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Die Gnosis (”Erkenntnis”) gehört zu den faszinierendsten Erscheinungen der Religionsgeschichte. Direkte Parallelen zur modernen Esoterik haben in letzter Zeit das Interesse an dieser Religionsform stark anwachsen lassen. Mit diesem Buch liegt nach langer Zeit wieder eine aktuelle Gesamtdarstellung zur Gnosis in deutscher Sprache vor.
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Christoph Markschies
Verlag C.H.Beck
Die Gnosis („Erkenntnis“) gehört zu den faszinierendsten Erscheinungen der Religionsgeschichte. Direkte Parallelen zur Esoterik haben in letzter Zeit das Interesse an dieser Religionsform stark anwachsen lassen. Christoph Markschies beschreibt allgemeinverständlich die Mythen und Lehren der antiken Gnosis. Er erläutert, wie die Gnosis als Versuch entstanden ist, das Christentum durch „vernünftige“ Erklärungen den Gebildeten zu vermitteln, und welche Ähnlichkeiten mit anderen antiken Religionen es gibt. Nicht zuletzt geht er den Linien nach, die bis in die unmittelbare Gegenwart führen. Seine kompakte Gesamtdarstellung für eine große Leserschaft hat sich mittlerweile als Standardwerk etabliert.
Christoph Markschies, geboren 1962, lehrte als Professor für Kirchengeschichte in Jena (1994–2000) und Heidelberg (2000–2004). Seit 2004 ist er Ordinarius für Antikes Christentum an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Ehrendoktor der Universitäten von Hermannstadt/Sibiu, Oslo und der Lateran-Universität in Rom, Mitglied der Berlin-Brandenburgischen, der Heidelberger und der Mainzer Akademie der Wissenschaften sowie der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, der Academia Europaea und der Academia Ambrosiana und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Hanns-Lilje-Preis (1994) und dem Leibniz-Preis der DFG (2001). Diverse Veröffentlichungen zur Kirchengeschichte und zum antiken Christentum, u.a. „Gibt es eine ‚Theologie der gotischen Kathedrale‘?“ (1995), „Arbeitsbuch Kirchengeschichte“ (1995), „Das antike Christentum“ (3. Aufl. 2016), „Kaiserzeitliche christliche Theologie und ihre Institutionen“ (2007) sowie „Gottes Körper“ (2016).
Vorwort zur 4. Auflage
I. Einführung
1. Der Begriff „Gnosis“
2. „Gnosis“ oder „Gnostizismus“?
3. Die „Gnosis“ – ein typologisches Modell
4. Hauptprobleme der neueren Diskussion
II. Die Quellen
1. „Gnosis“-kritische antike Autoren, die Originaltexte überliefern
Irenaeus von Lyon
Clemens von Alexandrien
Hippolyt von Rom
Origenes
Epiphanius von Salamis
2. „Gnosis“-kritische Autoren, die „Ketzerreferate“ bieten (Häresiologen)
Justin, der Philosoph und Märtyrer
Tertullian
Weitere Autoren
3. „Gnostische“ Originaltexte, vor allem in koptischer Sprache
Die Codices Askewianus und Brucianus
Der Berliner Codex
Die Bibliothek von Nag Hammadi
Die manichäischen Funde aus Turfan
Die Bibliothek von Medinet Madi
Der Kölner Mani-Codex
Die Funde aus der Oase Dakhleh
4. Nicht-„gnostische“ Texte
Hermetisches Schrifttum
Hekhalot-Literatur
III. Frühe Formen von „Gnosis“ in der Antike
1. Jüdische „Gnosis“?
2. „Gnosis“ im Neuen Testament?
Johannesevangelium
Epheser- und Kolosserbrief
3. Frühe Vertreter der „Gnosis“
Simon Magus
Menander
Saturninus
Basilides
Die Anfänge von „Gnosis“ eine Zusammenfassung
IV. Große Systementwürfe der antiken „Gnosis“
1. Marcion und die Marcioniten
2. Valentin und die Valentinianer
3. Die sogenannten „Barbelo-Gnostiker“
Sethianische Gnosis?
