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Wie gesund ist vegane und plant-based Ernährung? Alles, was Sie über gesundes Essen wissen müssen. Immer mehr Menschen ernähren sich vegan oder vegetarisch und der Hype um Plant-based ist groß. Doch was ist wirklich dran an diesem Trend und gibt es gesundheitliche Risiken? In "Die 30 größten Plant-based Ernährungsmythen" analysiert der bekannte Ernährungswissenschaftler Dr. Malte Rubach die meistdiskutierten Mythen, Halbwahrheiten und Irrtümer, die diese weit verbreitete Ernährungsform umgeben. - Ist pflanzliches Protein minderwertig? - Verursacht Soja tatsächlich Brustkrebs? - Kann ich meine Kinder bedenkenlos vegan ernähren? Diesen und weiteren Fragen geht Rubach auf den Grund und erklärt wissenschaftlich fundiert und mit leicht zugänglicher Sprache die Vor- und Nachteile einer pflanzenbasierten Ernährung. All jene, die sich für vegane oder vegetarische Ernährung interessieren oder noch ihre Zweifel haben, können mithilfe dieses Buches endlich sicher und eigenständig Entscheidungen über ihre Ernährung treffen. Gleichzeitig bietet es allen Menschen, die bereits eine pflanzenbasierte Ernährungsweise in ihren Lebensstil integrieren, einen wertvollen Überblick über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. So leben Sie gesund!
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Seitenzahl: 238
Veröffentlichungsjahr: 2024
Malte Rubach
Warum Veganer nicht immer recht haben, aber manchmal eben doch
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Wie gesund ist vegane und plant-based Ernährung? Alles, was Sie über gesundes Essen wissen müssen.
Immer mehr Menschen ernähren sich vegan oder vegetarisch und der Hype um Plant-based ist groß. Doch was ist wirklich dran an diesem Trend und gibt es gesundheitliche Risiken? In »Die 30 größten Plant-based Ernährungsmythen« analysiert der bekannte Ernährungswissenschaftler Dr. Malte Rubach die meistdiskutierten Mythen, Halbwahrheiten und Irrtümer, die diese weit verbreitete Ernährungsform umgeben.
Ist pflanzliches Protein minderwertig?
Verursacht Soja tatsächlich Brustkrebs?
Kann ich meine Kinder bedenkenlos vegan ernähren?
Diesen und weiteren Fragen geht Rubach auf den Grund und erklärt wissenschaftlich fundiert und mit leicht zugänglicher Sprache die Vor- und Nachteile einer pflanzenbasierten Ernährung.
All jene, die sich für vegane oder vegetarische Ernährung interessieren oder noch ihre Zweifel haben, können mithilfe dieses Buches endlich sicher und eigenständig Entscheidungen über ihre Ernährung treffen. Gleichzeitig bietet es allen Menschen, die bereits eine pflanzenbasierte Ernährungsweise in ihren Lebensstil integrieren, einen wertvollen Überblick über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse.
So leben Sie gesund!
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
Vorwort
Einleitung
Teil 1 – Die zehn größten »anti plant-based«-Mythen
Mythos 1 – Pflanzenbasierte Nahrung liefert zu wenige Nährstoffe
Mythos 2 – Pflanzliches Protein ist minderwertig
Mythos 3 – Soja verursacht Brustkrebs und verweiblicht Männer
Mythos 4 – Soja ist schlecht für die Schilddrüse
Mythos 5 – Vegane und vegetarische Fertiglebensmittel sind ungesund
Mythos 6 – Pflanzenbasierte Ernährung verursacht Verdauungsbeschwerden
Mythos 7 – Vegetarische und vegane Ernährung sind nichts für Schwangere und Stillende
Mythos 8 – Vegetarische und vegane Ernährung sind nichts für Kinder und Jugendliche
Mythos 9 – Vegane und vegetarische Ernährung fördern Essstörungen
Mythos 10 – Vegane und vegetarische Ernährung machen depressiv
Teil 2 – Die zehn größten »pro plant-based«-Mythen
Mythos 11 – Pflanzenbasierte Ernährung schützt vor Krebs
Mythos 12 – Pflanzenbasierte Ernährung schützt vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Mythos 13 – Pflanzenbasierte Ernährung schützt vor Diabetes mellitus Typ 2
Mythos 14 – Pflanzenbasierte Ernährung schützt besser vor Übergewicht
Mythos 15 – Pflanzenbasierte Ernährung macht auch starke Knochen
Mythos 16 – Pflanzliche Lebensmittel helfen gegen Übersäuerung
Mythos 17 – Pflanzenfette sind immer die besseren Fette
Mythos 18 – Margarine ist gesünder als Butter
Mythos 19 – Pflanzendrinks sind gesünder als Tiermilch
Mythos 20 – Fleischersatz ist gesünder als echtes Fleisch
Teil 3: Zehn weitere populäre »plant-based«-Mythen
Mythos 21 – Der Mensch ist eigentlich ein Pflanzenfresser
Mythos 22 – Vegane und vegetarische Ernährung sind nur eine Frage der Prägung
Mythos 23 – Veganer und Vegetarier leben länger
Mythos 24 – Nur pflanzenbasierte Ernährung ist gesund und nachhaltig
Mythos 25 – Pflanzenbasierte Sporternährung – (k)ein Problem
Mythos 26 – Vegane Ernährung ist eintönig
Mythos 27 – Algen – das neue Superfood
Mythos 28 – Seitan, Quorn und Co. sind immer gut verträglich
Mythos 29 – Pflanzenbasierte Ernährung ist arm an Allergenen und verursacht kaum Intoleranzen
Mythos 30 – Lebensmittel mit V-Label sind gesünder
Fazit
Dank
Ernährung ist ein alltägliches Thema, denn jeder Mensch muss sich ernähren. Wer das Thema Ernährung auch über den eigenen Alltag hinaus verfolgt, wird in den letzten Jahren festgestellt haben, dass ein bestimmter Ernährungstrend die Debatte darüber, was eine gesunde und nachhaltige Ernährung eigentlich sein soll, dominiert: »plant-based«. Oder wie es auf Deutsch heißt: pflanzenbasierte Ernährung.
