Die Frau neben dir - Liesl Frankl - E-Book

Die Frau neben dir E-Book

Liesl Frankl

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Beschreibung

Die Problematik des Zusammenlebens von Zugewanderten und Einheimischen in verschiedensten Ländern ist nicht neu, doch gleichbleibend aktuell! Interessant ist es auf jeden Fall, die Gedanken, Ängste sowie positiven Wahrnehmungen sowohl der einen als auch der anderen Seite zu kennen. Hier geht es um Frauen unterschiedlicher Herkunft und Religionsbekenntnisse, die sich drei Jahre lang im Rahmen eines Projektes in einer Gruppe, in der vier Generationen vertreten waren, regelmäßig in Österreich trafen.

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Seitenzahl: 98

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Inhaltsverzeichnis

Impressum 3

Vorwort 5

Die Frau neben dir – Geschichten vom Ankommen und Älterwerden 7

„Wir konnten bei unseren Treffen und Aktivitäten schon einige Vorurteile überwinden. Wie wirkt sich dies in deinem Alltag aus?“ 12

„Haben dich unsere Treffen verändert und was nimmst du in die Zukunft mit?“ 14

„Was hat dich stark gemacht und was macht dein Älterwerden schön?“ 15

„Wann hast du dich fremd gefühlt und wie hast du darauf reagiert?“ 31

„Die Frau neben dir – Was gefällt dir an ihr und was lernst du von ihr?“ 47

„Was erzählst du anderen Frauen über unser Projekt?“ 60

„Was bedeutet für dich Integration und was verbindet uns?“ 76

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2019Vindobona Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-946810-55-1

ISBN e-book: 978-3-946810-56-8

Lektorat: Marie Schulz-Jungkenn

Umschlagfoto: novum publishing

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: Vindobona Verlag

www.vindobonaverlag.com

Vorwort

Über einen Zeitraum von drei Jahren, so etwa alle fünf bis sechs Wochen, traf sich eine Gruppe von 10 älteren Frauen zu mehrstündigen Gesprächsrunden. Der Altersunterschied war allerdings recht groß, denn die Jüngste war knapp über 50 und die Älteste schon etwas über 90 Jahre alt. Abgesehen davon, dass drei Generationen vertreten waren, waren die Frauen auch aufgrund ihrer Herkunft und Religion sehr unterschiedlich. Es war eine gemischte Gruppe von Frauen mit und ohne Migrationsgeschichte.

Doch hatten die Frauen viel gemeinsam, egal ob sie zugewandert waren oder Einheimische: Sie kamen alle aus sogenannten „kleinen Verhältnissen“, haben wenig Schulbildung beziehungsweise kaum Qualifikationen, die in Österreich beruflich verwertbar waren, und müssen mit wenig Geld auskommen.

Begleitet wurde die Gruppe von jüngeren türkischstämmigen Frauen im Alter zwischen 30 und 40 Jahren, die – wenn notwendig – ein wenig Übersetzungshilfe leisteten, aber vor allem auch die Sicht jüngerer Frauen in die Gespräche einbrachten.

Die Treffen waren nur ein Bestandteil von zwei öffentlich geförderten Projekten, und zwar von „Miteinander gesund älter werden“ und „Gut ankommen – Leitfaden Integration“. Idee, Konzeption und Durchführung lagen beim gemeinnützigen Vereinberatungsgruppe.at. Moderiert wurden die Treffen von der Projektleiterin Liesl Frankl, die auch die Autorin dieser Publikation ist.

Alle Gesprächsrunden wurden elektronisch aufgezeichnet und anschließend verschriftlicht. Alles, was hier veröffentlicht wird, sind Originalaussagen der Frauen.

Die protokollierten Geschichten der Frauen zu Themen wie Lebensqualität, Alter(n), sich fremd fühlen, Integrationserfahrungen, persönliche Entwicklung und Selbstbestimmung werden in erzählerischer Form wiedergegeben.

