Die große Consulting-Show - Mariana Mazzucato - E-Book

Die große Consulting-Show E-Book

Mariana Mazzucato

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Beschreibung

Es gab Zeiten, da haben Berater einfach Firmen beraten, heute steuern sie in vielen Ländern die Regierungsgeschäfte und beeinflussen die Gesetzgebung. Das Outsourcing von staatlichen Aufgaben hat exorbitant zugenommen, Unsummen an Steuergeldern fließen in die Consulting-Industrie. Ein undurchschaubares System von Verträgen ist entstanden und macht die Frage nach Verantwortlichkeiten kompliziert. Dies ist eine sehr gefährliche Entwicklung, sagt Starökonomin Mariana Mazzucato: Je mehr der Staat an Ressourcen und Wissen verliert, umso mehr verlernt er, seine eigenen Aufgaben zu erfüllen. Gemeinsam mit Rosie Collington enthüllt sie das ganze Ausmaß der Machtverschiebung, legt die Abhängigkeiten offen und zeigt, wie der öffentliche Sektor und damit unsere Demokratie wieder gestärkt werden können.

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Mariana Mazzucato, Rosie Collington

Die große Consulting-Show

Wie die Beratungsbranche unsere Unternehmen schwächt, den Staat unterwandert und die Wirtschaft vereinnahmt

Aus dem Englischen von Ursel Schäfer und Enrico Heinemann

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Es gab Zeiten, da haben Berater einfach Firmen beraten, heute steuern sie in vielen Ländern die Regierungsgeschäfte und beeinflussen die Gesetzgebung. Das Outsourcing von staatlichen Aufgaben hat exorbitant zugenommen, Unsummen an Steuergeldern fließen in die Consulting-Industrie. Ein undurchschaubares System von Verträgen ist entstanden und macht die Frage nach Verantwortlichkeiten kompliziert.Dies ist eine sehr gefährliche Entwicklung, sagt Starökonomin Mariana Mazzucato: Je mehr der Staat an Ressourcen und Wissen verliert, umso mehr verlernt er, seine eigenen Aufgaben zu erfüllen. Gemeinsam mit Rosie Collington enthüllt sie das ganze Ausmaß der Machtverschiebung, legt die Abhängigkeiten offen und zeigt, wie der öffentliche Sektor und damit unsere Demokratie wieder gestärkt werden können.

Vita

Mariana Mazzucato ist Professorin für Innovationsökonomie und Public Value am University College London, wo sie das Institute for Innovation and Public Purpose leitet. Zu ihren preisgekrönten Veröffentlichungen gehören die Bücher »Das Kapital des Staates« (2014/2023), »Wie kommt der Wert in die Welt?« (2019) und zuletzt »Mission. Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft« (2021). Ihre Arbeit wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, u. a. dem John von Neumann Award 2020 und dem Leontief Prize for Advancing the Frontiers of Economic Thought 2018. Sie ist Vorsitzende des Economic Council on Health for All der Weltgesundheitsorganisation, Co-Vorsitzende der Global Commission on the Economics of Water und Mitglied des High-level Advisory Board on Economic and Social Affairs der Vereinten Nationen.

Rosie Collington ist Doktorandin am Institute for Innovation and Public Purpose des University College London, wo sie über politische Ökonomie und Regierungshandeln sowie über die Klimakrise forscht. Ihre Forschungsergebnisse und Artikel wurden in »The Guardian« (London), openDemocracy, New Political Economy und dem Institute for New Economic Thinking veröffentlicht.

Für alle, die sich gegen die Aushöhlung ihrer Organisationen wehren, und für unsere Freunde und Kollegen am UCL Institute for Innovation and Public Purpose

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1

Einführung: Die große Consulting-Show – eine Bauernfängerei

Allgegenwärtige Berater

Auf den Trends des Kapitalismus surfen

Verlernen durch Nicht-Tun

Kapitel 2

Die Beratungsbranche: Eine Bestandsaufnahme

Eine Taxonomie

Und das sind die Berater

Der Umfang des Beratungsgeschäfts

Wie man an Aufträge kommt

Die Omnipräsenz der Berater in der Kritik

Kapitel 3

Woher die Beratungsunternehmen kommen: Eine kurze Geschichte

Als Berater Rat erteilten

Von der technischen Steuerung zur Matrix

Unternehmensberatung in Zahlen

Die Gestaltung des Kapitalismus in der Nachkriegszeit

Neue Geschäftsaussichten im Neoliberalismus

Privatisierungen und das Wachstum der Consulting-Giganten

Beratung ohne Grenzen

Lukrative Übergänge

Einen Goliath zähmen?

Kapitel 4

Die Outsourcing-Welle:Regieren per Consulting und der Dritte Weg

Aufträge in großem Maßstab und von hoher Tragweite

Die »Neuerfindung« des Regierens

Wer beauftragt die Auftragnehmer?

Outsourcing im Digitalzeitalter

Beratung in der Finanzkrise

Verträge über Sparmaßnahmen

Die Outsourcing-Unternehmen auf dem Prüfstand

Kapitel 5

Der große Vertrauenstrick: Consultologie und wirtschaftliche Renten

Warum werden Beratungsunternehmen eingeschaltet?

Renten abschöpfen

Die Besten und Klügsten

Abfluss von Talenten

Erfahren in der Fallbearbeitung und versiert im Umgang mit PowerPoint

Pseudowissenschaft und schnelllebige Moden

Erfüllungsgehilfen

Kapitel 6

Den Risiken ausweichen, den Gewinn kassieren: Das Geschäftsmodell

Das Beratungsrisiko

Die Kunst der Haftungsbegrenzung

Shareholder-Value in börsennotierten Unternehmen

Risikoverlagerungen nach Übernahmen

Kapitel 7

Organisationen infantilisieren: Wenn die Lernfähigkeit im öffentlichen Dienst und der Geschäftswelt untergraben wird

Ausufernde Kosten für drohende Fehlschläge

Wie lernen Organisationen?

Von Beratern lernen?

Jenseits der Budgets: Die Folgen für zukünftiges Lernen

Wilden Versprechungen auf den Leim gehen

»Kumpelwirtschaft« und Inkompetenz

Skelettierung der Geschäftswelt

Apotheose: Auf Management setzen, Wissenschaft austrocknen

Kapitel 8

Interessenkonflikte:Beratungsunternehmen und Demokratie

Wie man einen Bankrott privatisiert und Vorwürfen aus dem Weg geht

Ein Doppelspiel?

Böcke und Gärtner

Kapital verbergen, Steuern minimieren

Entwicklung abwürgen

Gegen die Belegschaft verhandeln

Demokratie erstirbt unter der Schattenregierung

Kapitel 9

Klimaschutz-Consulting: Eine existenzielle Bedrohung?

Der Wendepunkt

Die Anfänge des Klimaschutz-Consultings

Eine kurze Geschichte des (marktorientierten) Klimaschutzes

Manipulierte Modelle

Interessenkonflikte: Das Aushebeln der Demokratie

Rechenschaftspflicht abwehren: Der Fall der ESG

Zukunftssicherheit: Engagement mit Taten

Kapitel 10

Fazit: Eine Regierung, die rudert,damit sie steuern kann

Innovationen aus eigener Kraft gestalten

1.

Vision, Narrativ und Auftrag für den öffentlichen Dienst erneuern

2.

In den Aufbau interner Kapazitäten und Fähigkeiten investieren

3.

Lernen – und ein Ziel – in die Evaluierung von Vertragsleistungen einbeziehen

4.

Transparenz und die Offenlegung von Interessenkonflikten zur Pflicht machen

Zur kollektiven Wertschöpfung befähigen

Danksagung

Anmerkungen

1 Einführung: Die große Consulting-Show – eine Bauernfängerei

2 Die Beratungsbranche: Eine Bestandsaufnahme

3 Woher die Beratungsunternehmen kommen: Eine kurze Geschichte

4 Die Outsourcing-Welle: Regieren per Consulting und der Dritte Weg

5 Der große Vertrauenstrick: Consultologie und wirtschaftliche Renten

6 Den Risiken ausweichen, den Gewinn kassieren: Das Geschäftsmodell

7 Organisationen infantilisieren: Wenn die Lernfähigkeit im öffentlichen Dienst und der Geschäftswelt untergraben wird

8 Interessenkonflikte: Beratungsunternehmen und Demokratie

9 Klimaschutz-Consulting: Eine existenzielle Bedrohung?

10 Fazit: Eine Regierung, die rudert, damit sie steuern kann

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Vorwort

Die Geschichte dieses Buchs begann mit einer Reihe von Fragen: Warum übertragen so viele Staaten kritische Aufgaben an Beratungsunternehmen? Warum ist der Markt für Beratungsdienstleistungen in den letzten Jahrzehnten so stark gewachsen – und zwar weltweit? Was machen Consultants, und welche Rolle spielt die Consultingbranche in der Wirtschaft insgesamt? Warum wollen so viele kluge Hochschulabsolventen voller guter Absichten für diese Unternehmen arbeiten? Und was verrät uns all das über den heutigen Kapitalismus?

Wir wollten herausfinden, was mit dem Gehirn einer Organisation geschieht, wenn sie nicht durch Handeln lernen kann, weil jemand anderes das Handeln übernimmt. Um diesen Fragen nachzugehen, führten wir Gespräche mit Verantwortlichen in Regierungen, mit Staatsbediensteten, Führungskräften in Unternehmen, Angestellten auf beiden Seiten von Beratungsverträgen sowie mit Kolleginnen und Freunden, die uns ihre Geschichte erzählten. Durch sie haben wir nicht nur von aktuellen Problemen erfahren, sondern auch gelernt, wie mögliche Alternativen aussehen könnten. Vor allem haben sie uns gezeigt, dass selbst in den am meisten ausgehöhlten Ministerien und bei den am stärksten abgewerteten Beschäftigten Visionen einer besseren Zukunft fortbestehen: Visionen von fähigeren Organisationen, zugänglicheren Staatsapparaten und inklusiveren, nachhaltigeren und innovativeren Volkswirtschaften. Wir hoffen, dass dieses Buch nicht nur eine Diskussion über die Probleme in Gang setzt, vor denen unsere Regierungen und Unternehmen heute stehen, sondern auch manche Instrumente und die nötige Inspiration vermittelt, um in Zukunft für das öffentliche Wohl zu handeln.

