Die Geschichte der Diabetesforschung - Viktor Jörgens - E-Book

Die Geschichte der Diabetesforschung E-Book

Viktor Jörgens

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Beschreibung

Bismarcks Arzt von Frerichs gibt bei Diabetes Opium. Claude Bernard streitet mit Tierversuchsgegnern, und Kußmaul bekämpft Impfverweigerer. Der Student Langerhans entdeckt die Inseln der Bauchspeicheldrüse. Minkowski und der Freiherr von Mering werden zu Großvätern des Insulins. Zülzer und Reuter, vergessene Entdecker. Übertriebener Hype um Banting und Best. Wer hat den Nobelpreis für die Insulinentdeckung verdient? Clowes revolutioniert bei Eli Lilly die Insulinherstellung. Vom Fleischwolf in Hagedorns Küche zur Weltfirma Novo-Nordisk. Tödlicher Aderlass: die besten Diabetesforscher werden von den Nazis vetrieben. Dunkle Zeiten: Parteigenossen beherrschen die deutsche Diabetologie. Stolte, verkannter Pionier moderner Insulinbehandlung. Von Blockbustern und Skandalen: die wechselvolle Geschichte der Diabetesmedikamente. Winnetous Eidechse erfindet was gegen Diabetes. Der lange Weg zu moderner Diabetesforschung.

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Seitenzahl: 478

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Dr. med. Viktor Jörgens

Die Geschichte der Diabetesforschung

Dr. med. Viktor Jörgens

Die Geschichteder Diabetesforschung

Vom Opium zum Insulin

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://portal.dnb.de/> abrufbar.

ISBN 978-3-87409-750-5

Die Informationen in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt zusammengestellt. Dennoch können Fehler nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Für fehlerhafte Angaben und deren Folgen wird daher weder eine juristische Verantwortung noch irgendeine Haftung übernommen. Die Übertragung in andere Sprachen oder Vervielfältigung, auch auszugsweise, ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung gestattet.

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

Titelbild: Mareike Horch unter Verwendung von Bildmotiven von iStockphoto.com

1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© Verlag Kirchheim + Co GmbH

Wilhelm-Theodor-Römheld-Str. 14

55130 Mainz

www.kirchheim-shop.de

Vorwort

Vor 100 Jahren wurde das lebensrettende Insulin erstmals eingesetzt, Grund genug, dem Insulin zum runden Geburtstag eine Geschichte des Diabetes zu schenken. Sie ist nicht umfassend wie die Geschichte des Diabetes von Prof. Robert Tattersall[1], die ich medizinhistorisch Interessierten empfehle. Das vorliegende Buch ist demgegenüber kein Nachschlagewerk der Diabetesgeschichte, in 29 Kapiteln werden nicht nur die wichtigsten Entdeckungen der Diabetologie, sondern auch die Lebenswege vieler Forscher und einiger Menschen mit Diabetes beschrieben. Ganz besonders war es mir eine Verpflichtung, Leistungen und Schicksal der vielen aus Deutschland vertriebenen Forscher nachzuzeichnen, die wegen ihrer jüdischen Herkunft die Heimat verlassen mussten. Die deutsche Stoffwechselforschung hat sehr lange gebraucht, um nach diesem „Brain Drain“ wieder Anschluss an das Weltniveau zu gewinnen. Macleod ging noch nach Leipzig, um dort physiogische Forschung zu lernen und Joslin reiste zu Naunyn nach Straßburg, um sich dort in Diabetologie weiterzubilden. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich das Blatt gewendet, jetzt konnte man in Deutschland nur noch Diabetesprofessor werden, wenn man einige Zeit in der Joslin-Klinik als Nachwuchsforscher im Labor verbracht hatte.

Im Herbst 2020 erschien ein Buch, das ich mit meinem Freund Prof. Massimo Porta über die Geschichte der Diabetesforschung in englischer Sprache mit vielen renommierten internationalen Autoren herausgegeben habe[2], das wissenschaftlich Interessierten zu empfehlen ist. Dann kam der Coronawinter, keine Kongressreisen, keine Kulturevents, keine Restaurantbesuche, also Zeit genug, ein Buch über die Geschichte des Diabetes in deutscher Sprache zu schreiben. Es sind darin nicht nur die Erfolge, sondern auch viele Irrwege der Forschung und Behandlung beschrieben, die lehrreich sein können. Schon Goethe schrieb darüber: „Eine höchst wichtige Betrachtung in der Geschichte der Wissenschaft ist die, dass sich aus den ersten Anfängen einer Entdeckung manches in den Gang des Wissens heran- und durchzieht, welches den Fortschritt hindert, sogar öfters lähmt“[3].

Glücklicherweise hatte ich für meine Arbeit viele Dokumente aus dem Nachlass meines Lehrers und Freundes Prof. Michael Berger zur Verfügung, der an einer kritischen Betrachtung der Geschichte der Diabetologie sehr interessiert war. Dem Andenken an ihn möchte ich dieses Buch widmen.

Über Kommentare, Kritiken und Vorschläge für die zweite Auflage würde ich mich freuen.

Dr. med. Viktor Jörgens

[email protected]

Inhalt

Kapitel 1: Claude Bernard – Beginn der wissenschaftlichen Diabetesforschung

Kapitel 2: Paul Langerhans, der Entdecker der Pankreasinseln

Kapitel 3: Adolf Kußmaul – Herr Biedermeier und das diabetische Koma

Kapitel 4: Ein Litauer aus Königsberg wird Großvater des Insulins

Kapitel 5: Josef von Mering, genialer Freiherr aus Köln

Kapitel 6: Apollinaire Bouchardat – Pionier von Schulung und Selbstkontrolle

Kapitel 7: Theodor von Frerichs gab Opium bei Diabetes – die Geschichte obskurer Diabetesmittel

Kapitel 8: Naunyns Diät, von Noordens Hafertage und Allens brutale Hungerkur

Kapitel 9: Sie waren fast am Ziel – Zülzer, Scott und Paulescu

Kapitel 10: Ernest Lyman Scott – 1912 entdeckt ein Student in Chicago Insulin

Kapitel 11: Nicolai Paulescu – ein rumänischer Faschist entdeckt das Insulin in Bukarest

Kapitel 12: So fing es an – Bantings Idee und seine unnützen Hundeversuche

Kapitel 13: Auf dem Weg zum Erfolg

Kapitel 14: Erst ein Jahrhunderterfolg, dann große Probleme

Kapitel 15: Unspeakably wonderful – Insulin rettet Menschenleben

Kapitel 16: George Clowes, Eli Lilly und die Anfänge der Insulinherstellung

Kapitel 17: Collip sucht Insulin in Pflanzen, Macleod in Fischen, und Banting wird zum Nationalhelden

Kapitel 18: Der Nobelpreis und die Zeit danach: Was wurde aus Banting, Macleod, Best und Collip?

Kapitel 19: Marie Krogh macht Dänemark zum „Diabetesland“

Kapitel 20: Karl Stolte – Bedarfsgerechte Insulintherapie bei freier Kost

Kapitel 21: Diabetes im „Tausendjährigen Reich“

Kapitel 22: Vertreibung durch die Nazis – tödlicher Schlag für die deutsche Diabetesforschung

Kapitel 23: Gerhardt Katsch – hochgeehrt in braunen und roten Zeiten

Kapitel 24: Die Biguanide – nur eines bleibt übrig

Kapitel 25: Wechselvoller Kampf um den Markt – Sulfonylharnstoffe, Mediator, Glitazone, Rimonabant und Acarbose

Kapitel 26: Meilensteine der Insulinforschung

Kapitel 27: Wer hat und was ist eigentlich Diabetes?

Kapitel 28: Die Geschichte der Folgeschäden des Diabetes

Kapitel 29: Schulung zur Selbstbehandlung

Kapitel 30: Vom Glukagon und vom Gilamonster

Kapitel 31: Victor rettete in Shanghai seine Eva

Einen Besuch wert: Das Diabetes Museum München

Literaturhinweise

Bildnachweis

Kapitel 1

Claude Bernard – Beginn der wissenschaftlichen Diabetesforschung

Am 12. Juli 1813 wurde in Saint-Julien bei Villefranche-sur-Saône im Beaujolais Claude Bernard geboren, der Begründer der modernen Stoffwechselforschung. Er war der einzige Sohn von Pierre Jean-François Bernard, eine Tochter wurde später geboren. Wenig sprach dafür, dass aus diesem Knaben aus einem kleinen Dorf eines Tages der bedeutendste Physiologe des 19ten Jahrhunderts werden sollte. Das sehr bescheidene Geburtshaus von Claude Bernard befindet sich hinter dem Claude-Bernard-Museums, das man in dem später von Claude Bernard erworbenen Herrenhaus eingerichtet hat [Abb. 1]. Der Pfarrer der Gemeinde erkannte die Begabung des Jungen und empfahl ihn für das Jesuitenkolleg von Villefranche, das er bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr besuchte. Hier lernte er Latein und Französisch, aber keine andere moderne Sprache. In seinem späteren Leben war er immer auf Hilfe angewiesen, um Publikationen ins Französische zu übersetzen. Er selbst publizierte ausschließlich auf Französisch, was damals für die Karriere eines französischen Wissenschaftlers noch kein Hindernis darstellte.

