Die Glücksbäckerei – Die magische Verwandlung - Kathryn Littlewood - E-Book

Die Glücksbäckerei – Die magische Verwandlung E-Book

Kathryn Littlewood

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Beschreibung

Bezaubernd und unwiderstehlich – der 4. Band aus der ›Glücksbäckerei‹ Ihr Leben ist perfekt, nachdem Rose mit ihrer Familie nach Calamity Falls zurückgekehrt ist. Beinahe zu perfekt, findet Rose. Als würde das nächste Abenteuer sich schon ankündigen. Und richtig, Tante Lily und die Internationale Nudelholzgesellschaft verfolgen einen finsteren Plan. Bei einem Bankett wollen sie Staatsoberhäupter aus aller Welt ihrem Willen unterwerfen – mit magischem Gebäck. Doch Rose und ihre Geschwister kommen ihnen auf die Schliche. Jetzt ist es an Rose, in Windeseile alles mit einem Gegenzauber zu versehen … Ein köstlicher Lesegenuss rund um Rose und ihre liebenswert-chaotische Zauberbäckerfamilie

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Seitenzahl: 296

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Kathryn Littlewood

Die Glücksbäckerei – Die magische Verwandlung

Aus dem Amerikanischen von Eva Riekert

Mit Vignetten von Eva Schöffmann-Davidov

FISCHER E-Books

Inhalt

WidmungPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18

Für meine wunderbaren Leserinnen und Leser, die wissen wollen: Wie geht es weiter?

Prolog

Der erste Tritt

In den frühen Morgenstunden eines warmen Spätsommertages radelte Rosmarin Glyck allein mit dem Fahrrad durch Calamity Falls, im Fahrradkorb ein geöffnetes blaues Einmachglas.

So früh waren noch nicht viele Menschen auf den Beinen, schon gar nicht ganz normale dreizehnjährige Mädchen. Aber Rosmarin Glyck, die zwar dreizehn Jahre alt war und ein Mädchen, war ja auch alles andere als normal. Sie war die Meisterbäckerin der Familie Glyck – und heute gab es viel zu tun.

Das erste Licht der Morgendämmerung wirbelte als Flimmerhauch in das Einmachglas, während Rose rasch durch den morgendlichen Dunst strampelte. Die rosigen Lichtfäden blieben in gewundenen Spiralen an dem klebrigen Sirup hängen, mit dem das Glas ausgekleidet war. Als Rose die Anhöhe von Sparrow Hill erreicht hatte, war das Glas so voll mit Morgenlicht, dass es wie ein Bühnenscheinwerfer strahlte.

Rose bremste mit schlitternden Reifen auf dem leeren Parkplatz von Stetsons Donuts und Automobilwerkstatt und schraubte den Deckel auf das Glas. Warmer Duft nach fettgebackenen Donuts lag in der Luft, aber es war noch viel zu früh, um jemanden anzutreffen.

Genau deshalb ließ Rose fast das Glas fallen, als sich die Werkstatt-Tür unter dem Gebimmel vieler Glöckchen öffnete.

Devin Stetson trat heraus und wischte sich Maschinenöl an den Jeans und dem ehemals weißen T-Shirt ab. »Hey, Rose!«, rief er. »Was hast du denn da?« Er hatte sich in letzter Zeit die sandfarbenen Haare etwas wachsen lassen – sie kringelten sich in den Spitzen und bedeckten seine Ohren. Die aufgehende Sonne hinter ihm verlieh ihm ein fast engelsgleiches Aussehen.

»Ach, nur so eine … verrückte Spaceage-Lampe, die Basil in Paris gekauft hat.« Rose ließ das leuchtende Glas in ihrem Rucksack verschwinden, ehe Devin es richtig zu Gesicht bekam. »Ich pack sie mal weg, es wird ja schon hell.«

Das erste von ihr eingefangene Morgenlicht sollte später eine magische Zutat für eine Ladung Schmackhafter Schönwetterschnitten werden, aber das konnte Rose Devin nicht sagen. Auch wenn sie in der letzten Woche zusammen durch den Park geradelt waren und im Eiscafé McSchleck gesessen hatten – und auch wenn Devin ihre Liste der infrage-kommenden-zukünftigen Mr Glycks anführte, war er doch immer noch der Sohn eines Autoschraubers mit einer Schwäche für fettige Donuts. Er war kein Glyck, und das Geheimnis ihrer Familienbäckerei musste gewahrt bleiben.

»Eine Spaceage-Lampe? Hey, cool.« Er kam zu ihr geschlendert und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »Hi.«

»Hi«, flüsterte Rose mit einem so breiten Lächeln, dass man es sogar vom Marsmobil aus hätte erkennen können. »Warum bist du schon so früh auf? Schlafstörungen? Ich könnte dir was backen, damit du besser schlafen kannst. Jetzt sofort.«

Devin legte ihr eine Hand auf den Arm. »Ich hab nur schon mal an meinem Moped rumgebastelt, ehe es in der Werkstatt turbulent wird.« Er strich sich die Haare aus den Augen und strahlte sie an. »Alles ist bestens, seit ihr eure Familienbäckerei wieder aufgemacht habt. Alles gut, Rose.«

Alles ist bestens, versuchte sich Rose einzureden. Sei glücklich, Rose!

Aber tief im Inneren hatte sie ein mulmiges, brüchiges Gefühl, das ihr zu zischte: Das Glück kann nicht ewig anhalten. Nach all den schlimmen Dingen, die passiert waren – den Versuchen, das magische Rezeptbuch der Familie Glyck zu stehlen und die Welt mit Kuchen zu beherrschen –, ahnte Rose irgendwie, dass die gute Laune von ihnen allen jederzeit zertrampelt werden könnte – und zwar von Stiletto-Schuhen in Größe 38, getragen von ihrer bösen Tante Lily. Egal, wie sehr sich Rose danach sehnte, durch und durch glücklich zu sein, sie konnte die unheimliche Nachricht nicht vergessen, die sie an ihrem dreizehnten Geburtstag erhalten hatte:

Bis bald! Grüße, L.

