Die globale Finanzklasse - Sighard Neckel - E-Book

Die globale Finanzklasse E-Book

Sighard Neckel

0,0

Beschreibung

Exklusivität durch Offenheit Auf den internationalen Finanzmärkten hat sich eine neue globale Klasse gebildet. Dieses Buch zeigt am Beispiel der Finanzzentren Frankfurt am Main und Sydney, wie in der Finanzklasse gemeinsame Formen ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals entstehen. Typisch für den Habitus dieser Finanzklasse ist neben den üblichen Statussymbolen ein demonstrativer Gestus von kultureller Offenheit, Diversität, Weltläufigkeit und Toleranz, in dem sich eine kosmopolitische Selbstdarstellung mit ökonomischen Interessen verbindet. Ein neuer Modus sozialer Grenzziehung wird sichtbar, der paradox erscheint: Exklusivität durch Einschluss, Abschottung durch Öffnung.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 355

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sighard Neckel, Lukas Hofstätter, Marco Hohmann

Die globale Finanzklasse

Business, Karriere, Kultur in Frankfurt und Sydney

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Exklusivität durch Offenheit

Auf den internationalen Finanzmärkten hat sich eine neue globale Klasse gebildet. Dieses Buch zeigt am Beispiel der Finanzzentren Frankfurt am Main und Sydney, wie in der Finanzklasse gemeinsame Formen ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals entstehen. Typisch für den Habitus dieser Finanzklasse ist neben den üblichen Statussymbolen ein demonstrativer Gestus von kultureller Offenheit, Diversität, Weltläufigkeit und Toleranz, in dem sich eine kosmopolitische Selbstdarstellung mit ökonomischen Interessen verbindet. Ein neuer Modus sozialer Grenzziehung wird sichtbar, der paradox erscheint: Exklusivität durch Einschluss, Abschottung durch Öffnung.

Vita

Sighard Neckel ist Professor für Gesellschaftsanalyse und sozialen Wandel an der Universität Hamburg. Lukas Hofstätter, Soziologe, hat in Frankfurt am Main und Sydney zur globalen Klassenbildung promoviert. Marco Hohmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Soziologie der Universität Hamburg.

Inhalt

1Einleitung: Soziale Prozesse in der globalen Finanzindustrie

Theorie und Methode

2Forschungsstand und theoretischer Bezugsrahmen

2.1Globale Klasse

Transnational Capitalist Class – Die Globalisierung des Managements

Exkurs: Transnationale Mobilität von Bankvorständen in Deutschland und weltweit

Finanzialisierung

2.2Globale Finanzmärkte

2.3Theoretisches Modell: Die Verbindung von Markt und Klasse

2.4Global Cities

3Fragestellungen, Untersuchungsziele, Methoden

3.1Untersuchungsziele und Forschungsdesign

Makro-Ebene: Global Cities als Lokalitäten des globalen Klassenbildungsprozesses

Mikro-Ebene: Karriereverläufe und Arbeitspraktiken im globalen Finanzwesen

Meso-Ebene: Kulturelle Muster der globalen Finanzklasse

3.2Sampling, Datenerhebung und Auswertungsmethoden

Die Auswahl der Global Cities Frankfurt und Sydney

Feldzugang und Sampling der Interviews

Die Interviews

Fokussierte Ethnographie

Empirische Analyse

4Frankfurt und Sydney als Global Cities

4.1Der Finanzplatz Frankfurt

Bevölkerungs- und Beschäftigungsstruktur

Historische Entwicklung des Finanzplatzes Frankfurt

Institutionelle Struktur

Die Bedeutung des Frankfurter Finanzplatzes im nationalen und europäischen Kontext

