesprochen schönes Mädchen, aber sie war apart und faszinierte die Menschen, wenn auch niemand recht wußte, warum. Der einzige, der es zu wissen glaubte, war der Mann, der sie an jenem Sommertag am Hauptaltar der Kathedrale erwartete, der Mann, mit dem sie in der elften Stunde des dritten Juli vermählt wurde, der Mann, den sie kaum kannte, mit dem sie weniger Worte gewechselt hatte als mit ihrem alten Lehrer, weniger sogar als mit dem Bischof, der sie trauen sollte. Prinz Jesco von Peramon, 28 Jahre alt, juristischer Berater seines Vaters, zwei Jahre später regierender Fürst eines Kleinstaates im Herzen Europas. Jesco von Peramon glaubte zu wissen, warum die jüngste Prinzessin di Angeli die Menschen faszinierte. Er glaubte in ihren glühenden schwarzen Augen lesen zu können, er glaubte die Starrheit des kleinen weißen Gesichts lösen zu können. Er glaubte an sie wie an eine Heilige, die erst durch die Kraft der Liebe menschlich heiter und kindlich fröhlich gemacht werden konnte. Denn lieben wollte er sie mit seinem ganzen stürmischen Herzen, mit aller Wärme und Innigkeit, die er für sie fühlte. Lieben und von ihr geliebt werden, das war alles, was Jesco von Peramon sich vornahm, als ihm seine kleine, nonnenhaft mit gesenktem Kopf dahinschreitende Braut entgegengeführt wurde. Die Orgel setzte brausend ein, verhaltenes Schluchzen wurde laut, und Jescos Herz dehnte sich vor schmerzlicher Hingabe. Da trat sie neben ihn, eine kleine weiße, starre Gestalt, die Augen riesig, schwarz und tränenlos, die Hände ineinander verkrampft, als ginge sie zum Schafott. Mitleid und Zärtlichkeit stiegen in ihm auf, als er sich tief hinunterbeugen mußte, um ihr seinen Ring an den dünnen Finger zu stecken.

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Fürstenkrone Classic – 2–

Die Frau, die er liebt - einem anderen versprochen

Norma Winter

Die blaue Luft war erfüllt vom Glockengeläut. Fanfarentöne schwangen zum Himmel empor, dem seidigen Mittsommerhimmel Spaniens. Die kleine Provinzstadt konnte kaum die Gäste fassen, die aus aller Welt herbeigeströmt waren. Vom kleinen Wochenschaureporter bis hinauf zu gekrönten Häuptern, roten Kardinalsroben und bestrickend schönen Gesichtern unter goldenen Diademen. Es gab viele Frauen aus dem europäischen Hochadel, die schöner waren als die Braut. Und die meisten von ihnen, wenn nicht sogar alle, waren größer als sie.

Clarissa di Angeli, 24 Jahre alt, Prinzessin aus ehemals reichem, inzwischen verarmtem, aber sehr noblem Hause, reichte selbst ihrer Mutter nur bis zur Schulter. Sie war eine Miniatur­ausgabe, mit winzigen Füßen, winzigen Händen, zierlichster Gestalt und einem kleinen weißen Gesicht. Das Größte darin waren die Augen, schwarz und unergründlich, und schwarz war auch das Haar, das ihr glatt und glänzend bis auf die Schultern fiel. Sie war kein ausgesprochen schönes Mädchen, aber sie war apart und faszinierte die Menschen, wenn auch niemand recht wußte, warum.

Der einzige, der es zu wissen glaubte, war der Mann, der sie an jenem Sommertag am Hauptaltar der Kathedrale erwartete, der Mann, mit dem sie in der elften Stunde des dritten Juli vermählt wurde, der Mann, den sie kaum kannte, mit dem sie weniger Worte gewechselt hatte als mit ihrem alten Lehrer, weniger sogar als mit dem Bischof, der sie trauen sollte.

Prinz Jesco von Peramon, 28 Jahre alt, juristischer Berater seines Vaters, zwei Jahre später regierender Fürst eines Kleinstaates im Herzen Europas.

Jesco von Peramon glaubte zu wissen, warum die jüngste Prinzessin di Angeli die Menschen faszinierte. Er glaubte in ihren glühenden schwarzen Augen lesen zu können, er glaubte die Starrheit des kleinen weißen Gesichts lösen zu können. Er glaubte an sie wie an eine Heilige, die erst durch die Kraft der Liebe menschlich heiter und kindlich fröhlich gemacht werden konnte.

