Die Glücksbäckerei – Die magischen Zwillinge - Kathryn Littlewood - E-Book

Die Glücksbäckerei – Die magischen Zwillinge E-Book

Kathryn Littlewood

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Beschreibung

Der neunte und letzte Band der »Dein SPIEGEL«-Bestsellerreihe – die perfekte Backmischung aus magisch gut und echt spannend! Die Glücksbäckerei ist überfallen worden! Ausgerechnet an dem Tag, an dem Rose ihre Ausbildung am Nordpol antreten soll. Was haben die Ganoven gesucht? Ist ihre Familie in Gefahr? Und was hat das alles mit Roses verschwundener Mitschülerin Lucy zu tun? Rose ist hin und her gerissen zwischen den Verpflichtungen zu Hause und den Herausforderungen in der Ferne. Doch dann scheint es, als ob sie am Ende der Welt genau das lernen kann, was sie braucht, um alle Rätsel auf einmal zu lösen: das Schattenbacken. Auch wenn es das Gefährlichste ist, was Rose jemals versucht hat ... Unfassbar lecker – das frisch gebackene Abschlussabenteuer der »Glücksbäckerei« Mit zuckersüßen Vignetten von Eva Schöffmann-Davidov Alle Bände über »Die Glücksbäckerei«: Band 1: Das magische Rezeptbuch Band 2: Die magische Prüfung Band 3: Die magische Verschwörung Band 4: Die magische Verwandlung Band 5: Die magische Rettung Band 6: Die magische Zeit Band 7: Das magische Fest Band 8: Die magische Schule Band 9: Die magischen Zwillinge Reihe bei Antolin gelistet

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Kathryn Littlewood

Die Glücksbäckerei – Die magischen Zwillinge

Band 9

Roman

Aus dem Amerikanischen von Eva Riekert

FISCHER E-Books

 

Mit Vignetten von Eva Schöffmann-Davidov

Inhalt

Prolog: Ausgespäht!Kapitel 1: Hola, chicas!Kapitel 2: ZwillingsglückKapitel 3: Riesen-Ärger ohne EndeKapitel 4: Pop-up-ProblemeKapitel 5: Bart-MamaKapitel 6: Törtchen-TotalfinsternisKapitel 7: Der Bart ist ab!Kapitel 8: Alles KäseKapitel 9: Grips müsste man haben!Kapitel 10: Mitgefangen, mitgehangenKapitel 11: Salihahs FlanKapitel 12: Eine Welt in Schwarz-WeißKapitel 13: SchattenbackenKapitel 14: Wi-Wa-WackelpuddingKapitel 15: Hola-Chica-Fan Nummer einsKapitel 16: Plätzchen-DilemmaKapitel 17: Entzwei!Kapitel 18: Der Rest vom SchützenfestEpilog: Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose

Prolog

Ausgespäht!

Rose Glyck gab alles, um den Hügel zu Sparrow Hill hinaufzuradeln. Ihre Beine brannten. Es war Anfang März, und obwohl sich zu beiden Seiten der Straße das erste frische Grün durch die feuchte Erde schob, war die Luft fröstelig kalt. Ihr lila Anorak schützte Rose nur ungenügend vor der eisigen Morgenbrise.

Auf ihrem Weg zum Haus der Mercers kam Rose automatisch an Stetsons Donuts und Automobilwerkstatt vorbei. Ebenso wie die Glücksbäcker mussten die Donut-Bäcker früh aufstehen, um dem morgendlichen Ansturm gewachsen zu sein. Was bedeutete, dass auch Roses Freund Devin Stetson bestimmt längst auf war.

Devin wartete tatsächlich schon auf sie. Er saß vor dem Gebäude auf einer Bank aus alten Autoreifen. Neben ihm lehnte sein Moped, dessen großer Scheinwerfer das dicke Buch, das auf seinem Schoß lag, anstrahlte. Wahrscheinlich irgendeine Betriebsanleitung, dachte Rose. Sein kurzes, sandfarbenes Haar war zerzaust, als sei er gerade erst aus dem Bett gekommen.

Kaum dass Rose ihn erblickt hatte, wurde ihr warm.

Devin klappte das Handbuch zu, als sie heranfuhr, und stand auf. Er lächelte ihr zu, und Rose sah die zwei Grübchen in seinen Wangen.

Sie sprang vom Rad und grinste etwas verlegen. Warmer Duft drang zischend aus der Abluftanlage des Ladens und umhüllte sie und Devin wohlig wie warmer Kuchenteig.

»Morgen«, sagte Rose schließlich.

»Bist ja zeitig auf«, erwiderte Devin leise.

»Spezielle Frühlieferung«, sagte Rose und klopfte auf den Karton in ihrem Fahrradkorb.

Devin nickte. »Sag mal, gibt’s was Neues von Lucy?«

»Nein«, sagte Rose. »Seit einem Monat hat niemand mehr was von den Leuten vom Komplott gehört. Als ob sie sich in Luft aufgelöst hätten. Was ja gut wäre, es sei denn …«

»Es sei denn, sie hätten deine Freundin.«

»Genau. Wir finden es schon noch raus. Bestimmt. Aber einstweilen gibt’s ja Arbeit in der Bäckerei.« Vorsichtig hob Rose den Karton aus dem Korb.

»Was ist das denn?«, fragte Devin und griff danach.

Rose zog den Karton weg. »Das sind Schoko-Minztaler, aber nicht für dich.«

»Pfefferminzkonfekt?«

»Für einen riesigen Wespenschwarm.«

»Klingt gefährlich«, sagte Devin. »Da komme ich mal lieber mit.«

»Darauf hatte ich gehofft.« Rose gab ihm einen Kuss auf die Wange und lehnte ihr Rad vorsichtig an das Ladengebäude. »Du fährst.«

»Nur damit du es weißt«, sagte Devin und reichte ihr einen Helm. »Ich hasse Wespen. Ich habe sogar Todesangst vor ihnen – seit ich im Kindergarten mal von einer gestochen wurde.«

Rose schnallte den Karton mit den Schoko-Minztalern säuberlich auf den Gepäckträger des Mopeds, dann schwang sie ein Bein über den Sattel und schlang die Arme um Devins Taille.