Stadtentwicklung in der Global City Frankfurt

4.2Der Finanzplatz Sydney

Bevölkerungs- und Beschäftigungsstruktur

Historische Entwicklung

Institutionelle Struktur

Die Bedeutung des Finanzplatzes Sydney im australischen Kontext

Stadtentwicklung in der Global City Sydney

4.2Vergleich

5Globaler Markt – globale Klasse: Professionelle Praktiken und Karrieren

5.1Karrieren im globalen Markt: Das Berufsleben der Financial Professionals

Berufseinstieg

Ausbildung, Aspiration und vorherige Arbeitserfahrung

Elias, 25, Frankfurt

William, 27, Sydney

Joshua, 60, Sydney

Jens, 47, Frankfurt

Class counts – Einstellungspraxis in der älteren Kohorte

Christopher, 50, Frankfurt

Andrej, 56, Frankfurt

Die neue Meritokratie? Einstellungspraktiken der Gegenwart

Nicholas, 47, Sydney

Ramin, 32, Frankfurt

Sebastian, 62, Sydney

Fort- und Weiterbildung

Zeugnisse und Abschlüsse

Jan, 32, Frankfurt

Globalität bei der Arbeit lernen: Internationaler Austausch und Entsendungen

Linus, 33, Frankfurt

Follow the money – Wechsel zwischen Firmen

Jannis, 33, Frankfurt

Helmut, 60, Frankfurt

Carolin, 40, Frankfurt

Dave, 61, Sydney

Exit options – Ausstiege und Karriereende

Kim, 46, Sydney

Thomas, 30, Sydney

5.2Spannungsfelder in der beruflichen Alltagspraxis

Digitale Arbeitspraxis und globale Kommunikation

Mario, 38, Frankfurt

Max, 27, Frankfurt

Kultureller und technologischer Wandel

Michael, 57, Sydney

Unternehmens- versus Marktorientierung

Geschlecht und Ethnizität

5.3Karrieren im Finanzwesen: Bildungswege einer globalen Klasse

Soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital

Doxa und Habitus

Georg, 54, Sydney

6Kulturelle Muster der globalen Finanzklasse in Frankfurt und Sydney

6.1Repräsentation

Frankfurt

Peripherie und Zentrum

Skyline-Architektur

Leitbild Nachhaltigkeit

Stadt des Euro

Repräsentative Geschäftspraktiken

Sydney

Peripherie und Zentrum

Geschichtsbewusstsein und Nähe zur Politik

Der Körper als Repräsentationsfläche

Sauberkeit und andere Selbstverständlichkeiten

6.2 Exklusivität

Frankfurt

Architektur und Gebäudepolitik

Business Clubs und vornehmes Wohnen

Exklusivität als implizites Wissen

Stefan, 28, Frankfurt

Sydney

Food Courts und Shopping Malls im Financial District

Distanz durch Architektur

Exklusive Wohnviertel in Global Sydney

6.3Aspiration

Frankfurt

Die Inszenierung eines globalen Frankfurt

Symbolordnung und aspirative Praktiken im Bankenviertel

Sandra, 31, Frankfurt

Statussymbole und Konsumnormen

Dominik, 31, Frankfurt

Sydney

Vorbild New York

Networking after Work

6.4Durchlässigkeit

Frankfurt

Das Bahnhofsviertel

Financial Professionals: Kulturelle Allesfresser

Die Dekategorisierung sozialer Praktiken

Sydney

Endogenisierung der Sozialkritik

Storytelling am Barangaroo

Historisierung von Protest

6.5Zusammenschau

Selbstrepräsentation und Sauberkeit

Inszenierte Transparenz

Gelebte Affirmation

Inklusive Exklusion

7Schluss: Die globale Klasse der Financial Professionals

Anhang

Literatur

1Einleitung: Soziale Prozesse in der globalen Finanzindustrie

Seit der Finanzkrise 2008 ist die Welt des Börsenhandels und des Investmentbankings, der Aktienwerte, Hedgefonds und Großbanken in den Mittelpunkt öffentlicher Debatten und politischer Kontroversen gerückt. Die Aufmerksamkeit, die der bisweilen opaken Finanzwelt mitsamt ihres Sonderwissens und ihrer Statussymbole seither zuteilwird, erscheint nicht verwunderlich, wenn man die ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen bedenkt, die sich mit den Finanzmärkten heute verbinden. Als Wirtschaftssektor betrachtet, sind die Finanzmärkte zu einem globalen Leitmarkt aufgestiegen, der die höchsten Renditen erbringt und den Branchen aus der ›Realwirtschaft‹ die Kennziffern und Konjunkturen vorgibt. Obgleich die Dominanz des Finanzsektors 2008 eine »systemische Desintegration der Wirtschaft« (vgl. Mayntz 2014: 4) ausgelöst hat, ist nicht zu erwarten, dass der weiteren »Finanzialisierung« (Krippner 2005) der Ökonomie künftig Grenzen gesetzt werden. Auch weiterhin werden die Finanzmärkte eine Schlüsselrolle bei der Globalisierung der Wirtschaft spielen. Freie Kapitalströme sind eine Voraussetzung des weltweiten Finanzgeschäfts, weshalb Aktienhandel, Investmentbanken und Kapitalanleger stets schon Fürsprecher der Globalisierung waren. Auch stellen sich die Finanzmärkte aufgrund ihrer Operationsweise heute per se als globale Märkte dar. Um Risiken zu verringern und Profite zu maximieren, diversifizieren Anleger in der Regel ihr Portfolio, werden Investitionen auf möglichst unterschiedliche Märkte verteilt. Dies erzeugt unzählige Verbindungen zwischen Märkten überall auf der Welt und zieht eine globale Orientierung des Finanzsektors im Ganzen nach sich (vgl. Shiller 2003; Windolf 2008).

Gesellschaftlich haben die Finanzmärkte eine massive Vertiefung sozialer Ungleichheit in praktisch allen OECD-Ländern hervorgebracht. Die hohen Profite im Finanzgeschäft ließen eine Klasse von Superreichen entstehen. Zudem bildete sich aus der international vernetzten Schar der Banker, Finanzmakler, Broker und Fondsmanager die neue Sozialkategorie der »working rich« (Sayer 2017: 253), die zu den Hauptgewinnern des Aufstiegs des Finanzwesens zählt. Zum Verlierer des Finanzhandels sind hingegen die öffentlichen Kassen geworden. Die Regierungen der Europäischen Union mussten 1,6 Billionen Euro einsetzen, um 2008 das Finanzsystem zu stabilisieren. Deutsche Steuerzahler haben, wie die Bundesbank 2015 verlautbaren ließ, 236 Milliarden Euro für die Bankenrettung aufbringen müssen. Die Schuldenkrise, aus dem Crash von 2008 und der Euro-Rettung hervorgegangen, ließ überall in der Welt die Staaten in Abhängigkeit von den Kreditbedingungen der Finanzmärkte geraten, was eine neue Form der Verbindung von ökonomischer und politischer Macht in den Händen der Finanzbranche zum Vorschein brachte (vgl. Vogl 2015).

Ursächlich mit der Finanzökonomie verbunden ist die Durchsetzung des Shareholder Value als Leitlinie der Unternehmenskontrolle, seit die Bereitstellung von Risikokapital immer stärker über die Finanzmärkte erfolgt. Dies hatte zahlreiche sozialpolitische Folgen. Der Anleger-Kapitalismus der Finanzmärkte ließ wenig übrig von der Zähmung des Profitstrebens durch eine koordinierte Marktwirtschaft, die auf der Kompromissbildung zwischen Kapital und Arbeit beruht. Ihr Pendant fand die Entfesselung der Finanzmärkte denn auch in der Deregulation des Arbeitsmarktes und einem Umbau des Sozialsystems. Die finanzdominierte Ökonomie verlor dadurch die Fähigkeit, soziale Belastungen, die aus der »Ungleichheit der Märkte« (Neckel 2015) resultieren, durch wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen abmildern zu können. In der Folge ging mit dem Anwachsen des Wohlstands bei den Spitzeneinkommen eine Prekarisierung der Lebenslagen von Bevölkerungsgruppen bis hinein in die Mittelschichten einher.

Dass zugleich der Finanzelite, seit der Occupy Wall Street-Bewegung 2011/12 als »das Eine Prozent« bezeichnet, zum öffentlichen Vorwurf gemacht werden konnte, sich auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern, ließ das bereits angeschlagene Ansehen der Banker nicht gerade steigen. Aufgrund der hohen Gehälter in der Finanzbranche, der speziellen Vergütungen wie Aktienoptionen, des Systems der Bonuszahlungen bei weitgehender Ausschaltung persönlicher Verlustrisiken und der großzügigen Abfindungen erschien das Finanzwesen als eine einzige Brutstätte ungezügelter Gier. Mit den Finanzmärkten verband sich nunmehr auch ein Gerechtigkeitsproblem, wurde hier doch an der offiziellen Geltung eines Leistungsprinzips gerüttelt, das die Finanzindustrie faktisch längst zugunsten einer Geschäftskultur des reinen finanziellen Erfolgs aufgekündigt hatte (vgl. Neckel 2008; Honegger et al. 2010).

Nicht weniger Beachtung fand, dass mit dem Aufstieg des Finanzsektors auch eine neue wirtschaftliche Akteursgruppe in Erscheinung trat, die »Dienstklasse des Finanzmarktkapitalismus« (Windolf 2008), die seit den 1980er Jahren begann, die Geschäftszentren der Weltstädte zu bevölkern. Finanzvermögen zu sammeln, um dafür Wertpapiere zu kaufen oder zu verkaufen, um Fonds zu gründen und zu verwalten, um anlagesuchendes Kapital für spekulative Finanzprodukte zu interessieren, wurde zum Metier einer neuen Berufsgruppe von Finanzintermediären, die bald eine Vielzahl von Analysten, Finanzingenieuren, IT-Experten, Change Managern, Anwaltssozietäten und Unternehmensberatern um sich versammeln sollten.

Im Kern dieser neuen Gruppe von Professionals stehen diejenigen, deren berufliche Tätigkeit direkt auf die Finanzmärkte ausgerichtet ist und die, in welcher Form und Höhe auch immer, ihre Einkünfte aus den Renditen der Finanzmärkte beziehen. Ihr wirtschaftlicher Einfluss wurde ebenso zu einem Thema kritischer Erörterungen wie ihr gesellschaftlicher Status und ihre Berufsmoral. Wichtige Beweggründe hierfür waren von vorneherein der globale Bezugsrahmen der Financial Professionals und die transnationale Reichweite ihrer ökonomischen Aktivitäten. Beides sorgte für unterschiedliche Charakterisierungen und Zuschreibungen. Aus der Perspektive einer Theorie sozialer Differenzierung ist die Herausbildung einer globalen Berufsgruppe wie der Financial Professionals Ausdruck einer spezialisierten Wissensökonomie, die sich auch in anderen Gesellschaftsbereichen, die funktional hochgradig ausdifferenziert sind, als globale Gruppenbildung darstellt – in der Wissenschaft ebenso wie im Spitzensport und überall dort, wo der Horizont weltweiter Vergleiche und Dependenzen das Denken und Handeln bestimmt (vgl. Heintz/Werron 2011). Dass die Formen der beruflichen Gruppenbildungen dabei nationale Grenzen überschreiten und in internationale Austauschprozesse und Karrieremuster eingebunden sind, wird umso wahrscheinlicher, je höher fachliche Spezialisten in der Hierarchie wissensbasierter Funktionssysteme angesiedelt sind (vgl. Schwinn 2008). Diese funktionale Bestimmung wird nicht selten mit der Vermutung verbunden, dass der Ausblick auf weltweite Zusammenhänge und der Ausgriff auf globale Märkte, Netzwerke und Informationen eine günstige Voraussetzung auch dafür ist, ein breites Spektrum kultureller Strömungen und Tendenzen gleichermaßen in sich aufnehmen zu können, da globale Experten an keine Besonderheit einer bestimmten Kultur oder einer bestimmten Gesellschaft mehr gebunden seien.