Denn lieben wollte er sie mit seinem ganzen stürmischen Herzen, mit aller Wärme und Innigkeit, die er für sie fühlte. Lieben und von ihr geliebt werden, das war alles, was Jesco von Peramon sich vornahm, als ihm seine kleine, nonnenhaft mit gesenktem Kopf dahinschreitende Braut entgegengeführt wurde. Die Orgel setzte brausend ein, verhaltenes Schluchzen wurde laut, und Jescos Herz dehnte sich vor schmerzlicher Hingabe.

Da trat sie neben ihn, eine kleine weiße, starre Gestalt, die Augen riesig, schwarz und tränenlos, die Hände ineinander verkrampft, als ginge sie zum Schafott. Mitleid und Zärtlichkeit stiegen in ihm auf, als er sich tief hinunterbeugen mußte, um ihr seinen Ring an den dünnen Finger zu stecken. Er spürte das Zurückzucken der kleinen Hand, aber er hielt es für einen Reflex. Er spürte die unnachgiebige Starrheit, als er seinen Arm unter den ihren legte, und während sie gemessenen Schrittes unter den dröhnenden Akkorden der Orgel über den rot und golden gewirkten Teppich zum Ausgang schritten, senkte es sich wie Reif auf das Herz des Prinzen von Peramon.

»Ich will dich glücklich machen«, flüsterte er, aber es erfolgte keine Antwort. Nicht mit Worten, nicht mit Gesten, nicht mit einem einzigen Druck der kleinen weißen Finger unter den weichen Samthandschuhen. Nichts. Kein Echo. Kein Funke. Kein Laut.

Um sie herum brandete eine Woge von Rührung, Aufregung und Bewunderung. Sie waren ein ebenso schönes wie ungleiches Paar. So klein war Clarissa di Angeli, so groß Jesco von Peramon. Er war ein junger Hüne mit breiten Schultern und schmalen Hüften, mit hellem Haar und leuchtenden braunen Augen. Er sah in seiner Paradeuniform aus wie ein junger Gott, und genauso hatte er sich auch gefühlt, als er die Kathedrale betrat.

Als er sie verließ, spürte er einen eisernen Ring um sein Herz, der zu einem undurchdringlichen Panzer werden sollte während der nächsten Tage und Nächte.

Das rauschende Fest in der kleinen spanischen Provinzstadt dauerte noch eine Woche. Aber das Brautpaar verließ die Gäste am nächsten Morgen, denn das weiße Schiff im Hafen von Costa Blanca war bereit für die Hochzeitsreise. Sie sollte über die Kanarischen Inseln zu den Karibischen Inseln führen, denn dort hatte die Prinzessin Clarissa ihre Kindheit und Jugend verbracht. Dorthin zurück wollte Jesco sie führen für eine kleine, glückliche Weile des Ausspannens, bevor sie der Hof mit seinen Pflichten und Repräsentationen empfing.

Sie reisten mit kleinem Gefolge. Außer dem Personal waren nur wenige Gäste an Bord, unter ihnen Dr. Lutz Leitner, ein Studienfreund des Prinzen. Er war der einzige, der die Prinzessin in Trinidad von Bord gehen sah. Es war am hellen heißen Mittag unter gleißender tropischer Sonne.

Die Prinzessin kam nicht mehr zurück. Ihre aufrechte Gestalt löste sich auf im gleißenden Licht des hohen Mittags, und Lutz Leitner unterdrückte den Impuls, ihr nachzugehen. Das Klima hatte ihn, der sonst nie stillsitzen konnte, träge und lethargisch gemacht. Zwei Stunden später war er hellwach und vibrierend vor Spannung. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte Jesco von Peramon ihn und sich in dem kleinen, stickigen Salon eingeschlossen und die weiße Briefkarte offen auf den Tisch gelegt.

Suche nicht nach mir, stand da in der feinen, sorgfältigen Mädchenschrift der Klosterschülerin Clarissa, und warte nicht auf mich. Ich tue, was ich tun muß. Verzeih mir, Clarissa.

Lutz Leitner starrte auf die Schriftzüge, bis sie vor seinen Augen flimmerten.

Dann hörte er die Stimme des Prinzen, fremd, rauh und unpersönlich.

