Die Glücksbäckerei – Die magische Zeit - Kathryn Littlewood - E-Book

Die Glücksbäckerei – Die magische Zeit E-Book

Kathryn Littlewood

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Beschreibung

Rose und ihre Familie haben ein Geheimnis: In ihrer Glücksbäckerei backen sie mit Hilfe eines alten Familienbackbuchs magische Kuchen, Torten und Plätzchen. In ihrem sechsten Abenteuer bekommt Glücksbäckerin Rose einen ganz besonderen Begleiter an die Seite gestellt: einen gutmütigen Zottelhund. Dieser vierbeinige Hüter des magischen Rezeptbuchs führt Rose in die kanadische Wildnis, wo es in einem abgelegenen Städtchen ein rätselhaftes Problem gibt: Die Menschen altern hier rückwärts. Und Rose gleich mit – falls sie nicht schnell ein leckeres magisches Gegenrezept findet! Für die junge Glücksbäckerin, die unter den Augen des Hundes ihr Glücksbäckerdiplom verteidigen muss, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit – und für die Leser eine Reise in eine Welt voller magischer Muffins, Kuchen und Kekse. Mmmhh ... Mit liebevoll verzierenden Vignetten – denn das Auge nascht mit! Alle Bände über ›Die Glücksbäckerei‹: Band 1: Das magische Rezeptbuch Band 2: Die magische Prüfung Band 3: Die magische Verschwörung Band 4: Die magische Verwandlung Band 5: Die magische Rettung Band 6: Die magische Zeit Band 7: Das magische Fest Band 8: Die magische Schule Weitere Bände sind in Vorbereitung!

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Kathryn Littlewood

Die Glücksbäckerei – Die magische Zeit

FISCHER E-Books

Aus dem Amerikanischen von Eva Riekert

 

Mit Vignetten von Eva Schöffmann

Inhalt

WidmungPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Epilog

Für die drei Evas, Meisterbäckerinnen

Prolog

Das Mal der Pfote

Meisterbäckerin Rosmarin Glyck stand, umgeben von einem halben Dutzend Teigschüsseln, an dem großen Küchenblock in der Familienbackstube. Puderzuckerstaub und verkrusteter Eischnee überzogen ihre Schürze. Sie seufzte.

Alle Schüsseln waren voll mit verpatzten Backversuchen.

Warum machte es ihr so viel Mühe, ein einfaches Blech Leichter-als-Luft-Baisers zu backen? Jeder hatte mal einen schlechten Tag, aber das hier war geradezu absurd.

In einer der Schüsseln hatte das Eiweiß, das sie geschlagen hatte, scharfe Spitzen gebildet, an denen man sich hätte blutig piksen können. In einer anderen Schüssel befand sich eine Flüssigkeit, so dünn wie die Milch von einer sehr traurigen Kuh. Sie konnte schlagen, so lange sie wollte – die Konsistenz veränderte sich nicht. In einer dritten hatte sich das Eiweiß auf rätselhafte Weise verflüchtigt und nur eine schneeartige Puderschicht hinterlassen, die hinter Roses Rücken ein Geräusch machte, das wie spöttisches Kichern klang.

»Was ist hier so komisch?«, fragte sie scharf und wirbelte herum. Ein puderiges Gebilde in der Schüssel stob in einem Wölkchen davon.

»Ich hab doch gar nicht gelacht«, meckerte jemand hinter Rose. Ihr zehnjähriger Bruder Basil kam aufgebracht durch die Hintertür. Seine sommersprossigen Wangen waren fast so rot wie sein feuerroter Haarschopf. »Bist du immer noch nicht fertig?«

Rose musste dieses Rezept nur einfach hinter sich bringen – sie wollte später mit ihrem Freund Devin Stetson zu einem Schulball und war vor diesem wichtigen Date so aufgeregt, dass ihr das normale, alltägliche Zauberbacken wie eine mühselige Schufterei vorkam.

»Als was bist du verkleidet?«, fragte Rose ihren Bruder.

»Als Öko-Krieger natürlich.« Basil trug eine viel zu große Tarnhose und eine wattierte Jacke. In einem Beutel, der mit Klebeband seitlich an sein Bein geklebt war, steckte eine Spaghettizange, und auf seinem Kopf saß ein raffiniert gebasteltes aufsetzbares Fernglas, das er sich von Devin ausgeliehen hatte.

Rose seufzte erneut. Devin war so schlau, so erfinderisch, so …

Basil schnipste mit den Fingern. »Jetzt träum hier nicht rum – wir haben zu arbeiten!« Er stapfte in seinen Stiefeln über die Terracottafliesen und warf einen Blick in die Rührschüsseln. »Was ist denn hier für ekliges Zeug drin? Tapetenkleister? Enthaarungswachs?«

Rose packte die Schüssel und stellte sie in das große Spülbecken. »Das sind, äh, nur erste Versuche. Ich will einfach sichergehen, dass die Baisers perfekt sind, ehe du davon isst.«

»Für Versuche haben wir keine Zeit!« Basil griff sich verzweifelt an den Kopf. »Es geht um einen ökologischen Ernstfall. Plastiktüten ersticken die Bäume in ganz Calamity Falls. Nur ich kann diese Epidemie aufhalten.«

Rose verdrehte die Augen und zog eine frische Rührschüssel unter der Arbeitsplatte hervor. »Du nimmst dieses Schulprojekt viel zu wichtig. Ich glaube, euer Lehrer wollte eigentlich nur, dass ihr eine Blume einpflanzt oder so was.«