Ich, Mariana, habe im Jahr 2017 das Institute for Innovation and Public Purpose (IIPP) am University College London gegründet, von dem Wunsch beseelt, den Auftrag und die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Sektors zu stärken. Ich, Rosie, bin 2020 als Marianas Doktorandin dazugekommen. Es hat uns große Freude bereitet, dieses Buch gemeinsam zu schreiben. Es verbindet die Erfahrungen (Marianas) bei der Beschreibung von Theorie und Praxis eines ambitionierteren, stärker unternehmerisch und aufgabenbezogen agierenden öffentlichen Sektors, der in seinem Handeln durch staatliche Werte und Ziele motiviert wird, mit den Forschungen (Rosies) zu der Frage, was geschieht, wenn kritische Infrastrukturen und Fähigkeiten an Dritte ausgelagert werden.

Wir hätten uns keine bessere intellektuelle Heimat vorstellen können, um unseren Fragestellungen nachzugehen und die Consultingbranche zu durchdringen. Unsere Kollegen aus Wirtschaft und Politik sowie die Partner des IIPP in Regierungen, Unternehmen und Gemeinden waren eine beständige Quelle der Inspiration, Reflexion und Herausforderung. Wir sind unendlich dankbar für die Forschungsseminare, öffentlichen Verträge, Workshops und Gespräche mit Studierenden und Mitarbeitenden – ob über Zoom oder am Küchentisch im Institut –, die dazu beigetragen haben, dass das Buch allmählich Gestalt angenommen hat. Alle am IIPP, von unseren wunderbaren Studierenden und Wissenschaftlern über die Mitarbeitenden, die den Betrieb am Laufen halten, bis zu den Teams, die in der Politikberatung, in Projektpartnerschaften und in der Kommunikation arbeiten, haben Anteil daran, dass das Institut ein Ort der Auseinandersetzung mit den größten Herausforderungen ist, denen unsere Gesellschaften heute gegenüberstehen.

Mariana Mazzucato

Rosie Collington

Kapitel 1Einführung: Die große Consulting-Show – eine Bauernfängerei

Die Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit – von Pandemien bis zur Klimakrise – erfordert Entschlossenheit und Mut. Alle Arten von Organisationen in unseren Volkswirtschaften müssen mit Erfahrung und technischem Wissen geleitet werden und brauchen Menschen mit Managementfähigkeiten. Unternehmen, Regierungen und Organisationen aus der Zivilgesellschaft, die solche Kompetenzen besitzen, können dann zusammenarbeiten, um unsere kollektiven sozialen, ökonomischen und ökologischen Bedürfnisse zu erfüllen.

Doch das beschreibt nicht die Welt, in der wir leben. Viele Staaten investieren kaum noch in ihre eigenen Kapazitäten und Fähigkeiten, und weil sie Misserfolge fürchten, gehen sie keine Risiken ein. Viele Unternehmen scheuen die Verantwortung, die mit Veränderungen einhergeht, und konzentrieren sich ganz darauf, mithilfe simpler, unproduktiver Strategien kurzfristige Profite zu erzielen – etwa, indem sie ihre eigenen Aktien zurückkaufen, um deren Kurs in die Höhe zu treiben, oder indem sie ihren Beschäftigten keine fairen Löhne bezahlen. Schlechte Führung in Unternehmen und im Staatswesen hatte im letzten halben Jahrhundert zur Folge, dass die Orientierung an kurzfristigen Zielen die für den Fortschritt notwendigen Investitionen in den Hintergrund gedrängt hat. Infolge dieser Trends mangelt es heute in vielen Organisationen an Wissen, Fähigkeiten und Visionen.

Eine Gruppe von Akteuren jedoch hat diese Spielart des Kapitalismus mit dem damit einhergehenden Verlust an Kompetenzen weidlich ausgenutzt und dabei hohe Summen eingestrichen: die Consultingbranche.

Consultingunternehmen wie McKinsey, die Boston Consulting Group (BCG) und Bain & Company (oft bezeichnet als die »Big Three« der Strategieberatungen) sowie PwC, Deloitte, KPMG und EY (die »Big Four« der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften) werden von Regierungen, Unternehmen und anderen Organisationen beauftragt, verschiedene Arten von Aufgaben in ihrem Namen zu übernehmen. Wenn Unternehmen Beratungsfirmen engagieren, haben ihre Aufträge manchmal mit Unternehmensstrategie zu tun, manchmal mit Management und mit der Durchführung eines bestimmten Projekts und manchmal mit einer bestimmten Leistung wie IT oder Finanzplanung. Regierungen schalten oft Beratungsfirmen ein, damit diese ihnen bei der Erfüllung kritischer Aufgaben helfen. Das reicht von der Entwicklung von Strategien zur Anpassung an den Klimawandel über das Ausrollen einer Impfkampagne bis zur Abwicklung von Sozialleistungen.

Heute hat die Consultingbranche eine enorme Größe erreicht, und die Aufträge haben ein horrendes Volumen. Es sieht nicht danach aus, als würde sich das Wachstum der Branche verlangsamen. Die Schätzungen hinsichtlich des globalen Markts für Consultingdienstleistungen reichten 2021 von knapp 700 Milliarden US-Dollar bis zu mehr als 900 Milliarden US-Dollar1 (525 Milliarden Pfund bis 674 Milliarden Pfund) – dennoch vermitteln diese Zahlen kein vollständiges Bild von den Aktivitäten der Consultingbranche.

Allgegenwärtige Berater

Die Omnipräsenz von Beratern in der Wirtschaft ist auffallend. In den ersten beiden Jahren der COVID-19-Pandemie (2020–2021) gaben staatliche Stellen bis dahin ungekannte Summen für Aufträge an große Beratungsunternehmen aus. Bis Juli 2020 hatte sich McKinsey bereits Aufträge im Wert von über 100 Millionen US-Dollar von der US-Bundesregierung für Aufgaben im Zusammenhang mit der Pandemie gesichert.2 In Großbritannien bekam Deloitte 2021 mindestens 279,5 Millionen Pfund von der Zentralregierung.3 Einer Schätzung zufolge wurden im Jahr 2021 in Großbritannien Beratungsaufträge im Wert von mehr als 2,5 Milliarden Pfund von staatlichen Stellen an Beratungsunternehmen vergeben.4 In Italien erhielt McKinsey den Auftrag, das Land dabei zu unterstützen, seinen Anteil am EU-Wiederaufbaufonds nach der Pandemie in Höhe von 191,5 Milliarden Euro zu verwalten.5 Bei vielen globalen wirtschaftlichen Turbulenzen im letzten Jahrzehnt waren Beratungsunternehmen auf den höchsten Ebenen der Entscheidungsfindung mit dabei, von der Schuldenkrise in der Eurozone bis zur Bewältigung der Folgen des Hurrikans Maria in Puerto Rico. In dieser Zeit wurden die Big Three und die Big Four auch engagiert, um beim Entwurf intelligenter Städte zu helfen, nationale Strategien zum Erreichen von Klimaneutralität mitzuentwickeln, Reformen des Bildungswesens zu konzipieren, das Militär zu beraten, den Bau von Krankenhäusern zu leiten, ethische Grundsätze für die Medizin zu formulieren, Steuergesetze zu schreiben, die Privatisierung staatseigener Unternehmen zu überwachen, Fusionen von Pharmafirmen zu managen und die digitale Infrastruktur zahlreicher Organisationen zu betreuen. Verträge mit Beratungsunternehmen decken ganze Wertschöpfungsketten und Sektoren ab, über Länder und Kontinente hinweg, und betreffen alle Ebenen der Gesellschaft.

Ist das alles von Bedeutung? Sollten wir uns deswegen Sorgen machen? Helfen die Consultingfirmen nicht einfach ihren Kunden, effizienter zu werden, Dinge zu tun, die die Kunden allein nicht tun könnten? In diesem Buch zeigen wir, warum die Zunahme von Verträgen mit Consultingunternehmen, das Geschäftsmodell der großen Consultingfirmen, die grundlegenden Interessenkonflikte und die mangelnde Transparenz von sehr großer Bedeutung sind. Die Consultingbranche ist heute nicht nur eine helfende Hand, ihr Rat und ihre Handlungen sind nicht einfach rein technisch und neutral in dem Sinne, dass sie für ein effizienteres Funktionieren der Gesellschaft sorgen und die sogenannten Transaktionskosten der Kunden reduzieren. Vielmehr ermöglicht sie die Umsetzung einer bestimmten Sicht der Wirtschaft, die Dysfunktionen in Staat und Unternehmen weltweit erzeugt hat.