»Mach dich auf«, sagte der Prinz, »und schaff sie zurück, sobald es geht.«

»Das dürfte schwierig sein«, murmelte Lutz Leitner und wischte sich den Schweiß aus den Augen, »ich war noch nie in Trinidad.«

»Du bist Kriminalist«, war die abweisende Antwort. »Tu, was du kannst. Und du kannst sehr viel.«

Lutz stand auf. Im Hinausgehen sah er in das fahle Gesicht des Prinzen von Peramon, dieses vertraute Gesicht eines Freundes, und Lutz Leitner spürte selbst den eisernen Panzer, der sich um das Herz dieses Freundes gelegt hatte – um ein Herz voller Wärme, Liebe und Vertrauen.

»Gut, Jesco«, sagte er langsam, »ich bringe sie zurück. Aber kannst du mir sagen warum?«

»Weil sie meine Frau ist«, erwiderte der Prinz kurz.

»Und du willst, daß sie es bleiben soll – auch nach dieser Geschichte?«

»Ich will es nicht«, versetzte der Prinz und starrte aus der Luke ins gleißende Licht Trinidads, »ich muß. In meinen Kreisen gibt es keine Scheidung, nicht nach einer solchen Hochzeit mit Bischof und Kathedrale und allem Drum und Dran. Deshalb, Lutz, nur deshalb.«

»Du könntest abreisen«, murmelte Lutz Leitner zögernd, »du könntest tun, was sie dir empfiehlt zu tun. Du könntest alles vertuschen, sie als krank ausgeben und später für tot erklären lassen. Hast du das bedacht?«

»Ich habe es bedacht. Ich kann es nicht tun. Es wäre nicht die Wahrheit. Und wenn ich schon alles verliere an diesem Tag, den Glauben, die Liebe und die Hoffnung, so werde ich eines nie aufgeben: die Wahrheit. Ich bin ein Betrogener, aber ich bin kein Lügner, Lutz. Das wird niemand aus mir machen können.«

»Das ist nicht logisch«, sagte Lutz, schon im Türrahmen stehend. »Du wirst lügen müssen von diesem Tag an bis ans Ende. Du wirst den glücklichen jungen Ehemann spielen in allen Variationen. Ich weiß nicht, was die größere Lüge ist «

»Geh!« sagte der Prinz von Peramon und wandte sich von der Luke ab. Seine tiefliegenden braunen Augen hefteten sich auf das Gesicht des Freundes. »Geh und tu, was ich dir gesagt habe. Und komm mir nicht mit Ausflüchten. Es ist nicht deine Sache, sondern meine. Und ich will, daß meine Frau hierher zurückkehrt – freiwillig oder unfreiwillig, das ist mir egal.«

Lutz Leitner, Doktor des Rechts und der Kriminalistik, schlenderte den schmalen Gang hinunter und knetete seinen Strohhut mit den Händen, bis er flach war.

Warum, zum Teufel, dachte er grimmig, obwohl er normalerweise ein überwiegend heiteres Naturell besaß, das sich so leicht nicht trüben ließ, warum bin ich nicht Schornsteinfeger oder Biologieprofessor geworden? In beiden Fällen hätte ich diesen Auftrag nicht bekommen können – diesen miesen, undankbaren Auftrag, von dem ich nichts halte, absolut nichts…

Sekundenlang blieb er stehen. Dann betrat er die Brücke, überquerte den Kai und sah zu den Palmenwipfeln hinauf, die sich in der heißen Stille ganz leise zu bewegen begannen.

»Alsdann, alter Junge«, sagte Lutz Leitner zu sich selbst, »mach dich auf die Socken, solange es noch hell ist.«

*

Drei Tage und drei Nächte blieb die Prinzessin verschwunden und mit ihr Dr. Lutz Leitner. Personal und Gäste glaubten die Version, daß der Prinz unter starken Kopfschmerzen litt und daher kaum in Erscheinung trat, und daß aus diesem Grund Lutz Leitner die Prinzessin zu ihren Verwandten im Innern der Insel begleitet habe. In der vierten Nacht brachte er sie zurück.

Er trug sie auf seinen Armen über die Schiffsbrücke, legte sie auf sein Bett, da die fürstlichen Gemächer verschlossen waren, und rief den Prinzen übers Haustelefon an.

Es war halb drei Uhr nachts.