»Das würde vielleicht ein Durchschnittsschüler machen«, sagte Basil aufgebracht. »Aber ich muss diese Baisers essen und dann – leichter als Luft – in die Bäume fliegen und die ganzen Plastiktüten einsammeln. Und sie dann alle morgen mit in die Schule nehmen, damit ich Extrapunkte kriege. Das hab ich dir doch schon erklärt, Rose – nun mach schon!«

Während ihr Basil im Nacken saß, fuhr Rose mit dem Finger über das Zauberrezept in dem magischen Backbuch, um noch mal zu überprüfen, ob ihr auch wirklich nichts entgangen war. Mit den Rezepten aus dem Backbuch zauberten sie und ihre Familie Gebäck aller Art, das kleine Unpässlichkeiten beheben sollte. Dieses spezielle Baiser-Rezept war eigentlich unglaublich einfach: Eiweiß, Puderzucker und eine Prise Wind unter den Flügeln zusammenmischen – fertig! Von letzterer Zutat hatte Rose noch ein Fläschchen von ihrer Reise nach San Caruso übrig, die ein paar Monate zurücklag.

Rose machte sich an die Arbeit, schlug das Eiweiß mit einem Elektroquirl zu Schaum und fügte nach und nach den Puderzucker hinzu. Das war für eine Meisterbäckerin Routinearbeit, daher schweiften ihre Gedanken wieder zu Devin und dem Schulball ab. Es sollte ihre erste Tanzveranstaltung mit ihrem ersten (und hoffentlich letzten) Freund werden. Sie stellte sich die festliche Herbstdekoration vor, die glitzernden Lichter, Devins Hand in ihrer, während sie sich zu der Musik drehten. Sie lächelte vor sich hin.

»Was summst und tanzt du da rum?« Schnaubend deutete Basil auf ihre Füße, die ein paar Tanzschritte probiert hatten. »Du träumst wieder von dem blöden Schulball, statt dich auf die Baisers zu konzentrieren!«

»Tu ich nicht«, schwindelte Rose und griff geistesabwesend nach dem Fläschchen mit Wind unter den Flügeln. Sie überprüfte noch mal das Etikett auf dem bläulichen Glas – sie wollte ja nicht aus Versehen die falsche Zutat hineinschütten und Basils Vorwurf bestätigen. »Ich weiß, was ich tue. Ich bin hier schließlich die Meisterbäckerin, oder nicht?«

Basil verschränkte die Arme. »Schon, aber ich teile mein Zimmer mit Tymo. Ich kenn mich aus – du musst mir in Sachen Verknalltheit nichts vormachen. Ich kenne das Phänomen, wenn jemand, der gerade noch ganz normal war, plötzlich durchdreht, seinen kleinen Bruder komplett ignoriert und nur noch vom Knutschen und Daten träumt.«

»Ich kann locker an den Schulball denken und nebenher die Baisers machen«, sagte Rose. »Ich kann mehrere Sachen gleichzeitig tun, verstehst du?«

Vorsichtig fügte sie eine Prise Wind unter den Flügeln hinzu. Die Zauberzutat, die weder ganz flüssig noch ganz aus Luft war, floss fast unsichtbar mit einem Hauch Glimmer aus dem bläulichen Fläschchen heraus und überzog die Oberfläche des Eischnees. Die schaumigen Spitzen zitterten und schimmerten, als seien sie von einem leichten Morgennebel umgeben.

Während Rose die Zutat mit dem Teigschaber unterhob, stieg ein Windstoß aus der Schüssel auf und wehte ihr das Haar aus dem Gesicht. Die Brise duftete wie ein Wald nach einem erfrischenden Regenguss. Rose und Basil hörten beide wie aus der Ferne den Ruf eines Adlers – als erinnere sich der Wind unter den Flügeln an seine Zeit am Himmel.

Der Windstoß ließ nach, während Rose ein letztes Mal mit dem Schaber durch den Teig strich und die Schaummasse dann vorsichtig in eine Spritztüte füllte. Schließlich setzte sie sternförmige Kleckse auf ein Backblech und schob es langsam in den warmen Ofen, den sie einen Spalt offen ließ, damit der Dampf entweichen konnte.

Diesmal hatte sie alles ganz richtig gemacht.

»Na bitte«, sagte Rose und klopfte sich Zucker von den Händen. »Jetzt warten wir drei Stunden, und dann sind sie fertig.«

»Drei Stunden?«, rief Basil. »Aber ich bin doch schon eingekleidet!«

»Denk dran, was Großvater Balthasar immer sagt«, dozierte Rose. »Geduld.«

Basil wollte gerade wieder etwas einwenden, wurde aber vom Bimmeln der Glocke im Verkaufsraum der Bäckerei unterbrochen. Mehrere Leute trampelten laut murrend herein.

»Hey!«, rief ein Mann. »Ist da jemand zum Bedienen? Raus mit euch!«

Rose sah Basil nervös an, dann rief sie: »Komme schon!«, und schob sich durch die Schwingtür.

Im nächsten Moment zog sie erschrocken die Luft ein.

Der Verkaufsraum – sonst so freundlich und hell, mit Vitrinen und Bistrotischen an den großen Schaufenstern, geschmückt mit weißen Spitzendeckchen und kleinen Zierkürbissen –, verdunkelte sich durch vier der wildesten und haarigsten Personen, die Rose je gesehen hatte. »Äh, kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte sie.

