Die Frau mit dem anderen Ich - Helen Perkins - E-Book

Die Frau mit dem anderen Ich E-Book

Helen Perkins

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Beschreibung

In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! Judith war fasziniert von den Steinen, konnte den Blick kaum noch davon abwenden. Sie drehte und wendete einen der Edelsteine in ihrer Hand, wieder und immer wieder. Dabei wurde ihr ganz merkwürdig zumute. Es verschwamm alles vor ihren Augen. Aber es war nicht so, als wenn sie nun nichts mehr gesehen hätte. Nein, im Gegenteil. Vielmehr entstanden neue Bilder. Sie sah etwas, das es hier nicht gab, das sie noch nie zuvor gesehen hatte, aber sie sah es mit bestechender Klarheit, als sei sie selbst Bestandteil des Bildes und könne alles fühlen und greifen… Und sie begann zu sprechen. Professor Larsen war der faszinierendste Mann, dem Judith je begegnet war. Nicht nur, daß er ungewöhnlich gut aussah mit seiner hochgewachsenen, stattlichen Gestalt und dem kühn geschnittenen, markanten Gesicht, er besaß auch eine ganz besondere Ausstrahlung, der Judith fast augenblicklich erlag. Und das war etwas, was sie sich einfach nicht erklären konnte. Judith Wolter war Studentin. Sie interessierte sich besonders für die spanische Sprache und alles, was mit dem spanischen Sprachraum zusammenhing. So hatte sie einen Vortrag besucht, den der norwegische Privatgelehrte Professor Erik Larsen über die Inka-Kultur hielt, über das großartige Indianer-Reich im alten Peru also, das im sechzehnten Jahrhundert von dem Spanier Pizarro zerstört wurde. Eigentlich hatte Robert Helwig, der Mann, den sie liebte und mit dem sie verlobt war, Judith zu diesem Vortrag begleiten wollen, aber er hatte in letzter Minute abgesagt. Es waren Geschäftsfreunde aus dem Ausland gekommen, und der junge Ingenieur hatte von seiner Firma den Auftrag bekommen, sich um diese Leute zu kümmern. Darum besuchte Judith also den Vortrag von Professor Larsen allein. Ob wohl alles anders gekommen wäre, wenn Robert Helwig nicht ausgerechnet an diesem Abend keine Zeit für seine Braut gehabt hätte? Wer könnte nachträglich wohl diese Frage beantworten? Das Thema des Vortrages war interessant, und der Professor wußte seine Zuhörer durch eine bilderreiche Sprache zu fesseln.

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Gaslicht – 48 –

Die Frau mit dem anderen Ich

Unveröffentlichter Roman

Helen Perkins

Judith war fasziniert von den Steinen, konnte den Blick kaum noch davon abwenden. Sie drehte und wendete einen der Edelsteine in ihrer Hand, wieder und immer wieder. Dabei wurde ihr ganz merkwürdig zumute. Es verschwamm alles vor ihren Augen. Aber es war nicht so, als wenn sie nun nichts mehr gesehen hätte. Nein, im Gegenteil. Vielmehr entstanden neue Bilder. Sie sah etwas, das es hier nicht gab, das sie noch nie zuvor gesehen hatte, aber sie sah es mit bestechender Klarheit, als sei sie selbst Bestandteil des Bildes und könne alles fühlen und greifen… Und sie begann zu sprechen. Mit einer seltsam hohen, monotonen Stimme, die den Professor aufhorchen ließ…

Professor Larsen war der faszinierendste Mann, dem Judith je begegnet war. Nicht nur, daß er ungewöhnlich gut aussah mit seiner hochgewachsenen, stattlichen Gestalt und dem kühn geschnittenen, markanten Gesicht, er besaß auch eine ganz besondere Ausstrahlung, der Judith fast augenblicklich erlag.

Und das war etwas, was sie sich einfach nicht erklären konnte.

Judith Wolter war Studentin. Sie interessierte sich besonders für die spanische Sprache und alles, was mit dem spanischen Sprachraum zusammenhing. So hatte sie einen Vortrag besucht, den der norwegische Privatgelehrte Professor Erik Larsen über die Inka-Kultur hielt, über das großartige Indianer-Reich im alten Peru also, das im sechzehnten Jahrhundert von dem Spanier Pizarro zerstört wurde. Eigentlich hatte Robert Helwig, der Mann, den sie liebte und mit dem sie verlobt war, Judith zu diesem Vortrag begleiten wollen, aber er hatte in letzter Minute abgesagt. Es waren Geschäftsfreunde aus dem Ausland gekommen, und der junge Ingenieur hatte von seiner Firma den Auftrag bekommen, sich um diese Leute zu kümmern. Darum besuchte Judith also den Vortrag von Professor Larsen allein.

