Die Goldenen Regeln des friedvollen Kriegers - Dan Millman - E-Book

Die Goldenen Regeln des friedvollen Kriegers E-Book

Dan Millman

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  • Herausgeber: Ansata
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2011
Beschreibung

Das Praxisbuch des friedvollen Kriegers

Dan Millman hat Hunderttausende Leser auf den Pfad des friedvollen Kriegers geführt, hin zu Selbstverwirklichung und innerem Wachstum. Aus dem reichen Erfahrungsschatz des Autors entstand dieses praktische Handbuch: Mit zahlreichen Übungen und Meditationen, um den ganzen Menschen ins Gleichgewicht zu bringen, lähmende Energieblockaden zu überwinden und neues Selbstwertgefühl zu entwickeln.

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Das Buch

Dan Millman hat Hunderttausende Leser auf den Pfad des friedvollen Kriegers geführt, hin zu Selbstverwirklichung und innerem Wachstum. Aus seinem reichen Erfahrungsschatz entstand dieses praktische Handbuch. Einfache und wirksame Übungen helfen, den ganzen Menschen ins Gleichgewicht zu bringen, lähmende Energieblockaden zu überwinden und neue Lebenslust zu entdecken.

Mit bewegenden Geschichten aus dem persönlichen Entwicklungsweg des Autors und zahlreichen neuen Episoden mit Socrates, dem friedvollen Krieger, weist dieses Buch den Weg in eine moderne Spiritualität des 21. Jahrhunderts.

Der Autor

Dan Millman, in jungen Jahren einer der besten Kunstturner Amerikas, später Coach von Spitzensportlern, unterrichtet seit nunmehr fast zwanzig Jahren verschiedenste Formen des körperlich-geistigen Trainings. Seine Werke über die Lebenshaltung des friedvollen Kriegers sind zu wahren Kultbüchern geworden und haben eine Auflage von mehreren Millionen in vierzehn Sprachen erreicht.

Inhaltsverzeichnis

Das BuchDer AutorDankVorwortERSTER TEIL - Die Vorbereitung: Der Weg durch den dunklen Wald
Einführung1 - Mut und Liebe – Grundlagen des Pfades
Das Kernstück des PfadesDie Ausbildung des Kriegers in der Schule des täglichen LebensDie drei Selbste
Das Basis-SelbstDas Bewußte SelbstDas Höhere Selbst
Aspekte des Pfades
Körper, Geist und EmotionenEin ausgeglichenes LebenMut und LiebeHandeln zur rechten ZeitLicht und SchattenDas Schlachtfeld
Der Augenblick der Wahrheit
2 - In der Arena des Alltags
Höhen und Tiefen
Ein einfaches Leben
Im Kreuzfeuer des Alltagslebens
PartnerbeziehungenDer Beruf als AufgabeDer Körper als SpiegelScheidewege
3 - Wenn es hart auf hart kommt
Das tägliche Leben als harte SchuleSpirituelles Gewichtheben
Ein Mißgeschick kann sich als Segen erweisenWas uns die kleine Drossel lehrtSchmerz als Augenöffner
Folge den natürlichen Zyklen
Boxtraining im Ring des Lebens
Was wir aus Todesfällen und Trennungen lernen könnenWie man den Tod eines geliebten Menschen verkraftet
Wenn eine Beziehung zu Ende gehtEs könnte alles noch schlimmer sein
Der Glaube eines Kriegers
Leiden als Wegweiser
ZWEITER TEIL - Aufwärts: Über die Wolken ins Licht
Einführung4 - Der Blick auf die Wirklichkeit
Illusionen und Lebensrealität
Regeln fürs Menschsein
Zeit zum Aufwachen
Das alte Spiel des SelbstbetrugsDie Gefahren der IllusionKurzfristige und längerfristige Konsequenzen
Zurück zum Körper
Vom Training und den Gesetzen der Realität
5 - Die lieben Gewohnheiten: Sucht – und Zwangsverhalten
Ein verbreitetes ProblemSüchte und ZwangsverhaltenWas ist Energie?
Der Körper als EnergiefeldEnergie, Blockaden und SchmerzenEine allgemeingültige Formel
Innere Blockaden
Die Ursache innerer Blockaden
Ventile für unseren Streß
Alkohol, Nikotin und andere DrogenStreßbedingte Krankheiten oder VerletzungenÜberanstrengungAngst und riskantes VerhaltenExzessives EssenGrausamkeitOrgasmusDie Kombination mehrerer VentileSucht oder nicht?Wer benutzt welches Ventil?
Wie wir unsere Süchte in den Griff bekommen
Die Verantwortung für sein Tun akzeptierenDie Macht der EntscheidungMeide Ventile, mit denen du nicht umgehen kannst
Wie man eine Sucht überwindet
Ein energiegeladenes WesenAufwärts
6 - Kreativ Veränderungen schaffen
Eine Welt voller Veränderungen
Äußere und innere Veränderungen
Wissen und Tun sind zweierlei
Es gibt keine einfachen Wege
Initiationsriten
Wie man die Disziplin aufbringt
Die drei Selbste – Konflikt und Kooperation
Die Eigenschaften der drei SelbsteWenn die Kommunikation nicht mehr funktioniertHarmonie zwischen den drei Selbsten bewirkt Veränderungen
Willenskraft und innere Widerstände
Wenn wir vor einer Veränderung stehenMit dem Gemüt eines KindesDas Lust/Schmerz-PrinzipWas wir uns vorstellen, wird unsere WirklichkeitZurück zum Einfachen
Im Prozeß der Veränderung
Warum wir uns gegen Veränderungen wehren
Schlüssel zur Veränderung
Wie man das Basis-Selbst über den Körper erziehtVersagensangstNutze deinen ZornSchätze deine Ziele richtig einAlles zu seiner Zeit
Die Macht der Entschlossenheit
Die Bildung neuer VerhaltensmusterVisuelle Vorstellungskraft
Ein Paradox: Wir müssen uns akzeptieren und doch verändern
DRITTER TEIL - Die praktischen Instrumente zur Wandlung
Einführung7 - Den Körper ins Gleichgewicht bringen
Nimm deinen Körper wieder in Besitz
Der Verrat am KörperDas Innere wirkt nach außenUnser einziger wahrer BesitzWir können unseren Körper formenStimme dich auf deinen Körper einVerbringe Zeit in der Natur
Unser Körper und die Naturgesetze
Unser bester TrainerWas unser Körper uns lehren kannDer Weg zum natürlichen Gleichgewicht
Der Krieger und die Ernährung
Systematische UnterernährungEin paar wesentliche GrundsätzeEssen als heilige TätigkeitDu mußt herausfinden, was gut für dich istWie man sich an eine neue Ernährung gewöhntFasten als Schlüssel zur ErnährungsumstellungErnährung und Bewußtseinserweiterung
Körperliche Bewegung: eine Erfahrung, die etwas in Gang setzt
Vom Wesen der BewegungNeue Horizonte für die FitneßBewußte BewegungTrainingsgrundsätzeEtwas ist besser als nichtsMan soll das schwächste Glied stärkenDer Schlüssel zum Erfolg liegt in der EinfachheitNimm dir nicht zuviel vorDas richtige Gleichgewicht zwischen Annehmlichkeit und SchmerzAkzeptiere den Punkt, an dem du im Augenblick stehst, und schreite langsam voranBleibe realistischSei konzentriertMeide ExtremeVertraue auf den ÜbungsprozeßAbwechslung ist die Würze des LebensEs wird einem nichts geschenktGehen: die Meisterübung
Körperarbeit
Selbstmassage und Massage durch andere
Prinzipien der Selbstmassage
DehnübungenWie man sich richtig streckt
Atmen ist lebenswichtig
Wie wir unsere Energiekapazität erweitern könnenBewußtes AtmenEin paar Worte über die richtige Haltung
Die richtige Wirkung
8 - Die Befreiung des Denkens
Widersprüchliche Erfahrungen
Schmerz soll uns aufrütteln
Die Wahl zwischen zwei Welten
Die Fallstricke des VerstandesDie wahre GeschichteZurück zur RealitätZwei Arten von WissenEine Ahnung des Möglichen
Eine Definition unseres Denkens
Die größeren ZusammenhängeWie man seine rastlosen Gedanken bezähmtGedanken und Bedeutungen
Gedanken schaffen Streß
Wie man verzerrte Ansichten erkenntInterpretationen der RealitätGesundheit, Streß und innere WiderständeUnser Denken und unsere EmotionenDas leere Boot
Das Geschenk der Meditation
Was ist Meditation?Der Sinn der MeditationWas geschieht bei der Meditation?AufmerksamkeitRichtlinien für die MeditationEin paar Worte zur ErmutigungDie Vorteile der MeditationMeditation als Wegweiser über den Tod hinausDas Wesen der MeditationEine ganz einfache Übung
Wie man sein Denken befreit – hier und jetzt
Die Macht des gegenwärtigen AugenblicksDas einfache LebenDas Geheimnis unseres Körpers
Entscheidungen
Was Entscheidungen oft so schwierig machtWie man sich Zugang zur Weisheit des Basis-Selbst verschafftVertraue auf deine Intuition
9 - Seine Emotionen akzeptieren
Wie wichtig Gefühle sind
Gefühle und Beziehungen
Seine Emotionen verstehen
Was sind Emotionen?
Die drei Kontraktionen
Die Hierarchie der emotionalen Blockaden
Unsere Emotionen und der Atem
Wie man emotionale Hindernisse beseitigtEin ReinigungsritualDie Sache hat einen Haken!
Entspannung und Streßabbau
Emotionale BelohnungenWarum emotionales Gleichgewicht so wichtig ist
Löse die Knoten und bringe deine Gefühle zum AusdruckWie man emotionale Gesundheit erlangtVerleugnungAusdruck
Warum soll man seine Gefühle zum Ausdruck bringen?Äußere HemmnisseWie man mit seinen Ängsten fertig wirdWie man mit Kummer fertig wirdDie Kunst, seinen Zorn zum Ausdruck zu bringenJa oder nein?Der Mut, seine Gefühle zu äußernDie Macht der LeidenschaftEin Schritt nach dem anderen
VIERTER TEIL - Der innere Kriegsschauplatz: Den Kampf mit sich selbst gewinnen
Einführung10 - Auf ein neues Selbstbild zu
Gefangene unseres eigenen SelbstbildesÜberprüfe deine selbstgesetzten Grenzen
Die Grenzen unserer ErfahrungDie Lösung von alten Vorstellungen
Wie man es zu überdurchschnittlichen Leistungen bringt
Seine Grenzen erweiternFür alle Möglichkeiten offen bleibenDas Geheimnis des ErfolgsSpiele das, was du werden möchtestEin Balanceakt
11 - Der Weg zu einem besseren Selbstwertgefühl
Was wir verdienenDie größte Hürde
Das Spektrum unseres SelbstwertgefühlsEs gibt nur einen WegDas Paradoxe am menschlichen SelbstwertgefühlWie unser Selbstwertgefühl entstehtDer innere RichterDie Wunden der Vergangenheit heilenUnseren Schattenseiten verzeihen
Dienst am anderen
Was die Liebe zu einem Haustier bewirken kannGelegenheiten zum Dienen
Sein Leben in die Hand nehmen
MitgefühlIch und die Welt
VergebungJeder verdient ein gutes Leben
12 - Die Falle der guten Ausreden
Die Grenzen der VernunftAuf der Bühne des LebensWie man seine Ziele erreicht
Wenn wir nach den Sternen greifenWollen wir wirklich das, was wir zu wollen glauben?
Der Weg ist das ZielAuch eine gute Ausrede schützt nicht vor den Konsequenzen
Große und kleine AusredenHier gelten keine Ausreden!
FÜNFTER TEIL - Aus der Enge in die Weite: Zu einem erfüllten, glücklichen Leben
Einführung13 - Das Herz öffnen
Liebe, das mißbrauchte WortKleine Dinge
Eine liebevolle NachrichtEs ist ja schließlich nur GeldAnonyme SpendenEin paar Sekunden unserer Zeit
Liebe ist kein Dauerzustand
Wege, unser Herz zu öffnenDie Resonanz der HerzenEin gütiger, liebevoller Gedanke
Unsere spirituellen Sinne
Der spirituelle TastsinnDie Fenster der Seele öffnenSpirituelles HörenGebrauch und Mißbrauch
Das «Gib-was-du-Brauchst»-Prinzip
14 - Die Macht des Glücks
Die Fähigkeit zum Glücklichsein
Was ist Glück?
Die Schatten des Schuldgefühls und die Macht des inneren Strahlens
Die Suche nach etwas schwer FaßbaremDas Streben nach GlückWo man das Glück nicht findetGlück ist eine Sache des AugenblicksDas Bewußte Selbst wird niemals glücklich seinGlück braucht keinen Vorwand
Unvernünftig glücklich: Wir haben die Wahl
Eine wichtige Lektion des Lebens
Wie man es schafft, glücklich zu sein
Denke daran: Es ist nur ein Film!Die Veränderung der PerspektiveDie größeren Zusammenhänge
Humor und wie man über sich selbst hinauswächst
15 - Jetzt oder nie
ANHANG
Der Beginn: Eine Woche im Leben eines friedvollen KriegersEine Woche im Leben eines friedvollen Kriegers
Zwanzig Minuten körperlicher ÜbungZwanzig Minuten spiritueller ÜbungEine einwöchige reinigende DiätJetzt und hierAusdehnung – KontraktionÖffne dein HerzDas «Gib-was-du-Brauchst»-PrinzipKleinigkeitenGebete oder positive Wünsche
Eine Woche im Leben eines friedvollen Kriegers – Zusammenfassung und Rückblick
Copyright

