Die fünfte Disziplin - Peter M. Senge - E-Book

Die fünfte Disziplin E-Book

Peter M. Senge

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Beschreibung

Sonderausgabe: Nachdruck anlässlich des 70. Geburtstags von Peter M. Senge. Die Fähigkeit, schneller zu lernen als die Konkurrenz, gehört in der heutigen Wissensgesellschaft zu den wichtigsten Wettbewerbsfaktoren. Der Autor erläutert die fünf Disziplinen, die das Lernen im Team und in der Organisation ermöglichen: - Personal Mastery - Mentale Modelle - Gemeinsame Vision - Team-Lernen - Systemisches DenkenEr zeigt, wie gewohnte Denk- und Handlungsmuster aufgebrochen und der Wandel zur lernenden Organisation konkret gestaltet wird. Zahlreiche Fallbeispiele illustrieren Erkenntnisse aus der Praxis. Es wird deutlich: Das Konzept der lernenden Organisation wird in vielfältigen Kontexten erfolgreich angewendet.

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[ix]Inhalt

Hinweis zum UrheberrechtImpressumEinleitung zur überarbeiteten NeuauflageTeil I Wie unser Handeln unsere Wirklichkeit erzeugt – und wie wir sie verändern können1 »Gebt mir einen Hebel, der lang genug ist – und einhändig bewege ich die Welt«2 Stößt Ihre Organisation auf Lernhemmnisse?3 Gefangene des Systems oder Gefangene unseres eigenen Denkens?Teil II Die fünfte Disziplin: Der Eckpfeiler der lernenden Organisation4 Die Gesetze der fünften Disziplin5 Umdenken6 Grundstrukturen der Natur: Erkennen der Muster, die die Ereignisse steuern.7 Selbstbegrenzendes und selbsterhaltendes Wachstum.Teil III Die Kerndisziplinen: Der Aufbau einer lernenden Organisation8 Personal Mastery 9 Mentale Modelle.10 Die gemeinsame Vision.11 Team-Lernen.Teil IV Erfahrungen und Überlegungen aus der PraxisEinleitung12 Grundlagen.13 Impetus.14 Strategien.15 Die neue Form der Führung.16 Systembürger.17 GrenzenTeil V Coda18 Das unteilbare Ganze.AnhangAnhang 1: Die Lerndisziplinen.Anhang 2: Systemarchetypen Anhang 3: Der U-Prozess.AnmerkungenDank zur überarbeiteten Auflage.Danksagung zur ersten Auflage.Stichwortverzeichnis.Zum Autor
[1]

Hinweis zum Urheberrecht

Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft - Steuern - Recht GmbH

[iv]Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem, säurefreiem und alterungsbeständigem Papier

ISBN 978-3-7910-4030-1

Bestell-Nr. 20809-0002

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlieh geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Amerikanische Originalausgabe:

»The Fifth Discipline. The Art and Practice of the Learning Organization«, completely revised and updated edition 2006

© 1990/2006 by Peter Senge

All rights reserved

This translation published by arrangement with Broadway Business, an imprint of The Crown Publishing Group, a division of Random House Inc.

Für die deutsche Erstausgabe © J.  G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart 1996.

Ab Oktober 2008 – Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH

11., völlig überarbeitete und aktualisierte Auflage, 2011

Unveränderter Nachdruck

© 2017 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft· Steuern· Recht GmbH

www.schaeffer-poeschel.de

[email protected]

Übersetzung: Maren Kostermann, Hamburg und Hans Freundl, Johanniskirchen

Satz: Johanna Boy, Brennberg

Druck und Bindung:

Printed in Germany

Juli 2017

Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart

Ein Tochterunternehmen der Haufe Gruppe

[vii]Für Diane

[1]Einleitung zur überarbeiteten Neuauflage

Das vorherrschende Managementsystem

Im Frühjahr 1990, kurz nachdem die ursprüngliche Fassung von Die fünfte Disziplin abgeschlossen war und das Buch erscheinen sollte, fragte mich mein Verleger bei Doubleday, von wem ich mir einen Kommentar für den Schutzumschlag wünschen würde. Da es sich um mein erstes Buch handelte, war das etwas völlig Neues für mich. Nachdem ich eine Weile darüber nachgedacht hatte, wurde mir klar, dass dafür nur Dr. W. Edwards Deming in Frage kam, der auf der ganzen Welt als Wegbereiter der Revolution des Qualitätsmanagements verehrt wird. Ich kannte niemanden, der größeren Einfluss auf die Praxis des Managements ausgeübt hatte. Aber ich hatte Deming noch nie persönlich kennengelernt. Ich hegte Zweifel, ob ein Brief mit einer solchen Bitte von einem unbekannten Autor, der sich auf eine Arbeit bezog, mit der Deming nicht vertraut war, eine positive Resonanz finden würde. Über gemeinsame Freunde bei Ford erreichte ihn schließlich das Manuskript. Einige Wochen später erhielt ich zu meiner Überraschung ein Schreiben von ihm.

Als ich den Brief öffnete, fand ich einen kurzen Text, den Dr. Deming verfasst hatte. Ich las den ersten Satz und hielt den Atem an. Irgendwie war es ihm gelungen, in einem Satz all das zu sagen, wofür ich 400 Buchseiten gebraucht hatte. Es ist erstaunlich, dachte ich, wie klar und direkt man sich ausdrücken kann, wenn man ein fortgeschrittenes Alter erreicht hat (Deming war damals 90 Jahre alt). Als ich zu Ende gelesen hatte, was er geschrieben hatte, dämmerte mir langsam, dass er eine tiefer liegende Schicht von Verknüpfungen enthüllt und eine schwierigere Aufgabe beschrieben hatte, als mir bislang bewusst gewesen war:

Unser vorherrschendes Managementsystem hat die Menschen zerstört. Die Menschen verfügen von Geburt an über eine intrinsische Motivation, besitzen Selbstachtung, Würde, Neugier und Freude am Lernen. Die Kräfte der Zerstörung setzen schon bei den Kleinkindern [2]an – es beginnt mit einem Preis für das beste Halloween-Kostüm, mit Schulnoten, goldenen Sternen – und geht weiter bis zur Universität. In der Arbeitswelt werden die Menschen, die Teams, die Abteilungen eingestuft und bewertet, die oberen werden belohnt, die unteren bestraft. Management durch Ziele, Sollvorgaben, finanzielle Anreize und Businesspläne, all diese Maßnahmen, die jeweils für sich umgesetzt werden, Abteilung für Abteilung, verursachen weiteren Schaden, dessen Größe auch nicht nur annähernd abzuschätzen ist.

Wie ich später erfuhr, war Deming mittlerweile fast völlig davon abgekommen, den Begriff »Total Quality Management«, »TQM« oder »TQ« zu verwenden, weil er ihn als ein oberflächliches Etikett für Instrumente und Techniken betrachtete. Die eigentliche Aufgabe, die er schlicht als »Transformation des vorherrschenden Managementsystems« bezeichnete, ging weit über die Ziele von Managern hinaus, die lediglich kurzfristige Leistungsverbesserungen anstreben. Diese Transformation, davon war er überzeugt, erforderte ein »umfassendes Wissen«, über das die heutigen Unternehmen größtenteils noch nicht verfügen. Nur ein Element dieses umfassenden Wissens, das »Prinzip der Variation« (die statistische Theorie und Methode), stand in Bezug zu der herkömmlichen Auffassung von Qualitätsmanagement. Die übrigen drei Elemente fügten sich, wie ich verblüfft feststellte, fast nahtlos in die fünf Disziplinen ein: das »Verständnis für Systeme«, die »Theorie des Wissens« (die Bedeutung mentaler Modelle) und die »Psychologie«, insbesondere die »intrinsische Motivation« (die Bedeutung einer persönlichen Vision und von Zielbewusstsein).

Diese Bestandteile von Demings »umfassendem Wissen« führten schließlich zu der einfachsten und am häufigsten verwendeten Möglichkeit zur Darstellung der fünf Lerndisziplinen, die mir zum Zeitpunkt der Fertigstellung der ersten Auflage des Buches jedoch noch nicht bekannt war. Die fünf Disziplinen verkörpern Ansatzpunkte (Theorien und Methoden) zur Herausbildung von drei entscheidenden Lernfähigkeiten: die Förderung von Zielbewusstsein, die Entwicklung reflektierender Konversation und das Verständnis für Komplexität. Aufbauend auf dem in der ersten Auflage des Buches bereits formulierten Gedanken, dass die elementaren Lerneinheiten einer Organisation Arbeitsteams sind (Menschen, die einander brauchen, um ein Ergebnis zu erzielen), bezeichneten wir diese Elemente als die »zentralen Lernfähigkeiten von Teams« und stellten sie symbolisch als einen Schemel mit drei Beinen dar, um die Bedeutung dieser drei Elemente visuell zu vermitteln – der Schemel könnte nicht stabil stehen, wenn eines davon fehlte.

[3]

Noch wichtiger für mich war Demings Annahme, dass moderne Institutionen von einem allgemeinen »Managementsystem« bestimmt werden, das eine enge Verbindung zwischen Arbeit und Ausbildung nach sich zieht. Er betonte häufig: »Wir werden unser vorherrschendes Managementsystem nicht transformieren können, wenn wir nicht auch unser vorherrschendes Ausbildungssystem transformieren. Sie bilden ein und dasselbe System.« Meines Wissens war er der Erste, der diesen Zusammenhang zwischen Arbeit und Ausbildung erkannte.