Ob wohl alles anders gekommen wäre, wenn Robert Helwig nicht ausgerechnet an diesem Abend keine Zeit für seine Braut gehabt hätte? Wer könnte nachträglich wohl diese Frage beantworten? Jedenfalls begannen mit diesem Tage die Ereignisse, die so grauenvoll waren, daß Judith fast daran zerbrach…

*

Das Thema des Vortrages war interessant, und der Professor wußte seine Zuhörer durch eine bilderreiche Sprache zu fesseln. Judith aber hatte das Gefühl, daß der Mann nur für sie ganz allein spräche. Sie bildete es sich gewiß nicht nur ein, daß Erik Larsen immer wieder zu ihr hinübersah. Sie saß in einer der vorderen Reihen des Hörsaales. Zunächst mochte es ein Zufall gewesen sein, daß der Vortragende seine Blicke in ihre Richtung lenkte. Doch dann tat er es immer öfter und das offenbar ganz bewußt und gezielt.

Nun war Judith an sich daran gewöhnt, daß man sie beachtete, denn sie war eine auffallende Erscheinung. Ihr schmales, ausdrucksvolles Gesicht wurde von einer Flut langer schwarzer Haare umrahmt, Haare, die wie ein undurchdringlicher Schleier wirkten, wenn sie nach vorn fielen und ihr Gesicht teilweise verhüllten.

Ihre Züge mit den großen, ein wenig mandelförmigen Augen hatten etwas Fremdes, Südländisches. Judith war ein ausgesprochen apartes Mädchen, und so war es durchaus verständlich, daß der jungen Frau mancher bewundernder Blick galt.

Doch das, was Judith in jenem Hörsaal erlebte, war etwas anderes.

Das waren nicht nur bewundernde Blicke, die sie von dem Mann am Vortragspult auffing, von diesen Blicken ging auch etwas Zwingendes aus, etwas, das sie fast willenlos machte.

Allerdings war nicht nur das merkwürdig. Normalerweise freut sich eine Frau, wenn ihr bewundernde Blicke gelten. Es macht sie stolz und manchmal auch ein bißchen glücklich. Das war bei Judith Wolter nicht anders – zumindest hatte sie bisher so reagiert.

An diesem Tag war das nicht der Fall.

Viel lieber wäre sie von diesen Blicken geflohen. Das aber konnte sie nicht.

Der Vortrag ging zu Ende, die Zuhörer spendeten Beifall und begannen schließlich, den Vortragssaal zu verlassen. Auch Judith strebte dem Ausgang zu.

Sie ging langsam, als erwarte sie noch jemanden, und auch das war eigentlich bei ihr recht ungewöhnlich.

Plötzlich ging Professor Larsen neben ihr. Judith wunderte sich nicht einmal darüber.

»Haben Ihnen meine Ausführungen gefallen?« fragte er beiläufig, so, als würden sie sich schon seit langem kennen.

»Ihr Vortrag war sehr interessant«, antwortete Judith beklommen.

»Freut mich, das von Ihnen zu hören«, sagte Professor Larsen selbstzufrieden. »Ich bin immer froh, wenn ich jungen Menschen den Blick öffnen kann für das Schöne und Erhabene einer vergangenen Kultur. Und gerade die Geschichte des Inka-Reiches gehört für mich zum Großartigsten, obwohl wir doch im Grunde ziemlich wenig darüber wissen. Ich habe übrigens eine recht interessante Sammlung darüber zusammengetragen. Möchten Sie sie sehen?«

Judith war so verblüfft, daß sie gar nicht zum Nachdenken kam. »Das würde mich schon reizen«, meinte sie nur, und das stimmte auch, denn der Vortrag war ja wirklich interessant gewesen. Sie hatte Lust, sich weiter mit der Materie zu befassen.

Nur… wie kam der Professor dazu, sie persönlich einzuladen? Er kannte sie doch überhaupt nicht!