Fünf Minuten später stand der Prinz am Bett und blickte unendlich lange und schweigend auf die reglose, kleine, zusammengekrümmte Gestalt auf der Seidendecke.

»Sie ist bewußtlos?«

»Anders ging’s nicht, Jesco. Es widerstrebte mir, aber Befehl ist Befehl. Du wolltest sie wiederhaben – bitte, hier ist sie.«

»Was hast du mit ihr gemacht?«

Lutz Leitner lachte kurz und freudlos auf.

»Na, was schon, Jesco. Einen kleinen Schlaftrunk habe ich ihr verpaßt. Sie wird morgen gegen Mittag – oder besser gesagt heute gegen Mittag aufwachen. Und jetzt will ich dir einen Rat geben, einen unerbetenen Rat, ich weiß, ich weiß – es ist deine Sache, nicht meine, und so weiter – trotzdem…«, er fuhr sich mit der Hand durchs dunkelbraune Haar, »rate ich dir etwas. Frag mich jetzt nicht, was ich weiß. Frag sie selbst. Irgendeine Basis mußt du finden, wenn du mit ihr leben willst. Oder leben mußt. Jedenfalls meine ich, daß ihr versuchen solltet, Vertrauen zu haben, sie zu dir wenigstens. Sie soll dir ihre Geschichte selbst erzählen. Das wäre ein Anfang, ein bescheidener Anfang, aber immerhin etwas – für eure Zukunft, für euer Leben…«

»Danke«, sagte der Prinz und trat zur Tür, »ich will’s versuchen. Würdest du sie bitte…«

Ihre Blicke trafen sich.

»Du willst sie nicht selbst hinübertragen?«

»Nein«, murmelte Jesco von Peramon, »ich könnte sie nicht anrühren.«

»Okay«, seufzte Lutz Leitner, »mir macht’s nichts mehr aus. Ich habe sie fünf Kilometer getragen, da kommt’s mir auf die letzten fünf Meter nicht mehr an.«

Sprach’s und hob die leichte Gestalt auf die Arme, trug sie hinüber in die Suite, wo ihr breites, weiches Bett aufgeschlagen war, und legte sie sanft darauf nieder.

Noch einmal glitt sein Blick über das weiße schmale, ausdruckslose Gesichtchen, dann schüttelte er nachdrücklich den Kopf und ging hinaus.

Als er wieder sein Zimmer betrat, sah er sein eigenes Gesicht im Spiegel, und da fiel ihm auf, daß er sich seit drei Tagen nicht rasiert hatte. Ein dunkler Bart bedeckte sein Kinn, das Hemd klebte ihm schmutzig und verschwitzt am Leib, und alles in allem fand er sich wie einen Seeräuber anzusehen. Kein Wunder, daß die Kleine ihn anfangs nicht erkannt hatte. Gott sei Dank. Sonst wäre sie jetzt nicht hier – und er auch nicht.

Bei Gott, dachte Lutz Leitner, als er aus der Badewanne ins Bett stieg, ich hätte sie gelassen, wo sie war, wenn’s nach mir gegangen wäre. Aber es ging nicht nach mir. Es ging nach meinem Freund.

Sie verließen Trinidad noch am selben Tag.

Lutz Leitner schlief, als sie den Hafen verließen, er wurde erst wach, als sie auf hoher See waren und die Nacht sank. Er wurde geweckt von dem leisen Geräusch, den silberne Sandaletten auf seinem Teppich verursachten. Vor ihm stand im düsteren Schein des Notlichts Prinzessin Clarissa. Ihre schmächtigen weißen Schultern leuchteten matt, ihr silbernes Abendkleid umschloß die kindliche Gestalt.

»Ich hasse Sie«, sagte sie mit monotoner Stimme.

»Ich weiß«, gab er gähnend zurück. »Sonst noch was?«

»Ja. Ich habe keine Geheimnisse mehr. Sie haben mir alles genommen – alles.«

»Nicht ganz, Hoheit. Ich mag Ihnen Ihren Traum genommen haben, wider meinen Willen übrigens. Ich selbst hätte Sie nie zurückgeholt. Aber ich habe Ihr Geheimnis nicht preisgegeben. Das sollten Sie selber tun, wenn Sie die Zeit dafür reif halten.«

Sie schwieg. Ihre früher so glühenden Augen schienen erloschen zu sein. Glanzlos starrten sie ihm ins Gesicht.