Ich glaube, dass Deming diese Erkenntnisse erst in seinen späteren Lebensjahren gewann, weil er sich dadurch erklären konnte, warum anscheinend nur wenige Manager in der Lage waren, echtes Qualitätsmanagement in seinem Sinne umzusetzen. Die Leute scheiterten, so Demings Auffassung, weil sie in Denk- und Verhaltensweisen sozialisiert worden waren, die ihren prägenden Erfahrungen in den Unternehmen entsprachen. »Zwischen einem Chef und einem Untergebenen besteht dasselbe Verhältnis wie zwischen einem Lehrer und einem Schüler«, sagte er. Der Lehrer gibt die Ziele vor, der Schüler versucht diese Ziele zu erreichen. Der Lehrer kennt die Antwort, der Schüler bemüht sich, sie herauszufinden. Schüler wissen, dass sie erfolgreich waren, wenn es ihnen der Lehrer sagt. Im Alter von zehn Jahren wissen die Kinder, was sie tun müssen, um in der Schule voranzukommen und dem Lehrer zu gefallen – dies ist eine Lehre, die sie auch in ihrem späteren Berufsleben beherzigen, in dem sie »den Chefs zu gefallen suchen und daran scheitern, das System zu verbessern, damit es den Kunden dient«. Nach Demings Tod 1993 beschäftigte mich mehrere Jahre die Frage, was dieses von Deming kritisierte vorherrschende Managementsystem ausmachte. Nach vielen Gesprächen mit Kollegen fand ich dafür acht grundlegende Elemente1:

[4]Management durch Bewertung: Fokussierung auf kurzfristige MessgrößenAbwertung von Immateriellem (»Man kann nur drei Prozent dessen messen, was wichtig ist.« W.E. Deming)Auf Unterwürfigkeit basierte Unternehmenskulturen Vorankommen, indem man den Vorgesetzten »gefällt«Management durch AngstErgebnisorientierung das Management gibt Ziele vordie Mitarbeiter sind für das Erreichen der vom Management gesetzten Ziele verantwortlich (ungeachtet dessen, ob diese innerhalb des gegebenen Systems und der bestehenden Prozesse realistisch sind)»Richtige Antworten« versus »falsche Fragen« technische Problemlösung steht im Vordergrunddivergierende (systemische) Probleme werden ignoriertUniformität Vielfalt ist ein Problem, das behoben werden mussKonflikt wird unterdrückt zugunsten oberflächlicher EinigkeitVorhersagbarkeit und Kontrollierbarkeit managen heißt kontrollierenDie »heilige Dreifaltigkeit des Managements« besteht aus Planung, Organisation und KontrolleÜbermäßige Konkurrenzorientierung und Misstrauen Konkurrenz zwischen den Beschäftigten ist von entscheidender Bedeutung, um die gewünschte Leistung zu erzielenohne Konkurrenz zwischen den Beschäftigten gibt es keine Innovation (»Durch die Konkurrenz untereinander wurden wir verraten und verkauft.« W.E. Deming)Verlust des Ganzen Fragmentierunglokale Innovationen breiten sich nicht aus

Heute betrachten die meisten Manager sowohl die »Revolution des Qualitätsmanagements«, als auch den Ansatz des organisationalen Lernens, der sich Anfang der 1990er-Jahre verbreitete, als historische Management-Systeme, die mit den heutigen Herausforderungen nicht mehr viel zu tun haben. Aber liegt dies daran, dass wir jene Transformation, die Deming forderte, bereits vollzogen oder ihr vielmehr abgeschworen haben? Wenn ich [5]eine Liste wie die oben stehende erstelle, kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass diese Gebrechen auch heute noch den meisten Organisationen zu schaffen machen und dass es Generationen, nicht bloß Jahre, brauchen wird, um solche tief verwurzelten Einstellungen und Verhaltensweisen zu verändern. Die drängendste Frage, die sich vielen von uns stellt, lautet daher: »Wird sich dieses Managementsystem jemals in großem Maßstab ändern lassen?« Die Beantwortung solch weitreichender Fragen bezüglich der Zukunft erfordert eine sorgfältige Beschäftigung mit der Gegenwart.

Eine Zeit der Gegenströmungen

In den eineinhalb Jahrzehnten seit dem Erscheinen der ersten englischen Auflage der Fünften Disziplin hat sich auf der Welt viel verändert. Unsere Volkswirtschaften sind heute stärker globalisiert denn je. Gleiches gilt für das unternehmerische Handeln. Zwischen den Unternehmen im globalen Wettbewerb herrscht ein erbarmungsloser Kosten- und Leistungsdruck. Den Menschen bleibt immer weniger Zeit zum Nachdenken und Reflektieren, und in vielen Unternehmen stehen nur noch begrenzte Mittel für die persönliche Weiterentwicklung der Mitarbeiter zur Verfügung. Doch wir müssen uns nicht nur mit dem sich beschleunigenden Wandel auseinandersetzen. Die Globalisierung der Wirtschaft und des industriellen Fortschritts verbessert zwar den materiellen Lebensstandard vieler Menschen, zieht aber auch ernst zu nehmende Nebenwirkungen in Gestalt vielfältiger sozialer und ökologischer Herausforderungen nach sich. Allzuoft wird anscheinend finanzielles Kapital auf Kosten des sozialen und des natürlichen Kapitals generiert. Die Kluft zwischen den »Besitzenden« und den »Habenichtsen« vergrößert sich in vielen Ländern. Lokale Umweltbelastungen, stets ein Merkmal der industriellen Entwicklung, gehen einher mit Problemen in größerem Rahmen, wie etwa der Erderwärmung und zunehmenden Wetterkapriolen. Während die Befürworter des globalen industriellen Wachstums dessen Nutzen in den Vordergrund stellen, reagieren Menschen überall auf der Welt, sei es gewaltsam oder friedlich, auf den Verlust ihrer traditionellen Lebensweise – alle diese veränderten Rahmenbedingungen tauchen auch immer häufiger auf dem strategischen Radarschirm vieler Unternehmen auf.

Andererseits erzeugt die vernetzte Welt stärker als jemals zuvor ein globales Bewusstsein. Wir leben in einer Zeit, in der unterschiedliche Kultu[6]ren in bisher nicht gekannter Weise aufeinanderprallen, vielfach aber auch voneinander lernen, und das Versprechen eines echten fruchtbaren »Dialogs zwischen den Kulturen« birgt eine große Hoffnung für die Zukunft. Junge Menschen aus allen Teilen der Welt bauen ein Beziehungsnetz auf, das es in dieser Form noch nie gegeben hat. An den Rändern der westlichen Wissenschaft, dem Fundament unserer modernen Weltsicht, taucht eine lebendige Welt auf, die sich im Fluss befindet, die von wechselseitiger Abhängigkeit bestimmt wird und die einigen indigenen und ursprünglichen Kulturen merkwürdig vertraut sein dürfte – eine Welt, die uns nach den Worten des Kosmologen Brian Swimme zeigt, »dass wir einen sinnvollen Platz im Universum« innehaben. Und wie wir später zeigen werden, haben die Praktiken des organisationalen Lernens, die vor 15 Jahren noch auf einige wenige Pioniere beschränkt waren, mittlerweile tiefere Wurzeln geschlagen und sich weiter verbreitet.

Kurz gesagt, wir leben in einer Zeit, in der unterschiedlichste Kräfte auf dramatische Weise im Widerstreit stehen. Es wird besser und schlechter zugleich. Folgende Aussage des ehemaligen tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Havel vor dem US-Kongress Mitte der 1990er-Jahre beschreibt die aktuelle Weltlage sehr treffend:

Heute gibt es viele Anzeichen dafür, dass wir uns in einer Übergangsperiode befinden, in der etwas allmählich zu Ende geht und etwas Neues auf schmerzhafte Weise geboren wird. Es ist, als würde etwas zusammenbrechen, zerfallen und sich erschöpfen, während etwas anderes, das noch verschwommen ist, sich aus dem Schutt erhebt.

Wie dieses »Andere« aussieht, das geboren wird, und welche Art von Management und Führungsmethoden es erfordert, ist auch heute noch so unklar wie damals, als Vaclav Havel diese Sätze formulierte.

Diese widerstreitenden Kräfte kommen auch in den Unternehmen zum Tragen und erzeugen ein Umfeld, in dem die Notwendigkeit und die Möglichkeit, sich Lernkompetenzen zu erarbeiten, dringlicher sind denn je. Auch die Herausforderungen, die bei der Entwicklung dieser Fähigkeiten bewältigt werden müssen, werden immer größer. Auf der einen Seite erfordert der Aufbau von Unternehmen, die imstande sind, sich dauerhaft auf sich verändernde Realitäten einzustellen, zweifellos neue Ansätze des Denkens und Handelns. Gleiches gilt für die Schaffung von Nachhaltigkeit, die in der heutigen Zeit in vielfacher Hinsicht die archetypische Herausforderung des organisationalen Lernens darstellt. Zudem wächst die Vernet[7]zung der Organisationen, was die herkömmlichen Managementhierarchien schwächt und möglicherweise neue Chancen für kontinuierliches Lernen, für Innovation und Adaption eröffnet. Auf der anderen Seite sorgen die Fehlfunktionen des traditionellen Managementsystems dafür, dass sich viele Organisationen in dauerhaftem Ausnahmezustand befinden und nur wenig Zeit oder Energie für Innovationen aufbringen können. Diese Turbulenzen erschweren auch den Aufbau von wertebasierten Unternehmenskulturen und fördern die Neigung, sich individuelle Macht und Wohlstand anzueignen, sobald sich Gelegenheiten dazu bieten.

Stimmen von vorderster Front

Als mir der Verlag Doubleday das Angebot unterbreitete, die Fünfte Disziplin für eine Neuauflage zu überarbeiten, war ich zunächst zögerlich, dann aber packte mich die Begeisterung. In den vergangenen 15 Jahren durfte ich unzählige begabte Praktiker des organisationalen Lernens kennen lernen – Manager, Schuldirektoren, Leiter von Behörden, Polizeichefs, Unternehmer, Vorsteher sozialer Einrichtungen, hohe Ränge in der Armee, Lehrer – Menschen, die vielfältigste Möglichkeiten und Wege gefunden haben, mit den fünf Disziplinen zu arbeiten und sie für sich nutzbar zu machen, selbst wenn sie nie von dem Buch gehört oder es gelesen hatten. Einige von ihnen wurden bereits in der ursprünglichen Ausgabe vorgestellt, wie etwa Arie de Geus und der kürzlich verstorbene Bill O’Brien. Im Zuge des weltweiten Wachstums der Society for Organizational Learning (SoL) kam ich in den vergangenen Jahren mit Hunderten weiteren Praktikern in Kontakt. Sie alle haben auf ihre jeweils eigene Art ein Managementsystem entwickelt, das auf Liebe statt auf Furcht beruht, auf Neugier anstatt dem Beharren auf den »richtigen« Antworten und auf Lernen statt auf Kontrolle. Diese überarbeitete Neuauflage bot mir die Gelegenheit, mit vielen von ihnen zu sprechen.