»Also, abgemacht«, sagte Professor Larsen, der sich seiner Sache sehr sicher zu sein schien. »Ich erwarte Sie morgen gegen siebzehn Uhr in meinem Haus.«

*

»Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein!« rief Marina Enders, nachdem Judith ihr die Geschichte erzählt hatte. Judith und Marina waren Freundinnen. Sie kannten sich schon seit der Schulzeit. Während Judith sich für das Studium entschieden hatte, war die hübsche blonde Marina Stewardeß geworden. Sie hatte durch ihren Beruf schon viel von der Welt gesehen, aber ein bißchen beneidete sie doch die Freundin, die in Robert Helwig bereits den Mann fürs Leben gefunden hatte und mit ihm so glücklich zu sein schien. Nicht, daß Marina eifersüchtig war, aber manchmal dachte sie doch, daß es schön wäre, wenn sie auch so einen zuverlässigen Partner fände. Die Männer, die sie bisher auf ihren Reisen kennengelernt hatte, schienen alle nur auf ein schnelles Abenteuer aus zu sein.

Marina machte sich keinen Kummer deswegen. Sie war schließlich jung, und das Leben lag noch vor ihr. Das kleine wehmütige Sehnen überkam sie nur dann, wenn sie mit Judith und Robert zusammen war und sah, daß diese beiden Menschen durch eine wunderbare Liebe vereint waren.

Darum meinte sie nun auch, die Freundin warnen zu müssen.

Doch Judith war nicht in der Stimmung, sich solche Warnungen anzuhören.

»Was, glaubst du, sei nicht mein Ernst?« fragte sie ein bißchen angriffslustig.

»Daß du dich von diesem Mann so mir nichts, dir nichts in sein Haus einladen läßt.«

»Sei nicht albern, Marina!«, wehrte Judith ab. »Du tust ja gerade so, als stecke sonstwas hinter dieser Einladung. Dieser Mann ist so alt, daß er fast mein Vater sein könnte, außerdem ist er Wissenschaftler.«

»Na und? Glaubst du, darum wäre er kein Mann?«

»Du weißt genau, was ich damit sagen will.«

»Und was, bitte sehr, willst du damit sagen?«

»Daß es sich um eine seriöse Persönlichkeit handelt. Immerhin hat er mich nicht zu nachtschlafener Zeit zu sich eingeladen, um mir seine Briefmarkensammlung zu zeigen, sondern ich soll am Nachmittag kommen, und seine Sammlung, die er mir zeigen will, interessiert mich ja wirklich.«

»Mit Speck fängt man Mäuse, meine Liebe, und ich weiß wirklich nicht, ob diese mysteriöse Sammlung nicht ein ebenso fadenscheiniger Vorwand ist, wie bei anderen Männern die Briefmarkenschätze.«

»Du hast anscheinend schon zu viele schlimme Erfahrungen gemacht, Marina«, lachte Judith nun. »Sei unbesorgt, mich erwartet bestimmt kein unangenehmes Erlebnis. Ich gebe ja zu, daß ich selbst mehr als überrascht war, von dem Professor beachtet und mit einer solchen Einladung ausgezeichnet zu werden. Aber inzwischen freue ich mich eigentlich darüber.«

»Und was sagt Robert dazu?«

»Ich habe ihn noch nicht gesehen inzwischen, also habe ich ihm auch nichts erzählt. Was sollte er auch schon dazu sagen? Immerhin betrifft die Angelegenheit ja mein Studium.«

»Na, ich weiß nicht. Mir hast du ja auch davon erzählt. Also scheint dich die Sache doch mehr zu beschäftigen als eine normale Studienangelegenheit.«

»Ich habe es dir darum erzählt«, entgegnete Judith heftig, »weil ich wegen der Einladung unsere Verabredung absagen mußte. Da ich nun mal ein ehrlicher Mensch bin, wollte ich nicht einfach einen Vorwand erfinden, sondern habe dir die Wahrheit gesagt.«

»Was ich sehr zu schätzen weiß, meine Liebe. Andererseits bin ich, genau wie du, immer für Ehrlichkeit. Und darum kommt meine Warnung von Herzen. Es interessiert mich gar nicht so sehr, wie die Verabredung zustande gekommen ist. Übrigens ist mir Professor Larsen nicht unbekannt.«

»Du kennst ihn?«

»Nicht persönlich. Aber ich habe schon einiges von ihm gehört, und nicht das Beste. Er genießt keinen guten Ruf, Judith.«

»Na, wenn schon!« lachte Judith unbekümmert. Sie hatte ihre schlechte Laune überwunden. »Mich interessiert schließlich nur seine Sammlung und nicht sein Ruf. Ich gedenke ihn nicht zu heiraten.«

*

So fand Judith Wolter sich zur angegebenen Zeit vor dem Haus des Professors ein.

