Die Glücksbäckerei – Das magische Fest - Kathryn Littlewood - E-Book

Die Glücksbäckerei – Das magische Fest E-Book

Kathryn Littlewood

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Rose und ihre Familie haben ein Geheimnis: In ihrer Glücksbäckerei backen sie mit Hilfe eines alten Familienbackbuchs magische Kuchen, Torten und Plätzchen. Winter in Calamity Falls. Familie Glyck hat es in ihrer Backstube kuschelig warm, als es draußen anfängt zu schneien – und nicht wieder aufhört. Die Zauberbäcker werden zur Hilfe gerufen, um ein schon fast ganz eingeschneites Städtchen mit magischen Törtchen zu retten. Doch als sie ankommen ... hat ein anderes Mädchen das schon getan! Rose, die es gewöhnt ist, immer die alleinige strahlende Heldin zu sein, hat plötzlich eine Rivalin. Doch nur gemeinsam können die beiden die Welt vom Winterchaos befreien! Mit liebevoll verzierenden Vignetten – denn das Auge nascht mit! Alle Bände über ›Die Glücksbäckerei‹: Band 1: Das magische Rezeptbuch Band 2: Die magische Prüfung Band 3: Die magische Verschwörung Band 4: Die magische Verwandlung Band 5: Die magische Rettung Band 6: Die magische Zeit Band 7: Das magische Fest Band 8: Die magische Schule Band 9: Die magischen Zwillinge Serie bei Antolin gelistet

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 319

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kathryn Littlewood

Die Glücksbäckerei

Das magische Fest

Aus dem Amerikanischen von Eva Riekert

Mit Vignetten von Eva Schöffmann-Davidov

FISCHER E-Books

Inhalt

WidmungPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18

Für Jeff Sampson

Prolog

Wenn der Eismann kommt

Die Welt glitzerte weiß. Der Winter war hereingeschneit und hatte Calamity Falls mit einer weichen Schneedecke überzogen, die die Dächer, die Bäume und die verwinkelten Straßen sanft zudeckte. Glücklicherweise handelte es sich um richtigen Schnee und nicht um das Ergebnis eines zauberischen Schneesturms aus Puderzucker.

Bei Rosmarin Glyck waren solch phantastische Ereignisse nämlich an der Tagesordnung.

Nicht jedoch an diesem Morgen.

Um Punkt fünf Uhr rasselte Roses Wecker neben ihrem Bett. Normalerweise war ihre erste Reaktion, auf die Schlummertaste zu hauen – vor allem an einem Samstag. Heute jedoch nicht. Schließlich begannen heute offiziell die Winterferien, die liebste Zeit der dreizehnjährigen Meisterbäckerin. Rose freute sich, Schreibzeug gegen Holzlöffel einzutauschen, ihren geerbten Laptop gegen Töpfe und Pfannen und ihre Schulbücher gegen das familieneigene magische Backbuch. Die Winterferien bedeuteten für Rose und die Familie Glyck: Zeit für Weihnachten. (Leider bedeutete es auch hässliche Weihnachtspullover … doch Rose bemühte sich, nur das Positive zu sehen.) Schon stiegen die warmen Düfte nach Muskatnuss und Zimt von unten herauf – aus dem Teil des Hauses, der bereits vor Roses Geburt zu einer Bäckerei umgebaut worden war.

Rose knipste das Licht an und beeilte sich, in die Kleider zu schlüpfen, wobei ihr bereits lauter Ideen für Rezepte durch den Kopf gingen. Im Hinuntergehen überlegte sie sich, wie sie aus den weihnachtlichen Klassikern mit Zauberzutaten Neues machen konnte, zum Beispiel Steppende Stutenkerle, mit denen jedermann zum Startänzer einer Weihnachtsparty wurde … Oder ein Lodernder Baumkuchen mit harmlosen Flammen, die weiterbrannten, auch wenn man den Kuchen aufschnitt und verzehrte … Oder …

Sie war immer noch in Gedanken versunken, während sie den Wohnteil des Hauses verließ und ihren liebsten Ort auf Erden betrat – die Bäckerei der Familie Glyck. Draußen in Calamity Falls mochte es ja eiskalt sein, doch hier war die Luft angenehm warm und roch nach frisch gebackenen Plätzchen und Muffins, Früchtebrot und Apfelkuchen.

Der Ladenraum der Bäckerei erstrahlte vor festlichen Dekorationen und bunt verziertem Gebäck – Roses Mutter Polly war Meisterin im weihnachtlichen Ausschmücken. Tannengirlanden hingen von der Decke, kunstvolle Kränze zierten sowohl die großen Schaufenster als auch die Glasscheibe der Ladentür. Und mitten in der Ladenvitrine stand als besonderes Schmuckstück ein riesiges Lebkuchenhaus mit bunten Zuckergussfenstern. Das hatte Polly gemeinsam mit Tante Lily gemacht, deren Schokoladenladen in der Nachbarschaft lag.

Im vorderen Teil der Bäckerei stand für Rose das Wichtigste: der ausladende Weihnachtsbaum. Eine regenbogenfarbene Lichterkette wand sich blinkend hinauf bis zu dem silbernen Stern an der Spitze, doch statt Weihnachtsschmuck hingen an den Zweigen Girlanden aus Weihnachtspost, die die Familie Glyck von Freunden und Verwandten bekommen hatte.

Lächelnd zupfte Rose ein paar der Karten zurecht. Es gab einen glitzernden Gruß von Kathy Keegan, der Chefin eines großen Backimperiums. Eine Karte in Form einer Wolke kam von Marge, die einst bei Greatcake-Snack-Gebäck angestellt gewesen, nun aber eine international berühmte Ballonführerin war. Eine Postkarte aus San Caruso, die nach Haselnuss duftete, war von Griselda Farina D’Ambrosio Caruso-Smith unterzeichnet – besser bekannt als Sunny. Und direkt in Augenhöhe hing ein Foto von Roses neuen Freunden aus Kanada: dem lächelnden Cosmo, der Teig ausrollte, neben ihm zwei mehl- und teigbespritzte Babys – Emma Tilley und ihre Mutter Edith, denen Rose zu einem Neuanfang verholfen hatte.

Nach ihrer Kanadareise war Rose nun eine zu hundert Prozent bestätigte Meisterbäckerin. Die Internationale Nudelholzgesellschaft hatte die Familie Glyck seit Monaten in Ruhe gelassen, und selbst die Schule war einigermaßen angenehm gewesen, vor allem dank ihres FF (festen Freundes) Devin Stetson. Das Leben war schön, fand Rose.