»Mann, du bibberst ja!«, sagte Devin. »Da, nimm mein Sweatshirt.« Er wollte es sich ausziehen, merkte dann aber, dass er ja gar kein Sweatshirt anhatte. »Hmm. Nimm mein T-Shirt!«

Rose wurde rot, als er ansetzte, sich das verschmierte T-Shirt über den Kopf zu ziehen.

»Du solltest deine Sachen vielleicht lieber anbehalten.«  

»Gute Idee.« Er steckte die Hände in die Taschen und wippte auf den Füßen hin und her. »Hast du später Lust auf einen Film? Im Calamity-Plex zeigen sie einen Sci-Fi-Film, der Armageddon der Aliens heißt. So was magst du doch, habe ich recht?«

»Klar. Sehr gerne«, sagte Rose und strahlte.

Dann verabschiedeten sich die beiden. Rose fuhr im Leerlauf bergab. Sie fühlte sich, als hätte sie gerade eine Ladung Luft-und-Liebe-Eclairs gegessen.

Sicher, Tante Lily lauerte da draußen noch irgendwo, genau wie die vermaledeiten Mitglieder der Internationalen Nudelholzgesellschaft. Aber während der zehnminütigen Heimfahrt dachte Rose zum ersten Mal seit Tagen überhaupt nicht an sie.

Sie hatte ein Date.

 

Rose summte vor sich hin, als sie die Glücksbäckerei durchquerte und durch die Schwingtür in die Backstube stürmte.

Ihre Mutter, Polly, stand über den Küchenblock gebeugt und rührte in einer riesigen Schüssel Kuchenteig an. Ihr lockiges schwarzes Haar war mehlbestäubt, und schokoladenfarbene Fingerabdrücke zierten ihre gestreifte Schürze. Die warme Backstube roch nach Heidelbeermuffins und klebrigen Zimtschnecken und buttrigen Scones.

»Willkommen zurück«, sagte sie und gab Rose einen dicken Kuss auf den Kopf. »Hat das Sammeln geklappt?«

Rose klopfte auf ihren Rucksack, in dem das Glas verstaut war, dann packte sie die Hand ihrer Mutter, hielt sie in die Höhe und drehte sich wie eine Ballerina – mit pinkfarbenen Shorts statt Tutu.

»Du hast also bei den Stetsons reingeschaut, wie ich merke«, sagte Polly und rührte wieder ihren Teig.

»Möglich!«, rief Rose zurück und öffnete die Tür zu dem großen Kühlraum. Eine Drehung an einem versteckten Mechanismus gab Zutritt zu dem Geheimkeller unter der Backstube der Glycks. Dorthin brachte Rose das leuchtende Glas und stellte es zu den anderen Zauberzutaten der Familie. Als sie wieder in die Backstube zurückkam, stand ihre vierjährige Schwester auf Zehenspitzen auf einem Hocker neben Polly.

Nella hatte eines von Tymos Flanellhemden wie eine Schürze um den Hals gebunden. Eifrig rollte sie den Teig für Zuckerplätzchen aus und steckte dabei hochkonzentriert die Zungenspitze zwischen den Zähnen durch.

»Sie schuftet schon den ganzen Morgen«, murmelte Polly. »Noch nie habe ich eine Vierjährige so fleißig arbeiten sehen. Sie hat alles gemacht, um was ich sie gebeten habe – sogar das Geschirr abgewaschen!« Sie drehte sich um und setzte hinzu: »Nur, dass ich jetzt kein Stück mehr finden kann.«

Rose runzelte die Stirn. Nella ließ sich eigentlich nie was sagen – rein gar nichts. Warum war sie heute morgen so hilfsbereit?

All die nagenden, bohrenden Sorgen, die von Devin Stetsons Kuss vertrieben worden waren, schlichen sich sofort wieder in Roses Kopf.

Rose beschloss, Nella im Auge zu behalten. Als ihre Mutter Nella bat, mit Ausstechformen zehn kleine Hunde und zwölf kleine Katzen auszustechen, hatte Nella die Tierplätzchen in einer knappen Minute auf dem eingefetteten und mit Mehl bestäubten Blech ausgelegt und nur ein paar winzige Teigreste übriggelassen. Und als Rose sich meldete und um ein paar saubere Rührschüsseln bat, standen sechs Schüsseln wie der Blitz auf der Anrichte, nach Größe sortiert, so wie Rose es mochte, ohne dass sie das jemals betont hatte.

Nella schlug ihre kleinen rundlichen Hacken zusammen. »Und jetzt?«

Rose und ihre Mutter tauschten besorgte Blicke aus. Sollte tatsächlich etwas mit Nella nicht in Ordnung sein oder war das nur eine Überreaktion von ihnen?

Da hatte Rose eine Idee für einen Test. Sie kniete sich neben Nella und deutete an die Decke über dem industriegroßen Standmixer. »Siehst du all das Mehl dort oben in der Ecke?«

Mit den Augen folgte Nella Roses Finger zu den weißen Mehlablagerungen, die an der Decke klebten. Der Mixer neigte dazu, trockene Zutaten in einem Schwall nach oben zu schleudern, wenn man sie zu schnell in die Schüssel gab – und Rose vergaß manchmal, die Geschwindigkeit herunterzudrehen.

»Das muss saubergemacht werden«, sagte Rose. »Damit nichts davon in einen frisch angesetzten Teig runterfällt.«

Nella lutschte nachdenklich am Daumen. So wie man es von ihr kannte.

Ihre Mutter lächelte. »Gut. Wir müssen uns keine Sorgen machen.«

Aber schon im nächsten Moment kletterte Nella wieder auf ihren Hocker und blätterte in dem Backbuch der Familie Glyck, das aufgeschlagen auf der Anrichte lag. Sie überflog die Zeilen, die sie mit ihrem kleinen Zeigefinger verfolgte, schüttelte den Kopf, als sie das Rezept nicht fand, das sie suchte, und blätterte mit angelecktem Finger weiter zum nächsten Rezept.

