Die große Rentenlüge - Holger Balodis - E-Book

Die große Rentenlüge E-Book

Holger Balodis

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Beschreibung

Eine gute Rente für alle ist machbar - gerecht und bezahlbar! Rund die Hälfte der heute Erwerbstätigen ist im Alter akut von Altersarmut bedroht. Das ist die unmittelbare Folge eines politisch gewollten Zerstörungsprozesses, sagen die Bestseller-Autoren Holger Balodis und Dagmar Hühne. In ihrem neuen Buch fordern sie einen radikalen Kurswechsel in der Altersversorgung und deutlich mehr Geld für alle Rentner. Und sie zeigen auch, wie es geht: Weg mit der Riester-Rente und dem Popanz des Drei-Säulen-Modells. Statt die Finanzwirtschaft zu subventionieren, muss sich Altersvorsorge auf den Kern konzentrieren: die gesetzliche Rente. Die ist sicher, krisenfest und preiswert. Und sie kann deutlich höher ausfallen, wenn endlich alle einzahlen - auch Politiker, Beamte und Topmanager.

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Seitenzahl: 249

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Staatlich gedeckter Betrug in Perfektion

256 Seiten, ISBN 978-3-86489-583-8 eBook: 13,99 €

Ebook Edition

Holger Balodis, Dagmar Hühne

Die große Rentenlüge

Warum eine gute und bezahlbare Alterssicherung für alle möglich ist

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-675-0

Copyright © 2017 Holger Balodis und Dagmar Hühne

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2017

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Titel
Staatlich gedeckter Betrug in Perfektion
Einleitung Mut zu mehr Rente!
Kapitel 1 Das Schröder-Riester-Rentendesaster
Kapitel 2 Erfolgsmodell Umlage – weit besser als die vom Kapitalmarkt abhängige Altersvorsorge!
Sicherheit
Kosten
Rendite
Wo bleibt der politische Wille?
Kapitel 3 Altersarmut – Chronik einer programmierten Katastrophe
Kapitel 4 Von Fehlkonstruktionen und Fehlentscheidungen
Fetisch Äquivalenzprinzip – oder doch mehr Umverteilung?
Die Plünderung durch den Staat – versicherungsfremde Leistungen
Kapitel 5 Das Märchen von den guten Betriebsrenten
Kapitel 6 Das Rentenniveau – mager, missbraucht und manipulativ!
Kapitel 7 Die Rentengehirnwäsche
Kapitel 8 Viel Tamtam um wenig – die Pläne der großen Koalition
Kapitel 9 So geht Rente – ein Masterplan
Das Ende des Drei-Säulen-Modells: Schluss mit Riester-Rente und Entgeltumwandlung!
Deutliche Rentenerhöhung für alle!
Aufwertung der Kleinverdiener
Alle sollen zahlen: die Erwerbstätigenversicherung
Höhere Beitragssätze – nicht für alle eine höhere Last!
Höherer Bundesanteil: gerecht und wirksam
Beitragsbemessungsgrenzen – wo endet die Solidarität?
Kein Zwang zur Arbeit nach 65
Höhere Löhne und Neuordnung des Arbeitsmarktes
Mehr Rente ist möglich
Kapitel 10 Ein Blick über die Grenze zeigt: Es kann gelingen!
Kapitel 11 Was planen Parteien, Gewerkschaften und Sozialverbände?
»Wir streiten nicht alleine« – die Rentenkampagne der Gewerkschaften
Fazit
Kapitel 12 Was jeder tun kann!
Anmerkungen

EinleitungMut zu mehr Rente!

Seit über zwei Jahrzehnten sind die Verteidiger einer guten Rente in der Defensive. Schuld daran sind nicht die Fakten, sondern eine große Rentenlüge: Gute, auskömmliche Renten seien nicht mehr finanzierbar, wird uns immer wieder erzählt. Die Volksparteien haben deutliche Verbesserungen der Renten nicht auf der Agenda. Und in den meisten Medien wird vermittelt: Bessere Renten überlasten die junge Generation. Genau das ist die Lüge, die sich tief in die Gesellschaft hineingefressen hat. Die Methode ist raffiniert und wird lanciert von interessierten Kreisen: Das Rentenniveau müsse runter, skandieren unisono Versicherungswirtschaft, sogenannte Wissenschaftler, Arbeitgeberverbände und deren Propagandatruppe, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Angeblich gebiete das die demografische Entwicklung. Und die neue Losung heißt: Generationengerechtigkeit. So wird der falsche Eindruck erzeugt, dass dieses Land sich höhere Renten nicht leisten könne, dass dies auf Kosten der jungen Generation ginge.

Scheinbar verfängt diese Propaganda: Wer jünger als 30 Jahre alt ist, kommt heute gar nicht mehr auf den Gedanken, dass die gesetzliche Rente für einen guten Lebensabend reichen könnte. Und auch die meisten Älteren haben den Glauben daran verloren. Die große Rentenlüge hat funktioniert. Längst wird akzeptiert, dass ein gutes Leben im Alter nur gelingen kann, wenn man zuvor ordentlich privat vorsorgt. Doch das ist Unsinn. Falls es sich heute dennoch plausibel anhört, ist das nur die Folge einer klassischen »sich selbst erfüllenden Prophezeiung«. Wer die gesetzliche Rente schlechtredet und zerstört, sorgt natürlich dafür, dass sie am Ende tatsächlich nicht reicht. Und alle, die das glauben, sind nicht überrascht, wenn es so kommt.