Summend schob sie sich durch die Schwingtür, die vom Laden in die Backstube führte. Polly wuselte zwischen dem Küchenblock und den Backöfen herum. Eine teigverspritzte Schürze schützte ihr gemustertes Kleid. Rührschüsseln standen auf allen vorhandenen Arbeitsflächen herum, und auf einer davon lag das aufgeschlagene alte Backbuch.

»Da bist du ja endlich, Rosie!«, sagte Polly und band ihre schwarzen Locken zusammen. »Wir haben viel Arbeit vor uns, vor allem, da Chip ja seinen verdienten Urlaub genommen hat.«

Chip war Pollys Gehilfe, ein großer, glatzköpfiger Exsoldat mit weichem Herz und sturem Dickkopf. Er war in den Westen gefahren, um die Feiertage bei seiner Familie zu verbringen. Polly hatte ihm Unmengen von Dosen mit Weihnachtsplätzchen mitgegeben und ihm immer wieder versichert, dass er fahren dürfe und die Glücksbäckerei auch mal ein paar Tage ohne ihn klarkäme.

Was eine reizende Notlüge war, denn Chip fehlte an allen Ecken und Enden.

Rose schnappte sich eine Schürze vom Haken an der Wand. »Was gibt’s zu tun?«

Polly sah sich in der Backstube um. »Also, erstens hat Mrs Bacharach 24Himbeerhörnchen bestellt, und Mary Johnson braucht sieben Schoko-Minz-Pasteten.« Ein Küchenwecker klingelte, und Polly sah sich nach den Backöfen um. »Dann ist wohl das erste Blech mit Hörnchen fertig. Oder sind es die Zuckerkringel für die Swansons?«

Roses Mutter schien erschöpfter als sonst.

»Mom, wie lange bist du eigentlich schon auf?«

Polly zog ein Blech mit den gerollten Hörnchen aus einem der Öfen, zuckte mit den Schultern und sagte: »Weißt du, ich glaube, ich bin überhaupt nicht zu Bett gegangen.« Sie steckte eines der frisch gebackenen Hörnchen in den Mund, dann atmete sie heftig ein und aus, um es zu kühlen. »HEISS.« Sie schluckte. »Ehrlich gesagt, so wunderbar mein Bett auch sein mag, am liebsten bin ich doch hier, vor Tagesanbruch, um mit meiner wunderbaren Meisterbäckertochter zu arbeiten.«

»Ach, Mom!« Rose schlang die Arme um den weichen Bauch ihrer Mutter und schloss kurz die Augen.

Wirklich: Alles an ihrem Leben erschien perfekt.

Und da –

POCH!

Rose und Polly fuhren beide erschrocken auf. Wer konnte so früh an der Ladentür sein?

POCH! POCH! POCH!

Rose sah ihre Mutter besorgt an. »Da kann es wohl jemand nicht abwarten, ein Frühstückscroissant zu bekommen?«

Polly runzelte die Stirn. »Lass uns nachsehen, ehe diese Person das ganze Haus aufweckt.« Sie drehte sich um und suchte nach einem Platz, auf dem sie das Blech mit den Hörnchen absetzen konnte.

Rose trat ihr in den Weg. »Du hast die Hände voll. Wenn ich mit ausländischen Diktatoren und zeitverdrehenden Hexen fertig werden kann, kann ich es auch mit einem übellaunigen Kunden aufnehmen.«

Sie trat durch die Schwingtür in den Laden.

Eine große, nur schemenhaft zu erkennende, runde Gestalt zeichnete sich draußen vor der Tür ab und hatte die Stirn an die Scheibe gepresst.

Das Klopfen hatte aufgehört, und die Gestalt rührte sich nicht. Nachdem sich Roses Augen an die Dunkelheit draußen gewöhnt hatten, erkannte sie, wer es war. Oder besser: was es war.

Ein Schneemann.

Allerdings ein besonders gigantischer. Er war größer als zwei Meter und aus drei riesigen, übereinandergestapelten Schneebällen gemacht. Ein rot-gelb-gestreifter Schal war um seinen Hals gebunden, und auf seinem Bauch war eine Knopfreihe aus dunklem Lakritz. In dem obersten Schneeball steckte eine krumme Möhre, die wie der Rüssel eines Elefanten aussah, und zwei gläserne blaue Augen (Lutschbonbons vielleicht?) starrten Rose direkt an. Etwas schief saß ein Zylinder, von dessen Krempe kleine Eiszapfen hingen, auf seinem Kopf. In seinen Seiten steckten jeweils zwei Zweige, die sich an die Glastür drückten.

Rose lachte. Sie wusste genau, wer diesen Schneemann gebaut hatte – ihr kleiner Bruder Basil, der alte Witzbold. Warum in aller Welt er sich jedoch schon so früh am Morgen draußen rumtrieb, konnte sich Rose wirklich nicht vorstellen.

Sie wollte dem rothaarigen Scherzkeks gerade zurufen, dass er sich zeigen möge, da drang ein schwaches rosiges Glühen pulsierend aus dem Inneren des Schneemanns.

Seine Brust hob und senkte sich, und der untere Teil seines weißen Kopfes spaltete sich zu einem Mund. Die blauen Bonbonaugen sahen Rose jetzt eindringlich an, und der Schneemann schlug wieder mit seinen zwei Reisigarmen an die Scheibe. Rose lief ein Schauer über den Rücken.

Dieser Schneemann war … lebendig.

Ein schmerzerfüllter Schrei kam aus seinem Mund. »Der Winter kommt«, jammerte er. »Hütet euch!«

Kapitel 1

Kräftig rieselt der Schnee

Die meisten Leute wären wohl jetzt in Panik davongerannt. Rose hingegen war befreundet mit einem sprechenden Kater und einer sprechenden Maus, hatte vor kurzem einige Zeit in einer Stadt voller Babys verbracht, die wie Erwachsene redeten, und war von einem sprechenden Hund durch diese Stadt geleitet worden, der, man glaubte es kaum, das leibhaftige Erscheinungsbild des magischen Backbuchs gewesen war.

Es gab nicht viel, vor dem sich Rose fürchtete – der Schneemann gehörte jedenfalls nicht dazu.

Rose riss die Tür auf. Ein Schwall Winterwind umfing sie, doch sie achtete nicht darauf, sondern packte den Schneemann bei seinen Reisighänden.