Diese Interviews und Gespräche veranlassten mich, zahlreiche Textänderungen vorzunehmen und einen neuen Abschnitt, Teil IV, einzufügen, der die Überschrift »Erfahrungen und Überlegungen aus der Praxis« trägt. Die Interviews lieferten mir neue Erkenntnisse darüber, wie die Praktiker Veränderungen initiieren und sich auf kreative Weise der Aufgabe stellen, das Momentum zu erhalten. Neben zahlreichen wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten kamen dabei auch vielfältige neue Ansätze zum Vorschein, die zeigten, dass sich die Instrumente und Prinzipien des organisationalen Ler[8]nens auch auf Gebieten anwenden lassen, an die vor 15 Jahren noch kaum jemand von uns dachte: von der Entwicklung umweltbewusster Firmen und Branchen bis zu gesellschaftlichen Problemen wie der Gewalt durch Jugendbanden, der Transformation des Schulwesens, der Verbesserung der globalen Nahrungsmittelproduktion, der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Armutsbekämpfung. In allen diesen Zusammenhängen treiben Offenheit, Reflexion, tiefer gehende Gespräche, Personal Mastery und gemeinsame Visionen den Wandel voran. Entscheidend dabei ist das Verständnis der systemischen Ursachen der Probleme.

Durch die Interviews wurden zudem einige zentrale Gedanken veranschaulicht, die der ersten Auflage dieses Buches implizit zugrunde lagen.

Es gibt Formen der Zusammenarbeit, die wesentlich befriedigender und produktiver sind als das vorherrschende Managementsystem. Eine ranghohe Managerin bemerkte im Hinblick auf ihr erstes Lernexperiment: »Die Menschen dazu zu bringen, dass sie miteinander reden…« (was ihnen eine Möglichkeit bietet, darüber nachzudenken, wie ihre Organisation strukturiert ist), »war das erfreulichste Erlebnis, das ich bisher in meinem Beruf hatte, und die Ideen, die daraus hervorgingen, verschaffen dem Unternehmen auch noch nach 15 Jahren einen Wettbewerbsvorteil.«Die Funktionsweise von Organisationen wird dadurch bestimmt, wie wir arbeiten, wie wir denken und interagieren; die erforderlichen Veränderungen müssen wir nicht nur in unseren Organisationen, sondern auch bei uns selbst vollziehen. »Der kritische Augenblick kommt, wenn die Menschen erkennen, dass es bei der Entwicklung einer lernenden Organisation auch um jeden Einzelnen geht«, erklärte ein Manager, der sich seit zwei Jahrzehnten mit organisationalen Lernprojekten in Unternehmen befasst. »Personal Mastery ist das Entscheidende. Wenn man bei diesen Veränderungen das Element der Personal Mastery richtig handhabt, geht alles klar.«Beim Aufbau lernender Organisationen gibt es kein Endziel und keinen Endzustand, es ist vielmehr ein lebenslanger Prozess. »Diese Arbeit erfordert ein hohes Maß an Geduld«, erklärte der Präsident einer global tätigen Nichtregierungsorganisation, »aber ich glaube, unsere Ergebnisse sind nachhaltiger, weil sich die beteiligten Menschen tatsächlich selbst weiterentwickelt haben. Die Mitarbeiter werden dadurch auch auf den fortlaufenden Prozess vorbereitet. Während wir lernen, uns weiterentwickeln und systemische Probleme angehen, werden ja die Dinge nicht einfacher.«

[9]Nach meiner Überzeugung ist das vorherrschende Managementsystem zur Mittelmäßigkeit verdammt. Es zwingt die Menschen, immer härter zu arbeiten, um einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass es im Rahmen dieses Systems nicht möglich ist, sich den Geist und die kollektive Intelligenz nutzbar zu machen, die im besten Falle eine Zusammenarbeit ausmachen. Deming hat das klar erkannt. Ich glaube das mittlerweile auch, ebenso wie eine wachsende Zahl von Führungspersönlichkeiten, die sich dafür engagieren, ihre Unternehmen voranzubringen, damit diese sich vor dem Hintergrund der außergewöhnlichen Herausforderungen und Möglichkeiten der heutigen Welt gedeihlich entwickeln mögen.

[11]Teil I

Wie unser Handeln unsere Wirklichkeit erzeugt – und wie wir sie verändern können

[13]1 »Gebt mir einen Hebel, der lang genug ist – und einhändig bewege ich die Welt«

Von frühester Kindheit an lernen wir, Probleme in ihre Einzelteile zu zerlegen und die Welt zu fragmentieren. Dadurch werden komplexe Aufgaben und Themen scheinbar leichter handzuhaben, aber wir zahlen einen versteckten, ungeheuer hohen Preis dafür. Wir sind nicht mehr in der Lage, die Konsequenzen unseres Handelns zu erkennen; wir verlieren die innere Verbindung zu einem umfassenderen Ganzen. Wenn wir dann versuchen, »das größere Bild« zu sehen, bemühen wir uns, die Bruchstücke in unserem Kopf wieder zusammenzusetzen, alle Teile zu erfassen und zu ordnen. Aber das ist, wie der Physiker David Bohm es ausdrückt, vergebliche Liebesmüh, es ist so ähnlich, als würde man die Scherben eines zerbrochenen Spiegels wieder zusammenkleben und auf ein unverfälschtes Abbild hoffen. Und so geben wir dann irgendwann auf und bemühen uns nicht länger, das Gesamtbild zu erkennen.

Die in diesem Buch vorgestellten Instrumente und Ideen sollen die Illusion zerstören, dass die Welt aus getrennten, unverbundenen Kräften besteht. Wenn wir diese Illusion aufgeben, können wir »lernende Organisationen« schaffen, Organisationen, in denen die Menschen kontinuierlich die Fähigkeit entfalten, ihre wahren Ziele zu verwirklichen, in denen neue Denkformen gefördert und gemeinsame Hoffnungen freigesetzt werden, Organisationen also, in denen Menschen lernen, miteinander zu lernen.

Da die Welt immer enger zusammenrückt und die Komplexität und Dynamik der Wirtschaft ständig zunimmt, muss die Arbeit »lernintensiver« werden. Es reicht nicht mehr aus, dass eine einzelne Person – ein Ford oder Sloan oder Watson – stellvertretend für die gesamte Organisation lernt. Es wird in Zukunft nicht mehr möglich sein, dass man »die Dinge oben ausknobelt« und dafür sorgt, dass alle anderen den Anweisungen des »großen Strategen« folgen. Die Spitzenorganisationen der Zukunft werden sich dadurch auszeichnen, dass sie wissen, wie man das Engagement und das Lernpotenzial auf allen Ebenen einer Organisation erschließt.

[14]Lernende Organisationen sind möglich, weil wir alle tief in unserem Innern ein intuitives Lernbedürfnis haben. Niemand muss einem kleinen Kind das Lernen beibringen. Genaugenommen muss man einem Kind überhaupt nichts beibringen. Kinder sind von sich aus wissbegierige Entdecker, die ganz von alleine und meisterhaft lernen, wie man läuft, spricht und seine Familie am besten auf Trab hält. Lernende Organisationen sind möglich, weil das Lernen nicht nur in unserer Natur liegt, sondern weil wir leidenschaftlich gern lernen. Die meisten von uns waren schon einmal Teil eines großartigen »Teams«, dessen Mitglieder phantastisch aufeinander eingespielt waren, die einander vertrauten, die sich in ihren Stärken ergänzten und in ihren Schwächen ausglichen, die große, gemeinsame Ziele verfolgten und Außerordentliches leisteten. Ich habe viele Menschen kennen gelernt, die diese Form echter Teamarbeit erlebt haben, im Sport, in der Kunst oder im Geschäftsleben. Viele sagen, dass sie immer wieder nach einer Möglichkeit gesucht haben, diese einzigartige Erfahrung zu wiederholen. Was sie erlebt haben, war eine lernende Organisation. Das Team, das etwas Großartiges leistete, war nicht von Anfang an großartig, es hat gelernt, außergewöhnliche Ergebnisse zu erzielen.

Man könnte argumentieren, dass die gesamte globale Wirtschaftsgemeinschaft gerade lernt, gemeinsam zu lernen, und sich zu einer Lerngemeinschaft entwickelt. Während früher viele Wirtschaftszweige von einem einzigen unangefochtenen Marktführer beherrscht wurden – ein IBM, ein Kodak, ein Procter & Gamble, ein Xerox –, gibt es heute in jeder Branche, vor allem unter produzierenden Unternehmen, Dutzende von herausragenden Firmen. Amerikanische, europäische oder japanische Unternehmen werden von chinesischen, malaysischen oder brasilianischen Innovatoren angespornt; diese werden ihrerseits von den Koreanern und Indern angespornt. Unternehmen in Italien, Australien oder Singapur führen umwälzende Veränderungen durch – und beeinflussen im Handumdrehen die ganze Welt.