Doch es ginge auch ganz anders. Selbstverständlich ist dieses Land in der Lage, allen Menschen eine gute Rente zu zahlen – auch allen Kleinverdienern eine Rente deutlich oberhalb der Grundsicherung. Dazu müssen wir den Propagandakrieg gegen mächtige Gegner aufnehmen. Wir müssen uns wehren gegen das Demografiegerede, das uns suggerieren soll, der »Pillenknick« mache gute Renten unmöglich. Wir müssen den Begriff von der Generationengerechtigkeit als hohle Phrase entzaubern, die letztlich nur der Verschleierung dient. Denn wer Jung gegen Alt ausspielt, will nur vom eigentlichen Konflikt ablenken, der sich zwischen Reich und Arm abspielt. Die Vermögenden beteiligen sich so gut wie nicht an der solidarischen Rente und keine Regierung wollte das bislang ändern. Die Folge: Die trotz mehrerer Finanzkrisen enorm gestiegene Wirtschaftskraft dieses Landes wird nur sehr unzureichend für gute Renten genutzt. Im Gegenteil: Die meisten Spitzenverdiener zahlen keinen Cent in die Rentenkasse, und den Arbeitgebern sicherten alle Bundesregierungen seit der Jahrtausendwende dauerhaft niedrige Beiträge zu. Die Last tragen die versicherungspflichtig Beschäftigten: Sie werden mit Rentenkürzungen bestraft und sollen dafür doppelt und dreifach privat vorsorgen.

Das muss sich ändern. Wir brauchen ein System, das die Leistungsfähigkeit dieses reichen Landes wirklich anzapft und schrittweise sämtliche Erwerbstätigen in die Rentenkasse einbezieht. Das Ziel: Alle sollen einzahlen, also auch Politiker, Beamte, Selbstständige, Freiberufler und Topmanager. Dass das funktionieren kann, belegt der Blick in europäische Nachbarländer. Dieser Blick macht Hoffnung: Warum sollte Deutschland nicht schaffen, was beispielsweise in Österreich, den Beneluxstaaten oder Dänemark selbstverständlich ist? Eine gute Rente für alle, die Armut im Alter ausschließt und den bis dahin erreichten Lebensstandard annähernd sichert. Bislang garantiert der deutsche Staat dies nur zwei zahlenmäßig überschaubaren Bevölkerungsgruppen: Beamten und Politikern.

Kapitel 1Das Schröder-Riester-Rentendesaster

Als Wendepunkt kann der 11. Mai 2001 gelten. Ein sonniger Frühlingstag mit Temperaturen über 20 Grad. In Berlin gab Kanzler Gerhard Schröder (SPD) seine erste Pressekonferenz im Foyer des neuen Kanzleramtes. Gemeinsam mit Bundesarbeitsminister Walter Riester. Beide in ausgelassener Stimmung. Unmittelbar vorher hatte der Bundesrat eine der laut Schröder »wirklich historischen Reformen in der Sozialversicherung« durchgewunken: die Einführung der Riester-Rente. Aber gleichzeitig wurden auch deutliche Verschlechterungen in der gesetzlichen Rente beschlossen. Unterm Strich sollte es aber, so versprach es damals Walter Riester, für alle besser werden: »Jeder Rentner und jede Rentnerin wird nicht nur heute, sondern auch in Zukunft mehr Rente erhalten als nach dem alten Recht.«1 Und Kanzler Schröder pflichtete ihm bei. Alle Rentner, aber auch Minister Walter Riester seien, so Schröder, »die großen Gewinner der Rentenreform«.2

16 Jahre später wissen wir: Es ist grandios danebengegangen – jedenfalls für die Rentner. Männer, die mindestens 35 Versicherungsjahre auf dem Buckel haben, bekamen im Jahr 2015 als Neurentner 1 006 Euro ausgezahlt. Im Jahr 2000, also unmittelbar vor der Riester-Reform, waren es noch 1 104 Euro gewesen.3 Auch besonders langjährig Versicherte – so lautet der Terminus für Männer oder Frauen, die auf mindestens 45 Versicherungsjahre kommen – erhielten 2015 als Neurentner/innen nur noch 1 177 Euro netto. Drei Jahre zuvor waren es noch gut 200 Euro mehr gewesen.4 Getroffen hat es auch die Erwerbsminderungsrentner. Wer 2015 Neurentner wurde, erhielt im Schnitt 672 Euro monatlich, im Vergleich zu 706 Euro im Jahr 2000.

