Die Frauen von Troja - Emily Hauser - E-Book

Die Frauen von Troja E-Book

Emily Hauser

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Beschreibung

Vor dreitausend Jahren tobte ein Krieg, der die damalige Welt in ihren Grundfesten erschütterte: Der Trojanische Krieg hat viele Helden hervorgebracht. Hier erzählen Die Frauen von Troja die Legende aus ihrer Sicht.

Dies ist die Geschichte der Griechin Admete und der Amazonenkönigin Hippolyta. Um ein Heilmittel für ihren kranken Bruder zu finden, begibt Admete sich mit Herkules, der als letzte seiner zwölf Aufgaben den Kampfgurt der Hippolyta erringen soll, zu den Amazonen. Die Kultur der Griechen und die der Amazonen prallen aufeinander, es kommt zur bewaffneten Auseinandersetzung. Und Admete und Hippolyta, die emotional mit beiden Kulturen verbunden sind, müssen sich entscheiden, auf wessen Seite sie stehen ...

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Seitenzahl: 411

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Buch

Vor dreitausend Jahren tobte ein Krieg, der die damalige Welt in ihren Grundfesten erschütterte: Der Trojanische Krieg hat viele Helden hervorgebracht. Hier erzählen die Frauen von Troja die Legende aus ihrer Sicht.

Dies ist die Geschichte der Griechin Admete und der Amazonenkönigin Hippolyta. Um ein Heilmittel für ihren kranken Bruder zu finden, begibt Admete sich mit Herkules, der als letzte seiner zwölf Aufgaben den Kampfgurt der Hippolyta erringen soll, zu den Amazonen. Die Kultur der Griechen und die der Amazonen prallen aufeinander, es kommt zur bewaffneten Auseinandersetzung. Und Admete und Hippolyta, die emotional mit beiden Kulturen verbunden sind, müssen sich entscheiden, auf wessen Seite sie stehen …

Informationen zu Emily Hauser sowie zu weiteren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.

EMILY HAUSER

TOCHTER DES HIMMELS

Historischer Roman

Deutsch von Sonja Hauser

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »For the Immortal« bei Transworld Publishers, a division of The Random House Group Ltd., London.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

1. Auflage

Deutsche Erstveröffentlichung April 2019

Copyright © der Originalausgabe 2018 by Emily Hauser

First published as »For the Most Beautiful« by Transworld Publishers, a division of The Random House Group Ltd.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: UNO Werbeagentur nach einem Entwurf von Penguin Randomhouse UK

Covermotiv: Feder: plainpicture/Elektrons 08

Hintergrund: Nine Tomorrows/Shutterstock

Karte: © Peter Palm, Berlin, auf Basis einer Karte von Liane Payne

Redaktion: Irmi Perkounigg

BH · Herstellung: kw

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-18501-5V001

www.goldmann-verlag.de

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Für Athina, Natalia und Arabella, die den Anstoß dazu gaben, und für Oliver, immer

Inhalt

Prolog

AMAZONEFünfzehn Jahre vor dem Trojanischen Krieg

Tödliche Wunden

Die letzten Arbeiten

König und Königin der Götter

Zu Wasser und zu Lande

Der Kampfgurt der Hippolyta

Garten der Hesperiden

Antimaches Geschichte

Streit um den Kampfgurt

Abschied vom Land der Saken

GRIECHIN

Zu den Enden der Erde

Sturm

Griechin werden

Angriff der Amazonen

Die Schlacht um Athen

Letzte Begegnung

Heimreise

Über das Schicksal

UNSTERBLICHZur Zeit des Trojanischen Krieges

Nach Troja

Das Epos beginnt

Epilog

Anmerkung der Autorin

Kalender der Bronzezeit

Dank

Auftretende Figuren

Erwähnte Orte

Glossar skythischer Ausdrücke

Weiterführende Literatur

Also bestatteten sie den Leib Hektors, und dann kam die Amazone, die Tochter des Ares, die mutige Töterin von Männern …

Ilias, 24. Gesang, Zeile 804 f.Laut einer frühen Fassung von Homers Ilias

Prolog

Der Himmel über Delphi ist dunkel. Es herrscht Stille. An diesem heiligen Ort singen die Vögel noch nicht. Nur eine Fackel bewegt sich wie ein Glühwürmchen durchs Unterholz, als ein Mann auf einem gewundenen Pfad die Hänge des Parnassos zum Orakel der Götter hinansteigt. In der Felsspalte, in der die Prophetin wohnt, verwischen die Grenzen zwischen sterblich und unsterblich, sie zerreißen wie ein Schleier; die Worte der Götter dringen durch die Ritze zu den Menschen. Alles ist fremd und merkwürdig. Eine Sterbliche spricht in den Zungen der Götter. Beißender Dampf weht durch Risse im Boden aus der Unterwelt herauf. Eine Höhle, in der eine Priesterin über heiligem Rauch vor sich hin murmelt, wird das größte Heiligtum überhaupt werden. Sie wird Pilger aus aller Welt mit Gaben aus Gold für die Seherin anlocken und mit Marmormonumenten geschmückt sein. Könige werden auf den Knien hierherrutschen, um die Befehle der Götter zu empfangen und ihre Zukunft an den Worten einer irren Priesterin auszurichten, sodass nach dem Willen der Unsterblichen Reiche entstehen und vergehen.

Hier, in der Esse der Götter, wird das Schicksal geschmiedet.

Die erste Prophezeiung steht unmittelbar bevor.

Als der Mann den Wald hinter sich lässt, wirft das Licht seiner Fackel Schatten auf die Felswände. Seine Schuhe zerdrücken den auf dem Boden ausgestreuten getrockneten Salbei. Er betritt die Höhle geduckt, ätzender Schwefelgeruch steigt ihm in die Nase. Sobald seine tränenden Augen sich an die Düsternis gewöhnt haben, sieht er die Frau, die über die Glut des Feuers gebeugt steht, die Haare lose über der Schulter. Sie schaut ihn mit starrem Blick an.

»Du bist gekommen«, sagt sie mit belegter Stimme, als hätte sie lange nicht gesprochen.

»Du bist Pythia?«

»Und du bist Alkides.« Das ist keine Frage, sondern eine Feststellung.

Er zögert erstaunt. »Ja, ich bin Alkides, Sohn von Zeus und Alkmene, Nachkomme von Alkaios.«

Sie neigt sich über die Glut zu ihm. »Und du möchtest eine Auskunft von mir.«

Wortlos lehnt er die Fackel an die Felswand, sodass der Rauch in der Höhle sich orangegolden färbt, und kniet vor ihr nieder. »Ja.«

Kurz schweigt sie, bevor sie ihn auffordert: »Dann frag.« Sie stochert mit einem Stock in der Asche. »Deshalb bist du doch aus dem fernen Theben zu mir gekommen.«

Er schluckt; seine Miene verrät Unsicherheit. Plötzlich wirkt er sehr viel jünger als noch ein paar Minuten zuvor, wie ein Knabe, der wissen möchte, wohin er gehört, warum er hier ist. Warum sein Vater ihn nicht wollte.

»Ich würde gern erfahren«, sagt er mit überlauter Stimme, »wie ich ein Gott werden kann.«

Die Seherin holt so tief Luft, dass die Höhle erbebt. Die Fackel verlöscht, nun spendet nur noch die rote Glut Licht. Dichter Rauch steigt um die Priesterin herum auf, sie verdreht die Augen. Das Weiße und die roten Äderchen werden sichtbar.