Dank

Ich danke meinen Verlegern, besonders Hai und Linda Kramer, und meiner begabten Lektorin Nancy Grimley Carleton für ihre Unterstützung, ihre Ermutigung und Beratung und ihren Glauben an dieses Buch.

Mein Dank gilt weiter Michael Greenberg, M. D., Ed Kellogg, Sid Kemp, Sharon Marcillac, Joy Millman, Charles Root und Jan Shelley, die die erste Rohfassung des Manuskripts durchgesehen haben.

Carl Weisbrod, Ph. D., gewährte mir freundlicherweise die Erlaubnis, Auszüge aus seiner Rede über psychologische Verteidigungsmechanismen übernehmen zu dürfen, die von Bill Harris, M. D., herausgegeben und in der Dezemberausgabe 1991 des Rundbriefs der vegetarischen Gesellschaft von Honolulu veröffentlicht wurde.

Aus dem hervorragenden Büchlein Start Taking Charge habe ich mit dem Segen der Hope Publications einige Absätze zu «Umgang mit Strcß» übernommen.

Ich danke Oscar Ichazo vom Arica Institute, aus dessen Kompensationstraining «Nine Doors of Compensation» ich das Konzept der Ventile zur Streßbewältigung im 5. Kapitel entwickelt habe.

Michael Bookbinder, ein inspirierender Lehrer und Geistesverwandter, zeigte mir praktische Möglichkeiten, den Pfad des friedvollen Kriegers ins tägliche Leben zu integrieren. Dazu gehören die Methoden zur Öffnung des Herzens, die im 13. Kapitel beschrieben werden. Er inspirierte auch die Schlußworte im 15. Kapitel.

Die Lehren von Da Avabhasa (auch als Da Free John bekannt) spielten eine wichtige Rolle für mich und halfen, mein Leben zu erhellen.

Mein tiefempfundener Dank gilt all meinen vergangenen Lehrern, meinen Schülern und anderen Inspirationsquellen, die zu zahlreich sind, um sie aufzuführen, und die nun ein Teil von mir geworden sind. Und nicht zuletzt danke ich meiner Familie für ihre Geduld, Liebe und Unterstützung.

Vorwort

Wenn jemand sein Geld als Straßenkehrer verdient, dann sollte er die Straßenso kehren, wie Michelangelo malte, wie Beethoven komponierte, wieShakespeare seine Dramen schrieb.

Martin Luther King jr.

In den Jahren nach der Veröffentlichung meines ersten Buches, Der Pfad des friedvollen Kriegers, bekam ich Briefe von Menschen aus der ganzen Welt, die wissen wollten, wie ein friedvoller Krieger lebt.

So schrieb ich Die Goldenen Regeln des friedvollen Kriegers, die ich lehre und lebe, so gut ich kann. Es geht hier um allgemeingültige Prinzipien und Praktiken, die allen meinen Lesern weiterhelfen sollen – egal, ob sie meine beiden ersten Bücher gelesen haben oder nicht. Für jene, die meine Bücher nicht kennen (und als kleine Erinnerungsstütze für die anderen) möchte ich von einem Schlüsselerlebnis berichten, das ich in Der Pfad des friedvollen Kriegers beschrieben habe. Dieses Erlebnis hat grundlegend die Lebenseinstellung geprägt, die in diesem Buch zum Ausdruck kommt.

Eines Abends – ein paar Monate, nachdem ich Socrates kennengelernt hatte, einen seltsamen alten Tankwart, der mein Lehrer auf dem Pfad des friedvollen Kriegers wurde – stellte ich ihm eine meiner unzähligen Fragen: «Soc, glaubst du, daß ich je lernen werde, die Gedanken anderer Menschen zu lesen?»

«Du solltest lieber erst mal lernen», sagte er, «deine eigenen Gedanken zu lesen. Es ist höchste Zeit, daß du in dich hineinsiehst und deine Antworten in dir selber findest.»

«Aber ich weiß die Antworten eben nicht, deshalb frage ich dich ja.»

«Du weißt mehr, als du ahnst. Du traust deinem inneren Wissen nur noch nicht.» Socrates wandte sich ab, sah aus dem Fenster und holte tief Luft. Das tat er immer, wenn er irgendeine wichtige Entscheidung traf. «Geh raus, Dan, hinter die Tankstelle. An der Mauer hinten im Hof liegt ein großer, flacher Stein. Setz dich auf den Stein und bleib so lange da sitzen, bis du mir etwas Wesentliches zu sagen weißt. »

«Was?»

«Ich glaube, du hast mich schon verstanden.»

«Das soll wohl so eine Art Prüfung sein?»

Er sagte nichts.

«Stimmt’s?»

Wenn Soc nicht wollte, dann war absolut nichts aus ihm herauszukriegen.

Seufzend ging ich hinaus, fand den Stein und setzte mich darauf. «So ein Blödsinn», murmelte ich vor mich hin. Um mir die Zeit zu vertreiben, ließ ich alle Ideen an mir vorüberziehen, die mir im Laufe meines Lebens begegnet waren. «Etwas Wesentliches... etwas Wesentliches...»

So verging Stunde um Stunde. Allmählich wurde es kalt. Bald würde die Sonne aufgehen.

Als der Morgen dämmerte, fiel mir tatsächlich etwas ein – zwar nichts übermäßig Geniales, aber immerhin etwas. Steif und mit schmerzenden Knochen stand ich auf und humpelte ins Büro, wo Soc friedlich – und im Warmen – an seinem Schreibtisch saß und seine Sachen zusammenpackte; denn gleich war seine Schicht zu Ende. «Ah, so bald schon?» empfing er mich lächelnd. «Na, was ist es denn?»

Es lohnt sich nicht, zu wiederholen, was ich ihm zu sagen hatte. Es reichte nicht – also wieder zurück auf den Stein.