Lehre in der Apotheke – Erfolg als Lustspielautor

Als Claude Bernard achtzehn Jahre alt war, konnte sich die Familie eine weitere Ausbildung nicht mehr leisten. Im Januar 1832 fand er eine Anstellung in einer Apotheke in Lyon, wo der Apotheker ein „Heilmittel“ verkaufte, das bis zu 60 verschiedene Substanzen enthielt, darunter auch Opium. Claude war verblüfft, als er feststellte, dass der Apotheker in sein Wundermittel gegen diverse Krankheiten mehr oder weniger zufällig alles Mögliche hineinmischte. Diese Erfahrung war wohl der Beginn der kritischen Einstellung von Claude Bernard gegen die damalige Medizin.

In Lyon besuchte Claude häufig das Théatre des Célestines, wo Operetten und Komödien aufgeführt wurden. Er komponierte sogar eine musikalische Komödie mit dem Titel „La rose du Rhône“, die anscheinend einigen Erfolg hatte – er verdiente damit 100 Francs. Leider wurde diese „Rose du Rhône“ nie gedruckt. Nach diesem Erfolg wagte sich Claude an ein größeres Projekt, eine klassische Tragödie mit dem Titel „Anne de Bretagne“. Er beschloss, die Apotheke in Lyon zu verlassen und reiste mit seinem Manuskript nach Paris. Er träumte davon, Schriftsteller zu werden.

Ein guter Rat: Werde besser Arzt statt Dichter!

1834 kam Claude Bernard mit seiner „Anne de Bretagne“ in Paris an und bat Saint Marc Girardin, Schriftsteller und Professor an der Sorbonne, um seine Meinung zu dem Opus. Girardin fällte ein hartes aber richtiges Urteil. Das Stück sei schlecht und Bernard sollte ein Fach studieren, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten – warum nicht Medizin, da er bereits einige Kenntnisse in Pharmazie erworben hatte? Claude Bernard bewahrte sein Manuskript „Anne de Bretagne“ auf und gab es eineinhalb Jahre vor seinem Tod einem Freund mit dem Hinweis, er möge es veröffentlichen, aber frühestens fünf Jahre nach seinem Tod. Ein Nachdruck des Stücks steht im Claude Bernard Museum in St. Julien zum Verkauf, während sich das Original in der Bibliotheque Nationale in Paris befindet, ich habe versucht es zu lesen, es ist einfach ein aufgeblasener, langweiliger Schinken. Glücklicherweise musste kein Theaterpublikum diese Tragödie je ertragen. Die Witwe von Claude Bernard wehrte sich mit Erfolg gegen die posthume Veröffentlichung des Stücks. Es war abgesehen von ihrer Mitgift ihr einziger Beitrag zum Ansehen ihres Mannes.

Studium in Paris

Im Alter von 21 Jahren begann Claude Bernard mit dem Medizinstudium. Er war kein besonders brillanter Student. Aber im Anatomiekurs kam sein hervorragendes handwerkliches Talent zum Vorschein. Einen speziellen Kurs über Physiologie gab es zu dieser Zeit noch nicht. Der führende Physiologe war Prof. Magendie (1783–1855), er veröffentlichte ein renommiertes Lehrbuch über Physiologie [Abb. 2]. Magendie hatte den Lehrstuhl für Physiologie und ein kleines Labor am Collège de France. Gleichzeitig leitete Magendie eine klinische Abteilung am Krankenhaus Hôtel Dieu. Als Claude Bernard als Student im Hôtel Dieu war, bemerkte er, dass Magendie der einzige Professor war, der gegen den Aderlass als Behandlung der Lungenentzündung kämpfte. Seine Meinung stand im Widerspruch zu allen Lehrbüchern, deshalb pflegten die Ärzte selbst in seiner Abteilung die an Lungenentzündung leidenden Patienten zur Ader zu lassen, sobald Magendie die Station verlassen hatte, was das Leben der Patienten sicher nicht verlängerte, sondern eher ihr Leiden verkürzte.

Schwieriger Beginn der Karriere

Als Magendie bemerkte, wie gut Claude Bernard am Seziertisch in der Anatomie arbeitete, stellte er ihn in seinem Labor am Collège de France an. Doch sein Gehalt als Assistent von Magendie reichte nicht zum Leben und so eröffnete Bernard zusammen mit einem Freund ein privates Labor, in dem zahlende Studenten und Gäste physiologische Experimente beobachten konnten. Dieses Geschäftsmodell scheiterte kläglich. Alles ging daneben: 1844 verteidigte er eine Dissertation, um „Agrégé“ zu werden – vergleichbar mit einem Assistenzprofessor oder dem deutschen Privatdozenten, er war erfolglos. Eine weitere Enttäuschung folgte, als 1844 sein erster Antrag auf Mitgliedschaft in der Akademie für Medizin abgelehnt wurde. Zu diesem Zeitpunkt dachte Claude Bernard daran, seine Forscherkarriere aufzugeben und in seiner Heimat Beaujolais als Landarzt zu praktizieren.

Abb. 1: Das Geburtshaus von Claude Bernard

Abb. 2: „Es ist unmöglich zu sagen, wozu die Flüssigkeit des Pankreas dient.“ Lehrbuch der Physiologie von Prof. Magendie 1817

Abb. 3: Original Handschrift von Claude Bernard: „Ich taufe diesen Stoff Glykogen“ [3]

Eine Mitgift für die Forschung

Seine Freunde fanden jedoch eine Lösung für Claude Bernards chronische finanzielle Probleme – eine Ehefrau mit einer beachtlichen Mitgift. 1845 heiratete Bernard Marie Françoise „Fanny“ Martin, die Tochter eines reichen Pariser Arztes. Ihre Mitgift diente als Einkommen für die junge Familie und wurde auch zur Finanzierung von Claudes Forschungen verwendet. Im Ehevertrag wurde die Mitgift der Braut auf 60 000 Francs festgelegt, was damals immerhin 180 000 Litern Wein entsprach! Das Paar hatte vier Kinder, zwei Söhne starben sehr früh. Die zwei Töchter – tief gläubige Katholikinnen wie die Mutter – schlossen sich später dem politischen Kampf ihrer Mutter gegen „Vivisektion“ an. Das Paar trennte sich und ließ sich schließlich am 22.8.1870 scheiden. Die Töchter setzten ihren Kampf gegen die Tierforschung fort. Nach ihrem Tod musste ihr Haus, das unzähligen heimatlosen Katzen und Hunden als Behausung gedient hatte, wegen der unhaltbaren hygienischen Zustände von den Behörden sterilisiert werden. Ein wenig kann man den Kampf der drei Damen gegen Claude Bernards Tierversuche verstehen. Sie hatten diverse operierte Hunde erlebt, die Bernard nach Operationen mit in die Wohnung brachte, und aus denen Schläuche heraushingen. Heute würde kaum eine Ethikkommission die häufig recht brutalen Experimente Claude Bernards genehmigen, die Methoden zur Betäubung der Versuchstiere wurde allerdings im Laufe der Jahre besser.

Die Rolle der Bauchspeicheldrüse

Im Jahr 1846 begann Claude Bernard, seine Forschungen auf das Studium des Stoffwechsels zu konzentrieren und begann mit Experimenten zum Verständnis der Funktion der Bauchspeicheldrüse. In der 1816 erschienenen Ausgabe des Lehrbuchs seines Lehrmeisters Magendie hieß es noch, die Funktion der Bauchspeicheldrüse sei ein Rätsel. [Abb. 3]. Claude Bernard entdeckte, dass das Sekret der Bauchspeicheldrüse nicht nur bei der Verdauung von Kohlenhydraten hilft. Durch eine Reihe von Experimenten konnte er nachweisen, dass der Bauchspeicheldrüsensaft Fett in Fettsäuren und Glyzerin spalten kann und dass Eiweiße nach Zugabe von Galle durch den Bauchspeicheldrüsensaft aufgelöst werden. Claude bemerkte auch, dass die fötale Bauchspeicheldrüse keine Wirkung auf Fett hat und stellte fest, dass die Funktion der Bauchspeicheldrüse bei der Verdauung erst sehr kurz vor der Geburt beginnt. Bernard versuchte auch, Hunden die Bauspeicheldrüse zu entfernen. Die meisten Hunde starben dabei, nur einer überlebte, wurde aber nicht diabetisch. Man kann davon ausgehen, dass bei diesem Hund die Bauchspeicheldrüse nur unvollständig entfernt worden war.

Die Entdeckung des Pankreasdiabetes musste auf die brillanten chirurgischen Fähigkeiten der Forscher Minkowski und von Mering im Jahr 1889 warten.

Den Glukosestoffwechsel verstehen

Als Claude Bernard begann, den Stoffwechsel und Diabetes zu erforschen, gab es in den Lehrbüchern nur wirre Theorien. Magendie war der Meinung, dass Tiere nicht in der Lage seien, Glukose, Eiweiß oder Fett selbst herzustellen. Apollinaire Bouchardat glaubte, dass Diabetes auf eine erhöhte Aufnahme von Glukose im Magen zurückzuführen sei (er änderte seine Meinung später nach den Erkenntnissen von Claude Bernard). Zum Glukosestoffwechsel schrieb Mialhé (1807–1886) 1844, dass die Glukose über das Lymphsystem ins Blut transportiert und dort „verbrannt“ werde. Andere nahmen an, dass die Lunge der Ort war, an dem diese „Verbrennung“ stattfand. Claude fasste den Wissensstand in seinem kleinen roten Notizbuch zusammen, das heute noch im Collège de France aufbewahrt wird: „Die Verdauung von Kohlenhydraten findet in zwei Schritten statt: Erstens: Umwandlung der Kohlenhydrate in Glukose, zweitens: Glukose wird in der Lunge verbrannt. Wenn dies nicht geschieht, entsteht Diabetes“. Claude Bernard fragte sich: „Kann das stimmen?“

Die Leber produziert Glukose!