Die Betrügereien Ende des 19. Jahrhunderts im Goldenen Zeitalter Amerikas, die das Vertrauen der Menschen missbrauchten – im Englischen hat sich dafür die Abkürzung »Cons« (von »confidence«) durchgesetzt –, nutzten das Versprechen exklusiver Informationen, Ehrfurcht einflößende Technologie und sprachliche Tricks für Diebstähle und illegale Formen der Abschöpfung von Reichtum. Bei der großen Consulting-Show geht es nicht um kriminelle Handlungen, sondern um Bauernfängerei. Mit dem Begriff bezeichnen wir den Vertrauenstrick, den die Beratungsbranche bei Aufträgen von ausgehöhlten und ängstlichen staatlichen Institutionen und von Unternehmen, die nur die Maximierung des Shareholder-Value im Auge haben, einsetzt. Solchen Aufträgen verdankt die Branche Einnahmen, die weit über dem tatsächlichen Wert ihrer Leistungen liegen – eine Form von »wirtschaftlichen Renten« oder »Einkommen, das höher als das Entgelt ist, das dem Beitrag eines Produktionsfaktors zur Wertschöpfung entspricht«.6 Diese Renten gründen weniger in dem Eigentum an knappen Ressourcen wertvollen Wissens als vielmehr in der Fähigkeit, einen Eindruck von Mehrwert zu erzeugen. Consultingpraktiken und die immensen Ressourcen und Netzwerke der großen Consultingfirmen tragen dazu bei, den Kunden Vertrauen in den Wert eines Beratungsunternehmens und den Beraterberuf einzuflößen.

Beratung ist ein alter Beruf, aber die große Consulting-Show hat sich in den achtziger und neunziger Jahren im Gefolge von Reformen auf beiden Seiten des politischen Spektrums entwickelt – der »neoliberalen« Rechten wie auch der progressiven Anhänger eines »Dritten Wegs«. Unternehmen wurden immer öfter im kurzfristigen Interesse ihrer Shareholder geführt. Öffentliche Sektoren wurden nach dem Credo des New Public Management, des Neuen Steuerungsmodells (NSM) der Verwaltung, umgestaltet – eine politische Agenda, der zufolge Staaten stärker nach Art von Unternehmen funktionieren sollten und die das Vertrauen in die Fähigkeiten von Staatsbediensteten aushöhlte. Diese Trends führten auch zu Unsicherheit bei den Mitarbeitern von Unternehmen und staatlichen Organisationen, weil sie ihre Entscheidungen ständig vor anderen rechtfertigen mussten – leitende Angestellte vor ihren Aktionären und Staatsbedienstete vor einer stets skeptischen Bevölkerung und kritischen Medien, die sie für jeden Misserfolg und jeden Fehler verantwortlich machten.

Auf den Trends des Kapitalismus surfen

Natürlich ist die große Consulting-Show nicht für alle Missstände des modernen Kapitalismus verantwortlich, aber sie profitiert von seinen Dysfunktionalitäten – von Finanzspekulation, vom kurzfristigen Denken in der Wirtschaft und der Risikoscheu des öffentlichen Sektors. Sie schlägt Kapital aus dem echten Wunsch mancher Verantwortlicher in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, Herausforderungen wie die Klimakrise, die Pandemie und die wachsende Ungleichheit anzugehen, die als Chancen gesehen werden, Organisationen zu verdeutlichen, dass sie sich anpassen müssen. Es besteht eine tief verwurzelte und sich wechselseitig verstärkende Beziehung zwischen der Consultingbranche und den bis heute praktizierten überkommenen Formen der Steuerung in Wirtschaft und Staat. Diese Beziehung ist erfolgreich, weil die großen Consultingfirmen dank weitreichender Aufträge und Netzwerke in der Wirtschaft eine einzigartige strategische Macht besitzen und weil sie seit jeher den Ruf haben, objektive Vermittler von Fachkenntnissen zu sein.

Natürlich gibt es in unserer Wirtschaft einen Platz für Berater. Der Rat und die Leistungen von Consultingteams sind hilfreich, wenn sie von der Seitenlinie kommen, von fähigen Akteuren mit echtem Sachverstand, der Mehrwert schöpft. Das Problem ist nicht die Beratung an sich oder die Absicht der Beratenden, die oft hoffen, durch ihr Auftreten eine Veränderung zu bewirken, sondern die immer weiter expandierende Beratungsbranche, die von der Seitenlinie ins Zentrum vordringt. Sie nährt sich von den Schwächen unserer Volkswirtschaften und höhlt dabei ihre Kunden aus, statt ihnen zu helfen, was später immer wieder neue Gelegenheiten schafft, noch höhere Renten abzuschöpfen. Das ist in etwa so, als hätte eine Psychotherapeutin kein Interesse daran, dass ihre Klienten unabhängig und mental stark werden, sondern nutzte deren Probleme vielmehr, um sie in Abhängigkeit gefangen zu halten und sich so einen stetigen Honorarfluss zu sichern.

Seit wir 2019 mit den Recherchen zu diesem Buch begonnen haben, förderten investigative Journalisten und staatliche Ermittlungen in immer kürzeren Abständen Skandale zutage, in die Consultingunternehmen verwickelt waren. Kaum eine Woche vergeht ohne Meldungen von einem weiteren Fall von Korruption, Interessenkonflikten oder einer vermeidbaren Panne, in die ein weltweit agierendes Beratungsunternehmen verstrickt ist. Doch die Consultingfiaskos, die die Schlagzeilen füllen, sind nur die Spitze des Eisbergs. Beispiele von eindeutigem Versagen oder Verfehlungen eines großen Consultingunternehmens sind oft Ausdrucksformen umfassenderer, systemischer Probleme – obwohl sie nur selten so verstanden werden. Die zahlreichen Aufträge von Consultingfirmen, ihr Anspruch auf Sachverstand, ihre finanziellen Anreize und der Einfluss, der großen Firmen über wichtige Bereiche von Staat und Wirtschaft zugestanden wird, werden nicht als Symptome größerer und tiefer reichender struktureller Probleme gedeutet, die mit der Organisation unseres kapitalistischen Systems zu tun haben.

Tatsache ist, dass die meisten Wähler und die meisten Beschäftigen in der Regel gar nicht wissen, dass Consultants mit am Tisch sitzen, wie sie bezahlt werden, wer sie beauftragt hat, wer ihre anderen Kunden sind, welche Interessenkonflikte im Spiel sind und welche Rollen sie vertragsgemäß erfüllen sollen. Sie wissen nicht, ob das beauftragte Beratungsunternehmen seine Aufgabe gut oder schlecht erledigt hat – und wer verantwortlich ist, wenn etwas schiefgeht. Die Natur der Beratungsverträge, die beschränkte Haftung und die Geschäftsmodelle der großen Consultingfirmen bedeuten, dass letzten Endes oft die Beschäftigten ihrer Kunden und die Bürger die Risiken für das Versagen der Beratungsfirma tragen müssen. Diese Diskrepanz zwischen dem eingestrichenen (großen) Honorar und den tatsächlich eingegangenen (kleinen) Risiken erhöht die erzielte Rente noch weiter.

Die Geschichte des modernen Consultings ist letzten Endes die Geschichte des modernen Kapitalismus: Die große Consulting-Show ist auf jeden Trend aufgesprungen. Im staatlichen Sektor haben große Consultingfirmen Privatisierungen, Verwaltungsreformen, Privatfinanzierungen, das Outsourcing von öffentlichen Dienstleistungen, Digitalisierung und Sparmaßnahmen gefördert und davon profitiert. In der freien Wirtschaft haben sie geholfen, neue Modelle und Formen der Unternehmensführung durchzusetzen – von der Verbreitung der Kosten- und Leistungsrechnung über den Übergang zu multidivisionalen Organisationsformen in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa bis zur weltweiten Fixierung auf die Maximierung des Shareholder-Value in den achtziger Jahren. Consultingfirmen haben diese Trends nicht erfunden, aber sie wirkten an ihrer Gestaltung und Propagierung mit und nutzten sie letztlich, um Wert abzuschöpfen. Seit sich die Welt zunehmend der Missstände des modernen Kapitalismus bewusst wird und die Notwendigkeit erkennt, Unternehmensführung mit mehr »Zielgerichtetheit« zu unterfüttern, verspricht die Consultingbranche, die Probleme zu lösen, an deren Schaffung sie mitgewirkt hat: Der aktuelle Boom bei Aufträgen aus den Bereichen »Umwelt, Soziales und Governance« (ESG) ist das jüngste Beispiel.

In keinem anderen Bereich hat die große Consulting-Show stärkere Auswirkungen gehabt als im Kampf gegen die Klimakatastrophe. Die Beratungsbranche hat dazu beigetragen, dass auf kurzfristige Profitmaximierung ausgerichtete Produktionsformen Fuß fassen konnten, die die CO2-Emissionen gesteigert haben. Angesichts der wachsenden Sorgen um das Klima reitet die Branche auf einer neuen Welle und verhindert die nötige große Transformation unserer kohlenstoffintensiven Volkswirtschaften. Sie versorgt Regierungen und Unternehmen mit Konzepten, die den Anschein erwecken, man wolle etwas tun, ohne dass sie echtes Handeln erfordern. Dazu gehört auch, dass Nachhaltigkeits-Tools geschaffen und beworben werden, was der zum Whistleblower gewordene ehemalige leitende BlackRock-Mitarbeiter Tariq Fancy als »gefährliches Ablenkungsmanöver« bezeichnet hat. Die Consultingbranche ist eine Gruppe von vielen Akteuren, die die marktgetriebene Reaktion auf die Klimakrise geprägt und davon profitiert haben. Doch die Risiken eines Fehlschlags dieser Reaktion werden künftige Generationen und die Menschen tragen müssen, die heute in den von der Klimakrise am meisten betroffenen Regionen der Erde leben.

Mit anderen Worten: Die große Consulting-Show hat massive Auswirkungen auf unsere Fähigkeit, den gewaltigen Herausforderungen zu begegnen, vor denen wir heute stehen.