Eine weitere, in gewisser Hinsicht tiefer greifende Tendenz zu lernenden Organisationen hängt mit der Entwicklung der Industriegesellschaft zusammen. Der materielle Wohlstand hat die Einstellung zur Arbeit allmählich gewandelt, weg von einer »instrumentellen Sichtweise«, wie Daniel Yankelovich es bezeichnet hat, bei der die Arbeit als reines Mittel zum Zweck galt, hin zu einer »heiligen« Sichtweise, bei der die »intrinsischen« Belohnungen der Arbeit im Vordergrund stehen.1 »Unsere Großväter haben sechs Tage die Woche gearbeitet, um das Gleiche zu verdienen, was die meisten von uns heute bis Dienstagnachmittag verdient haben«, sagt Bill O’Brien, ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Hanover Insurance. »Im Management [15]wird es weiter gären, bis wir Organisationen geschaffen haben, die nicht nur die elementaren Bedürfnisse nach Nahrung, Schutz und Zugehörigkeit erfüllen, sondern auch den höheren Zielen des Menschen besser gerecht werden.«

Viele Menschen, die diese Wertvorstellungen teilen, sind heute in Führungspositionen tätig. Auch wenn sie nach wie vor eine Minderheit bilden, treffe ich auf eine wachsende Zahl von Führungskräften, die sich als Teil einer tief greifenden Veränderung in der sozialen Funktion von Arbeit verstehen. »Warum sollten wir bei der Arbeit nicht gute Taten vollbringen?«, fragte Edward Simon, ehemaliger Präsident von Herman Miller – eine Einstellung, die mir heute häufig begegnet. Bei der Gründung von »Global Compact« rief der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan die Unternehmen in aller Welt dazu auf, lernende Gemeinschaften aufzubauen, die dazu beitragen sollen, die globalen Standards der Arbeitsrechte sowie die Standards für soziale und ökologische Verantwortung anzuheben. Die vielleicht offenkundigste Ursache für den Aufbau von lernenden Organisationen ist, dass wir jetzt allmählich begreifen, über welche Fähigkeiten eine derartige Organisation verfügen muss. Lange Zeit tappte man bei dem Versuch, lernende Unternehmen zu schaffen, mehr oder weniger im Dunkeln; erst nach und nach wurde klar, welche Fähigkeiten, Wissensgebiete und Entwicklungswege sie auszeichnen. Was eine lernende Organisation grundlegend von einer herkömmlichen Organisation mit autoritärem »Kontrollcharakter« unterscheiden wird, ist, dass sie bestimmte elementare Disziplinen beherrscht. Deshalb sind »die Disziplinen einer lernenden Organisation« von wesentlicher Bedeutung.

Disziplinen der lernenden Organisation

An einem kalten, klaren Dezembermorgen des Jahres 1903 bewies die zerbrechliche Flugmaschine von Wilbur und Orville Wright in Kitty Hawk, North Carolina, dass das Fliegen mit Motorantrieb möglich ist. Damit war das Flugzeug erfunden, aber es sollte noch mehr als dreißig Jahre dauern, bevor die zivile Luftfahrt einer breiten Öffentlichkeit zugute kam.

Techniker sprechen von einer »Erfindung«, wenn eine neue Idee im Labor funktioniert. Zur »Innovation« wird die Idee erst, wenn sie in angemessener Stückzahl zu vernünftigen Kosten zuverlässig reproduziert werden kann. Wenn die Idee wichtig genug ist, wie im Fall des Telefons, des Computers [16]oder des Verkehrsflugzeugs, spricht man von einer »grundlegenden Innovation«, die eine neue Industrie hervorbringt oder eine bestehende transformiert. Nach dieser Definition ist die lernende Organisation bislang eine Erfindung, aber noch keine Innovation.

Wenn sich eine technische Idee von einer Erfindung in eine Innovation verwandelt, fügen sich diverse »Teiltechnologien« zusammen. Diese Bestandteile, die aus getrennten Entwicklungen auf verschiedenen Forschungsgebieten hervorgehen, bilden allmählich ein »Ensemble von Technologien«, die sich in ihrem Erfolg gegenseitig beeinflussen. Bis dieses Ensemble sich herausgebildet hat, hat die Idee, auch wenn sie im Labor funktioniert, ihr praktisches Potenzial noch nicht entfaltet.2

Die Gebrüder Wright hatten bewiesen, dass der Motorflug möglich war, aber erst die im Jahr 1935 eingeführte McDonnell Douglas DC-3 leitete die Ära der Verkehrsluftfahrt ein. Die DC-3 war das erste Flugzeug, das sich in wirtschaftlicher und aerodynamischer Hinsicht selbst tragen konnte. In den dreißig Jahren, die dazwischenlagen (ein typischer Zeitraum für die Ausreifung von grundlegenden Innovationen), schlugen unzählige Experimente mit der zivilen Luftfahrt fehl. Wie bei den ersten Experimenten mit lernenden Organisationen konnte man auch die ersten Flugzeuge nicht zuverlässig und kosteneffizient reproduzieren.

Die DC-3 brachte zum ersten Mal fünf kritische »Teiltechnologien« zusammen, die ein erfolgreiches Ensemble bildeten. Nämlich: Verstellpropeller, einziehbares Fahrgestell, eine leichte Schalenbaukonstruktion namens »Monocque«, einen luftgekühlten Sternmotor und auftriebserhöhende Klappen. Alle fünf Bestandteile waren für den Erfolg der DC-3 notwendig, vier hätten nicht ausgereicht. Ein Jahr zuvor wurde die Boeing 247 eingeführt, die über alle Komponenten mit Ausnahme der Klappen verfügte. Ohne die Klappen erwies sich die Maschine bei Starts und Landungen als instabil, sodass die Boeing-Konstrukteure die Maschine verkleinern mussten.

Ich denke, dass heute fünf »Teiltechnologien« allmählich zusammenlaufen und damit die lernende Organisation zu einer Innovation machen. Auch wenn sie getrennt voneinander entwickelt wurden, werden sie sich in ihrem Erfolg wesentlich beeinflussen, wie bei jedem Ensemble. Jede Komponente liefert einen lebenswichtigen Beitrag für den Aufbau einer Organisation, die wahrhaft »lernfähig« ist, die ihre Fähigkeiten ständig weiterentwickelt, um ihre höchsten Ziele zu verwirklichen.

Systemdenken. Wolken ziehen auf, der Himmel verdunkelt sich, die Blätter kräuseln sich nach oben, und wir wissen, dass es regnen wird. Wir wissen [17]auch, dass der Niederschlag nach dem Unwetter viele Kilometer entfernt ins Grundwasser fließt und dass der Himmel morgen wieder aufklaren wird. All diese Ereignisse sind räumlich und zeitlich voneinander getrennt, und doch gehören sie alle zu demselben Muster. Die Ereignisse beeinflussen sich gegenseitig, auch wenn wir dieses Wechselspiel normalerweise nicht wahrnehmen. Man kann das System eines heftigen Regens nur verstehen, wenn man über die Einzelteile hinausblickt und das Ganze betrachtet.

Die Geschäftswelt und andere menschliche Unternehmen sind ebenfalls Systeme. Auch sie sind durch ein unsichtbares Gewebe von zusammenhängenden Handlungen verbunden, die oft erst nach Jahren ihre volle Wirkung aufeinander entfalten. Da wir selbst ein Teil dieses filigranen Musters sind, fällt es uns doppelt schwer, das volle Bild der Veränderung zu erfassen. Statt dessen neigen wir dazu, uns auf »Schnappschüsse« von isolierten Systemteilen zu konzentrieren, und wundern uns, warum unsere größten Probleme scheinbar unlösbar sind. Das Systemdenken ist ein konzeptuelles Rahmenwerk, ein Set von Informationen und Instrumenten, das im Laufe der letzten fünfzig Jahre entwickelt wurde mit dem Ziel, übergreifende Muster klarer zu erkennen und besser zu begreifen, wie wir diese Muster erfolgreich verändern können.

Auch wenn die Mittel neu sind, ist die ihnen zugrunde liegende Weltanschauung etwas äußerst Intuitives: Experimente mit kleinen Kindern zeigen, dass sie mühelos lernen, systemisch zu denken.

Personal Mastery – die Disziplin der Selbstführung und Persönlichkeitsentwicklung. Der Begriff Mastery, »Beherrschung«, kann bedeuten, dass jemand über Menschen oder Dinge herrscht. Aber er kann sich auch auf einen bestimmten Grad an Professionalität oder »Meisterschaft« beziehen. Ein Handwerksmeister, der sein Metier »beherrscht«, übt keine Macht über seine Töpferwaren oder Webteppiche aus. Wer es zu einem hohen Grad an Personal Mastery bringt, verfügt über die Fähigkeit, seine wahren Ziele konsequent zu verwirklichen, er geht letztlich an das Leben heran wie ein Künstler an ein Kunstwerk. Das gelingt ihm, weil er offen auf Neues reagiert und nie aufhört zu lernen.

Personal Mastery bedeutet, dass man seine persönliche Vision kontinuierlich klärt und vertieft, dass man seine Energien bündelt, Geduld entwickelt und die Realität objektiv betrachtet. Diese Inhalte machen die Disziplin der Personal Mastery zu einem wesentlichen Eckpfeiler der lernenden Organisation – zu ihrer geistigen Grundlage. Das Engagement einer Organisation, lernen zu wollen, kann immer nur so groß sein, wie das Engagement ihrer [18]Mitglieder. Die Ursprünge dieser Disziplin liegen in westlichen und östlichen Religionen ebenso wie in weltlichen Traditionen.

Überraschenderweise fördern jedoch nur wenige Organisationen das Wachstum ihrer Mitglieder in dieser Hinsicht. Das führt dazu, dass enorme Ressourcen ungenutzt bleiben. »Wir haben lauter kluge, gut ausgebildete, hoch motivierte Berufsanfänger, sie sprühen vor Tatkraft und wollen die Welt verändern«, erklärt Bill O’Brien von Hanover Insurance. »Wenn sie dann dreißig sind, ist ein Teil von ihnen auf dem steilen Weg nach oben, während die übrigen ›ihre Zeit absitzen‹ und ihre Energien auf das Wochenende konzentrieren. Sie verlieren ihr Engagement, ihr Sendungsbewusstsein und die freudige Aufregung, mit der sie an den Start gegangen sind. Wir kriegen verdammt wenig von ihrer Energie und so gut wie nichts von ihren Herzen.«

Und erstaunlich wenige Erwachsene arbeiten wirklich konsequent an der Entwicklung ihrer eigenen Personal Mastery. Wenn man Erwachsene fragt, was sie vom Leben erwarten, erzählen sie häufig als Erstes, wovon sie sich befreien möchten: »Ich würde mir wünschen, dass meine Schwiegermutter endlich auszieht«, erklären sie oder: »Ich möchte meine Rückenprobleme loswerden.« Dagegen beginnt die Disziplin der Personal Mastery damit, dass wir uns über diejenigen Dinge klar werden, die uns wirklich wichtig sind, damit wir unser Leben in den Dienst unserer höchsten Ziele stellen können.