»Aber für dich will ich der Gefahr ins Auge sehen, Rose. Bevor du ein paar Wochen weg bist, muss ich noch so viel ›Glyck‹ tanken wie möglich.«

Rose sollte nämlich schon bald eine Ausbildung beginnen, wenn sie auch noch nicht genau wusste, wann. Sie und ihre beste Freundin Nevika waren auf einer Akademie für Zauberbäcker gewesen, um sich dort für einen Kurs bei einem Großmeister oder einer Großmeisterin zu qualifizieren. Was das Backen anging, waren sie erfolgreich gewesen, nicht so, was ihr Leben betraf … also, ihre Freundin Lucy war nämlich verschwunden. Und Rose hatte das ungute Gefühl, dafür auch verantwortlich zu sein. Zumindest ein bisschen.

»Vor dem Sommer wird das wohl nichts mehr«, sagte sie tröstend. »So bald gehe ich nirgendwohin.«

Devin ließ den Motor aufheulen und wollte gerade losfahren, als ein heftiger Windstoß eine rosa Tüte von der Straße hochwirbelte, die ihm direkt ins Gesicht flog.

Devin spuckte und riss sich das Stück Plastik vom Gesicht. »Schon wieder Müll von Bart-Mama! Das wird ja immer mehr!«

»Bart-Mama?« Rose griff nach der Tüte. Sie war pink und zeigte ein Logo – das stilisierte Bild eines Frauengesichts in drei Farben: hellbraun für das Gesicht, lakritzschwarz für die langen Haare und erdbeerrot für die Lippen.

Und umrahmt wurden diese Lippen von einem prächtig buschigen Holzfällerbart. Echt schräg, dachte Rose.

Devin fuhr los, und Rose lehnte sich an seinen Rücken. Die dunklen Bäume flogen vorbei, während sie über die gewundenen Straßen den Berg hinab und in eine Siedlung von Häusern fuhren.

»Wer ist diese Bart-Mama?«, rief sie ihm durch den knatternden Motorenlärm des Mopeds zu.

»Keine Ahnung!«, rief Devin zurück. »Irgend so ein neuer Laden. Ich hab ihn noch nicht gesehen, nur den Abfall, den er produziert.«

»Hmm«, sagte Rose. Seltsam, dass sie noch nichts von diesem Bart-Mama-Laden gehört hatte, aber in den vergangenen Wochen war sie ja wirklich ziemlich beschäftigt gewesen.

Schon bald erreichten sie die Zufahrt zu einem hübschen Häuschen, vor dem zwei Trauerweiden standen. Rose nahm den Karton mit den Schoko-Minztalern und ging auf die Haustür zu. Voller Argwohn, was ihnen wohl hinter der Tür blühte, folgte ihr Devin.

»Ich hab so ein komisches Gefühl«, flüsterte er, »als ob wir beobachtet würden.«

»Sei doch nicht albern«, erwiderte Rose, obwohl sie einräumen musste, dass es ihr ebenso ging.

Rose klopfte leicht an, und die Haustür ging auf. In der Tür stand die junge Mrs. Mercer und umklammerte einen Becher mit dampfendem Kaffee.

»Hey, Rose, Morgen«, sagte sie zwischen zwei Schlucken. »Was führt dich her?«

Rose hielt ihr die Pralinenschachtel hin. »Ein Karton mit frischen Schoko-Minztalern, wie bestellt.« Sie öffnete den Deckel der Schachtel, aus der ein starker Pfefferminzduft aufstieg, der einem die Augen tränen ließ. »Wespen können den Geruch von Minze nicht ausstehen. Sie und Ihr Mann müssen einfach einen Schoko-Minztaler zum Frühstück verzehren, und schon sind die Wespen weg!«

Um genau zu sein, handelte es sich nicht um einfaches Pfefferminzöl, das in dem Konfekt war, sondern es war mit magischer Abschreckminze verzaubert, die genauso lecker schmeckte wie die normale Minze, aber einen starken Geruch verströmte, der ungebetene Gäste vertrieb.

»Ach so«, sagte Mrs. Mercer. Sie nahm eine der Schoko-Minz-Pralinen aus der Schachtel und schien zu überlegen, wie man wohl am besten davon abbeißen konnte. Die Taler waren nämlich ziemlich dick geraten.

»Danke, Rose, und sag auch deiner Mama vielen Dank. Aber … die Wespen sind schon weg.«

Rose spürte, wie sich Devin neben ihr entspannte. »Weg?«, fragte sie. »Was für eine Erleichterung! Äh, nicht, dass ich Angst gehabt hätte oder so.«

»Ich allerdings schon«, sagte Mrs. Mercer. »Es gibt kaum was Schlimmeres als ein Haus voller wildgewordener Wespen. Nichts außer meiner Schwiegermutter, besser gesagt.«

»Das ist ja eine gute Nachricht«, sagte Rose. »Nicht die mit Ihrer Schwiegermutter – ich meine die Wespen. Aber wenn sie weg sind, warum haben Sie dann gestern die Bestellung aufgegeben?«

»Die Waschbären da hinten haben sie gerade erst vertrieben.« Mrs. Mercer deutete an Rose vorbei. »Sind vor knapp einer halben Stunde mit ein paar Süßigkeiten von Bart-Mama aufgetaucht. Eine Wahnsinns-Marke, wenn du mich fragst. Die meisten finden es ja wunderlich, wenn sich eine Frau einen Bart wachsen lässt, ich aber nicht! Die Zeiten ändern sich doch.« Mrs. Mercer berührte ihre Wange. »Wie diese Bart-Mama allerdings die Waschbären dressiert hat, ist mir ein Rätsel.«

»Waschbären?«, fragte Devin. »Sie hat dressierte Waschbären, die ausliefern?«

Rose drehte sich um.

Ein Dutzend glühender Augen starrte sie an, umrahmt von den typischen pelzigen schwarzen Masken. Sechs dieser geheimnisvollen Wesen kauerten auf dem Rasen im Vorgarten, halb verborgen hinter den herabhängenden Zweigen der Trauerweiden. Sie glotzten sie und Devin aus ihren stechenden Augen unverwandt an. Dabei zuckten ihre kleinen schwarzen Klauen nervös.

Unheimlich.

»Die Viecher sehen total normal aus«, sagte Devin und nahm Rose bei der Hand.