»Pythia?« Der Mann macht einen Schritt auf sie zu, als wollte er sie stützen, doch ihre raue, in der Dunkelheit hallende Stimme hält ihn zurück. Sie klingt wie ein Echo der Geister im Tartaros:

»Du bist von Zeus auserwählt, als Sohn eines Gottes und Anführer von Menschen über die Helden Griechenlands zu herrschen, doch der Zorn Heras steht dir im Weg. Wird sie nicht besänftigt, führt sie deinen Niedergang herbei. Zeus hat sie, seine Gattin, vor Jahren mit Alkmene betrogen und dich mit jener gezeugt. Diesen Fehltritt kann die Königin der Götter ihm nach wie vor nicht verzeihen. In ihrer Eifersucht zürnt Hera dir, weil du sie daran erinnerst.«

Wieder holt sie rasselnd Luft, ihr Brustkorb hebt sich, und ihr Kopf sinkt nach vorn, als wäre die Kraft der Götter, die sie durchströmt, zu viel für ihren sterblichen Körper.

»Wenn du sie besänftigen und im Olymp wohnen möchtest: Höre meine Warnung und gedenke ihrer. Zwölf gefährliche Arbeiten warten auf dich, die noch kein Mensch vor dir geschafft hat und auch nach dir keiner mehr schaffen wird. Du wirst wilde Bestien erschlagen und Löwen zähmen, gegen Vögel mit Bronzeschnäbeln und Stiere mit Feuerodem kämpfen, wie es sich für den besten und größten Helden Griechenlands geziemt.

Du wirst diese Aufgaben für Eurystheus, den König von Tiryns, erledigen und zehn Jahre lang bei seinen Söhnen und seiner Tochter leben.

Vor dir liegen zwei mögliche Schicksale, zwei Pfade zum Tod. Nur du selbst kannst entscheiden, welchen du wählst. Wenn du von Theben fortgehst und die Arbeiten annimmst, wirst du deine Heimat nie mehr wiedersehen, doch Zeus erhebt dich zum Gott, das hat er geschworen, und Sterbliche auf der ganzen Erde werden dich bis in alle Ewigkeit verehren, dich, den Sohn eines Gottes. Und Hera hat versprochen, dass sie dich, wenn du diese Aufgaben bewältigst, akzeptiert und du fortan als Herkules bekannt sein wirst.

Aber wenn du versagst oder dich weigerst, die Arbeiten zu erledigen, wird sie dafür sorgen, dass du der Vergessenheit anheimfällst, dass niemand mehr deinen Namen kennt und du niemals unsterblich wirst.«

Sie verstummt, ihr Kinn sinkt auf die Brust. Das gespenstische Licht erlischt, der Nachhall des Tartaros verklingt. Nun ist es in der Höhle wieder dunkel. Der Mann, der später als Herkules bekannt sein wird, sieht die Priesterin an, wartet auf mehr.

»Ich kann frei entscheiden?«, fragt er schließlich mit finsterer Miene, als sie den Kopf hebt. »Ich bin zu dir gekommen, um Antworten zu erhalten, wollte meine Bestimmung, den Spruch der Schicksalsgöttinnen, ergründen und erfahren, was ich tun soll.«

»Das hängt davon ab, was du selbst möchtest.«

Er beugt sich vor. Seine Antwort kommt so schnell wie ein Windstoß. »Unsterblichkeit.«

Sie mustert ihn. Schwefeldampf kräuselt sich zwischen der schwer atmenden Priesterin und dem Mann, der voller Tatendrang und Leidenschaft ist.

»Du scheinst deine Wahl bereits getroffen zu haben, Sohn des Zeus.«

Auf dem Olymp erhebt sich eine der Musen von ihrem Sitz im Saal der Schicksalsgöttinnen. Verborgen hinter einer Säule am Ende der Kolonnade, von wo aus sie beobachten kann, ohne selbst gesehen zu werden, hat sie die ganze Nacht über dem Treiben der Völker auf der Erde zugeschaut. Die rosigen Fingerspitzen der Morgendämmerung wandern über den Horizont, tauchen das Land in sanftes Licht und lassen die Vögel, die über der Küste dahinfliegen, wie Tintenkleckse erscheinen. Für die Sterblichen, die in ihren Behausungen im Tal erwachen und sich daranmachen, die Wiesen mit ihren Sensen zu mähen oder die Trauben von den Rebstöcken zu ernten, beginnt nur wieder ein neuer Tag. Doch im Schatten der Nacht hat ein neues Zeitalter begonnen. Die Muse erhebt sich, zieht ihren Umhang enger um den Leib und ihre Kapuze tiefer in die Stirn.

Endlich ist es so weit.

In der Dunkelheit schleicht sie zu einem Alkoven und schiebt einen Paravent zurück, der so bemalt ist, dass er dem Marmor der Säulen ähnelt. Dahinter kommt ein fleckiges altes Zedernholzkästchen mit Bronzeschloss zum Vorschein. Der Saal wird lediglich von einigen Öllampen erhellt, die bereits am Verlöschen sind, doch Kalliope, die Älteste der Musen, braucht kein Licht, um sich zurechtzufinden. Ihr Blick huscht über Regale und Tische voller Papyrusrollen und über Tintenfässer. Sie hält Ausschau nach Eindringlingen und Spionen. Der Saal ist leer; sie nimmt keine Schatten und kein Flüstern wahr, die ihr verraten würden, dass sie beobachtet wird. Kalliope zieht einen Schlüssel aus ihrem Umhang und schiebt ihn in das Schloss. Kurz herrscht Stille, dann ertönt ein Klicken. Der Deckel öffnet sich.

Da sind sie, die drei goldenen Äpfel, die sie und Hermes damals bei Heras und Zeus’ Hochzeitsfeier gestohlen haben. Die Erdgöttin höchstpersönlich hatte einen Apfelbaum aus geschmolzenem Gold geformt, um diese Ehe zu segnen. Als der Geruch von Zedernholz, vermischt mit dem von jahrhundertealtem Staub, aufsteigt, gestattet sich Kalliope einen kurzen Moment der Erinnerung. Während des Festes, bei dem die Götter ziemlich tief ins Glas schauten, hatte sie Hermes, dem Gott der Diebe und Betrüger, zugeflüstert, was sie plante. Zusammen waren sie, als die Nacht ihren dunklen Schleier über den Festsaal breitete, zu dem goldenen Apfelbaum geschlichen, und sie hatte, während Hermes Schmiere stand, seine Früchte gepflückt. Kalliope lächelt bei dem Gedanken daran, wie ob ihrer Dreistigkeit die Erde unter ihnen bebte, wie sie über den sich hebenden und senkenden Boden wegrannten, wie sie die drei Äpfel an ihre Brust presste. Wie Hera am folgenden Tag von ihrem Ehebett aufstand, zum ersten Mal den Eichenlaubkranz auf ihr Haupt setzte und bemerkte, dass die Äpfel verschwunden waren. Wie sie wütete, ohne zu wissen, von wem sie entwendet worden waren. Wie sie daraufhin die drei Töchter des Atlas als Wächterinnen, eine für jeden der verlorenen Äpfel, aufstellte und den Baum in einen Garten am Ende der Erde verpflanzte, damit niemand mehr die Königin der Götter bestehlen konnte.

Kalliope lässt die Spitze ihres Zeigefingers über die glatte Oberfläche der Äpfel gleiten wie eine Mutter, die die Wange eines Neugeborenen liebkost. Drei Kugeln, glatt und rund und im matten Licht der Lampen glänzend, die Stiele wie goldene Fäden, nebeneinander in einer Kiste, deren Holz mit Goldschnitzereien verziert ist.

Drei, denkt sie.

Einer für jede von ihnen.

Sie blickt in dem Wissen über die Schulter, dass sie den Olymp vielleicht niemals wiedersehen wird.

Kalliope weiß, sie riskiert alles in diesem gefährlichen Spiel.