V. Der Manichäismus als Gipfel- und Endpunkt
1. Das Leben Manis
2. Die Lehren Manis
VI. Antike Gemeinden von „Gnostikern“?
VII. „Gnosis“ in Antike und Gegenwart
Literaturhinweise
Der Textfund von Nag Hammadi und der Berliner Koptische Papyrus siehe Umschlaginnenseiten
„Gnosis“ scheint immer aktuell zu sein. Und doch weiß kaum einer so ganz genau, was damit gemeint ist, und viele kluge Köpfe verstehen ganz Verschiedenes darunter. Die einen begrenzen den Begriff radikal auf eine kleine Gruppe von antiken Juden, Christen und Angehörigen paganer Religionen wie Philosophien, die anderen interpretieren „Gnosis“ als Weltreligion oder geheime „Unterströmung“ aller Religions- und Geistesgeschichte, und wieder andere nehmen den Begriff zur Bezeichnung einer bestimmten Sorte von Religionsphilosophie. Vor einiger Zeit ist zum Thema „Gnosis“ gar ein Buch erschienen, das den Zweck verfolgt, „einen zweifelhaften Begriff unbrauchbar zu machen“ (Michael A. Williams): „Rethinking ‚Gnosticism‘“ ist immer wieder angesagt. Für eine Überblicksdarstellung wie diese ist es allerdings unvermeidlich, komplexe Sachverhalte zu vereinfachen und Modelle zu bilden, die sehr unterschiedliche Phänomene unter einem Oberbegriff zusammenfassen – in unserem Fall unter dem antiken Begriff „Erkenntnis“, in griechischer Sprache: „Gnosis“. Diese Notwendigkeit besteht auch dann, wenn man der Essentialisierung, die mit solchen Konstruktionen einhergeht, sehr kritisch gegenübersteht und stärkeres Gewicht auf die Pluralität der Phänomene legen möchte.
In einer solchen Lage müßten eigentlich dicke Bücher über die vielfältigen Problemkonstellationen geschrieben werden, die sich mit dem Begriff „Gnosis“ verbinden. Der Autor des hier vorgelegten Büchleins hat zwar eine ganze Anzahl von Beiträgen zu einzelnen Problemen geschrieben, die sich mit dem Stichwort „Gnosis“ verbinden, aber er legt hier zunächst eine kurzgefaßte Gesamtübersicht vor. Der kurze Überblick ist insofern waghalsig, als er nur Thesen bietet und nicht die entfaltete Argumentation mit allen Belegen samt der kritischen Diskussion der Sekundärliteratur. Gegenwärtig fehlen aber immer noch viele Voraussetzungen für eine solche Gesamtdarstellung: Die Publikation grundlegender Quellenschriften ist entweder nicht abgeschlossen oder befriedigt heutige Ansprüche nicht. Damit können viele Schlüsse aus solchen Quellen nur vorläufig gezogen werden. So existieren für die Schriften aus dem umfangreichsten antiken Textfund, die man mit guten Gründen einer Bewegung namens „Gnosis“ zurechnen kann (der Bibliothek, die nach dem oberägyptischen Nag Hammadi benannt ist, s.u. S. 54–64), bislang keine konsensfähigen Datierungen. Bei vielen Texten ist umstritten, ob sie ins 2., 3., 4. oder gar 5. Jahrhundert gehören. Immer deutlicher wird, daß es sich jedenfalls in ihrer Endgestalt um Texte handelt, die sich wenigstens zeitweilig in der Bibliothek christlicher Mönche befanden und von ihnen auch geschrieben wurden. Damit stellt sich aber erneut die Frage, wer die Texte, die wir heute als „gnostisch“ rubrizieren, in der Antike eigentlich verfaßt und gelesen hat – und diese Frage gewinnt an Brisanz, da die präzisen Grenzen von „Christentum“, „Judentum“ und „paganer Religiosität“, wie sie sich in neuzeitlichen Lehrbüchern finden, auf der Ebene praktizierter Religiosität in der Antike oft reichlich undeutlich waren. Ein einziges Beispiel: Der berühmte Berliner „koptische gnostische Codex“ (s.u. S. 48–54) gehörte ausweislich der Aufschrift seines eleganten Ledereinbandes einem „Zacharias, Erzpriester, Abt“. Offenbar hatte dieser Vorstand eines ägyptischen Klosters keine Hemmungen, seinen Namen auf das kostbare Büchlein zu schreiben, obwohl der Inhalt in der koptischen Mehrheitskirche der Spätantike ohne Zweifel als häretisch angesehen wurde. Wenn man sich klarmacht, daß Religion, wie sie von religiösen Experten definiert wird, immer von gelebter Religion abweicht – und das bei ein und derselben Person! –, dann verliert die vieldiskutierte Frage, ob „die Gnosis“ nun jüdisch, christlich oder nichtchristlich war, an Bedeutung.
Das Buch wurde erstmals 2001 veröffentlicht, in viele Sprachen übersetzt und ging auf eine Anregung von Ulrich Nolte zurück, die ich gern aufgegriffen habe. Für die hier vorgelegte vierte Auflage wurden die Literaturhinweise durchgängig überarbeitet, der Haupttext aber nicht verändert. Nach wie vor bin ich der Ansicht, daß mit einem typologischen Modell bestimmter ideengeschichtlicher Topoi Texte als zusammengehörig identifiziert werden können, die auch in der Antike von Menschen als zusammengehörig identifiziert worden sind. Selbstverständlich muß – im Sinne einer neuen Geistes- und Ideengeschichte, die die Politik- und Sozialgeschichte nicht einfach links liegen läßt – immer wieder gefragt werden, welche sozialen Realitäten diesem typologischen Konstrukt entsprechen (so richtig Brakke, The Gnostics, 2010, 24–28). Außerdem findet man kaum Texte, die alle weiter unten genannten Charakteristika (S. 27f.) enthalten, und wird daher auch schon bei der Hälfte der Kriterien darüber diskutieren können, ob man Texte der „Gnosis“ zurechnen möchte. Leider bleibt eine soziologische Perspektive auf viele Texte diffus, weil wir nur die Karikatur von Gegnern besitzen, die Schriften selbst keine Erkenntnisse liefern und die einzigen ernsthaft zu diskutierenden archäologischen Überreste – vor allem eine kaiserzeitliche Villa vor den Toren Roms, in der eine für die sogenannten valentinianischen Gnostiker in Anspruch genommene Inschrift gefunden wurde, sowie ein klosterähnlicher großer Baukomplex in Kocho, einer großen mittelalterlichen Ruinenstadt in der Turfan-Oase an der Seidenstraße, in dem viele manichäische Texte, Malereien und Textilien ausgegraben wurden – schon vor längerer Zeit freigelegt wurden, heute weitgehend zerstört sind und der damalige Befund viele Fragen offenläßt. Diese Zusammenhänge werden in einer umfassenden Monographie, an der ich gegenwärtig arbeite, ausführlicher behandelt werden.