»Ich wusste gar nicht, dass sie schon lesen kann«, sagte Rose zu ihrer Mutter.

»Kann sie nicht«, erwiderte Polly mit besorgt gefurchter Stirn.

Nella klatschte in die Hände, sprang von dem Hocker und machte sich an die Arbeit. Sie schmolz Butter in der Mikrowelle und rührte sie in eine Schüssel mit Krümeln von selbstgebackenen Vollkornkeksen, dann drückte sie die Mischung als Kuchenboden auf ein Backblech und gab Schokoladenflocken, Erdnussbutter und Karamell in Schichten darauf. Sie bewegte sich so blitzartig, dass sie praktisch nur verschwommen zu sehen war. Erst als Nella in dem geheimen Keller verschwand, konnte Rose einen Blick auf das Rezept im Backbuch werfen.

»Sticky Snickers«, las sie laut vor. Sie wandte sich verständnislos an ihre Mutter. »Schokoriegel? Da steht nicht, wofür das Rezept gut ist.«

Polly runzelte die Stirn. »Das Rezept kenne ich nicht. Aber ich glaube nicht, dass wir uns jetzt schon Sorgen machen müssen.«

Kurz darauf kam Nella aus dem Kühlraum gewatschelt und trug ein Einmachglas, das fast so groß war wie sie selbst. Sie stellte es ab, wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und machte laut »Puh!« Dann griff sie in das Glas, entnahm ihm zwei Fäuste einer bernsteinfarbenen, klebrigen Substanz und strich diese dick auf die anderen Zutaten. Die Mischung blubberte und zischte wie ein Kessel mit kochendem Teer, dann wurde eine glatte, glänzende Fläche daraus.

Rose und Polly starrten sich an. Nella machte alles genau richtig. Das machte sie stutzig. Was ging hier vor?

 

Eine Viertelstunde später zog Nella die Sticky Snickers mit Tymos Hemd als Topflappen aus dem Ofen. Sie schnitt sich ein Stück mit einem Küchenmesser ab, pustete kurz, damit es abkühlte, und nahm einen großen Bissen, wobei sie sich die Wangen mit geschmolzener Schokolade und Kekskrümeln verschmierte.

»Das sieht lecker aus«, sagte Rose und lächelte, »aber ich habe eigentlich nichts davon gesagt, dass du Schokoriegel machen sollst.« Rose schraubte den Deckel auf das Einmachglas. KLEBRIGER HONIG VON DER TRANIGEN TOURISTEN-BIENE stand darauf.

»Ich erinnere mich nicht, das schon mal gesehen zu haben«, sagte ihre Mutter.

Hinter ihnen war ein sehr vernehmliches quatschendes Schmatz! zu hören. Rose und ihre Mutter sahen sich um, als noch so ein schmatzendes Geräusch aus der Ecke, in der der Mixer stand, ertönte.

Mit einem Kehrblech und einem kleinen Handfeger zwischen den Zähnen – wie ein Seeräuber, der ein Entermesser hielt – kroch Nella die Wand hinauf. Es war ein ruckartiges, zögerndes, klebriges Kriechen – und es hinterließ zähflüssige Spuren an der Wand –, aber im Nu war Nella hoch genug, um das alte Mehl unbeholfen von der Decke in die Kehrschaufel zu fegen, die sie über den Kopf hielt.

»Das kann ja ich nicht mal«, sagte Polly und verschränkte die Arme.

In dem Moment fiel einer von Nellas Schuhen herunter und landete mit einem unheilvollen Plumps! in der leeren Rührschüssel unter ihr.

Polly starrte Rose an. Sie wirkte völlig ratlos.

»Kann ich mir jetzt vielleicht Sorgen machen?«, fragte Rose.

Kapitel 1

Der geheimnisvolle Keks

»Aber mein Schätzchen!«, sagte Polly. »Komm sofort runter, eh du dir noch weh tust!«

Nella reagierte nicht auf sie, sondern streckte den Handfeger vor und kratzte den letzten hartnäckigen Klumpen Mehl von der Wand. Dann hielt sie vorsichtig die Kehrschaufel gerade und kroch rückwärts wieder die Wand herunter, wobei sich jeder Fuß mit einem Schmatz löste, ein Geräusch, das Rose an Saugnäpfe erinnerte.

Nella watschelte zum Abfalleimer, schüttete das Mehl hinein und schlug wieder die Hacken zusammen, als sei sie Dorothy aus Der Zauberer von Oz.

Polly nahm Nella in die Arme. »Bitte klettere nie wieder die Wände hoch.«

»Zumindest nicht ohne Fallschirm!«, setzte Rose hinzu. Hätte sie ihrer Schwester bloß nie so eine gefährliche Aufgabe gestellt! Aber wenigstens war jetzt das Ausmaß der Gefahr deutlich geworden: Nella stand unter einem Zauber!

Aber wie kam das? Von wem war sie verzaubert worden?

»Was jetzt?«, fragte Nella mit erstickter Stimme aus Pollys Schürze.