Verlernen durch Nicht-Tun

Um auf Veränderungen bei politischen, gesellschaftlichen und – zunehmend – ökologischen Erfordernissen reagieren zu können, müssen Organisationen in Staat und Wirtschaft zu Anpassungen in der Lage sein. Nur so können sie komplizierte Systeme steuern und die Güter und Dienstleistungen zur Verfügung stellen, die die Menschen nachfragen und benötigen. Die laufenden Tätigkeiten innerhalb einer Organisation sind die Bausteine der Kompetenzen, die sie künftig entwickeln muss. Wirtschaftliche Organisationen sind keine statischen Einheiten, sondern entwickeln sich ständig. Die Fähigkeiten von Organisationen existieren nicht einfach so, sondern verändern sich im Laufe der Zeit. Sie sind dynamisch.7

Je mehr Aufgaben Regierungen und Unternehmen nach außen verlagern, desto weniger wissen sie, wie etwas zu tun ist. Dadurch werden Organisationen ausgehöhlt, bleiben stecken und können sich nicht weiter entfalten. Wenn überall Berater eingeschaltet sind, gibt es wenig »Learning by doing«. Die Kunden von Beratungsunternehmen werden »infantilisiert« – mit diesem Verb beschrieb der damalige konservative britische Minister Lord Agnew 2020 die Auswirkungen des Outsourcings auf die Beamtenschaft im Vereinigten Königreich.8 Eine staatliche Behörde, die alle Aufgaben, für die sie zuständig ist, nach außen vergibt, spart vielleicht kurzfristig Kosten ein, aber letztlich wird es sie mehr kosten, weil das Wissen verlorengeht, wie diese Aufgaben zu erledigen sind und wie dementsprechend innerhalb der Behörde Kompetenzen erweitert werden können, um auf die sich wandelnden Bedürfnisse der Menschen zu reagieren. Lernen geschieht natürlich auch durch Austausch und Zusammenarbeit mit anderen Organisationen. Die »geschlossenen« Systeme der zentralen staatlichen Planung sind für diese Art des Lernens nicht zugänglich,9 dasselbe gilt aber auch für Organisationen, die beständig Aufgaben auslagern, um ihre Ziele zu erreichen.

Beratungsunternehmen können Kunden helfen, ihre Ziele umzusetzen. Behauptungen, wonach die Consultingbranche einen Mehrwert für Wirtschaft und Gesellschaft erzeugt, indem sie Wissen vermittle und Kosten reduziere, sind aber übertrieben. Im öffentlichen Sektor sind die entstandenen Kosten oft viel höher, als wenn der Staat in die eigene Leistungsfähigkeit investiert und dabei zugleich gelernt hätte, wie sich Prozesse verbessern lassen. Interner Sachverstand wird zu oft vernachlässigt, stattdessen schaltet man eine globale Unternehmensberatung ein. Manchmal geschieht das, weil das Beratungsunternehmen anbietet, die Arbeit kostenlos oder zu einem Honorar weit unter den marktüblichen Sätzen zu erledigen. Das ist verlockend für alle Staatsbediensteten in risikoscheuen Behörden, denen nach Jahren mit Haushaltskürzungen die Ressourcen fehlen. Wenn ein Beratungsunternehmen beim ersten Auftrag nichts oder nur wenig verlangt – also Preisdumping betreibt –, kann es nicht nur wichtige Entscheidungen mitgestalten, sondern auch wichtige Erkenntnisse über den Kunden sammeln und einen Erstanbietervorteil für künftige Aufträge einstreichen.

Besonders auffallend ist, dass sich selbst in den Fällen, in denen der Staat hinsichtlich der Kompetenzen eindeutig im Vorteil ist, letztlich oft die Beratungsfirmen durchsetzen. Beispielsweise verfügt die CSIRO (die Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation) in Australien über umfangreiches Fachwissen zu Klimafragen. Doch 2021 erhielten deren Wissenschaftler kein Geld für die Entwicklung der Nullemissionsstrategie des Landes und die Regierung entschied stattdessen, mit McKinsey zusammenzuarbeiten.10

Die Consultingbranche bietet oft Legitimität für kontroverse Entscheidungen. Wenn ein leitender Manager den Verwaltungsrat von etwas überzeugen möchte oder wenn sich ein Minister mit seiner Ansicht gegen andere durchsetzen oder aber eine sinnvolle Maßnahme verzögern möchte, kann ein unterstützender Bericht eines Unternehmens aus dem Kreis der Big Three oder Big Four sehr hilfreich sein, jedoch zulasten anderer Ziele – oder sogar zulasten von Tarifvereinbarungen.

Die großen Consultingunternehmen, die aufs Engste in wichtige politische und unternehmerische Entscheidungsprozesse eingebunden sind, unterliegen zudem oft selbst ungeheuren Interessenkonflikten. Ein bestimmter Kunde hat selten Zugang zu Informationen über die anderen Kunden einer Unternehmensberatung und ahnt nicht, wenn sie ein doppeltes Spiel spielt. Geht es beispielsweise um Klimafragen, so beraten große Consultingfirmen gleichzeitig Regierungen, deren Bevölkerungen niedrigere Emissionen wünschen, und Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie, die am meisten zur Klimakrise beitragen.

Viel zu lange hat sich die Consultingbranche der Kontrolle entzogen und damit Fortschritt und Demokratie untergraben. Das vorliegende Buch bietet nicht nur Kritik, sondern auch konkrete Lösungen, die aus der aktuellen Sackgasse führen können. Wir schauen uns die Geschichte der Branche an, ordnen ihr Wachstum in den Kontext der größeren Transformationen des Kapitalismus ein und hinterfragen die gängigen Rechtfertigungsmuster dafür, dass Verantwortliche in Behörden, Unternehmen und Wissenschaft so häufig Beratungsunternehmen einschalten. Wir zeigen, dass selbst aufsehenerregende Fälle keine Anomalien sind, sondern Symptome größerer Funktionsstörungen in unseren Volkswirtschaften. Wir schöpfen aus Forschungen, die wir und andere in Grundsatzpapieren und in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht haben, aus Berichten von Beratungsunternehmen, historischen Berichten und Vertragsunterlagen und aus Untersuchungen von Journalisten, die das Treiben der Beratungsunternehmen seit Jahrzehnten verfolgen. Wir nutzen auch Augenzeugenberichte von Consultants und von Personen, die in Staat und Wirtschaft mit Consultants zusammengearbeitet haben. Wir haben uns bereit erklärt, alle potenziell identifizierbaren Informationen über die von uns interviewten Personen, die wir in dem Buch zitieren, zu anonymisieren, etwa Name, Tätigkeitsbezeichnung und Funktion. Unsere eigenen Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit Regierungen, die sich sehr weitgehend auf große und kleine Beratungsunternehmen gestützt haben, waren ebenfalls wichtige Quellen für unsere Überlegungen.

Unsere Analyse der Consultingbranche zeichnet ein düsteres Bild der aktuellen Situation. Der Umfang der Verträge mit Consultingunternehmen – als Berater, Legitimatoren kontroverser Entscheidungen und bei der Übernahme ausgelagerter Aufgaben – schwächt unsere Unternehmen, infantilisiert unsere Regierungen und verzerrt unser Wirtschaftsgefüge. Der kumulative Einsatz großer Consultingunternehmen, die mit wertabschöpfenden Geschäftsmodellen arbeiten, hemmt Innovation und Kapazitätsentwicklung, untergräbt die demokratische Rechenschaftspflicht und verschleiert die Folgen von politischem und unternehmerischem Handeln. Am Ende werden wir alle den Preis dafür zahlen – in Form von fehlenden Investitionen in die eigenen Organisationen und fehlendem Lernen: Staatliche Gelder und andere Ressourcen werden verschwendet, Entscheidungen in Staat und Unternehmen werden intransparent getroffen und ohne dass jemand die Verantwortung dafür trägt, und unsere demokratischen Gesellschaften werden ihrer Dynamik beraubt. Die große Consulting-Show ist eine Gefahr für uns alle.

Eine solche kritische Prüfung der Consultingbranche eröffnet auch eine Perspektive, um neu darüber nachzudenken, wie zukunftstaugliche Volkswirtschaften aussehen sollten. Die globalen Aufgaben der Zukunft, die gelöst werden müssen, um den großen Herausforderungen wie der Klimakrise zu begegnen, erfordern kollektive Intelligenz in den Organisationen und Gemeinschaften, die unsere Volkswirtschaften ausmachen.11

Es ist möglich, eine stärkere Volkswirtschaft aufzubauen, aber nur, wenn in das dringend benötigte Wissen und die Kapazitäten im Staat und bei den Unternehmen investiert wird, wenn öffentliche Aufgaben wieder in den öffentlichen Sektor zurückgeholt werden und wenn das System von den Vernebelungsmanövern und der teuren Zwischenschaltung der Beratungsunternehmen befreit wird. In dieser Beziehung können Organisationen und Einzelpersonen mit echtem Wissen und echten Fähigkeiten eine wertvolle Quelle guten Rats sein, aber sie sollten Rat und »Konsultation« von der Seitenlinie aus leisten, und zwar auf eine transparente Weise, die reales Wissen und realen Sachverstand einbringt – statt die Möglichkeit zu erhalten, aus dem Zentrum die Show zu leiten. Letztlich muss das Wissen diejenigen, die beraten werden, stärken und nicht schwächen.

Der Kampf gegen jede Sucht beginnt mit der Einsicht in die Schwere des Problems. Erst dann können wir die Abhängigkeit reduzieren und den Weg nach vorn einschlagen.