Eine Bilanz des Schreckens. Denn zur gleichen Zeit sind die Preise in Deutschland um insgesamt 24,7 Prozent gestiegen. Real haben die Renten damit massiv an Wert verloren, und zwar noch viel mehr, als es das sinkende Rentenniveau nahelegt. Und noch etwas wissen wir heute: Die Riester-Renten können den Kahlschlag bei den gesetzlichen Renten nicht auffangen. Wer heute in Rente geht und frühzeitig geriestert hat, kann wohl mit gerade einmal 30 oder 40 Euro zusätzlich rechnen. Auch alle, die künftig in Rente gehen und dann Jahrzehnte lang geriestert haben sollten, werden feststellen: Die private Altersvorsorge schließt die gewaltige Lücke nicht, die die Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus gerissen hat. Sie hat zwar den Staat Milliardenbeträge und die Sparer viel Mühe und Nerven gekostet, doch Altersarmut verhindert sie nicht. Zum zehnjährigen Riester-Jubiläum im Jahr 2011 urteilte das DIW denn auch: »nicht besser als ein Sparstrumpf«5, und Anfang 2016 erklärte als erster Spitzenpolitiker der Union Horst Seehofer (CSU) die Riester-Rente für »gescheitert«.6 Der hatte übrigens bereits am 11. Mai 2001 die Gesamtreform als »Mogelpackung« kritisiert, vor dem Bürokratiemonster Riester-Rente gewarnt und Walter Riester als »Sozialräuber« bezeichnet.7

Für Ex-DGB-Vize Prof. Dr. Ursula Engelen-Kefer, die sich heute für den Sozialverband Deutschland engagiert, ist es nach wie vor der »Sündenfall« der Rentenpolitik: »Kürzungen gab es auch schon vorher, aber mit der Riester-Reform wurden die Menschen ja quasi zur privaten Vorsorge mit zusätzlichen Beiträgen verpflichtet. Dies für alle Arbeitnehmer – unabhängig davon, ob sie eine Riester-Rente abgeschlossen haben oder nicht – als Kürzungsfaktor in die Rentenformel aufzunehmen ist eine Aushöhlung der paritätisch finanzierten solidarischen Altersrente, das halte ich für ungeheuerlich.«8 Sie war damals eine der wenigen prominenten Sozialdemokraten, die bis zum Schluss Widerstand gegen die Riester-Reform leisteten. Vergeblich. Ein Gegner der ersten Stunde war auch Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Mittlerweile keimt bei ihm wieder ein ganz klein wenig Hoffnung: »Wenn man sich so offensichtlich auf einem fatalen Irrweg befindet, wie mit der Riester-Rente, sollte man den Mut haben, seinen Fehler einzugestehen und umzukehren.« Doch ob die verantwortlichen Politiker dafür den Mut aufbringen?

Starke Zweifel daran hat Matthias W. Birkwald. Der rentenpolitische Sprecher der Partei DIELINKE kämpft seit Jahren einen einsamen Kampf im Deutschen Bundestag: »Vor 17 Jahren haben SPD, Grüne, Union und FDP das Rentenniveau gemeinsam in den Sinkflug geschickt und Lücken in die gesetzlichen Renten von Millionen Menschen gerissen. Seitdem gilt: Jahr für Jahr hinken die Renten den Löhnen hinterher, Jahr für Jahr gibt es immer mehr ältere Arme, und Jahr für Jahr wird der Riester-Unsinn offensichtlicher. Und was tun Union und SPD dagegen: nichts.«9

Doch zurück ins Jahr 2001. Was auf den Riester-Beschluss folgte, war der berühmte Paradigmenwechsel. Das Rentensystem wurde auf den Kopf gestellt. Wurden bis dahin die Beiträge dem gewünschten Leistungsniveau der Rente angepasst, musste sich nun die Rentenhöhe an die gewollt niedrigen Beiträge anpassen. Also eine komplette Umkehr der Rentenlogik. Oder anders ausgedrückt: Die früheren Rentenziele »Lebensstandardsicherung« und »Armutsvermeidung« wurden dem neuen Ziel »Beitragssatzstabilität« geopfert.

Übrigens mit großem Erfolg, was die Beitragssatzstabilität angeht. Der Beitragssatz blieb nicht nur stabil, sondern konnte sogar gesenkt werden. Seit 2015 liegt er mit 18,7 Prozent wieder auf dem niedrigen Niveau der späten 1980er Jahre.10 Das heißt: Die Zahlung von Rentenbeiträgen war für die Jungen (und die Arbeitgeber!) schon lange nicht mehr so günstig wie heute. Von der oft beschworenen Ausplünderung der Jungen durch die Alten kann also keine Rede sein.

Die Kehrseite: Das Rentenniveau ist dramatisch abgesackt, die tatsächlich ausgezahlten Renten sind vor allem für viele Neurentner dramatisch gesunken. Bereits heute liegen wir weit unter dem Niveau, das Norbert Blüm mit seiner 1998er Reform für das Jahr 2030 angepeilt hatte.11 Immer weniger des gesellschaftlichen Reichtums landet so bei den Rentnern. Obwohl die Zahl der Rentner Jahr für Jahr gestiegen ist, bekommen sie prozentual immer weniger vom Sozialprodukt ab. Von 2003 bis 2015 sank der Anteil der Rentenzahlungen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) um über 10 Prozent.12

Doch in einem Punkt lag Gerhard Schröder immerhin richtig: Walter Riester war tatsächlich ein Gewinner seiner Reform, ein ganz großer sogar. Denn die staatlich geförderte Altersvorsorge trägt seinen Namen und jahrelang galt er als der Bundestagsabgeordnete mit den höchsten Nebeneinkünften. Vor allem dank hoch bezahlter Vorträge für Banken, Versicherungen und andere Finanzdienstleister.13 Auch 2017 ist Walter Riester als Starredner auf Tour: beispielsweise am 28. März auf der 11. MMM-Messe (Münchner Makler und Mehrfachagenten-Messe) in München14 oder am 12. September auf der 8. Hauptstadtmesse in Berlin15, auch eine Verkaufsveranstaltung der Finanzwirtschaft.