Auch in dieser vierten Auflage möchte ich nicht nur erneut Ulrich Nolte als meinem engagierten Lektor danken, sondern auch an zwei inzwischen gestorbene akademische Lehrer aus Tübingen erinnern, die mich in besonderer Weise ermuntert haben, mein eigenständiges Bild antiker Geistesgeschichte zu formen: Luise Abramowski und Martin Hengel. Für die Übersetzungen der Bibliothek von Nag Hammadi konnte ich auf die erste wissenschaftliche deutsche Gesamtübersetzung zurückgreifen, die der traditionsreiche „Berliner Arbeitskreis für Koptisch-Gnostische Schriften“ in der Reihe der „Griechischen christlichen Schriftsteller“ veröffentlicht hat; den Kolleginnen und Kollegen um Hans-Gebhard Bethge und Hans-Martin Schenke danke ich für die stets gastliche Aufnahme und die anregenden Debatten. Als mir vor Jahren die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften den Vorsitz des Aufsichtsgremiums über das Akademieunternehmen „Turfanforschung“ übertrug, ahnte ich noch nicht, wie sehr der Kontakt mit den Mitgliedern dieser Berliner Arbeitsstelle meine Kenntnisse über den Manichäismus an der Seidenstraße bereichern würde, ich nenne besonders mit Dankbarkeit Desmond Durkin-Meisterernst, Werner Sundermann und Peter Zieme. In den letzten Jahren ist mein Bild der Dinge stark erweitert worden durch viele nichtdeutsche Kolleginnen und Kollegen, ich erwähne hier vor allem Elaine Pagels aus Princeton, Ismo Dunderberg aus Helsinki, Hugo Lundhaug aus Oslo sowie Einar Thomassen aus Bergen.
Abweichend von der bisherigen Praxis habe ich mich entschlossen, griechische und semitische Fremdwörter wie „Gnosis“ bzw. „Gnostiker“ oder „Barbelo“ so weit als möglich ins Deutsche zu übertragen. Schon die ersten christlichen Gegner dessen, was in der wissenschaftlichen Forschung der europäischen Neuzeit unter dem griechischen Allerweltswort „Erkenntnis“ („Gnosis“) subsumiert wird, haben die Fremdheit der Bewegung und die Absurdität ihrer Theorien herausstellen wollen und zu diesem Zweck fremdsprachige Ausdrücke in der Regel nicht übersetzt. Das galt schon bei der Übertragung der ursprünglich griechischen Texte ins Lateinische und ist bis heute in aller Regel so geblieben. Der unbeeinflußten Wahrnehmung der Phänomene hat das nicht gerade gutgetan. Nun kann ich nur hoffen, daß auch diejenigen, deren Bild von „Gnosis“ meine Sicht nicht entspricht, durch die folgenden Zeilen mindestens angeregt werden, liebgewordene Gewißheiten des vergangenen Jahrhunderts zu überprüfen. Anderen hilft das Büchlein hoffentlich, sich einigermaßen zuverlässig über einen unklaren Begriff und ein dunkles Phänomen zu orientieren.
Berlin, im Frühjahr 2018
Christoph Markschies
Wer ein kleines Buch über „Gnosis“ schreibt, sollte angesichts der bereits angedeuteten Schwierigkeiten mit dem Begriff seine Leser zunächst einmal darüber orientieren, auf welche Gegenstände er das Wort eigentlich zu beziehen gedenkt. Denn eine in jeder Hinsicht konsensfähige und überall verbreitete Verwendung dieses Begriffes gibt es nicht und kann es nach Lage der Dinge gar nicht geben, weil jede Definition ein Stück arbiträr bleibt.
1. Der Begriff „Gnosis“
Das Wort „Gnosis“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Erkenntnis“. Es wurde überwiegend in philosophischreligiösen Kontexten gebraucht und nicht dazu verwendet, das „Erkennen“ bzw. „Identifizieren“ einer Person als ein bestimmtes Individuum zu bezeichnen. Natürlich gibt es Ausnahmen: Bestimmte Überlieferungsformen des hellenistischen Alexander-Romans benutzen das Wort, um zu beschreiben, daß jemand realisiert, daß eine bestimmte Person Alexander der Große ist (Rez. A III 22,15).