Mein Interesse gilt vor allem den Verbindungen zwischen dem individuellen Lernen und dem Lernen von Organisationen, den gegenseitigen Verpflichtungen von Individuum und Organisation und dem speziellen Geist eines Unternehmens, das sich aus Lernenden zusammensetzt.

Mentale Modelle. »Mentale Modelle« sind tief verwurzelte Annahmen, Verallgemeinerungen oder auch Bilder und Symbole, die großen Einfluss darauf haben, wie wir die Welt wahrnehmen und wie wir handeln. Sehr häufig sind wir uns dieser mentalen Modelle oder ihrer Auswirkungen auf unser Verhalten nicht bewusst. So bemerken wir vielleicht, dass eine Kollegin sehr elegant gekleidet ist, und sagen uns: »Sie ist ’ne Schickimicki-Schnepfe.« Wenn jemand eher nachlässig herumläuft, ziehen wir vielleicht den Schluss: »Es ist ihm egal, was andere von ihm denken.« Mentale Modelle über mögliche Handlungsalternativen in unterschiedlichen Managementsituationen sind nicht weniger fest verwurzelt. Viele Erkenntnisse über neue Marktmöglichkeiten oder veraltete Organisationsverfahren werden nicht praktisch umgesetzt, weil sie im Widerspruch zu unsichtbaren, aber machtvollen mentalen Modellen stehen.

[19]So erkannte beispielsweise Royal Dutch/Shell Anfang der 1970er-Jahre als eines der ersten großen Unternehmen, wie allumfassend der Einfluss von verborgenen mentalen Modellen war. Shells Erfolg in den 1970er- und 1980er-Jahren (es stieg vom schwächsten der sieben Ölkonzerne zum zweitstärksten neben Exxon auf), in einer Zeit, die durch dramatische Veränderungen des Ölgeschäfts gekennzeichnet war wie die Entstehung der OPEC, extreme Schwankungen des Ölpreises und schließlich den Zusammenbruch der Sowjetunion, war zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, dass das Unternehmen lernte, wie es die mentalen Modelle seiner Führungskräfte als eine Disziplin zur Vorbereitung von Veränderungen aufdecken und in Frage stellen konnte. Nach Ansicht von Arie de Geus, der in den 1980er-Jahren Gruppenkoordinator bei Shell war, hängt eine kontinuierliche Anpassung und ein ständiges Wachstum in einer wechselhaften wirtschaftlichen Umwelt vom »institutionellen Lernen ab, das heißt, von dem Prozess, durch den Managementteams ihre gemeinsamen mentalen Modelle in Bezug auf das Unternehmen, seine Märkte und seine Wettbewerber verändern. Deshalb betrachten wir das Planen als Lernen und die Unternehmensplanung als institutionelles Lernen.«3

Die Disziplin der mentalen Modelle beginnt damit, dass man den Spiegel nach innen kehrt. Wir müssen lernen, unsere inneren Bilder von der Welt aufzudecken, sie an die Oberfläche zu holen und einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Die Arbeit mit mentalen Modellen erfordert ferner die Fähigkeit, »lernintensive« Gespräche zu führen, in denen die Beteiligten sowohl neugierig fragen als auch ihre Standpunkte vertreten, in denen sie klar zum Ausdruck bringen, was sie denken und ihr Denken für die Einflüsse anderer öffnen.

Eine gemeinsame Vision entwickeln. Wenn es je eine einzelne Führungsidee gab, die Organisationen seit ewigen Zeiten inspiriert hat, so ist es die Fähigkeit, eine gemeinsame Zukunftsvision zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass irgendeine große Organisation auf Dauer ohne gemeinsame Ziele, Wertvorstellungen und Botschaften erfolgreich sein könnte. Für IBM war dies der »Service« und für Polaroid die Instantkamera; für Ford war es das Transportmittel für die Massen und Apple hatte »Computer für jedermann«. Trotz enormer Unterschiede in Bezug auf Wesen und Inhalt dieser Visionen ist es all diesen Organisationen gelungen, die Menschen durch eine gemeinsame Unternehmensphilosophie und ein Gefühl von gemeinsamer Bestimmung zusammenzuführen.

[20]Wenn eine echte Vision vorhanden ist (im Gegensatz zu den allseits bekannten »Visions-Erklärungen«), wachsen die Menschen über sich selbst hinaus: Sie lernen aus eigenem Antrieb und nicht, weil man es ihnen aufträgt. Aber viele Führungskräfte verfolgen persönliche Visionen, die nie in solche elektrisierenden gemeinsamen Visionen umgesetzt werden. Sehr häufig hängt die gemeinsame Vision einer Firma von dem Charisma ihres Leiters ab oder von einer Krise, die alle Mitglieder vorübergehend aktiviert. Aber wenn sie die Wahl hätten, würden die meisten Menschen nicht nur in Notzeiten, sondern tagtäglich ein hohes Ziel verfolgen. Was fehlt, ist das Wissen darum, wie man eine individuelle Vision in eine kollektive umsetzt – nicht im Sinne eines »Kochbuchs«, sondern im Sinne von allgemeinen Prinzipien und bestimmten Techniken.

Zur Disziplin der gemeinsamen Vision gehört die Fähigkeit, gemeinsame »Zukunftsbilder« freizulegen, die nicht nur auf Einwilligung stoßen, sondern echtes Engagement und wirkliche Teilnehmerschaft fördern. Eine Führungskraft, die sich in dieser Disziplin übt, lernt, dass auch eine noch so tief empfundene Vision kontraproduktiv wirkt, wenn sie lediglich von oben verordnet wird.

Team-Lernen. Wie ist es zu erklären, dass ein Team von engagierten Managern, die einen individuellen Intelligenzquotienten von über 120 haben, einen kollektiven IQ von 63 aufweist? Die Disziplin des Team-Lernens setzt sich mit diesem Paradox auseinander. Wir wissen, dass Teams lernen können. Im Sport, in den darstellenden Künsten, in der Wissenschaft und sogar – gelegentlich – im Geschäftsleben gibt es eindrucksvolle Beispiele dafür, dass die Intelligenz des Teams die Intelligenz des Einzelnen bei Weitem überschreitet und dass ein Team außergewöhnliche Fähigkeiten zum koordinierten Handeln entwickelt. Wenn Teams wahrhaft lernen, erzielen sie nicht nur herausragende Ergebnisse, sondern die einzelnen Mitglieder entwickeln sich auch schneller, als es andernfalls je möglich wäre.

Die Disziplin des Team-Lernens beginnt mit dem »Dialog«, mit der Fähigkeit der Teammitglieder, eigene Annahmen »aufzuheben« und sich auf ein echtes »gemeinsames Denken« einzulassen. Für die Griechen bedeutete dia-logos das ungehinderte Fluten von Sinn, von Bedeutung in einer Gruppe, wodurch diese zu Einsichten gelangen kann, die dem Einzelnen verschlossen sind. Interessanterweise ist die Praxis des Dialogs in vielen ursprünglichen Kulturen, wie zum Beispiel bei den nordamerikanischen Indianern, bewahrt worden, während sie in der modernen Gesellschaft fast völlig verloren gegangen ist. Heute werden die Grundsätze und Techniken [21]des Dialogs neu entdeckt und in einen zeitgenössischen Kontext gestellt. (Der »Dialog« ist dabei klar zu unterscheiden von der bekannteren »Diskussion«, die mit Wörtern wie »Percussion« und »Concussion«, also mit »Erschütterung«, verwandt ist und bei der es buchstäblich darum geht, Argumente hin- und herzuwerfen, bis einer den Wettstreit gewonnen hat.)

Zur Disziplin des Dialogs gehört auch, dass man bestimmte Interaktionsstrukturen erkennt, die das Lernen im Team behindern. Häufig ist das Verhalten eines Teams von tiefen Abwehrstrukturen geprägt. Wenn diese Strukturen nicht erkannt werden, machen sie jedes Lernen unmöglich. Aber wenn man sie erkennt und sich kreativ damit auseinandersetzt, können sie das Lernen auch vorantreiben.

Das Team-Lernen ist von entscheidender Bedeutung, weil Teams, nicht einzelne Menschen, die elementare Lerneinheit in heutigen Organisationen bilden. Sie sind die »Nagelprobe« für die Praxis. Nur wenn Teams lernfähig sind, kann die Organisation lernen.

Wenn eine lernende Organisation eine technische Erfindung wäre, wie zum Beispiel das Flugzeug oder der PC, würde man die Komponenten als Technologien bezeichnen. Bei einer Innovation des menschlichen Verhaltens muss man die Komponenten als Disziplinen sehen. Mit »Disziplin« meine ich nicht eine »erzwungene Ordnung« oder ein »Mittel der Bestrafung«, sondern eine grundlegende Theorie und Methodik, die man lernen und beherrschen muss, um sie in die Praxis umsetzen zu können. Eine Disziplin (aus dem lateinischen disciplina, »Unterricht, Lehrmethode«) ist ein Entwicklungsweg, auf dem man bestimmte Fertigkeiten oder Kompetenzen erwirbt. Wie bei jeder Disziplin – vom Klavierspielen bis zur Elektrotechnik – gibt es einige Menschen, die über eine »natürliche Begabung« verfügen, aber jeder kann durch Übung zum Meister werden.

Das Ausüben einer Disziplin bedeutet, dass man nie aufhört zu lernen. Man »kommt niemals an«. Eine Disziplin zu meistern ist ein lebenslanger Prozess. So wie man nie sagen kann: »Ich bin jetzt ein aufgeklärter Mensch«, kann man auch nie sagen: »Wir sind jetzt eine lernende Organisation«. Je mehr man lernt, desto stärker wird die eigene Unwissenheit bewusst. Deshalb kann eine Organisation nicht in dem Sinne zu einem »Spitzenunternehmen« werden, dass sie einen Zustand der »Vollkommenheit« erreicht. Sie übt sich kontinuierlich in den Lerndisziplinen und entwickelt sich ständig weiter – zum Besseren oder zum Schlechteren.