Für viele Menschen stehen dabei eine ganze Reihe von Fragen im Raum: Was heißt überhaupt pflanzenbasierte Ernährung? Wie pflanzenbasiert sollte die Ernährung denn sein, damit sie gesund und nachhaltig ist? Muss es vegane Ernährung sein oder wäre vegetarisch schon ausreichend? Und kann man überhaupt noch Milch trinken oder Fleisch essen? Oder was ist mit dem klassischen Frühstücksei?
Auf der anderen Seite stehen ebenso wichtige Fragen: Liefert pflanzenbasierte Ernährung nicht zu wenig Nährstoffe? Ist pflanzenbasierte Ernährung auch für Kinder geeignet? Bekomme ich mit Milch- und Fleischersatzprodukten tatsächlich die gleichen Nährstoffe wie durch tierische Lebensmittel? Und sind Sportler mit pflanzenbasierter Ernährung mehr oder weniger leistungsfähig?
Diese Fragen begegnen einem in der oftmals polarisierten Debatte über Ernährung. Dabei sollte Ernährung unkompliziert sein. Durch unsere M.R.EXPERT-Recherchereisen auf den unterschiedlichsten Kontinenten sind Marjorie Rubach und ich auf unzählige Weltanschauungen gestoßen. Diese definieren die Identität einer Gruppe und damit die (Ess-)Kultur ganzer Völker. Auch Geografie und (Land-)Wirtschaft bestimmen, wie sich ein Land ernährt oder ernähren kann. Müssen Menschen in Island also weniger Fisch konsumieren, um mehr pflanzenbasiert zu essen, obwohl es natürlicherweise eine ihrer Haupteiweißquellen ist? Ist der hohe Anteil vegetarischer Ernährung in Indien tatsächlich ein Indiz für bewusste Ernährung oder fehlt es dort schlicht an einem wichtigen Grundnahrungsmittel? Und sollten die Einwohner im ägyptischen Alexandria auf ihr traditionelles Frühstück mit Hühnerleber verzichten, wenn diese eine der wichtigsten Garanten für eine ausreichende Nährstoffversorgung ist?
Erlebnisse wie diese rufen uns immer wieder in Erinnerung, dass wir über den deutschen oder auch europäischen Tellerrand hinausblicken müssen, wenn es um Ernährung geht. Trends fokussieren sich oftmals auf einzelne Lebensmittelgruppen oder Nährstoffe, während die Menschheit schon immer alle ihr zur Verfügung stehenden Lebensmittel konsumiert hat, um überhaupt ausreichend Nährstoffe zu bekommen. Es kommt dabei weniger auf die Frage an, ob es pflanzliche oder tierische Lebensmittel sind, sondern dass wir bewusst konsumieren. Vor allem, wenn wir im Überfluss leben.
Ich wünsche viel Spaß beim Lesen!
Malte Rubach
Ernährungstrends in Deutschland und weit über die Grenzen hinaus kennen eigentlich nur noch einen Namen: »plant-based«. Oder übersetzt: »pflanzenbasierte Ernährung«. Das kann überwiegend pflanzliche Nahrungsmittel bedeuten, vegetarisch oder auch vegan. Letzteres umfasst dann den vollständigen Verzicht auf tierische Lebensmittel, während vegetarische Ernährung Fleisch und je nach Stilrichtung auch mal Fisch, Eier oder Milch ausschließt. Hersteller von veganen und vegetarischen Lebensmitteln nutzen die steigende Aufmerksamkeit seit einigen Jahren ebenfalls, um ihre Produkte massiv zu bewerben.