Sie schließt den Deckel des Kästchens und klemmt es unter den Arm. Als sie sich dem Saal zuwendet, ihre Schritte so schnell, dass ihr Umhang hinter ihr flattert, gelten ihre Gedanken ausschließlich der Frage, wo sie sich mit ihrer Beute verstecken soll. Sie muss sich unter den Sterblichen aufhalten, damit sie im richtigen Moment eingreifen kann. Es wird schwierig werden, sich einerseits vor Hera zu verbergen und sich andererseits zurückzuhalten, bis sie sich absolut sicher sein kann – deshalb ist die Wahl ihres Verstecks so wichtig. In der Welt der Sterblichen gibt es zahllose Möglichkeiten, sich zu verbergen. Da sie diesen Tag schon seit Tausenden von Jahren plant, entschlossen und energisch, wie es der Muse der epischen Dichtkunst geziemt, hat sie ihre Entscheidung bereits getroffen. Sie will zu den riesigen Wäldern am Ende der Welt, wo die Adler ihre Kreise ziehen und mit ihren Schwingen über die Wipfel der Bäume streichen.

Wenig später erreicht sie wieder die Kolonnade am Rand des Olymp, von der aus sich der weite Himmel bis zum Horizont erstreckt. Sie schließt die Augen, hält zwischen zwei hohen Säulen inne. Unter ihr fällt der Fels steil ab. Sie spürt die Wärme der Sonne auf ihrem Gesicht – das erste Licht eines neuen Zeitalters.

Das letzte Mal, dass sie möglicherweise die Sonne vom Gipfel des Olymp aus sieht.

Sie presst das Kästchen noch fester an ihre Brust.

Dann schlingt sie den Umhang um ihren Körper und lässt sich, anmutig wie eine Schwalbe, in die Morgenluft fallen.

Das Zeitalter der Heroen beginnt.

AMAZONE

Fünfzehn Jahre vor dem Trojanischen Krieg

Hippolyta besaß einen Kampfgurt, das Symbol ihrer Tapferkeit vor allen anderen Amazonen; und Herkules wurde ausgesandt, ihn zu holen, weil Admete, die Tochter des Eurystheus, ihn begehrte.

Apollodor, Bibliotheke 2.5.9.

TÖDLICHE WUNDEN

Hippolyta

Amazonen, Land der Saken Neununddreißigster Tag nach dem Tag der Stürme in der Jahreszeit von Tar, 1265 v. Chr.

Die eisige Luft brannte auf meinen Lippen und in meinen Augen, als ich mich mit einer Mischung aus Furcht und Mordlust, die mir im Blut lag und meine Verpflichtung als Königin war, auf den Rücken meines Pferdes Kati schwang.

»Los!« Ich stieß der Stute die Fersen in die Flanken und riss an den Zügeln. Sie bäumte sich auf; aus ihren Nüstern stieg der Atem wie Rauch auf, und in ihren Augen war das Weiße zu sehen, als Reiter, Kriegsgeheul ausstoßend, in einer Wolke aus Schnee auf unser Lager zugaloppierten.

»Melanippe!«, rief ich und lenkte mein Ross zu ihrem Zelt. Es war so kalt, dass Eiskristalle auf meinen Wimpern lagen. »Melanippe!«

Sie trat mit zwei Speeren heraus und schlang den Kampfgurt um ihre Taille. Einen der Speere warf sie mir zu. Ich fing ihn mit der linken Hand und schob ihn in den Waffengurt auf meinem Rücken. »Budiner?«, fragte sie mit einem Blick auf die rostroten Haare unter den starren Mützen der Reiter.

Ich nickte. »Sie scheinen zu wissen, dass Orithyia unsere Leute nach Hylaia geführt hat. Offenbar wollen sie, dass wir uns kampflos ergeben, sonst wären sie schon längst hier im Lager.«

Melanippe schnaubte verächtlich. »Kampflos? Da kennen sie die Amazonen schlecht.« Sie sprang ihrerseits auf ihr Pferd, ein schwarzes Tier mit langem Hals und weißer Blesse. Ich legte eine Hand auf ihren Arm. »Die Kinder des Stammes … Teuspa bleibt wie immer zurück, um sie zu schützen?«

»Ja, Teuspa bleibt mit einer Wache.«

Sie ritt zu den anderen Zelten, während ich Kati wendete, um den Blick über das Lager wandern zu lassen. Ich sah Agar aus unserem Rat; Ioxeia, die betagte Priesterin des Stammes, die ihren Wolfspelz über den Schultern trug; Toxis, die ihren Kampfgurt festzurrte und ihrer Tochter Polemusa half, den Waffengurt anzulegen. Andere Amazonen waren dabei, Filzdecken über die Rücken ihrer Pferde zu werfen und aufzusteigen. Ihre Lederschuhe waren schneeverkrustet, ihre Eisendolche funkelten im Licht der Abendsonne, Bogen und Köcher hingen von ihren Gürteln, die Schilde hatten sie an Riemen über der Schulter befestigt.

Obwohl der Steppenwind gegen die nackte Haut meines Gesichts heulte und mir in den Ohren pfiff, sodass ich kaum noch die Kriegsrufe der Angreifer hörte, zeigte ich, die Königin, mich meinen Leuten vor dem Kampf. Sie brachten ihre Pferde in eine Reihe, meine zwölf besten Kriegerinnen vorne, dann die Mädchen, die noch nicht ganz zu Frauen herangereift waren, unter ihnen Polemusa, und schließlich die Männer mit grauen, schneebedeckten Bärten und die Knaben. Sie neigten die Köpfe vor mir. Mein Hirschlederumhang flatterte um meinen Körper, als ich an ihnen vorbeiritt und jedem Einzelnen zunickte. Wie immer vor einem Kampf ging mein Atem schnell, und es schnürte mir die Kehle zu. Am Ende der Reihe reckte ich als Anführerin dieser Eisarmee meinen Bogen gen Himmel.

»Oiorpata!«

»Oiorpata!«, erwiderten die Amazonen den uran, unseren Schlachtruf.

Auf mein Signal hin löste sich Melanippe aus der Gruppe der Kriegerinnen, die ihr, die Schilde auf den Rücken wippend, folgten.

»Oiorpata!«, rief ich den anderen noch einmal zu, wendete mein Pferd und galoppierte zum Rand des Lagers, wo die Budiner nach wie vor unter Kriegsgeheul ihre sagaris-Streitäxte aus Bronze schwangen. Ich trieb, den Kopf gegen den Wind gesenkt, mein Pferd an. Hinter mir hörte ich den dumpfen Klang Hunderter Hufe im Schnee. Die Amazonen spannten ihre Bogen; kurz darauf regneten Pfeile auf die Budiner herab. Ich ließ die Zügel los und lenkte Kati mit den Knien, wie meine Mutter es mir beigebracht hatte, als ich ein Kind war und Kati ein Fohlen mit spillrigen Beinen. Nun zog ich vier rot gestreifte Pfeile aus dem Köcher, legte sie auf und ließ den ersten losschnellen, dann kurz hintereinander den zweiten, dritten und vierten, während ich weitergaloppierte, so mühelos, wie ein Schiff mit schmalem Kiel durch die Wellen schießt. Ich sah, wie alle ihr Ziel trafen, wie drei Budiner vor Schmerz aufschreiend mit einem dumpfen Knall von ihren Rössern stürzten. Der vierte presste eine Hand auf seinen Arm, als Blut durch sein Gewand sickerte und sich eine dunkelrote Lache auf dem Boden bildete.

Die Budiner formierten sich neu, schlossen, die sagaris-Äxte in den Händen, die Reihen. Ihre Pferde stampften nervös mit den Hufen. Grimmig lächelnd hob ich meinen Speer, die andere Hand auf Katis Nacken, und schleuderte ihn. Ein weiterer Schmerzensschrei, als er in der Brust eines Angreifers landete und dieser nach vorne sank. Sein Pferd scheute und warf ihn ab. Die Budiner erhoben johlend ihre Streitäxte und schlugen damit gegen ihre Schilde, bevor sie, die sagaris über den Köpfen schwingend, auf uns zustürmten.