Kapitel 2Die Beratungsbranche: Eine Bestandsaufnahme

Anfang Februar 2021 gelangte die französische Abgeordnete Véronique Louwagie in den Besitz von Dokumenten, die landesweit für Aufruhr sorgten. Knapp ein Jahr zuvor hatte COVID-19 Frankreich erreicht, und das Land kämpfte gegen die jüngste Welle von Erkrankungen. Der Start des französischen Impfprogramms war zum Desaster geraten: Bis Anfang Januar hatten sich gerade einmal 5000 Personen impfen lassen, gegenüber 316 000 in Deutschland und 139 000 in Spanien, die beide ungefähr zum selben Zeitpunkt mit ihren Impfprogrammen begonnen hatten wie Frankreich.1 Weltweit beherrschten Nachrichten über die schleppende Durchführung der Impfkampagne die Schlagzeilen. Für ein Land, das lange Zeit mit Stolz auf sein staatliches Gesundheitssystem und die öffentliche Verwaltung geblickt hatte, waren diese Zahlen höchst ärgerlich. Es dauerte nicht lange, bis die Medien darüber berichteten, dass die Regierung Macron dem Beratungsunternehmen McKinsey die Verantwortung für die Impfkampagne übertragen hatte.

Louwagie gehörte den konservativen Republikanern an und räumte ein, dass sie im Regelfall kein Problem damit hatte, wenn die Regierung Beratungsunternehmen einschaltete. Aber in ihrer Rolle als Haushaltsberichterstatterin, die auch dafür verantwortlich war, das Budget des Gesundheitsministeriums zu überwachen, schrillten die Alarmglocken, als die Meldung kam, dass McKinsey die Hände im Spiel hatte bei einem Vorgang, der weithin als großes Versagen der Regierung angesehen wurde. Sie fragte nach: Wie viele Verträge hatte die französische Regierung im Zusammenhang mit ihrer COVID-19-Politik mit Beratungsunternehmen abgeschlossen? Was genau machten die Beratungsunternehmen? Was sie bei ihren Nachforschungen im Gesundheitsministerium herausfand, war für viele französische Beamte und Bürger alarmierend – und es sollte noch schlimmer kommen.

Von März 2020 bis Februar 2021 hatte das Gesundheitsministerium 28 Verträge mit sechs Consultingfirmen über Aufgaben im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise abgeschlossen. Alle Verträge zusammen beliefen sich auf ein Volumen von 11 Millionen Euro, davon gingen allein 4 Millionen an McKinsey.2 Berater wurden nicht nur als Quelle für externen Sachverstand eingesetzt. Vielmehr spielten sie nach und nach eine zentrale Rolle in Entscheidungsprozessen und bei der Organisation der Impfstoffauslieferung. McKinsey war verantwortlich für die Verteilungswege der Impfstoffe von Pfizer und Moderna und koordinierte eine »Task Force Impfen, bestehend aus Beamten verschiedener Behörden, wobei an manchen Entscheidungsketten bis zu 50 staatliche Stellen beteiligt waren«.3 Eine der täglichen Zoom-Konferenzen, an denen hohe Beamte des Gesundheitsministeriums teilnahmen, wurde von einem McKinsey-Berater geleitet. Das französische Beratungsunternehmen Citwell hatte den Auftrag erhalten, die Bereitstellung von Impfstoffen und persönlicher Schutzausrüstung zu unterstützen. Accenture sollte IT-Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Impfkampagne übernehmen.4

Wenn man sich vor Augen hält, in welchem Umfang Beratungsunternehmen bei Durchführung und Logistik des Impfprogramms ihre Hände im Spiel hatten, überrascht es vielleicht nicht, dass Frankeich bei den Impfungen seiner Bürger hinterherhinkte. Die Beratungsunternehmen hatten keine jahrzehntelange Erfahrung mit der Umsetzung von Impfprogrammen für die gesamte Bevölkerung. Wie ein Mitarbeiter des französischen Nationalen Zentrums für Wissenschaftliche Forschung in einem Interview mit der New York Times formulierte, neigten die Beratungsunternehmen dazu, Ablaufschemata aus anderen Branchen zu übernehmen, die im öffentlichen Gesundheitswesen nicht unbedingt reibungslos funktionierten. Er sagte: »Später schaut sich die Regierung nicht an, ob das, was die Beratungsunternehmen gemacht haben, funktioniert hat oder nicht. Es ist noch zu früh, um zu beurteilen, ob McKinsey und andere bei dieser Kampagne nützlich waren, aber ich glaube, wir werden es niemals wissen.«5

Im Verlauf der Pandemie griff die französische Regierung immer öfter auf Beratungsunternehmen zurück. Im März 2022 enthüllte ein Bericht des französischen Senats, in dem die Konservativen die Mehrheit haben, dass 2021 allein wichtige Ministerien beinahe 900 Millionen Euro für Beratungshonorare ausgegeben hatten – mehr als doppelt so viel wie 2018.6 Die Meldung ging wenige Woche vor der Präsidentschaftswahl durch die Presse, und die Rivalen des Amtsinhabers sprachen im Zusammenhang mit den Enthüllungen sofort vom »McKinsey-Skandal«.7 McKinsey war natürlich nicht das einzige Unternehmen, das sich mit kritischen Fragen konfrontiert sah – und die Fragen beschränkten sich auch nicht auf die Pandemie. In dem Bericht wurde auch ein 558 900 Euro schwerer Vertrag mit der Boston Consulting Group und mit EY erwähnt. Es ging dabei um die Organisation einer Konferenz für Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, die niemals stattfand.8

Als Journalisten des Online-Magazins POLITICO wissen wollten, warum die Regierung während der Pandemie in so großem Umfang Beratungsunternehmen eingeschaltet hatte, behauptete ein hochrangiger Beamter, die Personalknappheit im öffentlichen Dienst habe dies erfordert – die Beschäftigten hätten mit Burnout und chronischer Erschöpfung zu kämpfen gehabt.9 Während einer Krise ist es nahezu unvermeidlich, dass Regierungen zusätzliches Personal rekrutieren, um so reagieren zu können, wie die Öffentlichkeit es erwartet. Manche Länder wie etwa Deutschland waren trotzdem in der Lage, Personal aus anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes heranzuziehen, in denen die normalen Tätigkeiten zum Erliegen gekommen waren. Aber in Frankreich wie auch in anderen Ländern war das Outsourcing wichtiger Verwaltungsaufgaben und operativer Funktionen des Staates und anderer Bereiche nicht nur eine krisenbedingte Anomalie. Die Pandemie war zwar ein einmaliges Ereignis, dasselbe galt aber nicht für die Hinwendung der französischen Regierung zu Beratungsunternehmen. Berater »gewannen an Einfluss im Rahmen der Verwaltungsreform, zuerst in den lokalen Verwaltungen im Anschluss an die Dezentralisierung von 1982 und ab 1987 im Zentralstaat, während zugleich die Beratungsbranche dank staatlicher Initiativen zur Unterstützung ihrer Entwicklung stärker wurde«.10 Und während die politischen Gegner von Emmanuel Macron versuchten, das Thema im Präsidentschaftswahlkampf als Waffe gegen ihn zu verwenden, war der Einsatz von Beratungsfirmen schon seit Langem über alle Parteigrenzen hinweg üblich. Die Mitte-rechts-Regierung des von 2007 bis 2012 amtierenden Präsidenten Nicolas Sarkozy hatte Hunderte Millionen Euro für Verträge mit Beratungsunternehmen ausgegeben, angeblich, um die Effizienz der staatlichen Verwaltung zu verbessern. Sarkozys sozialistischer Nachfolger François Hollande tat wenig, um den Trend umzukehren. In den Augen vieler bestätigten die Enthüllungen des Ausmaßes, in dem die Regierung Macron in der Pandemie auf Beratungsfirmen zurückgegriffen hatte, dass deren Rolle weit über die Unterstützung der Regierenden mit Expertenrat hinausging. Ein Politiker sagte sogar, die jüngste Einschaltung amerikanischer Beratungsfirmen habe die französische Souveränität untergraben.11

Die Tendenz, während der Pandemie operative und Managementaufgaben nach außen zu vergeben, war keine französische Besonderheit. In den USA wurden ebenso weitreichende Verträge abgeschlossen. Im März 2020 vergaben Verantwortliche des Veteranenministeriums, das üblicherweise monatelang an Ausschreibungen arbeitet, einen Vertrag an McKinsey ohne jegliche Ausschreibung in einem Vergabeprozess, der weniger als 24 Stunden dauerte. Mit einem Betrag von 12 Millionen US-Dollar sollte für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr die Beratungstätigkeit zu »allen Aspekten« des Gesundheitswesens während der Pandemie abgegolten werden. Innerhalb von Wochen wurde McKinsey beauftragt, das Gesundheitsministerium »bei der Beschaffung von medizinischem Material« zu unterstützen und »sich an einer Task Force zu beteiligen, die an der Entwicklung einer Strategie arbeitet, um Rüstungsunternehmen, von denen viele zum Kundenkreis von McKinsey zählen, dafür zu gewinnen, während der Pandemie medizinische Versorgungsgüter zu produzieren«. Außerdem wurde eine Fülle von Verträgen mit einzelnen Staaten abgeschlossen, darunter Illinois, Tennessee, Kalifornien und Virginia. In New York beauftragte »das Team von Gouverneur Andrew Cuomo McKinsey, auf der Grundlage vorliegender epidemiologischer Modelle Prognosen über Krankenhauskapazitäten und den Bedarf an medizinischen Gütern zu treffen«.12