Dass Organisationen von Disziplinen profitieren können, ist keine brandneue Idee. Immerhin gibt es seit Langem Führungsdisziplinen wie zum Beispiel das Rechnungswesen. Aber die fünf Lerndisziplinen unterscheiden [22]sich von bekannteren Managementdisziplinen, weil sie »persönliche« Disziplinen sind. Jede handelt davon, wie wir denken, wie wir mit anderen interagieren und mit ihnen gemeinsam lernen. In dieser Hinsicht ähneln sie eher künstlerischen Disziplinen als traditionellen Managementdisziplinen. Das Rechnungswesen hält uns zwar über den »aktuellen Punktestand« auf dem Laufenden, aber was noch als Aufgabe im Raum steht, ist, eine Organisation aufzubauen, ihre innovativen und kreativen Fähigkeiten zu fördern und ihre Politik und Struktur durch die Aufnahme neuer Disziplinen zu gestalten. Vielleicht ist das der Grund, weshalb so viele große Organisationen flüchtige Erscheinungen sind, die für einen kurzen Moment ihren Platz an der Sonne genießen und dann wieder sang- und klanglos im grauen Mittelmaß versinken.

Eine Disziplin auszuüben ist etwas anderes, als ein »Modell« nachzuahmen. Sehr häufig werden Management-Innovationen am Beispiel der »best Practices« sogenannter Spitzenunternehmen erläutert. Ich bin überzeugt, dass das Heranziehen der »besten Praktiken« als Vergleichmaßstab den Menschen die Augen öffnen und ihnen zeigen kann, was möglich ist. Doch es kann auch mehr Schaden als Nutzen anrichten, weil es dazu führt, dass Unternehmen einzelne Praktiken nachahmen und immer mit hängender Zunge der neuesten Entwicklung hinterherlaufen. Ein erfahrener Manager von Toyota, der mehr als hundert Werksführungen für Führungskräfte aus anderen Unternehmen durchgeführt hatte, berichtete: »Sie sagen immer: ›O ja, Sie haben ein Kanban-System, wir auch. Sie haben Qualitätszirkel, wir auch. Ihre Mitarbeiter erstellen Standard-Arbeitsbeschreibungen, die unseren auch.‹ Sie sehen die einzelnen Teile und kopieren sie. Aber sie erkennen nicht, wie die Einzelteile zusammenwirken.« Ich glaube nicht, dass je eine wirklich gute Organisation durch Nachahmung geschaffen wurde, genauso wenig wie man eine starke Persönlichkeit entwickeln kann, indem man versucht, eine andere Persönlichkeit nachzuahmen.

Als die fünf Teiltechnologien zusammengeführt waren, und damit der erfolgreiche Bau der DC-3 möglich wurde, war die Luftfahrtindustrie geboren. Aber die DC-3 stand nicht am Ende dieses Prozesses. Sie war vielmehr die Vorbotin einer neuen Industrie. Ähnliches gilt für die fünf Teildisziplinen des Lernens; eine Annäherung an diese Disziplinen wird nicht die eine lernende Organisation hervorbringen, sondern vielmehr eine neue Welle von Experimenten und neuen Entwicklungen auslösen.

[23]Die fünfte Disziplin

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass sich diese oben beschriebenen Disziplinen als ein Ganzes weiterentwickeln. Das ist eine große Herausforderung, denn es ist viel schwieriger, neue Instrumente zu integrieren, als sie einfach getrennt voneinander zu benutzen. Aber wer die Mühe auf sich nimmt, wird reich belohnt.

Deshalb ist die fünfte Disziplin, das Systemdenken, so wichtig. Sie ist die integrative Disziplin, die alle miteinander verknüpft und sie zu einer ganzheitlichen Theorie und Praxis zusammenfügt. Sie verhindert, dass die einzelnen Disziplinen zu isolierten technischen Spielereien verkommen oder einfach als neuester Mode-Tick der Organisation abgetan werden. Ohne eine Systemorientierung fehlt uns die Motivation, genauer zu untersuchen, wie die Disziplinen sich wechselseitig beeinflussen. Weil das Systemdenken alle anderen Disziplinen fördert, werden wir ständig daran erinnert, dass das Ganze mehr sein kann als die Summe seiner Teile.

Fehlt der Systemansatz zum Beispiel bei der Vision, kann man wunderschöne Zukunftsbilder malen, ohne wirklich zu begreifen, welche Kräfte zu bewältigen sind, um in dieser Zukunft anzukommen. Das ist einer der Gründe, weshalb viele Unternehmen, die in den letzten Jahren auf der »Visionswelle« mitgeschwommen sind, festgestellt haben, dass hehre Visionen allein für das Firmenglück nicht ausreichen. Ohne Systemdenken fällt die Saat der Vision auf knochentrockenen Boden. Wenn ein unsystemisches Denken vorherrscht, ist die erste Voraussetzung für die Tragfähigkeit einer Vision nicht erfüllt, es fehlt die Überzeugung, dass diese Zukunftsvision verwirklicht werden kann. Man sagt vielleicht: »Wir werden unsere Vision verwirklichen« (die meisten amerikanischen Manager sind auf diese Überzeugung hin konditioniert), aber wenn man insgeheim der Ansicht ist, dass die gegenwärtige Realität von Gesetzen beherrscht wird, auf die man keinerlei Einfluss hat, sind dies nichts als leere Worte.

Aber auch das Systemdenken braucht die anderen Disziplinen – die gemeinsam entwickelte Vision, die mentalen Modelle, das Team-Lernen und Personal Mastery –, wenn es sein Potenzial entfalten soll. Die Entwicklung einer gemeinsamen Vision begünstigt ein langfristiges Engagement. Die Disziplin der mentalen Modelle fördert die Offenheit, die notwendig ist, damit wir die Fehler in unserer derzeitigen Realitätswahrnehmung aufdecken können. Das Team-Lernen trägt dazu bei, dass Menschen in Gruppen ein Gespür für das größere Bild entwickeln, das sich hinter den Einzelperspektiven verbirgt. Personal Mastery lässt uns immer wieder aufs Neue [24]erforschen, wie unsere Handlungen unsere Welt beeinflussen. Ohne Personal Mastery sind Menschen in einem reaktiven Denkmuster gefangen (»Jemand/etwas anderes ist schuld an meinen Problemen«) und empfinden eine systemische Betrachtungsweise als zutiefst bedrohlich.

Schließlich macht das Systemdenken den subtilsten Aspekt der lernenden Organisation deutlich – dass Menschen sich selbst und ihre Welt mit anderen Augen sehen. Ein fundamentales Umdenken ist das eigentliche Herzstück einer lernenden Organisation; wir erkennen, dass wir nicht von der Welt getrennt, sondern mit ihr verbunden sind, und wir machen nicht länger einen Widersacher »da draußen« für all unsere Probleme verantwortlich, sondern erkennen, wie wir selbst durch unser Handeln zu unseren Problemen beitragen.

Eine lernende Organisation ist ein Ort, an dem Menschen kontinuierlich entdecken, dass sie ihre Realität selbst erschaffen. Und dass sie diese Realität verändern können. Wie Archimedes sagte: »Gebt mir einen Hebel, der lang genug ist ... und einhändig bewege ich die Welt.«

Metanoia – das Umdenken

Wenn man Menschen fragt, wie sie es empfunden haben, als Teil eines großartigen Teams zu agieren, dann fällt als Erstes auf, dass von Sinnstiftung gesprochen wird. Teilnehmer berichten von herausragender Teamarbeit, dass sie das Gefühl hatten, an etwas mitzuwirken, das größer war als sie selbst; sie hatten ein Gefühl von Verbundenheit, von Kreativität. Viele Menschen betrachten die Zeit, in der sie als Teil eines großartigen Teams gearbeitet haben, ganz offensichtlich als herausragende und besonders intensive Lebenserfahrung, und einige versuchen immer wieder, den Zauber dieser Erfahrung zurückzuerobern.

Das treffendste Wort in der westlichen Kultur für das, was in einer lernenden Organisation geschieht, ist seit einigen Jahrhunderten in Vergessenheit geraten. Wir benutzen diesen Ausdruck seit etwa zehn Jahren in unserer Zusammenarbeit mit Organisationen, aber wir weisen immer wieder darauf hin, dass man in der Öffentlichkeit sparsam mit diesem Wort umgehen sollte. Das Wort lautet »Metanoia«, und es bedeutet »Umdenken«. Es hat eine lange und reiche Geschichte. Die Griechen verstanden darunter einen fundamentalen Wandel bzw. Wechsel oder, im wörtlicheren Sinne, die Transzendenz (meta – »über« oder »jenseits« wie in »Metaphysik«) von Sinn (»noia« von [25]nous, der Sinn). In der frühen christlichen Tradition (der Gnostiker) bezog »Metanoia« sich speziell auf das Erwecken der kollektiven Intuition und auf die unmittelbare Erkenntnis des Höchsten, also Gottes. Für frühe Christen wie Johannes den Täufer war »Metanoia« wahrscheinlich ein Schlüsselbegriff. Im Katholizismus wurde das Wort schließlich als »Buße« übersetzt.