Fazit: Die Riester-Reformen schicken Millionen von Rentnern in Richtung Armut, denn das »Riestern« kann die gerissene Rentenlücke nicht wirksam schließen.16 Das heißt: Die Gesamtversorgung ist selbst bei höherem Aufwand in der Regel schlechter als im alten Modell. Viele Forscher erklären die Riester-Rente deshalb für gescheitert.17 Dies nicht nur wegen der kümmerlichen Ergebnisse – ein großer Teil der Bevölkerung macht bei der Riester-Rente schlicht nicht mit. Schätzungsweise 38 Millionen Personen sind anspruchsberechtigt.18 Es gibt jedoch nur 16,5 Millionen Riesterverträge.19 Weit mehr als die Hälfte der Förderberechtigten haben also keinen Riester-Vertrag. Und wirklich bespart werden noch weniger: Nur 10,8 Millionen Personen bekommen staatliche Zulagen oder Steuervorteile. Und von denen wiederum schöpfen viele die vollen Zulagen nicht aus, weil sie zu wenig einzahlen. Ergebnis: Nur etwas mehr als sechs Millionen Personen bekommen die vollen Zulagen und riestern damit so, wie es die Bundesregierung gerne hätte.20 Das sind rund 15 Prozent der Förderfähigen. Eine desaströse Bilanz für alle Bundesregierungen seit 2001.

»Wir haben jetzt 15 Jahre lang das Lehrstück live erlebt und sehen, wohin uns die Rentenreformen von Schröder und Riester gebracht haben. Und man muss zugeben, dass es richtig schlecht gelaufen ist«, stellt Leni Breymaier, die neue SPD-Chefin von Baden-Württemberg, denn auch fest. »Daraus hat die Politik zu lernen, Gesetze kann man schließlich ändern.«

Die Rentenreformen sind jedoch nicht der einzige Grund für den drohenden Absturz der kommenden Rentnergeneration: Nahezu zeitgleich wurde auch der Arbeitsmarkt reformiert, Stichwort »Hartz-Gesetze«. Deutschland bekam den größten Niedriglohnsektor Westeuropas.21 Und wenig Lohn bedeutet später eben auch wenig Rente.

Generell hat der Anteil prekärer Beschäftigung in den vergangenen 20 Jahren stark zugenommen. So gibt es aktuell rund eine Million Leiharbeiter, die deutlich unterdurchschnittlich verdienen und in ständiger Gefahr leben, nach dem Ende der Verleihphase entlassen zu werden.22 Auch die Zunahme von schlecht oder gar nicht bezahlten Praktika und befristeter Beschäftigung sorgt entweder direkt für geringere Rentenansprüche oder erhöht die Gefahr von Arbeitslosigkeit. Mit der Förderung sogenannter »Ich-AGs« wurden viele ehedem Versicherungspflichtige in die Selbstständigkeit gedrängt, wo sie in der Regel keinerlei Ansprüche aus der gesetzlichen Rente erwerben. Das Gleiche gilt für die meisten der rund fünf Millionen Menschen, die ausschließlich einen sogenannten Mini-Job ausüben. Mit solchen geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen wurden massiv versicherungspflichtige Jobs abgebaut. Und selbst wer als Mini-Jobber freiwillig in die Rentenkasse einzahlt, erhält dafür später nur ein besseres Taschengeld.23 Auch Arbeitslosigkeit schlägt sich seit den Hartz-Gesetzen viel härter in der späteren Rente nieder. Die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld (ALG 1) – also die Phase, in der für Arbeitslose überhaupt noch Rentenbeiträge gezahlt werden – wurde verkürzt, und für Langzeitarbeitslose (ALG 2 oder gar keine Bezüge) werden gar keine Beiträge mehr an die Rentenkasse abgeführt. Jahrelange Arbeitslosigkeit führt damit nahezu unausweichlich in die Altersarmut.

All das weiß die Bundesregierung sehr genau. Im Entwurf des fünften Armuts- und Reichtumsbericht beklagt sie »Niedriglohnbeschäftigung, nachlassende Tarifbindung und die Zunahme atypischer Beschäftigung«. Sie konstatiert daraus eine »starke Zunahme der Einkommensungleichheit zu Beginn der 2000er Jahre« und stellt weiter fest: »Bis in die Einkommensmitte hat es Reallohnverluste gegeben.«24 Diese Einkommensverluste des abgehängten unteren Teils der Beschäftigten werden sich zwangsläufig später auch in niedrigeren Renten niederschlagen. Leni Breymaier hat das als ver.di-Funktionärin immer kritisiert. Heute ist sie SPD-Landesvorsitzende von Baden-Württemberg und gehört zu den Sozialdemokraten, die kräftige Korrekturen fordern: »Wir müssen feststellen, dass sich immer mehr Arbeitnehmer in einem fatalen Zangengriff befinden. Einerseits sorgen die Veränderungen am Arbeitsmarkt dafür, dass Millionen Arbeitnehmer schlecht verdienen oder ganz aus der Versicherungspflicht gedrängt wurden, andererseits wird das Ganze dann noch durch die Rentenreformen immer schlechter bewertet. Die zwangsläufige Folge sind dann Armutsrenten.«