»Du!«, brüllte einer und kam ungestüm auf Rose zu wie ein Zottelteppich mit Jacke. »Was habt ihr in die Spritzkuchen getan, die ihr uns angedreht habt?«

Rose erkannte die Besucher wieder. Sie waren alle im Laufe des Vormittags dagewesen. Aber jetzt sahen sie ein bisschen anders aus als zuvor.

Mr Bipple hatte einen langen grauen Bart, der ihm bis zum Knie reichte wie bei einem sagenumwobenen uralten Zauberer. Mr Rosenbaum war jünger, daher war sein Bart, der noch länger war, rötlich braun. Professor Meed sah wie eine dick ausgestopfte Vogelscheuche aus. Sein strohartiges Haar kam ihm aus den Ärmeln und aus dem Kragen hervor und ringelte sich aus seinen Nasenlöchern und Ohren. Die arme Mrs Tuttle hatte es am schlimmsten getroffen. Sie sah mit dem Flaum von silbrigen Haaren auf ihren Wangen und ihrem Kinn, an Hals und Schultern sowie auf Armen und Händen aus wie ein grauer Werwolf.

Nur oben auf ihren glänzenden kahlen Köpfen hatten die vier Pechvögel keine Haare.

»Das geht nicht mit rechten Dingen zu!«, schrie Mr Rosenbaum.

»Ich beschwere mich bei der Nationalen Arzneimittelbehörde!«, rief Professor Meed.

»Ich weiß nicht«, sagte die alte Mrs Tuttle und strich sich über die Wangen. »Irgendwie gefällt mir dieser neue Look. Ich will nur oben auf dem Kopf auch Haare haben.«

Die vier gehörten den Coolen Kahlen an, einer Selbsthilfegruppe für Menschen mit Haarausfall. Am Morgen hatten sie ein Treffen in der Bäckerei gehabt. Als Rose mitbekommen hatte, worüber sie sprachen, überlegte sie, dass sie ihnen helfen könnte, indem sie haarwurzelanregende Spritzküchlein backte: haarfeine Stränge aus süßem Teig, die in kochend heißem Fett von haarigen Kokosnüssen gegart wurden, bis sie dick und knusprig wurden.

Rose schluckte betroffen – die Ladung mit verunglückten Baisers war ein kleiner Fehler gewesen, aber das hier? Das war eine Katastrophe.

»Nun?«, knurrte Mr Bipple. »Was hast du dazu zu sagen, Mädchen?«

»Ähm, einen Augenblick, bitte«, sagte Rose und verschwand rückwärts in Richtung Backstube. »Gleich kommt jemand.«

Obwohl die Männer und Mrs Tuttle mit wütend gesträubten Körperhaaren protestierten, drückte Rose sich weiter nach hinten, bis sie mit Basil zusammenstieß, der hinter ihr aufgetaucht war. Sie schob sich und ihn nach hinten durch die Schwingtür.

»Ich hab’s ja gewusst!«, sagte Basil vorwurfsvoll. »Vor lauter Verknalltheit …« – er zuckte mit den Augenbrauen – »… bist du in ’ne echt haarige Situation geraten.«

»Rede nicht von Haaren«, stöhnte Rose.

In dem Moment ließ ein lautes, bebendes Stöhnen den Backofen erzittern.

Mit einem Wumm!, das die Rührschüsseln von der Arbeitsplatte fegte, knallte die Backofentür auf und stieß eine Wolke schwarzen Rauchs aus. Rose und Basil rannten hin und wedelten mit den Händen, um den Rauch zu vertreiben, damit sie etwas sehen konnten.

Wo vorher der Boden des Backofens gewesen war, gähnte jetzt nur noch ein Loch, umgeben von rauchendem, geschmolzenem Metall. Und unter der Öffnung war ein schwarzer Schlund, der tief bis in den Boden führte. Das Backblech und die Leichter-als-Luft-Baisers waren verschwunden.

Basil raufte sich die Haare. »Mann, bin ich froh, dass ich keines von den Dingern gegessen habe.«

Rose traten Tränen in die Augen, und die kamen nicht nur von dem schwelenden Rauch.

»Keine Sorge, meine Herren und meine Dame«, kam eine liebreizende Stimme aus dem Verkaufsraum. »Spontaner Haarwuchs ist um diese Jahreszeit nichts Ungewöhnliches.« Rose seufzte erleichtert: Es war Tante Lily! »Lilys Schokoladenladen stellt ganz spezielle Halbe Vollmond- und Volle Halbmondpasteten her, von denen einem – wenn man sie gleichzeitig isst – die Haare rasch ausfallen. Begeben Sie sich direkt in meinen Laden und sagen Sie der Verkäuferin, dass jeder von Ihnen ein Dutzend davon auf meine Rechnung bekommen kann.«

Die Ladentürglocke bimmelte erneut, und Rose konnte hören, wie die Coolen Kahlen wieder hinaus in den frischen Herbsttag verschwanden. Einen Augenblick später kam Tante Lily in die Backstube geeilt. Ihre rot angemalten Lippen formten sich zu einem erschrockenen O, als sie das Unheil sah.

