Die geheime Zuflucht - Miamo Zesi - E-Book

Die geheime Zuflucht E-Book

Miamo Zesi

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Beschreibung

Claires Jugendzeit war geprägt von Trauer und Schock. Ihr Vater kam eines Tages nicht mehr nach Hause, warum? Das weiß Claire bis heute nicht. Sie ahnt nur, dass er nicht mehr lebt. Ihre Mutter hat sich nach dem Fortgang ihres Vaters eine Kugel in den Kopf gejagt. Zurück blieben Claire und SIE. SIE befragen oder verhören Claire seit dieser Zeit. Erst seit einigen Jahren haben sie damit aufgehört, ständig vorbeizukommen. Claire findet jedoch heraus, dass SIE sie auch heute noch nicht in Ruhe lassen. In all diesem Chaos erinnert Claire sich an etwas aus ihrer Kindheit, etwas, das ihr Vater ihr immer gesagt hat, ihr vorgesungen hat. „Wenn du einmal Hilfe brauchst, einen Platz, wo du hinkannst, such die Zuflucht. Claire, du weißt, wo du sie findest. Der Weg ist in deinem Kopf.“ Womit Claire jedoch nicht gerechnet hat, ist der Brief, den ihr Vater ihr geschrieben hat. In diesem steht das Warum. Warum alles so ist, wie es ist, und stellt sie damit vor eine gefährliche Aufgabe. Ja und da ist natürlich auch noch Aiden. In den Claire verliebt ist. Doch was spielt Aiden für eine Rolle? Ich wünsche euch allen viel Spaß beim Lesen!

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Die geheime Zuflucht

 

Ein Roman von Miamo Zesi

 

 

 

 

 

 

 

Copyright/Impressum

 

 

 

© Rechte, was Schrift, Wort und Bild angeht, liegen

ausschließlich bei Miamo Zesi.

www.miamo-zesi.de

Hintere Str. 28 - 88437 Maselheim

Namen und Handlungen sind alle fiktiv und haben mit keinen Personen oder Plätzen etwas gemeinsam.

 

Urheberrecht Hintergrundbild: »Eisfall«

Urheber: Karl-Heinz Laube Upload vom: 30. Juni 2010

Quelle: www.pixelio.de Image ID: 465652

Verwendung: Redaktionelle Nutzung, http://www.pixelio.de/static/lizenzvertrag_redaktionell

Urheberrecht Hintergrundbild: »Altes Haus«

Urheber: Moni Holstein Upload vom: 12. Januar 2013

Quelle: www.pixelio.de Image ID: 626213

Verwendung: Redaktionelle Nutzung,

http://www.pixelio.de/static/lizenzvertrag_redaktionell

Urheberrecht Cover Design:

Gudrun Habersetzer, www.coveria.de

ISBN:978-3-947255-30-6

Miamo Zesi

Juni 2019

 

Weitere Bücher von Miamo Zesi

Eine fremde Welt »Steven« Band 1

Eine fremde Welt »Peter« Band 2

Eine fremde Welt »Fiona« Band 3

 

Eine fremde Welt »Leila« Band 4

 

Ein neues Leben, ein neues Glück

 

Verfehlungen in der Vergangenheit

Die The endless love Reihe

Widmung

 

Meinem Mann, der mich immer wieder auffängt.

Inhaltsverzeichnis

 

Claire5

Aiden15

Am Bodensee27

Der Verrat35

Die Flucht44

Die Zuflucht55

München67

Aiden73

München94

In Washington96

In der Zuflucht102

Die Flucht aus der Zuflucht115

New York129

Die große Überraschung138

Wieder auf der Flucht147

Die Reise zum Ziel158

William162

Grand168

Ein Freund171

Das Treffen175

Im Kloster179

Im Krankenhaus182

Wieder in Washington D. C.184

Büro Kingsley187

Deutschland202

Drei Jahre später.210

Leseprobe:213

Claire

Mein Name ist Claire, hoffe ich mal, so werde und wurde ich bisher gerufen, Claire Malcom. Ich bin 25 Jahre alt. Ich arbeite als Hotelangestellte in einem Münchner Hotel, in der Zwischenzeit am Empfang. Das war nicht immer so. Ich konnte die Ausbildung in diesem Wellnesshotel absolvieren und habe mich, wie es so schön heißt, hochgearbeitet. Man sagt mir nach, dass ich freundlich bin und ein nettes Auftreten innehabe. Dass ich schnell ein Gespür für Menschen und ihre Bedürfnisse entwickle und ich dadurch leicht Kontakt zu Gästen bekomme und Konfliktsituationen geduldig, ohne respektlos oder in Panik zu geraten, löse. Ich trage die Haare, die blond sind, schulterlang. Die Farbe meiner Augen ist Blau. Mich schön zu nennen, ist etwas übertrieben, aber in einem Dirndl gebe ich eine gute Figur ab. Ein Besucher sagte einmal zu mir: »Ihre Oberweite ist für ein bayrisches Dirndl extra vom lieben Gott modelliert worden!« Nach Feierabend gehe ich seit einem Jahr in die Abendschule und mache dort das Abitur. Nicht, dass ich das für meinen Job brauche, sondern weil es mir Spaß macht und es fordert mich. Zudem auch, weil ich diesen einen Traum habe.

 

Seit drei Monaten bin ich glücklich verliebt in Aiden. Wenn ich in den Spiegel sehe, kommt es mir persönlich so vor, als ob das die ganze Welt erkennen müsste. Meine Augen blitzen und strahlen. Er ist Koch, hier im Hotel, und er ist richtig gut. Sollte es die Zeit zulassen, schlüpfe ich unendlich gerne für einige Minuten in die Küche hinunter. Das ist zwar nicht unbedingt erlaubt, aber Aiden hat immer etwas Leckeres für mich im Kühlschrank oder er zaubert mir in der Pfanne eine Kleinigkeit, was ich sehr genieße.

Mir geht es gut und ich bin zufrieden, angekommen im Leben, dort, wo ich heute stehe, was hoffentlich lange anhält. Denn ich bin nicht verwöhnt und habe vieles, leider wenig Schönes erlebt.

 

Mein Dad Edward Malcolm war Vertreter. Wir kommen gebürtig aus Washington. Ich selbst wurde dort geboren. Wir leben bereits seit ich ein Baby bin hier in Deutschland und jahrelang in München am Chiemsee. Ja, Sie haben schon richtig gelesen, war. Ich gehe davon aus, dass Dad tot ist. Mit absoluter Gewissheit weiß ich es nicht, aber mein Gefühl deutet seit diesem einen schrecklichen Tag im Frühjahr vor neun Jahren immer darauf hin. Mum ist ebenfalls nicht mehr am Leben. Sie hat sich sechs Monate später, nachdem Dad verschwunden war, im Büro von Dad mit einer Pistole, von der ich nicht einmal wusste, dass wir so etwas besitzen, eine Kugel in den Kopf gejagt. Warum? Ich kann es nicht sagen, auch heute noch nicht. Für mich selbst habe ich einiges klar gemacht, mir zusammengereimt oder für mich zusammengestellt. Ich gebe ihnen die Schuld, erst als SIE kamen und meine Mum befragten, ist sie durchgedreht.