Bald danach ging Socrates fort, und der Tankwart für die Tagesschicht kam. Langsam zog die Sonne über meinem Kopf vorbei. Ich versäumte alle meine Vorlesungen und das Sporttraining. Wie lange würde ich wohl hier sitzen bleiben müssen? Verzweifelt zermarterte ich mir das Hirn nach irgendeiner wertvollen Erkenntnis, die ich Soc mitteilen könnte.

Vor Einbruch der Dämmerung kam Socrates zurück, nickte mir kurz zu und ging ins Büro. Als es dunkel geworden war, fiel mir wieder etwas ein. Wieder humpelte ich hinein, rieb mir das schmerzende Kreuz und sagte es ihm. Er schüttelte den Kopf und wies auf den Stein. «Das ist viel zu kopflastig. Sag mir etwas, was aus dem Herzen und aus dem Bauch heraus kommt, etwas Weltbewegenderes.»

Also setzte ich mich wieder auf meinen Stein und murmelte vor mich hin: «Etwas Weltbewegenderes... etwas Weltbewegenderes.» Was um alles in der Welt erwartete er von mir? Hungrig, mit schmerzender Sitzfläche, gereizt – und vom vielen Sitzen so steif, daß ich kaum noch denken konnte – stand ich auf und machte ein paar fließende Tai-Chi-Bewegungen, um wenigstens etwas Energie in Bewegung zu bringen.

Während ich die Knie beugte und mich anmutig vor und zurück bewegte, jede Drehung aus den Hüften heraus, meine Arme durch die Luft fließend, wurde mein Kopf leer, und plötzlich stand eine Szene vor meinem inneren Auge. Vor ein paar Tagen war ich zum Provo Square gejoggt, einem kleinen Park im Zentrum der Stadt. Zur Lockerung der Muskeln machte ich dort eine langsame Tai-Chi-Übung, die Socrates mir gezeigt hatte. Mein Geist und mein Körper entspannten sich, und ich verfiel in einen friedlichen Zustand der Konzentration und des inneren Gleichgewichts. Ich wurde Bewegung, ich strömte hin und her wie ein Stück Seetang in der Dünung.

Ein paar junge Leute von der High School blieben stehen und schauten neugierig zu, aber ich beachtete sie nicht und ließ konzentriert meine Bewegungen fließen. Als ich mit der Übung fertig war, hob ich meine Trainingshose auf, um sie wieder über die Joggingshorts zu streifen. Mein Alltagsbewußtsein übernahm wieder die Führung, und meine Aufmerksamkeit begann abzuschweifen.

Die Studenten, die mich beobachtet hatten, zogen meine Aufmerksamkeit auf sich —vor allem ein hübsches junges Mädchen, das lächelnd auf mich zeigte und etwas zu seiner Freundin sagte. Die sind wohl sehr beeindruckt, dachte ich —und fuhr mit beiden Beinen in ein Hosenbein. Ich strauchelte und plumpste auf den Hintern. Die jungen Leute lachten. Ich war verlegen, aber nicht lange. Dann ließ ich mich auf den Rücken fallen und konnte herzlich mitlachen.

Ich lächelte auf meinem Stein hinter der Tankstelle, als mir dieser Zwischenfall wieder ins Gedächtnis kam. Im nächsten Augenblick durchflutete mich eine Energiewelle. Blitzartig kam mir eine grundlegende Erkenntnis, die von jetzt an mein ganzes Leben verändern würde: Mir wurde klar, daß ich mich mit meiner ganzen Aufmerksamkeit auf die Tai-Chi-Bewegungen konzentriert hatte, aber nicht auf die «alltäglichen» Bewegungen, die man macht, wenn man sich eine Hose anzieht. Ich hatte einen Augenblick meines Lebens als etwas Besonderes behandelt und den anderen als etwas Gewöhnliches.

Auf einmal wußte ich, daß ich Socrates etwas Wesentliches zu sagen hatte. Ich stürmte ins Büro und verkündete: «Es gibt keine alltäglichen Momente.»

Er blickte auf und lächelte. «Willkommen, wieder zu Hause!» sagte er. Ich ließ mich auf das Sofa fallen, und er machte Tee. Während wir an dem dampfenden Gebräu nippten, erklärte Socrates mir: «Ein Athlet konzentriert sich auf seinen Sport, ein Musiker konzentriert sich auf seine Musik, ein Künstler konzentriert sich auf seine Kunst. Der friedvolle Krieger konzentriert sich auf alles. Das ist das Geheimnis seines Pfades, darauf kommt es an.»

Endlich verstand ich, warum Socrates mir vor ein paar Jahren so eindringlich gesagt hatte: «Gehen, Sitzen, Atmen oder Müllheraustragen erfordert genauso viel Aufmerksamkeit wie ein dreifacher Salto. »

«Mag sein», sagte ich und gab zu bedenken: «Aber wenn ich einen dreifachen Salto mache, steht mein Leben auf dem Spiel.»

«Ja», erwiderte er, «aber die Qualität deines Lebens steht in jedem Augenblick auf dem Spiel. Das Leben ist eine Serie von Momenten. In jedem dieser Momente bist du entweder wach oder du schläfst, entweder du lebst voll und ganz oder du bist relativ tot.» Da schwor ich mir, mit keinem Augenblick mehr so umzugehen, als sei er etwas Alltägliches.

In den nächsten Monaten fragte ich mich immer wieder: Lebe ich jetzt in diesem Augenblick voll und ganz, oder bin ich relativ tot? Ich beschloß, mich künftig auf jede Handlung mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu konzentrieren.

Ich habe gelernt, daß die Qualität eines jeden Augenblicks nicht davon abhängt, was er uns gibt, sondern was wir zu ihm beitragen. Für mich ist kein Augenblick mehr alltäglich, so banal oder routinemäßig er auf den ersten Blick auch erscheinen mag. Ich widme dem Schreiben, dem Sitzen, dem Essen und dem Atmen gleichermaßen meine ganze Aufmerksamkeit. Seitdem macht mir das tägliche Leben so viel Spaß wie früher das Turnen. Das Leben hat sich nicht verändert – ich habe mich verändert. Dadurch, daß ich jede Handlung mit Ehrerbietung ausführe und jeden Augenblick als etwas Heiliges betrachte, habe ich eine ganz neue Einstellung zum Leben bekommen —mein Leben ist jetzt voller Leidenschaft und voller Sinn.

All das ergibt sich von selbst, beinahe mühelos, sobald wir die inneren Hindernisse in unserem Leben aus dem Weg räumen. Dieses Buch soll zeigen, wie man das schafft.

Wenn es seinen kleinen Beitrag dazu leistet, das tägliche Leben meiner Leser friedlicher, glücklicher und gesünder zu gestalten, dann hat meine Mühe sich gelohnt, und die Freude, die ich am Leben habe, wird sich im Spiegel des Lebens meiner Leser vervielfachen.

Dan Millman San Rafael, Kalifornien Frühjahr 1992

ERSTER TEIL

Die Vorbereitung: Der Weg durch den dunklen Wald

Einführung

Unter der Oberfläche unseres täglichen Lebens liegt eine Suche nach etwas Tieferem, ein Weg aufwärts, unseren Hoffnungen und Träumen entgegen. Dieses Buch soll meinen Lesern bei ihrem Aufstieg zu einer neuen Lebensform als Landkarte dienen – denn sie werden dabei die gleichen Prozesse der Erkenntnis, Desillusionierung, Entdeckung und Inspiration durchlaufen, die auch ich erlebt und in Der Pfad des friedvollen Kriegers beschrieben habe.

Auf den ersten Blick klingt der Begriff friedvoller Krieger wie ein Widerspruch in sich. Wie kann man gleichzeitig friedlich und ein Krieger sein? In allen Kulturen haben die berühmten Krieger sich stets durch Mut, Entschlossenheit und innere Stärke ausgezeichnet, doch nur wenige hatten ein friedliches Herz. Die Friedensstifter der Menschheitsgeschichte dagegen waren zwar gütige Menschen voller Liebe und Mitgefühl, doch meist fehlte ihnen dafür wieder der Mut des Kriegers. Der friedvolle Krieger aber vereint beides in sich, Mut und Liebe – einen kämpferischen Geist und ein Herz, in dem der Friede wohnt.

Und nun wollen wir auf die Reise gehen. In diesem ersten Teil möchte ich die Probleme, Fragen und Herausforderungen schildern, denen ein friedvoller Krieger auf seinem Weg durch den dunklen Wald begegnet. Das ist eine notwendige Vorbereitung für unseren Aufstieg über die Wolken ins Licht.

Um die Reise durch dieses Buch zu einem intensiveren Erlebnis zu machen und zu zeigen, was für Erfahrungen hinter meinen Worten stehen, habe ich zwischendurch immer wieder ein paar Übungen eingestreut. Zu den meisten dieser Übungen braucht man nicht viel Zeit, und sie helfen einem sehr, die Prinzipien, die ich hier beschreibe, im Alltagsleben in echte Resultate umzusetzen.

1

Mut und Liebe – Grundlagen des Pfades

Friede bedeutet nicht, frei von Konflikten zu sein.Friede ist die Fähigkeit, Konflikte zu bewältigen.

Anonymer Verfasser

Irgendwo in der Wildnis des amerikanischen Westens heult der Wind und bläst Staub und Büschel von Steppenläufern über die Wüste – ein unfruchtbares, flaches Land, in dem abgesehen von ein paar vereinzelten Grenzlandstädtchen keine Menschenseele lebt.

Ein Kojote stimmt in das Heulen des Windes ein. Da taucht aus der Staubwolke am Horizont eine einsame Gestalt auf. Langsam schreitet sie über den Wüstensand und hinterläßt kaum einen Fußabdruck. Ihre Bewegungen sind gemächlich und harmonisch. Ehrerbietig nickt sie einem Eselhasen zu.