»Er ist da!«, rief der Schneemann wieder. »Der Winter ist da! Er ist angekommen!«

»Immer mit der Ruhe«, sagte Rose. »Das ist doch normal. Wir haben Dezember.«

Der runde Kopf des Schneemanns fuhr herum, um das friedliche Winterwunderland von Calamity Falls zu betrachten. Die Schneedecke auf den Rasenflächen und den Autos, die im Schein der Straßenlaternen glitzerten.

»Ich meine nicht das hier«, sagte der Schneemann und drehte den Kopf wieder zurück. »Das ist nichts! Viel, viel Schlimmeres steht bevor, und glaub mir, keiner kennt den Winter besser als ich. Der Winter ist mein Element!«

»Ich glaube dir!«, sagte Rose. »Bitte beruhige dich und komm rein. Meine Mutter und ich können dir helfen.«

Der Schneemann wich zurück. »Ich – ich kann nicht reinkommen! Das ist eine Bäckerei. Mit Backöfen. Unmengen von schrecklich heißen Backöfen. Ich würde schmelzen!«

»Ach so, klar. Okay, warte hier. Bin gleich wieder da.«

Rose schloss sanft die Tür und stürzte in die Küche zurück. Polly hatte das Blech mit Hörnchen inzwischen abgesetzt – es stand wackelig auf dem großen Spülbecken – und zog sich eilig einen Wintermantel über.

Rose deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Mom, das musst du sehen. Da steht doch tatsächlich ein lebendiger, sprechender Schneemann vor der Tür. So was Verwunschenes habe ich noch nie gesehen!«

»Ich habe ihn gehört.« Polly nahm Roses Wintermantel vom Haken hinter der rückwärtigen Küchentür. »Das kann nur was Schlimmes bedeuten. Wenn sich irgendwelche Leute die Zeit genommen haben, einen Frostriesen zum Leben zu erwecken, dann müssen sie ernsthaft in Nöten sein. Lass uns gehen.«

Schon kurz darauf standen Mutter und Tochter, eingemummelt in Strickmützen und wollige Fäustlinge, draußen in der stürmischen Kälte. Sie fanden den Schneemann, wie er im Garten herumrollte und sich verzweifelt bückte, um Schnee aufzuschaufeln, den er sich an die Taille pappte. Irgendwie konnte die untere Schneekugel, aus der sein Körper war, rollen, während die beiden Kugeln, die Bauch und Kopf bildeten, aufrecht blieben.

Als er sie sah, ließ der Schneemann die letzte Handvoll Schnee fallen, ergriff Pollys behandschuhte Hände und jubelte: »Ich bin so froh, dich gefunden zu haben! Ich habe den Auftrag, die größte Meisterbäckerin diesseits des Atlantiks zu suchen. Du musst uns helfen, Rosmarin Glyck!«

Rose räusperte sich. »Ähm, ich bin Rose Glyck.«

Verwirrt drehte sich der Kopf des Schneemanns zwischen den beiden hin und her. »Oh«, sagte er schließlich. »Aber du bist so klein. Kannst du fahren?‹«

»Fahren?« Polly zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Was willst du damit sagen? Auf diesen vereisten Straßen hier fährt niemand irgendwohin, das kannst du vergessen.«

»Vergebt mir.« Der Mittelteil des Schneemanns neigte sich zu einer Verbeugung vor und zurück. »Ich bin schnell etwas übereifrig und aufgedreht.«

Nachdem er etwas ruhiger wurde, fand Rose, dass der Schneemann eigentlich ganz niedlich war.

»Mein Name ist Harold – ihr könnt mich auch Harry nennen. Ich bin aus der Stadt Sitzmark gekommen, um Hilfe zu holen. Dort tobt ein wütender Schneesturm, und der Mann, der mich erschaffen hat, Mr Dobson, glaubt nicht, dass dieser Sturm eine natürliche Ursache hat.« Harrys Stimme senkte sich zu einem Flüstern. »Sondern von irgendeinem bösen Zauber kommt. Und er glaubt, dass es sich nur um die Spitze eines Eisbergs handelt – bildlich gesprochen.« Harry gluckste. »Ihr versteht? Da ich von einem Eissturm rede –«

»Du wirst begeistert sein von meinem Bruder Basil«, sagte Rose.

»Ist er ein Schneemann?«, fragte Harry. »Andere Schneemänner sind mir am liebsten. Und natürlich Mr Dobson. Er glaubt, dass es Schneestürme geben wird, die von hier bis Maine und wieder zurück fegen, und dann wird sich jeder, der kein Schneemann ist, echt auf was gefasst machen können.«

»Entschuldige.« Polly wischte etwas frischen Schnee von Harrys Bauch. Wieder konnte Rose das schwache rosa Leuchten sehen, das tief in ihm pulsierte. »Ich habe hier in der Gegend noch nie von einem Zauberbäcker namens Dobson gehört.«

»Ach, er ist kein Bäcker«, sagte Harry. »Er ist Bonbonkocher! Das Glühen, das ihr in meiner Brust seht, ist mein Bonbonherz.«

Polly pappte ihm den Schnee wieder an. »Wunderbar. Solchen Zauber habe ich noch nie gesehen.«

»Dobson hatte schon befürchtet, dass ihr noch nicht von ihm gehört habt. Leider schenken die Zauberbäcker den Bonbonkochern niemals Beachtung.«

»Das stimmt einfach nicht«, sagte Rose. »Wir sind immer für einen verwandten Zuckerzauberer da, nicht wahr, Mom?«

Polly warf einen Blick auf die Bäckerei. Aus dem Schaufenster leuchteten sanft die Weihnachtslichter, doch die oberen Fenster waren noch dunkel. Alle schliefen noch, und Rose wurde klar, dass sie mit jeder Minute Zeit verloren, um die Bestellungen des Tages fertig zu machen.