So wird es auch Michael K. ergehen, falls nicht ein Wunder geschieht. Der Vierzigjährige sitzt von morgens 6 Uhr bis abends um 18 Uhr an der Pforte eines Betriebes in der Nähe von München. Zwölf Stunden pro Tag, an mindestens fünf Tagen der Woche. Das sind 60 Stunden pro Woche und mehr als 240 Stunden im Monat. »Damit arbeite ich mindestens 50 Prozent länger als die Arbeiter und Angestellten, die jeden Tag bei mir ein und aus gehen.« Doch verglichen mit ihnen verdient er deutlich schlechter: pro Stunde derzeit 9 Euro. Bevor der Mindestlohn eingeführt wurde, war es jahrelang noch weniger. Dabei trägt Michael K. enorme Verantwortung: Hunderte Mitarbeiter und Dutzende Besucher sind genau zu kontrollieren. Niemand darf das Werk – in dem Sicherheitstechnik hergestellt wird – unbefugt betreten. Doch der Lohn ist kümmerlich. Von 2 160 Euro brutto bleiben netto 1 432 Euro übrig – für Schichten rund um die Uhr. »Das ist nur mit Galgenhumor zu ertragen. Ich bin jeden Morgen um 5 Uhr auf den Beinen, fahre um 5:30 Uhr zur Arbeit und komme frühestens um 18:30 Uhr nach Hause.« Auch wenn es für viele nach einem eher geruhsamen Job aussehen mag, zieht es doch viel Energie aus ihm. Gerade wenn nach 15 Uhr die meisten Beschäftigten das Werk schon verlassen haben, muss er noch fast drei Stunden durchhalten: »Das zieht sich wie Gummi, es ist wenig zu tun, doch du musst trotzdem konzentriert bleiben, falls doch mal was passiert.«

Und wenn Not am Mann ist, macht Michael K. auch mal sechs oder gar acht Schichten am Stück: »Anschließend schlafe ich gleich einen ganzen Tag durch.« Wenig bleibt da vom Leben, wenig Zeit und wenig Kraft für andere Dinge. Daran ist letztlich auch seine Ehe gescheitert. Und die Renteninformation der Deutschen Rentenversicherung trägt auch nicht zur Verbesserung seiner Stimmung bei: Eine Rentenanwartschaft in Höhe von 374 Euro hat er sich demnach bislang erarbeitet. Und sollte er sein Pensum von 60 und mehr Stunden pro Woche noch weitere 27 Jahre lang durchhalten, könnten es tatsächlich brutto 936 Euro werden. Netto blieben davon 833 Euro – nach über 50 Arbeitsjahren. »Also ich fühle mich verraten und verkauft. Ich kann mir das eigentlich nicht vorstellen und will nicht in einem Ein-Zimmer-Wohnklo landen. Also sollte sich jobmäßig noch irgendwas ändern.« Allerdings fehlt ihm dazu die Perspektive. Solange er seine Zwölf-Stunden-Schichten schiebt, bleibt kaum Zeit, sich um Alternativen zu kümmern. Derzeit rettet er sich immer gerade so ins Wochenende, um neue Kraft zu tanken. Und so geht es Woche für Woche.

Dabei hatte es für Michael gar nicht so schlecht angefangen. Er hat eine dreijährige Lehre als Elektroniker absolviert und sich anschließend für mehrere Jahre freiwillig bei der Bundeswehr verpflichtet, aber dann hat er nicht mehr so recht in den alten Beruf zurückgefunden: Für eine Spedition fuhr er LKW, versuchte sich mit dem Verkauf von Versicherungen. Doch auch das war eine schmerzhafte Erfahrung: Die Provisionen kassierten vor allem die Chefs. Und die Arbeit wurde am Ende unerträglich: »Ich wollte und konnte die Kunden einfach nicht mehr länger übers Ohr hauen.« So war Michael ganz froh, dass er mit dem festen Job im Wach- und Objektschutz aus den Fängen des Versicherungsvertriebes loskam. Die Einblicke, die er damals in sogenannte Altersvorsorgeprodukte gewonnen hat, haben ihn desillusioniert: »Ich habe ja in diesen Bereich hineingeschnuppert und weiß, wie es da zugeht. Deshalb werde ich mein sauer verdientes Geld nicht dafür opfern. Ich hab noch keine Versicherung gefunden, die mir wirklich weiterhelfen würde. Die riesige Lücke, die sich im Alter auftun wird, dagegen kann man schlicht nicht privat ansparen.«

Kapitel 2: Erfolgsmodell Umlage – weit besser als die vom Kapitalmarkt abhängige Altersvorsorge!

Manchmal ist die einfachste Lösung die beste. So auch bei der Finanzierung des Sozialstaats im Allgemeinen und der Rente im Besonderen. Und die Lösung lautet hier: Umlageverfahren. Es hat eigentlich nur einen Nachteil. Unter dem abstrakten Begriff »Umlageverfahren« können sich nur wenige etwas vorstellen. So bleibt dieses grandios erfolgreiche Modell der Finanzierung des Sozialstaats vielen Bürgern ein Rätsel. Dabei handelt es sich um die simple wie geniale Idee, die Renten für die Alten und Kranken in einer Gesellschaft direkt und ohne Umweg aus dem Einkommen der Beschäftigten zu bezahlen: Vom Lohn werden direkt Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag an die Deutsche Rentenversicherung überwiesen. Dort wird die Zahlung gut geschrieben, aber es folgt kein Ansparprozess, keine Verzinsung. Das Geld der Beitragszahler wird praktisch umgehend an die Rentner weitergeleitet oder »umgelegt«, deshalb Umlageverfahren.