Als der Mann an uns vorbeikommt, erkennen wir, daß er einen alten Hut aufhat und eine kleine Tasche und eine zusammengerollte Decke über der Schulter trägt. Auf seinem faltenlosen Gesicht liegt ein Ausdruck ruhiger Gelassenheit. Man sieht, daß das ein Mann ohne Vergangenheit und ohne Zukunft ist – ein Mensch, der völlig in der Gegenwart lebt.

Wir spüren, daß er großen Mut, Macht und Kraft besitzt, und doch strahlt er gleichzeitig Güte und Mitgefühl aus. Dieser Mann – Krieger und Priester zugleich – ist dazu da, alle Lebewesen zu schützen und Menschen in Not zu dienen. Ein Shao-lin-Priester von sanftem Wesen, leiser Stimme und feinem Benehmen, dem kein Kampfsport fremd ist; ein Heiler und Berater, der seine Weisheit aus dem Reich der Natur schöpft. Er ist das Urbild des friedvollen Kriegers. Sein Name ist Kwai Chang Cain – eine Figur, die Ed Spielman für die alte «Kung Fu»-Fernsehserie geschaffen hat und die von David Carradine gespielt wurde.

Das Kernstück des Pfades

Das Glück oder der Geist umgibt uns ständig und durchdringt alle Zellen unseres Seins. Aber diese Inspiration spüren wir nur selten. Meist hindern Blockaden in unserem Körper, unserem Denken und unseren Emotionen uns daran. Der friedvolle Krieger stellt sich diesen inneren Hindernissen entgegen und räumt sie aus dem Weg, damit wir endlich wieder spüren, daß wir ein natürliches Anrecht auf Glück haben.

Als friedvolle Krieger streben wir danach, die Wege unseres Lebens mit Mut zu gehen; aber gleichzeitig ist uns auch klar, daß wahre Heilung letzten Endes nur aus unserem Herzen kommen kann. Wir haben begriffen, daß wir selbst dazu beitragen, unser Leben zu gestalten, und daß wir unsere Welt verändern können, indem wir uns selbst ändern. Der Weg beginnt dort, wo wir im Augenblick gerade stehen. Man kann ihn auf jeder Ebene gehen. Die Methode ist ganz einfach – man muß etwas tun. Und der richtige Zeitpunkt ist jetzt, in diesem Augenblick.

Der friedvolle Krieger hat Geduld, zu warten,bis der Schlamm sich setzt und das Wasser sich klärt.Regungslos harrt er aus bis zum rechten Augenblick,in dem die richtige Handlung sich ganz von selbst ergibt.Er strebt nicht nach Erfüllung, sondern wartet mit offenen Armenund akzeptiert freudigen Herzens alles, was kommt.Er nutzt alle Situationen, versäumt nichts.Er ist die Verkörperung des Lichts.

Der friedvolle Krieger besitzt drei große Schätze:Einfachheit, Geduld und Mitgefühl.Er ist einfach in seinem Denken und Tunund kehrt zur Quelle allen Seins zurück.Er hat Geduld mit Freund und Feindund lebt mit allem im Einklang.Er hat auch Mitgefühl mit sich selbstund schließt seinen Frieden mit der Welt.

Manche mögen diese Lehre Unsinn nennen;anderen erscheint sie vielleicht zu hochfliegend.Doch für alle, die in sich hineingeschaut haben,ergibt dieser Unsinn einen vollkommenen Sinn.Und für die, die ihn in die Tat umsetzen,reichen die Wurzeln des Hochfliegenden tief in die Erde hinein.

Nach einem Gedicht von Lao-tse

Die Ausbildung des Kriegers in der Schule des täglichen Lebens

Stelle dir vor, du erlebst mitten im Alltagstrott einen Augenblick, in dem deine Gedanken sich klären und Ruhe und Gelassenheit einkehren – einen Augenblick, in dem deine Emotionen sich öffnen und zu überströmender, glücklicher Energie werden und dein Körper sich stark, elastisch, entspannt und lebendig anfühlt. So außergewöhnlich das auch klingen mag: Es war dein normaler Zustand – als du zwei Monate alt warst.

Wir alle haben diesen Zustand des Kriegers einmal verkörpert, und wir können es wieder tun. Wir brauchen dazu nichts Neues zu lernen; wir müssen nur die Hindernisse aus dem Weg räumen, die unsere natürlichen Erfahrungen blockieren. Wir müssen unsere Ängste und Vorstellungen, die uns im Laufe unseres Lebens einprogrammiert wurden, mit dem Schwert der Bewußtheit bloßlegen. Dann können wir mit allen Fasern unseres Körpers erfahren, was für ein Gefühl es ist, die strahlende Unschuld unserer Kindheit wiederzuerwecken und uns gleichzeitig die schwerverdiente Weisheit der Erfahrung zu behalten.

Manchmal kommt mir die Erde vor wie eine Art spirituelles Ausbildungslager – ein Ort, an dem wir alles über das Reich der Materie, das Reich der Veränderungen lernen. Hier verschwinden selbst die Menschen, die wir lieben, früher oder später aus unserem Leben. Die Anforderungen, die das Leben an uns stellt, fördern unsere besten Seiten zutage. Wir alle sind friedvolle Krieger in der Ausbildung. Die Erde schult uns, das tägliche Leben ist unser Trainingsplatz.

Injedem von uns schlägt das Herz eines friedvollen Kriegers. Wenn wir in den Spiegel schauen und uns tief in die Augen sehen, erkennen wir darin schon jetzt einen kleinen Schimmer des Menschen, der wir einmal sein werden.

Das Gesicht eines friedvollen Kriegers

Nimm einen Spiegel und sieh dir eine Minute lang ins Gesicht. Mustere dich so wie jemanden, den du noch nie im Leben gesehen hast.Betrachte dich mit Mitgefühl und bleibe offen für alle Empfindungen, die in dir aufsteigen.Sieh dir in die Augen und konzentriere dich auf das Gefühl, daß du in die Augen eines friedvollen Kriegers blickst.

Die drei Selbste

Körper, Denken und Emotionen bilden eine Art Dreiklang, die zusammen den Menschen ausmachen. Eine andere wichtige Dreiheit sind die drei Selbste. Dieses Gedankenmodell kann uns helfen, unsere vollen Entfaltungsmöglichkeiten auf dem Pfad des friedvollen Kriegers zu erkennen.

Mit «drei Selbste» meine ich das Basis-Selbst (oder Unbewußtes), das Bewußte Selbst (oder Ich) und das Höhere Selbst (oder spirituelle Selbst). Wenn wir diese drei verschiedenen Bewußtseinsformen verstehen, können wir viel bewußter und mit mehr Freude, Motivation und Inspiration leben.

Das Basis-Selbst

Manche bezeichnen das Basis-Selbst auch als «inneres Kind», da die Eigenschaften und Motive dieses Bewußtseins starke Ähnlichkeit mit denen eines vier – bis siebenjährigen Kindes haben. Wie kleine Kinder, so haben auch die Basis-Selbste vieles gemeinsam; aber in ihrer Stärke, ihrem Selbstvertrauen und ihrem Erkenntnisstand unterscheiden sie sich doch voneinander. Ich verwende zwar auch hin und wieder den Begriff Unbewußtesoder «inneres Kind», doch im allgemeinen ist mir der umfassendere Begriff Basis-Selbst lieber. Schließlich geht es hier um ein Bewußtsein, dessen Funktionen über die gängige Vorstellung vom «Kind in uns» hinausgehen.

Das Basis-Selbst führt ein Eigenleben, getrennt von unserem bewußten Verstand. Es identifiziert sich stark mit dem physischen Körper und manifestiert sich als unsere Körperweisheit: Instinkt, Intuition, latente Triebe und Fähigkeiten, Erinnerungen und alles, was «aus dem Bauch heraus» kommt. Das Basis-Selbst übt die Kontrolle über unseren Körper aus. Über das vegetative Nervensystem erhält es unsere Körperfunktionen aufrecht und erzeugt unsere Lebensenergie.

Wie die meisten Kinder ist das Basis-Selbst sehr empfänglich für Suggestion (Hypnose), Dinge, die ihm einprogrammiert werden, Visualisierungen und alle Formen des Heilens, die über das Unbewußte ablaufen. Fühlt das kindliche Basis-Selbst sich sicher und geborgen und glücklich, dann reagiert es verspielt und ist voller Energie und Inspiration, loyal, entschlußfreudig und spontan. Doch wenn unser Bewußtsein das Basis-Selbst ignoriert, abwertet oder unterdrückt (was häufig geschieht), dann neigt es dazu, sich zurückzuziehen, Energien zu blockieren, unser Immunsystem zu schwächen und all unsere Bemühungen zunichte zu machen. Indem wir uns stärker bewußtmachen, wie unser Unbewußtes funktioniert, gewinnen wir Zugang zu neuen Energiequellen und neuem Mut und können unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden verbessern. Das Basis-Selbst ist die Grundlage, von der aus wir uns zu höheren Bewußtseinszuständen emporschwingen können.

Das Bewußte Selbst

Unser Bewußtes Selbst ist Sitz der Logik, des rationalen Denkens und kritischen Urteilsvermögens. Das alles sind wichtige Werkzeuge, ohne die wir nicht leben könnten. Zu den wichtigsten Funktionen des Bewußten Selbst gehört das bewußte Lernen, mit dessen Hilfe wir uns besser an unsere Umwelt anpassen und in ihr erfolgreich sein können. Ich bezeichne dieses Selbst im folgenden entweder als Bewußtes Selbst, Verstand oder Ich; die drei Begriffe sind austauschbar.