Aus konfliktsoziologischer Sichtweise und aus der Analyse sozialer Ungleichheit heraus stellt sich derselbe Prozess als »Abspaltung einer transnationalen Elite« (Münch 2009: 22) und als »Untreue und Indifferenz gegenüber Ort und Raum« (Müller 2002: 354) dar. Die Globalisierung rückt danach zwar »die Nationen näher zusammen, während sie gleichzeitig überall die Kluft zwischen den Klassen, materiell wie psychologisch, vertieft« (Rosanvallon 2013: 354). Im oberen Bereich der sozialen Rangordnung macht sich der »Vormarsch der Separatismen« (ebd.: 352) als Aufstieg einer neuen Klasse geltend, die für sich die Chancen der Globalisierung zu nutzen verstand und sie zu ihren Produktivkräften machte: Wissen, Information, Kapital. Aufgrund ihrer internen Vernetzung, ihrer wirtschaftlichen Privilegierung und einer entsprechenden Abgrenzung nach außen ist kritischen Studien zum modernen Finanzwesen zufolge (vgl. etwa Toynbee/Walker 2009; Honegger et al. 2010; Freeland 2012; Ferguson 2014; Luyendijk 2015; Sayer 2017) eine Parallelgesellschaft der Hochverdiener entstanden, die sich in einer eigenen Wirklichkeit eingerichtet hat und von den gesellschaftlichen Prozessen und Tendenzen um sie herum kaum noch erreichbar ist. Normative Verpflichtungen dem allgemeinen Wohl gegenüber relativieren sich in dem Maße, wie die Distanz zu den Realitäten konkreter Lebenswelten wächst. So entsteht eine abgegrenzte Elitenwelt mit antisozialen Reflexen, die nirgendwo zuhause ist außer in den Refugien ihrer eigenen Privilegierung. Sie hat sich ein mentales Universum ganz eigener Denk- und Handlungsart geschaffen, das von Gewinnstreben, Effizienz und Optimierung gekennzeichnet ist.

Diesen Prozess muss Ralf Dahrendorf vor Augen gehabt haben, als er bereits zur Jahrtausendwende den Aufstieg einer neuen »globalen Klasse« (Dahrendorf 2000) heraufziehen sah: akademisch gebildete Wissensexperten aus eher jüngeren Jahrgängen, die fast ausschließlich in Großstädten leben, Englisch so gut wie ihre Muttersprache sprechen, in der IT-Branche, der Finanzindustrie, den Medien und Startups arbeiten, weltweit mobil sind und sich kulturell zunehmend global orientieren. Als Ausdruck der »neuen Spaltungen und Antagonismen, die die Globalisierung hervorgebracht hat« (ebd.: 1057), betrachtete Dahrendorf insbesondere das Segment der rasch prosperierenden Professionals aus der Investmentbranche, »Händler in allerlei Realien und Irrealien« (ebd.: 1059), deren neu erlangtes Gewicht er als Vorstandsmitglied einer Bank in der Londoner City auch aus eigener Anschauung studieren konnte.

Seither ist die Frage, ob wir es heute mit einer »transnational capitalist class« (Sklair 2001) zu tun haben, die das internationale Management innerhalb und außerhalb des Finanzsektors bestimmt, in der sozialwissenschaftlichen Forschung mit unterschiedlichen Methoden verfolgt und kontrovers beantwortet worden (vgl. Gottwald/Klemm 2009; Pohlmann 2009; Kelliher et al. 2012; Hartmann 2016). Während manche Studien aus der Managementforschung zahlreiche Belege für das Entstehen einer »World Class« (Kanter 1995) der wirtschaftlichen Spitzenkräfte ausmachen konnten, kritisierten andere Untersuchungen die These von der Existenz einer globalen Wirtschaftselite als eine »Legende« (Hartmann 2016).

Wenig weiß man indes über das spezielle Management in der Finanzindustrie. Häufig werden die Financial Professionals nur als eine Teilgruppe des Wirtschaftsmanagements im allgemeinen betrachtet, obgleich zahlreiche Gründe dafür sprechen, dem internationalen Finanzwesen eine besonders starke globale Ausrichtung zu attestieren, die mit anderen Branchen so nicht vergleichbar ist. Auch herrscht ein Mangel an vergleichenden Studien, die an verschiedenen Schauplätzen der Globalisierung vertiefende Untersuchungen vornehmen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu eruieren. Bereits kurz nach dem Millennium wurde in der soziologischen Fachdiskussion moniert, dass erst »kulturvergleichende und feldspezifische Analysen die Rede von globalen Eliten auf eine solide erfahrungswissenschaftliche Grundlage stellen« könnten (Müller 2002: 359), was aber weitgehend ein Desiderat geblieben ist.

Die globale Finanzklasse füllt diese Lücke, indem es über die Financial Professionals an zwei internationalen Finanzplätzen berichtet, und hierbei anhand exemplarischer Fallstudien den Fragen nachgeht, wie es um die Herausbildung einer globalen Klasse im Finanzwesen tatsächlich bestellt ist und welche gesellschaftlichen Konsequenzen die Formierung einer globalen Finanzklasse hat. Unser Buch stellt die Ergebnisse eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsprojekts dar, das zwischen 2014 und 2017 an den Finanzplätzen Frankfurt und Sydney durchgeführt wurde. In vergleichender Weise haben wir untersucht, ob und in welcher Weise sich auf den internationalen Finanzmärkten eine neue globale Klasse bildet, die sich aus dem Investmentbanking, der Finanzanalyse und dem Börsenhandel rekrutiert. Im Mittelpunkt der Analyse stehen die professionellen Praktiken, die Karrierestrukturen und die kulturellen Muster von Finanzakteuren in Deutschland und Australien. Methodisch beruht unsere Studie auf einer makrosoziologischen Rekonstruktion der ökonomischen und institutionellen Strukturen der Finanzmärkte in Frankfurt und Sydney, auf Interviews, die wir mit unterschiedlichsten Finanzakteuren an beiden Orten geführt haben, sowie einer vergleichenden Feldforschung im Frankfurter Bankenviertel und in Sydneys Central Business District. Dass wir hierbei ausgerechnet Frankfurt und Sydney als Untersuchungsorte ausgewählt haben, hat seinen Grund darin, dass diese Städte innerhalb des Systems globaler Finanzzentren zwei ähnlich positionierte ›Global Cities‹ sind, die aber in unterschiedliche volkswirtschaftliche Strukturen eingebettet sind, weshalb sie sich als ›kritische Fälle‹ für die Untersuchung einer globalen Finanzklasse besonders gut eignen.

An den Financial Professionals sind wir nicht so sehr als Manager transnationaler Konzerne oder als Führungskräfte interessiert, die als ›Expatriates‹ in internationale Niederlassungen entsendet werden. Wir befassen uns mit Investmentbankern, Fondsmanagern, Tradern und Analysten vielmehr als Akteure, die allein schon durch ihre Teilnahme an den globalen Finanzmärkten miteinander verbunden sind und hierdurch bestimmte professionelle und kulturelle Gemeinsamkeiten ausbilden, in denen sie sich etwa in nationaler Hinsicht kaum voneinander unterscheiden. Dabei können wir nicht ausschließen, dass die von uns festgestellten Tendenzen einer globalen Klassenbildung im Finanzwesen sich nicht auch in anderen Wirtschaftszweigen oder gesellschaftlichen Bereichen vollziehen, die stark transnational orientiert sind. Um hierzu Aussagen zu machen, hätten wir die Finanzindustrie mit anderen Branchen und Metiers vergleichen müssen, was aber nicht unser Untersuchungsziel war. Vielmehr war uns an den sozialen Prozessen auf den globalen Finanzmärkten selbst gelegen, so dass wir uns auf den Vergleich innerhalb der Finanzwelt konzentrierten. Doch selbst, wenn man auch in anderen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Bereichen von ›globalen Klassen‹ sprechen könnte, käme der globalen Klassenbildung im Finanzwesen eine besonders wichtige Bedeutung aufgrund der ökonomischen Schlüsselstellung der Finanzmärkte in der heutigen Weltwirtschaft zu.