Die Absicht der vorliegenden Publikation ist, dazu beizutragen, dass ein breiteres Publikum die persönliche Sicht derer kennenlernt, die zwar immer wieder Objekte wissenschaftlicher Erhebungen und der öffentlichen Diskussion sind, aber selbst – als Individuen – kaum zu Wort kommen.

Die Frau neben dir – Geschichten vom Ankommen und Älterwerden

1962 im Süden der Türkei geboren, wuchs Diba in einer katholischen Familie im weltoffenen Antakya – der Stadt an der Stelle des antiken Handelszentrums Antiochia – mit ihren vier Geschwistern auf. Heute ist die Mutter von sechs Kindern in Wien zu Hause. In der Türkei war für sie und ihren Mann ein normales Leben aus politischen und religiösen Gründen kaum noch möglich, die Familie wurde bedroht. Dann flüchtete das Ehepaar mit seinen ersten drei Kindern nach Österreich. Das war im Jahr 1991.

„Ich bin jetzt seit über 20 Jahren hier in Wien und fühle mich immer noch fremd. Ich bin immer noch nicht ganz angekommen. Wenn ich Deutsch spreche, ist das wie eine andere Welt für mich. Die Sprache ist wichtig. Ich bin aber trotzdem aktiv und suche soziale Kontakte.“

Das sagte Diba Anfang 2015 in ‚unserer Gruppe‘, einer Gruppe von Frauen unterschiedlicher Herkunft und Religionsbekenntnisse, die sich im Rahmen eines Projektes über einen Zeitraum von drei Jahren regelmäßig getroffen haben. Zehn dieser Frauen waren zu diesem Zeitpunkt bereits über 50 Jahre alt, eine ging bereits auf die 90 zu. Da auch jüngere Frauen – also unter Vierzigjährige – an den Treffen der Gruppe teilnahmen, waren vier Generationen vertreten. Das gegenseitige Kennenlernen, der Austausch und gemeinsame Aktivitäten, zusammen mit anderen Frauen aus dem jeweiligen Bekanntenkreis, waren Ziel dieses Projekts, zu dem sich Diba dann nach nur ein paar Wochen so äußerte:

„Ich habe vor dem Projekt noch nie etwas mit österreichischen Frauen gemacht – nur hier mit dieser Gruppe haben wir gemeinsam gekocht, Ausflüge gemacht, gemeinsam gegessen. Ich habe das Zusammensein zum ersten Mal erlebt. Ich finde die Gruppe sehr schön. Es gibt überhaupt keine Probleme untereinander. Meine Perspektive hat sich sehr verändert. Ich sehe auch meine Nachbarin jetzt anders. Meine Gedanken sind viel positiver! Ich bin immer freundlich gewesen, aber jetzt lächle ich sie ganz ehrlich an, von Herzen. Auf der Straße, wenn ich mit meinem Mann spazieren gehe, und in der Straßenbahn lächle ich die Leute an und grüße auch. Ich fühle mich besser, weniger fremd.“

Und Christine, eine der ‚echten Einheimischen‘ sagte darauf:

„Da freu ich mich! Ich kann mich erinnern, am Anfang hast du gesagt, du fühlst dich fremd und nicht zu Hause.“

Diba erzählte weiter:

„Ja, heute früh habe ich mich mit meiner Nachbarin unterhalten – es ist ein schönes Gefühl. Ich hab sie auch schon eingeladen und sie ist mit ihrer Tochter gekommen. Ich habe oft darüber nachgedacht, aber getraut habe ich mich erst jetzt, nachdem ich unsere Gruppe kennengelernt habe. Ja, und meine Freundin – sie kommt auch aus der Türkei – will jetzt immer bei unseren Aktivitäten mitmachen. Sie will auch österreichische Leute kennenlernen und sie hat auch viele Nachbarinnen, begrüßt sie, bringt Kekse, hat jetzt guten Kontakt. Wenn mich jetzt eine Frau, die ich kenne, nicht grüßt, dann denk ich mir, dass sie mich einfach nicht gesehen hat. Ich denke nicht mehr, dass sie etwas gegen mich hat.“