Die Bedeutung von »Metanoia« ist identisch mit der tieferen Bedeutung von »Lernen«, denn auch zum Lernen gehört ein fundamentales Umdenken oder eine tief greifende Sinnesänderung. Von »lernenden Organisationen« zu sprechen ist mitunter problematisch, weil der Begriff Lernen seine tiefere Bedeutung im normalen Sprachgebrauch verloren hat. Die meisten Menschen bekommen einen glasigen Blick, wenn man ihnen etwas über »Lernen« oder »lernende Organisationen« erzählt. Diese Bezeichnungen rufen bei ihnen sofort die Vorstellung wach, dass man passiv in einem Klassenzimmer sitzt, zuhört, Anweisungen befolgt und dem Lehrer dadurch zu gefallen sucht, dass man keine Fehler macht. In der Alltagssprache ist »Lernen« tatsächlich zu einem Synonym für das »Aufnehmen von Informationen« geworden. »Ja, darüber habe ich gestern alles in einem Kurs gelernt.« Aber das Aufnehmen von Informationen ist nur entfernt mit echtem Lernen verwandt. Es wäre unsinnig zu sagen: »Ich habe gerade Radfahren gelernt, denn ich habe ein phantastisches Buch darüber gelesen.«

Echtes Lernen berührt den Kern unserer menschlichen Existenz. Lernen heißt, dass wir uns selbst neu erschaffen. Lernen heißt, dass wir neue Fähigkeiten erwerben, die uns vorher fremd waren. Lernen heißt, dass wir die Welt und unsere Beziehung zu ihr mit anderen Augen wahrnehmen. Lernen heißt, dass wir unsere kreative Kraft entfalten, unsere Fähigkeit, am lebendigen Schöpfungsprozess teilzunehmen. In jedem von uns steckt eine tiefe Sehnsucht nach dieser Art von Lernen. Der Mensch ist, wie der Anthropologe Edward Hall bemerkte, »der lernende Organismus par excellence. Das Bedürfnis zu lernen, ist ein ebenso elementares Bedürfnis des Menschen wie der Sexualtrieb – es setzt früher ein und bleibt länger bestehen.«5 Das ist die Grundbedeutung einer »lernenden Organisation« – es ist eine Organisation, die kontinuierlich die Fähigkeit ausweitet, ihre eigene Zukunft schöpferisch zu gestalten. Eine solche Organisation gibt sich nicht damit zufrieden, einfach zu überleben. »Überlebenstraining«, häufig auch als »adaptives Lernen« bezeichnet, ist wichtig und sogar notwendig. Aber bei einer lernenden Organisation muss sich zu diesem adaptiven ein schöpferisches Lernen hinzufügen, ein Lernen, das unsere kreative Kraft fördert.

Einige mutige Organisationspioniere weisen den Weg, aber das Territorium der lernenden Organisationen ist immer noch weitgehend unerforscht. [26]Ich hoffe, dass dieses Buch dazu beitragen wird, den Erkundungsprozess voranzutreiben.

Die Ideen in die Praxis umsetzen

Die fünf Hauptdisziplinen, die in diesem Buch beschrieben werden, sind keine Erfindung von mir. Sie sind das Ergebnis unzähliger Experimente, Forschungen, Studien und Erfindungen von Hunderten von Menschen. Aber ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit all diesen Disziplinen, feile an den Theorien, beteilige mich an Forschungsprojekten und mache Organisationen auf der ganzen Welt damit vertraut.

Schon als ich mein Studium am Massachusetts Institute of Technology aufnahm, war ich davon überzeugt, dass unsere Unfähigkeit, die zunehmend komplexen Systeme der Welt zu begreifen und zu handhaben, die Hauptursache der meisten Menschheitsprobleme bildet. An dieser Überzeugung hat sich seither wenig geändert. Heute zeigen die Umweltkrise, die wachsende Kluft zwischen den »Besitzenden und den Besitzlosen« und die daraus folgende soziale und politische Instabilität, das fortdauernde Wettrüsten, der internationale Drogenhandel sowie die Haushalts- und Handelsdefizite und die daraus resultierende Fragilität des Finanzsystems, dass die Komplexität und Verflochtenheit der Probleme in unserer Welt immer stärker zunehmen. Seit meinen Anfängen am MIT haben mich die Arbeiten von Jay Forrester fasziniert, einem Computerpionier, der interdisziplinär arbeitete, um etwas zu entwickeln, das er »Systemdynamik« nannte. Jay stellte die These auf, dass viele drängende Probleme, vom Verfall der Städte bis zur globalen Umweltzerstörung, genau von den gut gemeinten Maßnahmen verursacht wurden, die diese Gefahren abwenden sollten. Seiner Ansicht nach waren diese Probleme »in Wirklichkeit Systeme«, die Politiker zu Interventionen verleiteten, mit denen auffällige Symptome und nicht die eigentlichen Ursachen bekämpft wurden; dieses Verhalten führte zwar zu kurzfristigen Verbesserungen, verschlimmerte aber auf lange Sicht die Probleme und machte immer mehr symptomatische Interventionen erforderlich.

Als ich mit meiner Doktorarbeit begann, lernte ich mehr und mehr Führungskräfte aus Unternehmen kennen, die unsere Forschungsgruppe im MIT besuchten, um sich über das Systemdenken zu informieren. Es waren nachdenkliche Menschen, die sich der Schwächen vorherrschender Managementpraktiken zutiefst bewusst waren. Anders als die meisten Aka[27]demiker waren sie aufgeschlossen und lernbegierig, keine abgehobenen Intellektuellen, und viele beschäftigten sich mit dem Thema, wie neue Organisationsformen dezentraler, nicht hierarchisch strukturierter Unternehmen geschaffen werden können, die sich sowohl dem Glück und Wachstum der Mitarbeiter als auch dem wirtschaftlichen Erfolg verpflichtet fühlen. Einige hatten radikale Unternehmensphilosophien entwickelt, die auf den Grundwerten von Freiheit und Verantwortung basierten. Andere hatten innovative Organisationspläne entworfen. Alle zeichneten sich durch ein Engagement und eine Innovationsbereitschaft aus, die man im staatlichen Sektor vergeblich sucht. Mir wurde allmählich klar, warum die Wirtschaft das innovative Zentrum einer offenen Gesellschaft ist. Auch wenn das Denken in der Wirtschaft von vielen überholten Vorstellungen geprägt sein mag, bietet die Wirtschaft doch genügend Freiheit zum Experimentieren, eine Freiheit, die im staatlichen Sektor und häufig auch in gemeinnützigen Organisationen fehlt. Die Wirtschaft bietet außerdem eine klare »Gewinn- und Verlustrechnung«, sodass Experimente – zumindest grundsätzlich – nach objektiven Kriterien bewertet werden können.

Aber warum hatten diese Führungskräfte Interesse am Systemdenken? Der Grund lag darin, dass viele Organisationsexperimente scheiterten. Eine lokale Autonomie einzelner Organisationsbereiche führte zu geschäftlichen Entscheidungen, die für die Organisation als Ganzes verheerende Folgen hatten. »Teambildungs«-Experimente zielten darauf, bessere Beziehungen zwischen Menschen herzustellen, die häufig völlig unterschiedliche mentale Modelle bezüglich geschäftlicher Fragen hatten. Firmen rückten in Krisenzeiten enger zusammen, aber die ganze Inspiration verpuffte, sobald es wirtschaftlich wieder aufwärtsging. Organisationen mit den allerbesten Absichten gegenüber ihren Kunden und Mitarbeitern gerieten nach einem kometenhaften Aufstieg ins Trudeln und stellten fest, dass sich die Talfahrt umso mehr beschleunigte, je mehr man sie zu bremsen versuchte.

Als ich Student und dann ein junger Professor war, waren wir alle überzeugt, diese Probleme mit den Instrumenten des Systemdenkens beheben zu können. Aber im Laufe meiner Zusammenarbeit mit verschiedenen Unternehmen wurde mir allmählich klar, warum systemisches Denken allein nicht ausreichte. Es bedarf auch eines neuen Führungstyps, um die Möglichkeiten des Systemdenkens voll auszuschöpfen. Damals, Mitte der 1970er-Jahre, hatten wir nur eine sehr vage Vorstellung davon, wie solche Managementpraktiker aussehen könnten. Diese Vorstellung nahm konkrete Formen an mit der Gründung einer »Führungskräfte-Gruppe«, die sich ab Anfang der 1980er-Jahre regelmäßig am MIT traf und der William O’Brien von Hano[28]ver Insurance, Arie de Geus von Shell, Edward Simon von Herman Miller und Ray Stata, CEO von Analog Devices, angehörten. Die Gruppe bestand länger als ein Jahrzehnt und bald zählten auch Manager von Apple, Ford, Polaroid, Royal Dutch/Shell und Trammel Crow zu ihren Teilnehmern.

Seit mehr als 25 Jahren entwickle und veranstalte ich Leadership-Workshops, um Menschen aus allen Lebensbereichen mit den Ideen der fünften Disziplin vertraut zu machen, die aus unserer Arbeit am MIT hervorgegangen ist. Diese Seminare stützten sich zunächst auf die bahnbrechenden Arbeiten von Innovation Associates über den Aufbau gemeinsamer Visionen und die Förderung von Personal Mastery. Sie sind heute eingebunden in die globalen Aktivitäten der Society for organizational Learning (SoL). Als die Erstausgabe der Fünften Disziplin erschien, hatten bereits mehr als 4000 Manager an diesen Workshops teilgenommen, und sie waren auch die »Zielgruppe«, an die sich das Buch richtete. (Als sich zeigte, dass noch viel mehr Menschen das Buch als eine Einführung in das organisationale Lernen verwendeten, brachten wir 1994 das Fieldbook zur Fünften Disziplin heraus, weil wir der Meinung waren, dass ein Buch mit praktischen Werkzeugen, Geschichten und Tipps sich besser als Einführung eignen würde.) Anfangs haben wir uns hauptsächlich auf Manager konzentriert, aber wir stellten schnell fest, dass solche Grunddisziplinen wie Systemdenken, Personal Mastery und gemeinsame Visionen auch für Lehrer, Verwaltungsbeamte, Politiker, für Schüler und Eltern von großer Bedeutung waren. Alle hatten wichtige Führungspositionen inne. Alle gehörten einer »Organisation« an, die über ungenutztes Potenzial für die Gestaltung ihrer Zukunft verfügte. Alle hatten das Gefühl, dass sie, um dieses Potenzial freizusetzen, ihre eigenen Fähigkeiten weiterentwickeln – also lernen – müssten.

Dieses Buch wendet sich also an alle Lernbegierigen, vor allem an solche, die an der Kunst und Praxis des kollektiven Lernens interessiert sind:

an Manager, damit sie die speziellen Techniken, Fertigkeiten und Disziplinen erkennen, die die okkulte Kunst vom Aufbau lernender Organisationen etwas weniger okkult machen (auch wenn sie dennoch eine Kunst bleibt);an Eltern, denen es zeigen möchte, dass wir unsere Kinder zu unseren Lehrern machen sollten, so wie wir ihre Lehrer sind – denn Kinder können uns eine Menge über das Lernen als Lebensweise beibringen;an Bürger, weil der Dialog über die Ursachen der Lernschwächen in heutigen Unternehmen und über die nötigen Voraussetzungen für den Aufbau lernender Organisationen auch deutlich macht, welche Instrumente eine Gemeinschaft oder Gesellschaft braucht, wenn sie lernfähiger werden soll.