Folgendermaßen beschrieb Claude Bernard, wie er 1848 die Bedeutung der Leber für den Glukosestoffwechsel entdeckte: „Um diese Frage zu klären, musste ich den Zucker im Blut finden, und den Zucker vom Darm, wo er aufgenommen wird bis zu dem Ort verfolgen, wo er verbrannt wird. Um diese Frage zu untersuchen, habe ich einem Hund süße Milchsuppe gegeben und den Hund während der Verdauung getötet. In der Lebervene konnte ich Zucker nachweisen. Es war logisch zu schließen, dass die ganze Glukose, die ich in dieser Vene fand, von dem Zucker herrührte, den der Hund gefressen hatte. Die meisten Forscher hätten an dieser Stelle aufgehört und gedacht, dass ein weiteres Kontrollexperiment nutzlos sei. Aber ich habe ein Kontrollexperiment durchgeführt, weil ich davon überzeugt bin, dass man in der Physiologie immer zweifeln sollte, auch wenn der Zweifel nicht erlaubt zu sein scheint. Deshalb habe ich als Kontrollexperiment einen Hund gewählt, der ausschließlich mit Fleisch gefüttert wurde. Dieses Tier wurde während der Verdauung getötet und der Glukosegehalt der Lebervene wurde untersucht. Zu meinem großen Erstaunen stellte ich fest, dass die Lebervene Glukose enthielt, obwohl der Hund gar keine Kohlenhydrate gefressen hatte.

Nach dieser Beobachtung schrieb Claude Bernard in sein kleines Notizbuch: „Ich verstehe gar nichts mehr.“ „C’est à n’y rien comprendre“!

In seiner Veröffentlichung De l’origine du sucre (über den Ursprung des Zuckers) fasste Claude Bernard im Oktober 1848 die Ergebnisse seiner Experimente zusammen: „Normalerweise befindet sich im Blut und in der Leber immer Zucker. Dieser Zucker wird von der Leber produziert. Dies ist unabhängig von der Ernährung mit Zucker oder Kohlenhydraten. Diese Zuckersynthese beginnt schon vor der Geburt und ist daher völlig unabhängig von der Ernährung.“[1] Diese Entdeckung war der Beginn der modernen Stoffwechselforschung und machte Claude Bernard weltberühmt.

Bei der Durchführung seiner Experimente herrschte in Paris das Kriegsrecht, das erst am 12.10.1848 aufgehoben wurde. 5 000 aufständische Arbeiter wurden während der Junirevolution in Paris von der Armee getötet. Während Claude Bernard in seinem Labor zahllose Hunde opferte, kamen nach dem Scheitern dieser ersten proletarischen Revolution in Europa 25 000 Menschen ins Gefängnis. Im Dezember 1848 wurde Louis Napoleon (Napoleon III) mit 74 % der Stimmen zum ersten Präsidenten der Republik Frankreich gewählt und bald darauf zum Kaiser der Franzosen. Viele französische Intellektuelle wandten sich von Napoleon III ab, Claude Bernard tat dies nicht, man kann ihn eher als konservativ bezeichnen, z. B. machte er einige kritische Kommentare gegen die liberalen politischen Ideen von Rudolf Virchow.

Die Entdeckung des Glykogens

Die nächste Glanzleistung von Claude Bernard war seine Entdeckung des Glykogens. Am 24. September 1855 berichtete er vor der medizinischen Akademie in Paris: „Wenn man die Leber einmal mit Wasser gewaschen hat, kann man 24 Stunden später Glukose in der Lebervene nachweisen. Es muss also eine Produktion von neuer Glukose stattgefunden haben. Woher kommt sie?“ Schließlich isolierte er im Februar 1857 Glykogen und schrieb in sein Notizbuch: „Ich taufe diese Substanz auf den Namen Glykogen“ (Abb. 4). Die Zusammenfassung der Arbeit wurde 1857 veröffentlicht: Nouvelles recherches expérimentales sur les phénomènes glycogéniques du foie[2].

La picure diabétique

Eine weitere Beobachtung, für die er zu Lebzeiten berühmt wurde, war seine „picure diabétique“ (Abb. 5)[3]. Am 3.4.1849 punktierte Claude Bernard den vierten Ventrikel im Hirn eines Hundes (und später zahlreicher anderer Tiere). Zwanzig Minuten später trat eine Glukosurie auf und zwei Stunden später war die Glukosurie noch stärker ausgeprägt. Er veröffentlichte diese Entdeckung und diskutierte die Möglichkeit eines zentralnervösen Ursprungs von Diabetes.[4],[5] Der Titel seines ersten Berichts an die biologische Gesellschaft lautete: „Chiens rendus diabétiques“ (Hunde wurden diabetisch gemacht). Die Verwendung des Plurals war jedoch falsch. Das Experiment verlief nur bei einem der Hunde positiv, bei mindestens drei weiteren Hunden kam es nicht zur Blutzuckererhöhung. Jahrzehntelang waren diese Experimente ein Argument dafür, die Ursache des Diabetes im Hirn zu suchen, auch wenn Claude Bernards Experimente schwer zu wiederholen waren. Einige der Effekte von Bernards Piqure lassen sich vielleicht ganz simpel durch den schrecklichen Stress erklären, den die gequälten Tiere ertragen mussten. Erst in den letzten Jahren wird immer klarer, wie sehr Botenstoffe im Hirn den Stoffwechsel beeinflussen. Hatte Claude Bernard also doch Recht?

Honorem ei, qui meritur

Nach diesen Entdeckungen folgte eine Ehrung auf die andere. Im Jahr 1849 wurde ihm das rote Band der Ehrenlegion verliehen. 1854 wurde er Mitglied der Akademie der Wissenschaften und erhielt einen Lehrstuhl an der Sorbonne (Abb. 6). Seine Vorlesungen hielt er aber weiter nur am Collège de France, wo er schließlich 1855 die Nachfolge von Magendie antrat. 1861 wurde er Mitglied der Medizinischen Akademie und 1868 wird er zu einem der „unsterblichen“ Mitglieder der Académie Française gewählt. Sein Sitz war Nr. 29, direkt vor Saint-Marc Girardin, der seine Karriere als Schriftsteller abgelehnt hatte. Er bereitete seine Rede in der Académie sehr sorgfältig vor, wie man an der Kopie seines Entwurfs sehen kann. Er muss viel Zeit damit verbracht haben, während seiner Sommerferien in St. Julien an dieser Rede zu feilen, wie man an den zahllosen Korrekturen erkennen kann (Abb. 7).

Abb. 4: Korrekturen von Claude Bernard an seiner Rede vor der Académie Française [3].

Abb. 5 und 6: Instrumente, die Claude Bernard in seinem Labor in St. Julien benutzte (Claude-Bernard-Museum, St. Julien)

Im Jahr 1869 wurde Claude Bernard von Napoleon III. zum Senator ernannt. Der Kaiser hatte beschlossen, den Lehrstuhl für Physiologie an das Naturhistorische Museum mit einem weitaus größeren Labor zu verlegen. Nun stand er dem Chemiker Prof. Michel Eugène Chevreul, dem langjährigen Direktor dieses Museums, noch näher. Die beiden waren seit 1850 persönlich befreundet. Chevreul, der 1815 das Cholesterin („Cholesterine“) entdeckt hatte, starb 1889 im Alter von 102 Jahren – die wissenschaftliche Beschäftigung mit Cholesterin war also keineswegs ungesund. Die Namen Beider kann man noch heute unter dem Rand des Daches an der Fassade des Museums lesen. In seiner „Einführung in die experimentelle Medizin“ schreibt Claude Bernard, dass er den Ideen seines Freundes Chevreul nicht viel hinzuzufügen hat.

Einführung in die experimentelle Medizin

Das Buch „Einführung in die experimentelle Medizin“ (1865) war sein intellektuelles Meisterwerk[6]. Claude Bernard erklärt darin die Prinzipien der biomedizinischen Forschung. Seine Ausführungen zur Pharmakotherapie können auch heute noch als Einleitung in Lehrbüchern zur „evidenzbasierten Medizin“ dienen. Er schreibt: „Es gibt Ärzte, die fanatisch von den Wirkungen der Medikamente überzeugt sind, die sie verschreiben. Sie akzeptieren keine kritischen Kommentare, die auf Experimenten beruhen. Sie sagen, dass man nur Medikamente verschreiben darf, an die man glaubt, und sie denken, dass die Verschreibung eines Medikaments, an dem man zweifelt, einen Mangel an medizinischer Ethik zeigt. Ich akzeptiere diese Denkweise nicht, sie bedeutet, sich selbst zu täuschen und andere zu betrügen.“ Es ist nicht verwunderlich, dass sich Claude Bernard damit viele Feinde unter den Klinikern schuf – kein Arzt lässt sich gerne als Scharlatan bezeichnen!