Für die Motivation, beim »plant-based«-Trend mitzumachen, werden zahlreiche Argumente formuliert. Obwohl es in erster Linie darum geht, Menschen den Einstieg in eine pflanzenbasierte Ernährungsweise zu erleichtern, reichen die Themen Tierwohl/Tierleid oder Tierrechte meist nicht aus, um teils radikale Ernährungsumstellungen wie bei veganer Ernährung attraktiv zu machen. Andere Vorteile pflanzenbasierter Ernährung finden deutlich mehr Gehör in der breiten Öffentlichkeit – selbst wenn diese sich nicht nur auf pflanzenbasierte Ernährung beschränken –, vor allem die Schonung der Umwelt und Vorteile für die Gesundheit. Zahlreiche Werbeversprechen zielen daher darauf ab, den Konsum der Produkte direkt als Maßnahme gegen den Klimawandel zu propagieren, oder sie verheißen eine Senkung von Gesundheitsrisiken wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 oder Krebs. Das Motto lautet: »Tu dir selbst und der ganzen Welt etwas Gutes, und nebenbei bist du auch kein Tierquäler.« Oder wie es Eckart von Hirschhausen1 gerne formuliert: »Klar ist: Mehr Pflanzen als Tiere zu essen, ist ein echter Verzicht. Ein Verzicht auf Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs.«
Vor allem in Zeiten weltbedrohender Krisen (z.B. Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg) werden viele Menschen zugänglicher als unter normalen Umständen. Mit dem eigenen Handeln kann jeder wenigstens ein bisschen was Gutes tun, lautet das Motto der Selbstwirksamkeit. Gut für mich, gut für alle, besser geht’s nicht.
Allerdings ist den meisten Menschen angesichts all der hochtrabenden Versprechen nicht bekannt, dass die Argumente für mehr Umweltschutz oder Gesundheitsprävention durch pflanzenbasierte Ernährung sich kaum von denen für jede andere ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung unterscheiden. Und die allerwenigsten wissen, dass pflanzenbasierte Ernährung in manchen Umwelt- und Gesundheitsbelangen sogar schlechter abschneiden kann.
Fakten, die teilweise erst in den letzten Jahren durch anerkannte wissenschaftliche Institutionen veröffentlicht wurden und dies belegen, finden aufgrund der starken medialen Dominanz veganer und vegetarischer Lobby-Vereine, Influencer und Hersteller von Ersatzprodukten kaum Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Auf der anderen Seite werden insbesondere der veganen, aber auch vegetarischer Ernährung oftmals negative Auswirkungen auf die Gesundheit und Umwelt nachgesagt, die ebenso differenziert betrachtet werden müssen.
In diesem Buch werden in kurzer und eingänglicher Form die häufigsten Mythen über pflanzenbasierte Ernährung unter die Lupe genommen. Ziel ist es, informierte Entscheidungen für oder gegen bestimmte Ernährungsweisen, Lebensmittel oder Umweltauswirkungen möglich zu machen und mehr Selbstsicherheit für den eigenen Ernährungsstil zu fördern. Das Beste aus beiden Welten könnte doch ein Weg sein, der für (fast) alle Menschen funktioniert, oder?
Teil 1
Das Thema Ernährung hat eine besondere Bedeutung für die gesellschaftliche Debatte: Jeder interessiert sich irgendwann einmal dafür, denn schließlich muss sich jeder Mensch ernähren, von Kindesbeinen an. Doch spätestens dann, wenn die meisten Menschen in ein höheres Alter kommen, wenn körperliche Zipperlein oder auch ernsthafte gesundheitliche Probleme stärker in den Blick rücken, erhält die eigene Ernährung plötzlich eine sehr individuelle Bedeutung. In jüngeren Jahren sind es zwar eher andere Beweggründe wie z.B. das eigene Körperbild, der Klimawandel oder der Umgang mit Tieren in der Landwirtschaft, die zum Nachdenken über die eigene Ernährung anregen, aber sie führen oftmals zu demselben Ergebnis: Eine pflanzenbasierte Ernährung bringe viele Vorteile auf einen Schlag mit sich. Schließlich werden durch weniger Konsum tierischer Lebensmittel auch weniger Tiere gehalten oder getötet, und es entstehen rein rechnerisch auch weniger Umweltfolgen. Obendrein soll eine pflanzenbasierte Ernährung auch noch gesünder sein und pflanzenbasierte Ernährung kann beim Gewichtsmanagement helfen. Was spricht also dagegen?