»Ich hab weiter unten auf der Straße Geschrei gehört und bin gekommen, um zu helfen«, sagte Lily. »Was ist passiert, um Himmels willen?«

»Rose vermasselt ein Rezept nach dem anderen«, sagte Basil. »Wahrscheinlich weil sie an nichts anderes als an Devin Stetson denken kann.«

Rose legte die Arme um die schlanke Taille ihrer Tante. »Ich weiß nicht, was mit mir los ist«, sagte sie. »Meine Gedanken schweifen in letzter Zeit tatsächlich dauernd ab, aber nur ein bisschen. Ich habe diese Rezepte immer wieder nachgelesen und überprüft, aber es ist trotzdem alles schiefgegangen.« Sie lehnte sich zurück und sah ihre Tante mit bebenden Lippen an. »Liegt ein Fluch auf mir? Könnte … könnte die Internationale Nudelholzgesellschaft was gemacht haben, aus Rache, dass ich ab und zu ihre Pläne durchkreuzt habe?«

Tante Lily strich sich die kurzen schwarzen Haare glatt, besah sich den Raum und nahm Rose in Augenschein. Dann, mit einem kleinen Aufschrei, packte sie Roses rechten Arm. »Seit wann hast du dieses Mal auf dem Handgelenk?«

Auf Roses Handgelenk befanden sich vier rote Stellen – ein größerer roter Fleck und im Bogen darüber drei kleinere Punkte.

»Was für ein Mal?«, fragte Basil und drängte sich zwischen sie, um auch was zu sehen. »Sind das Giraffen-Pocken? Wird Roses Hals jetzt lang und länger?« Er rieb sich das Kinn. »Das könnte vielleicht das Problem mit den Plastiktüten in den Bäumen lösen.«

Rose überging seine Bemerkung. »Die roten Stellen hab ich erst seit ein paar Tagen, glaube ich. Wahrscheinlich habe ich mich an einem Ofenblech verbrannt, aber es ist nichts Ernstes.«

»Das ist kein Brandmal«, sagte Tante Lily kopfschüttelnd und ließ Roses Hand sinken. »Das sieht nicht gut aus – ganz und gar nicht. Es ist das Mal der Pfote, und wenn du diesbezüglich nichts unternimmst, dann klappt es in Zukunft mit keinem Rezept mehr.«

Kapitel 1

Keine Rückzieher

»O nein«, stöhnte Rose und klappte in der Essecke zusammen, wo die Familie immer zu Mahlzeiten saß. »Sie haben mich also mit einem Fluch belegt, nicht?«

Allein im letzten Jahr hatte die Internationale Nudelholzgesellschaft mehrfach versucht, die geheimen magischen Rezepte der Familie Glyck zu stehlen. Sie hatten sie für alle möglichen verruchten Vorhaben missbrauchen wollen. Die Nudelholzleute hatten geplant, die ganze Welt mit muffigen, massenproduzierten Keksen zu manipulieren, sie hatten versucht, die Mächtigen der Welt ins Koma zu versetzen und dafür Mitglieder ihrer Gesellschaft an die Schaltknüppel der Macht zu stellen. Erst vor ein paar Monaten hatten sie Zuckerplagen nach Calamity Falls geschickt, um Chaos anzurichten. Das Trinkwasser aus den Hähnen schmeckte immer noch leicht nach Erdbeersaft.

»Du hast bewiesen, dass du in der Lage bist, die Nudelholzgesellschaft aufzuhalten.« Lily beugte sich vor, um den zerstörten Backofen zu untersuchen. »Aber dieses Zeichen ist von einem gewissen Hund, und diesen Hund zu beeindrucken, ist eine ganz andere Sache.«

»Wie schwer kann es schon sein, einen Hund zu beeindrucken?« Basil ließ sich seiner Schwester gegenüber in die Nische fallen. Er riss die Spaghettizange aus dem Beutel an seinem Bein und drückte sie beim Sprechen zusammen. Klack, klack. »Hunde sind die besten Zuhörer.« Klack, klack. »Sie lieben all meine Witze.« Klicke-di-klacke-di-klack.

Mit einem zuckersüßen Lächeln nahm ihm Lily die Zange aus der Hand. »Es geht nicht einfach um irgendeinen Hund. Er ist ein Großmeister, und er will anscheinend, dass Rose sich erst als würdig erweist, ehe sie den Titel Meisterbäckerin wirklich und wahrlich tragen darf.«

»Aber mein Rezept steht doch längst in unserem magischen Backbuch.« Rose sprang von der Bank auf und trat an den Küchenblock. »Ich bin schon offiziell!«

Sie schlug das schwere Buch auf, das voll war mit magischen Rezepten der Familie Glyck, und blätterte direkt nach hinten, wo im Sommer ein Rezept aufgetaucht war, das Rose selbst erfunden hatte: Schokopfefferkuchen der Brüderlichkeit. Aber an Stelle der geschwungenen Schönschrift, die die Geschichte von Lady Rosmarin Glyck und ihrem lebensrettenden Rezept erzählte, fand sie nur einige bis zur Unleserlichkeit verblasste Zeilen. In leuchtend roter Farbe war quer über die Seite gestempelt: VORBEHALTLICH DER ZUSTIMMUNG DURCH DEN HUND. Darunter, ebenfalls in Rot, war ein Pfotenabdruck wie der auf Roses rechtem Handgelenk.