Das „milieu intérieur“

Claude Bernard war der erste, der das „milieu intérieur“ beschrieb. Seine Veröffentlichung Lehren von den Phänomenen des Lebens bei Tieren und Pflanzen[7] war ein Meilenstein in der Geschichte der Physiologie. Er schreibt: „Ich glaube, ich habe als erster die Idee geäußert, dass es für Tiere in der Tat zwei Milieus gibt, ein Milieu, das außerhalb des Körpers liegt, und ein inneres Milieu, in das die Bestandteile der lebenden Gewebe eingebettet sind. Die eigentliche Existenz der Lebewesen findet nicht in der Außenwelt statt, sondern im flüssigen Medium der zirkulierenden organischen Flüssigkeit.“[7].

Sein Haus in St. Julien wird zum Museum

1861 kaufte Claude Bernard für 60 000 Francs das Herrenhaus auf dem Hügel von Chatenay oberhalb von Saint Julien, hinter dem sich das kleine Haus seiner Eltern befindet, in dem er geboren wurde. Dort verbrachte Claude Bernard jedes Jahr August und September. Er überwachte persönlich die Weinlese in seinen eigenen Weinbergen und die Herstellung seines eigenen Beaujolais. Er hatte ein Labor eingerichtet, einige der Instrumente sind dort heute noch zu sehen, und auch während seiner Ferien führte er Experimente durch, manchmal mit Fröschen, die von Jungen aus der Nachbarschaft gesammelt wurden (Abbildungen 6 und 7). Sein Anwesen und sein Geburtshaus wurden zu einem Museum, das kürzlich renoviert wurde www.agglo-villefranche.fr/musee-claude-bernard.html. Einmal im Leben sollte es für jeden Diabetologen Pflicht sein, das Geburtshaus von Claude Bernard und das Museum zu besuchen und natürlich etwas „Claude-Bernard-Wein“ aus seinen Weinbergen mit nach Hause zu nehmen – er könnte Diabetesforscher sicherlich inspirieren. Sie sollten sich auch die Gelegenheit nicht entgehen lassen, ein Foto von der Claude-Bernard-Statue auf dem Platz vor der Kirche in St. Julien zu machen [Abb. 8]. Zahlreiche Winzer bieten in der Gegend ihren Beaujolais Village an, es empfiehlt sich auch ein Besuch im nicht weit entfernten Vaux en Beaujolais, dem Gabriel Chevallier mit seinem Roman Clochemerle ein Denkmal gesetzt hat, in dem der Streit um die Errichtung eines Pissoirs vor der Kirche zu dramatischen Auseinandersetzungen führt.

Eine inspirierende Beziehung

Die Vorlesungen von Claude Bernard am Collège de France wurden von berühmten Persönlichkeiten besucht, darunter 1873 vom Kaiser von Brasilien. Eine Zuhörerin brachte Claude Bernard aus dem Konzept: „Zu meiner rechten Seite saß eine schöne, dunkelhaarige junge Frau. Sie saß auf einem erhöhten Sitz im Auditorium und deshalb konnte ich ihren schönen Fuß sehen. Sie trug sehr hübsch verzierte Schuhe. Am linken Fuß, der Seite des Herzens, trug sie ein kostbares Fußkettchen mit sehr teurem Schmuck, das den Knöchel von oben umschloss. Ich muss gestehen, dass dieser Anblick atemberaubend war“[8]. Völlig verwirrt, verwechselte Claude Bernard in seinem Vortrag Aorta und Carotis und kam vollkommen aus dem Konzept. 1869 besucht eine junge russische Dame, Madame Marie Raffalovich, Tochter wohlhabender jüdischer Eltern aus Odessa, eine seiner Vorlesungen am Collège de France (ob sie es war, die er wie oben geschildert beschrieb, ist möglich, aber nicht gesichert). Einige Tage später bittet diese junge Frau um ein privates Treffen und hat eine persönliche gynäkologische Frage. Frau Raffalovich war 37 Jahre alt, als sie den 56-jährigen Claude Bernard kennenlernte. Sie war die Ehefrau eines wohlhabenden russischen Bankiers und lebte in Paris. Sie hatte eine Universitätsausbildung und publizierte in St. Petersburger Zeitungen über das kulturelle Leben und wissenschaftliche Ereignisse in Paris. Sie sprach acht Sprachen und half Claude Bernard bei der Übersetzung deutscher, italienischer, englischer und russischer Publikationen. Gemeinsam besuchten sie kulturelle Veranstaltungen in Paris und sie kam auch mehrmals nach in St. Julien, wenn Claude Bernard dort zur Weinlese war. Claude Bernard schrieb zahlreiche Briefe aus Paris und St. Julien an Madame Raffalovic – 488 seiner Briefe sind erhalten und zum Teil veröffentlicht. Ihre Briefe an ihn wurden auf ihren Wunsch hin verbrannt.

Claude Bernards Buch „Lektionen über Diabetes“

1877 erschienen 21 Vorlesungen über Diabetes, die Claude Bernard am Collège de France gehalten hatte, in dem Buch „Leçons sur le diabète et la glycogènese animale“[9]. Auf 381 Seiten beschreibt er unzählige Tierversuche und schließt mit einem Kapitel, in dem er sich kritisch mit den damals von zahlreichen Autoren angebotenen Erklärungen zur Ursache des Diabetes mellitus auseinandersetzt. Er warnt vorab, dass das verbleibende Unwissen nicht einfach mit Annahmen gefüllt werden dürfe. Er forderte stets den Nachweis der Hypothesen durch Experimente. Dank der Arbeiten von Claude Bernard sind sich nun alle Forscher einig, dass bei Diabetes zu viel Glukose von der Leber hergestellt wird. Wie es dazu kommt, darüber sind sich die Autoren allerdings noch sehr uneins – auch Claude Bernard kann keine Erklärung liefern. Er hat nie Patienten behandelt und in seinen „Leçons sur le diabète“ findet sich kein einziger Vorschlag für eine Behandlung des Diabetes. Dennoch war Claude Bernards Beitrag zum Verständnis des Stoffwechsels einer der herausragendsten Beiträge zur Diabetesforschung in der Medizingeschichte.

Was ist das Vermächtnis eines Forschers?

Claude Bernard hat nicht nur den Stoffwechsel studiert. Seine Forschungen zur Neurologie füllen zwei Bände. Er untersuchte die Wirkung von Curare und Kohlenmonoxid, sogar die Empfindlichkeit von Pflanzen. All seine wissenschaftlichen Arbeiten werden in der hervorragenden Biographie von Mirko D. Grmek[9] ausführlich besprochen. Grmek berichtet über ein Gespräch zwischen Pasteur und Claude Bernard. Pasteur sagte, er habe den Eindruck, dass seine Forschungen in der medizinischen Fachwelt noch nicht genug Aufmerksamkeit gewonnen hätten. Claude Bernard antwortete: „Ganz im Gegenteil. Die Mediziner haben schon viel aus Ihren Forschungen über Infektionen gelernt. Mir wurde von zwei Kollegen, einem älteren und einem jüngeren, eine Kanüle in die Blase eingeführt. Beide haben sich die Hände gewaschen – der Jüngere vor und der Ältere nach dem Eingriff.“

Das erste nationale Begräbnis für einen Wissenschaftler

Am 10. Februar 1878 starb Claude Bernard in seiner Wohnung in der Rue des Ecoles 40 in Paris. Sein Tod war wahrscheinlich die Folge eines Nierenversagens aufgrund einer chronischen Pyelonephritis. Am folgenden Tag beschloss das Parlament auf Vorschlag von Gambetta, ein nationales Begräbnis auf Staatskosten zu organisieren. Am Mittwoch, den 12.2.1878 füllte der Nachruf die Hälfte der Titelseite der Zeitung Le Figaro. Ein beeindruckender Leichenzug begleitete Claude Bernard zum Friedhof Père Lachaise, wo auch seine beiden Söhne beigesetzt waren. Nach seinem Tod sammelten seine Freunde und Studenten Geld für ein Bronzedenkmal vor dem Collège de France. Es wurde 1886 eingeweiht, le Figaro berichtete, dass die Zeremonie zweimal von einer schwarz gekleideten Frau durch ein Pfeifkonzert gestört wurde, offensichtlich eine militante Gegnerin von Tierversuchen [Abb. 9]. Ob seine Frau oder seine Töchter in diese Aktion verwickelt waren, ist nicht überliefert. Hinter Claude Bernard zeigte das Bronzedenkmal einen sezierten Hund. 1941 wurde das Denkmal wie die meisten Pariser Bronzemonumente von den Deutschen eingeschmolzen. Seit 1946 steht wieder ein diesmal steinernes Denkmal von Claude Bernard an gleicher Stelle, allerdings jetzt ohne Hund.

Abb. 7: Claude-Bernard-Statue auf dem Dorfplatz von St. Julien en Beaujolais

Abb. 8: Bronzestatue von Claude Bernard, eingeschmolzen 1942, auf dem Tisch hinter ihm ein sezierter Hund (Postkarte, um 1900)

Abb. 9: Le Figaro 7.2.1886. Bericht über Störung der Zeremonie der Enthüllung der Claude-Bernard-Statue durch eine schwarz gekleidete Frau der Liga gegen Vivisektion (Le Figaro, 7.2.1886)

Ein weiteres Denkmal befindet sich in der Claude-Bernard-Universität in Lyon. Die Stadt Villefranche sur Saône debattierte über die Möglichkeit, ein Denkmal zu errichten, entschied sich aber schließlich dagegen, da Claude Bernard dem Kaiser Napoleon III politisch nahegestanden hatte und da er geschieden war. Die European Association for the Study of Diabetes (EASD) ehrte Claude Bernard, indem sie den bedeutendsten Preis der Gesellschaft nach ihm benannte. Die ersten beiden Preisträger dieser Vorlesung wurden später mit dem Nobelpreis für Physiologie und Medizin ausgezeichnet.