 

Ich habe sie an diesem herrlichen Spätsommertag gefunden. An diesem für mich einschneidenden und grausamen Tag. Sie können es mir glauben, wenn ich das sage. Es war der bis jetzt fürchterlichste Moment, den ich in meinem Leben erlebt habe. Noch heute wache ich nachts immer wieder schweißgebadet auf und zittere am ganzen Körper. Ich rieche das Blut mit seinem metallischen Geruch und was viel schlimmer ist, ich blicke in die starren, erloschenen Augen von meiner wunderschönen, liebevollen Mum. Höre mich selber, ohne einen Ton zu verursachen, innerlich laut um Hilfe schreien und nach Mum rufen.

 

Sie hat mir keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Keinerlei Andeutung gemacht, dass sie zu Dad wolle, dass sie die Trauer nicht mehr aushält. Sondern sie ist an diesem Tag einfach ins Büro von Dad gegangen und hat sich erschossen. Mum war eine hübsche Frau, groß, schlank und sportlich. Sie hatte schwarze lange Haare und ein tolles Gesicht. Vielleicht übertreibe ich und meine Erinnerung spielt mir als ihre Tochter auch hin und wieder einen Streich, in meinen Gedanken war und ist sie für mich die schönste Frau, die es gibt.

Allerdings, sie ist tot.

Ich war, als es passierte, genau zu dieser Zeit in der Schule. Ich kam freudestrahlend nach Hause, da ich eine sehr gute Klausur geschrieben hatte. Das kam eher selten vor seit Dads Weggang. Aber das Leben ging weiter und so freute ich mich über diese eine prima Note und wollte Mum damit überraschen und auch bei ihr ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

 

Ich kann mich genau daran erinnern, wie ich zur Haustür hineintrat und mich im ersten kurzen Moment wunderte, dass der Frühstückstisch noch nicht abgeräumt war. Die Tatsache, dass es nach keinem Mittagessen roch. Wie ich gerufen habe. Wie dieses eine klamme Gefühl meinen Rücken entlangwanderte. Wie mir dieser metallische seltsame Geruch in die Nase stieg. Ich mich wie in Trance in Richtung Büro wandte und wie ich sie gefunden habe.

 

Ich blickte zum Schreibtisch und schrie. Schrie innerlich und ich muss unter anderem auch sehr laut geschrien haben. Ich weiß es aber nicht genau, ich nehme es nur an. Ich stand da für wenige Minuten oder Sekunden, das weiß ich ebenfalls nicht mehr. Wie durch einen Nebel bin ich zum Telefon gegangen und habe den Notruf gewählt. Was ich sagte? Auch daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich bin in mein Zimmer nach oben gelaufen, habe mich ins Bett gelegt, ein Kuscheltier in den Arm genommen und wimmernd vor Angst gewartet. Gewartet, bis irgendjemand kam. Die Polizei und der Notarzt konnten Mum nicht mehr retten. Aber das war mir zu diesem Zeitpunkt bereits klar. Sie brachten mich weg. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich eine Spritze erhalten habe und ich danach im Krankenhaus wieder aufgewacht bin. Eine Frau saß an meinem Bett. Sie war von dem Heim, in das ich ab diesem Tag gekommen bin. Sie fragte mich, ob ich Verwandte habe, Freunde. Ich schüttelte nur den Kopf.

Wenn Sie mich nach diesem Tag fragen, kann ich Ihnen sagen, dass ich in dem Moment, kurz bevor ich die Tür mit unheilvoller Vorahnung geöffnet habe, den Knall eines Flugzeuges gehört habe, das die Schallmauer durchbrochen hat. Dass genau zu diesem Augenblick ein Müllauto in der Straße war und die Tonne unseres Nachbars geleert hat. Dass ein Kind geweint hat, vermutlich die kleine Nachbartochter, und dass die Sonne die Staubkörner in der Luft gespiegelt hat. Eine Sekunde später war alles anders. Ich habe die Tür geöffnet. Zu diesem Zeitpunkt war ich 15 Jahre alt. Meine komplette Welt, die ich bis zu diesem Tag kannte, dem Tag bevor Dad verschwunden ist, und jetzt durch den Tod meiner Mum war auf den Kopf gestellt. Und das Schlimme daran ist, ich glaube auch zu wissen warum.

Dad war ein Spion. Das vermute ich seit meinem neunten Lebensjahr, seit ich acht Jahre alt bin. Ja, mir ist durchaus bewusst, dass Sie denken, im Alter von 8 Jahren, das kann ein Kind niemals wissen. Das stimmt. Allerdings spüren oder etwas ahnen, kann auch ein junger Mensch. Nur noch nicht benennen. Das kommt erst viel später. Vielleicht wusste ich es aber bereits früher, die Gute-Nacht-Geschichten, die Lieder, die mir Dad, wenn er da war, jedes Mal vorsang. Die lustigen Verse, wie er sie nannte. Die er immer wieder von mir hören wollte. Ich kann sie im Schlaf aufsagen, sie wurden mir schon als Baby vorgesungen. Mit 8 Jahren habe ich den geöffneten Laptop von Dad im Büro entdeckt und darauf ein paar Bilder bzw. Pläne von einem Haus gesehen. Groß stand dort „die Zuflucht“. Ich glaube im Nachhinein, dass mein Dad an diesem Abend wollte, dass ich sie sehe. Er war nie nachlässig oder unvorsichtig. Hat seinen Raum, wie er ihn nannte, wenn er nicht da war, immer verschlossen. Ich durfte nie an den Computer oder an das Laptop. Aber ich war ein Kind und ich war neugierig. Als die Tür offen stand, bin ich natürlich hineingelaufen und habe nachgeschaut. Als ich vor dem geöffneten und angeschalteten Laptop saß, kam er ins Zimmer. Ich wollte schon anfangen zu weinen, weil ich wusste, dass ich nicht hereindarf, aber Dad nahm mich an diesem Abend auf den Schoß und zeigte mir den für mich so interessanten Laptop. »Claire, sieh dir das Bild an.« Darauf abgebildet war eine Hütte. Ich weiß noch genau, wie ich dachte: Sehr interessant, na toll, ein altes Haus in den Bergen. Allerdings sprach er weiter: »Das ist deine Versicherung, Claire, deine Zuflucht. Vielleicht wirst du sie einmal brauchen, benötigen, ich hoffe für dich, dass du sie nie aufsuchen musst. Aber wenn, dann such sie und geh hin, dort wird dich niemand finden, du weißt, wo du sie findest. Du hast den Weg hier.« Dabei zeigt er auf meinen Kopf. »Hier in diesem hübschen kleinen blonden Schopf.« Danach sang er mit mir unser Gute-Nacht-Lied und brachte mich in mein Zimmer, ins Bett. Am anderen Morgen war er wieder weg, auf der Arbeit, wie mir Mum sagte. Für mich war er verschwunden wie so oft wochenlang. Mum ist in dieser Zeit jedes Mal unendlich unruhig gewesen und einige Jahre später immer depressiver geworden. Aber auch das wurde mir erst nach ihrem Tod so richtig bewusst. Ich war 15 und hatte von solchen Dingen wie Krankheiten keine große Ahnung oder anders gesagt, ich kam einfach noch nicht in Berührung damit. Es war Neuland.