Mrs. Mercer plapperte aufgeregt weiter. »Sie haben etwas gebracht, das Zephyr heißt, so ein kleines Marshmallow-Konfekt mit einem Hauch Cayenne. Der Geruch war wohl zu würzig für die Wespen, denn sie haben sich davongemacht! Wie meine Nichte Tabitha vor ein paar Jahren – die ist nach Kanada abgehauen und nie mehr zurückgekommen. Wusstet ihr, dass das Gesundheitssystem dort kostenlos ist? Kein Wunder, dass alle –«

Kein normaler Zephyrhauch konnte einen Wespenschwarm vertreiben. Was nur eines bedeuten konnte: Bart-Mama war eine Zauberbäckerin. Und hatte offensichtlich beschlossen, sich im Heimatort der Familie Glyck niederzulassen.

»– und deshalb kann ich keine Handschuhe mehr tragen«, beendete Mrs. Mercer ihr Gefasel.

Devin sah von Mrs. Mercer zu Rose. »Um noch mal auf diese Marshmallow-Zephyrs zurückzukommen: Wie sahen die denn aus?«, fragte er.

Mrs. Mercer runzelte die Stirn. »Wie kleine Chilischoten. Aber mit Schokoüberzug. Wir haben alle verbraucht, ansonsten würde ich euch eine zum Probieren anbieten. Sie waren fast wie eine Leckerei aus der Glücksbäckerei. Vielleicht kennt ihr sie?«

»Bart-Mama?«, fragte Rose und schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich glaube allmählich, dass ich ihre Bekanntschaft machen sollte.«

»Das solltest du! Ihr hättet bestimmt viel Gesprächsstoff!« Sie griff nach der Konfektschachtel. »Aber diese Schoko-Minztaler nehme ich trotzdem, wenn du nichts dagegen hast. Sie duften ja göttlich! Und wenn du tatsächlich mit dieser Mama sprichst, frag sie doch, wie sie es hinkriegt, dass ihr Bart so glänzt.«

Mit gezwungenem Lächeln überreichte Rose die Konfektschachtel. »Mach ich. Lassen Sie es sich schmecken!« Als sie sich umdrehte, um zu dem Moped zurückzukehren, waren die Waschbären mit ihren glühenden Augen verschwunden.

Mega-unheimlich.

Auf dem Heimweg erzählte Devin Rose von einem durch Windkraft angetriebenen Teigmixer, den er konstruiert hatte und der in der Lage war, den Energiebedarf des gesamten Haushalts drastisch zu senken. Sein munteres Geplapper ließ Rose die Waschbären und die Frau, in deren Diensten sie standen, fast vergessen.

Als sie dann vor der Glücksbäckerei vorfuhren, wurden die seltsamen Pelztierchen endgültig aus ihrem Kopf verdrängt. Die Tür des Cafés stand weit offen, die Tische waren umgekippt, die Wände mit Schokolade und Schlagsahne verspritzt. Und überall lagen heruntergefallene Torten und zertretene Croissants in wüsten Haufen auf dem Boden.

O nein!

Mit rasendem Puls sprang Rose vom Moped, noch ehe Devin den Motor abgestellt hatte. Sie stürzte durch die Ladentür – und traf auf ihre Mutter Polly, die ihrerseits gerade durch die Schwingtür von der Backstube gestürmt kam.

»Rose!«, rief Polly. »Die Bäckerei ist überfallen worden!«

Kapitel 1

Hola, chicas!

»Überfallen?« Rose wollte auf ihre Mutter zulaufen.

»Bleib stehen, wo du bist!«, befahl ihr Polly. »Es liegen überall Glasscherben herum.« Sie zuckte mit den Schultern. »Überfallen, ausgeplündert, verwüstet – schwer zu sagen, was hier genau passiert ist.«

Von außen hatte die Bäckerei schon ein schlimmes Bild abgegeben, aber innen sah es aus, als habe jemand eine Granate explodieren lassen. Der Fliesenboden war glitschig verschmiert mit Schokoladenganache und Pfützen von Vanillecreme, und eine ganze Tagesration von Kuchen war hinter den Ladentisch gekippt. Und zu alledem lagen kreuz und quer Pasteten und Gebäckstücke auf dem Boden, als ob jemand mit beiden Armen um sich gegriffen und alles aus den Auslagen herausgeschmissen hätte.

Die Tür bimmelte. »Wer war das?«, rief Devin, als gleichzeitig auch noch Roses Vater Albert und Großvater Balthasar von irgendwoher hereinstürzten. »Wie ist das denn passiert?«, fragte Albert.

Rose konnte sehen, dass ihre Eltern beide wie zu einer Expedition ausgestattet waren, mit Wanderstiefeln an den Füßen und schweren Rucksäcken auf den Schultern.

Ihr Vater marschierte zur Ladentheke. Sein buschiger roter Schnauzbart bebte vor Empörung. Großvater Balthasar packte einen Besen und bahnte sich einen Weg durch den Schlamassel. »Passt alle schön auf, wo ihr hintretet.«

»Wer das gemacht hat, hat nach etwas gesucht«, sagte Polly und holte einen Handfeger. »Wir müssen das beseitigen und sehen, ob was fehlt. Und zwar schnell!«

»Wo sind Tymo und Basil und Nella?«, fragte Rose. »Grandpa, du hast doch auf Nella aufgepasst, oder?«

Großvater Balthasar richtete einen der umgekippten Stühle auf und ließ sich mit einer schmerzlichen Grimasse darauf nieder. »Ach, die war doch mit Penelope zusammen. Sie war quietschfidel!«

Von der Treppe her kam ein Kichern, und die vierjährige Nella kam die Stufen heruntergetapst. »Oh, Penelope, das kann ich ihm doch nicht sagen! Er ist mein Großvater.«

»Hä? Was genau hat Penelope denn gesagt?«, fragte Großvater Balthasar.

Devin zog fragend eine Augenbraue hoch, und Rose zuckte mit den Schultern. »Ausgedachte Freundin«, wisperte sie ihm zu.