»Aber das ist ungerecht!«, rief Rose. »Jeder hat doch seit Monaten behauptet, dass ich eine Meisterbäckerin bin! Wer ist dieser Hund? Warum hat der überhaupt irgendwas zu bestimmen?«

Lily klappte das Buch zu. »Nicht ein Hund, Rose. Der Hund.« Ein wilder Blick erschien auf ihrem hübschen Gesicht, und sie setzte hinzu: »Wir brauchen deine Mutter.«

»Sie ist drüben im Supermarkt zum Einkaufen«, sagte Basil. »Sie kommt bestimmt jeden Moment –«

Und schon bimmelte die Glocke aufgeregt, denn die Ladentür wurde aufgestoßen. »Wo sind sie?«, rief eine vertraute Stimme. »Die Nudelholzgesellschaft soll ihre dreckigen Pfoten von meinen Kindern lassen! Diesmal hat sie keine Chance!«

Rose, Lily und Basil stoben in den Verkaufsraum.

Ihre Mutter Polly stand unter der geöffneten Tür. Die Bäume auf der Straße hinter ihr wurden von heftigem Wind gepeitscht – als sei sie so schnell nach Hause geeilt, dass sie hinter sich einen Sturm ausgelöst hatte. Sie schwang einen schweren hölzernen Löffel wie ein Schwert.

»Die Nudelholzgesellschaft ist nicht hier«, sagte Lily. »Die Kinder sind in Sicherheit!«

Langsam ließ Polly den Holzlöffel sinken. »Mrs Carlson hat mir zugerufen, dass sie eine Explosion gehört hat. Wenn sie sogar was gehört hat, dachte ich mir, muss es was Schlimmes sein.«

»Mom, kann ich jetzt reinkommen?«, kam eine hohe Stimme hinter Polly hervor. »Die Tasche hier ist so schwer. Ich falle gleich hin!«

Polly trat zur Seite, und Roses vier Jahre alte Schwester Nella taperte herein. Sie trug eine gehäkelte Tasche, die voll war mit Lebensmitteln. Sie schaffte nur ein paar Schritte in den Laden, dann ließ sie die Tasche auf den Fliesenboden fallen und sich selbst daneben.

Polly schloss die Tür und schnupperte. »Wonach riecht das denn hier? Irgendwie verbrannt …«

Niedergeschlagen setzte sich Rose auf einen der Bistrostühle. »Man hat mir meine Auszeichnung als Meisterbäckerin genommen, Mom!«

»Unsinn!«, sagte Polly und schälte sich aus ihrer Jacke.

»Ich hab den ganzen Tag schon Rezepte verhunzt. Tante Lily sagt, daran ist ein Hund schuld«, fuhr Rose fort, »dabei weiß ich gar nichts von einem Hund –«

Polly unterbrach Rose, indem sie ihr die Hand auf die Schulter legte. »Der Hund?« Sie fuhr zu Lily herum. »Bist du sicher?«

»Sieh doch selbst.« Lily nahm Roses rechte Hand und drehte sie um, damit Polly das Mal der Pfote auf ihrem Handgelenk sehen konnte. »Das hier lässt keinen Zweifel«, sagte sie. »Und außerdem hat der Hund Roses Rezept gelöscht.«

»Na gut!«, sagte Rose. »Ich verstehe! Es gibt einen Hund und … ich muss ihm was beweisen oder so.«

Polly seufzte und ging zur Ladentür. Sie schloss sie ab und drehte das GESCHLOSSEN-Schild um. »Rosie, es tut mir leid. Ich habe vergessen, dass es noch einen letzten Schritt gibt, um eine richtige Meisterbäckerin zu sein. Meine eigene Bewährung liegt so lange zurück, dass sie mir nur noch wie ein Traum vorkommt. Nachdem dein Rezept in dem Backbuch aufgetaucht war, dachte ich – nahmen wir alle einfach an –, dass dein Status eine abgemachte Sache ist.«

»Ist dieser Hund etwa eine Person, irgend so ein fast vergessenes Mitglied der Glycks mit einem Spitznamen?«, fragte Basil und hockte sich neben Nella, um in der Einkaufstasche zu kramen.

»Keine Person«, erklärte ihm Polly. »Nicht mal ein Tier, auch wenn er gerne als solches in Erscheinung tritt und sich immer als Hund gezeigt hat, solange ich zurückdenken kann.« Sie setzte sich Rose gegenüber. »Wahrscheinlich könntest du den Hund einen Geist nennen, der über jeden zu Gericht sitzt, der den Titel einer Meisterbäckerin annehmen will.«

»Manchmal wird er auch der Hund der Meisterschaft genannt«, sagte Lily. »Der Vierbeiner der Vollendung, der Köter –«

»Es reicht, Lily«, sagte Polly und nahm Roses Hände in ihre. »Der Hund ist ein … ein Proktor, eine Art Aufsichtsführender, Rose. Er überwacht eine Prüfung und beurteilt, was du kannst, ehe er zulässt, dass du ins Backbuch aufgenommen wirst.«

Rose spürte, wie sie der Mut verließ. »Habe ich denn nicht schon oft genug gezeigt, was ich kann?« Ihr einziges Bestreben in all der Zeit war es, den Leuten mit ihrer Backkunst zu helfen und sie glücklich zu machen – und jetzt wollte ihr irgend so ein Geisterhund das wieder nehmen?

»Natürlich hast du das«, sagte ihr Mutter. »Nimm das bitte nicht persönlich. Es ist die letzte Hürde, die jede Meisterbäckerin nehmen muss, ehe sie in dem magischen Backbuch Rezepte veröffentlichen darf.«

Das erschien Rose in gewisser Weise vernünftig – ein Hüter ihres Familienbackbuchs, der darauf achtgab, dass nicht jedes beliebige Rezept darin auftauchte. Das machte Sinn.