Natürlich gibt es eine kleine Notreserve von rund einer Monatsausgabe, damit die Auszahlung auch wirklich sichergestellt ist.1 Das hat seit der Einführung des Umlageverfahrens vor 60 Jahren ohne eine einzige Panne funktioniert. Auch die SPD-Politikerin Leni Breymaier ist ein Fan des Umlageverfahrens: »Es ist ehrlich, ergiebig und effizient. Die gesetzliche Rentenversicherung hat alleine die Aufgabe, Beiträge einzunehmen und Renten und Reha-Leistungen zu finanzieren. Niemand verdient privat daran«, stellt die frühere ver.di-Chefin von Baden-Württemberg fest: »Was kann es Besseres geben?«

Ohne das Erfolgsmodell der Umlagefinanzierung hätte der Neustart der Rente im Jahr 1957 auf wesentlich höherem Leistungsniveau niemals gelingen können. Ohne die Umlage hätten Millionen ostdeutsche Rentner nach der Vereinigung von BRD und DDR in die Röhre geschaut. Die Umlage ermöglicht Zahlungen an Rentner, ohne dass diese zuvor in das System eingezahlt haben. Das klappt natürlich nur in sehr großen Gruppen. Und am besten klappt es dann, wenn die gesamte Gesellschaft einbezogen wird, wenn also alle leistungsfähigen Mitglieder des Staates mit ihren Beiträgen für die Bedürftigen einstehen. Der Charme liegt nicht allein darin, dass kein langer Vorlauf benötigt wird, um einen Kapitalstock aufzubauen. Es ist zudem ein erstaunlich flexibles und sicheres Verfahren. Da das Geld nicht angelegt wird, können ihm keine Wirtschaftskrise und kein Bankencrash etwas anhaben. Die Inflation ist nahezu kein Problem, und auch die gegenwärtige Niedrigzinspolitik trifft ein umlagefinanziertes Rentensystem im Gegensatz zu privaten Lebens- und Rentenversicherungen nicht. Es gibt schlicht kein Kapital, das sich verzinsen müsste. Die Rendite, wenn man so will, liegt in den Lohnsteigerungen der Einzahler. Die Rentner profitieren dynamisch von den Lohnerhöhungen der Beschäftigten. Mehr Lohn sorgt bei gleichem Beitragssatz für mehr Einnahmen, und die ermöglichen direkt höhere Renten. So stieg das durchschnittliche Jahresarbeitseinkommen der Versicherten von 1957 bis 2017 von 2 578 Euro auf 37 103 Euro brutto.2 Die Standardrente wuchs im selben Zeitraum von 1 478 Euro brutto pro Jahr auf 16 756 Euro an.3

Das zeigt sowohl die enorme Anpassungsfähigkeit des Systems als auch die Tatsache, dass die Rentenerhöhungen langfristig nicht ganz mit den Lohnerhöhungen mithalten konnten. Ein Systemfehler in der Umlage ist das allerdings nicht, vielmehr ist das die Folge von politisch gewollten Leistungskürzungen in der Rente. Es ist also kein Widerspruch, wenn wir hier das hohe Lied auf die Umlage singen und gleichzeitig feststellen, dass das Gesamtsystem Rente immer schlechter funktioniert. Spätestens seit der Riester-Reform 2001 wurde das Wachstum der Renten ganz bewusst vom Wachstum der Löhne abgekoppelt. Die Renten steigen seitdem langfristig ein Drittel langsamer als die Löhne – und private Vorsorge soll das ausgleichen, so das Kalkül.

Das war keineswegs alternativlos, wie Professor Winfried Schmähl nicht müde wird zu betonen: »Ökonomisch hätte man das damalige Leistungsniveau unverändert halten können«, erklärt der langjährige Vorsitzende des Sozialbeirates der Bundesregierung, »es war aber politisch nicht gewollt. Und das gilt bis heute.« Da stellt sich natürlich die Frage: Weshalb wird eine ökonomisch machbare und erfolgreiche Rentenpolitik aufgegeben? Auch darauf hat der wohl profilierteste Kenner des deutschen Rentensystems eine klare Antwort: »Man wollte damals der privaten Vorsorge und damit den Interessen der Finanzwirtschaft zum Durchbruch verhelfen. Bei alldem wurden die angeblichen Interessen der jungen Generation in den Mittelpunkt gerückt. In Wahrheit ging es von Beginn an sehr viel mehr um die Interessen der Arbeitgeber an niedrigen Beitragssätzen und der Finanzwirtschaft an einem neuen Geschäftsfeld.«

Mit dieser Kritik hielt Schmähl schon damals nicht hinterm Berg. Und bekam prompt die Quittung: Rentenminister Walter Riester (SPD) feuerte ihn kurzerhand aus dem Sozialbeirat und ersetzte ihn im Jahr 2000 durch einen engagierten Politikberater: Prof. Bert Rürup. Ein bis heute einmaliger Vorgang, der immer noch nachwirkt. Denn die Altersvorsorge wurde schon ein Jahr später teilprivatisiert und durch ein Mischsystem ersetzt, das die Handschrift von Bert Rürup trägt. Auch heute noch hat er in der Rentenpolitik maßgeblichen Einfluss auf die Bundesregierung. Als »man for all seasons« wurde Bert Rürup Anfang 2017 auf der Rentenfachtagung »Rente mit Zukunft?« der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Köln vorgestellt.4 In den Räumen des Theaters Comedia Colonia präsentierten sich hochkarätige Experten den 150 sehr interessierten Zuhörern, überwiegend aktive Betriebs- und Personalräte. Bei der Vorstellung von Bert Rürup formulierte Moderator Thomas Leif dessen Bedeutung: »Frau Nahles hängt an Ihren Lippen.« Rürup widersprach nicht. Seine zentrale Idee damals wie heute: ein Mischsystem aus umlagefinanzierter und kapitalgedeckter Altersvorsorge. Tatsächlich folgt ihm die Ministerin darin bis heute.