 

 

Drei Tage später wurde Mum beerdigt, man hat sie eingeäschert. Einfach so, ohne mich zu fragen. Meine wunderschöne Mum verbrannt. Ich war entsetzt, als ich das gesehen habe, aber auch das konnte ich auf dem Friedhof nicht mehr ändern. Sie wurde in ein kleines Grab gelegt, irgendein Priester war da und hat irgendwelche Worte gesprochen und dann war es vorbei. Die freundliche Dame vom Heim hat mich mitgenommen und mit mir in unserem Haus einige persönliche Dinge eingepackt. Viel war es nicht, aber ich habe mich auch durchgesetzt und gegen ihren Willen (warum, das weiß ich ebenfalls bis heute nicht) die vielen Fotoalben mitgenommen. Sie stellen meinen größten Schatz dar. Er ist in der Zwischenzeit digitalisiert und ich kann die Bilder meiner Eltern und meiner Kindheit immer wieder ansehen, wenn ich traurig bin und Sehnsucht nach ihnen habe. In den ersten Jahren wurden sie im Heim in eine große Box getan, zusammen mit etlichen Dingen aus dem Haus. Ich habe diese, als ich achtzehn wurde und ausgezogen bin, mitbekommen.

 

Ich kam nach diesem einen schrecklichen Tag, da ich erst 15 war und keine weiteren Verwandten zu finden waren, in staatliche Obhut, aber nicht in den USA, sondern in Deutschland. Die amerikanischen Behörden wollten mich nicht haben. Unser schönes Haus wurde bis auf die Grundmauern abgerissen. Ich verstand nicht, warum. Ich verstand zu diesem Zeitpunkt überhaupt nichts mehr. SIE kamen und wollten Dinge über Dad wissen, lauter Sachen, die ich nicht wusste. Wo sein Büro sei, ob er noch einen weiteren Raum im Haus benutze, wo sein Handy sei, ob er noch andere Handys habe. SIE wollten sogar von mir wissen, mit wem er telefoniert habe, wer seine und unsere Freunde seien. Erst da ist mir so richtig bewusst geworden, dass meine Eltern so etwas nicht hatten. Ja, Nachbarn, mit denen Dad mal ein Bier getrunken hat oder Mum zu einem Kaffee eingeladen war, aber sonst war da wenig. Keinerlei Mitgliedschaften in Vereinen und keine weiteren Hobbys. Ich verstand nicht, was SIE eigentlich von mir wollten. SIE, ja wer waren SIE überhaupt, ich bin noch heute der Meinung, dass sie von FBI oder CIA sind. Sie waren immer perfekt gekleidet, Anzüge, glänzende schwarze Schuhe, Sonnenbrille, alles ein bisschen, wie sie in den Filmen zu sehen sind, aber genauso standen sie vor mir, immer wieder, und das wochenlang. Besonders die Lackschuhe, Sie können sich das nicht vorstellen, aber sie waren immer blitzblank sauber.

 

Später, nachdem sich der erste Schock über Mums Tod gelegt hatte, wurde es mir klar, sie suchten etwas. Etwas, von dem sie meinten, dass Dad es besitzt. Dass er es hat. Vermutlich war oder ist es etwas, was sie verdammt dringend haben wollten oder noch immer wollen. Etwas, was meine Familie ausgelöscht hat, wie sie bestanden hat. Als mir das bewusst wurde, bin ich still geworden, redete äußerst wenig, fast gar nichts mehr. Ich war in mich gekehrt. In der Schule lernte ich weiter, verfolgte den Unterricht, aber sprach sehr selten. Nicht, dass ich die Lösungen nicht kannte, ich wollte einfach nichts mehr sagen. Die Psychologen, zu denen SIE mich steckten, meinten, ich sei traumatisiert. Man dürfe nichts überstürzen und mir nicht zu viel zumuten. Sonst würde mein Verstand komplett dichtmachen, und ich womöglich Depressionen bekommen, wie meine Mum sie hatte. Aber SIE waren unerbittlich, hörten auch nicht auf die Ärzte, und die Heimleitung ließ es zu, dass sie mich weiter befragten. Das Komische daran war für mich schon immer die Tatsache, dass es sich um Amerikaner handelte. Was wollte das FBI oder der CIA von mir? Warum befragten die mich immer wieder? Fast ein halbes Jahr lang kamen sie wöchentlich, dann wurden die Abstände größer und länger und seit zwei oder drei Jahren waren sie nicht mehr da, um Fragen zu stellen. Aber sie werden wiederkommen, ich weiß es, deshalb ist mein Geheimnis, meine Zuflucht wie Vater sie nannte, tief in meinem Herzen verschlossen. Wenn der Tag wirklich kommen sollte und ich Schutz oder Ruhe vor ihnen brauche, werde ich dorthin gehen.

Aiden

»Aiden?« »Hi Claire Hast du Hunger?« »Und wie! Aber ich kann nur eine Kleinigkeit essen. Ich muss gleich zurück an den Empfang. Eine Reisegruppe hat sich angemeldet und müsste jeden Moment ankommen und du weißt ja, die Zimmer sollten im selben Augenblick für alle verteilt sein.« »Wie war es gestern Abend in der Schule?« »Gut, richtig gut. Die Prüfungen nächsten Monat dürften eigentlich ohne große Probleme klappen. Ich hoffe es zumindest.« »Natürlich schaffst du sie, Claire! So viel wie du lernst. Gehen wir danach für ein paar Tage weg? An den Bodensee? Nur wir zwei? Gehst du mit mir, Claire?« »Du meinst, wir bekommen beide gleichzeitig frei und das mitten in der Saison?« »Wenn ich darum bitte, warum nicht? Würdest du mitgehen?«, bettelt er und schaut mich mit einem liebevollen Dackelblick an. Ich lächle. »Ja, Aiden, nach den Prüfungen gehe ich für ein Wochenende mit.« »Super! Das ist die beste Nachricht des Tages, Claire.« Er gibt mir erfreut ein Küsschen.