Nun war der richtige Zeitpunkt. Melanippe und ihre Leute hatten mittlerweile das Flussufer erreicht, das wusste ich.

Jetzt würden die Budiner erfahren, warum wir die besten Krieger aus dem Volk der Saken waren.

»Zurück!«, rief ich. »Zurück!«

Kati reagierte sofort auf das Signal meiner Zügel. Schon wichen die Truppen der Amazonen; die Pferde donnerten mit wehender Mähne über den Schnee. Schneller als die Vögel am Himmel bewegten wir uns vom Lager weg zum zugefrorenen Silis-Fluss und den unter der Last des Schnees gebeugten Bäumen, verfolgt von den Budinern. Ich blickte über die Schulter und sah ihre gebleckten Zähne weiß in der Abenddämmerung leuchten. Gleich, dachte ich, während mein Körper sich im Rhythmus des Pferdes hob und senkte und die Lagerfeuer allmählich in der Dunkelheit verschwanden. Gleich …

Als wir die Bäume erreichten, tauchten Melanippe und ihre Leute kreischend, die Bogen erhoben, Pfeile abschießend, an der linken Flanke der Budiner auf.

»Jetzt!«

Mein Zorn trieb mich an, als ich mich auf meinem Pferd umwandte, den Bogen zückte und mit der Wildheit einer Wolfsmutter, die ihre Welpen beschützt, kurz hintereinander fünf Pfeile auf die nichts ahnenden Budiner abschoss. Das Schnalzen der Sehnen und das Zischen der Pfeile verrieten mir, dass meine Kampfgenossen es mir gleichgetan hatten. Der Wind trug die Schmerzensschreie der Budiner, die zwischen dem zugefrorenen Fluss und den Bäumen in der Falle saßen, zu uns herüber. Ich verschloss meine Ohren und spannte meinen Bogen ein weiteres Mal, behielt jedoch die Zelte in der Ferne trotz des von den Hufen unserer Pferde aufgewirbelten Schnees im Blick.

»Noch einmal!« Erneut sandte ich meine Pfeile dem Feind entgegen, der es gewagt hatte, mein Volk anzugreifen. Das Aufheulen der verletzten Budiner durchschnitt die Luft wie die Schreie von Adlern auf der Jagd.

»Auf die andere Seite!«, rief ich. Ich lenkte Kati mit gesenktem Kopf nach rechts. Die Amazonen wendeten ihre schnaubenden Pferde in Richtung Lager, während ein Pfeilregen aus Bronze und Eisen aus der Winterluft herniederging. Mir wurde flau im Magen, als ich im dichten Schneegestöber plötzlich einige Budiner erkannte, die sich von der Hauptgruppe getrennt hatten und die Zelte angriffen, sie plünderten und die Pferde losmachten, die wir zurückgelassen hatten.

»Nein!«

Ich trieb Kati, deren Körper ich schweißnass unter meinen Händen spürte, an. Hinter mir galoppierten die Amazonen so schnell, dass die Erde bebte. Ich stieß Kati die Fersen in die Flanken – darauf konzentriert, mein Lager, mein Zuhause und mein Volk zu erreichen.

Acht bis zehn Budiner kämpften gegen unsere Wache. Teuspa konnte ich nirgends entdecken. Die Eindringlinge bemerkten uns einer nach dem anderen, schwangen sich auf ihre Pferde und flohen. Meine Pfeile flogen durch die Luft; Wut brannte in mir wie eine lodernde Flamme. Als Kati, dampfende Atemwolken ausstoßend, das Lager erreichte, verschwanden die letzten Budiner in Richtung des zugefrorenen Flusses im Norden. Sie folgten ihren Genossen, die sich zurückzogen, fünf unserer Pferde an den Zügeln mit sich führend. Ich griff in meinen Köcher, holte vier Pfeile heraus und schickte sie den Angreifern hinterher. Doch weil der Schnee und die Düsternis meine Sicht behinderten, landeten alle im Boden, ohne ihr Ziel zu treffen.

Ich schlug mir mit der Hand auf den Oberschenkel. Meine Augenwinkel waren mit Eis verkrustet.

Melanippe schloss zu mir auf. »Sie sind weg, Schwester.«

Ohne ihr zu antworten, brachte ich Kati zum Stehen, sprang von ihr herunter in den Schnee und lief zur nächstgelegenen Jurte.

»Teres?«, rief ich mit zitternder Stimme. »Ainippe?«

Zwei Kinder, beide noch keine zehn Jahre alt, lugten, auf den Köpfen Pelzmützen, mit großen Augen unter der Zeltklappe hervor. Ich rannte weiter, um nach denen zu sehen, die wir im Lager zurückgelassen hatten, überprüfte sämtliche Jurten, in denen ein Kind lebte, und drückte sie eines nach dem anderen an meine Brust, als ich feststellte, dass sie unverletzt waren. Erleichtert beobachtete ich, wie ihre Mütter sie umarmten, und wies Ioxeia an, sich um die Verwundeten zu kümmern. Am Ende erreichte ich das Zelt von Melanippe, das mit Filz- und Hirschlederstücken bedeckt war.

»Teuspa?«, rief ich.

Schweigen. Melanippes Mann trat heraus, eine Hand rot von Blut.

Ich schnappte nach Luft.

»Kayster«, sagte er nur.

Admete

Tiryns, Griechenland Achter Tag des Monats von Zeus, 1265 v. Chr.

Wie immer, wenn ich das Herbarium betrat, schloss ich die Augen, um mich ganz den Gerüchen hinzugeben, der nussigen Wärme des zerstoßenen Kreuzkümmels, dem herbstlich muffigen Aroma von Mönchspfeffer, der minzig süßen Zitronenmelisse oder dem zarten Duft der Maiglöckchen. Die Bezeichnungen, Eigenschaften und Darreichungsformen verliehen mir ein Gefühl der Sicherheit. Mir gefiel es, wie die Pflanzen dem Rhythmus der Jahreszeiten folgten: Man konnte sich darauf verlassen, dass die Mohnblumen leuchtend rot im Frühjahr blühten und die Trauben gegen Ende des Sommers dunkler wurden. Ich liebte die mit Stöpseln verschlossenen Gefäße auf den Regalen, auf die ich selbst den Namen der jeweiligen Pflanze darin geschrieben hatte. Alles war geordnet und vorhersehbar. Die Befriedigung darüber, die Ursache für Beschwerden sowie Heilmittel dagegen zu erkunden und anzuwenden, war die schönste Empfindung, die ich kannte.

Ich öffnete die Augen, um mich in dem mir vertrauten Raum umzusehen. Rechts von mir befand sich ein langer Tisch, auf dem ich die Kräuter zubereitete. Er war voller Flecken von ihrem Saft. Links standen bis zum Rand gefüllte Wasserkrüge an der Wand aufgereiht. Die Feuerstelle wärmte meine Haut und trocknete die Kräuterbüschel und Knoblauchknollen, die ich gesammelt hatte und die nun von den Dachsparren hingen. In dem Raum herrschte Dunkelheit, das war gut für die Kräuter. Nur das goldene Licht der Flammen und der kleinen Lampe neben der Waage erhellte ihn. Ich stellte den Krug mit Öl ab, den ich aus der Küche geholt hatte, und rückte mit dem Hocker zum Tisch, um mich ans Werk zu machen.