Wenn das Bewußte Selbst harmonisch arbeitet, dann leitet und erzieht es das Basis-Selbst und gibt ihm ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit, so wie Eltern es mit ihrem Kind tun. Es hilft ihm, das Leben zu begreifen, und gibt ihm gleichzeitig genügend Spielraum, um seine eigenen, einmaligen Fähigkeiten zu entfalten. Ist es dagegen nicht im Gleichgewicht, dann neigt das Bewußte Selbst dazu, die Gefühle und Intuitionen des Basis-Selbst mit den Argumenten seiner Logik und seines Verstandes abzuwerten, so wie manche Erwachsene die Empfindungen ihrer Kinder nicht für voll nehmen. Das führt zu einer Entfremdung zwischen Geist und Körper; wir verlieren den Kontakt zu unseren Gefühlen und den Intuitionen tief in unserem Inneren. Um dieses Ungleichgewicht zu heilen, muß unser Bewußtes Selbst lernen, neuen Kontakt zum Basis-Selbst zu finden. Dann fühlen wir uns wieder viel vitaler und gesünder und haben mehr Freude am Leben. Der friedvolle Krieger weiß Logik und Verstand und die anderen Funktionen des Bewußten Selbst durchaus zu schätzen, aber er erkennt auch ihre Grenzen. Sobald wir beginnen, das Bewußte Selbst aus der richtigen Perspektive zu sehen, wird uns klar, daß unser Leben reibungsloser abläuft, wenn Basis-Selbst und Bewußtes Selbst unter der liebevollen Herrschaft des Höheren Selbst zusammenarbeiten.

Das Höhere Selbst

Das Höhere Selbst, ein leuchtender Aspekt unseres Bewußtseins – manchmal auch als unser «Schutzengel» bezeichnet –, ist das Dritte im Bunde der drei Selbste. Es manifestiert Eigenschaften wie selbstlosen Mut, Liebe, Mitgefühl, Weisheit, Altruismus und Freude. Es führt uns zu unserer Seele hin und erinnert das Bewußte Selbst an unsere spirituellen Möglichkeiten, die über die Welt der Materie hinausgehen, und daran, daß unser bewußter Verstand seine Grenzen hat.

Das Höhere Selbst bringt dem Bewußten Selbst und dem Basis-Selbst zwar viel Anteilnahme und Einfühlungsvermögen entgegen, aber es existiert in einem Zustand liebevoller Distanz. Es leitet die beiden sanft, ohne sich einzumischen. Es läßt das Bewußte Selbst seine eigenen Entscheidungen treffen und die Lektionen lernen, die es zu lernen hat.

Durch die Beherrschung der Kräfte unseres Basis-Selbst und unseres Bewußten Selbst können wir auf dieser Welt viel Erfolg haben, doch nur die Verbindung zu unserem Höheren Selbst kann die Dimensionen der Freude und Liebe und die Erfahrung der höheren Möglichkeiten unseres Lebens hinzufügen.

Wie wir unsere drei Selbste erfahren können

Erfahre dein Basis-Selbst, indem du dich auf deinen Körper einstimmst. Versuche dich zu erinnern, wann du das letzte Mal ein Gefühl, eine Vorahnung oder eine Intuition hattest. Achte darauf, wie dein Körper auf deine Gedanken und Empfindungen reagiert und was für Signale er dir gibt, um dich zu leiten.Erfahre dein Bewußtes Selbst, indem du auf die Gedanken und Urteile achtest, die dir jetzt in diesem Augenblick durch den Kopf gehen. Beobachte dich dabei, wie du Informationen sammelst, logische Schlüsse ziehst oder etwas lernst.Erfahre dein Höheres Selbst, indem du dich auf dein Herz und die Dimension deiner höheren Empfindungen einstimmst. Erinnere dich an jene besonderen Augenblicke in deinem Leben, als du dich inspiriert oder erhoben fühltest – als dein Geist aufhörte zu denken, dein Körper sich entspannte und dein Herz sich der Umarmung deines Höheren Selbst öffnete.

Aspekte des Pfades

Die Weisheiten und erhabenen Praktiken, die zum Pfad des friedvollen Kriegers gehören, existieren schon seit vielen, vielen Jahrhunderten. Heute versuchen wir diese alte, allgemeingültige Weisheit in Formen umzusetzen, die dem Leben des modernen Menschen angemessen sind. Es gibt Tausende verschiedener Wege, Methoden, Systeme, Schulen, Sekten und Seminare, die alle wieder ein bißchen anders vorgehen. Die einen arbeiten hauptsächlich mit dem Basis-Selbst, bei anderen liegt das Schwergewicht auf dem Bewußten Selbst oder dem Höheren Selbst. Manche Methoden konzentrieren sich in erster Linie auf den Körper, andere auf das Denken oder die Emotionen. Der Pfad des friedvollen Kriegers besteht darin, all diese verschiedenen Aspekte zu integrieren.

Körper, Geist und Emotionen

Ein Samurai, der im Kampf um Leben oder Tod ein rasiermesserscharfes Schwert auf sich gerichtet sah, wußte, wie wichtig körperliche Gewandtheit ist. Aber er wußte auch, daß diese Gewandtheit nicht ausreichte, wenn sein Geist nicht konzentriert und seine Gefühle nicht im Gleichgewicht waren. Bei diesen Kriegern ging es nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um Leben und Tod. Sie konnten es sich nicht leisten, ihre Schwächen zu ignorieren oder so zu tun, als existierten sie nicht. Sie wußten, daß unser Leben wie eine Kette immer am schwächsten Glied reißt. Ihr Leben hing davon ab, daß sie ihren Körper, ihren Geist und ihre Emotionen gleichermaßen trainierten. Wenn unser Leben von Bedeutung sein soll, müssen auch wir uns bemühen, das schwächste Glied unserer Kette zu stärken.

Das schwächste Glied in der Kette

Alle Schwierigkeiten, mit denen wir bisher im Leben konfrontiert waren, hängen mit irgendeiner Schwäche unseres Körpers, unseres Geistes oder unserer Emotionen zusammen. Rufe dir einmal eines oder mehrere Probleme ins Gedächtnis, mit denen du in deinem Leben schon zu kämpfen hattest.Überlege, ob diese Schwierigkeiten mehr mit dem Körper, dem Denken oder den Emotionen zu tun hatten. Bemerkst du ein stets wiederkehrendes Muster?

Sich des schwächsten Glieds in unserer Kette bewußt zu sein ist schon der erste Schritt zu seiner Stärkung.

Ein ausgeglichenes Leben

Um einen Zustand der Harmonie und Inspiration zu erlangen, müssen wir Körper, Geist und Emotionen und auch unsere drei Selbste integrieren – das heißt, wir müssen Himmel und Erde miteinander verbinden: den Kopf in den Wolken und mit beiden Füßen fest auf der Erde.

Der Himmel ist nicht nur über unserem Kopf, sondern auch unter unseren Füßen.

Henry David Thoreau

Oder wie Ram Dass es einmal ausgedrückt hat: «Wir können ruhig in einem Zustand kosmischer Glückseligkeit versinken – aber wir dürfen dabei unsere Postleitzahl nicht vergessen. »

Mut und Liebe

Mut und Liebe gehören zu den wichtigsten Eigenschaften auf dem Weg des Kriegers. Es braucht Mut, um offen und verletzlich zu bleiben. Mut bedeutet, Angst zu empfinden und trotzdem alles Notwendige zu tun – oder gar nichts zu tun. Liebe bedeutet, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind, und sich dabei gleichzeitig um positive Veränderungen zu bemühen. Manche von uns sind auf dem Weg des Mutes weit gekommen; andere haben im Reich der Liebe gewirkt und die Herzen weit geöffnet. Der Pfad des friedvollen Kriegers umfaßt jedoch beides.

Handeln zur rechten Zeit

Bei vielen von uns spielt sich das Leben nur im Kopf ab. Was wir wahrnehmen, durchläuft zuerst einmal den Filter unserer Ideen und Vorstellungen. Wir glauben zwar, Begriffe wie Leben im Jetzt, Selbstvertrauen und Engagement zu verstehen, doch wahres Verständnis erlangt man nur durch Handeln. Nur dadurch läßt sich Wissen in Weisheit verwandeln. Spontanes Handeln aus dem Grunde unseres Herzens heraus ist das Fundament des friedvollen Kriegers.

Am Tage des Jüngsten Gerichts wird man uns nicht fragen, was wir gelesen, sondern was wir getan haben.

Thomas a Kempis

Manchmal besteht die erhabenste Handlung sogar im Nichtstun. Die Rhythmen der Natur zeigen uns «für jedes Ziel unter dem Himmel den rechten Zeitpunkt». Der Krieger weiß auch Zeiten der Stille und Kontemplation zu schätzen, in denen die höchste Weisheit darin besteht, den natürlichen Lauf des Lebens zu akzeptieren.

Licht und Schatten

In den alten Überlieferungen aller Kulturen mußte ein Krieger nicht nur den helleren, sondern auch den dunkleren Elementen der Welt und der menschlichen Psyche gegenübertreten – er mußte sich auch seinen verleugneten Seiten stellen und sie annehmen. Er konnte sich nicht den Luxus tröstlicher Illusionen leisten, sondern mußte sich stets mit den Realitäten von Leben und Tod auseinandersetzen und akzeptieren, daß die dunklen Mächte der Angst, der Unsicherheit und des Selbstzweifels so etwas wie Trainingspartner sind, durch die wir stärker werden. Schatten kann es nur da geben, wo auch Licht ist; das Licht ist stets der unumschränkte Herrscher. In diesem Wissen geborgen, bleiben wir für alle Möglichkeiten offen und respektieren gleichzeitig die Naturgesetze, denen die materielle Ebene der Realität unterworfen ist.

Das Schlachtfeld

Kampfsport kann als Gleichnis für das Leben dienen; doch der Pfad des friedvollen Kriegers hat wenig mit dem Kampf gegen äußere Gegner zu tun. Unsere größten Kämpfe toben tief in unserem Inneren, und zwar dann, wenn wir unseren Ängsten, unserer Unsicherheit und unseren Selbstzweifeln ins Auge sehen müssen. Diese inneren Feinde stellen eine viel größere Bedrohung für unser Leben und unser Wohlbefinden dar als die äußeren Schwierigkeiten des täglichen Lebens.