»Ich habe auch einen Phantasiefreund gehabt, als ich klein war«, flüsterte Devin. »Thomas. Er hat im Kleiderschrank gewohnt und aufgepasst, dass ich immer saubere Klamotten anhatte. Schön war das.«

Er bahnte sich einen Weg zur Treppe und kniete sich vor Nella – wobei er klug darauf achtete, dass sie das Unheil in der Bäckerei nicht sehen konnte. »Mag Penny vielleicht … Donuts mit Zuckerguss?« Er zog die Hand hinter dem Rücken hervor und tat so, als halte er ihr einen Donut hin.

Nella verdrehte die Augen. »Igitt, neiiin. Sie isst nur Penny Pies – das sind so kleine braune Mini-Mini-Kuchen mit Karamellgeschmack.«

»Klingt lecker. Wo gibt’s diese Penny Pies?«

»Wenn du denkst, dass du sie essen und unsichtbar werden kannst –« Nella schüttelte den Kopf. »Vergiss es!«

Die Ladenkasse machte pling, als Albert sie zuschob. »Wenigstens fehlt kein Geld.«

»Es gibt hier wichtigere Sachen als Geld«, sagte Polly und nahm Nella auf den Arm. »Albert, ruf Tante Lily an und bitte sie zu kommen, um zu helfen. Devin, könntest du Tymo eine Nachricht schreiben? Er soll seinen Bruder mitbringen – von dort, wohin sie heute ganz früh verschwunden sind. Wo immer das ist. Das wäre mir eine große Hilfe. Grandpa, kümmere dich bitte darum, dass Nella etwas frühstückt, ja?«

»Na klar, Mrs. Glyck«, sagte Devin und zog sein Handy heraus. Balthasar übernahm Nella von Polly und verschwand mit ihr nach oben.

»So, Rose, du kommst jetzt mit mir«, sagte Polly mit besorgtem Blick. »Wir müssen nachsehen, ob unsere Zauberzutaten alle noch da sind.«

 

Auch die Backstube war ein Schlachtfeld. Alle Schränke und Schubfächer und Backöfen standen weit offen. Holzlöffel, Schneebesen, Töpfe und Rührschüsseln lagen über den Boden verstreut. Sogar das große Standmixgerät in der Ecke war umgekippt.

Polly und Rose gingen durch das Durcheinander zu der offenen Stahltür des begehbaren Kühlschranks. Das war ein schmaler Raum mit Regalen, in denen die täglich benötigten Zutaten standen – zumindest normalerweise. Jetzt sah der Kühlraum aus, als habe ein Tornado alles durcheinandergewirbelt. Eier waren aus den Pappgestellen geflogen, und Eigelb tropfte von den Wänden. Glasflaschen waren umgekippt, und die Milch floss gurgelnd heraus. Gekühlte Teigbälle lagen zerquetscht am Boden. Selbst von den großen Butterstücken war das Silberpapier abgelöst.

»Was haben sie denn in der Butter gesucht?«, flüsterte Rose.

Der schwere Wandteppich jedoch, der am Ende des Kühlraumes die Hinterkammer verdeckte, war unberührt. Von oben bis unten verspritzt, aber nicht verrutscht.

Polly zog ihn zur Seite: Die Tür zu der kleinen Kammer, in der das unschätzbar wertvolle magische Backbuch lag, war fest verschlossen.

»Und der Keller?«, fragte Rose besorgt.

Polly nickte und kickte eine Kiste mit Walnüssen beiseite. Sie fasste hinter einen Jutesack mit Mehl und drehte einen versteckten Griff herum, der die Form eines Nudelholzes hatte. Knarrend öffnete sich die Luke zu einer geheimen Kellertreppe.

Der Keller war dämmrig und unberührt wie gewöhnlich. Langsam und prüfend gingen Rose und Polly die hohen Regale entlang, doch nicht eines der bläulichen Gläser schien verrückt worden zu sein. Alle ihre kostbaren – und bisweilen gefährlichen – Zauberzutaten waren unberührt wie zu dem Zeitpunkt, als Rose die Vorräte zuletzt kontrolliert hatte.

Wer immer durch das Erdgeschoss gestreift war, hatte diesen Raum zum Glück übersehen – genauso wie die Kammer mit dem magischen Rezeptbuch.

Polly griff sich mit der Hand ans Herz, atmete tief durch und rückte ein Glas zurecht, das eine Herzschmerz-Rose enthielt. »Es fehlt nichts«, flüsterte sie. Hier unten in dem Kellerraum redeten sie immer mit gedämpften Stimmen, um den Zwerg des Ewigen Schlafes nicht zu stören, der in einem bläulichen Glasgefäß auf dem untersten Regalbrett schlummerte. »Vielleicht waren es ja doch nur irgendwelche dummen Randalierer?«

Rose biss sich auf die Lippe. »Das kann ich irgendwie nicht glauben …«

»Ich auch nicht.« Polly nahm Rose bei der Hand und zog sie wieder nach oben. »Wir besprechen, was zu tun ist, wenn wir alle beieinander sind.«

 

In der Backstube hatten sich zwei weitere Leute eingefunden. Die eine war Tante Lily, und sie wurde überragt von einem massigen Mann an ihrer Seite, nämlich Chip. Der ehemalige Soldat hatte nach seinem Armeedienst jahrelang in der Glücksbäckerei gearbeitet, doch nachdem Rose zur Meisterbäckerin aufgestiegen war und ihre Tante ganz allein Lilys Schokoladenladen aufgemacht hatte, war Chip dorthin gewechselt – mit Pollys Segen.

Chip salutierte, als er Rose und Polly aus dem Kühlraum kommen sah. »Mrs. Glyck, Rose, wo kann ich Ihnen zu Diensten sein?«

Polly deutete um sich. »Am besten überall. Könntest du hier Bestand aufnehmen und alles zurück an seinen Platz stellen?«

Chip salutierte wieder und machte sich an die Arbeit, indem er zunächst einmal den riesigen Teigmixer wieder aufrichtete. Während er aufräumte, hakte sich Tante Lily bei Polly und Rose ein und zog sie durch die Tür in den Ladenraum. »Ich bin sofort aufgebrochen, als ich von der Sache hier gehört habe.«

Obwohl Albert ganz übersät war von Krümeln und Zuckerguss, arbeitete er mit grimmiger Entschlossenheit. Er hatte eine große Mülltonne von draußen hereingeschoben und warf mit Devins Hilfe massenweise Kuchen hinein. Bei jedem matschigen Plumps! verzog Rose schmerzlich das Gesicht.