Aber selbst wenn ihr die Sache schon irgendwie vernünftig vorkam, bedeutete das nicht, dass sie sich darüber freuen musste. »Hast du diese Prüfung auch machen müssen?«, fragte sie ihre Tante.

Tante Lily zog die Stirn in Falten. »Ich fürchte, nein. Ich habe es mit keinem Rezept ins magische Backbuch geschafft und bin nie Meisterbäckerin geworden. All meine Erfindungen sind im Anhang gelandet.« Bedauernd blickte sie in den grauen Tag hinaus. »Irgendwann vielleicht mal.«

In dem Moment bimmelte die Türglocke wieder, und die Ladentür flog auf.

»Ich dachte, ich hätte abgeschlossen«, sagte Roses Mutter und drehte sich um.

Im Eingang stand ein riesiges wolliges Wesen, fast so groß wie Rose. Es war ein Hirtenhund von beachtlichem Ausmaß. Sein weißgraues Fell war lang und dicht wie eine übertriebene Puppenperücke. Aus dem haarigen Hundegesicht wuchs so viel Fell hervor, dass es aussah, als habe der Hund dichte, buschige Augenbrauen und einen struppigen Schnauzbart. Seine Pfoten hatten Laub aufgewirbelt, das in den Laden hineinflog.

»Ähm«, sagte Rose. Sie wusste nicht recht, wie sie einen Zauberhirtenhund begrüßen sollte. »Hallo …?«

Der Hund tapste herein. Das Laub unter seinen Pfoten knisterte, und die Tür schloss sich, ohne dass sie jemand berührte.

Basil und Nella sprangen vom Boden auf und zogen die Einkaufstasche aus dem Weg, als der Hund schnurstracks an Polly und Lily vorbeistapfte und direkt vor Rose stehen blieb.

Der Hund kam mit der Schnauze heran und beschnüffelte Rose. Sie bog sich zurück und machte eine Grimasse, als der Hund ihr feucht ans T-Shirt und ins Gesicht schnaubte.

Mit einem letzten Schnauben setzte sich das Tier auf seine großen Hinterläufe und wandte sich Roses Mutter zu. »Polita Glyck«, sagte er näselnd. »Dich habe ich ja wohl … wie lange? Zwanzig Jahre nicht gesehen.«

Rose war von der Stimme des Hundes überrascht – er klang wie ein gebildeter Herr aus den Südstaaten. Nicht, dass sie ein sprechender Hund sonderlich verblüffte – ihre Freunde, der Kater Gus und die Maus Jacques, konnten ja auch beide reden. Und taten das auch. Ohne Unterlass. Aber keiner der beiden klang so kultiviert wie der Hund, der redete, als sei er aus einem alten Hollywood-Film getreten.

»Ach ja, ich entsinne mich! Die Überschwemmung in Galena am Yukon, 1995.« Sein massiger Körper schwang zu Rose und Lily herum. »Polita erfand ein absolut großartiges Rezept für …« Er legte den Kopf zur Seite. »Für …?«

»Du weißt genau, wofür«, fuhr ihn Roses Mutter an. Sie eilte hinter den Ladentisch und packte einen Besen. Mit wütenden Bewegungen begann sie die Blätter aufzufegen, die der Hund angeschleppt hatte. »Und mein Name ist Polly.«

»Ich glaube, jetzt erinnere ich mich«, sagte der Hund, und seine Stimme wurde sonor wie die eines Fernsehansagers. »Flotationsfladen: Auftrieb für Untergangsgefährdete.« Der Hund nickte Rose, Basil und Nella zu. »Eure Mutter hat damals alle Einwohner der Stadt gerettet.«

Polly stieß den Besen auf den Boden. »Und du hast mir dafür eine Eins minus gegeben!«

Der Hund kratzte sich hinter seinen Schlappohren. »Das war sogar noch großzügig. In Wahrheit war es eine Zwei plus – ich selbst mag die Fladen lieber süßer, verstehst du –, aber ich habe dich etwas hochgestuft, weil du mit so viel Leidenschaft dabei warst.«

»Ha! Ich hab’s ja gewusst!«, rief Basil. »Mom verlangt immer, dass ich glatte Einser bringe, und nun stellt sich raus, dass sie die ganze Zeit eine Zweierschülerin war.«

»Genug in alten Zeiten geschwelgt«, sagte der Hund und nahm Rose ins Visier. »Du musst wohl die sogenannte Meisterbäckerin Lady Rosmarin Glyck sein.« Er schnaubte abfällig. »Wie kann man einem Kind einen solchen Titel geben?!«

»Ich bin kein Kind«, sagte Rose mit zusammengepressten Zähnen. »Ich bin dreizehn.«

»Darf ich kurz unterbrechen!«, sagte Lily, hob eine Hand und winkte mit ihren lackierten Nägeln. »Lily Le Fay. Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, aber nun muss ich meiner Nichte zu Hilfe kommen. Sie ist nicht irgendein Mädchen.«

Der Blick des Hundes schweifte kurz zu Lily. »Ah. Natürlich. Wer kennt Sie nicht.« Er rückte so zur Seite, dass die Sicht auf Lily blockiert war. Rose hörte, wie ihre Tante beleidigt mit der Zunge schnalzte.