»Glaubst du, ein Telefonanruf würde weiterhelfen?«, fragte Polly. »Wir könnten Mr Dobson anrufen, ihn vielleicht beraten in Sachen –«

Harrys Möhrennase wackelte hin und her. »Leider nicht. Alle Telefonleitungen sind tot und alle Stromleitungen auch. Ich bin vor Stunden losgefahren, und ich mache mir solche Sorgen! Mr Dobson sagte, dass womöglich viele Bewohner von Sitzmark erfrieren werden.« Harry packte Rose bei den Schultern. »Bitte, wir warten verzweifelt auf deine Hilfe.«

»Dann bekommt ihr sie auch!«, sagte Rose entschlossen. »Oder, Mom?«

»Natürlich«, sagte Polly. »Harry, unser Van steht dort drüben. Es ist das Fahrzeug, das wie ein Muffin mit einer Haube Vanillecreme aussieht. Könntest du uns wohl bitte den Gefallen tun, den Schnee abzuräumen?«

»Mit Vergnügen!« Harry rollte auf das im Schnee vergrabene Fahrzeug zu. »Ich muss sowieso wieder dicker werden, da kommt mir dieser Schnee gerade recht.«

»Rose, komm mit. Ich weiß genau, welche Rezepte wir brauchen.«

Kurz darauf waren Rose und ihre Mutter wieder in der warmen Backstube. Sie legten Mäntel, Mützen und Handschuhe ab, und Polly blätterte in den alten, vergilbten Seiten des Backbuchs. Vor Konzentration hatte sie die Zungenspitze zwischen die Zähne gesteckt.

»An was hast du gedacht, Mom?«, fragte Rose.

Polly nahm den Blick nicht von den Buchseiten. »Wetterzauber steht auf einem ganz anderen Blatt als das, was wir sonst machen. Man kann einen Schneesturm nicht mit Plätzchen füttern, und man kann einen Regenguss nicht mit –« Polly legte einen Finger auf das Blech auf dem Spülbecken, »mit Hörnchen eindämmen. Wir müssen uns darauf konzentrieren, den Menschen, die von dem Unwetter betroffen sind, zu helfen, anstatt uns mit dem Unwetter selbst zu beschäftigen.« Sie unterbrach sich plötzlich und deutete auf eine Seite. »Ah, da ist es ja.«

Rose las den Namen des Rezepts laut vor.

Flammende Knieküchle, um vom Erfrieren bedrohte Herzen zu wärmen

Es war im Jahr 687, und es herrschte der strengste Winter seit Jahrzehnten, als im tiefsten Bayernland die junge Meisterbäckerin Ilsa Glyck ihr Leben riskierte, um das Herz des Mannes, den sie liebte, warm zu halten.

In jenem Winter entsandte Herzog Theodon seine Armee in einen erbitterten Kampf um die südliche Grenze. Bei der Armee war Ilsas Herzallerliebster Lukas, der mit all den anderen Soldaten in die Schlacht ziehen musste. Zwei Wochen lang buk und verfrachtete Ilsa tagtäglich Hunderte von Küchlein, um ihren Geliebten und die Armee des Herzogs zu stärken und sie auf ihrem langen Marsch warm zu halten.

Bis in einer eiskalten Nacht, der kältesten des Jahres, ein Brief von Lukas eintraf.

Sein Schreiben stammte aus dem eisigen Feldlager am Fuß der gewaltigen Alpen, und es war nur vier Zeilen lang, denn seine Finger waren beinahe erfroren. Außer seinem eiskalten Körper, so schrieb er ihr, drohe auch sein Herz zu Eis zu werden, während er jeden Tag auf eine Schlacht zumarschierte, aus der er nicht heimzukehren glaubte. Die Erde ist ein kalter Ort, schrieb er. Ich habe Angst, mich nie wieder erwärmen zu können.

Ilsa las die Worte und weinte, während sie einen dünnen Teig ausrollte und dabei beschloss, alles zu wagen, um die Kälte aufzutauen, die ihren Liebsten bedrohte.

Für die nächste Portion ihrer Knieküchle füllte sie einen Topf bis zum Rand mit Sommersonne, die sie der neugeborenen Tochter des Herzogs, Sonnenkind, bei allem was ihr lieb war, zugedacht und für den ersten Geburtstag des Mädchens aufgehoben hatte. Ilsa musste mit ihrer Hinrichtung rechnen, weil sie an die ganz persönlichen Vorräte des Herzogs ging, doch lieber wollte sie sterben, als hinzunehmen, dass ihr Lukas an Leib und Seele erfrieren würde. Während des nächsten Tages und der darauffolgenden Nacht sowie eines weiteren Tages und einer weiteren Nacht brutzelte sie ihre Knieküchle. Es waren runde Hefeteigküchle, die über dem Knie geformt wurden. Die Mitte musste so dünn sein, dass man einen Liebesbrief dadurch lesen könne, hatte ihre Großmutter immer gesagt. Ilsa formte und formte, bis sie genug süße Kuchen hatte, um die Armee den ganzen langen Winter durchzufüttern. Und dann schickte sie die Flammenden Knieküchle an ihren Liebsten Lukas und seine Kameraden – und die Kuchen füllten ihre Bäuche mit einer Wärme, die auch hinterher noch fortglühte, aus ihrem Körper strahlte und den Schnee um sie herum zu goldenen Pfützen schmelzen ließ.

Lukas kehrte im Frühjahr heim, er und Ilsa feierten Hochzeit und brachten ein halbes Dutzend aufstrebende junge Bäcker zur Welt, und jeden Winter brutzelte Ilsa erneut eine Ladung Flammende Knieküchle, um ihre Familie sicher und warm durch den langen Winter zu bringen.

Was den Herzog und sein süßes Sonnenkind betraf, so argwöhnte niemals auch nur einer, dass die Kuchen zu des Mädchens erstem Geburtstag nichts von der versprochenen Sommersonne enthielten, denn die kleine Herzogtochter leuchtete so, dass es einen jeden und alles überstrahlte.

»Ach, wie romantisch«, sagte Rose. »Wir haben doch Sommersonne im Keller, oder?«

»Haben wir, und diese Knieküchle werden jeden in Sitzmark auftauen, so wie sie Lukas Glyck seinerzeit aufgetaut haben«, sagte Polly und schrieb das erste Rezept in ein Notizbuch. »Wir brauchen außerdem so viele Pötte Wegschubs-Schoki, wie wir aufbringen können. Die Flammenden Knieküchle erwärmen die Bewohner auf der Stelle, und das heiße Kakaogetränk wird dafür sorgen, dass die Wärme vierzehn Tage lang anhält.«

Rose beobachtete durchs Fenster, wie Harry mit seinen Reisigarmen Berge von Schnee von Tymos Auto schaufelte, während neue Schneeflocken aus dem morgendlichen Himmel sanken. Es schneite immer noch. Was, wenn es nicht mehr aufhörte? Wenn jemand tatsächlich über dem Nordosten durch Zauberkraft Schneestürme entfachte, dann konnte Calamity Falls schon bald auf der Strecke des Schneesturms liegen.