Kapitel 2

Paul Langerhans, der Entdecker der Pankreasinseln

Jeder Medizinstudent weiß, dass Paul Langerhans die Inseln in der Bauchspeicheldrüse entdeckte. Aber kaum jemand in der Diabetologie kennt seine Entdeckung der Langerhans-Zellen in der Haut, die bei den Hautärzten immer mehr Bedeutung gewinnen. Auch ich wusste nichts über sein bewegtes Leben und seine Leistungen, bevor ich die umfassende Biographie kennenlernte, die der Allergologe Prof. Björn M. Hausen nach jahrelangen detaillierten Recherchen auch bei der Familie von Paul Langerhans veröffentlichte. Prof. Hausen ist leider 2017 verstorben und sein Buch ist vergriffen. Dieses Kapitel wäre ohne seine Arbeit nicht möglich gewesen, es ist seinem Andenken gewidmet[1].

Eine Familie des liberalen Bildungsbürgertums

Paul Wilhelm Heinrich Langerhans wurde am 25. Juli 1847 in Berlin geboren. Sein Vater, Paul August Herrmann Langerhans (1820–1909), war seit 1842 als Arzt in Berlin tätig. Seine Mutter war Anna Louise Caroline Langerhans, geborene Keibel (1824–1853). Die Familie Langerhans lebte in Berlin, zunächst in der Köpenickerstr. 111. Das Haus wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Am 5. Oktober 1853 starb die Mutter, Anna Langerhans, an Tuberkulose. Sie wurde nur 29 Jahre, Paul war 6 Jahre alt. Sein Vater heiratete zwei Jahre nach Annas Tod wieder. Langerhans schrieb im Lebenslauf, den er 1865 für sein Abschlussexamen verfasste, dass seine Stiefmutter ihm eine echte Mutter wurde und das Familienleben glücklich war. Der Vater, Paul Langerhans Senior, stammte aus einer begüterten Architektenfamilie und besuchte das Graue Kloster, sozusagen ein Elitegymnasium. Otto von Bismarck besuchte zur gleichen Zeit diese Schule. Er studierte Medizin, und seine Privatpraxis in Berlin lief sehr gut. Langerhans Senior hatte an der Revolution von 1848 teilgenommen, genau wie sein bester Freund Rudolf Virchow. Er hatte in Berlin auf den Barrikaden für die Demokratie und gegen die Truppen des preußischen Königs gekämpft. Mit Rudolf Virchow gründete er 1861 die Deutsche Fortschrittspartei. Später engagierte sich Langerhans Senior zunehmend politisch. Er war Mitglied des Stadtrates von Berlin und des Preußischen Abgeordnetenhauses. Von 1891 bis 1903 war er Mitglied des Deutschen Reichstages. Im Jahr 1900 wurde er Ehrenbürger der Stadt Berlin und starb 1909 hochgeehrt im Alter von 89 Jahren. Als Mitglied der liberalen Partei kämpfte er wie Rudolf Virchow vehement gegen Bismarck und seine noch nationalistischeren Nachfolger. Ein Onkel von Paul Langerhans war übrigens der Bürgermeister, dem der legendäre Hauptmann von Köpenick in seinem Rathaus die Stadtkasse raubte. Die Langerhansstraße in Berlin Köpenick ist nach diesem Bürgermeister benannt.

Rudolf Virchow rät zum Studium in Jena

Paul besuchte wie der Vater das renommierte Graue Kloster und notierte schon mit 14 Jahren in den Unterlagen der Schule unter künftige Bestimmung, dass er Arzt werden wolle. Er hatte in der Schule hervorragende Noten und konnte außerdem sehr gut zeichnen; einige seiner Bilder sind erhalten geblieben [Abb. 2]. Rudolf Virchow, den Paul Onkel nannte, beriet bei der Auswahl des Studienorts. Für die vorklinischen Studien schlug er die Universität Jena vor. Jena hatte damals einen hervorragenden Ruf [Abb. 1]. Weil es nicht unter Preußens Kontrolle war, herrschte dort ein liberaler Geist. Dort lehrte der „deutsche Darwin“ Prof. Ernst Haeckel, im ständigen Disput mit den konservativen Kräften und besonders der katholischen Kirche. Also schrieb sich Paul zwei Wochen nach seinem Abitur in der Universität Jena ein. Er war der erste Student, der sich für den von Ernst Haeckel neu eingerichteten Kurs für Humanhistologie anmeldete [Abb. 3].

Abb. 1: Paul Langerhans im Alter von 19 Jahren [1]

Abb. 2: Aquarell von Paul Langerhans: Ferien auf Usedom [1]

Langerhans studierte drei Semester in Jena und belegte Haeckels Vorlesung „Darwins Theorie über die Entwicklung der Arten“. Er belegte auch eine Vorlesung über Coelenteraten. Mit diesen „Meereswürmern“ wird er sich später in Madeira beschäftigen. Langerhans gehörte keiner studentischen Verbindung an, obwohl gerade Jena ein Zentrum der Verbindungen war. Die meisten studentischen Verbindungen hatten sich, obwohl anfangs demokratisch orientiert, zusehends in sehr konservative, nationalistische Organisationen verwandelt.

25 Golddukaten für die Langerhans-Zellen

Für die klinischen Semester ging es zurück nach Berlin. Im Sommer 1867 beginnt Langerhans mit der Arbeit an seiner Doktorarbeit über die Histologie der Bauchspeicheldrüse – natürlich bei „Onkel“ Virchow. Nach drei Monaten stellt er die Arbeit an diesem Projekt jedoch zunächst ein. Grund dafür war die Ausschreibung eines Preises der Universität Berlin über dieTastkörperchen der Haut. Er reicht eine Arbeit mit dem Titel ein: „Fiant observationes microscopicae de corpusculorum tactus alterationibus pathologicis, praesertim in morbis cutis et systematis nervosa“ (Mikroskopische Beobachtungen der Tastkörperchen und deren Veränderungen bei Krankheiten der Haut und des Nervensystems). Er ist der einzige Kandidat für den Preis und am 14. Mai 1868 verleiht das Preiskomitee, bestehend aus drei Professoren (einer von ihnen ist Rudolf Virchow), den Preis an Paul Langerhans. Nur das schlechte Latein des Textes wird moniert. Der Preis, eine Goldmünze, hatte einen Wert von 25 Dukaten, was etwas mehr als 80 g 999iger Gold entsprach – heute ein Wert von 4300 Euro. Kein Wunder, dass Langerhans dafür seine Doktorarbeit unterbrach. 1869, noch als Student, veröffentlichte Langerhans in Virchows Archiv die entsprechende Arbeit „Über die Nerven der Haut“[2] [Abb. 4]. Er glaubte, in dieser Arbeit einen neuen Typ von Nervenzellen der Haut beschrieben zu haben. Mit Hilfe der von Julius Cohnheim erfundenen Goldchloridtechnik stellte er die dendritischen Zellen in der Epidermis dar und betrachtete diese Zellen als „intraepidermale Rezeptoren für extrakutane Signale des Nervensystems“. Es war Sigmund Merkel, der 1875 die dendritischen Zellen in der Haut nach Langerhans benannte.

Abb. 3: Langerhans als erster bei Haeckels Vorlesung eingeschrieben [1]

Abb. 4: Aus: Über die Nerven der menschlichen Haut [2]

Diese Zellen waren über ein Jahrhundert lang ein Rätsel für die Dermatologie, bis Inga Silberberg in der Gruppe von R. L. Baer in New York ihre Bedeutung für den Mechanismus allergischer Reaktionen entdeckten. Seitdem haben zahllose Forscher versucht, die Funktionen dieser Zellen zu klären, die nicht stationär sind, sondern sich im Körper bewegen können. Man weiß heute, dass die dendritischen Zellen eine sehr wichtige Rolle bei der Immunabwehr und bei Allergien spielen. Sie gehören zu den Abwehrzellen des Immunsystems. Ihre Aufgabe besteht vor allem in der Antigenpräsentation für T-Lymphozyten. Mit Nervenzellen habe sie, wie lange Zeit fälschlicherweise vermutete, nichts gemeinsam.

Die Doktorarbeit über die Bauchspeicheldrüse

Danach machte sich Paul wieder an seine Doktorarbeit [Abb. 5]. Er untersuchte mit neuen chemischen Färbemethoden mikroskopisch Bauchspeicheldrüsen. Nur auf zwei Seiten beschreibt er eine neue Art von Zellen in der Bauchspeicheldrüse. Er schildert sie als: „kleine, recht homogene Zellen, die man in kleinen „Zellhäufchen“ findet“. Er schreibt: „Diese sind also zu rundlichen Häuflein geschart in regelmäßigen Abständen in der Drüse verteilt“. Am Ende der Beschreibung dieser Zellen stellt er fest: „Hier aber gestehe ich offen, dass mir jede Möglichkeit einer Erklärung fehlt“[3]. Ursprünglich war es seine Absicht gewesen, seine Arbeit mit Experimenten zur Funktion der Bauchspeicheldrüse fortzusetzen, aber er stellte fest, dass es ihm technisch unmöglich war, die Funktion der Bauchspeicheldrüse zu untersuchen, wohl auch durch Versuche einer Entfernung der Bauchspeicheldrüse. Aber die Tiere starben alle. Erst 20 Jahre später gelang von Mering und Minkowski erstmals die Entfernung der Bauchspeicheldrüse bei Hunden, ohne dass die Tiere sofort starben.