Rose wandte sich ihr zu. »Kannst du uns erzählen, was du die letzten Tage alles gemacht hast?«

»Ay, ay, Sir!«, rief Nella. Sie rannte an die Wand und legte die Arme darauf. »Ich bin hoch und immer höher geklettert und habe alles saubergemacht, wie du gesagt hast!«

»Und davor?«, fragte Rose. »Von da an rückwärts.«

Nella rannte zur Anrichte, sprang auf ihren Hocker und tat, als ob sie Teig ausrollte, dann stellte sie den Wasserhahn an. »Ich habe beim Backen geholfen und das Geschirr abgewaschen!«

Mit einem Schnalzer, der ihren anderen Schuh zu dem ersten in den Mixer fliegen ließ, sprang sie wieder herunter und schlitterte auf Socken über den Küchenboden in die Essecke. »Ich habe Tymo gezeigt, wie er dicke Arme kriegt.« Sie legte einen Arm auf den Rücken und machte mit dem anderen zehn rasche Liegestütze. »Du bist die Workout-Queen, mi hermana«, näselte Nella und machte Tymos Stimme perfekt nach. »Du solltest meine persönliche Trainerin werden!«

Dann sauste Nella durch die Schwingtür in den Ladenraum der Bäckerei. »Ich habe Dad geholfen, die Stühle hochzustellen!« Sie machte eine Geste zu den Bistrotischen. »Und davor war ich mit Basil zusammen!«

Rose und Polly rannten Nella nach, die nach oben sauste und die Tür zu dem gemeinsamen Zimmer von Tymo und Basil aufriss. Beide Jungen schliefen – bis Nella auf Basils Bett sprang und auf und ab zu hüpfen begann.

Mit aufgerissenen Augen schreckte Basil hoch. »Erdbeben! Rettet mein Notizbuch mit meinen Sketchen!«

Gähnend kam Roses sechzehnjähriger Bruder Tymo hinter dem Vorhang hervor, der das Zimmer in zwei Hälften teilte. Viele Mädchen aus Calamity Falls wären ohnmächtig geworden, Tymo ohne Hemd zu sehen, während Rose nur auffiel, dass er immer noch dieselben ungewaschenen Basketball-Shorts trug, die er schon die ganze Woche angehabt hatte.

»Ist schon Mittag?« Seine roten Haare waren gewöhnlich gegelt und hochgekämmt, aber so frisch aus dem Bett hing ihm sein Pony wie ein Vorhang über das Gesicht. Er sah seine kleinste Schwester an, dann Rose und Polly. »Wusstet ihr, dass Nella einarmige Liegestütze machen kann? Das ist muy increíble.«

»Hat sie euch von meinem großen Auftritt erzählt?«, fragte Basil gespannt.

Nella hörte zu hüpfen auf. »Ich habe viele Zettel gemacht.«

Basil schnappte sich einen Stapel leuchtend pink- und orangefarbener Flyer und gab sie Rose. »Flyer. Für meinen ersten großen Auftritt.«

»O Mann«, murmelte Rose.

Basil war seit kurzem ganz besessen davon, seine Karriere als Comedian zu starten, obwohl die Leiterin der Talentshow der Grundschule von Calamity Falls erklärt hatte, seine Nummer sei »zu gewagt«, um aufgeführt zu werden.

»Ich finde, das hört sich gut an«, hatte Basil gesagt und an den roten Hosenträgern gezogen, die er sich für seine Nummer besorgt hatte. »Zu gewagt klingt, als wäre ich eine Bedrohung.«

»Ich meinte«, hatte Mrs Delfo erläutert, »dass wir nicht wagen würden, deine Nummer auf die Bühne zu bringen.«

»Auch recht! Ich brauche Sie nicht«, hatte Basil verkündet. »Die Welt wird meine Bühne!«

»Der Nächste!«, hatte Mrs Delfo gerufen und ihn weggescheucht.

Aber wie sich herausgestellt hatte, war die einzige Bühne, die Basil finden konnte, eine Parkbank gewesen, mit einer Straßenlaterne als Rampenlicht. Die Flyer, die die Show ankündigten – BASILS SCHMIERENKOMÖDIE: LASST EUCH ANSCHMIEREN –, waren in fetter Schrift geschrieben, und am unteren Rand war eine Zeichnung von Basil mit wilden roten clown-artigen Haaren und zwei großen hochgestreckten Daumen. ZUM BRÜLLEN? stand daneben.

»Ich verstehe nicht, warum da ein Fragezeichen ist«, sagte Basil und schaute Rose über die Schulter. »Da sollte ZUM BRÜLLEN! stehen. Wie ein Ausruf. Die Leute mögen doch Ausrufezeichen.«

»Du hast die gemacht?«, fragte Rose ihre Schwester.

Nella fing wieder an, auf dem Bett herumzuhüpfen. »Wenn Basil seine Witze erzählt, lachen die Leute manchmal!«

»Manchmal?«, fragte Basil.

»Süße«, sagte Polly und drückte Nella sanft die Schulter, »hast du vielleicht sonst noch was gemacht?«

Nella schüttelte vehement den Kopf, dann nahm sie den Daumen aus dem Mund. »Das war nach dem Essen. Vorher hab ich mit Gus im Garten gespielt und davor geschlafen, weil ich von dem langen Spaziergang zur Post müde war.«

»Zur Post!«, rief Polly und zog die Augenbrauen hoch.  

»Ganz alleine?«, fragte Rose.

Nella nickte. »Ich musste das Päckchen abgeben.«

»Was für ein Päckchen?«

»Das ich schicken sollte, wie’s auf dem Zettel stand«, sagte Nella mit einem Achselzucken.

»Zettel?« fragte Rose. »Was für ein Zettel?«

»Der mit dem Keks gekommen ist.«

»Nella.« Rose setzte sich und legte ihren Arm um die Schultern ihrer Schwester. »Erzähl uns alles, was dir zu diesem Zettel einfällt.«

»Der Briefträger hat ein rosa Päckchen gebracht«, sagte Nella. »Chip hat gesagt, es sei für Pimpinella Glyck – weil sie so süß ist.«

Chip war der bullige Ex-Soldat, der in der Bäckerei half. Er war muskulös wie ein Ringkämpfer, und sein Kopf war glänzend und glatt wie eine Billardkugel. Er hätte sich gehütet, Nella ein absenderloses Päckchen zu geben, ohne es zuerst genau untersucht zu haben. Was bedeutete, dass es wohl ziemlich harmlos ausgesehen haben musste.