Es war eine alte Villa im wilhelminischen Stil, die hinter einem hohen schmiedeeisernen Gitter in einem großen, parkähnlichen Garten lag. Doch der äußere Eindruck war alles andere als prächtig. Alles machte vielmehr einen ziemlich verkommenen, verwahrlosten Eindruck. Der Garten hätte der pflegenden Hand eines oder besser noch mehrerer Gärtner bedurft, das Haus schrie förmlich nach einem neuen Anstrich, und die Fen­sterrahmen waren wohl auch mit Farbe nicht mehr zu retten. Die mußten erneuert werden.

Judith läutete an der hohen Eingangstür. Ihr war nun doch ein wenig beklommen zumute.

Sollte sie nicht doch lieber umkehren? Vielleicht hatte Marina recht. Man ließ sich ja tatsächlich nicht von jemandem einladen, den man so gut wie gar nicht kannte, mochte es sich nun um einen Professor oder einen Landstreicher handeln.

Aber nun war es zu spät zum Davonlaufen. Die Tür wurde geöffnet… und beinahe hätte Judith vor Erleichterung gelacht.

Es war nämlich nicht Professor Larsen selbst, der ihr die Tür öffnete, sondern eine Dame. Das bedeutete also, daß er nicht allein im Haus war. An der Seriosität seiner Einladung war nun nicht mehr zu zweifeln.

Ob er vielleicht sogar verheiratet war? War diese Dame seine Frau?

Sie schien etwas älter zu sein als der Professor, war mindestens genauso groß wie er und dazu von recht kräftiger Statur. Das blonde Haar war reichlich mit grauen Strähnen durchsetzt. Sie trug es straff zurückgekämmt. Dazu paßte die hochgeschlossene Hemdbluse. Die grauen Augen blickten die junge Besucherin alles andere als freundlich an.

»Sie wünschen?« fragte sie knapp und bewegte dabei kaum die schmalen Lippen.

»Ich bin Judith Wolter«, sagte Judith. »Herr Professor Larsen war so freundlich…«

Es war zu hören, wie am Ende der großen, hallenartigen Diele eine Tür geöffnet wurde und sich eilige Schritte näherten.

»Ich wußte, Sie würden kommen!«, sagte Professor Larsen und kam mit ausgestreckten Händen auf Judith zu. Sein Lächeln hatte eher etwas Triumphierendes. »Herzlich willkommen! Brigga, du wolltest unseren Gast doch wohl nicht etwa an der Tür abfertigen?«

»Ich wußte nicht, daß du einen Gast erwartest«, sagte die Frau mürrisch.

»Entschuldige, ich vergaß, dich zu informieren. Darf ich die Damen miteinander bekanntmachen? Brigga, diese junge Dame ist eine Schülerin von mir. Eine sehr aufmerksame, interessierte Schülerin, wie ich beobachten konnte. Und dies, Frau Wolter, ist meine Schwester Brigga Larsen. Sie wirkt manchmal ein wenig unfreundlich und abweisend«, lachte er, »aber ich wüßte wirklich nicht, wie ich mein Leben ohne sie einrichten sollte. Meine Schwester führt mir den Haushalt, unterstützt meine wissenschaftliche Arbeit, begleitet mich auf allen Reisen – kurz, ohne meine Schwester wäre ich hilflos.«

Durch diesen Lobgesang wurde Brigga Larsen sichtlich besser gestimmt, wenngleich sie Judith immer noch mißtrauisch beobachtete. Es war ganz klar, daß sie über den jungen Gast wenig erfreut war.

»Bitte, Frau Wolter, treten Sie ein«, sagte Professor Larsen nun. »Oder darf ich Sie einfach Judith nennen? Das ist ein so hübscher Name, er gefiel mir gleich, als Sie ihn mir gestern nannten. Darf ich?«

»Aber ja«, nickte Judith verwirrt. Was hätte sie auch anderes sagen sollen.

»Dann kommen Sie! Ich freue mich darauf, Ihnen meine Schätze zu zeigen.«

Judith folgte der Aufforderung sofort. Wieder spürte sie, daß dieser Mann einen seltsamen Einfluß auf sie ausübte, und sie wehrte sich nicht dagegen.