Laguesse benennt die Zellen nach Langerhans

Nach seiner Promotion hat sich Langerhans nie wieder mit dem Pankreas beschäftigt. Die von ihm beschriebenen Zellhäufchen blieben unbeachtet. Erst Prof. Laguesse in Lille wird wieder auf die eigentümlichen Inseln im Pankreas aufmerksam. Erstaunlich, dass er die Promotionsarbeit von Langerhans kennt, es wurden nur 150 Exemplare davon gedruckt und die allermeisten lagen in deutschen Universitäten. Heute sind übrigens nur noch sehr wenige davon erhalten, Hausen fand weltweit nur acht erhaltene Exemplare. Laguesse berichtet in einer Sitzung der biologischen Gesellschaft in Paris 1893 über die eigenartigen Strukturen im Pankreas und tauft sie „Islôts de Langerhans“. Laguesse hatte schon früher die Hypothese geäußert, dass es zwei Formen des Diabetes gäbe, und dass eine dieser Formen etwas mit dem Pankreas zu tun habe.

Reise in den Orient

Zunächst arbeitete Langerhans noch einige Zeit mit seinem besten Freund Friedrich Albin Hoffmann in Virchows Labor. Hoffmann verkehrte sehr häufig im Hause Langerhans. Am 18. Februar 1870 bricht Paul Langerhans dann zu einer Forschungsreise in den vorderen Orient auf. Forschungsreisen in die Ferne waren in dieser Zeit sehr beliebt, alle möglichen Sammlerstücke wurden nach Europa geschafft und ausgestellt. Auch Langerhans trieb es in die Ferne. Er hat Glück, der Geograph Prof. Heinrich Kiepert, ein Freund seines Vaters, und dessen Sohn Richard planten eine Reise in den Orient. Sie waren bereit, Langerhans mitzunehmen.

Langerhans schreibt nach Jena an Prof. Haeckel:

Hochgeehrter Herr!

Am 18. Februar gedenke ich als Begleiter des Geographen Professor Kiepert eine ungefähr fünfmonatige Reise nach Unter-Ägypten, Palästina, Syrien und Stanbul anzutreten. Es würde mich sehr freuen, wenn diese Reiseroute und meine trotz ihrer Bemühungen ja in diesem Fach nur rudimentären Kenntnisse verbunden mit gutem Willen quantum satis ausreichten, um irgendeinen zoologischen oder ähnlichen Auftrag von Ihnen auszuführen und ich bitte Sie deshalb, falls Sie einen solchen für mich haben, mir das gütigst zu schreiben …

Mit herzlichem Gruß von meinem Alten

Ihr dankbarer Schüler

Paul Langerhans.

Per Eisenbahn geht es nach Triest, von dort mit dem Schiff nach Ägypten. Langerhans kauft dort Fische für Haeckels Sammlung. Mit dem Schiff reisen sie weiter nach Jaffa und von dort reiten sie nach Jerusalem. Aus seinem Reisebericht und dem Skizzenbuch von Heinrich Kiepert sind wir über alle Details dieser Reise informiert, sie reiten nach Jericho, zum Toten Meer, nach Amman und Tiberias. Langerhans sammelt in Jerusalem Skelettknochen[5] und interessiert sich für die Leprakranken[6]. Er schreibt über seine Forschungsergebnisses an Virchow, der publiziert sie in seinem „Archiv“. Im Juni geht die Reise weiter, über Zypern und Rhodos nach Smyrna und dann nach Istanbul. Dort werden Langerhans Kleidung, sein Revolver und vor allem zwei der für Haeckel gesammelten Schädel sowie diverse andere Fundstücke gestohlen.

Als Sanitätsoffizier im Krieg 70/71

Auf dem Heimweg per Donauschiff Richtung Deutschland erfährt Langerhans, dass als Folge der von Bismarck verschärften Emser Depesche Frankreich Preußen den Krieg erklärt hat. Auch Langerhans wird einberufen. Drei Monate arbeitet er in einem Lazarett in Berlin, aber im Oktober 1970 muss Langerhans als Militärarzt nach Frankreich. Wir wissen aus den Briefen seines Freundes Hoffmann an Langerhans, wie fürchterlich die Erlebnisse eines Militärarztes in diesem Krieg waren, es gab zwar schon die Narkose, aber die Infektionen nach Operationen waren fürchterlich.

Von Berlin nach Freiburg

Im Mai 1871 kommt Langerhans zurück nach Berlin. Er findet in Berlin keine Anstellung – aber zufällig ergibt sich die Möglichkeit, Prof. Karl von Kupffer, nach dem die Kupfferschen Sternzellen benannt sind, auf eine Forschungsreise nach Norwegen zu begleiten. Einen ganzen Monat lang fischen die Beiden in der Nähe von Oslo nach Ascidien (Seescheiden).

Nach dieser Reise arbeitet Langerhans kurze Zeit im damaligen Mekka der Physiologie, bei Prof. Carl Ludwig. Viel später arbeitet dort ein junger schottischer Arzt namens Macleod, publiziert dann seine erste Arbeit in deutscher Sprache und bekommt später den Nobelpreis für die erste erfolgreiche Anwendung des Hormons, das in den nach Langerhans benannten Inseln gebildet wird. Aber dann wird in Freiburg eine Stelle in der Pathologie frei. Virchow und Ludwig setzen sich dort für ihn ein. Für diese Stelle ist aber die Habilitation Voraussetzung. Langerhans erledigt dies sehr zügig, die Habilitationsschrift über sympathische Ganglienzellen ist allerdings recht „übersichtlich“, sie umfasst nur 16 Seiten.

Er schreibt an Rudolf Virchow:

Lieber Onkel

Du bist Prosektor in Freiburg geworden. Das heißt, factisch bin ich es, aber es ist sonnenklar, dass ich daran so unschuldig bin, wie ein encephalitischer Neugeborener, denn ohne Deinen Brief hätte Ludwig nimmermehr an Ecker geschrieben und ich nimmer diese Stellung bekommen. Gestatte mir also, Dich ausdrücklich zu versichern, dass ich mir vollkommen klar darüber bin, wie groß das Missverhältnis zwischen Deiner Güte und meinem eigenen Verdienst auch hier wieder ist. ….

Dein dankbarer Schüler

Paul Langerhans

Freiburg im Breisgau 23.10.1871

Die Medizinische Fakultät in Freiburg im Großherzogtum Baden nimmt Langerhans als Privatdozent in der Anatomie auf. Er hält die Vorlesung über Osteologie und leitet den Mikroskopierkurs. Zum ersten Mal bezieht er ein Gehalt, 400 süddeutsche Silbergulden, genug um davon zu Leben. Er unternimmt 1872 Reisen nach Italien und nach Norwegen, um diverse Meeresbewohner zu untersuchen. Langerhans beschäftigt sich nie mehr mit der Bauchspeicheldrüse – ganz anders sein Freund Friedrich Albin Hoffmann, der im Labor von Prof. Frerichs, dem Lehrer Bernhard Naunyns, in Berlin weiter an diesem Thema arbeitet. Als er im Dezember 1873 auf einen Lehrstuhl an der deutschsprachigen Universität Dorpat (heute das Tartu in Estland) berufen wird, ist sein Nachfolger der junge Kölner Freiherr von Mering, der später mit Oskar Minkowski den Pankreasdiabetes entdeckt. Aus Dorpat veröffentlicht Hoffmann eine gruslige Arbeit über den „Fesselungsdiabetes“, für die er über 100 Katzen opferte. Wenn er die Katzen ohne Narkose an seinen Operationstisch fesselte, trat Diabetes auf. Kein Wunder, denn das war für die armen Tiere ein massivster Stress. Ein ethisches Komitee gab es damals weder an Russischen Universitäten noch sonst wo in der Welt.

Eine schreckliche Diagnose: Lungentuberkulose

Ende 1873 beantragt Langerhans die Ernennung zum Professor. Der Dekan der Fakultät, Prof. Kussmaul (wir kennen ihn als Erstbeschreiber der Kussmaulschen Atmung im diabetischen Koma) unterstützt die Ernennung, aber das Ministerium lehnt ab, er hat noch nicht lang genug Vorlesungen gehalten. Schließlich wird Langerhans kurz nach seinem 27. Geburtstag in Freiburg zum Professor Extraordinarius ernannt. Im Sommer 1874 reist er zusammen mit Hoffmann, der aus Dorpat gekommen ist, in die Schweiz. Die beiden wissen nicht, dass es die letzte gemeinsame Reise ist, denn am 11. September 1874 nimmt das bisher so erfolgreiche Leben von Paul Langerhans eine dramatische Wende: Der Internist Professor Nothnagel stellt bei Langerhans Lungentuberkulose fest. Nothnagel war in Freiburg ein guter Freund von Langerhans, auch als Nothnagel den Lehrstuhl in Jena innehatte, suchte Langerhans bei ihm noch internistischen Rat.