Jemand polterte die Treppe herunter: Roses Brüder, gefolgt von den Haustieren der Familie – oder besser, von den Vertrauten – nämlich von dem Kater Gus und der Maus Jacques.

»Wir können alle aufatmen!«, verkündete der zehnjährige Basil und sprang von der untersten Stufe. »Meine Furzkissensammlung ist noch da, und Bertha wurde kein Haar gekrümmt!«

»Bertha ist ein Gummihuhn«, erinnerte ihn Rose. »Sie ist völlig kahl.«

»Genau! Wenn sie plötzlich doch Federn hätte, dann müssten wir uns echt Sorgen machen.«

»Aus unseren Zimmern ist nichts weggekommen«, näselte Tymo. »Die haben sich wohl nur für das interessiert, was unten ist.«

»Oui«, pflichtete ihm Jacques bei, während Gus mit seinem dicken Kopf nickte und miauend verkündete: »Ziemlich sauber da oben, um genau zu sein.«

Polly ging zur Ladentür, schloss ab und drehte das Geschlossen-Schild nach außen. Da sie ja nichts mehr zu verkaufen hatten, musste der Laden wohl zu bleiben, dachte Rose.

»Ich bin froh, dass wir alle wohlauf sind«, sagte Polly. »Das ist das Wichtigste. Wo wart ihr Jungs eigentlich?«

Rose fiel auf, dass ihr großer Bruder wie aus dem Ei gepellt aussah. Er hatte die wenigen ungleichmäßig an seinem Kinn wachsenden Flaumhaare rasiert, sein rotes Haar akkurat gescheitelt und zur Seite gekämmt, und er trug eine Stoffhose.

Beide Jungen machten unschuldige Gesichter. »Den Sonnenaufgang genossen«, sagte Tymo.

»Jep«, bestätigte Basil. »Wir finden es toll, früh aufzustehen und die Natur zu beobachten.«

»Und sie haben darauf bestanden, uns mitzunehmen«, sagte Gus. Der dicke graue Schottische Faltohrkater saß auf der untersten Stufe und leckte sich geflissentlich die Pfoten. »Weiß der Himmel, warum. Haben von ›goldener Stunde‹ gefaselt und vom ›besten Licht‹.«

Devin kippte eine volle Kehrschaufel in den Müllcontainer. »Glaubt ihr, dass die Person, die das gemacht hat, noch mal zurückkommt?«

»Personen«, grummelte Großvater Balthasar, der mit Nella wieder zurück nach unten kam. »Wir wissen doch alle, wer das getan hat.«

»Da stimme ich Großvater zu«, sagte Rose. »Es muss das Werk des Komplotts sein.«

Das Komplott der Konditoren war eine Gruppe bösartiger Zauberbäcker, die im vergangenen Winter aus ihrem Schlupfwinkel aufgetaucht war. Rose und ihre Familie hatten die Pläne der Gruppe zweimal durchkreuzt – allerdings nicht ohne Opfer. Ein Mitglied des Komplotts war mit Roses Freundin Lucy Banerjee verschwunden. Die indischstämmige Britin war immer noch unauffindbar.

Rose schluckte heftig. »Aber wonach haben sie gesucht?«

»Es fehlt nicht ein Stück.« Polly schüttelte das lockige Haupt. »Ich bin mir nicht sicher, dass es das Komplott war. Warum sollten sie alles verwüsten, ohne etwas Wesentliches mitzunehmen?«

Basil stöhnte unvermittelt auf. Er wedelte mit den Armen und rief: »Tymo! Deine Unterwäsche! Kontrolliere lieber mal dein Schubfach mit den Unterhosen!«

»Tymos Unter–«, fing Rose an.

Doch Tymo rannte schon die Treppe hinauf. Alle konnte hören, wie er in seinem Zimmer herumpolterte, dann kam er wieder mit erleichtertem Ausdruck die Stufen heruntergetänzelt. »Alles da, hermano«, verkündete er. »Nicht eine der Boxershorts fehlt.«

»Deine Unterwäsche?«, fragte Devin. »Ist sie denn aus echter Seide oder so?«

Polly verschränkte die Arme. »Ja, Thymian Glyck, erzähl uns, warum irgendjemand Interesse an deiner Unterwäsche haben könnte.«

»Kein besonderer Grund!«, sagte Basil schnell.

Doch gleichzeitig grinste Tymo und sagte: »Es geht um meine Freundinnen.«

»Freundinnen!«, rief Rose. »Du hast überhaupt keine Freundinnen mehr, seit du versucht hast, sieben auf einmal auf dem Weihnachtsball zu daten!«

Tymo lehnte sich an den Ladentisch. »Diese kleinen Stadtmiezen sind ja so was von passé. Nein, ich rede von den hunderttausend Mädchen, die mich ihren Boyfriend nennen.«

»Mon dieu!«, rief Jacques und griff sich an die kleine graue Brust.

Großvater Balthasar wieherte los. »Gebt mir mal eine Nadel. Wir müssen dem Kerl den Kopf anstechen, ehe er so aufgeblasen wird, dass er davonschwebt.«

Basil jammerte: »Tymo, warum kannst du nicht deine große Klappe halten?«

»Bescheidenheit liegt mir nun mal nicht, hermano«, erwiderte Tymo. Er zog sein Handy heraus und wischte über seine Apps. »Ich bin nicht mehr einfach nur euer Sohn, Mom und Dad. Ich bin nicht mehr nur ein Basketball-Star und der Stolz der Calamity-Falls-Highschool. Nein, ich bin ein … Influencer geworden.«

Rose stöhnte auf, und Devin versuchte nicht einmal, sein Lachen zu unterdrücken. Albert, Polly und Großvater Balthasar sahen sich verwirrt an.

Tante Lily spitzte die Lippen. »Tymo, mein Lieber, bist du etwa ein YouTube-Star?«

»Ein Star? Ha!«, brüstete sich Tymo. »Ich bin eine Sensation!« Er hielt den anderen sein Handy hin. Sein Kanal lautete Der perfekte Boyfriend. Und er enthielt Dutzende Videos.