Im Einzelnen nimmt unsere Studie folgenden Verlauf:

Die Kapitel 2 und 3 stellen Theorie und Methode dar. Im Kapitel 2 gehen wir auf den Forschungsstand und den theoretischen Bezugsrahmen der Untersuchung hinsichtlich der Themen globale Klassen, globale Finanzmärkte und ›Global Cities‹ ein und erläutern unser soziologisches Erklärungsmodell. Im Kapitel 3 schildern wir unsere hauptsächlichen Fragestellungen und Untersuchungsziele sowie die Methoden, die wir angewendet haben. Hier geben wir auch nähere Auskünfte zur Auswahl von Frankfurt und Sydney sowie zum Sample der Interviewpartner, mit denen wir gesprochen haben. Die Kapitel 4, 5 und 6 sind den empirischen Analysen gewidmet. Während Kapitel 4 die Finanzplätze Frankfurt und Sydney in ihren wirtschaftlichen, institutionellen und urbanen Strukturen portraitiert, beschreibt Kapitel 5 das Berufsleben, die Karrieremuster und die speziellen Spannungsfelder im Business der Financial Professionals. Kapitel 6 befasst sich mit den kulturellen Mustern der Finanzakteure in Frankfurt und Sydney in vier unterschiedlichen Varianten sowie mit den symbolischen Ordnungen und Statusnormen, die in der Finanzwelt anzutreffen sind. Im Kapitel 7 fassen wir schließlich die Ergebnisse unserer Studie zusammen und geben einen Ausblick auf die gesellschaftspolitischen Schlussfolgerungen aus unseren Befunden.

*

Außer den Autoren waren an der Untersuchung, die diesem Buch zugrunde liegt, zu verschiedenen Zeiten noch weitere (studentische) Mitarbeiter/innen beteiligt. Für ihr Engagement im Verlauf des Projekts danken wir Salvatore Calabrese, der an unserer Vorstudie zu den internationalen Karrieren von Bankvorständen mitgearbeitet hat (siehe Kapitel 2). Weiterhin Conny Petzold, die in Frankfurt Interviews mit Financial Professionals führte, am Vergleich von Frankfurt und Sydney als Global Cities (siehe Kapitel 4) und an den ethnografischen Erkundungen zu den kulturellen Mustern von Finanzakteuren (siehe Kapitel 6) beteiligt war. Und schließlich Verena Sczech, die an den urbanen Recherchen in Frankfurt und Sydney (siehe Kapitel 4 und 6) teilnahm. Weiterhin danken wir unseren Kooperationspartnern in Sydney, insbesondere Dr. Norbert Ebert von der Macquarie University und Prof. Robert van Krieken von der University of Sydney, ohne deren kollegiale Förderung und freundschaftliche Verbundenheit uns dieses Forschungsprojekt nicht möglich gewesen wäre. Ebenso danken wir für zahlreiche Anregungen Prof. Shaun Wilson und Evelyn Honeywill vom Department of Sociology der Macquarie University sowie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Workshops, die wir zwischen 2013 und 2017 durchgeführt haben, je einen an der University of Sydney und an der Goethe-Universität Frankfurt und zwei an der Macquarie University. Für kollegiale Unterstützung in Frankfurt bedanken wir uns insbesondere bei Dr. Patrick Sachweh und Birgit Baechle-Jourdan. Am Hamburger Lehrstuhl war uns Manuela Pires eine wertvolle Hilfe.

Theorie und Methode

2Forschungsstand und theoretischer Bezugsrahmen

2.1Globale Klasse

Soziologische Untersuchungen über ›Klasse‹ und Studien zur Globalisierung stehen in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander. Auf der einen Seite haben Forschungen zur Ungleichheit der Klassen in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit erlangt, was vor allem der deutlichen Zunahme der Einkommens- und Vermögensunterschiede in den OECD-Staaten und der weltweit steigenden Zahl an Superreichen in den letzten drei Jahrzehnten geschuldet ist – dies haben etwa die Studien von Piketty (2014), Atkinson (Atkinson et al. 2011) und Alvaredo et al. (2017) dokumentiert. Auf der anderen Seite ist die Forschung zur Globalisierung von einer ambivalenten Haltung gegenüber der Kategorie ›Klasse‹ geprägt. In ihrer modernisierungstheoretischen Ausformung herrscht in der Globalisierungsliteratur die Auffassung vor, dass sich Ungleichheit nicht mehr im Klassenbegriff fassen ließe, da der Globalisierungsprozess im Ergebnis breiten Wohlstand hervorbringe (Beck et al. 1996; Beck 2000) und Individuen gleichermaßen der Meritokratie des Marktes unterwerfe. Dadurch verliere Klasse als Ungleichheitskategorie an Bedeutung zugunsten horizontaler Formen von Ungleichheit wie ethnischer Zugehörigkeit oder Geschlecht.

Auch kritische Globalisierungstheorien schließen vielfach an diese Individualisierungsperspektive an und betrachten die Funktionsweise globaler Märkte als eine Struktur, die zwar ökonomische Ungleichheit hervorbringe, aber nicht entlang von Klassenlinien. So würden durch neue Technologien und den Selbstlauf der Märkte herkömmliche soziale Hierarchien durch Ungleichheiten aufgrund systemischer Inklusion und Exklusion ersetzt.

Klassenanalysen wiederum beanspruchen, soziale Ungleichheit in ihrer Gesamtheit abzubilden. Dies geschieht vor allem in der Form von ›grand class maps‹, wie sie etwa von Wright (2000, 2015) oder Erikson und Goldthorpe (1992) in international vergleichender Weise entwickelt worden sind. Aus einer Bourdieu’schen Perspektive legten Savage et al. (2013) solche ›maps‹ für Großbritannien vor und Weeden und Grusky (2005) für die USA. ›Klasse‹ dient in diesen Untersuchungen als erklärende Variable: aus der ökonomischen Position einer Person ließen sich eine Reihe von Vorhersagen über Bildungserfolg, Gesundheit oder politische Einstellungen treffen. In einer globalisierten Ökonomie stößt diese Art von Klassenanalyse jedoch an ihre Grenzen, was – wie Milanovic (2016) aufgezeigt hat – in den nach wie vor großen Differenzen in der Einkommensverteilung zwischen OECD-Staaten und dem Rest der Welt begründet ist. So entspricht etwa ein Einkommen aus dem untersten Prozent der Einkommensverteilung der USA dem Einkommen des 75. Prozentranges in China. Solch große Differenziale, die speziell die unteren und mittleren Einkommen betreffen, führen dazu, dass im globalen Vergleich die jeweiligen Klassenzugehörigkeiten über die Lebenschancen einer Person weit weniger aussagen als das Herkunftsland, in dem die Person zuhause ist. Dadurch, so Milanovic, würden im Zeitalter der Globalisierung soziale Konflikte eher um Migrationschancen als um Klassenpositionen entstehen.

Doch auch in den globalen Ungleichheitsanalysen bleibt ein Kernthema der Soziologie sozialer Schichtung weitgehend unbeachtet: die Ökonomie selbst als ein sozialer Prozess, der zur Klassenbildung führen kann. Mit unserer Untersuchung wollen wir dazu beitragen, diesen blinden Fleck der heutigen Ungleichheitsforschung auszuleuchten. Dies verlangt, den Blick nicht auf die Gesamtheit von Klassenstrukturen, sondern auf die Arten und Weisen der Klassenformierung zu richten. Unser Verständnis von Klassenbildung geht anders als die herkömmliche Ungleichheitsanalyse nicht von der Einkommensverteilung als wichtigstem Faktor aus, sondern von einem bestimmten Set an Praktiken, durch deren Gemeinsamkeiten sich Sozialklassen bilden und von anderen gesellschaftlichen Gruppen unterscheiden. Im Fall unserer Untersuchungsfrage, ob sich auf den internationalen Finanzmärkten eine neue globale Finanzklasse bildet, rücken wir die soziale Struktur von Märkten ins Zentrum der soziologischen Betrachtung sowie die gemeinsamen professionellen und kulturellen Praktiken, die sich unter den Akteuren auf den Finanzmärkten konstituieren.