»Du hast deinen Pfotenabdruck auf mir hinterlassen«, sagte Rose und zeigte dem Hund das Mal auf dem Handgelenk. »Und du versaust mir meine Rezepte. Was also muss ich machen, damit das alles wieder aufhört?«

Der Hund lachte. »Dein Eifer gefällt mir. Folge mir, und wir fangen damit an, dich zu prüfen.« Er tappte zur Tür und rief zurück: »Ich nehme an, du hast die Gaben schon zusammengepackt und bist reisefertig, auch wenn ich erwartet hätte, dass du bei diesem Wetter eine Jacke trägst. Egal, wir dürfen nicht trödeln.«

»Halt mal!«, sagte Rose. »Ich gehe nirgendwohin. Ich habe ja gerade erst davon gehört, dass es dich gibt.«

Mit einem Knurren drehte sich der Hund um und sah Polly an. »Hast du sie nicht darauf vorbereitet? Dieses Rezept steht schon seit Monaten in meinem Backbuch – mehr Zeit als genug, um Lady Rosmarin Glyck auf ihre Prüfung vorzubereiten.«

»Tut mir leid«, sagte Polly und schob die Lippen vor. »Wir waren dieses Jahr sehr, sehr beschäftigt, und um ehrlich zu sein, hatte ich dich und das schreckliche Hochwasser völlig vergessen.«

Der Hund schüttelte den großen haarigen Kopf. »Wirklich sehr schade. Rückwirkend bekommst du jetzt nur noch eine Zwei. Eine erlernte Lektion ist nicht viel wert, wenn man sie vergisst.« Der Hund seufzte. »Hast du wenigstens deine Gaben?«, fragte er Rose.

»Ähm«, sagte Rose, »man sagt mir immer, meine Backkunst sei meine wertvollste Gabe, aber ich vermute mal, dass du was anderes meinst.«

»Du hast sie nicht mal mit den Gaben versorgt?«, jaulte der Hund auf. »Pass auf, dass ich dir nicht eine Drei minus verpasse, Polita Glyck!«

»Wow, Mom«, sagte Basil. »Da krieg ja sogar ich bessere Noten!«

Polly wusste ihre Verärgerung kaum in Zaum zu halten – Rose konnte sehen, dass sie sich innen auf die Wange biss, um nicht loszuschreien. Ihre Mutter stellte den Besen beiseite und sagte mit gefährlich ruhiger Stimme: »Vielleicht kannst du uns ein wenig Zeit geben, damit wir zumindest die Gaben-Zeremonie vollziehen können. Sonst würde es keine gerechte Prüfung werden.«

Der Hund trottete zum Schaufenster. Der Wind draußen hatte nachgelassen, und die Wolken hatten sich geteilt. Goldene Nachmittagssonne ergoss sich auf die belebte Hauptstraße. Die buschigen Augenbrauen des Hundes hoben sich, als er an der Kreuzung einen leuchtend roten Hydranten entdeckte.

»Es ist schon eine Weile her, seit ich das letzte Mal unterwegs war«, sagte der Hund wehmütig, »und ich verspüre den Wunsch, diese hübsche Stadt mit meiner Marke zu versehen.«

Basil beugte sich vor und flüsterte Nella zu: »Das bedeutet, dass er alles anpinkelt.« Nella kicherte und hielt sich schnell den Mund zu.

»Also gut, abgemacht«, fuhr der Hund fort. »Ich benötige einige Zeit, um mein neues größeres und wuscheligeres Aussehen zu testen. Bisher war ich eine viel kleinere Rasse.«

»Ein kleiner kläffender Yorkshireterrier«, flüsterte Polly Rose zu.

Der Hund spitzte ein Ohr und wandte sich um. »Aha, du erinnerst dich also doch noch an unsere gemeinsame Zeit. Wir sind wieder bei der Zwei plus!« Er nickte Rose zu. »Ich gebe dir Zeit bis zum Anbruch der Dunkelheit, um die Sache mit den Gaben zu erledigen. Aber keine Minute länger! Sobald die Dämmerung einbricht, müssen wir wirklich los.«

»Dämmerung?«, fragte Rose mit bebender Stimme. »Anbruch der Dunkelheit? Heute?« Ihr Magen fühlte sich an, als sei er in einen Schacht hinuntergestürzt.

Lily nahm Roses Hände. »Rose, ich weiß, was du denkst, aber –«

»Nein!«, rief Rose und rückte von ihr ab. »Tut mir leid, dass ich gerade laut geworden bin! Aber heute Abend kann ich nicht gehen, Hund. Ich möchte auf einen Ball, auf den ich mich schon seit Wochen freue. Ich lasse mich auf deine Prüfung ein, versprochen, aber erst morgen.« Sie verschränkte die Arme.

Der Hund ließ sich auf den Boden fallen und wurde platt wie ein großer grauweißer Flokati. »Mir reicht es allmählich. Polita, erkläre du es deiner Tochter. Ich möchte meine Energie sparen, um noch ein paar Blumenbeete aufzuwühlen.«

Polly nahm Rose in den Arm. »Es tut mir leid, Rosie«, flüsterte sie. »Aber wenn du heute Abend nicht mit dem Hund gehst, dann wird dein Rezept niemals in das Backbuch aufgenommen, und du wirst nie eine wahre Meisterbäckerin sein.«

Rose war zum Heulen zumute. Wie ungerecht war das denn! Sie hatte sich all die Zeit so vielen hinterhältigen Schurken entgegengestellt und so viele unschuldige Leute gerettet, und jetzt wollte sie nur eine klitzekleine Pause von alldem. Ein einziges Mal wollte sie Rose Glyck sein, ein normales Mädchen, und nicht Lady Rosmarin Glyck, die junge Meisterbäckerin, auf deren Schultern die ganze Welt lastete.