»Da war ein Keks drin, der war so groß wie mein Gesicht!« Nellas Grinsen war so breit wie das von einem Halloween-Kürbis. »Der hat einen schwarz-weißen Zuckerguss gehabt, und ich habe ihn ganz aufgegessen. Fast ganz – nur den Zettel nicht, der da drin versteckt war.«

»Ein Zettel im Keks? Also wie ein riesiger gezuckerter Glückskeks? Lecker!« Basil schmatzte genüsslich. »Mom, die sollten wir ins Angebot nehmen. Wir würden Millionen verdienen! Kein Mensch mag die Glückskekse vom Chinesen.«

Polly tätschelte ihrem Sohn gedankenverloren die wilden rotblonden Locken. »Darüber reden wir später. Nella, hast du Chip gebeten, dir den Zettel vorzulesen?«

Nella schüttelte den Kopf. »Der Zettel hat sich selbst laut vorgelesen! Er hat gesagt, ich soll in den …« Sie sah sich verschwörerisch um. »… den geheimen Vorratsraum gehen. Und dass ich das Glas drei-sieben-sieben nehmen und an eine Adresse schicken sollte.«

»Das ist jetzt ganz wichtig«, schärfte Rose ihrer Schwester ein. »Wo ist der Zettel?«

Ein schuldbewusster Blick huschte über Nellas Gesicht. Sie drückte den Kopf an Roses Seite und murmelte etwas, das nicht zu verstehen war.

»Ist schon gut, Schätzchen«, sagte Polly und drehte Nellas Gesicht wieder nach vorne. »Ich bin nicht böse auf dich. Wo hast du den Zettel hingetan?«

Mit aufgerissenen Augen sagte Nella: »Auf-ge-ges-sen.«

»Du hast ihn aufgegessen?«, fragte Rose.

»Das hat der Zettel gesagt! Nachdem du dir gemerkt hast, was ich dir gesagt habe, iss mich auf!« Sie rümpfte ihr Näschen und setzte hinzu: »Hat wie ’ne Papierserviette geschmeckt.«

Ein geheimnisvolles Päckchen. Ein verborgener Zettel. Ein Zauberkeks, der aus ihrer vierjährigen Schwester eine Marionette machte, die alles tat, was man ihr sagte. Rose wollte gar nicht dran denken, wer dahintersteckte. Die Internationale Nudelholzgesellschaft? »Wohin hast du das Einmachglas geschickt, Nella?«

»An eine Stadt, die Washington D.C. heißt«, sagte Nella.

Polly stand entschlossen auf. »Basil, dein Vater ist immer noch auf der Suche nach dem Dreiflügeligen Regenbogenschmetterling, und Großvater Balthasar ist noch nicht von der Reise zu seiner Bäckerei in Mexiko zurück. Ich will, dass du ein Auge auf Nella hast und aufpasst, dass sie nirgendwo hingeht.«

»Du kannst auf mich zählen.« Basil salutierte. »Sie kann mir bei meiner neuen Comedy-Nummer helfen, ehe die Wirkung von dem Keks nachlässt.«

»Mom hat gesagt aufpassen, nicht foltern«, näselte Tymo.

Polly packte Roses Hand und zog sie nach unten. »Du und ich«, sagte sie, »wir müssen alles über dieses Glas rausfinden.«

 

Die verborgene Tür zu ihrem geheimen Keller ging mit einer Drehung eines gut getarnten Griffs in Form eines Nudelholzes auf. Der Keller war nur von ein paar wenigen Glühbirnen schwach beleuchtet, weil sich die magischen Zutaten so besser hielten und weil der Zwerg des ewigen Schlafes außerdem tiefer schlummern konnte, wenn er nicht von Neonlicht angestrahlt wurde.

Nachdem Rose zur Meisterbäckerin ernannt worden war, hatte sie sich mit ihren Eltern und Urururgroßvater Balthasar an die Arbeit gemacht und das ganze Inventar nummeriert und etikettiert, damit man die Zutaten leichter finden konnte. Die Froschaugen standen jetzt bei den Kaulquappen-Tagträumen, die geisterhaften Seufzer und das Geheul hatten jetzt eine eigene Abteilung in der hintersten Ecke, und es gab eine ganze Wand mit allen Arten Geflüster – von ganz laut bis ganz leise.

Das neue Exemplar mit dem ersten Licht der Morgendämmerung leuchtete freundlich durch die Latten der Regale und strahlte die blauen Einmachgläser an. Rose führte ihre Mutter zu der Abteilung mit den Gläsern 350 bis 400: alles Zutaten aus alten Mythen und Legenden.

Genau wie Nella gesagt hatte, war der Platz für Glas 377 leer. Ein sauberer Kreis in einer dünnen Staubschicht zeigte an, wo es bis vor kurzem gestanden hatte.

Polly zog ein säuberliches Etikett aus seiner Messinghalterung und kniff die Augen zusammen, um in dem dämmrigen Licht lesen zu können. GEZEITEN DER VENUS. Ihre Hand flog zum Mund. »O nein!«

»Kommt mir irgendwie bekannt vor«, sagte Rose. Der Name Venus erinnerte sie an etwas, das sie vergessen zu haben glaubte.

»Gezeiten der Venus – das ist eine sehr wirkungsvolle, sehr gefährliche Zutat«, erklärte ihr Polly, die ihren besorgten Ausdruck nicht verbergen konnte. »Richtig angewendet, verabreicht in zwei abgemessenen Gaben, macht es einen empfänglich für Einflüsterungen – wie eine Marionette.«

»Richtig angewendet?«, fragte Rose. »Was passiert, wenn man die Zutat falsch anwendet?«

Pollys Hand zitterte, als sie das Etikett zurücksteckte. »Die falsche Verabreichung? Ohne die zweite Gabe fällt der Empfänger ins Koma. Lebenslang.«

»Das hört sich sehr schlimm an«, sagte Rose. »Aber auch richtig verabreicht scheint die Wirkung der Gezeiten der Venus schrecklich zu sein.«

»So ist es.« Polly zog ein anderes Glas aus dem Regal und steckte es in die Armbeuge. »Ein paar äußerst böse Menschen haben die Gezeiten der Venus dazu missbraucht, um ganze Nationen ins Unglück zu stürzen. Hast du jemals vom Alten Rom gehört, Rose?«

»Äh –«

»Egal«, sagte Polly. »Wenigstens hat Nella nicht das zu sich genommen. Das wäre …« Sie schüttelte den Kopf.