Erik Larsen führte Judith ins obere Stockwerk des großen, geräumigen Hauses, das übrigens in seinem Inneren genauso unfreundlich wirkte wie von außen. Auch hier hätten Handwerker viel zu tun gehabt. Von den Türen bröckelte die Farbe ab, die ehemals sicher wertvollen Tapeten an den Wänden waren verblaßt und zum Teil sogar fleckig, die Treppenstufen der an sich eleganten, weitschwingenden Treppe, die vom oberen Stockwerk in die Halle führte, waren ausgetreten. Alles machte einen abweisenden, eher ungemütlichen Eindruck.

Der Mann schien die nun doch etwas kritischen Blicke von Judith zu bemerken. Mit dem Arm machte er eine weit ausholende Bewegung, während sie über die Treppe nach oben gingen.

»Das Haus ist gemietet«, sagte er wie nebenbei. »Ich zögere noch, ob ich es kaufen soll. Dann müßte es natürlich von Grund auf renoviert werden. Aber, wie gesagt, ich bin noch nicht entschlossen. Was würden Sie mir raten?«

»Ich… aber dazu kann ich doch nichts sagen!«

»Natürlich, war eine dumme Frage von mir. Entschuldigen Sie, Judith. Das Haus hat zweifellos seine Vorzüge. Vor allem bietet es Platz. Schauen Sie hier!«

Mit beiden Händen öffnete er eine hohe Flügeltür. Der Raum, in den sie eintraten, mochte einem früheren Bewohner als Atelier gedient haben. Er hatte hohe, bis zur Decke reichende Fenster und war äußerst sparsam möbliert. Da waren ein paar Regale an den Wänden, ein langer Tisch an der Wand neben der Tür und in der Ecke eine Sitzgruppe, die man eher schäbig nennen mußte.

Auf den Regalen waren die verschiedensten Gegenstände ausgebreitet, alte Bücher, altertümliche Werkzeuge, altes Geschirr aus Ton, zum Teil Scherben sowie verschiedene Gebrauchsgegenstände. Judith fehlten die Kenntnisse, um beurteilen zu können, welchen Wert diese Sammlung darstellte – falls sie überhaupt einen nennenswerten Wert darstellte.

In einem verschließbaren kleinen Glasschrank, der in das Regal eingebaut war, lagen einige Schmuckstücke, und das war natürlich etwas, was das Interesse der jungen Frau besonders erregte.

Judith blieb davor stehen, um die alten Ketten, Broschen und Armreifen einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.

»Dachte ich es mir doch, daß Ihnen diese Sachen am besten gefallen würden«, schmunzelte Professor Larsen. »Sie müßten keine Frau sein, wenn es anders wäre. Soll ich Ihnen das Schränkchen aufschließen? Wollen Sie sich die Schmuckstücke näher ansehen?«

»Ja, gerne«, antwortete Judith.

Erik Larsen griff in die Tasche, nahm einen Schlüsselbund heraus und suchte nach dem kleinen Schlüssel, der in das Schloß des Glasschränkchens paßte.

Er schloß auf, trat zur Seite und machte eine einladende Handbewegung zu Judith hin: »Bitte, schauen Sie sich an, was schon anderen Frauen vor Ihnen gefallen haben dürfte.«

»Danke«, lächelte Judith und trat näher. Sie war nun wirklich interessiert.

Sie hatte gar nicht bemerkt, daß Brigga Larsen ebenfalls in den Raum gekommen war. Sie spürte auch nicht die kritischen und wenig freundlichen Blicke, mit denen die Ältere sie von hinten bedachte. Sie war zu sehr gefesselt von dem alten Schmuck. Ihrem ganzen Wesen nach war sie arglos und unbefangen.

Brigga Larsen setzte sich in einen der Sessel. Sie ließ ihren Bruder und das junge Mädchen nicht aus den Augen.

Judith war ganz in die Betrachtung des Schmucks vertieft. Ein Ohrgehänge von ungewöhnlicher Größe und Form zog ihre Blicke wie magisch auf sich.

»Darf ich?« fragte Judith zögernd, während sie bereits die Hand nach dem Schmuck ausstreckte.

»Aber selbstverständlich«, nickte Professor Larsen. »Dazu sind Sie ja gekommen, um sich meine Schätze in aller Ruhe anzusehen. Und ich muß sagen, Sie haben ein feines Gespür bewiesen. Diese Ohrgehänge sind wirklich das Beste aus meiner Sammlung.«

Judith hörte schon gar nicht mehr hin. Sie hatte den Schmuck in die Hand genommen, ihre Augen hingen wie gebannt daran.