Sei gütig zu allen Menschen, denn jeder, dem du begegnest, kämpft einen schweren Kampf.

Plato

Wie oft haben wir schon das Sprichwort gehört: «Der schwerste Sieg ist der Sieg über sich selbst», ohne zu begreifen, daß dieser Grundsatz auch für uns selbst gilt? Wie oft sind wir zum Beispiel schon auf einen anderen Menschen wütend geworden, statt die Energie dieses Zorns zu nutzen, um uns unseren eigenen inneren Feinden entgegenzustellen – der Angst, der Unsicherheit und den Selbstzweifeln? Alle wirklich wichtigen Kämpfe finden in unserem Inneren statt.

Wir haben den Feind gesehen, und er ist [in] uns.

Pogo

Der Augenblick der Wahrheit

An einem ganz normalen Abend vor ein paar Jahren – es war gerade dunkel geworden – wollte Michael gerade rückwärts in eine Parklücke in der Innenstadt hineinfahren. Da hupte hinter ihm der Fahrer eines geparkten Wagens. Michael hielt an und drehte sich um, um zu sehen, was los war. Aber es schien ihm alles in Ordnung zu sein. Es war erlaubt, hier zu parken. Also ging er davon aus, daß der Mann ihn nicht gemeint haben konnte, und parkte weiter ein.

Wieder hupte und blinkte das Auto hinter ihm. «Was soll denn das?» fragte Michael sich. Verwirrt und auch ein bißchen gereizt trat er auf die Bremse, stieg aus und ging zu dem Auto hinüber. «Entschuldigen Sie», fragte er den Fahrer, «stimmt irgend etwas nicht?»

Er erstarrte vor Schreck, als er den Lauf eines Zwölfkalibergewehrs auf sich gerichtet sah. Einen Augenblick lang dachte er, der Mann werde ihn erschießen – vielleicht war das sein letzter Atemzug, die letzte Sekunde, die er noch zu leben hatte. Es erübrigt sich wohl, zu sagen, daß das nun plötzlich gar kein «ganz normaler Abend» mehr war.

Nach einem Moment, der Michael wie eine Ewigkeit vorkam, sagte der Mann barsch. «Verschwinden Sie hier mit Ihrem Auto.»

Eine unendliche Erleichterung, ja geradezu Hochstimmung überkam Michael. Wahrscheinlich würde er den heutigen Tag also doch noch überleben. «Ja, natürlich», sagte er nur und machte, daß er davonkam. Im Wegfahren sah er noch, wie ein anderer Mann mit einem Schießeisen in der Hand und einem Sack in der anderen rückwärts aus einem Spirituosengeschäft kam. Offenbar hatte Michael das Auto blockiert, mit dem die Gangster flüchten wollten.

Dieses Erlebnis hat Michael sehr beeindruckt, nicht nur, weil es ihm so einen Schrecken eingejagt hatte. In den nächsten Stunden und Tagen durchlebte er diesen Augenblick in Gedanken immer wieder – wie er in den Gewehrlauf starrte und sich fragte, ob der Mann ihn wohl in den nächsten Sekunden vom Gewicht seines Kopfes befreien würde.

Und er überlegte sich: «Was wäre, wenn ich jetzt plötzlich stürbe – habe ich das Gefühl, daß mein Leben erfüllt ist? Habe ich alles verwirklicht, was ich mir vorgenommen hatte? Was habe ich auf morgen verschoben? Gibt es noch irgend jemanden, dem ich verzeihen oder den ich um Verzeihung bitten muß? Gibt es in meinem Leben noch Dinge, die ich nicht zu Ende geführt habe?»

Als Michael mir von diesem Erlebnis erzählte und wie es sein Leben verändert hat, vertiefte sich meine Einsicht, daß es keine alltäglichen Momente gibt. Da mußte tatsächlich erst ein Mann mit einem Gewehr kommen, damit wir das beide begriffen: daß jeder Augenblick kostbar ist, daß jede Sekunde zählt und wir sie nicht vergeuden dürfen, daß dieser Moment der Augenblick der Wahrheit ist.

2

In der Arena des Alltags

Ein Schüler, von dem nie etwas verlangt wird, was er nicht kann, wird auch nie alles leisten, wozu er fähig ist.

John Stuart Mill

Höhen und Tiefen

Am Schluß meines Buches Der Pfad des friedvollen Kriegers beschrieb ich eine wichtige Erkenntnis. Ich konnte keine anderen Worte dafür finden als folgende:

Die Suche ist unnötig, das Streben führt zu nichts. Alles ist gleich, darum sei glücklich – und zwar jetzt. Hör auf zu kämpfen, laß ab von deinem Grübeln, wirf die Sorgen von dir und fühle dich wohl auf dieser Welt. Du brauchst dich nicht aufzulehnen gegen das Leben. Mach die Augen auf und erkenne, daß du viel mehr bist, als du glaubtest. Du bist schon erlöst!

Hehre Worte, einem ekstatischen Augenblick der Erleuchtung entsprungen. Ein paar Jahre später kamen sie mir vor wie Worte eines Fremden. Ich konnte mich zwar noch an sie erinnern, aber ich konnte sie nicht mehr nachempfinden. Solche hochfliegenden Gedanken helfen uns nicht weiter, wenn wir Schmerzen oder Probleme mit unserem Partner haben oder wenn wir uns den Kopf darüber zerbrechen müssen, wie wir diesen Monat unsere Rechnungen bezahlen sollen.

An jenem Tiefpunkt meines Lebens wurden mir unzählige Türen vor der Nase zugeschlagen, und es schien sich nichts Neues aufzutun. Trotz all meiner Erkenntnisse fühlte ich mich verloren und war völlig frustriert. Ich tat, was ich konnte, um meine Familie zu ernähren. Ich hatte zwei verschiedene Stellen, fing morgens um halb fünf schon mit der Arbeit an und war abends um sechs fertig. Ich arbeitete als Schreibkraft – das war die einzige verwertbare Fähigkeit, die ich damals besaß. Ich war verschuldet bis über beide Ohren und blickte nie über den jetzigen Augenblick hinaus. Ich tat einfach, was gerade getan werden mußte, blieb für alle Möglichkeiten offen und lebte von einem Tag zum nächsten.

Ein Ausspruch von Socrates half mir, diese düstere Zeit zu überstehen. Er hatte mich damals daran erinnert, daß das Leben in Zyklen verläuft – auf einen Aufstieg folgt immer wieder ein Abstieg, und was ganz unten gelandet ist, kann auch wieder aufsteigen. Unsere Fortschritte gehen oft sehr langsam vonstatten. Wir erinnern uns an etwas, dann vergessen wir es wieder, dann fällt es uns irgendwann wieder ein. Wir machen zwei Schritte vorwärts und einen zurück. Ganz gleich, was für Erleuchtungen wir haben, wir müssen trotzdem nach wie vor den Realitäten des täglichen Lebens ins Auge sehen.

Ein junger Mann hatte fünf Jahre lang mühsam nach der Wahrheit gesucht. Eines Tages, als er die Ausläufer eines großen Gebirges bestieg, sah er von oben einen alten Mann herunterkommen, der einen schweren Sack auf dem Rücken trug. Er spürte, daß dieser alte Mann auf dem Gipfel gewesen war. Endlich hatte er einen Weisen gefunden – einen, der ihm die Frage beantworten konnte, die sein Herz am meisten bewegte.

«Bitte, o Herr», sprach er ihn an, «sag mir, was Erleuchtung bedeutet. »

Lächelnd blieb der Alte stehen. Er blickte den jungen Mann unverwandt an, ließ langsam die schwere Last von seinen Schultern gleiten, legte den Sack auf den Boden und richtete sich auf.

«Aha, ich verstehe», erwiderte der junge Mann. «Aber was kommt nach der Erleuchtung? »

Da holte der alte Mann tief Luft, lud sich den schweren Sack wieder auf den Rücken und ging weiter.

Socrates hat einmal zu mir gesagt: «Ein Blitz der Erleuchtung gibt dir einen Vorgeschmack künftiger Attraktionen. Doch wenn er wieder erlischt, wirst du nur um so deutlicher spüren, welcher Abgrund dich noch von diesem Zustand trennt – deine zwanghaften Gewohnheiten, deine verstaubten Ansichten, deine falschen Assoziationen und andere Strukturen deines Denkens.» Gerade dann, wenn unser Leben beginnt, sich zum Besseren zu wenden, haben wir oft das Gefühl, daß alles schlimmer wird – denn jetzt sehen wir zum erstenmal klar und deutlich, was alles noch getan werden muß.