Und dann fiel Rose ein, wann sie von der Zutat gehört hatte. Vor etwas mehr als einem Jahr, als sie ziemlich verzweifelt war, hatte aus dem vergitterten Schacht im Kellerboden eine Stimme zu ihr gesprochen. Die Stimme hatte ihr eindringlich vorgeschlagen, einen Tropfen aus einer Venusmuschel anzuwenden, aus einem Glas, auf dem VENUSTINKTUR gestanden hatte. Du wirst die schöne Helena an Schönheit übertreffen. Und sogar deine Tante Lily!

Rose hatte widerstehen können; und was für ein böses Wesen auch immer da zu ihr gesprochen hatte, es hatte sie nie wieder in Versuchung geführt. Sie wollte gerade ansetzen, ihrer Mutter davon zu erzählen – wer immer Nella verzaubert und sie um die Gezeiten der Venus gebeten hatte, führte ebenfalls eindeutig etwas ganz Abscheuliches im Schilde –, aber Polly eilte bereits die Treppe hinauf. Rose folgte ihr.

»Ruf deine Geschwister zusammen«, sagte Polly, nahm ihre Schürze ab und reichte sie Rose. »Du musst dich heute um die Bäckerei kümmern. Trau dich ruhig, Tymo anzustellen, egal wie sehr er meckert.«

»Was hast du vor, Mom?«, fragte Rose und schlüpfte in die Schürze ihrer Mutter. Es war ein gutes Gefühl, die Uniform einer Meisterbäckerin zu tragen.

Polly stand zögernd an der geöffneten Kühlraumtür und lächelte Rose traurig zu. »Keiner darf sich mit unserer Familie anlegen – sonst bekommt er oder sie es mit dem Zorn von Polly Glyck zu tun.«

 

Ein Berg von Koffern stapelte sich an der Hintertür, während Rose und ihre Brüder alles vorbereiteten, um die Bäckerei zu öffnen. Basil kümmerte sich um die Zimtschnecken, Tymo siebte Puderzucker über die Muffins und Nella – immer noch unter der Wirkung des Zauberkekses – fegte wie ein Wirbelwind durch die Küche und putzte und wusch ab. Kein Tablett, keine Rührschüssel blieb länger als eine Minute schmutzig, schon hatte sie alles spiegelglatt poliert.

Alle Vitrinen waren gefüllt und die Verkaufsflächen geschrubbt, als Polly erneut aus dem Keller kam. Sie hatte ein blaues Einmachglas dabei – eines, das im Gegensatz zu den meisten Gläsern, die in der Glücksbäckerei benutzt wurden, mit einem kräftigen Hühnerdraht umwickelt war.

Rose hatte die dunkelste, tiefste Ecke für derlei Gläser reserviert, und sie wurden in einem sicheren Käfig verwahrt. Diese Zutaten landeten niemals in den Kuchen oder Keksen, die für die Leute von Calamity Falls gebacken wurden. Es waren Zutaten, die nur für schwarze Magie benutzt wurden.

Und dort hätte auch das Glas mit den Gezeiten der Venus stehen sollen.

»Was ist das, madre?«, fragte Tymo und zog vorsichtig seine schmutzige Schürze über das zu Igelstacheln hochgekämmte und gegelte Haar.

Polly steckte das Glas in einen der Koffer, den sie mit einem kleinen Vorhängeschloss versperrte. »Vater und ich fahren nach Washington D.C., um diese Person zu suchen und ihr das Handwerk zu legen.«

In dem Moment ging die Eingangstür zur Bäckerei auf, und eine warme Brise wehte mit dem Gemurmel von Kunden herein. Eine Sekunde später kam Albert, Roses Vater, durch die Schwingtür in die Backstube. Er hatte Chip im Schlepptau, der murrte, als er mit seinen breiten Schultern an den Türrahmen stieß.

Albert Glyck war ein großer Mann mit feuerroten Haaren wie Tymo und sah oft so ungekämmt aus wie Basil, auch wenn Polly darauf bestand, dass er sie – genau wie seinen Schnauzbart – säuberlich kurz geschnitten hielt. Er war so schlank, dass keiner glauben mochte, dass er die guten Dinge aß, die hier gebacken wurden, doch heute war seine Jacke von einem seltsamen Klumpen ausgebeult. »Was habe ich verpasst?«, fragte er.

»Einiges«, sagte Polly. »Chip, kannst du den Laden betreuen?«

Chip nickte zackig. »Klaro, Mrs Glyck.«

Er verschwand im Ladenraum, und Albert zog ein blaues Einmachglas unter der Jacke hervor und stellte es auf eine der Arbeitsflächen. In dem Glas flatterte ein großer Schmetterling mit drei Paar schillernden Flügeln. Bei jedem Flügelschlag verwandelte sich die Farbe der Flügel von Rot zu Violett bis hin zu dem Türkis des Mittelmeeres.

»Ich hab den ganzen Morgen gebraucht, aber schließlich habe ich eines von den Schätzchen erwischt, als es aus dem Kokon schlüpfte!«, sagte Albert zufrieden. »Die Schuppen von seinen Flügeln sind die letzte Zutat, die wir für den schillernden Zuckerguss auf dem –« Er bemerkte die sorgenvollen Blicke seiner Familie, unterbrach sich und fragte: »Was ist passiert?«

Polly nahm Albert beiseite, und nach einigen Minuten gedämpfter Unterhaltung nickte Albert ernst und fing an, die Koffer in den alten Familienvan zu tragen.