Transnational Capitalist Class – Die Globalisierung des Managements

Thematisch knüpfen unsere Untersuchungen an Forschungen zur Globalisierung des Managements (Mense-Petermann/Klemm 2009; Ghoshal/Bartlett 1990; Kanter 1995) sowie der daraus entstandenen These einer transnationalen kapitalistischen Managementklasse an (van der Pijl 1984; Robinson/Harris 2000; Caroll 2010). Ab den 1990er Jahren wurde aufgrund der Globalisierung transnationalen Unternehmen eine verstärkte Aufmerksamkeit zuteil. Aus einer kritischen Perspektive wurden diese Unternehmen als treibende Kräfte der Globalisierung bezeichnet (vgl. Altvater/Mahnkopf 2002), in deren Interesse der Abbau von wohlfahrtsstaatlichen Sicherungen vorangetrieben wurde. Andere Theoretiker, wie zum Beispiel Stichweh (2001), haben transnationalen Unternehmen die Rolle einer wichtigen Instanz auf dem Weg zur Weltgesellschaft zugeschrieben sowie eine Stabilisierungsfunktion im Umgang mit globalen Risiken (vgl. Ghoshal/Bartlett 1990).

Die amerikanische Soziologin Rosabeth Moss Kanter (1995) postulierte in diesem Zusammenhang das Entstehen eines neuen Managertypus, des »Globalmanagers«, der stets eine auf die Chancen und Risiken des Weltmarktes gerichtete Perspektive einnehmen soll und sich von lokalen Bindungen weitgehend gelöst habe. Nur eine derartige kosmopolitische Haltung ermögliche angemessen auf die Komplexität einer globalisierten Ökonomie zu reagieren. Diese neuen Entwicklungen spiegelten sich auch in geänderten Karriereverläufen und Rekrutierungsmustern des Topmanagements wieder. Karrieren würden stärker international und in verschiedenen Unternehmen vollzogen, während das klassische Schema der ›Hauskarriere‹ langsam verschwinde.

Ihre Entsprechung findet diese These aus der Managementforschung in der politökonomischen Diagnose einer Internationalisierung des Kapitals und der zunehmenden Bedeutung transnationaler Wertschöpfungsketten (Robinson 2004), was nicht ohne sozialstrukturelle Folgen bliebe. So diagnostizierten bereits in den 1980er Jahren Cox (1981) und van der Pijl (1984) die Herausbildung einer transatlantischen ›herrschenden Klasse‹, die sich neben globalen Konzernen auch auf internationale politische Organisationen und Netzwerke in Politik und Wirtschaft stütze. Ab Ende der 1990er Jahre erlangte diese Diagnose in den Debatten zur Globalisierung eine verstärkte Prominenz. Robinson und Harris (2000) sowie Sklair (2001) prägten den Begriff einer »transnational capitalist class«, die sich aus nationalstaatlich verankerten Herrschaftsstrukturen gelöst hätte und in einer globalen politischen Arena agiere.

Empirisch ist die These der Herausbildung einer transnationalen Managementklasse bis heute umstritten. Während qualitative Studien (Sklair 2001; Gottwald/Klemm 2009) auf einer kulturell-ideologischen Ebene die Entstehung eines ›globalen Selbstverständnisses‹ hervorheben, problematisieren quantitativ ausgerichtete Studien wie jene von Hartmann (2009, 2016) und Pohlmann (2009) die Annahme einer Internationalisierung des Managements. So hat zuletzt Hartmann (2016) argumentiert, dass die globale Wirtschaftselite eine »Legende« sei: Topmanager in globalen Großkonzernen würden nur selten international rekrutiert, sondern stammten zumeist aus demselben Land wie die Konzerne, für die sie arbeiteten. Auch sei die globale Mobilität von Wirtschaftseliten weit geringer als angenommen, da die meisten Manager den Großteil ihrer Karriere in ihrem Heimatland absolvierten. Verbindungen zum Stammhaus der Firma und zur nationalen Politik wären zu wichtige Machtressourcen, um sie durch eine kulturelle Loslösung vom Herkunftsland aufs Spiel zu setzen. Eine etwas andere Position nehmen netzwerkanalytische Studien ein. So gelingt Carroll (2010) der Nachweis transnationaler Netzwerkstrukturen unter Unternehmensvorständen. Die Bindungen zwischen den Vorständen globaler Großkonzerne ließen zwar nicht auf eine vereinheitlichte Kontrollstruktur weltweiter Unternehmen schließen, wohl aber auf einen beständigen Austausch unter der internationalen Managementelite und somit auf die Herausbildung einer »global business community«.

In der sozialwissenschaftlichen Diskussion zu internationalen Wirtschaftseliten wird vielfach angenommen, dass das Alleinstellungsmerkmal einer globalen Klasse zuallererst deren internationale Mobilität sei. Hierauf stellen sowohl die Forschungen zur »transnational capitalist class« ab, insofern sie die Wirtschaftselite als »the most mobile« und »the most deterritorialized« (Robinson/Harris 2000: 24) Sozialkategorie der Gegenwart beschreiben, als auch Kritiker dieser Auffassung wie Hartmann (2016), der im geringen Ausmaß internationaler Mobilität einen Gegenbeweis zur transnationalen Klassenbildung sieht. Dieser Kontroverse stehen wir skeptisch gegenüber, was sich auch aus den Einsichten einer ersten Vorstudie unserer Untersuchung ergibt.

Exkurs: Transnationale Mobilität von Bankvorständen in Deutschland und weltweit

In der Debatte um die Herausbildung einer globalen Wirtschaftselite ist die Frage nach der Transnationalität von Karriereverläufen von besonderer Bedeutung, vor allem in der Sichtweise der Kritiker der These von einer Internationalisierung des Managements. Daher haben wir uns zu Beginn unserer Forschung dazu entschlossen, eine erste ›Probebohrung‹ zu unternehmen und speziell die transnationale Mobilität von Führungskräften im Finanzsektor zu untersuchen.1 Zu diesem Zweck haben wir die Lebenslaufdaten von Vorstandsmitgliedern von Großbanken in Deutschland und weltweit analysiert und insbesondere mit den Befunden von Pohlmann (2009) zu den Transnationalisierungsprozessen im Topmanagement internationaler Konzerne verglichen. Neben Daten zur Person (Name, Geburtsjahr, Unternehmen) bezogen wir als Kriterien von ›Internationalität‹ das Geburtsland, die Staatsbürgerschaft und die Studien- und Arbeitsorte in unsere Untersuchung ein. Überdies wurden die Anzahl der Beschäftigungsjahre im derzeitigen Unternehmen, die aktuellen Zweittätigkeiten und Mandate der Untersuchungspersonen an den jeweiligen Standorten ausgewertet. Die betreffenden Daten entnahmen wir den Lebensläufen, die auf den offiziellen Internetpräsenzen von Finanzinstituten zur Verfügung gestellt wurden, sowie vertieften Recherchen im Munzinger-Archiv. Insgesamt werteten wir, mit Stand 2015, die Lebensläufe von 46 Vorstandsmitgliedern der größten deutschen Banken mit Hauptsitz in Frankfurt aus – gemessen an der Bilanzsumme waren dies: Deutsche Bank, Commerzbank, KfW Bankengruppe, DZ Bank, Landesbank Hessen-Thüringen, Hypothekenbank Frankfurt, Deka Bank Deutsche Girozentrale, ING-DiBA (Kuck 2013: 34). Dabei wurden ausschließlich die als Vorstandsmitglieder gelisteten Personen in die Untersuchung einbezogen.

Für die Auswahl der zehn größten weltweit agierenden Banken haben wir uns nach den Daten des Wirtschaftsinformationsdienstes SNL Financial (Tor/Sarafaz 2013) gerichtet und die betreffenden Banken entsprechend ihrer Bilanzsumme 2013 gereiht. Um einen länderspezifischen Bias auszuschließen, floss in unsere Auswahl auch die Verteilung nach Firmensitzen ein: China und die USA haben jeweils die meisten Banken unter den Top 100, danach folgen Japan, Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Insgesamt haben wir die Lebenslaufdaten von 82 Vorstandsmitgliedern folgender Banken untersucht: Industrial and Commercial Bank of China, China Construction Bank, Bank of America, JP Morgan Chase & Co, HSBC Holdings, Mizubishi UFJ Financial Group, Deutsche Bank, Barclays Bank, Crédit Agricole Group und BNP Paribas. In den jeweiligen Instituten wählten wir jene Positionen aus, die den Aufgaben deutscher Vorstandsmitglieder entsprechen (etwa Chief Executive Officer oder Chief Financial Officer). Wie bei der Erhebung zu den deutschen Vorstandsmitgliedern wurden auch die Lebensläufe der internationalen Vorstände anhand von Daten aus den Internetpräsenzen der Firmen sowie vertiefender Online-Recherchen rekonstruiert.