»Ihr werdet Euch noch die Augen verderben, wenn Ihr so spät und bei so wenig Licht arbeitet.«

Laodamas, einer der Priesterheiler, war aus dem Vorratsraum eingetreten. Der Geruch von Rauch und Weihrauch hing in seinem Gewand, das sich über seinem dicken Bauch spannte. Ich hob den Blick von den getrockneten Thymianstängeln, die ich gerade abzupfte. »Es ist nicht spät, Laodamas. Ich habe den Schrei der Eule noch nicht gehört.«

Er gab mir mit dem Holzlöffel, mit dem ich zuvor einen Kamillentee gemischt hatte, einen Klaps auf die Fingerknöchel. »Ihr solltet auf den Schmerz in Euren Schläfen achten, nicht auf die Geräusche der Vögel«, sagte er, stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab und musterte mich stirnrunzelnd. »Ist das Augenlicht erst einmal verloren, lässt es sich auch mit Augentrost nicht wiedergewinnen.«

»Ja, das stimmt.« Ich senkte seufzend den Kopf und zupfte weiter. »Aber dieser Thymian ist sehr trocken. Ich möchte ihn verarbeiten, bevor er zerfällt.«

»Und dann?«, erkundigte er sich. »Was ist dann noch zu erledigen, Admete? Verbände säubern, Böden schrubben, die Haltbarkeit von Salben und Balsamen im Lager überprüfen, obwohl Ihr erst gestern nachgesehen habt?« Er legte eine Hand auf die meine. »Ihr arbeitet zu hart. Die Leitung des Palastes von Tiryns ist nicht Eure Sorge allein, Ihr müsst Euch nicht zu Tode schuften. Ihr solltet lernen, Hilfe anzunehmen und zu akzeptieren, dass Ihr auch nur eine Sterbliche seid, die Fleisch und Wein und Schlaf benötigt wie wir alle.«

»Etwas anderes habe ich nie behauptet.« Ich entzog ihm meine Hand und tätschelte kurz die seine. »Danke für Eure Sorge, Laodamas. Aber ich fürchte – und es fällt mir nicht leicht, das zu sagen –, dass Tiryns jede Hilfe brauchen kann, nun, da Alexander fort ist. Ich bin froh, das wenige, zu dem ich imstande bin, beizutragen.«

»Eure jüngeren Brüder …«

»Meine Brüder kennen nur den Königstitel und wissen nichts über die Pflichten eines Herrschers, das ist Euch so klar wie mir.«

»Alexander …«, hob er an.

»… hält sich momentan in Ägypten auf.« Ich biss mir auf die Lippe, weil ich an Iphimedon, meinen zwei Jahre älteren Bruder, den Nächsten in der Thronfolge, denken musste, daran, welch große Sorgen sich mein Vater seiner zahlreichen verlorenen Wetten bei Würfelspielen und seiner Trinkgelage in den Gasthäusern der Stadt wegen machte. »Ohne ihn haben wir Hilfe noch nötiger. Ich bin gern hier und freue mich, den Heilern im Rahmen meiner Möglichkeiten beistehen zu können.« Lächelnd nahm ich den Thymianzweig wieder in die Hand, obwohl ich wusste, dass das nur ein Teil der Wahrheit war. »Geht ruhig zur Abendmahlzeit und sagt meinem Vater, dass ich bald nachkomme.«

Als er sich entfernte, rieb ich mir die Stirn. Immerhin herrschte jetzt Stille. Ich hörte nur noch das Knistern des Holzes in der Feuerstelle.

Als die Tür sich erneut öffnete, war es dunkel wie mitten in der Nacht, und meine Finger waren wund, weil ich so viele Thymianstängel abgezupft hatte.

»Alkides!« Ich legte den Thymian weg, rückte mit dem Hocker zurück und wischte mir die Hände an der Schürze ab, um ihn zu begrüßen.

Alkides kam schmunzelnd auf mich zu; an seinen Schuhen klebte der Schmutz der Straße. »Außer dir darf niemand mich mehr so nennen.« Er umarmte mich, zerzauste mir die Haare und trat grinsend einen Schritt zurück. »Ich bin fast fertig mit meinen Arbeiten, nun sagen alle Herkules zu mir.«

»Das weiß ich.« Ich tippte ihm mit dem Finger auf die Brust. »Du bist mein Freund und wirst immer Alkides für mich bleiben. Außerdem hast du ja, wie du selbst sagst, noch nicht sämtliche Arbeiten erledigt. Was bedeutet, dass die Prophezeiung nicht ganz erfüllt ist.«

Er lachte nicht so laut und dröhnend wie sonst und runzelte leicht die Stirn, doch das war mir egal. »Wie war es in Iberien?«, erkundigte ich mich, setzte mich auf die Kante des Tischs und ließ die Beine baumeln. Was für eine Freude, ihn wiederzusehen!, dachte ich. Er hatte sich nicht verändert: seine glänzenden Augen, sein sinnlicher Mund, die braunen Lockenhaare, die bis zu seinem Bart reichten, heller an den Wangen, dunkler am Oberkopf; sein fest geschnürter Torso, der länger war als seine kräftigen Beine; seine Angewohnheit, breitbeinig und mit vor der Brust verschränkten Armen dazustehen. »War es schlimm? Hast du die Rinder des Geryon bezwungen?«

»Nicht nur die, sondern die gesamte Halbinsel Iberien, und ich habe die Rinder zu deinem Vater getrieben.«

»Bei den Göttern«, ich berührte ihn leicht mit der Zehe meiner Sandale, »das war gute Arbeit! Und nun?«

»Stehen noch zwei Aufgaben aus.«

Er lehnte sich an den Türpfosten.

Ich hörte mit dem Beinebaumeln auf, stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel und beugte mich zu ihm vor. »Was ist?«, fragte ich und beobachtete die Schatten, die das Feuer auf sein Gesicht warf.

Er schüttelte den Kopf.

»Alkides.« Ich rutschte von dem Tisch herunter und trat zu ihm, um seine schwielige Hand zu nehmen. »Du kannst mir vertrauen.«

»Das weiß ich.«

»Und?«

Er wandte sich mir mit flackerndem Blick zu. »Es fällt mir schwer, darüber zu reden.«

Ich wartete, lauschte dem Rascheln der getrockneten Thymianstängel auf dem Tisch in dem Luftzug von der Tür.

»Acht Jahre lebe ich nun schon hier«, meinte er schließlich. »Was geschieht, wenn es mir nicht gelingt, sämtliche Aufgaben zu meistern? Wie könnte ich dann zu Amphitryon nach Theben zurückkehren, als Versager, einsamer denn je?«

»Du kennst die Antwort.« Ich drückte seine Hand. »Du kannst hierbleiben. Mein Vater würde sich freuen.«

»Und …«, seine Miene spiegelte seine Zweifel und seine Unsicherheit, »… was ist, wenn es mir gelingt, sie zu vollenden?«

»Dann erhältst du alles, was du dir wünschst, seit du, den Spruch des Orakels in den Ohren, an diesen Hof gekommen bist.«

»Ja, aber …« Er ließ meine Hand los und begann, nervös auf und ab zu laufen. »Was, wenn mein Vater … was, wenn Zeus … was, wenn er … Ich wage es nicht einmal auszusprechen.«

Ich schloss ihn in die Arme und legte seinen Kopf an meine Schulter wie bei einem kranken Kind. »Ich weiß, wovor du Angst hast«, sagte ich leise. »Doch glaube mir, Alkides. Ich kenne dich, deine Treue und deinen Mut jetzt acht Jahre. Du wirst ihm genügen.«

Er löste den Kopf von meiner Schulter. »Ich hätte nicht darüber reden sollen … Deine Mutter … Ich will dir nicht wehtun, Admete.« Nun war er es, der meine Hand nahm. »Es tut mir leid.«

»Was tut dir leid?« Ich versuchte, unbekümmert zu klingen, löste mich aus seinem Griff und ging zu dem Tisch hinüber, auf dem der Thymian lag. »Viele Jahre sind ins Land gezogen, die Wunde ist verheilt.«

Er wollte gerade den Mund aufmachen, um etwas zu erwidern, als die Tür zum Hof gegen die Wand schlug und ein eisig kalter Windstoß hereinfuhr. Ich hob erschreckt den Blick.