[29]2 Stößt Ihre Organisation auf Lernhemmnisse?

Die meisten großen Unternehmen leben kaum halb so lange wie ein Mensch. Eine im Jahr 1983 von der Royal Dutch/Shell durchgeführte Studie ergab, dass ein Drittel der Firmen, die 1970 laut Fortune zu den 500 größten US-Gesellschaften gehörten, nicht mehr existierten.1 Shell schätzte, dass die durchschnittliche Lebenserwartung der größten Wirtschaftsunternehmen weniger als vierzig Jahre beträgt, also etwa die Hälfte der durchschnittlichen Lebenserwartung eines Menschen! Mittlerweile wurde diese Studie von EDS und einigen anderen Unternehmen wiederholt und diente als Bezugspunkt für das 2001 veröffentlichte Buch Good to Great von James Collins. Die Chancen, dass die Leser dieses Buches miterleben werden, wie ihre derzeitige Firma das Zeitliche segnet, stehen also fifty-fifty.

In den meisten scheiternden Unternehmen gibt es eine Fülle von frühzeitigen Warnsignalen, die den drohenden Untergang ankündigen. Diese Anzeichen werden jedoch nicht beachtet, auch wenn einzelne Manager sie bemerken. Die Organisation als Ganzes ist nicht in der Lage, drohende Gefahren zu erkennen, die Tragweite dieser Gefahren abzusehen oder Ausweichstrategien zu entwickeln.

Nach den Gesetzen des Survival of the fittest ist dieses notorische Unternehmenssterben vielleicht volkswirtschaftlich sinnvoll. So schmerzlich es für die Mitarbeiter und Besitzer sein mag – es ist einfach ein Umgraben der ökonomischen Scholle, durch das die Produktionsressourcen an neue Unternehmen und Unternehmenskulturen verteilt werden. Aber was, wenn diese hohe Sterblichkeitsrate nur ein Symptom für tiefere Probleme ist, die alle Unternehmen betreffen, nicht nur diejenigen, die in der Versenkung verschwinden? Was, wenn sogar die erfolgreichsten Unternehmen schlecht lernen, wenn sie zwar überleben, aber ihr Potenzial nie wirklich ausschöpfen? Was, wenn gemessen an dem, was die Organisation leisten könnte, ihre »Spitzenleistung« bloßes »Mittelmaß« ist?

Es ist kein Zufall, dass die meisten Unternehmen schlecht lernen. Die Planungs- und Führungsmethoden in heutigen Unternehmen, die üblichen [30]Arbeitsplatzbeschreibungen und vor allem die Denk- und Interaktionsweisen, die unser Verhalten steuern (nicht nur in Organisationen, sondern generell), verursachen fundamentale Lernhemmnisse. Gegen die Folgen dieser Schwächen können auch die größten Anstrengungen von klugen und engagierten Menschen kaum etwas ausrichten. Je mehr man sich bemüht, Probleme zu lösen, desto größer werden sie häufig. Wenn dennoch etwas gelernt wird, so geschieht es trotz dieser Lernhemmnisse – denn bis zu einem gewissen Grad ist jede Organisation davon betroffen.

Lernhemmnisse bei Kindern sind ein großes Problem, insbesondere wenn sie unentdeckt bleiben. Sie sind auch ein großes Problem für Organisationen, wo sie ebenfalls größtenteils unentdeckt bleiben. Wenn man sie beheben will, besteht der erste Schritt darin, dass man die folgenden sieben Lernhemmnisse erkennt:

1. »Ich bin meine Position«

Wir haben gelernt, loyal zu unseren Arbeitsplätzen zu stehen – diese Loyalität geht so weit, dass wir unsere Stellung mit unserer Identität verwechseln. Als ein großes amerikanisches Stahlunternehmen Anfang der 1980er-Jahre seine Niederlassungen schloss, bot es seinen Betriebsangehörigen eine berufliche Umschulung an. Aber die Umschulungsmaßnahme »griff« nicht; die Mitarbeiter drifteten in die Arbeitslosigkeit und in schlecht bezahlte Jobs ab. Psychologen forschten nach den Ursachen und stellten fest, dass die Stahlarbeiter unter einer akuten Identitätskrise litten. »Wie könnte ich je etwas anderes tun?«, fragten die Arbeiter. »Ich bin nun mal mit Leib und Seele Dreher.«

Wenn man Menschen fragt, womit sie ihren Lebensunterhalt verdienen, beschreiben die meisten die Aufgaben, die sie tagtäglich ausführen, nicht den Zweck der größeren Unternehmung, an der sie mitwirken. Die meisten sehen sich als Teil eines Systems, auf das sie wenig oder keinen Einfluss haben. Sie »tun ihre Arbeit«, investieren ihre Zeit und versuchen, die Kräfte zu bekämpfen, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen. Folglich neigen sie zu der Ansicht, dass sich ihre Verantwortung auf ihren konkreten Arbeitsplatz beschränkt und nicht darüber hinausreicht.

Vor vielen Jahren berichteten mir die Manager eines Automobilherstellers aus Detroit, dass sie einen japanischen Import-Wagen auseinandergenommen hätten. Sie wollten herausfinden, warum die Japaner bei einem bestimmten Montageverfahren ungewöhnlich präzise und verlässliche Resultate zu geringeren Kosten erzielten. Sie entdeckten, dass der Motorblock dreimal denselben Standardbolzen enthielt, der jeweils für einen anderen [31]technischen Bestandteil verwendet wurde. Bei dem amerikanischen Wagen erforderte der gleiche Zusammenbau drei unterschiedliche Bolzen, für die man drei unterschiedliche Schraubenschlüssel und drei unterschiedliche Bolzenbestände benötigte, was die Montage des Autos erheblich verlängerte und verteuerte. Warum benutzten die Amerikaner drei verschiedene Bolzen? Weil in der Detroiter Entwicklungsabteilung drei Technikergruppen arbeiteten, die jeweils ausschließlich »für ihren Teil« zuständig waren. Die Japaner hatten nur einen Konstrukteur, der für die gesamte Motormontage und wahrscheinlich noch für viele weitere Aufgaben verantwortlich war. Die Ironie liegt darin, dass jede der drei amerikanischen Konstruktionsgruppen ihre Arbeit für sehr erfolgreich hielt, weil ihre Bolzenkonstruktion hervorragend funktionierte.

Wenn Menschen in Organisationen sich nur auf ihre eigene Position konzentrieren, fühlen sie sich kaum dafür verantwortlich, zu welchen Ergebnissen das Zusammenwirken aller Positionen führt. Bei enttäuschenden Resultaten wird es darüber hinaus sehr schwierig, die Ursachen zu erkennen. Man geht einfach davon aus, dass »jemand anders Mist gebaut hat«.

2. »Der Feind da draußen«

Ein Freund erzählte mir kürzlich von einem Jungen, den er im Baseball trainiert. Nachdem der Junge drei Flugbälle verfehlt hatte, schleuderte er wutentbrannt seinen Handschuh zu Boden, marschierte zum Unterstand und knurrte: »Auf diesem bescheuerten Feld kann kein Mensch einen Ball fangen!«

Wir alle neigen dazu, wenn etwas schief geht, die Schuld überall außer bei uns selbst zu suchen. Einige Organisationen erheben diese Neigung zu einem Gebot: »Du sollst immer einen externen Sündenbock finden.« Das Marketing schiebt die Schuld auf die Fertigung: »Wir konnten unsere Verkaufsziele nicht erreichen, weil unsere Qualität nicht wettbewerbsfähig ist.« Die Fertigung gibt den Schwarzen Peter an die Konstruktion weiter. Die Konstruktion schiebt es dem Marketing in die Schuhe: »Wenn die nicht dauernd solchen Bockmist verzapfen würden und uns vernünftig arbeiten ließen, wären wir die absoluten Marktführer.«

Das Syndrom des »äußeren Feindes« ist im Grunde ein Nebenprodukt der Identifikation mit dem eigenen Arbeitsplatz und der dadurch produzierten unsystemischen Weltsicht. Wenn wir nicht über den Tellerrand unserer eigenen Position hinausschauen, können wir nicht erkennen, wie sich unsere Handlungen jenseits dieses Tellerrands auswirken. Wenn wir dann irgend[32]wann die schmerzlichen Konsequenzen unserer Handlungen zu spüren bekommen, führen wir diese neuen Probleme irrtümlich auf äußere Ursachen zurück. Wie der Mensch, der sich von seinem eigenen Schatten verfolgt fühlt, versuchen wir vergeblich, die Probleme abzuschütteln.

Das Syndrom des »äußeren Feindes« ist nicht auf Schuldzuweisungen innerhalb einer Organisation beschränkt. In den letzten Jahren ihres Bestehens unternahm die früher überaus erfolgreiche Fluggesellschaft People Express Airlines zahlreiche verzweifelte Versuche, die vermeintliche Ursache ihres Niedergangs – die zunehmend aggressiven Wettbewerber – zu bekämpfen. So senkte sie unter anderem die Preise, kurbelte das Marketing an und kaufte Frontier Airlines auf. Aber keine dieser Maßnahmen konnte die wachsenden Verluste des Unternehmens stoppen, weil sie nichts am Grundproblem änderten – die Qualität des Service hatte derart abgenommen, dass die Kunden nur noch durch niedrige Flugpreise zu ködern waren.

Lange Zeit machten amerikanische Firmen, die Marktanteile an ausländische Mitbewerber verloren hatten, dafür die niedrigen Löhne im Ausland, die Gewerkschaften, die Regulierungsbehörden oder die »treulosen« Kunden verantwortlich, die zur Konkurrenz abwanderten. Aber die Geschichte vom »Feind da draußen« ist fast immer eine unvollständige Geschichte. »Da draußen« und »hier drinnen« sind in der Regel Teile desselben Systems. Dieses Lernhemmnis macht es nahezu unmöglich, den Hebel zu entdecken, den wir »hier drinnen« ansetzen können, um Probleme zwischen uns und »denen da draußen« zu lösen.

3. »Angriff ist die beste Verteidigung« – oder die Illusion von der Kontrolle