Auf der anderen Seite des Atlantiks, in Großbritannien, flossen ebenfalls viele Millionen Pfund an Beratungsunternehmen.13 Während die Wirtschaft insgesamt schrumpfte und Millionen Menschen arbeitslos wurden, verzeichnete die britische Beratungsbranche 2020 ein Wachstum von 2,5 Prozent, zu einem nicht geringen Teil dank Verträgen mit staatlichen Behörden.14 Die Management Consultancies Association (MCA), der Dachverband der Branche, teilte mit, 2021 werde sich das Wachstum auf mehr als 16 Prozent belaufen, und für 2022 erwarteten die Mitglieder ein erneutes Wachstum.15 Die Verträge, die Deloitte im ersten Jahr der Pandemie vom öffentlichen Sektor im Vereinigten Königreich erhielt, reichten von eher traditionellen Beratungsdienstleistungen bis zu zentralen operativen und Managementaufgaben. Deloitte wurde nicht nur mit »dringlicher COVID-19-Beratung« beauftragt, sondern auch mit »der Bereitstellung digitaler Lösungen, der Konzeption, dem Aufbau und Betrieb einer digitalen Plattform«.16 Das Unternehmen sicherte sich Aufträge für »die Identifizierung und Beschaffung von persönlicher Schutzausrüstung«17 – eine Aufgabe, die der National Health Service (NHS) seit seinen Anfängen erfüllt. Von der Health Research Authority – einer Behörde, die dafür zu sorgen hat, dass die Forschung im Gesundheitsbereich innerhalb des NHS ethisch kontrolliert und genehmigt wird – erhielt Deloitte den Auftrag, »ihr Modell zur ethischen Überprüfung zu überarbeiten und dabei die Lehren zu berücksichtigen, die sich aus der Überprüfung der Forschung im Zusammenhang mit COVID-19 ergeben haben«.18

Deloittes Rolle als Teil des »Test and Trace«-Systems (der Kontaktverfolgungsstrategie) der britischen Regierung geriet ins Visier von Öffentlichkeit und Politik, als bekannt wurde, dass das Unternehmen mit den Verträgen 1 Million Pfund pro Tag verdiente. Das Public Accounts Committee, der für die Überwachung der Staatsausgaben zuständige Ausschuss des britischen Parlaments, dem Abgeordnete aller Parteien angehören, gelangte zu der Feststellung, das »Test and Trace«-System habe »sein Hauptziel, die Kette der COVID-19-Infektionen zu unterbrechen und den Menschen die Rückkehr in ein normaleres Leben zu ermöglichen, nicht erreicht«.19 Eine Untersuchung des Ausschusses zog das Fazit, bei dem Programm habe man »zu sehr auf teure Berater und befristet Beschäftigte« gesetzt: »Mit Stand April 2021 machten Angehörige von Beratungsunternehmen beinahe die Hälfte der Hauptmitarbeiter des ›Test and Trace‹-Systems des NHS aus.« Das »Test and Trace«-System habe »seine Ausgaben für Beratungsleistungen nicht voll im Griff«; es sei »wahrscheinlich, dass Hunderte Millionen Pfund an Steuergeldern dafür ausgegeben« würden.20 Auf die Frage, warum ein Jahr, nachdem die Pandemie das Vereinigte Königreich erreicht hatte, in dem Programm weiterhin so viele Consultants eingesetzt würden, teilte der ehemalige Leiter von Test and Trace dem Ausschuss mit, »die Kapazitäten, die [der NHS] für Datensammlung, Digitalisierung sowie operative und projektbezogene Aufgaben zu rekrutieren versuchte«, seien im öffentlichen Dienst »knapp gewesen«. Damit ließ er durchblicken, dass das Verhältnis der Regierung zu den Beratungsunternehmen sowie Umfang und Reichweite der Verträge eine systemische Angelegenheit waren.

Eine Person, die im ersten Jahr an Projekten im Zusammenhang mit der Pandemie mitgearbeitet hat, gab uns Einblicke in die tägliche Arbeit. Von Anfang an war demnach klar, dass die Regierung eine ungewöhnlich große Zahl von Beratern engagiert hatte, einige davon waren im Rahmen von Unterverträgen mit anderen Beratungsunternehmen dazugekommen. Der Umfang – »die riesige Menge von Menschen, die wegen des ›Kriegschaos‹ angeworben worden waren, die vagabundierenden Berater« – entpuppte sich als Hemmnis des Betriebsablaufs:

Ich hatte den Eindruck, dass die Organisation so viele neue Teams aufstellte, dass dauernd jemand Neues da war, der darüber reden wollte, was anstand. Aber oft wussten sie nicht einmal, was sie von uns erfahren wollten […]. Es wirkte so, als wären an jedem Projekt Scharen von umherziehenden Deloitte-Mitarbeitern beteiligt. Und mir schien, als hätte die schiere Anzahl dieser Leute dafür gesorgt, dass die ganze Zeit solche Zombie-E-Mails eintrafen, die einfach grundlegende Fragen stellten, die wir dann beantworten mussten, was uns von der eigentlichen Arbeit abhielt.21

Die beauftragten Junior Consultants verfügten nur selten über Spezialkenntnisse in dem relevanten Gebiet. Ihre Berufsbezeichnungen für die Aufträge, an denen sie arbeiteten, lauteten in der Regel »Product Owner« oder »Product Manager« (Produktiverantwortlicher), aber »anders als in einem gut funktionierenden digitalen Team« – wo solche Positionen normalerweise zu finden sind – »hatten die Berater mit diesen Titeln keine wirklich spezifischen Aufgaben«. Auf die Frage, ob die Consultants einen relevanten Beitrag geleistet hätten, antwortete die interviewte Person, »nicht alle, mit denen ich zu tun hatte, waren inkompetent – ich erinnere mich an eine für ein Projekt verantwortliche Person von Deloitte, die kompetent und gut war«.

Der Umfang und die Reichweite der Beraterverträge während der Pandemie sind symptomatisch dafür, wie sehr sich viele Organisationen auf Beratungsunternehmen stützen. Als COVID-19 sich auszubreiten begann, war es für viele Regierungen bereits gang und gäbe, Aufträge an Beratungsfirmen zu vergeben – und die Consultingbranche wurde nun auch in alle Aspekte dieses Problems einbezogen.

Eine Taxonomie

Weltweit wird die Consultingbranche von großen, multinationalen Firmen beherrscht, die meisten mit Hauptsitzen in den USA oder Nordeuropa. Dazu gehören die Big Four und die Big Three. Und dazu zählen auch Unternehmen, die primär Managementdienstleistungen auf einem bestimmten Gebiet wie beispielsweise IT erbringen, wie die CGI Group und IBM, oder die staatliche Dienstleistungen übernehmen, wie Serco und Sodexo.

Daneben gibt es zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen, die primär in anderen Bereichen arbeiten, aber auch eine Beratungssparte mit einem relativ kleinen Anteil am Gesamtumsatz haben. Sie können eine wichtige Einflussquelle sein oder den Zugang zu bestimmten Stakeholdern und Informationen ermöglichen, die für Kernbereiche des Geschäfts wertvoll sind. So haben in den letzten Jahren beispielsweise Ingenieur- und Baufirmen wie Arup und AECOM zunehmende Bedeutung als Beratungsinstanzen im Zusammenhang mit der Anpassung an den Klimawandel erlangt.22 Financial Markets Advisory (FMA), die Beratungssparte der weltgrößten Investmentgesellschaft BlackRock, »war in aller Stille für zahlreiche öffentliche Institutionen tätig, unter anderem für das britische Schatzamt und für die Europäische Zentralbank«.23 2021 verwaltete BlackRock weltweit Vermögenswerte in Höhe von 10 Billionen US-Dollar. In der COVID-19-Pandemie beauftragte die amerikanische Notenbank FMA mit dem Management dreier Finanzinstrumente, die sie geschaffen hatte, um auf den Finanzmärkten Unternehmensanleihen zu kaufen. Diese Unternehmen profitierten auch von den umfassenderen politischen und Unternehmensreformen seit den achtziger Jahren, die Organisationen des öffentlichen Sektors und Verantwortliche in Unternehmen zur Auslagerung von Aufgaben ermutigten, selbst wenn diese Dienstleistungen nicht zu ihrem Kerngeschäft gehörten. Während die zu den Big Three gehörenden Unternehmensberatungen Zehntausende von Mitarbeitenden haben, sind es bei FMA gerade einmal 250.24

Weltweit gibt es außerdem Zehntausende kleine und mittlere Unternehmen, die manchmal als »Boutique-Consultingfirmen« bezeichnet werden, sowie nicht gewinnorientierte Organisationen, die ebenfalls Beratungsleistungen anbieten. In vielen Ländern sind in den letzten Jahrzehnten Anzahl und Umsätze der kleinen, spezialisierten Consultingfirmen signifikant gewachsen, im Gleichschritt mit dem allgemeinen Wachstum auf dem Consultingmarkt. Die Bereiche, in denen kleinere Firmen üblicherweise tätig sind, spiegeln ebenfalls größere Trends wider. Im Gefolge von Tony Blairs Labour-Regierung kam es beispielsweise oft vor, dass »die Personen, die im öffentlichen Sektor für Beratungsfirmen gearbeitet hatten, anschließend ihre eigenen Beratungsunternehmen gründeten und so das künftige Angebot an Beratern vergrößerten«.25 Die Namen insbesondere der kleinen Firmen werden wahrscheinlich nur Lesern bekannt sein, die in einem bestimmten Bereich oder einer bestimmten Gegend tätig sind. Üblicherweise operieren sie in einem begrenzten geografischen Umfeld und bieten Dienstleistungen in einer Nischenbranche oder für eine spezielle Aufgabe an. Dazu gehören aber auch Firmen, die für sich in Anspruch nehmen, Digitalisierungsprozesse zu steuern, Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln oder die Effizienz des öffentlichen Dienstes zu steigern. In diese Kategorie fallen weiterhin Beratungsfirmen, die Verträge mit bestimmten Organisationen wie der Europäischen Kommission oder dem National Health Service in Großbritannien abschließen.