«Auch nach der Erleuchtung», fuhr Socrates fort, «werden immer wieder Schwierigkeiten auf dich zukommen, nur deine Einstellung zu diesen Problemen ändert sich. Du sichst mehr und leistest weniger Widerstand. Du entwickelst die Gabe, deine Probleme in Lektionen zu verwandeln, die es zu lernen gilt, und deine Lektionen in Weisheit. »

Ein einfaches Leben

Mahatma Gandhi, politischer Aktivist und Verfechter des gewaltlosen Widerstandes, riet uns allen, «ein einfaches Leben zu führen, damit andere Menschen wenigstens das Einfachste zum Leben haben». Gandhi hat sich tatsächlich an dieses hohe Ideal gehalten. Er trug einen Lendenschurz oder ein anderes einfaches Gewand, spann seine Baumwolle selbst, nahm nur das, was er brauchte, und gab her, was er konnte. Aber Gandhi bekam Unterstützung von anderen Leuten. Ein indischer Industrieller, der für Gandhis Sache Millionen spendete, sagte einmal: «Gandhis einfaches Leben hat mich ein Vermögen gekostet. »

Einfachheit bedeutet für jeden Menschen etwas anderes – je nach seinem Alter, seinen Lebensumständen und seinen Zielen. Nur wenigen ist es bestimmt, Gandhis hohe Ideale zu verkörpern, ein extrem einfaches, entsagungsvolles Leben zu führen oder wie ein wandernder Asket einsam in einer Höhle oder im Wald zu hausen. Wir werden uns wahrscheinlich eher mit den Alltagsrealitäten unserer modernen Gesellschaft auseinandersetzen müssen. Wir werden eine Ausbildung absolvieren, einen Beruf ergreifen, einen Freund oder eine Freundin haben, vielleicht eines Tages auch eine Familie gründen und uns all den Aufgaben und Herausforderungen stellen, die damit zusammenhängen. Trotzdem können wir alle innerlich ein einfaches Leben führen, uns inmitten der Hektik und Geschäftigkeit des Alltags einen ruhigen Geist bewahren.

Im Kreuzfeuer des Alltagslebens

Jemand beklagte sich einmal bei mir: «Ich würde ja gern wie ein friedvoller Krieger leben und mich intensiver meinen spirituellen Übungen widmen. Aber ich habe nun mal einen Beruf und eine Familie und einfach keine Zeit!»

Dieser Mann hatte noch nicht begriffen, daß seine Familie und sein Beruf – die Beziehung zu seiner Frau, die Verantwortung für seine Kinder und die Zwänge des Berufslebens – seine spirituelle Übung waren. Solch eine Übung fordert uns oft stärker und trägt mehr zu unserer Entwicklung bei, als wenn wir einfach in einer Höhle säßen und meditierten. Ich spreche aus Erfahrung, weil ich beides kenne.

Natürlich muß auch die innere Arbeit zu ihrem Recht kommen. Man braucht die Möglichkeit, sich zurückzuziehen und von allem wegkommen zu können. Aber für den friedvollen Krieger ist das tägliche Leben die Arena, in der er seine Ausbildung erhält. Die Anforderungen dieses Lebens bringen unsere Schwächen ans Tageslicht, verwandeln sie in Stärken und entwickeln unseren Körper, unser Denken und unsere Emotionen weiter.

Als unsere gemeinsame Zeit sich dem Ende zuneigte, erinnerte Socrates mich: «Ich habe dir den Pfad des friedvollen Kriegers gezeigt – nicht den Pfad, der zum friedvollen Kriegertum führt. Die Reise selbst macht den Krieger aus dir. Das tägliche Leben ist deine Reise und deine Ausbildung. Sobald dir das klar wird, gewinnt jeder Augenblick einen tieferen Sinn. »

Der Alltag bietet uns gerade deshalb so viele Möglichkeiten zu innerem Wachstum, weil er so viele Anforderungen an uns stellt. Die Probleme, die uns auf die Probe stellen und innerlich wachsen lassen, sehen wir alle: Arbeit oder Beruf, Finanzen, Partnerbeziehungen, Ausbildung, Wohnung, Gesundheit, Ernährung und Sport – und natürlich auch die Suche nach dem Sinn unseres Lebens und der Richtung, die wir einschlagen wollen.

Partnerbeziehungen

Wenn das Leben ein Tanz ist, dann brauchen wir einen Tanzpartner. Eine enge, intensive Beziehung zu einem anderen Menschen hat einen stabilisierenden Einfluß auf unser Leben. Wir gewinnen dadurch Zeit, unsere Aufmerksamkeit anderen Dingen zu widmen. Da wir einen Sexualtrieb haben und die Sexualität im Leben der meisten Menschen eine wichtige Rolle spielt, ist eine stabile Partnerbeziehung begrüßenswert. Sonst resignieren wir entweder und finden uns damit ab, daß uns nur die Selbstbefriedigung bleibt, oder wir suchen unser ganzes Leben lang nach einem Partner.

Die meisten Paare fühlen sich zunächst einmal aufgrund ihrer sexuellen Bedürfnisse zueinander hingezogen – gleichgültig, was sie sonst noch aneinander fasziniert. Fast immer hat der eine Partner ein größeres Bedürfnis nach sexueller Befriedigung als der andere, so daß in den meisten Beziehungen eine dynamische Spannung herrscht.

Außerdem geht es im brodelnden Hexenkessel der Partnerbeziehungen auch noch um Probleme wie Nähe und Zuneigung, Gemeinsamkeit und persönlichen Freiraum, gegenseitige Unterstützung und Loyalität, ehrliches Feedback und offene Gespräche.

Eine Partnerbeziehung stellt viele Anforderungen an uns: Sie verlangt innere Offenheit, die Bereitschaft, dem Partner nahe zu sein, Dinge mit ihm zu teilen und Opfer zu bringen, Anpassungsfähigkeit, Gefühl, Leidenschaft, Ehrlichkeit und Verletzlichkeit. Diese Anforderungen können den Egoismus des Bewußten Selbst, das dazu neigt, seinen Bedürfnissen absolute Priorität einzuräumen, bedrohen oder gar gefährden. Mit anderen Worten, eine Partnerbeziehung ist ein Affront für das Ich. Es ist ganz normal, daß Paare nach den Flitterwochen nicht mehr so gut miteinander auskommen. Feste Beziehungen, beispielsweise Ehen, gehören zu den anspruchsvollsten spirituellen Disziplinen auf unserem Planeten, denn wir neigen dazu, vor Liebe und Nähe zurückzuscheuen. Eine feste Beziehung ist ein Ansporn für uns, über diese Tendenzen hinauszuwachsen.

Manche Paare schließen unbewußt Verträge miteinander, um sich gegenseitig tolerieren zu können. Solange die Bedürfnisse beider Seiten befriedigt werden, bleiben sie zusammen; doch sobald die Verpflichtungen schwerer wiegen als die Vorteile, lassen sie sich scheiden oder distanzieren sich zumindest emotional voneinander. Andere Paare, die bewußter sind, bringen auch noch psychologische Erkenntnisse in die Partnerschaft ein. Sie treffen Vereinbarungen, respektieren den Freiraum des anderen und gestalten ihr Zusammenleben so, daß beide einander unterstützen und voneinander profitieren.

In dieser Hinsicht bin ich stolz auf meine Eltern, die trotz all ihrer Probleme und Schwächen neunundfünfzig Jahre lang zusammengelebt und sich geliebt haben. Sie haben sich sogar ihren Humor bewahrt – vielleicht ist das die beste Erklärung für die Dauerhaftigkeit ihrer Beziehung. Eine solche enge, langfristige Bindung ist eine ganz besondere spirituelle Leistung. Paare, die das geschafft haben, sind in mancherlei Hinsicht mehr gereift als viele meiner intellektuellen jungen Freunde, die alles über «Bewußtseinsebenen» wissen.

Auch Kinder stellen trotz aller Freude, die sie uns machen, viele emotionale und finanzielle Anforderungen an uns. Sie fordern Opfer und sind damit eine spirituelle Trainingsform des Lebens, die uns ganz besonders wachsen läßt. Ich habe einmal ein Poster gesehen, auf dem stand: «Nicht reife Erwachsene machen Kinder, sondern Kinder machen erst Erwachsene reif. »

Wer selbst keine Kinder haben möchte, kann vom Umgang mit Neffen, Nichten oder anderen Kindern profitieren. Dadurch finden wir wieder Kontakt zur Einfachheit, Verspieltheit und Kreativität unseres Basis-Selbst. Auch die Sorge für einen Hund oder irgendein anderes Haustier, das Aufmerksamkeit und Zuneigung braucht, bietet uns die Möglichkeit zu liebevollem Kontakt mit einem Lebewesen, das viele Eigenschaften unseres Basis-Selbst verkörpert.

Obwohl sie vielleicht selbst schon Eltern sind, haben viele Menschen noch Probleme mit ihren eigenen Eltern. Manchmal kehren wir diese Konflikte unter den Teppich, weil wir fürchten, unsere Eltern «aufzuregen» oder zu «kränken», wenn wir sie offen ansprechen. Gerade deshalb ist unsere Beziehung zu unseren Eltern eine ausgezeichnete Chance, Mut und Liebe zu beweisen und innerlich zu wachsen.

Wer weder heiraten noch Kinder haben möchte, braucht sich keine Sorgen zu machen, denn Ehe und Elternschaft sind nur zwei der unzähligen Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln. Es gibt für jeden Menschen einen Weg.

Der Beruf als Aufgabe

Die meisten von uns streben nach einem sinnvollen Beruf. Wir brauchen einen Zeitvertreib und das Gefühl, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu sein. Das Beziehungsgeflecht in einer Firma ist so etwas wie ein Mikrokosmos des Lebens. Die zwischenmenschlichen Kontakte am Arbeitsplatz bieten uns reichlich Gelegenheit, Dinge auszutragen, mit Kollegen, mit Vorgesetzten oder mit dem «Betriebsekel» (ob das nun der Chef ist oder nicht).

Unsere Arbeit konfrontiert uns ständig mit der Frage: Wer bist du? Was für Wertvorstellungen hast du? Wie setzt du deine Prioritäten? Wo liegen deine besonderen Fähigkeiten und Verdienste? Wie kommst du mit anderen aus? In seinen Anforderungen bietet das Berufsleben uns genauso viele Möglichkeiten zum Wachstum wie die Ehe.

Das Leben auf dieser Welt kostet nun einmal Geld. Wenn wir finanziell nicht völlig unabhängig sind, gehört zum rechten Lebensunterhalt, daß wir der Welt mit unserer Arbeit einen Dienst leisten, indem wir unsere Werte und Fähigkeiten einbringen. Wieviel Geld wir damit verdienen, hängt von unseren vermarktbaren Fähigkeiten, dem gewählten Beruf und unserer Selbsteinschätzung ab – dem eigenen Gefühl, was wir wert sind. Unsere Arbeit und unsere finanziellen Angelegenheiten spiegeln wider, wie wir im Augenblick «funktionieren», und enthalten daher viele Möglichkeiten zu innerem Wachstum.