Noch vier Wochen, Mitte September, dann habe ich das Abitur in der Tasche, ich bin glücklich. Frage mich aber immer wieder, ob mein Dad oder meine Mum stolz auf mich wären. Ich hoffe es. Nachts, wenn ich nicht schlafen kann, kommen die Erinnerungen an früher, an fröhliche Zeiten, in denen ich mit Dad herumgetollt bin oder Mum mit mir gekocht oder einen Kuchen gebacken hat. Mir ist dann jedes Mal aufs Neue bewusst, dass sie mich lieb gehabt haben, dass mich jemand lieb hat, auch Aiden ist jetzt da. Was er wohl an mir findet?

 

Die letzten vier Wochen vor den Abiturprüfungen rasen, wie ich finde, nur so dahin. In den Tagen, an denen ich Prüfungen habe, nehme ich mir Urlaub. Zusätzlich den Montag und den Freitag. Der Hoteldirektor ist nicht begeistert, aber gibt ihn mir. Auch, weil er weiß, dass ich beim Arbeitgeber, der Zentrale unserer Hotels, um einen Zuschuss auf Übernahme von Kosten gebeten habe. Allerdings muss ich dafür am folgenden Wochenende, das ich eigentlich mit Aiden verbringen und an den Bodensee fahren wollte, arbeiten. Ich bekomme nicht frei, so wie ich es Aiden versprochen habe. Schade, denke ich. Das wäre sicher sehr schön geworden. In einer kleinen Pause marschiere ich kurz in die Küche, um Aiden das mitzuteilen. »Aiden?« »Hi Claire, was ist los? Du machst ein so trauriges Gesicht!« »Ich kriege am Samstag und Sonntag nicht frei.« »Wieso?« »Weil ich die ganze nächste Woche um Urlaub gebeten habe, wegen meiner Prüfungen, Herr Meyer hat mir den Urlaub nur erteilt, mit der Auflage, dafür das Wochenende zu arbeiten.«

 

»Das geht so nicht! Ich habe schon bei meinem Freund angerufen und die Hütte am See gebucht. Ich werde nochmals bei Meyer nachfragen, Claire.« »Nein, bitte, Aiden, tu das nicht! Ich will nicht, dass du Ärger bekommst, und ich kann es mir ehrlich gesagt auch nicht leisten, ich brauch den Job.« »Deshalb frage ICH ja. Claire, er nutzt dich aus und das ist nicht in Ordnung. Du hast ein Recht auf Urlaub. Den kann er dir nicht einfach streichen. Ich rede mit ihm, lass mich das Mal machen. Kopf hoch, Claire! Hier ich hab was für dich.« Er überreicht mir ein kleines Päckchen. »Was ist das?«, fragend schaue ich ihn an. »Ein Überlebenspaket für nächste Woche. Lauter Energieträger, lauter gesunde Energieträger will ich sagen. Damit deine Prüfungen wie geschmiert laufen. Jetzt geh, ich ruf dich heute Abend nochmals an.« Er gibt mir einen Handkuss und ich verschwinde wieder an den Empfang.

 

Das goldene Lamm ist ein exklusives Hotel. Es gehört zu einer Gruppe von mehreren Luxushotels. Der Inhaber ist ein vermögender Privatmann aus Amerika. Der sich mit den Luxushäusern einen Traum erfüllt hat. Mit diesem Hotel in München hat er eine Goldgrube. Es ist sehr beliebt. Liegt direkt am Chiemsee und wir sind an den Wochenenden eigentlich so gut wie immer ausgebucht. Aber auch sonst ist das Hotel fast immer voll. Das liegt mit Sicherheit an der exquisiten Küche, dem sehr guten Restaurant und dem tollen Wellnessbereich. Dieser wurde bei der Übernahme durch die Kingsley-Group komplett neu renoviert. Es wird nie langweilig hier, interessante Menschen gehen ein und aus, aus allen Herren Ländern. Mir gefällt der Trubel, auch wenn er ganz ordentlich anstrengend sein kann.

 

Mein Traum ist es zu studieren, Tourismus oder die für das Hotelgewerbe wichtige Betriebswirtschaft, deshalb auch die Abendschule. Ein eigenes kleines Hotel zu leiten, davon kann ich zwar nur sehnsuchtsvoll träumen, aber wie leer wäre die Welt, wenn man keine Träume hätte.

 

Am späten Abend, wie üblich mit einigen Überstunden, verabschiede ich mich von meinen Kollegen in den Urlaub. Außer Aiden weiß niemand, dass ich in den letzten zwei Jahren auf der Abendschule war und ich das Abitur nachmache, deshalb wünscht mir auch keiner Glück für die Prüfungen. Alle wünschen mir nur einen netten Urlaub und einige sind auch neidisch auf die Urlaubstage, die ich während der Saison unüblicherweise bekommen habe.

 

Kaum zu Hause in meiner Wohnung angekommen, klingelt das Telefon. Aiden ist dran. »Versprich mir, nicht zu lernen, sondern dass du jetzt etwas isst und danach ins Bett gehst, um dich gründlich auszuschlafen. Morgen kannst du nochmals darüberschauen, was du ja sowieso tust, aber heute schläfst du dich aus, versprich es mir! Sonst komm ich vorbei und halte Wache.« Ich lache bei dem Gedanken. »Aiden, ich versprech's dir. Mir tun die Füße weh und auch ein wenig der Kopf. Ich bin fix und alle und glaube mir, ich werde jetzt ein heißes, langes, gemütliches Bad nehmen, danach etwas essen, dabei die Füße hochlegen und dann schlafen gehen, ist das so genehm?« »Gut.« Er gibt mir einen lauten Kuss über das Telefon und verabschiedet sich. »Schlaf gut, Claire.« »Du auch, Aiden.«

 

Der PC zieht mich natürlich wie magisch an, aber ich drehe mich weg und gehe zum Kühlschrank, um nachzusehen, ob noch etwas Essbares in ihm zu finden ist. Es sieht mager, sehr mager aus. Allerdings finde ich im Gefrierfach noch etwas Pastete, die mir Aiden letztens vorbeigebracht hat.