»Mom«, sagte Rose nervös. »Braucht man für die Wegschubs-Schoki nicht ebenfalls Sommersonne?«

»Das stimmt«, sagte Polly. Sie riss das, was sie gerade in ihr Notizbuch geschrieben hatte, heraus und schrieb als Nächstes das Rezept für die heiße Schokolade ab.

»Und brauchen wir nicht all unsere Gläser mit Sommersonne auf, wenn wir beide Rezepte machen, um jeden in Sitzmark zu wärmen?«

Polly hörte zu schreiben auf. »Ich weiß, was du denkst, Rose, aber falls dieser Schneesturm bis zu uns in den Süden vordringt – ich betone: falls! –, dann finden wir eine andere Methode, um ihn zu bekämpfen. Erst mal sind wir gebeten worden, den Leuten dort zu helfen, und das machen wir auch.«

Rose nickte. Was anderes hatte sie auch nicht von ihrer Mutter erwartet.

»Mr Dobson hat Harry zwar geschickt, um dich zu holen, aber du kannst nicht alleine hin. Tymo kann dich begleiten, sobald er aufgestanden ist. Inzwischen halten dein Vater, Lily und ich hier die Stellung, behalten den Überblick und treffen Vorkehrungen, falls der Schneesturm Calamity Falls erreicht.« Ihr Blick glitt zur Decke. »Großvater Balthasar wird auch mit anpacken, falls er jemals aus seinem Winterschlaf aufwacht.«

Rose nahm die herausgerissenen Seiten aus dem Notizbuch ihrer Mutter entgegen. Die Liste der mitzunehmenden Zutaten war lang. »Dann fang ich mal damit an.«

Also doch kein friedlicher Backvormittag, dachte Rose. Aber ehrlich gesagt war sie froh, mal wieder gebraucht zu werden – froh, dass die Menschen wussten, dass sie sich in schlimmen Zeiten auf Rosmarin Glyck verlassen konnten. Manchmal fühlte es sich wie eine schwere Bürde an, Meisterbäckerin zu sein, aber ansonsten? Es kam ihr eher wie eine Ehre vor.

 

Rose benötigte eine halbe Stunde, um die Einmachgläser mit Sommersonne heraufzuholen, die sie im Keller gelagert hatten. Die bläulichen Gläser waren innen wie Thermoskannen beschichtet, um das Sonnenlicht nicht entweichen zu lassen, trotzdem waren sie viel zu heiß zum Anfassen.

Ausgestattet mit einer Schmiedezange und einer viel zu großen Schweißerbrille zum Schutz ihrer Augen kam Rose mit dem letzten Glas aus dem Vorratskeller, da stürzte ihr kleiner Bruder Basil in die Backstube.

»Rose!«, rief er. »Hast du den riesigen Schneemann draußen gesehen?«

Rose wich ihrem Bruder geschickt aus und stellte das Glas mit Sonnenlicht vorsichtig auf die Arbeitsfläche. »Harry ist ja wohl kaum zu übersehen«, sagte Rose und tupfte sich die Stirn mit einem Geschirrtuch ab.

»Harry, der Schneemann!« Basil stieß die Faust in die Luft. »Der perfekte Titel für mein nächstes Buch!«

»Dein nächstes Buch?«, fragte Rose. »Was war denn dein erstes Buch?«

Basil war eingemummelt in seinen Wintermantel und Handschuhe und trug einen grünen Schal um den Hals. Seine roten Haare kamen Rose noch aufgeplusterter vor als sonst und sahen wie die Bommel einer Wintermütze aus. Er grinste seine Schwester vielsagend an. »Damit meine ich den nächsten logischen Schritt in meiner Karriere.«

Rose seufzte. »Du hast überhaupt keine Karriere –«

»Sei still!«, rief Basil. »Sonst hört meine Muse deine negative Einstellung und versteckt sich vor mir.« Basil lehnte sich an die Arbeitsfläche. »Mein nächstes Buch sollte eigentlich Bertha, die lausigste Komikerin der Westküste heißen, aber die Idee mit Harry dem Schneemann ist noch viel besser! Er wird mein Ticket zum Erfolg!«

Während Basil weiterschwafelte, eilte Rose durch die Küche, suchte saubere Rührschüsseln zusammen sowie weitere Zutaten, die sie brauchen würde: Mehl, Zucker, Butter, Kakaopulver …

»Und, was glaubst du?«, rief Basil und stellte sich ihr in den Weg. »Wird das ein Bestseller? Oder sogar ein Megaseller?«

»Sowohl als auch«, sagte Rose. »Warum gehst du nicht und, äh, hilfst Harry, den Van auszugraben? Ihm genau zuzusehen wäre vielleicht eine nützliche Vorarbeit für das Buch!«

»Super Idee!« Basil rannte zur Schwingtür. »Ich stell ihm Berta vor.« Er schwenkte sein Gummihuhn. »Vielleicht kann sie zu seiner Helferin werden!«

Nachdem Basil fort war, machte sich Rose an die Arbeit. Die Flammenden Knieküchle basierten auf einem einfachen Hefeteig, daher ließ sie den Teig erst mal in dem großen Profimixer gehen und wandte ihre Aufmerksamkeit der Wegschubs-Schoki zu. Sie goss literweise Milch in verschieden große Suppentöpfe auf dem Herd und erwärmte sie.

Während sie arbeitete, hörte Rose ihre Mutter aus der Bäckerei vorne erst mit ihrem Vater Albert reden – »Geh doch mal zu Lily und hol eine Ladung Beruhigungstrüffel. Ich brauch was für meine Nerven!« – und dann mit Roses verschlafenem älteren Bruder Tymo – »Ja, du musst fahren. Nein, du darfst keine deiner Freundinnen mitnehmen.«

Die Schoki wurde zuerst fertig – Rose musste nur die Milch mit Kakaopulver, Zucker und ein paar Prisen Salz aufkochen. Statt Vanille oder Minzöl wollte sie für den Geschmack jedoch die Sommersonne dazugeben.

Mit der Schutzbrille über den Augen zog Rose ein Paar bleigefütterte Handschuhe an. Vorsichtig schraubte sie den Deckel von einem der Gläser mit Sommersonne.

Weißes Licht strömte durch den Raum und erleuchtete die Backstube. Mit dem Sonnenlicht kam der Klang von zwitschernden Vögeln und von Meereswellen, die an ferne Sandstrände schlugen. Die Düfte nach frisch gemähtem Gras und Erdbeeren durchfluteten den Raum.