Der Körper als Spiegel

Unser Gesundheitszustand und unsere körperliche Verfassung spiegeln unseren momentanen Grad an Disziplin und emotionaler Klarheit wider und reflektieren, wie unsere Psyche funktioniert. Wir können uns nicht so leicht selbst betrügen, wenn wir in den Spiegel schauen. Wenn wir durch unser Make-up und den modischen Schnitt unserer Kleidung hindurch uns unsere Energie und Vitalität anschauen, erhalten wir ein wertvolles Feedback über unsere Lebensweise, unseren Grad an Bewußtsein und Disziplin, ja sogar unserer Selbstachtung. Unsere Gesundheit, unsere körperliche Erscheinung und unsere Fitneß, die wir durch richtige Ernährung, Bewegung und ein ausgeglichenes Leben erlangen, fordern von uns ständige Selbstbeobachtung und zwingen uns, immer wieder Bilanz zu ziehen – auch das ist ein wichtiger Teil des Trainings.

Probleme und Lektionen des täglichen Lebens

Welche Lebensbereiche (Beruf, Geld, Partnerbeziehungen, Ausbildung, Gesundheit – zum Beispiel Abhängigkeiten, Ernährung, Sport usw.) waren bisher die größte Herausforderung für dich?Beschreibe in einem oder zwei Sätzen, was du aus dieser Herausforderung im wesentlichen gelernt oder welche Eigenschaften du dir dadurch erworben hast.

Scheidewege

Das tägliche Leben konfrontiert uns immer wieder mit neuen Entscheidungen. Sollen wir aufstehen oder im Bett bleiben? Heiraten oder unseren Weg allein gehen? Erst einmal studieren oder gleich einen Beruf ergreifen? Ziele wählen, die in greifbarer Nähe oder in weiter Ferne liegen? Jede Entscheidung, die wir treffen, bringt ihre Vor – und Nachteile mit sich. Die Fragen des täglichen Lebens zwingen uns dazu, uns über unsere tief inneren Wertmaßstäbe klarzuwerden, sie gegeneinander abzuwägen und dann eine Entscheidung zu treffen. Jede Entscheidung hat Konsequenzen, aus denen wir etwas lernen können. Deshalb ist jeder von uns, der in der Arena des Alltags lebt und arbeitet, automatisch in einer Vollzeitausbildung auf dem Pfad des friedvollen Kriegers.

3

Wenn es hart auf hart kommt

Das Leben kann hart und gefährlich sein.Wer Glück sucht, findet oft nur Kummer und Sorgen,wer Frieden sucht, erlebt oft nichts anderes als Zwietracht,wer Liebe sucht, wird häufig enttäuscht.Die Freude kommt nur zu denen, die die Einsamkeit nicht fürchten.Das Leben kommt nur zu denen, die keine Angst vor dem Sterben haben.

Nach Joyce Cary

Das tägliche Leben als harte Schule

Wir lernen sehr viel hier auf der Erde, denn das tägliche Leben ist eine harte Schule. Vom ersten Schock der Geburt an erleben wir nicht nur Vergnügen, sondern auch Schmerz. Oft machen wir zusätzlich zu den üblichen Herausforderungen und Schwierigkeiten des Lebens eine so schwere Zeit durch, daß wir den taoistischen Weisen verstehen können, der einmal gesagt hat: «Warum feiern die Menschen die Geburt und trauern über den Tod? Sie könnten es ebensogut umgekehrt machen. »

Wir sind wie Schiffe auf dem Meer, die zu verschiedenen Häfen fahren. Manchmal segeln wir ruhig und zielstrebig dahin und lassen uns von den Sternen und unserem Kompaß leiten. Dann wieder haben wir das Gefühl, uns verirrt zu haben und ein Spielball der Wellen zu sein. Wenn es auf dem Meer unseres Lebens windstill ist, verfallen wir in eine angenehme Routine – wir schalten auf Automatik um –, aber sobald ein Sturm aufkommt, müssen wir alle Kräfte in unserem Inneren mobilisieren.

Es kommt im Leben nicht immer darauf an, gute Karten zu haben. Manchmal muß man auch aus einem schlechten Blatt etwas machen können.

Robert Louis Stevenson

Wir können den Stürmen unseres Lebens nicht immer ausweichen, aber wir können unsere Reaktionen richtig steuern: Wir können die Segel reffen, die Luken schließen und das Beste aus unserer Lage machen. Je nach unserer Reaktion wird das Leben uns entweder emporheben oder zermalmen. Was uns nicht umbringt, macht uns stark. Wir müssen nur mit der richtigen Einstellung an die Sache herangehen.

Spirituelles Gewichtheben

Jeder, der schon einmal mit Gewichten trainiert hat, weiß: Wenn das Gewicht zu schwer ist, zieht man sich leicht einen Muskelriß zu. Ist es dagegen zu leicht, dann werden unsere Muskeln nicht genügend gekräftigt. Die Nöte und Entbehrungen unseres Lebens sind die Gewichte, die wir heben müssen, um unseren Mut zu stärken. Jedes Mißgeschick gibt uns die Chance, unsere wahren Fähigkeiten zu entdecken. Nur angesichts der Angst können wir Mut beweisen.

Mut ist wie ein Muskel. Er wird nur stärker, wenn man ihn regelmäßig gebraucht.

Ruth Gordon

Vor ein paar Jahren zogen Wissenschaftler im Rahmen einer Untersuchung des Immunsystems Küken in einer für sie optimalen, angenehmen und sterilen Umgebung auf: genau die richtige Temperatur und die richtige Nahrung, keine Schwierigkeiten, keine seelischen Erschütterungen, keine Bedrohungen, Gefahren oder sonstige Streßsituationen. Nach ein paar Generationen setzten die Wissenschaftler diese Hühner in einer normalen Umgebung aus. Sie gingen alle sehr schnell ein.

Wenn uns ein Mißgeschick begegnet, sollten wir nicht fragen: «Warum mußte das gerade mir passieren?», sondern die Ärmel hochkrempeln und daran denken, daß wir jetzt spirituelles Gewichtheben üben. Wenn das Leben in uns genau die Fähigkeit entwickelt, die es von uns verlangt, dann bringen schwere Zeiten uns dazu, viel Mut zu entwickeln.

Mitten im Winter entdeckte ich in mir einen unbesiegbaren Sommer.

Albert Camus

Ein Mißgeschick kann sich als Segen erweisen

Im Jahr 1966, im Sommer vor meinem letzten Jahr am College, fühlte ich mich körperlich in Höchstform. Ich hatte mir eben ein neues Triumph-Motorrad gekauft. Triumph – das schien auch genau die richtige Bezeichnung für diese Phase meines Lebens zu sein: Ich hatte gerade als Stuntman in einem Tony-Curtis-Film am Strand von Malibu mitgewirkt. In den nächsten Tagen würde ich nach Berkeley fahren und von dort aus nach Jugoslawien fliegen, wo ich zusammen mit den besten Turnern der Welt für die Weltmeisterschaft der Kunstturner trainieren sollte.

Zwei Tage vor meiner Abreise stieß ich auf meinem Motorrad mit einem Auto zusammen, das falsch abgebogen war, und mein rechter Oberschenkelknochen zersplitterte in ungefähr vierzig Stücke. Diese paar Sekunden haben mein ganzes Leben verändert – nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Irgend etwas in mir hat sich damals gewandelt.

Manchmal, wenn die Grundfesten unseres Lebens erschüttertsind, wenden wir uns hilfesuchend an Gott – und stellen fest, daßGott selbst sie erschüttert hat!

Anonymer Verfasser

Wenn ich mir damals nicht das Bein gebrochen hätte, dann hätte ich den alten Mann, den ich Socrates nannte, vielleicht nie so intensiv kennengelernt; und ich hätte möglicherweise auch nie über Leben und Tod nachgedacht, hätte nie Schmerz und Leiden begriffen und die Entschlossenheit, Kraft und Energie entdeckt, die in mir steckten. Hinterher hat sich gezeigt, daß dieser Beinbruch ein großer Segen für mein Leben war. So kann sich jedes Mißgeschick im nachhinein als ein großes Geschenk des Geistes erweisen. Das heißt natürlich nicht, daß ich Knochenbrüche als Weg zur Erleuchtung empfehle.

Im Pfad des friedvollen Kriegers steht die Geschichte von einem alten Bauern und seinem Sohn, dessen einziges Pferd fortlief. Die Nachbarn sagten: «Was für ein Unglück!» Aber dann kam das Pferd zurück und brachte fünf wilde Pferde mit. Auf den ersten Blick schien das ein großes Glück zu sein – doch dann versuchte der Sohn eines der wilden Pferde zu reiten, stürzte und brach sich das Bein. Pech, dachten die Leuten – aber bald nach dem Unfall durchkämmten Generäle das Tal und nahmen alle gesunden Männer mit in einen grauenvollen Krieg. Der Sohn blieb natürlich verschont. So liegt in jedem Geschenk ein Mißgeschick verborgen, und in jedem Mißgeschick verbirgt sich ein Geschenk.

Einmal streckte ich die Hand nach der Toilettenpapierrolle aus und sah eine Ameise über das Papier kriechen, das ich abreißen wollte. Ich pustete die Ameise von dem Papier, und sie fiel auf den Boden. Vom Standpunkt der Ameise aus war das vielleicht ein großes Mißgeschick, denn sie wußte ja nicht, was ihr sonst passiert wäre.

Wie man aus seinem Unglück lernen kann