 

Genau das Richtige. Ich pack sie aus der Folie aus und stelle sie in den Ofen. Schalte ihn zusammen mit dem Timer ein. Danach wandere ich ins Bad und lasse viel heißes Wasser in die Wanne einlaufen, gebe ein Probepäckchen Badeöl, das nach Vanille riecht, dazu. Die Päckchen bekomme ich immer von einem netten Kosmetikvertreter zugesteckt. Er ist schon kurz vor der Rente, hat aber schon, seit ich im Hotel angefangen habe, einen Narren an mir gefressen. Als ich ihn mal gefragt habe, warum er immer so nett zu mir ist, meinte er, dass ich ihn an seine Tochter erinnern würde. Diese studiere in den USA und komme nur sehr selten nach Deutschland. Später habe sie dort geheiratet und eine Familie gegründet. Er sieht sie nicht sehr oft, nur übers Telefon haben sie Kontakt.

Ich gönne mir diese halbe Stunde im heißen Wasser, döse einfach vor mich hin. Das Klingeln des Weckers zeigt mir an, dass die Pastete fertig ist.

Bedauernd lasse ich das etwas erkaltete, aber eigentlich noch warme duftende Wasser aus der Wanne laufen und trockne mich ab, schlüpfe in den Schlafanzug und tappe in die Küche. Ich bin herrlich durchgeweicht und mir ist so richtig mollig warm. Die Pastete schmeckt prima. Ich schreibe Aiden noch eine SMS und sage Gute Nacht. Jetzt aber ziehe ich mich ins Schlafzimmer zurück, um erst am späten anderen Morgen ausgeschlafen und erfrischt, wieder aufzuwachen.

 

Es ist Sonntag und die Septembersonne lacht vom Himmel. Ich schaue verträumt aus dem Fenster. Ich kann mich nicht konzentrieren. Mist, ich muss das nochmals durcharbeiten, ich will das schaffen. Aber die Sonnenstrahlen kitzeln meine Nase und strahlen in mein Gesicht. Und dann klingelt es auch noch. Ich grüble, während ich zur Tür gehe, wer das sein könnte, öffne aber. »Aiden! Was machst du denn hier?« »Ich hol dich ab und nimm dich mit ins Freie, in die Sonne.« »Aber ich muss lernen!« »Claire, das, was du jetzt nicht kannst, wirst du in der kurzen Zeit nicht mehr schaffen, du musst dich lockermachen, bist ganz angespannt, das ist nicht gut, gar nicht gut. Komm mit nach draußen an den See und lass uns einen langen gemütlichen Spaziergang machen. Etwas trinken und die Seele baumeln lassen.« »Aber ...« »Kein Aber, Claire! Nimm deine Jacke.« Ohne dass Aiden einen weiteren Widerspruch von mir akzeptiert, nimmt er meine Jacke von der Garderobe und zieht mich durch die Tür nach draußen. Seine alte Klapperkiste von Auto steht im Parkverbot. Klar, wo auch sonst, frech, wie er ist. Ich muss schmunzeln. Dann aber spüre ich die warme helle Sonne auf meiner Haut. Aiden hat recht, ich werde fast sofort ruhiger und die seit Tagen angestaute Anspannung fällt langsam von mir ab. Am Chiemsee angekommen ziehe ich meine Schuhe und Strümpfe aus und halte sie ins Wasser, später wandern wir gemeinsam ein langes Stück am Ufer entlang. Aiden hält mich fest an der Hand. Dann kommen wir an einem einsamen, leer stehenden Strandkorb an. Er ist etwas kaputt. Aber für uns stellt er ein geeignetes Liebesnest dar. Aiden zieht mich zu ihm hin und wenig später sitze oder liege ich gemeinsam mit ihm knutschend im Korb. Aiden und ich haben noch keine Nacht zusammen verbracht, wir küssen uns und knutschen viel, ja, aber weiter wollte ich noch nicht gehen oder anders gesagt, ich war noch nicht zu mehr bereit. Jemanden so zu vertrauen, mich fallen zu lassen, das fällt mir unendlich schwer. Irgendwie ist da immer die Angst, erneut einen Menschen zu verlieren. Deshalb mochte ich nicht weitergehen und Aiden hat mich auch nie dazu gedrängt. Heute spüre ich jedoch, dass er mehr will, weitergehen will und die Rädchen in meinem Kopf fangen an zu rasen. »Nicht nachdenken, Claire, lass es geschehen.« Aber schon in dem Augenblick, wo er es sagt, ist der Moment bei mir vorbei.

 

»Bitte, Aiden, hör auf, ich will das so nicht. Nicht hier und nicht jetzt bitte.« »Ich knutsche nur«, murmelt er, »versprochen.« Bei seinen leise gemurmelten Worten und einem Blick in sein Gesicht werde ich wieder ruhiger und wir machen weiter. Aber mein Versand arbeitet, ich kann ihn einfach nicht ausschalten.

In meiner Wohnung, da ist Aiden nie so zu mir, ich glaube nicht, dass er mich dort schon einmal angefasst hat oder mich geküsst hat. Komisch, überlege ich kurz, aber dann lassen die Endorphine mein Denken aussetzen. Mit durchwühltem Haar und abgeknutschten Lippen setzen wir uns nach einer gefühlten Ewigkeit aufrecht hin und lachen uns an. »Es tut mir leid, Aiden ...«, fange ich an. Noch bevor ich es ausspreche, hält er mir den Finger vor den Mund. »Pst, mach diesen wunderschönen Moment nicht kaputt, Claire. Ich bin durchaus so intelligent, dass ich erkenne, wann ein Mädchen weitergehen möchte und wann nicht, und ich kann warten.« Wieder gibt er mir einen dicken liebevollen Schmatzer. »Ich habe Hunger, lass uns was essen gehen. Komm.« Es ist fast drei Uhr nachmittags, als mich Aiden vor der Wohnung absetzt. »Viel Glück morgen, Claire. Ich wünsche dir viel Glück für deine Prüfungen.« »Danke, Aiden.« »Ruf mich an und erzähl mir, wie es gelaufen ist, ja?« »Mach ich.«

 