Ein bewegender Brief des Freundes

Als Hoffmann erfährt, dass Langerhans an Lungentuberkulose erkrankt ist – damals eine sehr deprimierende Diagnose – schreibt er aus Dorpat einen bewegenden Brief an seinen Freund:

Dorpat den 20.9.1874

Mein lieber Freund

Sie können sich denken, was Ihr Freiburger Brief auf mich für einen Eindruck gemacht hat. Ich erwarte, was Nothnagel noch wird ausrichten können, solange er nicht den Muth verliert, dürfen wir es auch nicht. Ich mache nur darauf aufmerksam, daß es sich jetzt nicht darum handelt etwas Besserung zu erzielen, sondern ob er Sie winterfest machen kann, wenn nicht, so dürfen Sie nicht bis spät in den October diesseits der Alpen bleiben.

Ich wünsche Sie in den nächsten großen Ferien wiederzusehen … Ich will mit Vergnügen versprechen, nach Cairo zu kommen, aber Sie dürfen nicht alles aufs Spiel setzen. Hoffnungen können wir in unserem Alter noch begraben, denn wir sind jung genug, um neue großzuziehen. Freunde dürfen wir aber nicht mehr begraben. Ich bin überzeugt, daß Sie überall in der Welt eine Ihnen erfreuliche Arbeit werden ergreifen können, wenn Sie arbeitsfähig sind. Sie dürfen zwei Jahre in Deutschland nicht höher schätzen als 20 Jahre in Ägypten … Sie müssen dieser Wendung energisch ins Auge sehen …

Lieber Freund, ich habe nicht einen so ernsthaften Brief schreiben wollen. Sie wissen auch alles, was ich Ihnen gesagt habe ebenso gut, aber unter der Last des Augenblicksund von vielen Ihrer Freunde weit getrennt, könnten Sie es einmal versäumen, sich recht zu vergegenwärtigen und darum habe ich es Ihnen noch einmal zusammengestellt.

Ich erwarte auf diesen Brief keine Antwort, morgen sollen Sie einen anderen haben.

Ihr FH

Ein bewegender Brief, es spricht daraus die große Angst um den Freund, die Prognose bei Tuberkulose war damals sehr schlecht. In von Merings Lehrbuch von 1901 steht: „Die Tuberkulose und speziell die der Lungen ist der schlimmste Feind des Menschengeschlechts, in den alten Kulturländern fallen ihr 1/7 aller Todesfälle zur Last.“ Als Behandlung riet man damals, vor der Kälte des Winters in den Süden zu entkommen. Langerhans nahm die Vorschläge seines Freundes ernst. Er reiste nach Neapel – angeblich um ein Semester lang dort am Zoologischen Institut zu arbeiten. Aber er kann kaum arbeiten, mit Fieberschüben verbringt er den Winter in Capri. Er muss seinen Urlaub mehrfach verlängern und entscheidet sich schließlich, nach Madeira zu ziehen. Madeira wurde damals als der Ort mit dem optimalen Klima zur Behandlung der Tuberkulose angesehen. Es herrscht dort ein sehr gleichmäßiges Mittelmeerklima, dies sah man damals als besonders vorteilhaft für Tuberkulosekranke an. Viele sehr begüterte deutsche und englische Patienten wurden dort hingeschickt. Es war wieder einmal seine reiche Großmutter, die Langerhans die Reise und den Aufenthalt in Madeira finanzierte. Kontrollierte Untersuchungen darüber, ob Madeira wirklich den Verlauf der Tuberkulose günstig beeinflusste, hat es nie gegeben. Mag sein, dass die reichen Familien ganz gern ihre bluthustenden Angehörigen zum Sterben möglichst weit wegschickten. Erst später kamen die hoch in den Alpen gelegenen „Zauberberg“ Kliniken zur Behandlung der Tuberkulose in Mode. Die reine Luft und die Sonne in den Hochalpen sollten helfen. Danach baute man zahlreiche Tuberkulosekliniken in den deutschen Mittelgebirgen. Eigenartig – erst sollte mildes Mittelmeerklima gut sein, dann war es die kalte Luft in den verschneiten Alpen, schließlich genügte auch der Harz. So bizarr können sich die Meinungen in der Medizin ändern, wenn keine wirksame Behandlung bekannt ist. Dass es sich bei der Tuberkulose um eine Infektion handelt, berichtete erst im März 1882 Robert Koch in seinem legendären Vortrag. Langerhans war sein Leben lang der Meinung, TBC sei eine erbliche Erkrankung, schließlich hatte die Krankheit seine halbe Familie hingerafft. Er schickte später Robert Koch eine Sputumprobe nach Berlin, kein Wunder, dass Koch nach der langen Schiffsreise des Präparats keine Tuberkelbazillen mehr finden konnte.

Abb. 5: Die berühmte Promotionsarbeit von Paul Langerhans [3]

Abb. 6: Die Familie Langerhans [1]

Abb. 7: Handbuch für Madeira von Paul Langerhans [8]

In Madeira

Im Oktober 1875 kommt Langerhans in Funchal auf Madeira an. Er kennt dort niemanden, er wohnt bettlägerig in einem Hotel und leidet unter Fieberschüben. Nach einigen Monaten geht es ihm immer besser, er mietet eine Wohnung. Er beginnt wieder mit Forschungen über seine „Meereswürmer“[7]. Durch Vermittlung von Rudolf Virchow erhält er dafür sogar ein Stipendium von 2000 Reichsmark von der Berliner Akademie.

1878 reist Langerhans nach Berlin. Er besucht auch Nothnagel in Jena und bittet um dessen ärztlichen Rat. Langerhans kündigt nun endgültig seine Anstellung in Freiburg und reist wieder nach Madeira.

Seine reiche Großmutter ist inzwischen verstorben, Langerhans muss seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Deshalb eröffnet er eine Praxis, die meisten Patienten sind deutsche Tuberkulosekranke. Einer seiner Patienten ist der sehr wohlhabende Alfred Ebarth, der mit Frau und Tochter auf Madeira auch auf eine Besserung seiner Tuberkulose hofft.

Heirat in eine Millionärsfamilie

Die Familie Ebarth war seit Oktober 1879 in Funchal. Langerhans behandelt den tuberkulosekranken Vater, auch den kleinen Sohn, der in Madeira mit nur anderthalb Jahren an Diphterie stirbt. Alfred Ebarth stirbt im April 1883. Seine Witwe Margarethe hat Langerhans versprochen, ihn nach einer Wartezeit von zwei Jahren zu heiraten. Im Januar 1885 teilt sie ihrer acht Jahre alten Tochter Frieda mit, sie habe dem „Onkel Professor“ versprochen, seine Frau zu werden. Langerhans heiratete eine sehr vermögende Dame. Ihr Vater, Gustav Jordan, besaß 50 km nördlich von Berlin in Kuhhorst bei Nauen ein Rittergut. Ihr verstorbener Mann besaß in der Nähe von Stettin ebenfalls ein Rittergut und die Papierfabrik in Spechthausen (heute ein Ortsteil von Eberswalde in Brandenburg), für deren Bau Friedrich der Große 1781 die Konzession erteilt hatte. Schon seit 1799 wurden dort Banknoten und Wertpapiere gedruckt. Die Fabrik stellte von 1874 bis 1945 das Papier für fast alle Banknoten des deutschen Reiches her. Auch das Papier für die falschen Pfundnoten, die während der „Aktion Bernhard“ im Zweiten Weltkrieg von den Nazis zur Destabilisierung der britischen Währung über London abgeworfen wurden, stammte aus dieser Fabrik. Ab 1882 wurden in der Fabrik für das ganze Deutsche Reich die neuen 100 Reichsmark Scheine gedruckt – also eine Familie, die nicht nur sehr viel Geld verdiente, sondern es buchstäblich selbst druckte. Seit 2012 leben in der längst stillgelegten Fabrik Künstler und Studenten.

Eine nur sehr kurze, glückliche Zeit

Am 13. Juni 1885 heiratet Paul Langerhans in Berlin – eine große Hochzeitsfeier zweier angesehener preußischer Familien [Abb. 6]. Es folgt die wohl glücklichste Zeit seines Lebens. Zunächst unternehmen die beiden eine Hochzeitsreise durch Deutschland. In Madeira mieten sie eine geräumige Villa, sie beschäftigen ein Hausmeisterpaar, eine Gouvernante für die Tochter und Hauspersonal. 1885 erscheint auch das von Langerhans verfasste Handbuch für Madeira. Es enthält einen Plan der Insel und der Stadt Funchal. Geschichte, Flora und Fauna der Insel werden ausführlich dargestellt. Das Buch enthält viele Hinweise für Tuberkulosekranke über die dort tätigen Ärzte und eine komplette Liste aller 93 zur Miete angebotenen Quintas. Noch 1969 steht im Merian Heft über Madeira, dass es kein besseres und so umfangreiches Buch über Madeira gibt, wie das von Langerhans verfasste[8] [Abb. 7].

Abb. 8: Das noble Heim der Familie Langerhans, die Quinta Lambert [1]

Abb. 9: Diese Inschrift wählte Paul Langerhans für sein Grab [1]

Schon 1886 verschlimmert sich der Gesundheitszustand von Paul Langerhans. Gemeinsam beschließen Paul und Margarethe aus ihren mitten in der Stadt gelegenen Haus ans Meer zu ziehen. Dazu wählen sie das schönste Haus, das es in Funchal gibt: die Quinta Lambert in der Rua da Imperatriz Amalia. Es thront in einem großen Park über dem Hafen [Abb. 8]. Mit 400 Pfund Jahresmiete ist es die teuerste Immobilie der ganzen Insel. Obwohl zunächst nur als Sommersitz geplant, ist es dort so schön, dass die Familie beschließt, ganz dorthin umzuziehen, inklusive des prächtigen Bechstein Flügels. Die Quinta Lambert (auch Quinta das Angustias) ist heute die offizielle Residenz der der Regionalregierung von Madeira, der riesige Garten ist eine Touristenattraktion.