Tymo hatte nicht übertrieben. Überrascht sah Rose, dass er 101389 Abonnenten hatte.

»Er ist nur der Hauptdarsteller sozusagen«, sagte Basil. »Das Superhirn dahinter bin ich. Ich fand es einfach nur saukomisch, Tymo dabei aufzunehmen, wie er mit imaginären Mädchen flirtet, aber wie sich herausgestellt hat, kommt es megagut an! Jeden Tag rufen Tausende die Seite auf, um sich sein albernes Gesülze anzusehen.«

»Internetvideos«, sagte Polly. »Albert, hast du darüber Bescheid gewusst?«

Albert schüttelte den Kopf. »Ich versteh es ja nicht mal.«

»Ich hab davon gewusst!«, quiekte Nella. »Penelope hat’s mir erzählt!«

»Penelope ist ja so ein Plappermaul«, sagte Basil.

»Ich habe euch doch gewarnt, den Jungs so ein Smartphone zu geben«, grunzte Großvater Balthasar.

»Deshalb waren wir heute so früh weg«, erklärte Tymo. »Basil sollte mich filmen, wie ich den Sonnenaufgang begrüße. Für meine Ladys.«

»Und wir dachten uns, dass uns Gus und Jacques dabei helfen könnten, ein paar interessante Kameraeinstellungen zu finden«, ergänzte Basil.

»Ich blicke immer noch nicht durch«, sagte Devin. »Was hat das alles mit Unterwäsche zu tun?«

»Sie wollen Souvenirs«, rief Basil. »Puh!«

»I-gitt«, sagte Rose. »Krass.«

Polly streckte die Hand aus. »Wie schön, dass du eine Leidenschaft entwickelt hast, Tymo. Aber wir Glycks dürfen nicht so viel Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Ob das Komplott hinter der Sache steckt oder deine … Fans … – diese Videos müssen auf der Stelle aufhören.«

»Nein!«, rief Tymo entsetzt und machte einen Satz zurück. »Ich kann meine Girlfriends doch nicht auf Entzug setzen, mi madre. Das wäre grausam!« Tymo hielt seiner versammelten Familie das Display hin. »Hier, seht euch das an. Das ist ein Video für Mädchen, die allein zu Hause sind, weil sie nicht auf eine Party eingeladen wurden.« Er stellte die Lautstärke auf Maximum, und das Video fing an.

»Hola, chica!« Eine Nahaufnahme von Tymo erschien auf dem Display. Er trug ein richtiges Herrenhemd und hielt einen Strauß Blumen in Händen.

»Warum auf Spanisch?«, fragte Devin.

»Natürlich weil ich zweisprachig bin«, sagte Tymo.

Basil meldete sich zu Wort. »37 Prozent der Klicks kommen aus Lateinamerika. Es gibt allein drei Fanclubs in Buenos Aires! Und lasst mich gar nicht erst von Europa anfangen!«

Auf dem Display ging es weiter mit Tymo. Er lächelte verträumt in die Kamera. »Wie ich gehört habe, bist du heute Abend ganz allein, chica, was muy traurig ist. Ich dachte, ich komm mal vorbei und wir könnten Videos mit Hundebabys ansehen, während ich dir die Füße massiere.« Er zwinkerte. »Möchte meine chica einen Kuss?«

Das Display wurde plötzlich von einer viel zu großen Nahaufnahme von Tymos Lippen ausgefüllt.

»Stopp das, bitte, sofort«, stöhnte Rose und wandte sich ab.

»Stell es aus«, bat Großvater Balthasar. »Junge, du machst dich ja total lächerlich.«

Tymo stellte das Video ab. »Du gehörst nicht gerade zu meiner Zielgruppe, Grandpa.«

Polly und Albert standen wie unter Schock da. Tante Lily biss sich fest auf die Lippe, um nicht lachen zu müssen, als es an der Hintertür klingelte. Die Aufmerksamkeit von allen richtete sich auf die Schwingtür, durch die kurz darauf Chip mit einem riesigen Paket eintrat.

»Sendung für dich, Rose«, verkündete er und stellte das Paket auf den Ladentisch. Der Ex-Soldat sah die Erwachsenen an, die wie betäubt waren. »Hab ich was versäumt?«

»Das willst du lieber nicht wissen«, sagte Rose und zog das Paket zu sich heran.

Es war ein normales, braunes Paket, ganz gewöhnlich. Ungewöhnlich war nur, dass es kaum eine Stunde später gebracht wurde, nachdem die Familie die zerstörte Bäckerei vorgefunden hatte – und zwar um halb acht am Morgen.

»Wer hat das geliefert?«, fragte Polly.

»Ich hab niemanden gesehen«, sagte Chip. »Es lag an der Hintertür auf den Stufen.«

»Vorsicht«, sagte Albert. »Vielleicht ist es ja ein Zufall, aber …«

Auf dem Deckel klebte eine Benachrichtigung, die Rose öffnete und stumm durchlas. »Es ist kein Zufall und auch nicht vom Komplott«, verkündete sie.

»Was ist es dann?«, fragte Großvater Balthasar. »Halte uns doch nicht so hin! Ich bin 127 Jahre alt und werde nicht jünger!«

»Es ist von Frau Professor Macaron«, sagte Rose, »der Direktorin der Akademie für gehobene Gastronomie und Backkunst. Ich soll meinen Ausbildungsplatz antreten!«

Kapitel 2

Zwillingsglück

Die ganze Familie drängte sich um Rose, als sie die Nachricht vorlas.

Liebe Meisterbäckerin Rosmarin Glyck,

 

ich freue mich, dir mitteilen zu können, dass du, zusammen mit Nevika Baridi, am heutigen Tag deine Ausbildung antreten kannst!

Die Zwillings-Großmeisterinnen Undine und Nadine Sparx erwarten euch in ihrer Versuchsküche auf einer einsamen Insel des windumtosten skandinavischen Archipels Spitzbergen. Weil die beiden Großmeisterinnen sehr beschäftigt sind, handelt es sich bei eurer Ausbildung um einen Teilzeitaufenthalt. Ihr beiden, du und Nevika, werdet den Zwillingen drei Tage in der Woche nicht von der Seite weichen und alles Wissen dieser Großmeisterinnen aufsaugen. Den Rest der Woche studiert ihr zu Hause.