Ich drehe den Schlüssel zu meinem Apartment um und stocke. Da ist es wieder, dieses Gefühl, von komplett euphorisch, wie ich gerade noch war, zu einem Schaudern und kalten Zittern, das mir den Rücken runterläuft. Seit einigen Monaten gehe ich manchmal widerwillig in meine Wohnung und ich kann nicht erklären, weshalb, obwohl ich weiß, dass da niemand ist, blicke ich mich um. Es ist aber nicht nur dieses mulmige komische Gefühl, als ob Spinnen oder Käfer meine Wirbelsäule entlangkrabbeln würden, sondern, ich kann es nicht deuten und das macht mir Angst. Ich beschließe, eine Aufgabe in Mathematik zu lösen. Nur, um mir selbst die letzte Sicherheit und Beruhigung zu geben, was mir auch gelingt. Danach gehe ich nochmals raus. Ich muss einfach noch mal aus der Wohnung raus und kaufe im Supermarkt, der auch am Sonntag geöffnet hat, ein paar Kleinigkeiten ein. Da wandert ein Schokoriegel in den Korb und eine Tafel Schokolade, lauter äußerst gesunde Dinge. Ich zwinge mich zusätzlich einige Äpfel und Bananen zu kaufen und laufe zur Kasse, um zu bezahlen. Danach wandere ich langsam nach Hause. Dort angekommen lege ich mich mit meinem Lieblingsbuch ins Bett und lese noch ein paar Seiten, bevor ich das Licht ausschalte. Ich schlafe nicht besonders gut. Habe Albträume wie schon lange nicht mehr. Mitten in der Nacht wache ich schweißgebadet auf. Schon so lange habe ich nicht mehr von Mum geträumt, warum nur heute? Ich zwinge mich, es auf die Prüfungsangst zu schieben. Lege mich, nachdem ich ein Glas Milch getrunken habe, wieder hin und bin froh, dass ich doch sehr schnell wieder einschlafe.

 

Am Montagmorgen geht es los. Gleich mit Mathe. Danach jeden Tag ein anderes Fach. Deutsch, Englisch und mein Wahlfach. Zum Abschluss die mündliche Prüfung. Am Donnerstagnachmittag atme ich zum ersten Mal tief durch. Geschafft, innerlich jubiliere ich.

 

Ich bin mir sicher, dass die Prüfungen sehr gut gelaufen sind und ich bestanden habe. Noch vor der Schule rufe ich Aiden an. »Ich habe es hinter mir, ich bin so glücklich, Aiden!« »Klasse, Claire. Komm zum Hotel, ich mach dir ein leckeres Essen, in drei Stunden hab ich frei, danach können wir losfahren.« »Heute schon?« »Ja, warum nicht?« »Aber ...« »Ich hab die Hütte von einem Freund für das ganze Wochenende bekommen, er hat gesagt, dass wir sie gerne nutzen können. Also warum nicht gleich heute Abend. Claire? Oder willst du mit jemand aus dem Kurs feiern gehen?« »Nein, Aiden, was denkst du? Ich fahr in meine Wohnung und packe mir ein paar Klamotten zusammen, dann komm ich, einverstanden?« »Sicher, Claire.«

Was ich auch umsetze und mache. Als ich die Tür hinter mir zuschließe, bin ich erleichtert, dass ich ein paar Tage nicht in dem Apartment schlafen muss. Ich werde mir etwas überlegen müssen, ob ich Aiden von den negativen Gefühlen, die ich im Bezug auf die Wohnung habe, erzählen soll, oder denkt er vielleicht, ich spinne?

 

Im Hotel schleiche ich mich am Empfang vorbei und gehe direkt in die Küche. Aiden erwartet mich bereits. Er hat mir meinen Lieblingskuchen gebacken mit Dekoschriftzug ‚ABI‘. Er gibt mir einen Kuss und sagt: »Herzlichen Glückwunsch, Claire. Ich freu mich für dich.« »Danke Aiden. Gibt es zum Kuchen auch Kaffee?« »Klar Claire«, und er schmunzelt mir zu.

Nach zwei weiteren Stunden, in denen ich von meinem Platz aus beobachte, wie Aiden noch schuftet, dabei mit Essen und Gerichten jongliert. Als er fertig ist und aufgeräumt hat, nimmt er mich an die Hand, um schnellstmöglich mit mir zu verschwinden. Ich grüble noch über dieses Gefühl nach, dass ich immer mal wieder in der Wohnung habe und nicht einordnen kann. Ich beschließe, Aiden davon zu erzählen. Im Auto beginne ich. »Du Aiden?« »Ja?« »Ich glaube, ich werde umziehen.« »Umziehen? Warum das denn?« »Du lachst mich nicht aus?« »Natürlich nicht, warum sollte ich?« Ich atme kurz durch und fange an zu erzählen. »Schon seit einigen Monaten fühle ich mich in meiner Wohnung nicht mehr wohl.« Als ich Aiden anschaue, meine ich wahrzunehmen, dass seine Hände sich etwas verkrampfen, aber das habe ich mir sicherlich nur eingebildet. Ich rede weiter. »Ich weiß nicht, wenn ich die Tür aufschließe, ist es, als ob mir ein Schwall kalter Luft entgegenzieht und mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter. Meinst du, ich spinne?« »Nein, aber kann es nicht sein, dass du einfach unendlich angespannt warst in den letzten Monaten? Da war deine Prüfungsvorbereitung, der Stress im Hotel und dann auch noch ich.« Er sieht mich an und sagt: »Wobei ich nicht hoffe, dass ich diese Gefühle auslöse.«

»Nein, du Idiot!«, sage ich, als er mich schmunzelnd anschaut. »Vorschlag: Jetzt lassen wir es uns die nächsten Tage einfach gut gehen. Das Wetter soll herrlich werden und wir können sicherlich sogar noch baden. Du wartest ab, ob du jetzt, nachdem die Prüfungen vorbei sind, dieses Gefühl immer noch hast, und dann entscheidest du, ob oder wohin du ziehen willst, was denkst du?« »Ja, gute Idee, Aiden. So werde ich es handhaben. Aiden?« »Ja?« »Ich liebe dich.« Er dreht sich zu mir um und schaut mich mit seinen wunderschönen dunklen Augen an. »Claire, ich dich auch! Vergiss das nie!« Ganz eindringlich wiederholt er sich. »Nie, hörst du!«

Am Bodensee

Ich schlafe ein, was mir beim Autofahren sehr gerne passiert, und mit einem sanften Kuss weckt mich Aiden später auf. »Hallo Claire, wir sind da.« Ruckartig hebe ich den Kopf und stoße schmerzhaft mit Aidens Nase zusammen. »Autsch!« »Hoppla, sorry, Aiden, ich bin erschrocken.« Er lacht. »Schon in Ordnung, schau wir sind da.« »Wow! Das ist aber keine kleine Holzhütte!« Er grinst. »Sollte eine Überraschung werden.« »Du hast sie aber nicht etwa gemietet, Aiden? Das ist viel zu teuer!« »Nein, keine Angst, sie gehört wirklich einem Freund von mir. Er hat sie mir für das Wochenende überlassen.« »Das ist aber großzügig, Aiden.« »Ist es. Komm rein! Schau dich um. Ich war schon einige Male hier, aber es ist das erste Mal, eine richtige Erfahrung und eine tolle Überraschung.« Er schließt die Tür auf und es ist wahr. Wir gehen rein und stehen im Prinzip wieder im Freien. Die ganze Seite zum Bodensee hin ist verglast und das Panorama ist grandios. Direkt im Anschluss an das Haus ist eine großzügige Terrasse im Ibizastyle gebaut. »Toll, mir fehlen die Worte.« Ich stehe staunend im Zimmer am Fenster und betrachte den ruhigen See. Aiden kommt vollgepackt wieder rein. Er hat vorgesorgt und den ganzen Kofferraum voller Lebensmittel und sonstige leckere Sachen eingekauft. »Soll ich dir helfen?« »Quatsch! Mach es dir bequem. Ich verstau das alles kurz, dann komm ich zu dir. Willst du nicht so lange schwimmen gehen?«