Unter den 82 Vorstandsmitgliedern internationaler Banken lag der Anteil von Männern bei 89 Prozent und der von Frauen bei 11 Prozent, was sich nahezu exakt mit den Daten zu weiblichen Führungskräften im deutschen Finanz- und Versicherungsgewerbe deckt (vgl. WSI GenderDatenPortal 2015). Wenig valide Daten gab es zur Staatsbürgerschaft. Nur bei einem knappen Viertel der in Frankfurt tätigen Führungspersonen ließ sich die Staatsbürgerschaft recherchieren. Der weitgehende Verzicht auf die Angabe der Nationalität zeigt indes an, als wie vergleichsweise unbedeutend diese Information offenbar eingeschätzt wird, zumal etwa Auslandsaufenthalte während des Studiums und der Berufskarriere stets ausführlich dargestellt werden. Dies legt nahe, die Staatsbürgerschaft nicht als alles entscheidendes Kriterium bei der Frage nach einer globalen Wirtschaftselite zu begreifen, um stattdessen den Auslandserfahrungen selbst größeres Gewicht beizumessen.

Die Vorstandsmitglieder der Banken am Finanzplatz Frankfurt waren im Durchschnitt 53 Jahre alt und arbeiteten seit zwölf Jahren für ihr jeweiliges Unternehmen. 37 Prozent hatten im Ausland studiert. Zählt man die beruflichen Auslandstätigkeiten hinzu, hatten 65 Prozent der Frankfurter Führungspersonen mindestens eine Station ihres Lebens für längere Zeit im Ausland verbracht. Die Vorstandsmitglieder der weltweit größten Banken wiederum waren im Durchschnitt 59 Jahre alt und arbeiteten 18 Jahre für ihr aktuelles Finanzinstitut. 18 Prozent hatten in einem anderen Land als dem des Firmensitzes studiert, am häufigsten in den USA, wo über die Hälfte der Vorstandsmitglieder eine Universität besuchten.

Aufschlussreiche Befunde ergeben sich, wenn man die transnationale Mobilität in den Vorständen von Industrieunternehmen und Finanzinstituten miteinander vergleicht. So konstatiert Pohlmann in seiner Studie zum Management der 100 führenden Industrieunternehmen in den USA, Ostasien und Deutschland, dass die Transnationalität von Führungskräften nicht von dauerhafter Migration oder Auslandskarrieren gekennzeichnet sei, sondern von einer »Entsendedynamik mit eher kurzfristigen Auslandsaufenthalten« (Pohlmann 2009: 513). Überdies zeige sich ein Kohorteneffekt: im Vergleich der Geburtsjahrgänge zwischen 1930 und 1940 zu den zwischen 1950 und 1965 geborenen Top-Managern habe sich der Anteil von Auslandsstudien von 20 Prozent auf 25 Prozent erhöht. Auslandstätigkeiten im Berufsleben seien von 17 Prozent auf 42 Prozent angewachsen. Insgesamt steige das Ausmaß von Aktivitäten im Ausland von 31 Prozent auf 53 Prozent bei der jüngeren Kohorte an (ebd.: 522).

Im Vergleich hierzu wiesen die von uns recherchierten Frankfurter Bankmanager eine höhere internationale Erfahrung auf. Bei den Bankvorständen der Jahrgänge 1950 bis 19652 haben 37 Prozent im Ausland studiert (im Unterschied zu 25 Prozent der Industriemanager), 54 Prozent der Bankmanager übten eine längere berufliche Tätigkeit im Ausland aus (im Unterschied zu 42 Prozent der Industriemanager), bevor sie in den Vorstand einer Frankfurter Bank eingerückt sind. Mit zusammengenommen 65 Prozent Auslandsaktivitäten (im Unterschied zu 53 Prozent in der Industrie) ist das Führungspersonal der Frankfurter Banken also häufiger international aktiv als das Industriemanagement.

Für die Vorstände der weltweit größten Banken ergibt sich ein etwas anderes Bild. Mit 40 Prozent Auslandsaktivitäten insgesamt bleiben sie sowohl hinter den internationalen Erfahrungen der Vorstandsmitglieder am Frankfurter Finanzplatz als auch hinter denen der jüngeren Kohorte (1950–1965) im Industriemanagement zurück. Im Vergleich der Jahrgänge 1930–1940 ist dies umgekehrt – hier weisen die Vorstandsmitglieder der weltweit größten Banken prozentual mehr Auslandsaktivitäten auf.

Eine genauere Analyse dieser Daten zeigt jedoch, dass die geringere Mobilität im Sample der internationalen Bankvorstände einer Sonderstellung der Vereinigten Staaten im internationalen Finanzwesen geschuldet ist. Betrachtet man die Daten getrennt nach Vorstandsmitgliedern US-amerikanischer Banken (25) und nicht-amerikanischer Banken (57) fällt auf, dass kein Vorstandsmitglied einer amerikanischen Bank außerhalb der USA studiert hat. Lässt man das US-Management jedoch außer Betracht, findet sich unter den Führungsspitzen der internationalen Banken ein Anteil von 26 Prozent, die ihr Studium zeitweilig oder durchgehend im Ausland absolviert haben. Unter Ausschluss der amerikanischen Banken steigt auch der Anteil der Führungspersonen in internationalen Banken, die einen längeren Abschnitt ihrer Karriere im Ausland absolviert haben, von 40 Prozent auf 50 Prozent. Dieser Befund dokumentiert auch, dass die Anzahl der ›mobilen‹ Vorstandsmitglieder am Finanzplatz Frankfurt mit 65 Prozent höher als im internationalen Durchschnitt ausfällt.

Insgesamt hat unsere explorative Recherche zur transnationalen Mobilität von Bankvorständen in Deutschland und weltweit ersichtliche Unterschiede zur Industrie ergeben. Die Tendenz zur Internationalisierung des Finanzwesens, die aus unseren Daten spricht, zeichnet sich für den Frankfurter Finanzplatz deutlicher ab, was im weltweiten Vergleich vor allem dem US-Finanzmanagement geschuldet ist. Dieses ist aufgrund der globalen Dominanz der nordamerikanischen Finanzindustrie international weniger mobil. Der internationale Austausch von Führungskräften im Finanzwesen ist demnach in ›sekundären‹ Finanzplätzen wie etwa Frankfurt von größerer Bedeutung als in den globalen Zentren. So befinden sich mit New York, San Francisco, Chicago und Boston vier der zehn bedeutendsten globalen Finanzplätze in den USA (vgl. Yeandle 2017). Die unterschiedlichen Mobilitätsraten lassen sich als Indiz für die Bedeutung internationaler Vernetzung in der Finanzbranche werten.

Unsere Recherche zeigt auch die Grenzen der rein quantitativen Erfassung der Lebenslaufdaten von Führungskräften auf, wie sie in der Forschung zur internationalen Wirtschaftselite verbreitet ist. Diese Methode liefert Aussagen über kurz- und langfristige Auslandsaufenthalte. Konzentriert man sich jedoch allein darauf, folgt man einer Vorstellung, nach der die Internationalisierung des Topmanagements vor allem als Wanderungsbewegung von Hochqualifizierten zu verstehen ist, verbunden mit einer dauerhaften Niederlassung im Ausland. Die transnationale Berufspraxis selbst und die Globalisierung ihrer zentralen Methoden und Kategorien werden in solchen Untersuchungen nicht erfasst. Wir wollen in unserer Studie zeigen, dass für die Frage nach einer globalen Finanzklasse der dauerhafte berufliche Wechsel ins Ausland bei weitem nicht auskunftsfähig genug ist. Zahlreiche Phänomene einer Internationalisierung des Finanzwesens bedürfen keiner physischen Mobilität, und auch die globale Klassenbildung von Financial Professionals ist nicht auf die reine Auslandserfahrung angewiesen. Vielmehr scheinen wir es im Finanzwesen heute vielfach mit einer Globalisierung ohne Migration zu tun zu haben, der wir unsere besondere soziologische Aufmerksamkeit widmen wollen.