Alle im Raum starrten sie erwartungsvoll an.

Basil würde es wahrscheinlich völlig egal sein, wenn sie jetzt verkündete, dass sie das Backen aufgeben würde. Und ihre Mutter würde sie so oder so unterstützen.

Aber da war ja noch Tante Lily, die so verzweifelt danach strebte, das zu werden, was Rose längst war, eine Meisterbäckerin. Sie hatte sich diesen Titel einst so sehr gewünscht, dass sie einige sehr finstere Dinge gemacht hatte. Es würde sie verletzen, wenn sie sah, dass Rose ihre Gabe des Backens so leichtfertig verschleuderte.

Und da war Nella mit den Kulleraugen, noch so klein, dass sie bisher erst wie ein unfertiger Plätzchenteig war, der nur darauf wartete, zu der Person gebacken zu werden, die sie einmal werden sollte. Rose konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass ihre kleine Schwester womöglich glauben sollte, Mädchen dürften einfach so aufgeben, wenn es brenzlig wurde.

Rose ließ die Schultern sinken. »Also gut«, sagte sie leise. »Ich komme heute Abend mit. Ich möchte offizielle Meisterbäckerin werden.«

»Keine Sorge, Rose«, sagte Tante Lily und stellte sich neben Polly, »Devin wird es verstehen. Die besten Männer verstehen einen immer.«

Polly nahm sie in die Arme. »Du wirst das super machen, Rose. Du bist doch mein kleines Wunderkind.«

»He!«, rief Basil. »Was ist mit mir?«

Polly zerzauste das wilde rote Haar ihres ungestümen Sohnes. »Du bist auch ein Wunderkind, nur auf ganz andere Weise.«

Der Hund stöhnte und kam wieder auf die Füße. »Also gut, das war ja alles ganz herzzerreißend. Hoffen wir mal, dass dir deine Familie und deine Freunde auch nützliche Sachen mitgeben. Du brauchst jegliche Hilfe, die dir zu Verfügung steht.«

Die Ladentür ging von alleine auf und ließ einen Schwall Kälte herein. Der Hund trottete zum Ausgang.

Rose spürte, wie sie jemand am T-Shirt zupfte. Neben ihr stand die kleine Nella und hielt eine große Konservendose im Arm, die sie aus der gehäkelten Einkaufstasche gezogen hatte. »Ich hab ein Geschenk für dich, Rosie!«

»Kondensmilch«, las Rose von dem gelb-roten Etikett ab. »Danke, aber vielleicht fällt dir doch noch was anderes ein, etwas, das irgendwie nützlich wäre?«

»Vergiss es, Rosmarin Glyck«, sagte der Hund von der Tür her. »Keine Rückzieher. Was man überreicht bekommt, muss man annehmen. Du kannst einfach nur hoffen, dass sich diese Dose Kondensmilch irgendwie als nützlich erweist.«

Rose stellt die Dose auf den Bistrotisch, ging in die Hocke und umarmte ihre Schwester. »Okay. Dann ist es wohl ein perfektes Geschenk. Danke, Nella.«

»Bitte!«, erwiderte Nella und schlang Rose die Arme um den Hals.

Der Hund trat hinaus. »Bei Sonnenuntergang bin ich zurück, Rosmarin! Dann musst du bereit sein!« Unter dem Gebimmel der Glocke flog die Tür hinter ihm zu.

Rose beobachtete, wie der Hund die Straße entlangschlenderte, während hinter ihr ihre Mutter und ihre Tante vorzubereiten begannen, was sie als »die Zeremonie für die Gaben der Liebsten« bezeichneten.

»Es ist so viel zu tun und so wenig Zeit!«, jammerte Polly. Sie fing wild an, in Schubfächern und Schränken zu kramen und dies und das herauszuziehen. »Lily, ruf doch bitte Albert und Großvater Balthasar an.«

»Bin schon dabei«, sagte Tante Lily, die bereits hektisch über ihr Handy wischte.

»Basil, such du nach deinem Bruder.«

Basil salutierte, dann flitzte er nach oben in die Wohnräume der Familie über der Bäckerei.

Um sie herum summte die Bäckerei vor Energie und Aufregung, doch all das berührte Rose nicht.

Sie verspürte nichts als Enttäuschung.

Kapitel 2

Die Gaben der Liebsten

Rose wartete in ihrem Zimmer, während die übrige Familie die Bäckerei für die Gaben-Zeremonie vorbereitete. Sie saß auf der Bettkante, ließ die Beine baumeln und starrte auf den Boden.

Großvater Balthasars tiefer Bass drang durch ihren lilafarbenen Fransenteppich dumpf von unten herauf. Als ältester Anwesender der Familie Glyck hatte er das Kommando übernommen, kaum dass er nach Hause gekommen war. Sie konnte außerdem das Klick-klack! von Tante Lilys High Heels hören und das Pling! von Tymos Handy, wenn Textnachrichten seiner zahlreichen Freundinnen eingingen.

Rose wusste, dass sie dankbar für die Hilfe der anderen sein musste. Aber es war schwer, sich über Gaben zu freuen, die sie überhaupt nicht haben wollte und die ihr bei einer Prüfung helfen sollten, die sie gar nicht ablegen mochte. Will ich tatsächlich eine Meisterbäckerin sein?, fragte sie sich. Das Leben wäre vielleicht einfacher, wenn –

»Wir sind jetzt bereit, Rose!«, rief ihre Mutter die Treppe herauf. »Komm nach unten.«