Albert konnte sich nur kurz von den Kindern verabschieden, während Polly Mrs Carlson, die alte Babysitterin, anrief, um sie zu bitten, ein Auge auf die Kinder zu haben, wenn die Bäckerei schloss und Chip Feierabend machte.

Polly seufzte, als sie auflegte, und sah zu ihren Kindern hinüber. »Wir sind zurück, ehe ihr überhaupt merkt, dass wir fort sind.«

»Das wissen wir, Mom«, sagte Rose. Alle vier umarmten Polly. »Viel Glück.«

Polly sah Rose an. »Du bist die Meisterbäckerin hier, du hast das Sagen, solange wir fort sind. Ich bin sicher, dass du immer das Richtige tust.«

Rose schluckte ihre Unsicherheit hinunter. Sie war erst seit einer einzigen Woche Meisterbäckerin – sie musste immer noch so viel lernen! Und jetzt übergab ihr ihre Mutter die Zügel für die Glücksbäckerei? Was, wenn sie noch mehr vermasselte als beim letzten Mal? Und was meinte Polly mit das Richtige? Woher sollte sie wissen, was in welcher Situation richtig war?

Aber sie wollte ihre Mutter nicht mit ihren Zweifeln beunruhigen, daher sagte Rose: »Ich werde dich nicht enttäuschen.«

»Das weiß ich.« Polly lächelte ihr kurz aufmunternd zu, dann eilte sie hinaus. Die Kinder folgten.

»Tschüs«, rief Nella und winkte dem Van traurig nach, der immer kleiner wurde und am Ende der Straße verschwand.

»Ein neuer Tag, eine neue Glyckskatastrophe«, sagte Tymo.

»Kommt jetzt ziemlich häufig vor«, stimmte ihm Basil zu.

»Los, wir helfen Chip.« Rose ging voraus in die Bäckerei. Die vertrauten Düfte nach Schokolade und Zimt beruhigten sie.

In der Backstube banden sich ihre Brüder frische Schürzen um, und alle vier lauschten dem frohen Gelächter der Kundschaft im Laden.

»Wir haben es gar nicht rausgefunden, oder?«, fragte Basil. »Wer Nella den Keks geschickt hat?«

Rose raffte ihre schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und machte ein finsteres Gesicht. »Es gibt nur eine Person, die so hinterhältig und heimtückisch ist und die außerdem unseren geheimen Keller kennt.«

»El Tiablo?« Tymo zog erschrocken die Luft ein. Das war sein Spitzname für die raffinierte Tante Lily. »Unmöglich, hermana. Unsere Tante hat es doch aufgegeben, sich mit uns einzulassen. Das glaube ich nicht.«

»Ich hoffe, du hast recht.« Rose beobachtete ihre kleine Schwester, die die Kochplatten eines Herdes schrubbte, und dachte an ihre Eltern, die sich in wer weiß was für Gefahren stürzten, um die Gezeiten der Venus zurückzuholen. Sie zwang sich zu lächeln, denn als Meisterbäckerin musste sie Ruhe und Zuversicht ausstrahlen. »Ich bin sicher, du hast recht«, sagte sie zu Tymo.

Aber tief im Herzen wusste Rose, dass das eine Lüge war.

Kapitel 2

Große Mädchen lassen sich nicht bemehlen

Der Vormittag war grässlich hektisch.

Und auch wenn Rose normalerweise nur zu gerne bereit war, den Frauen vom Bibliothekarinnen-Bücher-Bund mit einer Ladung Karotten-Cupcakes mit Extra-Sehschärfe-Topping den Tag zu erhellen oder den Thistle-Bastables ihre Schnell-wie-der-Wind-Beutel zu reichen, damit sie ihre täglichen Besorgungen schafften – heute merkte sie, dass sie sich nur wünschte, alle würden sie einfach mal in Ruhe lassen.

Endlich um halb elf war der Laden leer. Basil war so erschöpft, dass er hinter dem Ladentisch ausruhte. Tymo war auf der Straße, umgeben von einer Schar langhaariger, glitzernder Mädchen aus der Schule.

Rose sah ihre Chance. »Chip?«

Der große Bursche fegte gerade ein paar Krümel auf ein Kehrblech und sah auf. »Was kann ich für dich tun, Rose?«

Rose warf einen Blick über die Schulter in die Backstube. »Ich bereite uns mal auf den nachmittäglichen Ansturm vor. Bestimmt werden Pasteten als Nachtisch zum Abendessen verlangt.«

»Ich putze!«, sagte Nella und flitzte durch die Schwingtür. »Und dann kann ich den Teigboden ausrollen!«

Chip streckte sich und ließ seine Muskeln spielen. »Ich mach mich an die Apfelfüllung, und du machst die Kirschfüllung.«

Rose stellte sich ihm in den Weg und setzte ein falsches Lächeln auf. »Nicht nötig, Chip! Du hast eine Pause verdient. Setz du dich doch gemütlich hin, am besten hier in den Laden, falls doch noch ein Kunde kommt.«

Er zog die Augenbrauen hoch. »Sicher?«

»Ganz sicher.«

Mit einem Schulterzucken setzte Chip sich an einen der leeren Bistrotische, zog ein Kreuzworträtsel hervor und machte sich an die Lösung von sieben waagerecht.

Rose klopfte an die Scheibe und bedeutete Tymo, hereinzukommen. Als er eintrat, schnappte sie sich Basil, und alle drei gingen in die Backstube, wo Nella schon an der Spüle stand und abwusch, wobei sie halb in einem Berg Seifenblasen verschwand.