In unserer Studie erheben wir das Ausmaß internationaler Mobilität nicht zu einem alles entscheidenden Kriterium. Vielmehr stützen wir uns auf die Einsicht in die sozialisatorische Kraft geteilter Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata, die der professionellen und kulturellen Praxis auf Finanzmärkten zugrunde liegen. Die Grundlagen dieser Untersuchungsperspektive entnehmen wir der Sozialtheorie Pierre Bourdieus (1982, 1985). Als zentrale Kategorien kommen damit das ökonomische, kulturelle und soziale Kapital von Finanzakteuren in den Blick, und ebenso deren Habitus und die geteilten Weltsichten (Doxa), welche die geschäftlichen Praktiken prägen. Hierbei interessieren uns nicht nur die höchsten Etagen des Finanzmanagements, sondern auch die darunterliegenden Ebenen der globalen Finanzindustrie. Unser Anspruch ist es, das Phänomen einer globalen Finanzklasse aus der Funktionsweise der Finanzmärkte und ihrer sozialen Einbettung selbst zu erklären, wofür wir die begrifflichen Instrumente der feldtheoretischen Sozialanalysen Bourdieus mit den Einsichten der neueren Wirtschaftssoziologie verbinden.

Finanzialisierung

Die bisherigen empirischen Untersuchungen zur Globalisierung des Managements verfolgen insofern einen sehr breiten Ansatz, als sie zur Überprüfung der These einer globalen Business Class die Führungsspitzen von Unternehmen in Industrie, Handel und Finanzbranche gleichermaßen einbeziehen. Die Vermutung liegt allerdings nahe, dass die Finanzbranche eine Sonderrolle einnimmt, wie auch unsere Exploration zu den globalen Bankvorständen gezeigt hat. So war die Deregulierung der Finanzmärkte eine Vorbedingung für das Entstehen jener global flows, die im Zentrum der Globalisierungsdebatte stehen. Es ist die interne Dynamik der Finanzmärkte und der auf ihnen stattfindenden Praktiken – etwa die der Risikostreuung über verschiedene lokale Märkte oder die entlang der Öffnungszeiten der globalen Leitbörsen organisierte Kommunikationsstruktur –, die Finanzmärkte als Paradebeispiel für globale Märkte ausweisen. Das internationale Finanzwesen operiert hierbei auf den globalsten Märkten, die wir überhaupt kennen. Seine interne Dynamik sorgt dafür, dass Finanzmärkte immer weiter expandieren und heute weltweit verbreitet sind. Dies wird in der Forschungsliteratur vornehmlich als »Finanzialisierung« bezeichnet (vgl. Epstein 2005; Windolf 2008).

Finanzialisierung meint die zunehmende Ausrichtung der gesamten Ökonomie an der Wertsteigerung von Finanzkapital, wodurch den Finanzmärkten und ihren Institutionen und Akteuren eine wachsende Bedeutung im wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Leben zukommt (Epstein 2005: 3). Die primäre Quelle von ökonomischen Profiten ist nicht mehr die industrielle Produktion, sondern die Aktivität auf Finanzmärkten (vgl. Krippner 2005). Ein zentrales Indiz dafür ist etwa die Abnahme des Anteils von Löhnen und Gehältern am Bruttoinlandsprodukt, während gleichzeitig ein immer größerer Anteil auf Profite aus Kapitalanlagen entfällt. Dies führt zu einer Polarisierung ökonomischer Ungleichheit zwischen vermögenden Kapitaleignern auf der einen und Lohnabhängigen auf der anderen Seite. Autoren wie Aglietta (Aglietta/Breton 2001) oder Boyer (2000) deuten dies als fundamentalen Wandel in der Beziehung von Kapital und Arbeit, den sie als die Entstehung eines ›finanzdominierten Akkumulationsregimes‹ charakterisieren.

Finanzialisierung bestimmt aber auch zunehmend unternehmerische Strategien. Managemententscheidungen von Aktienunternehmen richten sich am finanziellen Interesse von Investoren aus, am Shareholder Value. Finanzialisierung auf der Ebene von Unternehmen betrifft zudem die Art und Weise, wie Kontrolle über Firmen ausgeübt wird. Die firmeninterne Aufsicht des Managements durch die Anteilseigner wird durch eine externe Form ergänzt, die von einem eigenen ›Markt für Unternehmenskontrolle‹ ausgeht. Steigende oder sinkende Aktienkurse gelten als Indikatoren für die Leistungen des Managements. Je höher die Differenz zwischen dem tatsächlichen und dem vermuteten Wert einer Aktie, desto größer ist das Risiko einer feindlichen Übernahme und dem darauffolgenden Austausch der Unternehmensleitung (Höpner/Jackson 2001). Daher wird der Börsenwert zum zentralen Ziel des Managements, während andere Ziele, wie Umsatz oder Beschäftigtenzahlen, dahinter zurücktreten. Dadurch lösen sich auch jene Netzwerke miteinander verflochtener Unternehmen auf, die einst den kooperativen Kapitalismus maßgeblich geprägt haben (vgl. Höpner 2003; Beyer 2002, 2009).

Schließlich spielt Finanzialisierung auch für das Alltagsleben der Gegenwart eine gewichtige Rolle, da Finanzkalkulationen und Praktiken des Risikomanagements aus der ökonomischen in die private Sphäre übergreifen. Der Abbau sozialstaatlicher Sicherungssysteme zugunsten privater Vorsorgeinstrumente, die große Bedeutung von Privatkrediten für das Konsumverhalten der Bevölkerung und die wachsende Beteiligung vor allem wohlhabender Schichten als Anleger auf den Finanzmärkten sind hierbei als die wichtigsten Entwicklungen zu bezeichnen. Im Ergebnis entsteht mit dem »finanzialisierten Selbst« (Martin 2002) eine Konzeption von Subjektivität, die die Fähigkeit des Einzelnen, finanzielle Risiken und Chancen zu erkennen, zu managen und zu nutzen, als eine wichtige Persönlichkeitseigenschaft betrachtet.

Aus welchem Blickwinkel heraus man Finanzialisierung auch analysiert, sie erscheint zumeist als eine eigenständige Dynamik, auf die wirtschaftliche Akteure vermeintlich wenig Einfluss haben. Stattdessen werden die Finanzmärkte in der Geschäftssprache gerne personifiziert, als ein mit eigenem Willen ausgestatteter ökonomischer Akteur. Unsere Untersuchung hingegen stellt die handelnden Finanzakteure selbst in den Mittelpunkt, jene also, durch deren Zusammenwirken Finanzmärkte erst konstituiert und eingebettet werden.

2.2Globale Finanzmärkte

Unsere Forschung zur globalen Finanzklasse setzt an den geteilten Praktiken der auf den Finanzmärkten tätigen Financial Professionals an. Ihre beruflichen Fähigkeiten und ihr fachliches Wissen, ihre kulturellen Präferenzen und sozialen Routinen bilden das materiale Substrat jener Gemeinsamkeiten, die eine globale Finanzklasse zu begründen vermögen.

Über das Berufsleben der Financial Professionals – Trader, Analysten, Fonds- und Portfoliomanager – liegen bereits mehrere ethnographische Studien vor (zum Beispiel Abolafia 2001; Zaloom 2006; Ho 2009a). So zeigt etwa Knorr-Cetina (Knorr-Cetina/Brügger 2002; Knorr-Cetina 2005), dass auf den Finanzmärkten globale Mikrostrukturen von Arbeitspraktiken existieren, durch die weltweit koordinierte Kommunikationsmuster auf den Finanzmärkten geschaffen werden. Allerdings beschränken sich diese Forschungen auf die virtuellen Zusammenhänge der Finanzindustrie, materiale Praktiken außerhalb der Arbeitstätigkeit auf dem Tradingfloor spielen keine Rolle.