Wir blenden noch einmal zurück in die Zeit um die Jahrtausendwende: Rot-Grün war an die Macht gekommen und Kanzler Gerhard Schröder hatte vollkommen überraschend Walter Riester zum Rentenminister gemacht. Der Schwabe Riester war seit jeher ein Freund des privaten Sparens. Er bekam den Auftrag, die gesetzliche umlagefinanzierte Rente zu beschneiden und dafür den Anteil der privaten Vorsorge deutlich auszubauen. Schröder war zu diesem Zeitpunkt bereits Teil der »Hannover-Connection«, zu der auch Carsten Maschmeyer, der Gründer des umstrittenen Strukturvertriebs AWD, gehörte. »Maschi«, wie ihn gute Freunde nennen, sah sich und seine Mitarbeiter, wie er selbst verkündete, »auf einer Ölquelle sitzen«.5 Und Kanzler Schröder war sich nicht zu schade, auf einer AWD-Veranstaltung die dort versammelten Drückerkolonnen aufzupeitschen: »Sie als AWD-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen erfüllen eine staatsersetzende Funktion. Sichern Sie die Rente Ihrer Mandanten, denn der Staat kann es nicht. Private Vorsorge lautet das Gebot der Stunde!«6

Es herrschte Goldgräberstimmung und die Bundesregierung verkündete das sogenannte »Drei-Säulen-Modell« als neues Dogma der Altersvorsorge: Neben der gesetzlichen Rente sollte als zweite Säule die Betriebsrente und als dritte Säule die private Altersvorsorge stehen. Was Schröder, Riester und – stellvertretend für die Finanzbranche – Maschmeyer damals installierten, war der Gegenentwurf zur umlagefinanzierten gesetzlichen Rente: die sogenannte »kapitalgedeckte Altersvorsorge«. Kritiker wie Winfried Schmähl schlagen vor, diesen Terminus durch »vom Kapitalmarkt abhängige Altersvorsorge« zu ersetzen. Darunter fallen die vielen Spielarten der Riester- und Rürup-Renten, aber auch die anderen Rentenprodukte der Lebensversicherer und schließlich die neuen Betriebsrenten, die letztlich in Form der sogenannten »Entgeltumwandlung« meist auch von Lebensversicherungen organisiert werden (siehe Kapitel 5). In all diesen Fällen soll Geld über Jahrzehnte angelegt werden, etwa in Wertpapieren, Aktien oder Immobilien. Die Befürworter dieses Konzepts erwecken gerne den Eindruck, nur diese private Vorsorge schaffe Werte und Sicherheit. Die umlagefinanzierte Rente hingegen lebe von der Hand in den Mund.

Man könnte erwidern: Und das ist auch gut so! Denn im herkömmlichen Sinne sparen muss die Umlage nicht. Ihr »Spartopf« ist das jährlich wachsende Sozialprodukt, das jedes Jahr für die Renten angezapft wird in Form von Beiträgen und Steuern. Anders bei der vom Kapitalmarkt abhängigen Altersvorsorge: Was hier am Ende für den Sparer rauskommt, ist höchst unsicher.7 Sicher ist hingegen, dass bereits mit den ersten Einzahlungen erhebliche Einnahmen für die Betreiber und Verkäufer dieses neuen Konzepts fließen: für Versicherungen, Banken und Investmentgesellschaften.8

Was ist seit dem Schröder-Riester-Coup von 2001 passiert? Es wurden rund 120 Millionen solch privater Verträge allein bei den Unternehmen der deutschen Lebensversicherungswirtschaft abgeschlossen.9 Viele davon sind schon wieder gekündigt, weil die Kunden unzufrieden waren oder sich die Verträge nicht mehr leisten konnten.

Die Einnahmen der Branche betragen im Lebensversicherungsbereich jährlich rund 90 Milliarden Euro. Auch die Gewinne können sich sehen lassen. Der Roherlös liegt Jahr für Jahr zwischen 15 und 20 Milliarden Euro.10 Und Marktführer Allianz schüttete in den vergangenen Jahren regelmäßig Rekorddividenden aus. Kein Wunder also, dass eine Rentenpolitik, die solche Ergebnisse massiv begünstigt, viele Kritiker hat. Einige nutzten die bereits erwähnte Kölner Rentenfachtagung im Januar 2017 als Forum. »Die kapitalmarktabhängige Altersvorsorge«, urteilte der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Butterwegge, »führt einzig und allein dazu, dass die Gewinne von Banken, Versicherungen und anderen Finanzdienstleistern steigen. Es ist höchste Zeit, diesen Irrweg zu verlassen.« Dem konnte die frühere DGB-Vize-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer nur zustimmen: »Von einem derartigen Drei-Säulen-Modell in der Altersversorgung profitiert vor allem die Finanzwirtschaft. Diese sogenannte Rentenreform von Schröder, Riester, Maschmeyer und Rürup darf nicht mehr länger die Rentenpolitik bestimmen. Das muss dringend korrigiert werden.«

Wie sinnvoll eine Rückbesinnung auf die umlagefinanzierte Rente wäre, zeigt der Systemcheck: Was kann die Umlage besser als die neue private Altersvorsorge à la Riester?