Mit Hilfe der Schmiedezange hob Rose das Glas an und ließ einen Schwall Sommersonne in den Kochtopf mit der Schoki fließen. Das Sonnenlicht versank strudelnd wie flüssiges Gold in dem braunen Getränk, und der Topf fing zu blubbern an. Der Dampf versprühte bunt glitzernde Funken wie ein Miniaturfeuerwerk.

Sobald sich die Sommersonne ganz mit der Schoki vermischt hatte, erloschen die Funken und das Licht – und übrig blieb der Duft nach Beeren, die mit Schokolade überzogen waren.

Von draußen hörte Rose Basil schreien: »Willst du mich veräppeln – du kannst deinen Kopf abnehmen? Das ist ja irre. Wie wär’s, wenn wir mal deinen Kopf mit deinem Unterteil vertauschen und deine Mitte zu deinem Kopf machen?«

»Es wäre mir sehr recht, wenn du das nicht tun würdest«, hörte Rose den Schneemann antworten. »Äh, glaubst du, dass die Meisterbäckerin Rosmarin Glyck schon bald fertig sein wird?«

Rose warf einen Blick durchs Fenster: Es war noch viel mehr Schnee gefallen. Ihr Vater Albert und ihr Bruder Tymo brachten an den Rädern des Vans gerade Schneeketten an.

Die Zeit drängte.

Rose eilte in die Speisekammer und holte einen riesigen Eisenkessel. Er war so groß, dass Basil und ihre vierjährige Schwester Nella zusammen hineinpassen würden und sogar noch Platz für Basils Gummihuhn geblieben wäre. Rose rollte den Kessel in die Backstube. Das Metall klirrte auf den Steinfliesen.

Es waren nur noch zwei Gläser mit Sommersonne übrig. Großvater Balthasar würde sich nur zu gerne zur Verfügung stellen, um nach Australien oder Brasilien zu fliegen und zwölf Gläser Nachschub zu holen, aber trotzdem hatten sie jetzt erst mal nichts mehr davon, falls sie kurzfristig noch etwas benötigten.

Vorsichtig goss Rose den Inhalt der beiden letzten Gläser in den Kupferkessel. Das Licht wallte noch bis an den Rand und ging auf wie ein Soufflé im Backofen.

Sie nahm die bleigefütterten Handschuhe ab und wandte sich dem Teig zu, den sie bereits gemacht hatte.

Normalerweise wurden Knieküchle in Öl ausgebacken, bis sie gar und knusprig waren. Aber für die Flammenden Knieküchle musste der gebackene Teig in der Sommersonne ausgebacken werden und genau so viel Sonne aufnehmen, um denjenigen zu erwärmen, der sie aß. Rose hoffte, dass sie sich in der Eile nicht verrechnet hatte. 347 war eine Menge Flammender Knieküchle. Wenn Ilsa Glyck seinerzeit jedoch jeden Tag Hunderte davon hatte backen können, na, dann konnte Rose das auch, entschied sie.

Rose teilte die riesige Teigkugel in rund 347 Stücke – genug für die gesamte Bevölkerung der kleinen Stadt Sitzmark, wenn das stimmte, was Harry gesagt hatte. Sie knetete jede kleine Teigkugel auseinander, bis die Mitte fast durchsichtig war, dann frittierte sie jedes Stück in dem Kessel mit Sommersonne.

Polly kam in die Küche, als Rose gerade das letzte Dutzend ausbriet. Es war immer noch dunkel draußen, auch wenn der graue Himmel schon die Morgendämmerung ankündigte.

»Ich habe ein paar zusätzliche Zutaten in deine Gürteltasche gesteckt, für den Fall der Fälle«, sagte Polly zu Rose, während sie die abkühlenden Knieküchle in Gebäckdosen füllten und die Schoki in große irdene Henkeltöpfe gossen, die jeweils mit einem kleinen Zapfhahn am unteren Rand versehen waren, aus dem man das Getränk ablassen konnte. »Tymo wärmt den Van schon mal vor.« Sie verzog das Gesicht. »Oder besser, den Motor. Wenn wir nicht wollen, dass Harry schmilzt, müsst ihr während der ganzen Fahrt die Klimaanlage anlassen.«

»Ich zieh auf jeden Fall noch einen zweiten Pullover an«, sagte Rose.

Ehe Rose hinauseilen konnte, legte Polly ihr die Hände auf die Schultern. »Seid vorsichtig dort draußen, Rosie. Ich weiß, du rettest die Lage.«

»Wir retten sie«, sagte Rose. »Das ist die Aufgabe der Glycks.«

 

Der Van war fertig gepackt, als Rose aus dem Haus trat. Sie war eingemummelt in ihren Wintermantel, dicke Stiefel, lila Lederhandschuhe und eine regenbogenfarbene Strickmütze. Um die Taille, verborgen unter ihrem Mantel, trug sie ihre neongrüne Gürteltasche mit den zahlreichen Fläschchen voller Notzutaten.

Tymo stand verschlafen neben dem Van und legte ein Holzbrett wie eine Rampe an den Beifahrersitz. Neben ihm stand Harry der Schneemann und knackte nervös mit den Reisigfingern. Seine Brust hob sich, als Rose angerannt kam.

»Ich bin so froh, dass du zurück bist, Rosmarin Glyck!«, sagte er. »Wir müssen uns beeilen.«

Tymo gähnte. Obwohl er klugerweise einen Mantel angezogen hatte, trug er darunter noch immer seine Schlafanzughose. »El hombre de nieve hat recht, hermana«, sagte er. »Ich habe heute Nachmittag nämlich drei Dates. Also, um genau zu sein, ein Date mit drei Mädchen, die eine riesige Schneeballschlacht austragen, um zu entscheiden, mit wem ich das zweite Date, das echte Date, habe. Das darf ich nicht verpassen.«

Tymos Haare, die normalerweise zu einer wellenartigen Tolle gegelt waren, sahen unordentlich aus – er war ja gerade erst aus dem Bett gekommen. Rose war es völlig schleierhaft, warum irgendein Mädchen Schneebälle nach ihren Freundinnen werfen sollte, nur um mit ihrem Bruder ein Date zu haben, aber vielleicht würde sie das kapieren, wenn sie auch sechzehn war.

Rose und Tymo halfen Harry, über die Rampe auf den Beifahrersitz zu rollen, und obwohl sie viel schieben und seinen Schneekörper wieder zurechtkneten mussten, saß er schon bald eingequetscht direkt vor der Lüftung der Klimaanlage, wo es für ihn am sichersten war.