»Sie haben Jesco nichts erzählt?«

»Nicht ein Silbe.«

»Aber Sie haben mich zurückgeholt, obwohl es gegen Ihre Überzeugung ging?«

»Ja, das habe ich. Meine Überzeugung spielte dabei keine Rolle. Nur die Ihres Mannes. Er wollte es so. Und da er es wollte, tat ich es. Ganz einfach, nicht wahr?«

»Nein. Im Gegenteil. Ganz flüchtig, ganz kurz hatte ich das Gefühl, daß Sie auch mein Freund sind. Daß Sie mich verstehen. Daß Sie mich nicht in Grund und Boden verurteilen – ich hatte mich getäuscht, nicht wahr?«

»Ja, Hoheit. Sie haben sich ge­täuscht. Ich verurteile Sie nicht, Sie und niemanden sonst, der einer Leidenschaft verfällt, einem Traum, einem Taumel, wie immer man es nennt. Aber Ihr Freund bin ich nicht. Ich bin der Freund des Prinzen Jesco von Peramon, und das seit fünfzehn Jahren. Und ich werde es sein, solange ich lebe. Und das einzige, was ich ihm wünschen kann nach allem, was ich weiß, das wäre eine solche Leidenschaft, einen solchen Traum, einen solchen Taumel, damit er einmal im Leben vergißt, was Sie ihm angetan haben. Warum, Hoheit, wenn wir schon beide unseren aufrichtigen Tag haben, warum haben Sie ihn geheiratet?«

Über die geisterhaft blassen Züge der Prinzessin irrte ein fernes, abwesendes Lächeln. »Weil ich wußte«, flüsterte sie, »daß er mich nach Trinidad bringen würde. Irgendwann. Er hatte es mir versprochen, als ich ihn zum erstenmal traf. Deshalb. Es war meine einzige Möglichkeit, dorthin zurückzukommen. Meine Familie ist arm, wissen Sie, völlig verschuldet, und ich habe nichts gelernt, nichts. Ich hätte mir niemals das Geld verdienen können, um nach Trinidad zu fahren – nie…«

Lutz Leitner sank auf sein flaches Bett zurück.

»Himmelherrgott«, entfuhr es ihm, »ich habe schon viele Heiratsgründe gehört, aber diesen noch nicht. Haben Sie eigentlich gar kein Gewissen, Hoheit?«

Das ferne, abwesende Lächeln erstarb. Der dunkle Blick aus glanzlosen, großen schwarzen Augen ruhte auf Lutz.

»Sie wissen nicht, was Liebe ist«, sagte die Prinzessin tonlos.

»Nein«, brummte Lutz Leitner, »und wenn dabei das ganze Gewissen zum Teufel geht, will ich es auch niemals wissen. Gehen Sie jetzt zu Jesco und erzählen Sie Ihre Geschichte. Nicht, weil ich es sonst täte, sondern weil Sie irgendeinen Anfang machen müssen für ein offenes menschliches, vertretbares Zusammenleben.«

Ohne ein Wort der Erwiderung verließ die Prinzessin den Raum. Und niemals mehr kam ein Wort über ihre Lippen, das jenes Ereignis in Trinidad erklärt hätte, niemals sprach sie mit Jesco darüber, niemals berührte sie das Thema mit irgendeinem Menschen mehr.

Jesco fragte nicht weiter. Er hatte gefragt, als sie am Mittag aufgewacht war. Die Antwort war Schweigen gewesen. Und so schwieg auch er.

Das Schiff fuhr zurück nach Europa, und das Leben in Peramona begann. Es war ein seltsames Leben, das keiner mit dem anderen teilte, ein nach außen harmonisches, stilvolles Leben, nach innen aber war es Einsamkeit. Nichts verband den Fürsten mit seiner stillen, kleinen, vom Volk hochgeschätzten Gemahlin. Sie war eine musterhafte Landesmutter geworden, geduldig, geschickt, unermüdlich im kulturellen und karitativen Leben.