Im vorliegenden Buch konzentrieren wir uns auf die großen multinationalen Beratungsgesellschaften und ihre Beziehungen zu Regierungen, Unternehmen und anderen Organisationen. Diese Firmen bieten eine große Bandbreite von Beratungsdienstleistungen an, von Strategieberatung und Management bis zu Projektimplementierung und Outsourcing. Zwischen den Unternehmen bestehen erhebliche Unterschiede, und auch das Ausmaß, in dem sie sich auf die verschiedenen Arten von Beratungsangeboten konzentrieren, ist unterschiedlich. Dennoch ähneln sie sich hinsichtlich der Dynamik, mit der Umfang und Reichweite der Beratungsaufträge gewachsen sind, und alle sind sie darauf angewiesen, dass ihre Aufträge weiterlaufen und neue hinzukommen. Zu gegebener Zeit werden wir einen gesonderten Blick auf die Rolle der kleineren, spezialisierten Consultingfirmen werfen. In Tabelle 1 sind die fünf nach ihrer Herkunft wichtigsten »Typen« von Beratungsfirmen aufgeführt. Ihre Ursprünge und Organisation werden wir später noch detaillierter untersuchen.

Herkunft

Ursprünge

­Zentrale Organisa­tionsform

Beispiele

Strategie

Beginn des 20. Jahrhunderts bis 1930er-Jahre

Wissenschaftliche Betriebsführung und Kosten­kontrolle (Manage­mentansätze, die in jener Zeit populär waren)

Partnerschaft

McKinsey

Boston Consulting Group

Bain & Company

Wirtschafts­prüfung

1960er- und 1970er-Jahre

Prüfung von Kunden­netzwerken und wahrgenommene Objektivität

Partnerschaft, Privatunternehmen

EY

Deloitte

PwC

KPMG

Informationstechnologie

1980er- und 1990er-Jahre

Computereinsatz und das Erfordernis von Konnek­tivität infolge Firmen­wachstum

börsennotiertes Unternehmen

Capgemini

Cognizant

Cisco

IBM

Oracle

CGI Group

Outsourcing

1990er- und 2000er-Jahre

Wachstum der Anzahl und Reichweite von Verträgen mit dem öffentlichen Sektor

börsennotiertes Unternehmen

Serco

Sodexo

Atos

ISS

Boutique

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts

Zunahme der Gelegenheiten für Manage­ment­beratung

Privatunter­nehmen, nicht gewinn­orientierte Organisation

Putnam ­Associates

Vivid Economics

Tabelle 1: Typen von Unternehmensberatungen heute

Die meisten Unternehmen teilen die von ihnen angebotenen Beratungsleistungen in verschiedene Kategorien ein, je nach Projektbereich, Branche oder – im Fall der IT-Beratungen – der Technologie, um die es dabei geht. Capgemini bietet Dienstleistungen in den Geschäftsbereichen »Finance & Accounting«, »Supply Chain«, »Employee Operations«, »Customer Operations« und »Intelligent Automation«.26 McKinsey unterscheidet nach »Funktionen«, darunter fallen »M&A«, »Operations«, »Organization«, »Strategy & Corporate Governance« und »Transformation«.27 Die Firmengruppen, die als »Oursourcing-Generation« der Unternehmensberatung beschrieben wurden, und das »Outsourcing-Beratungsgeschäft« konzentrieren sich auf die Abwicklung großer Aufträge in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Sektors.28 Serco unterteilt sein Dienstleistungsangebot beispielsweise in »zentrale Marktsektoren«, darunter »Verteidigung«, »Gesundheit«, »Justiz«, »Immigration«, »Verkehr« und »Bürgerservices«.29 In vielerlei Hinsicht vernebelt die Konzentration auf die verschiedenen Etiketten, die Beratungsunternehmen selbst und sogar die Wissenschaft für die Beschreibung ihrer Arbeit verwenden, was die Beratungsbranche ausmacht – was all diese verschiedenen Unternehmen eint. Für all die oben genannten Unternehmen ist es überlebensnotwendig, dass andere Organisationen Managementleistungen, Expertenwissen und Kapazitäten bei ihnen einkaufen.

Es gibt viele Einzelpersonen, Unternehmen und andere Organisationen, die Expertenrat und Dienstleistungen anbieten und die wir trotzdem nicht in unsere Definition der Beratungsbranche einbeziehen, weil sie nicht über die nötigen Ressourcen verfügen, mithilfe der großen Consulting-Show Renten abzuschöpfen. Die meisten von ihnen sind auch nicht strukturell von solchen Aufträgen abhängig, selbst wenn sie Honorare für ihre Dienste verlangen. Ihr Wachstum oder gar ihre Existenz hängen nicht davon ab, dass andere Organisationen sie für Beratungsdienstleistungen engagieren. Beispiele dafür sind Experten im öffentlichen Gesundheitswesen, die einen Beitrag zur Struktur der staatlichen Reaktionen auf die Pandemie geliefert haben; pensionierte Lehrkräfte, die in Schulausschüssen sitzen; und Wissenschaftler an Universitäten, die Erkenntnisse aus der Forschung mit Organisationen aus dem öffentlichen, privaten oder zivilgesellschaftlichen Bereich teilen. Dazu zählen auch Unternehmen, die ausschließlich Güter zur Verfügung stellen und als »Lieferanten« bekannt sind. Die meisten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sind nicht Teil der Consultingbranche, weil sie keinerlei Beratungsleistungen anbieten. Anders verhält es sich bei den »Großen Vier« der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die über 40 Prozent ihres Umsatzes mit Unternehmensberatung generieren – mehr, als sie mit Prüfungsaufträgen und Versicherungsdienstleistungen erlösen.

Und das sind die Berater

Große Beratungsfirmen arbeiten mit strikten Hierarchien, und je nach Geschäftsfeld gibt es unterschiedliche Typen von Beratern. In vielen Firmen, besonders bei den Big Three und den Big Four, bestehen klar vorgezeichnete Aufstiegswege. Auf den untersten Ebenen finden sich die Angestellten, die direkt nach dem Bachelor-Studium rekrutiert wurden, oft im Anschluss an ein Praktikum oder einen Sommerkurs. Wir bezeichnen sie als Analysten, aber je nach Firma können ihre Titel auch »Associate« oder »Consultant« lauten. Bei einem typischen Projekt wird der Analyst dafür zuständig sein, die Recherche zu betreiben und »Ergebnisse« vorzulegen wie etwa Präsentationen, je nachdem, was ein höherrangiges Teammitglied verlangt. Im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses wird von Analysten in der Regel erwartet, dass sie eine allgemeine Ausbildung in Projekt- und Stakeholder-Management absolvieren, hingegen wird »Branchenkenntnis« nicht vorausgesetzt. Auf der nächsten Stufe finden wir die Mitarbeitenden, die entweder das firmeneigene Ausbildungsprogramm für Hochschulabsolventen durchlaufen oder einen Master of Business Administration (MBA) einer Business School vorzuweisen haben. Wir bezeichnen sie als Senior Consultants, aber oft heißen sie je nach Firma auch »Consultant«, »Projektleiter« oder »Associate«. Zum Teil haben sie die gleichen Aufgaben wie die Analysten, aber oft haben sie mehr direkten Kundenkontakt, zum Beispiel, indem sie Führungskräfte befragen oder Updates präsentieren. Ein ehemaliger Consultant bei einem Unternehmen der Big Four bezeichnete die Analysten und Senior Consultants als »die Macher« in einem Projektteam.

Über ihnen stehen die Manager, die üblicherweise für die Koordinierung des Beraterteams vor Ort und den Kontakt mit dem Kunden zuständig sind, die aber auch Spezialisten für einen bestimmten Managementbereich oder eine bestimmte Branche sein können. In unseren Interviews haben wir erfahren, dass nur von diesen Managern und Personen auf der nächsthöheren Hierarchiestufe – den Partnern oder Principals – erwartet wird, dass sie über Branchenkenntnisse oder bestimmtes technisches Fachwissen verfügen, oft erworben während einer langen Karriere in der jeweiligen Branche, und diese einsetzen. Partner und Principals sind entweder im Laufe der Jahre innerhalb der Firma erfolgreich aufgestiegen, oder sie wurden innerhalb einer bestimmten Branche rekrutiert. Oft haben die auftraggebenden Organisationen jedoch nur sehr eingeschränkt direkten Zugang zu einem Partner oder Principal, weil diese Personen in der Regel viele Projekte gleichzeitig betreuen und sich nur selten in Vollzeit einem Projekt widmen.

An der Spitze einer Unternehmensberatung stehen die Direktoren, meistens Personen mit einer langen Karriere im Beratungswesen. Sie sind hauptsächlich dafür zuständig, die Verkaufsverhandlungen zu führen und die Beziehungen zu den Stakeholdern zu pflegen. Boutique-Consultingfirmen übernehmen oft diese organisatorischen Strukturen und Titel, aber je nach Spezialisierung können bestimmte Kenntnisse oder Fertigkeiten bereits auf den unteren Ebenen und ebenso auf den höheren wichtiger sein. Outsourcing-Beratungen sind meistens ebenfalls hierarchisch strukturiert, aber die Verantwortlichkeiten der Personen, die für die Verwaltung und Erfüllung von Aufträgen zuständig sind, können sehr unterschiedlich aussehen. Je nach Art des Auftrags beschäftigen diese Unternehmen unter Umständen auch einige »Blue Collar«-Mitarbeiter, die an vorderster Front tätig sind. Allerdings werden diese oft auch per Untervertrag von anderen Unternehmen verpflichtet.