 

Er grinst frech und sagt: »Du brauchst hier keinen Bikini! Hier sieht keiner her.« Er zwinkert. Ich öffne die Terrassentür und trete nach draußen. Das Wasser rauscht ähnlich wie das Meer und der Ausblick dazu ist überwältigend. Ich mache es mir auf einer der Sonnenliegen bequem und sehe mich genüsslich um. Aiden kommt wenig später zu mir auf die Terrasse mit zwei Gläsern leichtem Sommer-Weißwein. »Hier Claire.« »Alkohol?« Ich trinke sehr selten Alkohol und das weiß Aiden eigentlich. »Etwas Wein, nicht sehr stark, versprochen.«

 

»Rutsch rüber! Auf dieser Liege haben wir beide Platz, oder?« Der Nachmittag wird unendlich gemütlich und wir bleiben liegen, bis die Sonne im See verschwindet. Das hört sich lächerlich klischeehaft an, aber genauso ist es. Aiden zieht sich zuerst ins Haus, in die Küche, zurück und brutzelt uns etwas in der Pfanne zusammen. Ich komme kurze Zeit später dazu und gemeinsam bereiten wir das Abendessen vor. Es liegt eine Spannung in der Luft. Ja, Aiden will mit mir schlafen, das ist mir bewusst und wieder einmal frage ich mich, warum ich zögere. Ich beschließe, es zu ignorieren und Aiden zu vertrauen.

 

Ich liebe ihn, und ja, ich will auch Sex mit ihm haben. Liebe mit ihm machen. Die Vorstellung macht mich heiß, und wenn ich mir seinen Körper anschaue, müsste ich schon komplett bescheuert sein, wenn ich die Chance nicht nutzen würde. Aiden ist attraktiv, sehr attraktiv. Warum er mich ausgesucht hat, mich als Freundin will? Wieder diese Zweifel. Ich bin nicht hässlich, aber sicherlich keine Traumfrau. Meine Brüste sind schön und auch mein Körper ist für mich o. k. Aber ich bin kein Model. Habe ich deshalb immer dieses Gefühl? Ich weiß es nicht. Möchte mich eigentlich nur fallen lassen, mich geborgen fühlen. Wenn ich Aiden ansehe, dort gibt es nichts, was mir nicht gefällt. Er ist groß. Fast einsneunzig schätze ich, er hat wunderschöne dichte fast schwarze Haare, dazu dunkle Augen und die passenden Augenbrauen. Sein Gesicht ist markant, nicht weich, sondern eher kantig, aber es wirkt nicht hart auf mich. Sein Körper, ich habe Aiden noch nicht nackt gesehen, aber was ich mit meinen Händen fühle, ist toll. Harte Muskeln, und ich fühle kein Gramm Fett an ihm. An seiner Brust sind Haare fühlbar. Gefällt mir das? Ich bin gespannt und ja, aufgeregt, sehr aufgeregt. Als Aiden mich zärtlich küsst, erwidere ich diesen Kuss und lass Aiden spüren, dass ich mich ihm anvertraue, dass ich ihm vertraue.

 