»Herrin.« Eine Frau stolperte schwer atmend, eine Fackel in der Hand, in den Raum.

»Elais, was ist denn los?«

Sie schnappte nach Luft; ihre Wangen waren von der Kälte rot. »Euer Bruder, Herrin, der Älteste und Thronfolger von Tiryns.«

»Alexander?« Ich spürte, wie das Blut aus meinem Gesicht wich. »Gütige Götter, was ist mit ihm?«

»Er ist aus Ägypten zurückgekehrt«, antwortete sie.

»Wie bitte?« Ich wandte mich stirnzrunzelnd Alkides zu. »Mitten in den Winterstürmen?«

»Ich weiß genauso wenig darüber wie du«, erklärte er und breitete die Hände aus.

»Ja, es stimmt, Herrin.« Elais’ angstgeweitete Augen waren gerötet. »Er leidet unter einem Fieber, wie es weder ich noch irgendeiner der Priester jemals erlebt hat. Keiner der Heiler in Ägypten konnte ihn kurieren, und so haben seine Männer beschlossen, ihn nach Tiryns zurückzubringen, obwohl es keine günstige Zeit zum Segeln ist, in der Hoffnung, dass Ihr ihm helfen könnt. Ich flehe Euch an, Herrin, kommt schnell, denn nach der beschwerlichen Reise ist er einer Ohnmacht nahe, und er redet wirr.«

Furcht erfasste mich, doch am Ende behielt die Heilerin in mir die Oberhand. Bei all den Todesfällen und dem Schmerz, die ich im Lauf der Jahre gesehen hatte, nach den Seuchen, Infektionen, Sturzgeburten und schwärenden Wunden wäre ich zerbrochen, wenn ich mich nicht stets auf meine Fähigkeiten verlassen hätte können. Ich hastete ins Lager und nahm eine Handvoll Mutterkraut aus einem Gefäß. »Das muss fürs Erste genügen, bis ich ihn hierherbringen und mehr vorbereiten kann. Alkides«, ich kehrte in den Raum zurück, »würdest du für mich einen Krug mit Wasser tragen?« Ich deutete darauf. »Und Elais, nimm diese Tücher.«

Ich holte die Lampe vom Tisch, die gerade noch hell genug brannte, um uns sicher zum Hafen zu geleiten, und ging trotz des schneidenden Windes mit nackten Armen zur Tür, denn mein Inneres glühte wie die Feuerstelle. »Bring mich zu ihm.«

Hippolyta

Amazonen, Land der Saken Neununddreißigster Tag nach dem Tag der Stürme in der Jahreszeit von Tar, 1265 v. Chr.

Ich hastete an Teuspa vorbei ins Zelt, wo mich Dunkelheit umfing. In der Düsternis sah ich auf einer Bettstatt aus Fellen Kayster liegen. Melanippe strich ihm über die Haare und murmelte tröstende Worte, während sie mit der anderen Hand eine Lampe hochhielt. In ihrem Licht war eine tiefe Wunde an seinem Oberschenkel zu erkennen, aus der Blut drang. Er wimmerte, Tränen liefen ihm über die Wangen, im Blick seiner dunklen Augen lag Angst. Ich legte eine Hand auf die Zeltstange.

»Melanippe«, ich versuchte, ruhig zu klingen, »hol Ioxeia.«

Sie gab dem Jungen einen Kuss und drückte seine Hand, bevor sie mir mit zitternden Fingern die Lampe reichte und aus der Jurte eilte.

Ich ging um das Feuer herum zu ihm und legte den Handrücken an seine Stirn. Seine Haut war warm, jedoch zum Glück nicht fieberheiß. Den Göttern sei Dank. Ich ergriff seine Finger. Brennender Schmerz stieg in meiner Brust auf.

»Es ist nur natürlich, dass Ihr Euch um ihn sorgt, meine Königin«, sagte eine Stimme. Meine Hand löste sich von der des Jungen – ich hatte geglaubt, allein zu sein. »Aber er wird wieder gesund.«

Ich drehte mich um. Teuspa war eingetreten. Er hockte sich ans Feuer und stocherte darin, dass Funken aufstoben.

»Du bist verletzt?«

»Es ist nur ein Kratzer. Dafür habe ich einen von den Budinern erwischt. Aber es waren zu viele, als dass ich Kayster hätte beschützen können. Sie waren mordlustig und wollten plündern.«

Er verstummte. An Kaysters Bett sitzend, bemühte ich mich, so zu tun, als würde tatsächlich alles wieder in Ordnung kommen, als würden das Heulen des Windes und das Geräusch des Schnees, der gegen die Tierfelle des Zelts gepeitscht wurde, mich von Kaysters Jammern ablenken.

Nach einer Weile wurde die Zeltklappe geöffnet, und ein kalter Luftzug wirbelte Schnee herein. Ich sprang auf; das Herz klopfte mir bis zum Hals. »Ioxeia? Bist du das?«

Melanippe trat ein und hinter ihr die Priesterin und Heilerin der Amazonen, eine Frau von über sechzig Jahren, die im Kampf ein Auge verloren hatte. Auf dem Wolfspelz über ihrer Schulter und auf ihren Haaren glitzerte Schnee. Sie hatte einen Krug, Tücher sowie Beutel mit Kräutern dabei und goss ein wenig Wasser aus dem Krug in einen Kessel über dem Feuer, bevor sie neben Kayster niederkniete. Melanippe sah mich mit besorgter Miene an; ich lächelte schmallippig.

Ioxeia drückte vorsichtig Kaysters Wunde. Mir wurde übel; am liebsten hätte ich sie angewiesen aufzuhören, doch sie untersuchte ihn auf weitere Wunden und tastete seine Knochen ab.

»Es ist nur eine oberflächliche Verletzung«, stellte sie schließlich fest und wandte sich Melanippe und Teuspa zu. Melanippe schloss erleichtert die Augen, und Teuspa zog sie zu sich heran. Den Göttern sei Dank, dachte ich noch einmal, hob eine Hand an die Stirn und wandte mich ab. »Ich habe so viel von der Krankheit, wie ich konnte, aus ihm herausgezogen. Ruhe, viel kumiss sowie die Gnade des Sturmgottes Tar sollten ihn bald genesen lassen. Sorgt fürs Erste dafür …«, ich hörte, wie ein Tuch in Wasser getaucht und ausgewrungen wurde, »… dass dieses Tuch immer feucht bleibt. Drückt es auf die Wunde, bis der Stern am Himmel erscheint. Dann komme ich wieder und verbinde sein Bein.«

Als Ioxeia das Zelt verließ, trat ich zu Melanippe. »Ich bin sehr froh für dich, Schwester«, sagte ich, meine Hände fest um ihre Unterarme. »Aber ich muss auch nach den anderen im Stamm sehen.« Sie nickte. »Kommst du allein mit Teuspa zurecht?«

»Ja.«

»Dann gehe ich jetzt.«

Als ich die Zeltklappe hochhob, blickte ich zurück zu Kayster, dessen Augen geschlossen waren. Tränen sammelten sich auf seinen Wimpern, während das angewärmte Tuch aufgelegt wurde. Sein Vater sang für ihn, und Kaysters Lider begannen zu flattern. Traurigkeit überkam mich ob ihrer Vertrautheit. Ich duckte mich und ging hinaus in den Schnee.