Die Tuberkulose siegt

Leider währt das Familienglück in der Villa Lambert nur kurz. Zwar kann sich Langerhans noch über den Besuch seines Freundes Friedrich Albin Hoffmann freuen, der mittlerweile einem Ruf auf den Lehrstuhl für Innere Medizin in Leipzig gefolgt ist, den er dann bis 1920 innehat, aber schon bald verschlechtert sich der Gesundheitszustand, die Tuberkulose hat jetzt auch Kehlkopf und Nieren befallen.

Bei der letzten Reise der Familie nach Deutschland ist allen bewusst, dass es ein Abschied für immer ist. Nach der Rückkehr leidet Langerhans an unerträglichen Schmerzen, alle 12 Stunden spritzt er Morphium. Am 20. Juli 1887 stirbt Prof. Paul Langerhans in der Villa Lambert. Den Platz für sein Grab hatte Langerhans schon lange vorher selbst ausgesucht: auf dem Englischen Friedhof in Funchal. „Es ist ein wahrer Friedhof, weltverloren und still, in dem es sich gut ruhen muss“, hat er über diesen Friedhof in seinem Handbuch von Madeira geschrieben. Die Inschrift auf der marmornen Grabplatte hatte Paul Langerhans selbst gewählt: „auch wollte er ferner nicht leben, noch schauen das Licht der strahlenden Sonne“. Es stammt aus dem Lamento des Menelaos im vierten Gesang der Odyssee [Abb. 9].

Abb. 10: Das Grab von Paul Langerhans auf dem Englischen Friedhof in Funchal

Abb. 11: Paul-Langerhans-Denkmal in der Charité in Berlin

Spätes Gedenken

Erst 1973 wird das Grab wiederentdeckt und 1975 regt der Deutsche Diabetologe Dr. G Wolff an, die Deutsche Diabetes-Gesellschaft solle eine Gedenktafel auf dem Grab anbringen. Durch zwei Flugzeugunglücke verschreckt traut sich aber keiner der furchtsamen deutschen Diabetologen mehr, nach Madeira zu fliegen. So muss die Gedenktafel allein per Post nach Madeira reisen und wird vom Deutschen Konsulat angebracht. 1978 beschließt die Deutsche Diabetes-Gesellschaft, jährlich an einen verdienten Diabetologen eine Paul Langerhans Medaille zu verleihen.

1988 gedenken auch die deutschen Dermatologen dem Namensgeber der Langerhans Zellen. Am 18. März 1988 wird auf dem Grab eine Gedenktafel der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft angebracht. Eine Tafel der portugiesischen Diabetologen kommt noch hinzu, sodass für eine Tafel der EASD einfach kein Platz mehr auf dem Grab war [Abb. 10]. Die Portugiesische Diabetesgesellschaft gedenkt häufig Paul Langerhans, besonders bei Tagungen in Madeira. Sie veranlasste 2015 auch die Herausgabe der Biographie von Prof. Hausen in portugiesischer Sprache[9]. Die Europäische Gesellschaft für Diabetesforschung stiftete 2012 eine Bronzebüste, die jetzt vor dem Eingang des Pathologischen Instituts auf dem Gelände der Charité steht, wenige Meter von der Stelle, wo er die Inselzellen entdeckte. Langerhans blickt nun auf die Bronzebüste seines „Onkels“ Rudolf Virchow, die vom selben Berliner Künstler geschaffen wurde [Abb. 11].

Kapitel 3

Adolf Kußmaul – Herr Biedermeier und das diabetische Koma

Adolf Kußmaul war einer der bedeutendsten Internisten des 19ten Jahrhunderts. Diabetologen kennen seinen Namen durch seine Beschreibung der „tiefen“ Atmung bei diabetischer Ketoazidose. Aber seine wissenschaftlichen Interessen erstreckten sich über viele Bereiche der Medizin: er entwickelte die Magenpumpe, führte die Gastroskopie ein, beschrieb als erster die Periarteriitis nodosa und forschte über Sprachstörungen. Kaum bekannt ist, dass Kußmaul auch als Literat erfolgreich war. Er erfand die Figur des „Herrn Biedermeier“, mit dessen Gedichten sich Kußmaul über die kleinbürgerlichen Gewohnheiten der Zeit lustig machten, später wurde der Begriff Name einer Epoche der deutschen Kulturgeschichte. Kußmauls Memoiren „Jugenderinnerungen eines alten Arztes“ beschreiben spannend Studium und medizinische Praxis im 19ten Jahrhundert.

Abb. 1: Prof. Adolf Kußmaul [2]

Arztsohn in Baden

Am 22. Februar 1822 wird Adolf Kußmaul [Abb.1] in Graben geboren, das in Baden im Norden von Karlsruhe liegt. Der Vater musste mehrfach in Baden als Stadtphysikus umziehen, Kußmaul besuchte Schulen in Wertheim, Mannheim und Heidelberg. 1840 begann er in Heidelberg mit dem Medizinstudium. Als Student war er mit den Dichtern Viktor von Scheffel und Ludwig Eichrodt befreundet[1].

In seiner Studentenzeit engagierte Kußmaul sich für eine Studentenverbindung, die gegen die sonst üblichen Pflichtmensuren eintrat und politisch als liberal anzusehen war. Er schreibt in seinen Jugenderinnerungen: „Zu Anfang der vierziger Jahre stand das Paukwesen in vorher nie gesehener Blüte. Es war zum größten Paukunwesen geworden. Die meisten der älteren Burschen der Verbindung Suevia hatten 10–21, auch 20 und einige sogar 40 bis 60 Mensuren hinter sich“[2]. Sogenannte Paukärzte waren bei den Mensuren anwesend, Kußmaul berichtet über einen Paukarzt, der in 24 Jahren bei 20 000 Mensuren anwesend war und über die Erfolge beim wieder Annähen von Nasen und Lippenstücken publizierte. Hunde waren grundsätzlich bei den Mensuren verboten, es soll einmal eine Dogge die abgehauene Nasenspitze ihres Herrn verzehrt haben[2]. Kußmaul erlebte als Student die liberale Bewegung in Baden, die später in die badische Revolution mündete.

Kußmaul entdeckt fast den Augenspiegel

1844 wurde eine Preisaufgabe der Medizinischen Fakultät ausgeschrieben, die Arbeit sollte die Farberscheinungen im Grund des menschlichen Auges erklären. Kußmaul gewann den Preis, er war nicht weit entfernt von der Entdeckung des Augenspiegels, den Helmholtz 1851 in Königsberg erfand. Die Arbeit führte zu Kußmauls erster Publikation: „Die Farberscheinungen im Grunde des menschlichen Auges“. Er konstruierte Röhren mit verschiedenen Linsen, aber er konnte damit nichts am Augenhintergrund erkennen[3]. Er kam nicht auf die geniale Idee, die Helmholtz fünf Jahre später hatte, nämlich die zentrale Durchblicköffnung für den Betrachter. Dennoch erhielt er die Auszeichnung, die in einer großen jährlichen Zeremonie verliehen wurde. Sein Vater war unglaublich stolz auf diesen Erfolg seines Sohnes.

Studienreise nach Wien und Prag

Nach dem Staatsexamen wurde Kußmaul 1846 Assistent in Heidelberg. 1847 und 1848 reiste er zu Studienaufenthalten an die Universitäten nach Wien und Prag. Die „Neue Wiener Medizinische Schule“ hatte damals Weltruf, Kußmaul lernte Berühmtheiten wie den Anatom Carl von Rokitansky, den Pathologen und Internisten Josef von Škoda und den Dermatologen Ferdinand von Hebra kennen. Besonders beeindruckt war Kußmaul von Ignatz Semmelweis, dem „Retter der Mütter“ der damals an der Wiener Frauenklinik arbeitete. Semmelweis hatte beobachtet, dass in der Abteilung, in der nur Hebammen die Geburten betreuten, viel seltener Kindbettfieber auftrat als in der anderen Abteilung für Geburtshilfe, in der Ärzte und Medizinstudenten die Geburten durchführten. Diese kamen häufig von den Leichen im Sektionssaal direkt in den Kreissaal, ein tödlicher Weg zur Infektion der Mütter. Ohne etwas von Bakterien zu wissen (denn die waren noch nicht entdeckt) regte Semmelweis an, dass sich die Ärzte vor den Untersuchungen der Frauen die Hände mit Chlorkalk waschen sollten. Die Todesfälle durch das Kindbettfieber gingen dadurch deutlich zurück. Kußmaul mochte Semmelweis sehr gern, er schrieb über ihn: „Er hatte ein lebhaftes Temperament, große Arbeitskraft und ein warmes und gewissenhaftes Herz“. Kußmaul lernte auch den Chef von Semmelweis kennen, einen Professor Klein. Über ihn sagt Kußmaul: „Die Koryphäen der jungen Wiener Schule, namentlich Skoda und Hebra, erkannten die Tragweite der Entdeckung von Semmelweis und unterstützten ihn möglichst, Klein aber stellte sich seinen Untersuchungen hindernd in den Weg, schwerlich aus Bosheit, sondern aus Unverstand.“[2]

Der Nihilismus der „Neuen Wiener Schule“