Mit Aiden zu schlafen, ist unbeschreiblich und ich fühle mich zum ersten Mal wie eine geliebte Frau. Eine wundervolle schöne und geliebte Frau. Aiden ist zärtlich, liebevoll und fürsorglich, er ist nicht herrisch im Bett oder fordert zu viel von mir, sondern er lässt mir Zeit. Küsst mich. Ich glaube, keine Stelle meines Körpers wird nicht von ihm geküsst. Er bringt mich schon allein durch die Küsse in ungeahnte Höhen, küsst mich, bis alle Bedenken und Widerstände verschwunden sind und ich in seinen Armen zerfließe. »So schön, Claire, du bist so wunderschön.« Schnell zieht sich Aiden aus und ist nackt. Ich fühle seine Muskeln, seinen hart trainierten Bauch und die schwarzen gekräuselten und doch weichen Härchen an seiner Brust. Spüre, wie bei meinen Berührungen seine kleinen Brustwarzen hart werden, das gefällt mir und ja auch etwas anderes ist hart. Etwas schüchtern schaue ich mir Klein-Aiden genauer an. Na ja, klein ist etwas frech. Ich berühre ihn, und als er daraufhin die Luft einzieht und sich sein Bauch voller Erwartung anspannt, lasse ich los und gebe die Führung in vollem Vertrauen an Aiden ab. Es ist eine traumhafte Nacht, sie anders zu beschreiben, wäre einfach lächerlich. Als ich jedoch am anderen Morgen aufwache, liege ich allein im Bett. Ich schaue mich etwas verwirrt um, sehe Aiden durch das Fenster am Wasser unten stehen. Er blickt auf den See hinaus und wirkt nachdenklich und er wirkt auf mich komplett verspannt, einsam und auch traurig. Traurig? Was bilde ich mir nur ein. Ich wickele mich nackt in die Bettdecke und gehe zu ihm nach draußen. »Aiden?« Er dreht sich zu mir um und lächelt. Verschwunden ist dieser Blick, den im meinte, bei ihm gesehen zu haben. »Claire, du bist wach! Ich wollte dich nicht wecken.« Er kommt auf mich zu und umarmt mich, flüstert in mein Ohr: »Ich liebe dich, Claire, das musst du mir glauben!« Eindringlich, wie ich finde, spricht er zu mir weiter: »Ich liebe dich so sehr.« Verwirrt bei seinen Worten, die so sehr nach Verzweiflung klingen, versuche ich in seine Augen zu schauen. Aber Aiden lässt dies nicht zu, küsst mich einfach. Ich lasse die Decke fallen und stehe nackt vor ihm. Aiden nimmt mich auf den Arm und trägt mich zurück ins Schlafzimmer, um dort weiterzumachen, wo wir in der Nacht aufgehört haben. Der Hunger treibt uns Stunden später wieder aus dem Bett. Ich muss lächeln, als ich am späten Nachmittag im See schwimme, ich grüble mit einem lächelnden Gesicht über die vergangene Nacht und die letzten Stunden nach. »Claire!« »Ja?« »Das Essen ist fertig.« »Ich komme gleich.« Langsam und gemütlich schwimme ich zum Strand zurück und trockne mich ab. Nach nur wenigen Minuten sitze ich mit Aiden auf der Terrasse und ich lasse es mir gut gehen. Dann fragt mich Aiden zum ersten Mal nach meinen Eltern. Sofort bin ich unbewusst auf Hab-acht-Stellung. »Was ist eigentlich mit deinen Eltern passiert, Claire?« Er muss sehen, dass ich mich zurückziehe und ihm nicht antworten möchte. Trotzdem zieht er die Frage aber nicht zurück, was mich verwundert. »Sie sind tot, Aiden.« »Das tut mir leid, Claire. Warum?« »Muss das sein, Aiden? Es ist so ein schöner Tag und ich will nicht darüber reden.« »O. k., ich wollte nur etwas mehr von dir wissen.« »Du weißt doch, dass sie nicht mehr leben. Was willst du also mehr wissen, Aiden? Warum? sind sie tot.« »Du hast mir nie davon erzählt.« »Vielleicht, weil es mir zu wehtut?« »Sorry, lass es gut sein, Claire, ich wollte nicht mit dir streiten. Nicht heute, aber du erzählst von dir selbst so wenig, ich war nur neugierig.« Ich entspanne mich bei seinen Worten. »Du hast ja auch recht, ich erzähle sehr wenig von früher, aber dasselbe könnte ich auch von dir sagen, Aiden.« »Das stimmt auch wieder, was willst du wissen, Claire?« Erstaunt sehe ich ihn an. »Echt jetzt? Du willst mir was von deiner Familie erzählen?« Er zuckt mit seinen Schultern. »Was möchtest du denn wissen?« »Hast du Geschwister?« »Nein, ich bin ein Einzelkind.« »Warum? Wollten deine Eltern nur ein Kind?« »Nein, sie wünschten sich immer viele Kinder, aber es sollte nicht klappen. Meine Mum hatte bei mir eine schwere Geburt und die Ärzte vermuteten, dass dabei etwas verletzt wurde und sie darum keine weiteren Babys bekommen konnte.« »Wo wohnen deine Eltern überhaupt, Aiden?« »In einem Vorort von Washington D. C.« »Wow.« »Warum wow?« »Ich wurde dort geboren!« »Was für ein Zufall.« »Geht es ihnen gut?« »Ich hoffe es.« »Du hoffst es?« »Ja. Ich habe mit meinem Vater gestritten und war seit über einem Jahr nicht mehr zu Hause. Habe auch nicht angerufen oder sonst mit ihnen Kontakt aufgenommen.« Er blickt in die Ferne und ich frage nicht weiter nach, im Gegenteil, ich beginne, von mir zu erzählen.

 

»Meine Mum hat sich ein halbes Jahr, nachdem mein Dad verschwunden war, eine Kugel in den Kopf gejagt.« »Um Himmels willen, Claire! Warum? Das wusste ich nicht!« Er wirkt aufrichtig und richtig erschüttert auf mich. »Warum solltest du es auch wissen? Sie konnte nicht mehr allein sein und SIE haben uns davor einfach zu sehr terrorisiert.« »Wer SIE?« »Ich weiß nicht, wer SIE sind. Ich nenne sie halt so, CIA, FBI? Keine Ahnung!« Ich zucke mit den Schultern. »Ich dachte, dein Vater war Vertreter.« »Ja, das war er auch, deshalb, ich weiß nicht, alles ist komisch. Aber ich möchte jetzt nicht mehr darüber sprechen, es ist so lange her und ich habe Urlaub und fühle mich im Moment einfach gut.«

 

»Bist du sicher, dass dein Vater Vertreter war? Wenn das FBI, ich meine, du bist hier in Deutschland?« »Aiden!« »Ist ja schon gut.« Er hebt zum Zeichen, dass er aufgibt, beide Hände hoch. »Ich räume ab, du hast gekocht«, sage ich. »In Ordnung.« Beim Spülen sehe ich durch die große Glasscheibe nach draußen auf den See. Aiden telefoniert schon wieder mit angespanntem Gesichtsausdruck. Das verwundert mich etwas. Er wirkt aufgeregt und sein Gesicht ist so ernst. So kenn ich ihn gar nicht. Dann legt er auf und schaut in meine Richtung. Vermutlich spiegeln die Fensterscheiben und ihm ist einen Augenblick lang nicht bewusst, dass ich ihn sehe. Er sieht anders aus. Gequält und ich meine auch schuldvoll. Eine Sekunde später, als ob es diesen kurzen Moment nicht gegeben hätte, springt er, wie ich selbst zuvor, in den See und schwimmt eine Weile. Ich setze mich, als ich mit spülen fertig bin auf die Terrasse und warte mit einem Glas Wein auf Aiden. Der kommt wenig später tropfnass zu mir. »Igitt ...!«, kreische ich auf, als die nassen kalten Tropfen unvermittelt auf mich fallen. »Aiden!« Er lacht mich aus und küsst mich, allerdings sehr sehr sanft.

 

Am Abend zieht ein Gewitter auf. Der Bodensee wird unruhig. Gischt spritzt hoch, es sieht durch die großen Glasscheiben atemberaubend aus. Aiden macht im Kamin ein Feuer. Es ginge auch so, aber mit dem Feuer, das knistert, ist es urgemütlich. Später lieben wir uns auf einer Decke vor dem Kamin. Draußen ist der Sturm, ich kann meine Gefühle nicht einordnen. Alles ist leicht, einfach und ich fühle mich frei, beschwingt und das war es in den letzten neun Jahren für mich nie. Ich bin sogar versucht, Aiden von Vater zu erzählen, aber irgendetwas hält mich zurück. Am frühen Sonntagmorgen scheint wieder die Sonne, als ob das Gewitter gar nicht gewesen wäre. Ich schwimme mit Aiden eine Stunde lang im Wasser. Wir planschen wie kleine Kinder im See. Danach frühstücken wir ausgiebig und räumen das Haus, die Hütte, wie Aiden sie nennt, auf. Packen die restlichen Lebensmittel in den Kofferraum und fahren wieder zurück in die Realität. Leider. »Aiden?« »Ja.« »Das war ein wunderschönes Wochenende. Danke! Ich bin froh, dass du mich dazu überredet hast. Bin froh, dass ich mitgekommen bin.« Er beugt sich zu mir rüber und sagt: »Ich erst, Claire.

---ENDE DER LESEPROBE---