Keine auffallende, aber immer noch eine faszinierende Erscheinung, eher zu schlicht als zu aufwendig, eher zu bescheiden als zu pompös. Und es gab Tage, da fragte sich Dr. Lutz Leitner, ob er jene Tage und Nächte in Trinidad nicht vielleicht geträumt hatte, zumal sie nie mehr erwähnt worden waren, weder zwischen ihm und seinem Freund Jesco noch zwischen ihm und der Fürstin. Nie mehr in zehn langen Jahren. Aber am Ende dieser zehn Jahre ereignete sich etwas, und so wurde die Vergangenheit wach und für mich die Gegenwart lebendig. Denn am Ende dieser zehn Jahre beginnt meine Geschichte, mein Lebensmärchen. Und sie beginnt, wie könnte es anders sein, in der Halle des Hotel Marquardt in Kreutzingen, wo ich nach Abschluß der Hotelfachschule angefangen hatte, mein Leben selbst zu verdienen.

*

»Jenny«, sagte Frau Marquardt so süß wie immer, wenn sie etwas wollte, womit man nicht rechnete, »ich weiß, daß Sie um sieben Uhr frei sind. Wie gesagt, ich weiß das. Aber könnten Sie mir persönlich vielleicht den Gefallen tun, zwei Stunden länger im Empfang zu bleiben und dafür morgen erst um zwölf anzufangen? Wär das möglich?«

Man kann nicht kaltblütig nein sagen, wenn man so gebeten wird, und das weiß Irma Marquardt genau. Es war ein milder, blütenduftender Maiabend, und im alten Schloßhof unseres Barockstädtchens Kreutzingen gastierten unter freiem Himmel an diesem Abend die Blue Bell Singers. Wir kannten sie aus dem Fernsehen, sowohl Irma Marquardt als auch meine Kolleginnen Tina und Elke und natürlich ich. Ehrlich gesagt, ich hätte es für verständlicher gehalten, wenn ich mit meinen Dreiundzwanzig dorthin gegangen wäre und Irma am Empfangspult gesessen hätte. Statt dessen war es nun umgekehrt – Irma mit ihren reifen Fünfzig ging zu den Blue Bells, und ich hockte im Empfang. Na ja, sie war die Chefin und ich die Anfängerin. Außerdem leistete mir Tina Gesellschaft, denn ihr Freund war krank, und allein mochte sie nicht zu den Blue Bells gehen.

Aus purer Langeweile begannen wir das Spiel, das wir manchmal spielten, wenn nicht viel zu tun war. Wir musterten die vorhandenen Gäste scharf, die in der Halle saßen und sich ebenfalls langweilten, sortierten schnell diejenigen aus, über die wir bereits die Anmeldezettel besaßen, nahmen Bleistift und Papier zur Hand und taxierten die »Fremden« nach unserem Gutdünken ab.

Tina zeigte verstohlen auf den Herrn, der seit einer Stunde die abgegriffenen Zeitungen durchblätterte und gelegentlich seufzend auf die Uhr blickte, und schrieb auf den Zettel: Manager.

Ich stand unauffällig auf, um mir den Mann näher anzusehen, denn Irma Marquardt hatte uns auf das Einschätzen von Menschen gedrillt. Sie selbst, behauptete sie von Zeit zu Zeit, sei in der Lage, jedem an der Nasenspitze Beruf, Position und Fähigkeiten abzusehen. Ganz soweit war ich noch nicht, denn ich strich Tinas Manager dick durch und schrieb Pilot darunter.

Tina schüttelte wild den Kopf und rollte die Augen, zeigte auf ihre eigenen nackten Arme, um mir die geschliffenen Manschettenknöpfe des Fremden vor Augen zu führen, und ich besichtigte ihn durch die Zimmerpalme ausführlich zum zweitenmal. Er schien übermäßig groß zu sein. Sein dunkelgrauer Anzug war die perfekteste und unauffälligste Maßarbeit, die mir jemals begegnet war. Sein Profil schien markant, sein Haar eher hell als dunkel, sein Teint beneidenswert braun, aber das alles beeindruckte mich nicht sehr. Ich war an gutaussehende Männer gewöhnt, und ich war auch an Maßanzüge und geschliffene Achate als Manschettenknöpfe gewöhnt.

Im Hause Marquardt stieg die Prominenz ab, einer der Gründe dafür, weshalb mich meine Schwester unbedingt hier unterbringen wollte. Was mich an dem Fremden gefangennahm, war einzig und allein der Blick, als er sich in diesem Augenblick nach mir umwandte. Wahrscheinlich hatte ich zu schamlos auf sein Profil gestarrt.

Es war ein seltsamer Blick, tiefgründig, abwesend, verloren und melancholisch. Und es waren die schönsten Augen, die ich je gesehen hatte, braun und tief und leuchtend.