Während Tymo die Rampe hinten im Van verstaute, stieg Rose ein. Die Rücksitze waren zusammengeklappt, um Platz zu schaffen für die Stapel Gebäckdosen und die riesigen Bottiche mit Schoki, die zum Glück einiges an Hitze abgaben, so dass Rose nicht fröstelte.

Hinter sich hörte Rose eifriges Kritzeln. Sie drehte sich um und sah, wie Basil mit einem Bleistift in ein Notizbuch schrieb.

»O nein.« Rose deutete auf die geöffnete Tür. »Raus mit dir. Mom bringt mich um, wenn sie dich hier drin sieht.«

Basil kuschelte sich tiefer in die Wolldecke, die er um sich gehüllt hatte. »Alle Erfolgsschriftsteller machen Feldstudien. Ich darf Harrys Rückkehr nicht verpassen, wenn ich will, dass mein Roman authentisch wird.«

»Du schreibst einen Roman?«, fragte Tymo und setzte sich hinter das Lenkrad.

»Einen Roman über … mich?« Harrys Schneeballkopf drehte sich einmal um seine Achse, damit seine blauen Augen zu Basil blicken konnten.

Basil machte eine großspurige Handbewegung. »Die Rückkehr von Harry dem Schneemann: Schelmenroman von großer Bedeutung, niedergeschrieben von Meister Basil B. Glyck dem Dritten.« Er sah Rose mit Hundeaugen an. »Schick mich nicht weg, Rosie. Bitte-bitte-bitte –«

»Also gut«, gab Rose nach. »Aber wenn Mom das rausfindet, dann war das Tymos Idee.«

Tymo fuhr rückwärts aus der Einfahrt, während Harry mit einem Reisigarm nach vorne deutete. »Die Zeit rast!«, brüllte er. »Bringt das Schneemobil hier endlich auf die Piste!«

Kapitel 2

Eisige Rutschpartie

Anderthalb Stunden später – nach einer langsamen, schaurigen Fahrt über von Schneesturm gepeitschte Straßen – kamen Rose, Tymo, Basil und Harry in Sitzmark an.

Rose hatte erwartet, in eine Stadt einzufahren, die unter Schnee und Eis begraben war, mit Häusern, dunkel und eingefroren, sowie abgerissenen Stromleitungen, die Funken sprühten. So wie Harry es beschrieben hatte, musste Sitzmark von einer wahren Winterkatastrophe heimgesucht worden sein.

Stattdessen waren die Straßen geräumt, warmes Licht füllte die Fenster, und vor fast jedem zweiten Haus hingen Lichterketten in den Bäumen. Eingemummelte Einwohner stapften vergnügt zu ihren Autos – von denen kein einziges ausgegraben werden musste –, und Kinder machten quietschend Schneeballschlachten oder Schnee-Engel in den frischen Schnee.

Selbst der Schneesturm, der sie unterwegs verfolgt hatte, war vorbei.

»Sind wir irgendwo falsch abgebogen?«, fragte Rose.

»Nein«, sagte Harry, und auch er klang verwirrt. »Das ist Sitzmark.«

Langsam steuerte Tymo den Van durch die Straßen. »Du hast doch gesagt, die Stadt sei in Nöten«, grummelte er. »Schnee so hoch wie Elefanten. Häuser wie Eisblöcke. Düsternis über dem ganzen Land.«

»Oh«, sagte Basil und machte Notizen. »Darf ich die Zeilen in meinem Roman verwenden?«

»Erzähl mir nicht, dass ich für nichts und wieder nichts an einem Samstag vor dem Mittag aufstehen musste«, beendete Tymo seine Klage.

»Sie ist in Nöten!«, versicherte Harry hartnäckig und rang die Reisigfinger. »Oder war es zumindest. Etwas Gutes muss geschehen sein, während ich darauf gewartet habe, dass ihr Schlafmützen in die Hufe kommt.« Harrys Mund verzog sich zu einer übertriebenen Grimasse. »Nicht, dass ich euch nicht dankbar wäre!«

Basil schälte sich aus seiner Decke. »Wenn ich diese Szene schreibe«, sagte er, »dann fahren wir in die Stadt ein und entkommen nur knapp einer Lawine. Tymo muss herabstürzende Schneebretter umfahren!«

»Das gefällt mir«, sagte Tymo. »Lässt mich wie ein Held dastehen.«

»Fahr mal einfach weiter.« Rose beugte sich zwischen den beiden Vordersitzen vor. »Vielleicht braucht Mr Dobson immer noch unsere Hilfe.«

Bald hatten sie die Stadtmitte von Sitzmark erreicht. Es gab ein Rathaus und ein Postamt und eine ganze Reihe altmodischer Geschäfte. Mittendrin stand ein winziger Laden aus rotem Backstein mit tannengrüner Markise: Dobson Deliziös.

»Steht da Dobsons Delikatessen?«, fragte Basil und kniff die Augen zusammen. »Ich hab gedacht, der Typ macht Bonbons, nicht Feinkost.«

»Deliziös, Bruderherz«, sagte Tymo und fuhr auf einen freien Platz am Straßenrand. »Lecker!« Er grinste höhnisch in den Rückspiegel. »Sollte ein berühmter Schriftsteller nicht lesen können?«

Basil machte eine wegwerfende Geste. »Vor allem muss man geniale Ideen haben. Und ich hatte den super Einfall für mein Buch, dass man in Mr Dobsons Laden Süßigkeiten mit Käse bekommt.«

»Ich weiß nicht, ob man das unter deliziös versteht«, sagte Rose skeptisch.

Harry hatte während des Geplänkels der Kinder besorgt aus dem Seitenfenster geblickt, und kaum hatte Tymo den Motor abgestellt, schob der Schneemann die Seitentür auf und knallte im nächsten Moment auf den Gehweg. Es gab ein vernehmbares Knack!, als sein rechter Arm entzweibrach.

Rose sprang hinaus und hockte sich neben den Schneemann. »Alles in Ordnung? Wie kann ich dir helfen? Müssen wir … deinen Arm eingipsen oder so was?«

Harrys Kopf drehte sich hin und her. »Nö, ich such mir einen neuen abgebrochenen Ast und bin dann wieder perfekt.« Mit seiner heilen Hand packte er sich etwas Schnee ins Gesicht. »Meine Güte, war das vielleicht heiß in dem Van. Ich konnte nicht schnell genug herauskommen. Was für ein tolles Gefühl, wieder richtig in der Kälte zu sein.«

Rose verzog das Gesicht. Die Klimaanlage war so kalt gewesen, dass sie trotz der Handschuhe befürchtete, blau gefrorene Fingerspitzen zu haben.