Windolf (2008) und Folkman et al. (2007) wiederum untersuchen Financial Professionals hauptsächlich als funktionale Akteure bei der Herausbildung des Finanzmarktkapitalismus. So habe die zunehmende Bedeutung von Kapitalmärkten für die Unternehmensfinanzierung zu einer Veränderung im Verhältnis von Management und Eigentümern und damit zu einem neuen ›principal-agent‹-Problem geführt. Investmentbanker treten einem Firmenmanagement gegenüber einerseits als Vertreter der Anleger auf und können dadurch ein großes Maß an Unternehmenskontrolle ausüben. Doch da sie hierbei nicht mit ihrem eigenen Kapital operieren, sondern mit dem ihrer Klienten, sind sie zwar an potentiellen Gewinnen, nicht jedoch an den Verlusten beteiligt. Ihre einzigartige Position als intermediäre Akteure zwischen Eigentümern und Management erlaubt es ihnen, unternehmerische Entscheidungen zu beeinflussen, ohne jedoch für die wirtschaftlichen Konsequenzen ihres Handelns einstehen zu müssen. Windolf (2008) bezeichnet daher die Berufsgruppen des Investmentbankings als »Eigentümer ohne Risiko«.

Folkman et al. (2007) haben andere Eigentümlichkeiten der Investmentbanker im Blick. Als Finanzdienstleister erzielen sie ihr Einkommen vornehmlich über Gebühren für die von ihnen angebahnten Geschäfte. Daraus resultiert das Interesse, möglichst viele Transaktionen am Finanzmarkt zu generieren, unabhängig davon, wie die langfristigen Konsequenzen für die betroffenen Firmen und deren Belegschaften aussehen. Auf diese Weise entsteht eine Ökonomie der permanenten Restrukturierung, »where everything is for sale and where assets and risks can be bundled, unbundled and traded through coupons, against a background of sharply increasing inequalities in income, wealth and security« (ebd.: 569).

Beide Studien belegen, dass die Financial Professionals eine höchst einflussreiche Position im heutigen Wirtschaftsgefüge einnehmen. Uneinigkeit besteht jedoch darüber, ob aufgrund der machtvollen »Marktlage« (Max Weber) der Investmentbanker von diesen als einer neuen sozialen Klasse gesprochen werden kann. Während Windolf die »Eigentümer ohne Risiko« tatsächlich als »Dienstklasse des Finanzmarktkapitalismus« bezeichnet, halten Folkman et al. die Wirtschaftselite der Finanzmärkte insgesamt für zu heterogen, als dass sich aus ihr eine eigene Klasse herausbilden könne.

Unsere Fragestellung lautet, ob mit der herausragenden ökonomischen Position von Finanzakteuren, wie sie Windolf und Folkman et al. herausgearbeitet haben, nicht auch soziale und kulturelle Dimensionen von Ungleichheit korrespondieren, welche die Financial Professionals ebenso als eigene Klasse formieren wie sie diese von anderen Klassen unterscheiden. Unserer Sichtweise nach ergeben sich die sozialen und kulturellen Dimensionen der Bildung einer globalen Finanzklasse aus dem miteinander verbundenen Handeln auf den Finanzmärkten selbst. Märkte betrachten wir dabei nicht als eine ökonomische Arena, in der rationale Akteure eigennützig aufeinandertreffen, sondern als ein ökonomisches Feld, das in soziale Strukturen eingebettet ist.

Zukin und DiMaggio (1990) beschreiben vier Dimensionen dieser sozialen Einbettung von Märkten und sprechen von einer strukturellen, kulturellen, kognitiven und politischen »embeddedness«. So gehen Akteure auf Märkten um deren Funktionalität willen relativ stabile Beziehungen miteinander ein, wodurch sich Märkte zugleich als eine soziale Netzwerkstruktur darstellen. Wie Granovetter (1985) argumentiert, erzeugt diese soziale Struktur das für den ökonomischen Austausch notwendige Vertrauen, das Marktteilnehmer sich untereinander zuschreiben müssen. Zur Aufrechterhaltung ihrer sozialen Strukturen sind Märkte weiterhin auf ein geteiltes Wissen und gemeinsame Verhaltensweisen von Marktteilnehmern angewiesen, mithin auf eine kulturelle Einbettung. Kognitiv bedürfen Märkte gemeinsamer Rationalitätsstandards, die in den Denkweisen der Marktakteure verankert sind.

Aufgrund der abstrakten Natur von Finanzprodukten ist es zudem notwendig, dass deren Konstruktions- und Bewertungsweise von den Finanzakteuren hinlänglich verstanden wird. So zeigen etwa Hiß/Rona-Tas (2011) am Beispiel der Preise von Kreditprodukten, dass die Wertfindung auf Finanzmärkten von der Übersetzung schwer quantifizierbarer Werte in konkrete Preise abhängig ist. Diese Übersetzung geschieht durch »kalkulative Praktiken« (Power 2004), die oftmals nur implizite Regeln für die Verwandlung von Bewertungen in Zahlen zur Verfügung stellen. Selbst scheinbar objektive Bewertungsvorgänge wie Buchhaltung (Montagna 1990; Vormbusch 2004) oder die Preisfindung auf Aktienmärkten (Zaloom 2007) lassen sich auf solche Praktiken zurückführen und sind somit Ausdruck einer kollektiven kognitiven Struktur.

Die Finanzmärkte insgesamt sind schließlich politischen Machtkämpfen ausgesetzt, mit denen ökonomische wie staatliche Akteure versuchen, in Marktstrukturen einzugreifen und sie in ihrem jeweiligen Interesse zu verändern (Zukin/DiMaggio 1990: 20).

Im Unterschied zu ökonomischen Theorien lenkt die Analyse der sozialen Einbettung von Märkten den Blick auf jene spezifischen Charakteristika des Marktgeschehens, die auf den etablierten Kollektiveigenschaften von Marktakteuren beruhen. Die Notwendigkeit dieser Kollektiveigenschaften – stabile Netzwerkbeziehungen, eine gemeinsame Kultur, geteilte kognitive Strukturen und die Beteiligung an politischen Durchsetzungskämpfen – weist Märkte als Instanzen von Vergesellschaftungsprozessen aus. Ungleichheitstheoretisch schließt daran die Frage an, ob diese Kollektiveigenschaften nicht auch die Basis für die Formierung einer globalen (Finanz-)Klasse bilden. Hierfür ist ein analytischer Rahmen notwendig, der imstande ist, ökonomische Prozesse und soziale Strukturen miteinander in Beziehung zu setzen. Dies leistet die Feldtheorie Pierre Bourdieus, die sowohl für die Untersuchung von Märkten (vgl. Bourdieu 2005; Fliegstein/McAdam 2012; Florian/Hillebrandt 2006) als auch für soziale Klassenbildungen auf nationaler wie transnationaler Ebene (vgl. Savage et al. 2013; Weiss 2005; Nowicka 2013) eine bewährte Vorgehensweise bietet.

2.3Theoretisches Modell: Die Verbindung von Markt und Klasse

Um ihrer Funktionsfähigkeit willen sind Märkte strukturell, kulturell, kognitiv und politisch notwendigerweise eingebettet in soziale Netzwerke, in kommunikative und kalkulative Praktiken sowie in politische Kämpfe und Institutionen. Diese Formen der Einbettung stellen eine Grundbedingung für Marktprozesse dar, da hierdurch gemeinsame Kultur- und Wissenshorizonte sowie institutionelle Rahmenbedingungen hergestellt werden, die stabile Interaktionen unter Marktakteuren erst ermöglichen.

Klassenpositionen wiederum sind Bourdieu zufolge maßgeblich durch die Ausstattung von Akteuren mit ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital bestimmt. Diese Kapitalsorten weisen zum einen Positionen im sozialen Raum zu und werden überdies als ›Einsätze‹ bei der Aufrechterhaltung oder Verbesserung des eigenen Rangs und bei der Konkurrenz um wertvolle Güter genutzt, wofür Bourdieu (1985) die Metapher des ›Spiels‹ verwendet.