»Wozu brauchst du uns?« Tymo warf seine zusammengeknüllte Schürze auf die Anrichte. »Hermana pequeña scheint doch alles im Griff zu haben und ich muss zu all meinen Freundinnen zurück. Wir wollten gerade einen spontanen Staffellauf machen.«

»Was meinst du mit all deinen Freundinnen?«, fragte Rose. »Du hast mehr als eine?«

Tymo wollte gerade antworten, als Rose ihn zum Schweigen brachte. »Ach, egal. Findest du nicht, dass wir rausfinden sollten, von wem Nella das Päckchen bekommen hat?«

»Mom und Dad kümmern sich doch drum, Rosacita.« Tymo tätschelte ihr den Kopf, als sei sie ein Hundebaby. »Es ist erst einen Monat her, seit du entführt und von einem bösen Konzern gefangen gehalten worden bist. Versuch doch mal eine Weile, ein normales Mädchen zu sein.«

Rose stöhnte und schlug das Backbuch auf. »Normal ist langweilig. Ich bin jetzt eine Meisterbäckerin, und eine Meisterbäckerin faulenzt nicht, vor allem nicht, wenn hinterhältige Subjekte ihre Schwester für Böses benutzen.«

»Na, gut, dass ich kein Meisterbäcker bin.« Tymo ging Richtung Hintertür. »Ich entscheide mich für normal, und normal bedeutet einen spontanen Staffellauf im Sampson Park. Adios!«

Rose sah zu Basil hinüber, der mit den Händen in den Taschen dastand und Tymo sehnsüchtig nachblickte.

»Ich nehme mal an, du willst auch gehen«, sagte sie.

»Nö.« Er strich seine Schürze glatt. »Tymos Freundinnen wollen gar nicht richtig spielen, und sie lachen auch nie über meine Witze.« Basil kratzte sich den Kopf und brachte sein zerzaustes Haar noch mehr durcheinander. »Was eigenartig ist, weil ich nämlich echt komisch bin –«

Etwas Schweres und Graues warf sich vom Kühlschrank und landete mit einem Plumps mitten auf dem Küchenblock.

»Hoppla!« Rose sprang erschrocken zur Seite.

Aber es war nur Gus. Der Kater blinzelte mit seinen grünen Augen und strich sich geziert mit den Pfoten über die Schnurrhaare. »Ich denke doch, Miau lautet die angemessene Begrüßung? Also: Miau.«

»Du solltest uns warnen, ehe du so Zeug machst!«, rief Basil. »Ich bin fast geplotzt!«

»Geplotzt?«, wiederholte Rose.

Basil zuckte die Schultern. »Das sagt Großvater Balthasar immer. Ich versuche, es in meiner Nummer unterzubringen. Bin aber immer noch am Überlegen, was geplotzt eigentlich heißen soll.«

Gus schlug mit dem Schwanz. »Du solltest immer darauf vorbereitet sein, dass eine Katze unterwegs ist, selbst wenn du keine sehen kannst.« Er leckte rasch eine seiner Pfoten ab. »Wir sind eine sehr verstohlene Gattung.«

Natürlich konnten nicht alle Kater dieser Gattung reden, aber Gus hatte einmal Gouda-Geplauder-Gebäck gefressen, das Urururgroßvater Balthasar gemacht hatte, und nun sprach er mit dem Akzent eines gebildeten englischen Herrn.

Meistens war das unglaublich hilfreich.

Manchmal aber auch schlicht nervig.

Mit zuckender Nase steckte Gus die Schnauze in das Backbuch und sagte: »Was bedeutet die ganze Aufregung – habe ich richtig gehört, dass Tante Lily Nella verzaubert hat?«

Rose erzählte ihm, was Nella getan hatte, seit sie den Zauberkeks gegessen hatte.

Die grünen Augen des Katers funkelten. »Jetzt verstehe ich das mit gestern Abend! Sie hat mir geholfen, mich abzuschlecken.«

Rose und Basil sahen zu Nella hinüber, die achselzuckend die Zunge herausstreckte. »Hab immer noch Haare zwischen den Zähnen«, sagte sie.

»Was immer in dem Keks war: Es hat Nella super hilfsbereit gemacht, das steht mal fest«, sagte Rose. Inzwischen hatte Nella das komplette Geschirr vom Morgen gespült, abgetrocknet und weggeräumt und fegte gerade die Terrakotta-Fliesen, wobei sie vor sich hin summte.

»Ich wäre ja versucht, sie in dem Zauberbann zu lassen, wenn ich nicht annehmen müsste, dass Böses dahintersteckt.«

Bei dem Wort Böses lugte ein pelziger Kopf von der Größe eines Vierteldollarstücks aus dem schmalen Spalt zwischen einem Schrank und einem der Backöfen hervor. »Ich habe alles gehört, deshalb bin ich zu eurer Rettung gekommen.« Wie Gus hatte die Maus Jacques ebenfalls von magischem Gouda-Geplauder-Gebäck gegessen und konnte inzwischen sprechen. Familie Glyck hatte Jacques in Paris kennengelernt, als Rose an der Gala des Gâteaux Grands teilgenommen hatte und seine Hilfe brauchte, um Tante Lily auszuspionieren.

Gus verengte die Augen zu Schlitzen, als Jacques auf den Küchenblock kletterte. »Und wie sieht diese Rettung aus?«

Jacques setzte sich auf die Hinterbeine und drückte eine graue Pfote auf die Brust. »Im Mehl lesen!«

»Mehl-Lesen? Ich kenne nur Kaffeesatz-Lesen.«

»Non!«, rief Jacques. »Im Mehl lesen, eine Art Wahrsagen, die einem gestattet, andere – wie sagt man – aus der Ferne zu sehen? Von sehr weit weg?« Er schnupperte an einem auf dem Küchenblock liegen gebliebenen Muffinkrümel, dann steckte er ihn ins Mäulchen. »Ist ein altes französisches Rezept.«

Gus fauchte und machte einen Buckel. »Mehl-Lesen ist ein Rezept schottischer Herkunft. Typisch Franzose, den Verdienst für hohe Küchenmagie für sich zu beanspruchen!«

Jacques reckte die Schnauze hoch. »Es kann keineswegs ein schottisches Rezept sein. Das Mehl wird nicht in einer Schweinsblase gekocht – wie die meisten eurer Nationalgerichte.«