Die Sonne war nicht mehr als eine schmale orangefarbene Linie am Horizont. Ich löste meinen Kampfgurt, das Hoheitszeichen der Stammesführerin, das uns vom Sturmgott Tar gegeben wurde und das ich von meiner Mutter, welche vor mir Königin gewesen war, erhalten hatte. Der Gurt war so breit, dass er meinen Leib von der Hüfte bis zum Nabel bedeckte, und bestand aus Leder, geschmückt mit Goldblechen und versehen mit Riemen, an denen Streitaxt, Bogenhülle und Schwert hingen. Meine Finger glitten über das Adleramulett neben meinem Köcher, das tamga unseres Clans. Es war das heiligste und kostbarste Zeichen der Amazonen. Als ich es berührte, dachte ich an all die Königinnen vor mir, die nach einem Sieg mit dem Daumen darübergestrichen hatten: ein kleiner Trost nach der Schlacht, umgeben von meinen Kampfgenossen, die mit mir ihr Leben riskiert hatten. Männer und Frauen waren damit beschäftigt, die Leichen von Budinern aus dem Lager zu schleppen und unter Schneewehen zu vergraben sowie Filzdecken über die Rücken der Pferde zu werfen, um sie zu wärmen. Ich ließ zwei Männer mit blutverkrusteten Schwertern vorbei. Als ich mich abwandte, war mir, als würde eine warme Brise über mein Gesicht streichen, eine Brise, die nach Rosmarin, Thymian und Lorbeerblättern roch.

Ich schloss die Augen und holte tief Luft.

Wind peitscht übers Wasser, färbt es weiß. Wellen lecken am Ufer, schäumen um Kiesel und meine Knöchel. Ich raffe mein Gewand, damit es nicht nass wird. Er zieht mich lachend hinunter, ich falle ins Wasser. Auch ich lache, meine Haare gleiten über meinen Rücken …

Als ich das Klirren von Metall hörte, öffnete ich die Augen. Amazonen nahmen einem Budiner die Rüstung ab und warfen sie auf einen Haufen im blutgetränkten Schnee. Der Schild landete klappernd auf dem Brustharnisch, das Schwert darauf. Den zerbrochenen Schaft des Speers legten sie als Brennholz beiseite. Ich schaute zurück zu Melanippes Zelt. Sie stand mit verschränkten Armen davor und beobachtete mich stirnrunzelnd.

Sie weiß, was ich denke. Ich spürte Scham in mir aufsteigen und errötete.

Ich drehte mich weg, senkte das Haupt gegen den eisigen Wind und stapfte im Schnee durch das Lager der Amazonen.

Admete

Tiryns, Griechenland Achter Tag des Monats von Zeus, 1265 v. Chr.

Wir hasteten durch die Flure, die Stufen hinunter und über den äußeren Hof. Regen peitschte schräg durch den schwarzen Himmel auf die Bodenplatten; ich musste eine Hand über die Öllampe halten, damit sie nicht verlöschte. Die Wächter am Turm nickten mir zu, als ich an ihnen vorbeieilte, und öffneten das Tor, sodass wir mit rutschenden Sandalen die Steintreppe zum Seitenausgang hinunterlaufen und hinausschlüpfen konnten. Mein Herz schlug wie wild in meiner Brust, und ich blinzelte in den Regen, in Richtung des Hafens, wo ich in der Dunkelheit Fackeln wahrnahm.

Ein Sklave, beladen mit einem zusammengeschnürten Kleiderbündel, bewegte sich auf uns zu. Sein Gesicht glänzte vor Nässe. »Meine Herrin Admete!«

»Rhoecus!« Als ich stehen bleiben wollte, glitt ich aus und verlor das Gleichgewicht, sodass ich mich an der Mauer festhalten musste und mir die Haut am Stein aufschürfte. »Alexander … wo ist er?«

»In seinen Gemächern, Herrin«, antwortete Rhoecus. »Sie wollten ihn hinlegen. Es geht ihm nicht gut.«

Als ich mich umdrehte, um zurückzulaufen, stieß ich mit Alkides zusammen und hätte beinahe Elais die Fackel aus der Hand geschlagen.

»Er ist in seinen Räumen«, teilte ich ihnen mit, raffte meine Röcke und rannte die Stufen wieder hoch.

Zurück über den Hof, die Treppe hinauf und in die Dunkelheit des Palasts, den Flur beim Großen Saal entlang, an den leeren Gemächern der Königin vorbei und zu der Doppeltür vor denen Alexanders. Als die Wachen sie für mich öffneten, schlug mir warme Luft entgegen – immerhin hatten sie ein Feuer entzündet. Edle und Sklaven drängten sich um Alexanders Bett: Ich entdeckte meinen Vater, meine Brüder Iphimedon und Eurybios und die Zwillinge Mentor und Perimedes, alle blond, wie mein Vater früher gewesen war, in dessen altersstumpfen Haaren nun graue Strähnen glänzten. Sie würden sich entfernen müssen, das stand fest. Ich stellte die Öllampe auf einem Tischchen ab und wandte mich Alkides zu.

»Häng einen Kessel übers Feuer«, wies ich ihn an. »Elais, die Tücher – da drüben beim Bett.«

Als mein Vater meine Stimme hörte, wandte er sich um und eilte zu mir. Seine Finger umfassten meine Schulter, seine Stirn war gerunzelt. »Kannst du ihn heilen?« Mit der freien Hand rieb er sich die Stirn so fest, dass er die Haut wund scheuerte.

»Das kann ich erst sagen, wenn ich ihn mir genauer angeschaut habe. Aber ich werde mein Möglichstes tun, das verspreche ich.«

Er drückte mir einen Kuss auf die Haare. »Dann mach das.«

Ich schob Mentor und den Sklaven weg, der Alexanders Gesicht mit einem Tuch zu kühlen versuchte. Endlich sah ich ihn und wie schlimm das Fieber war. Alexander warf sich auf den Laken hin und her, hatte die Decke weggestrampelt, und sein Untergewand war schweißnass. Im Licht des Feuers wirkte seine Haut totenbleich, die Haare klebten ihm am Kopf. Er hatte die Augen fast geschlossen; sie bewegten sich, zwischen den Lidern war ein wenig vom Weiß zu erkennen. Ich legte ihm die Hand auf die Stirn. O nein. Sie war so heiß wie ein Stein im Hochsommer. Angst stieg in mir auf. Doch soweit ich das beurteilen konnte, befanden sich keine Blasen oder Pockennarben auf seiner Haut. Also immerhin nicht die Pest.

»Er braucht Ruhe«, erklärte ich den Versammelten. »Ihr habt euch gut um ihn gekümmert«, lobte ich seine Sklaven. »Auch ihr, Vater und Brüder. Es war richtig, ihn hierherzubringen.« Ich verneigte mich vor ihnen. »Doch jetzt benötigt er meine Hilfe. Kräuter und Schlaf sind die besten Heilmittel.«

Die Wächter öffneten die Tür, und zuerst die Sklaven, dann Alkides und Elais verließen das Gemach.

Eurybios griff im Hinausgehen nach meiner Hand. »Du wirst ihn doch kurieren können, oder, Schwester?«

Ich drückte seine Finger an meine Lippen, dann an meine Stirn und versuchte, Kraft zu sammeln für die lange Nacht an Alexanders Bett. »Ich gebe mein Bestes, Eurybios.«

Sein Blick flackerte. »Unsere Mutter hätte …«

»Wir kommen schon sehr lange ohne sie zurecht.« Mein Vater, der sich zu uns gesellt hatte, schickte Eurybios weg. Der verschwand mit meinen jüngeren Brüdern und Iphimedon in der Dunkelheit.

Einen Moment herrschte Stille, die nur durch das Knistern des Feuers und das Stöhnen und Murmeln von Alexander durchbrochen wurde.