»Ihr findet Mr Dobson drinnen«, sagte Harry und deutete mit dem abgebrochenen rechten Arm, der jetzt nur noch halb so lang war, auf das Haus. »Inzwischen suche ich mir einen neuen Arm.«

Ein paar frühe Kunden liefen umher, aber keiner schien sich besonders an dem riesigen, lebendigen Schneemann zu stören. Rose fragte sich, wie oft dieser Mr Dobson seinen Bonbonzauber wohl zur Schau stellte.

Basil starrte den Laden an. »Sabber ich? Mir läuft gerade so richtig das Wasser im Mund zusammen. Schaut euch das doch nur mal an! Warum stellt Mom als Nebenerwerb keine Bonbons her?«

Er rannte gefolgt von Rose und Tymo zum Eingang. An der Tür bimmelte ein Glöckchen – genau wie in der Glücksbäckerei –, und alle drei wurden in die süßen Düfte von Karamell und Schokolade gehüllt.

Der Ladenraum erstreckte sich vor ihnen wie das reinste Bonbon-Wunderland. Eine riesige runde Theke mit einer altmodischen Registrierkasse nahm den Hauptraum ein – und flankiert wurde die Theke zu beiden Seiten von zwei Meter hohen Nussknackern aus durchsichtigem, bunt gefärbtem Zucker mit kunstvoll geriffelten Zuckergussbärten.

Basil blieb mitten im Raum stehen und glotzte die Vitrinen an, die gefüllt waren mit Schokoladentieren, regenbogenfarbenen Zuckerwindrädchen, Lakritzschlangen und rotweißgestreiften Pfefferminzstangen. Es gab Schalen voller Salztoffees und Teller mit gedrehten Karamellbonbons und eine ganze Wand mit Körben voller Geleebonbons.

Wie die Glücksbäckerei war Dobson Deliziös für die Feiertage geschmückt. In jeder Ecke standen kleine Weihnachtsbäume, behangen mit glasierten Karamellen in allen möglichen kunstvollen Formen.

»Salzige Heringe!«, krähte Basil und war kurz davor, sich in ein Fass mit den Gummibonbons zu stürzen, die wie Fische geformt waren.

Tymo packte ihn am Kragen. »Das ist unhygienisch, hermano.« Er entdeckte einige Adventskalender, hinter deren Türchen Schokoladenüberraschungen verborgen waren. »Ich wette, die Mädchen, die die Schneeballschlacht verlieren, würden so einen als Trostpreis zu schätzen wissen. Was meinst du, Rose? Mädchen lieben doch Schokolade, oder?«

Rose zuckte mit den Schultern. Sie beachtete ihre Brüder kaum. Sie kroch um Regale mit Kaugummi und stellte sich auf die Zehenspitzen, um über eine Auslage von Zuckerstangen zu spähen, aber von Mr Dobson konnte sie keine Spur entdecken.

Sicher, draußen sah alles okay aus, aber er konnte ja trotzdem in der Klemme stecken.

Auf einmal hörte sie aus dem hinteren Ladenteil Gelächter.

»Hier entlang!«, rief sie. Verborgen hinter einem Ständer mit Schokoladentafeln entdeckte sie eine kleine Eichentür, die sie langsam aufdrückte.

Hinter der Tür befand sich ein gemütlicher Wohnbereich. Die Holzböden waren mit Perserteppichen ausgelegt, und in einem großen steinernen Kamin an einer Wand loderte ein warmes Feuer. An einem ovalen Tisch vor dem Kamin saßen zwei Menschen bei einer Kanne Tee.

Der eine war ein großer, vergnügter Mann mit nussbrauner Haut und leuchtend weißem Haar. Auf seiner Nase saß eine goldgeränderte Brille, und er wurde von einem Lachen geschüttelt. Die Person, die ihm gegenübersaß, hatte wohl gerade einen richtig guten Witz gemacht. Dabei handelte es sich um ein außergewöhnlich schönes Mädchen in Roses Alter, dessen dunkle Haut übersät war mit Sommersprossen. Schwarze Haare fielen ihr in Wellen auf die Schultern, und sie trug einen schicken weißen Mantel mit einem Kragen aus Webpelz, fast so, als sei sie gerade aus einem Nobelskiort gekommen.

Mr Dobson und das Mädchen entdeckten Rose gleichzeitig. Der alte Mann erhob sich aus seinem Stuhl. »Ich komme sofort, um dir zu helfen, Fräulein. Dieser Raum ist nur für Angestellte –«

»Ähm«, sagte Rose, »genaugenommen sind wir gekommen, um Ihnen zu helfen. Haben Sie einen Schneemann namens Harry losgeschickt, um mich zu suchen?«

»Oh!« Mr Dobson klatschte aufgeregt in die Hände. »Du musst die Meisterbäckerin Rosmarin Glyck sein!«

»Hm«, machte das Mädchen und musterte Rose von oben bis unten, während sie langsam an ihrem Tee nippte.

»Das ist mi hermana«, bestätigte Tymo und drängte sich an Rose vorbei ins Zimmer. »Aber lassen Sie das mit der Meisterbäckerin besser. Wir wollen nicht, dass es ihr zu Kopfe steigt.«

»Und mich gibt’s auch noch«, sagte Basil. »Meisterschriftsteller Dr. Basil Glyck. Mächtig toller Laden, Mr Dobson, Sir. Sagen Sie, Sie bieten wohl nicht zufällig Proben von Ihren Bonbons an, wie, äh, von den Salzigen Heringen? Nur so als Beispiel, ich esse alles.«

Ehe der Bonbonkocher antworten konnte, erhob sich das Mädchen vom Tisch. Sie war mindestens zehn Zentimeter größer als Rose – was auf Rose irgendwie eigenartig einschüchternd wirkte.

»Rosmarin Glyck?«, sagte das Mädchen kühl. »Kann nicht behaupten, von dir gehört zu haben.«

Tymo legte den Arm um Roses Schulter und beugte sich zu dem Mädchen. »Sie hat nur ein paarmal die Welt gerettet, keine große Sache. Aber genug von ihr, lass uns über mich reden. Ich heiße Tymo.« Er spannte die Muskeln seines freien Arms. »Ich spiele Basketball.«

Das Mädchen beachtete Tymo nicht weiter, sondern nahm Rose ins Visier. »Ich heiße Nevika. Als ich von den Nöten hier in Sitzmark gehört habe, habe ich mich sofort aufgemacht, um zu helfen.«