»Da vertut ihr ja eure ganze Freizeit in Flugzeugen!«, warf Chip ein. »Spitzbergen ist fast am Nordpol! Jeder Weg dorthin ist bestimmt eine Tagesreise.«

In diesem Paket befindet sich alles, was ihr für eure Reise benötigt. Ihr verfügt bereits über beachtliches Können, und wir von der Akademie freuen uns schon darauf, zu sehen, wie es sich zu etwas ganz Unglaublichem entwickelt.

Gutes Zaubern und Backen!

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Margaux Macaron

Direktorin

AGGBK

»Ich bin so stolz auf dich, Rose«, sagte Polly mit Tränen in den Augen.

»Wohlverdient, Süße!«, setzte ihr Vater Albert hinzu.

Großvater Balthasar nahm sich die Nachricht vor. »Noch nie was von diesen Nordpol-Zwillingen gehört, muss ich sagen, aber die Macaron weiß wohl, was sie tut.«

»Ein Influencer zu sein ist aber auch ziemlich beeindruckend«, grummelte Tymo.

So viele widerstreitende Gefühle überwältigten Rose – die Vorfreude auf den Ausbildungsplatz, die Seligkeit, dass sie trotzdem Devin jede Woche sehen würde, gemischt mit der Besorgnis darüber, wer die Bäckerei verwüstet hatte –, dass sie darüber total zu fragen vergaß, ob jemand der anderen schon von der geheimnisvollen Bart-Mama gehört hatte.

Aber Gefühlsausbrüche und Kleinstadtgeheimnisse mussten warten.

»Albert, Großvater, Chip, könntet ihr mit den Jungs hier zu Ende sauber machen?«, fragte Roses Mutter. »Meine Damen, folgt mir bitte.«

Tante Lily nahm Nella bei der Hand, und Devin fragte: »Könnte ich heute ausnahmsweise mal als eine Dame ehrenhalber durchgehen?«

Ein Blick auf Roses flehende Miene reichte, und Polly nickte. »Devin, du kannst das Paket hineintragen, dann sehen wir weiter.«

»Angetreten, Männer!«, sagte Chip. »Basil, stell dich im Halbkreis auf!«

»In was?«, fragte Basil. »Halbkreis? Geometrie hab ich noch nicht in der Schule gehabt!«

Ihre Stimmen wurden gedämpft, als die Tür hinter ihnen zufiel.

Die Backstube war makellos – der Fliesenboden sauber gewienert und ohne ein Stäubchen, die Edelstahlbacköfen frisch poliert, die Arbeitsflächen spiegelglatt.

»Chip hat sich ja mächtig ins Zeug gelegt«, sagte Polly. »Stell den Karton dorthin, Devin.«

Devin stellte das Paket vorsichtig auf den Küchenblock, und Rose löste das Klebeband mit einem Messer. »Dann wollen wir mal sehen«, sagte sie und stöberte kurz durch den Inhalt. »Eine Tüte Mehl, ein Dutzend Eier, ein Fläschchen mit … goldenem Honig vielleicht? Ein dreifach versiegeltes Päckchen Trockenhefe. Und ein winziges Leinenbeutelchen mit … Erde.«

Tante Lily schnupperte an dem Honig. »Ah, das ist tatsächlich Goldener Honig – großgeschrieben! Produziert von Roboterbienen aus Gold, die in einem vollautomatischen Bienenstock leben. Wirklich sehr modern.«

»Und ich bin sicher, das hier ist nicht einfach Erde.« Polly verschloss das Beutelchen wieder. »Sei nur vorsichtig mit diesen Zutaten.«

»Oh, wow!«, sagte Rose und fischte ein laminiertes Schriftstück unten aus dem Paket. »Backanleitung. Mit Schritt-für-Schritt-Abbildungen und so weiter.« Sie betrachtete die Bilder. »Ob Nevika wohl auch –«

Pollys Handy surrte. Sie warf einen Blick darauf und sagte: »Wenn man vom Teufel spricht!«

Nevikas vertraute Züge erschienen auf dem Display. Sie lachte übers ganze Gesicht.

»Nevika!«, rief Nella. »Hallo, huhu!«

»Dann hast du wohl auch schon –«, fragte Rose.

»– das Paket bekommen? Ist das zu fassen? Ich hab noch nie was von Undine und Nadine gehört, aber sie müssen ja unglaublich sein, wenn ihr Zeitplan so voll ist.«

»Und sie haben eine ganze Insel für sich!«, pflichtete ihr Rose bei. »Das muss doch was bedeuten, oder?«

»Vielleicht, dass niemand mit ihnen zusammenleben will?« Devin beugte sich über Roses Schulter und lächelte verlegen. »Hi, Nevika!«

Nevika grinste zurück. »Hi, Devin. Tut mir leid, dass ich dir Rose wieder entführen muss.«

»Nur ein paar Tage pro Woche«, sagte Devin. »Aber ich wette, dass ihr viel Hausaufgaben habt, wenn ihr hier seid.«

Rose verspürte ein Zwicken im Magen. »Er hat recht: Wir fangen lieber mal an!«, sagte sie. »Wir sehen uns ganz bald. In der Arktis!«

Nevika hüpfte auf und ab. »Bis dann! Tschüs!«

Rose wandte sich dem Rezept zu. Der vordere Teil der Anleitung war Routine – etwas Wasser anwärmen, die Hefe gehen lassen, dann alle anderen Zutaten einrühren und gut durchkneten. Eindeutig so eine Art Brot.

Das Beutelchen mit der Erde war, wie sich herausstellte, »Erde von einem nie bereisten Weg« und kam direkt von der Insel der Zwillinge. Es gab der Mischung eine hübsche schokoladige Farbe und duftete nach Karamell und einer frischen Meeresbrise. Der Goldene Honig fügte etwas Funkeln und Süße hinzu und bildete metallische Adern, die beim Kneten im Teig schimmerten.

Während der Teig eine Weile unter einem Küchentuch aufging, drehte Rose das Blatt um und las die Rückseite. Zuoberst war eine komplizierte Skizze, die angab, wie man den Teig ziehen und flechten sollte. Die Längenmaße waren in … »Meter? Das ist mehr als ein Fuß, stimmt’s?«, fragte Rose.