Spontan sagte die ‚Ur-Wienerin‘ Erika das, was wir alle empfanden:

„Das find ich super, dass du den ersten Schritt gemacht hast – du bist toll!“

Mit jedem Treffen der Kern-Gruppe, jeder gemeinsamen Unternehmung der großen Gruppe mit oft über 40 Frauen verschiedener Herkunft und Generationen wuchs dieses ‚Wir alle-Gefühl‘, das ‚Nicht mehr Fremd-Fühlen‘ – so auch bei mir, Liesl. Eigentlich gehörte ich nicht ganz richtig zur Gruppe, sondern hatte die Idee zu unserem Projekt, leitete es und moderierte die Gespräche bei den Treffen. Doch ich fühlte mich sehr wohl zugehörig, ebenso wie Michaela, mit der ich zusammenarbeitete und die dafür zuständig war, die großen gemeinsamen Unternehmungen und Ausflüge, die sich die Frauen der Kern-Gruppe wünschten, zu organisieren. Vom Alter her und auch was unsere Familienbiografien angeht, passten wir beide gut dazu.

Michaela hat Migrationshintergrund, man könnte sogar sagen, sie ist ein Gastarbeiterkind, da ihre Familie mütterlicherseits aus Italien stammt. Später heiratete ihre Mutter einen Niederösterreicher. Michaela wuchs in der Wiener Neustadt auf, ist Mutter zweier erwachsener Töchter und jetzt auch schon über 50 Jahre alt. Aber an die Schikanen, die sie als ‚Ausländerin‘ seitens ihrer Volksschullehrerin erfahren hatte, an die erinnert sie sich bis heute noch sehr gut.

Ich, Liesl, bin im Jahr 1948 in Wien geboren und hier aufgewachsen. Auch meine Mutter und mein Vater waren ‚waschechte Wiener Kinder‘. Doch dann in ihrer frühen Jugend, Ende der 1930er-Jahre, als die Nationalsozialisten in Österreich zu herrschen begannen, waren sie unerwünscht, weil sie aus jüdischen Familien stammten. Sie wurden von den Nazis verfolgt, ihre – und meine – Angehörigen in Konzentrationslagern gemartert und ermordet. Sowohl meiner Mutter als auch meinem Vater gelang die Flucht nach England, wo sie einander kennenlernten und heirateten. Nach Kriegsende kehrten sie nach Wien zurück. ‚Erwünscht‘ fühlten sie sich hier aber nie wieder und ich bekam es in meiner Volksschulzeit von der Lehrerin auch zu spüren, dass ich nicht richtig dazugehöre.

Diskriminierung erfahren zu haben, hat unsere Projektgruppe geeint. ‚Wir alle‘ haben erlebt, nicht als gleichwertig angenommen zu werden, und zwar aus verschiedenen Gründen, aus religiösen, wegen der ausländischen Herkunft, weil die Herkunftsfamilien arm waren, die Verhältnisse zerrüttet oder einfach nur, weil wir Frauen sind.

Christine war 70 Jahre alt, als sie zur Projektgruppe kam. Sie ist verheiratet und Mutter einer Tochter. Aufgewachsen ist sie im 5. Bezirk in einem Zinshaus, in einem Kabinett gemeinsam mit fünf Erwachsenen, Wasser und WC am Gang. Als uneheliches Kind verbrachte sie die ersten Jahre bei der Großmutter, die auch ihre Bezugsperson war. Die Mutter kam nur zu Besuch. Als sie fünf Jahre alt war, hat die Mutter geheiratet und Christine zu sich genommen. Sie kam in eine ihr fremde Familie, wurde schlechter behandelt als ihre Stiefgeschwister und fühlte sich nie angenommen. Im Alter von 14 ist sie von zu Hause ausgerissen und hat in einem Gasthaus auf dem Land gearbeitet. Von der Polizei abgeholt und wieder nach Wien zurückgebracht, begann sie hier eine Bürolehre und arbeitete bis zu ihrer Pensionierung immer in Büros. Seit einigen Jahren engagiert sie sich politisch als Bezirksrätin für Pensionisten und Pensionistinnen und organisiert für sie regelmäßige Club-Treffen.