»Streng dich an, Admete.« Die Stimme meines Vaters klang angespannt. Unsere Blicke trafen sich; sie sagten mehr als Worte: Er dachte an die Jahre, die er darauf verwendet hatte, seinen Sohn zum künftigen König zu erziehen; daran, wie Alexander die Sprachen der Ägypter und Hethiter erlernt hatte; wie er ihn in die Kunst der Diplomatie eingewiesen, ihm alles über den Handel, die Finanzen des Palasts und die Methoden der Rechtsprechung beigebracht – kurzum, wie er ihn zu seinem Nachfolger auf dem Thron von Tiryns aufgebaut hatte. Mit alledem war der ausgelassene, unbekümmerte, selbstsüchtige Iphimedon nicht vertraut. »Es ist unendlich wichtig, dass er gesund wird«, meinte mein Vater, schluckte und drückte meine Schulter noch einmal so fest, dass es wehtat. Dann entfernte auch er sich.

Als die Tür sich mit einem Klicken schloss, wandte ich mich dem Bett zu. Nun war nur noch Alexanders Flüstern im Fieberwahn zu hören. Ich holte tief Luft und ging zu dem Kessel, den Alkides übers Feuer gehängt hatte, schöpfte das sprudelnde Wasser in Alexanders Becher, gab mit zitternden Fingern Mutterkraut dazu, nahm ihn und bereitete mich innerlich auf den langen, harten Kampf vor.

Denn obwohl ich das niemandem gegenüber zugegeben hätte, wusste ich, seit ich Alexander gesehen hatte, dass er dem Boot Charons und der Reise in die Unterwelt sehr nahe war.

DIE LETZTEN ARBEITEN

Hippolyta

Amazonen, Land der Saken Vierzigster Tag nach dem Tag der Stürme in der Jahreszeit von Tar, 1265 v. Chr.

Hufschlag hallte im Lager wider. Ich ließ das Schwert fallen, dessen Klinge ich gerade schärfte, und hastete aus dem Zelt. Das grelle Licht der Sonne blendete mich. Als meine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, nahm ich herandonnernde Pferde wahr …

»Orithyia!« Ich rannte auf sie zu; meine Schuhe knirschten im Schnee.

Sie sprang von ihrem Ross und umarmte mich kurz. »Schwester.«

»Du schaust müde aus«, stellte ich fest, trat einen Schritt zurück und musterte sie. Um ihre Augen hatten sich Fältchen eingegraben, und ihre Wangen waren rot vom Wind. Das Heft ihres Schwerts an ihrem Kampfgurt war mit getrocknetem Blut verkrustet und die Schulter ihres Gewands aufgerissen. Darunter sah ich eine halb verheilte Wunde, die die Tätowierung eines sich in die Lüfte erhebenden Adlers durchschnitt.

»War das jemand aus Hylaia?«, fragte ich.

Sie nickte. »Dafür habe ich ihn zu den Göttern geschickt«, antwortete sie grinsend. Dabei kamen ihre weißen Zähne zum Vorschein.

Ich bedachte sie meinerseits mit einem kleinen Lächeln. Orithyias Mordlust war sogar bei den Amazonen berüchtigt. »Schön, dass du wieder da bist, Schwester. Du hast uns gefehlt.«

Sie bückte sich, um die Zügel ihres Pferdes zu ergreifen, bevor wir ins Lager gingen. Unsere Füße versanken tief im Schnee.

»Wie ist der Überfall auf Hylaia gelaufen?«, erkundigte ich mich mit einem Blick auf die Kämpfer, die mit klirrenden Schwertern abstiegen, ihren Rössern den Hals tätschelten und sich zu ihren Ehemännern oder -frauen gesellten, die ihnen mit Webdecken und gewärmtem kumiss entgegeneilten. Voller Angst fragte ich: »Haben wir Verluste erlitten?«

»Nicht so große wie der Gegner. Wir haben ihnen zwanzig Pferde abgenommen. Leider haben wir Toxaris und Artimpata verloren. Und ich musste Areto zurücklassen. Sie hätte den Rückweg über den Silis-Fluss keinesfalls überlebt.«

Ich nickte, die Fäuste so fest geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Wieder einmal berührte mein Daumen den Adler an meinem Gurt. Du bist die Königin, dachte ich. Du kannst nicht jeden Verlust betrauern. Und ohne diese Pferde würde dein Volk den Winter nicht überstehen.

»Und bei euch?«, erkundigte sich Orithyia, als wir den freien Platz in der Mitte des Lagers erreichten. Ihr Pferd, das sein Zuhause erkannte, wieherte. Sie tätschelte seine Flanke, in die das tamga-Zeichen eingebrannt war, und ließ die Zügel los. Es trabte zu einer Gruppe anderer Rösser, die aus einem Trog getrocknetes Gras von den Sommerweiden fraßen. Kinder lachten, als es den Kopf vor Freude darüber, wieder etwas Ordentliches in den Bauch zu bekommen, in den Nacken warf.

»Ein Überfall der Budiner. Wir erwarten einen weiteren, weil sie nicht viele Pferde erbeutet haben. Melanippe und ich brauchen deinen Rat.«

»Du? Die Königin der Amazonen, die uns alle in der Schlacht übertrifft? Du willst meinen Rat?«

Ich neigte das Haupt. »Ich bin als älteste Tochter von Marpesia Königin – das weißt du, Schwester.«

Sie klopfte mir auf die Schulter. »Du bist als Klügste und Stärkste von uns allen Königin. Sonst hätten die Götter es nicht so bestimmt. Doch bevor ich dir Kriegsrat erteile, muss ich die Kleidung wechseln. Sie ist seit Tagen feucht, und meine Füße sind vom Reiten kalt wie Eis.«

Die Versammlung fand in meinem Zelt statt. Die Wärme des Feuers verband sich mit der der sich nebeneinander auf Hockern drängenden Leiber. Meine Berater waren anwesend, die dem Volk die Entscheidungen der Königin vermittelten, sechs von ihnen erfahrene Kriegerinnen, die sich im Kampf hervorgetan hatten. Die anderen sechs waren Angehörige meiner Leibwache, flink zu Fuß und zu Pferd, ausgewählt ihres Geschicks mit der sagaris-Streitaxt und dem Speer wegen. Zeltbewohner wie Teuspa, welche die Kinder der Amazonen aufzogen, waren nicht zugelassen – obwohl der Rat durchaus Männer umfasste, wie auch nicht alle Frauen in die Schlacht ritten. Sämtliche Angehörigen unseres Volkes übten sich von Kindesbeinen an im Kampf, Jungen und Mädchen wuchsen miteinander auf. Wenn sie das erste Mal in die Schlacht zogen, kämpften sie Seite an Seite, lernten gemeinsam das Gefühl des durch die Luft sausenden Eisens und des Blutes auf dem Schwert kennen; nach der Rückkehr am Abend opferten sie den Göttern. Sobald die Sterne am Himmel standen, wählten sie sich einen Partner, mit dem sie das Bett teilten. Am folgenden Morgen, wenn die Sonne über der Steppe aufging und die Priesterinnen sie als Amazonen segneten, trafen die Männer und Frauen ihre Wahl – ob sie Zeltbewohner sein und die künftigen Amazonen aufziehen oder fürderhin als Krieger unseren Stamm beschützen wollten. Nur eine durfte sich nicht selbst entscheiden. Nur einer wurde ihre Lebensaufgabe durch ihre Geburt auferlegt. Für mich, die Tochter der Königin in einer Linie von Frauen, die bis zu den Urvätern zurückreichte, hatte es nie einen anderen Weg gegeben. Und, dachte ich voller Zuneigung, als ich die Gesichter meiner Ratsmitglieder im flackernden Licht des Feuers betrachtete, ich lege mein Leben voller Stolz meinem Volk zu Füßen.

Aella, meine schnellste Reiterin, die breite Wangen hatte, doch ansonsten zart wie ein Vogel war, reichte der Heilerin Ioxeia einen Schlauch mit kumiss