Der Umfang des Beratungsgeschäfts

Eine genaue Bewertung des globalen Markts für Beratungsleistungen ist unmöglich. Nur wenige Organisationen des öffentlichen Sektors und wenige multinationale Unternehmen werden angewiesen, Erstere von Regierungen, Letztere von Stakeholdern, ihre Ausgaben für Beratungsleistungen genau zu dokumentieren. Bei vielen sehr großen Beratungsfirmen sehen außerdem die Unternehmensstrukturen nicht vor, dass sie offenlegen, wie hoch ihre Umsätze und Gewinne sind, nicht einmal, wo in der Welt sie ihr Geld verdienen. Die Big Four und die Big Three operieren alle als eingetragene Partnerschaften oder in anderen Formen von Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Damit »erfreuen sie sich Graden von Intransparenz, die vielen der multinationalen Unternehmen, die ihre Kunden sind, verwehrt bleiben«.30 Es ist viel leichter, herauszufinden, wie viel große Ölkonzerne oder Giganten des Silicon Valley in einem bestimmten Jahr verdienen, weil sie börsennotiert sind und somit für sie die rechtliche Verpflichtung besteht, diese Information zu veröffentlichen, damit aktuelle und potenzielle Investoren und die Finanzmarktaufsicht sie zur Kenntnis nehmen können. Trotzdem lassen Schätzungen hinsichtlich des weltweiten Werts der Consultingbranche vermuten, dass der Markt in den letzten Jahrzehnten enorm gewachsen ist. 1999 wurde der Wert der weltweiten Beratungsleistungen auf einen Betrag zwischen 100 und 110 Milliarden US-Dollar geschätzt.31 2010 belief sich der Wert einer Studie zufolge auf rund 350 Milliarden US-Dollar.32 Die Schätzungen für 2021 reichten von fast 700 Milliarden bis zu 900 Milliarden US-Dollar.33

Die größten multinationalen Beratungsunternehmen sind in der Tat sehr groß. Im Jahr 2021 war Deloitte das drittgrößte Privatunternehmen in den USA, dicht gefolgt von PwC auf Platz vier, EY kam auf Platz sechs.34 McKinsey und die Boston Consulting Group rangierten beide unter den Top 50, vor Biotech-Firmen, großen Versicherungskonzernen und Titanen der Unterhaltungsbranche. Accenture erzielte 2019 mit Beratungsleistungen einen Umsatz von 17,3 Milliarden US-Dollar und stand im gleichen Jahr gemessen an der Marktkapitalisierung auf Platz 40 der größten Unternehmen weltweit, vor globalen Giganten wie Royal Dutch Shell, Boeing und Eli Lilly.35 Einige börsennotierte IT-Beratungsunternehmen zählten zu den 100 größten börsennotierten Firmen, darunter Indian Tata Consulting Services, die 2019 mit Beratungsleistungen 14,9 Milliarden US-Dollar verdienten.36

Diese Unternehmen bieten ihre Dienste weltweit an, sie haben Niederlassungen in nahezu allen Ländern und beschäftigen Hunderttausende Mitarbeiter. Die Big Four unterhalten Büros in über 130 Ländern und zählen insgesamt rund 400 000 Beschäftigte.37 McKinsey allein ist in über 130 Städten in mehr als 65 Ländern vertreten. Trotz der enormen Reichweite stammen die Einnahmen dieser Firmen zum allergrößten Teil aus einer Handvoll von Ländern. Nach einer Untersuchung entfallen 96 Prozent der Einnahmen aus Beratungsleistungen auf Nordamerika und Europa, und 70 Prozent der weltweiten Beratungshonorare werden in lediglich fünf Ländern generiert: den USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich und Deutschland.38 Die großen Unterschiede zwischen den verschiedenen Weltregionen haben viele Gründe, angefangen mit der schlichten Tatsache, dass die Honorare für Beratungsleistungen in den Entwicklungsländern in der Regel sehr viel niedriger sind als auf den westlichen Consulting-Märkten.39 Zum einen gibt es in manchen Regionen eine sehr viel längere Tradition als in anderen, diese Quelle für externen Sachverstand oder externe Kapazitäten zu nutzen. Die größten multinationalen Beratungsfirmen von heute entstanden in Nordamerika und expandierten zuerst nach Europa.40 Einige Länder wie Japan haben sich in ihrer Geschichte darauf spezialisiert, Sachverstand durch interne Investitionen in vorhandenes Personal aufzubauen oder auf Wissen von anderen Organisationen wie Universitäten oder Gewerkschaften zurückzugreifen.41 Andere Länder haben außerdem zu unterschiedlichen Zeiten Regeln eingeführt, die den Zugang westlicher Beratungsunternehmen zu heimischen Industriekunden begrenzten. So wies im Jahr 2014 beispielsweise die chinesische Regierung die staatseigenen Unternehmen aus Angst vor Spionage an, alle Verbindungen zu Beratungsfirmen mit Sitz in den USA zu kappen.42 In bestimmten Phasen hat auch lokaler Widerstand von Unternehmen gegen internationale Beratungsfirmen deren Wachstum begrenzt, wie etwa in Südkorea nach der Jahrtausendwende.43

Jedenfalls sind die Finanzdaten allein nur begrenzt aussagekräftig. Es bleibt noch vieles, was diese Zahlen über die Reichweite der Consultingbranche – und ihren Einfluss – in der Weltwirtschaft nicht preisgeben. Das trifft besonders für Entwicklungsländer zu, die in letzter Zeit höhere Wachstumsraten verzeichneten als die westlichen Märkte, obwohl auf sie nur ein geringer Anteil der gesamten Umsätze mit Beratungstätigkeit weltweit entfällt.44 Überdies ging in vielen Entwicklungsländern die Nachfrage nach multinationalen Beratungsleistungen nicht unbedingt von den heimischen Regierungen und Unternehmen aus, sondern eher von zwischenstaatlichen Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Diese verlangten, dass verschuldete Regierungen Berater zu Hilfe holten, um marktorientierte Wirtschaftsreformen zu entwickeln und zu implementieren – oft machten sie dies zur Bedingung für die Gewährung von Krediten. Diese Nutzung von Beratungsleistungen taucht in den nationalen Statistiken zu Unternehmensberatungsleistungen nicht auf.

Selbst in einzelnen Ländern und Regionen spiegelt die Verteilung der Einnahmen aus Beraterverträgen nicht immer wider, welchen Umfang die Arbeit der Consultingbranche hat. Aus quantitativen Daten ist nur selten zu entnehmen, um was für Aufträge es sich handelt, und oft wird in den Statistiken nicht sauber zwischen dem Outsourcing von Dienstleistungen und der Beschaffung von Waren unterschieden.45 Daten über die Umsätze der gemessen an den Verträgen mit der britischen Regierung sechs größten Outsourcing-Beratungsfirmen lassen vermuten, dass sich allein die Ausgaben für deren Dienstleistungen auf mehrere Milliarden Pfund belaufen. Gegenwärtig stehen 40 Firmen auf der vom Cabinet Office geführten Liste der sogenannten Strategic Suppliers, der privatwirtschaftlichen Firmen, die bei der öffentlichen Auftragsvergabe als besonders wichtig erachtet werden. Sie sind in den Bereichen Telekommunikation, Verteidigung, Informationstechnologie und Managementberatung tätig und heißen Atos, Capita, G4S, ISS, Serco und Sodexo. Seit 2015 haben diese sechs Firmen Aufträge mit einem Gesamtvolumen von 20 Milliarden Pfund erhalten.46 Weltweit belief sich der Wert ihrer kumulierten Umsätze allein im Jahr 2020 auf über 68 Milliarden US-Dollar.1

Wie man an Aufträge kommt

Als auf den lukrativen Märkten Nordamerikas und Europas die Nachfrage infolge von wirtschaftlichen Abschwüngen oder wegen politischer Reformen zurückging, setzten die Beratungsunternehmen Strategien ein, die darauf abzielten, relevant zu bleiben, in der Hoffnung, auf diese Weise ihre Chancen auf gewinnbringende Aufträge in der Zukunft zu erhöhen. Zwischen 2010 und 2015 ergriff beispielsweise die Koalitionsregierung in Großbritannien Maßnahmen, um den exzessiven Einsatz von Unternehmensberatern, den die Vorgängerregierung betrieben hatte, einzudämmen. Doch mehrere multinationale Consultingunternehmen stellten weiterhin wichtigen Regierungsstellen ihre Beratungsdienste kostenlos oder zu deutlich reduzierten Honoraren zur Verfügung.47 Im Jahr 2011 beschrieb der Leiter der Abteilung Öffentliche Hand bei KPMG diese Strategie in einem Interview mit dem Guardian ganz offen:

Wir können es uns nicht leisten, auf Dauer [ohne Honorar zu arbeiten], aber vorübergehend geht es. Wir hoffen, dass wir dann in einer guten Position sind, wenn die Regierung beschließt, dass sie wieder zahlen will […]. Firmen wie unsere wollen immer bei den richtig großen Programmen dabei sein. Wenn man in den Teil einsteigen kann, bei dem erarbeitet wird, wie das Programm durchgeführt werden soll, besteht Hoffnung, dass man bleiben kann.48

In diesem Fall vermittelten die geringen Einnahmen einen falschen Eindruck vom Umfang der Arbeit. Wenn wir verstehen wollen, welche Rolle Beratungsunternehmen heute überall auf der Welt spielen, dürfen wir darum nicht nur auf die finanziellen Daten blicken, sondern müssen auch prüfen, was die Verträge beinhalten, was die Unternehmen tatsächlich tun und wie sich ihr Verhältnis zu den Auftraggebern entwickelt. Der große Einfluss der Consultingbranche in Ministerien, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) beschränkt sich nicht auf die Volkswirtschaften von Nordamerika und Europa. Von Südostasien bis Westafrika spielen Consultants nicht nur die Rolle von Beratern, vielmehr sind sie das Management und erfüllen zentrale Funktionen. Die Vorschläge, die sie Entscheidungsträgern unterbreiten, gelten als das letzte Wort.

In Indien beispielsweise ist der Umsatz von Consultingfirmen im Zeitraum von 2014 bis 2018 durchschnittlich um 10,8 Prozent jährlich gewachsen, im Jahr 2018 beliefen sich die Gesamteinnahmen der Branche auf 64,8 Milliarden US-Dollar.49