Sicherheit

Spricht man heute mit jungen Menschen, so hat das Zutrauen in die gesetzliche Rente offenbar schwer gelitten. Viele bezweifeln rundheraus, dass sie später überhaupt noch etwas zu erwarten hätten. Aus rätselhaften Gründen vertraut die junge Generation Allianz & Co. mehr als der gesetzlichen Rentenkasse. Vielleicht liegt es daran, dass diese Generation die gesetzliche Rente nur als ein System in der Defensive kennengelernt hat, schlecht geredet von den Lobbyisten der privaten Finanzwirtschaft und geprägt von immer neuen Kürzungsplänen und Krisenszenarien.

Dabei sprechen die Fakten für das genaue Gegenteil: Die umlagefinanzierte gesetzliche Rente ist im Vergleich nachweislich das effektivere und sicherere Altersvorsorgesystem. Offenkundig ist, dass die Niedrigzinsphase derzeit das private Sparen ungemein erschwert. Und wer – wie allseits empfohlen – in spekulative Anlagen geht, konnte beobachten, wie allein in jüngster Vergangenheit zwei Finanzcrashs die Depots zum Schmelzen gebracht haben. Zwar haben sich viele Anlagen (längst nicht alle!) in den Jahren darauf wieder erholt, doch das kann der nächste Crash wieder zunichtemachen. Sicherheit sieht anders aus. Ganz anders die vermeintlich »altmodische« umlagefinanzierte Rente. Sie hat gerade in den Krisenjahren 2002 und 2008 ihre Verlässlichkeit bewiesen, auch in diesen Jahren sind ihre Einnahmen und Ausgaben beständig gestiegen. Kein Rentner muss eine Kürzung seiner laufenden Rente befürchten, das ist sogar gesetzlich verboten. Die gesetzliche Rente erweist sich somit gerade in Krisenjahren auch als Stabilisator der Binnennachfrage.

Im Ausland kollabierten hingegen zahlreiche private Pensions­fonds und in Ländern wie Chile, das 1981 sein System komplett auf Kapitaldeckung umgestellt hatte, gingen 2016 regelmäßig Hunderttausende auf die Straße und forderten die Rückkehr zur umlagefinanzierten Rente.11 Die angeblich so effizienten Pensionsfonds sorgen inzwischen für massive Altersarmut.

In Deutschland ging bislang erst ein Lebensversicherer pleite. Die Mannheimer Lebensversicherung AG musste vom brancheneigenen Sicherungsfonds »Protektor« aufgefangen werden. Doch dieses Netz wäre nicht in der Lage, die Ansprüche und Anrechte der Kunden zu erfüllen, wenn ein echtes Branchenschwergewicht in die Knie gehen würde. Das kapitalmarktabhängige Sparen liefert eben keine Sicherheit, sondern nur ein Versprechen. Was dieses wert ist, zeigt sich erst im Jahr der Auszahlung. Die für die Altersvorsorge angelegten Finanzvermögen sind zunächst einmal nichts anderes als die Schulden derjenigen, welche die entsprechenden Wertpapiere ausgegeben haben. Das können Staaten, Unternehmen oder Immobilienfonds sein. Wenn diese in einer Krise nicht mehr in der Lage sind, die anfallenden Zinsen und Rückzahlungen zu leisten, schauen die Sparer in die Röhre. Die Finanzanlagen sind im schlimmsten Falle nichts mehr wert.12

Dass Versprechen keine Garantien sind, erfahren viele Kunden bereits heute: Regelmäßig werden bei privaten Renten- und Lebensversicherungen die zuvor versprochenen Schlussüberschüsse und Beteiligungen an den Bewertungsreserven urplötzlich im Schlussjahr gestrichen. Völlig legal. Und die Prognosen, mit denen die Kunden bei Vertragsschluss geködert werden, sind offenbar nicht den berühmten Schuss Pulver wert. Der Branchendienst map-report ermittelte, dass praktisch keine Lebensversicherung auch nur annähernd ihre Versprechungen gehalten hat.13 Und die laufende Überschussbeteiligung ist seit Jahren im Sturzflug. Viele ältere Verträge bekommen schon lange keine Überschüsse mehr zugeteilt.14

Sogar die zugesagten Garantieleistungen sind nicht wirklich sicher. Falls ein Unternehmen Zahlungsprobleme bekommen sollte, darf es auch fest zugesagte Leistungen kürzen.15

Nicht gefeit sind die kapitalmarktabhängigen Systeme auch gegen die Inflation. Als während der Weimarer Republik die Hyperinflation wütete, lösten sich die Ansprüche der Lebensversicherten praktisch in Luft auf. Das war ein Hauptgrund, weshalb sich der Bundestag in der Rentenreform 1957 für die umlagefinanzierte Finanzierung als inflationssicheres und krisenresistentes Modell entschied. Die umlagefinanzierte Rente kann schlicht nicht pleitegehen.

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