Erika ist mit 72 Jahren ins Projekt ‚eingestiegen‘. Sie wuchs mit fünf Geschwistern in sehr armen Verhältnissen in Wien auf. Der Vater war Trinker, es gab Gewalt in der Familie. Von anderen Kindern wurden Erika und ihre Geschwister deshalb gemieden – es wurde auf sie ‚runtergeschaut‘, wie es Erika ausdrückt. Die Buben durften etwas lernen, die Mädchen nicht. Sie hat in einer Putzerei und als Reinigungsfrau in einem Spital gearbeitet, ist Mutter einer Tochter und hat schon eine fast erwachsene Enkeltochter. Etliche Jahre war Erikas Ehe gut, dann hatte der Mann eine andere Frau. Es folgte die Scheidung und Erika fiel psychisch in ein großes Loch. Lange Jahre war sie alkohol- und tablettensüchtig, bis ihr schließlich der Entzug gelang. Mit therapeutischer Hilfe schaffte sie es zurück in ein zufriedenes Leben. Obwohl sie mit einer sehr niedrigen Rente auskommen muss, ist sie unternehmungslustig, geht wandern und in Ausstellungen. Bereits seit etlichen Jahren hilft sie anderen, macht regelmäßig einmal pro Woche freiwilligen Besuchsdienst im Spital.

Als Fatma zu unserer Gruppe kam, lebte sie bereits fast 30 Jahre lang in Wien und war mit ihren 50 Jahren eine der Jüngeren unter den ‚Alten‘. In ihrer ehemaligen Heimat Türkei wuchs sie in ländlichen Verhältnissen mit neun Geschwistern auf. Wie es so üblich war, besuchte sie nur fünf Jahre lang die Schule und lernte keinen Beruf, obwohl es immer ihr großer Wusch war, möglichst viel zu lernen und zu studieren. Bei einem Wienbesuch im Alter von ungefähr 20 lernte sie dann hier einen türkischen Mann kennen, heiratete ihn und wurde Mutter von zwei Kindern. Trotzdem war Fatma immer berufstätig, zum Beispiel bei der Post in der Abfertigung oder als Bäckereiarbeiterin und Putzfrau. Dass sie gut Deutsch kann, führt Fatma vor allem auch darauf zurück, dass sie immer arbeiten gegangen ist, sich verständigen und integrieren musste und aufgrund ihres ungebremsten Lerneifers auch sehr wollte. In unserer Gruppe erzählte Fatma, die aus religiöser Überzeugung Kopftuch trägt, Folgendes:

„Stellt euch vor, was mir unlängst, gleich nach unserem Treffen, bei dem wir über Vorurteile zwischen Einheimischen und Migranten gesprochen haben, passiert ist. Als ich durch einen öffentlichen Durchgang im Gemeindebau gegangen bin, hat mir ein älterer Mann den Weg versperrt. Er stellte sich vor mir auf, hat geschrien, dass ich als Ausländerin hier nicht gehen darf, und mich mit Schimpfworten beleidigt. Aber ich habe mich gewehrt, habe auf Wienerisch zurückgeredet und gesagt, dass hier jeder Mensch gehen darf und ich auch ein Mensch bin. Daraufhin wollte mir der Mann ins Gesicht schlagen. Das ist ihm aber nicht gelungen, weil ich ganz rasch eine Stecknadel aus meinem Kopftuch gezogen habe, ihn damit in seinen Mantelärmel gestochen habe, sodass er zurückzuckte. Ein älteres Ehepaar, das dies alles ruhig mit angesehen hatte, hat dann auch noch etwas gegen mich gesagt, als ich endlich weitergehen konnte.“

„Wir konnten bei unseren Treffen und Aktivitäten schon einige Vorurteile überwinden. Wie wirkt sich dies in deinem Alltag aus?“