»Das weißt du doch«, sagte Polly. »Metrisches System. Den Unterschied hast du schon vorm Fahrradfahren gelernt.«

»Aber diese Längenmaße können nicht stimmen, oder?« Sie drehte das Blatt ins Querformat. Die Abbildung sah eher wie eine Aufgabe aus der Geometrie aus – und nicht wie ein Rezept.

Devin warf einen Blick über ihre Schulter. »Sieht wie eine Graphik aus einem Handbuch für Mechaniker aus. Wir brauchen jetzt ganz viel Platz.« Er rannte zur Hintertür und rief. »Auf geht’s, Glycks! Ihr müsst alle anpacken!«

»Sogar ich?«, quiekte Nella.

»Sogar du! Und bring Penelope mit!«

Polly packte die Schüssel mit dem Teig, der immer weiter aufging, und das größte Kuchenblech, das es in der Backstube gab. »Ihr habt Devin gehört. Raus in den Garten!«

Die Sonne war gerade aufgegangen. Devin musterte den weitläufigen Rasen zwischen dem Trampolin und der Schaukel. »Also, Mrs. Glyck, ich glaube, Sie sind die Kräftigste von uns. Sie sollten hier stehen und den Teig festhalten.« Er deutete auf eine Stelle in der Nähe des Trampolins, und Polly bezog Stellung. »Okay, jetzt Rose, Tante Lily und Nella, jede von euch packt einen Strang Teig, und dann müsst ihr ziehen und gleichzeitig flechten!«

Rose stellte die Teigschüssel auf das Trampolin in der Nähe ihrer Mutter. Der Teig hatte sich schon verdreifacht und quoll über den Rand der Schüssel.

Polly nahm den riesigen Teigball in die Arme und hielt ihn fest an sich gedrückt. Rose, Tante Lily und Nella zupften sich ein Strang-Ende heraus und fingen an zu ziehen. Der Teig folgte ihnen mit Leichtigkeit und wurde zu langen elastischen Armen – fast wie bei einem Oktopus.

»Steht in dem Rezept, was jetzt kommt?«, fragte Rose.

Devin hatte eine Schutzbrille und ein Geodreieck hervorgezogen – woher, wusste Rose nicht – und rieb sich das Kinn, während er jeden Strang begutachtete. »Wir müssen genau die richtigen Standpunkte wählen.« Er nahm Nella und führte sie zwischen Rose und Tante Lily. »Okay, Rose und Lily: ZIEHT!«

Rose zerrte mit aller Macht – und fiel fast auf den Po. Der Teigstrang war lange nicht so schwer zu ziehen, wie sie erwartet hatte. Er schien sogar noch mitzuwachsen und sie zu schieben, so dass sie rückwärts laufen musste. Und was noch seltsamer war, er schien fast in der Luft zu schweben und nicht der Anziehungskraft der Erde zu unterliegen.

»Als ob diese Arme leben!«, rief Tante Lily. »Alles in Ordnung, Nella?«

»Fall nicht hin, Baby!«, schrie Polly.

Aber Nella war kein bisschen beunruhigt. Sie rannte über den Rasen und quietschte vor Vergnügen. Der Teigstrang zog sich jetzt wie eine Luftschlange hinter ihr her.

»Jetzt flechten!«, rief Devin. »Lily, unter dem Strang von Nella durch! Dann Rose über beide!«

Tante Lily duckte sich, und Rose machte einen Sprung – und hievte ihren Strang über die beiden von Rose und Nella.

»Uuups!«, kicherte Nella. »Penelope hat auch Spaß!«

»Immer weiter!«, rief Devin und befahl: »Rose, drunter!« und »Lily, drüber!«, und wies sie in dem komplizierten Flechten und Zwirbeln an. Ab und zu rannte er herbei und hob Nella über Rose und Lily und deren Stränge, um das komplizierte Manöver durchzuhalten. Es dauerte weniger als eine Viertelstunde, doch als sie zum Ende kamen, waren alle außer Atem und verschwitzt.

Über den Rasen hinweg erstreckte sich zwischen ihnen ein enorm langer und fest geflochtener Zopf. Einer der Stränge leuchtete wie reines Gold – sie hatten ihn mit der Honigmischung überzogen. Der zweite Strang war lecker braun – gewürzt mit der Erde von einem nie bereisten Weg. Der dritte blieb unbehandelt, und so sah der dreifarbige Zopf unglaublich kunstvoll aus und hatte auf wundersame Weise ein schönes, unerwartetes Muster.

»Ausgezeichnete Arbeit, Mr. Stetson«, sagte Polly und rollte den Zopf vorsichtig auf dem Backblech zu einer großen Schnecke. »Jetzt muss er nur noch gebacken werden.«

Mit der Hilfe von Rose und Devin trug sie das Teigblech durch die Tür und manövrierte ihn in den größten Backofen in der Backstube. Schon bald war die Luft von einem warmen, nussigen Duft erfüllt.

»Was soll denn das nun für ein Ding sein?«, fragte Devin und spähte skeptisch durch das Glasfenster des Backofens. »Hat ja Spaß gemacht, es herzustellen, aber wie soll es Rose helfen, nach Spitzwerken? Spitzzwergen? Spitz–«

»Spitzbergen«, sagte Polly. »Wenn ich mich nicht täusche, wird daraus ein Arc de Brioche. Eine Art Portal aus Hefeteig. Gelesen hab ich davon schon, aber nie eines gesehen.«

»Geht mir genauso«, sagte Tante Lily. »Soweit ich mich erinnere, können diese Portale nicht geschlossen werden, bis jemand sie zerstört! Am besten, ihr verstaut es irgendwo, wo man es einschließen kann, damit nicht unliebsame Gäste hinterherkommen.« Sie sah sich in der Backstube um. »Vor allem nach dem, was heute Morgen passiert ist …«

»Da ist was dran«, stimmte ihr Polly zu. »Wir stellen es irgendwo auf, wo es ganz sicher ist.« Sie warf Rose einen Blick zu. »Schätzchen, du ziehst mal lieber was Warmes an. Ihr reist in die Kälte.«

 

Ein Timer machte ding!, und Rose zog ein Paar Ofenhandschuhe an.