Die Auswirkungen unserer Ernährung auf die Umwelt und das Klima hängen selbstverständlich nicht von uns allein ab, die eigene Gesundheit sollte aber doch direkt profitieren können. So ist es auch zu erklären, dass die Gesundheit direkt nach Geschmack, Tierschutz und Umwelt/Klima die häufigste Motivation für eine vegetarische oder vegane Ernährung ist2. Doch es gibt einen entscheidenden Nachteil pflanzenbasierter Ernährung: Sobald ein Lebensmittel wie Fleisch oder sogar alle tierischen Lebensmittel ausgeschlossen werden, steigt das Risiko für einen Nährstoffmangel. Gleiches gilt natürlich auch, wenn einfach insgesamt weniger tierische Lebensmittel gegessen werden. Außerdem existieren auch über pflanzliche Lebensmittel wie Soja oder pflanzliches Eiweiß diverse Gesundheitsmythen. Das verunsichert verständlicherweise viele Menschen, die sich für eine pflanzenbasierte Ernährung entscheiden. Was ist also dran, und wie kann es richtig funktionieren? Zeit, einigen Mythen über pflanzenbasierte Ernährung auf den Grund zu gehen.
Mythos 1
Um zu verstehen, was pflanzenbasierte Ernährung ist, macht es Sinn, diesen Begriff erst einmal zu definieren. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung3 (DGE) sagt dazu, dass eine pflanzenbasierte Ernährung zu einem großen Anteil aus Lebensmitteln pflanzlicher Herkunft besteht, sie machte aber bisher keine Angaben darüber, wie hoch der Anteil pflanzlicher Lebensmittel sein sollte. Eine Ernährung nach den alten Empfehlungen4 der DGE entspräche allerdings einer pflanzenbasierten Ernährung, so die Fachgesellschaft, die in Deutschland offiziell definiert, was eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung ist.
Schaut man direkt in den früheren Empfehlungen5 nach, welche Mengen einzelner Lebensmittelgruppen täglich verzehrt werden sollten, dann wären dies etwa 63 Prozent pflanzliche Lebensmittel, sagen wir also grob, mehr als 60 Prozent. Seit März 2024 empfiehlt die DGE einen Anteil von mindestens 75 Prozent pflanzlicher Lebensmittel. Stellt man eine zu 100 Prozent pflanzenbasierte Ernährung dagegen, also eine vegane Ernährung, dann ist zwischen 60 Prozent und 100 Prozent pflanzlichen Lebensmitteln also eine ganze Menge an unterschiedlichen Varianten möglich.
Dazu zählt dann selbstverständlich auch eine vegetarische Ernährung, bei der Fleisch und Fleischprodukte rausfallen, aber Milch und Milchprodukte sowie Eier und in einer Variante auch Fisch und Meeresfrüchte gegessen werden. Auch die sogenannte flexitarische Ernährung ist eine pflanzenbasierte Ernährung, selbst wenn dabei ein- bis maximal dreimal pro Woche Fleisch in geringen Mengen konsumiert wird.
Sieht man sich nun an, wie hoch laut der Welternährungsorganisation FAO6 der Versorgungsgrad der gesamten Bevölkerung in Deutschland mit pflanzlichen Lebensmitteln inklusive Getränke auf Basis pflanzlicher Rohstoffe ist, dann liegt dieser bei 65 Prozent. Wir haben also faktisch in Deutschland bereits eine pflanzenbasierte Ernährung, die auch im Großen und Ganzen kein Risiko für einen Nährstoffmangel begründet. Jedenfalls nicht in einem besorgniserregenden Maße.
Laut dem 12. Ernährungsbericht der DGE7 erreichen wir in Deutschland mit dem gegenwärtigen Ernährungsmuster im Durchschnitt die Zufuhrempfehlungen für die meisten Vitamine und Mineralstoffe. Zufuhrempfehlungen für Nährstoffe sollten dabei nicht mit dem Nährstoffbedarf verwechselt werden, der notwendig ist, um sämtliche Funktionen des Körpers aufrechtzuerhalten8. Aus Studien kann ein durchschnittlicher Nährstoffbedarf ermittelt werden, mit dem rechnerisch 50 Prozent der Bevölkerung ausreichend versorgt wären. Die Zufuhrempfehlung enthält dagegen nochmals einige Sicherheitszuschläge, die ausreichend hoch sind, um den Bedarf möglichst aller gesunden Menschen zu decken. Damit wird berücksichtigt, dass nicht jeder Mensch jeden Tag genau die Menge an Nährstoffen aufnimmt, die für die Deckung des Nährstoffbedarfs notwendig wäre, da die meisten Menschen keinem ausgeklügelten Ernährungsplan folgen, sondern nach Lust und Laune essen. Wenn also die Zufuhrempfehlungen trotzdem mit dem gängigen Ernährungsmuster erreicht werden, dann spricht das insgesamt für eine mehr als ausreichende Versorgung mit Nährstoffen. Die Daten der DGE sind zwar bald schon zwanzig Jahre alt, doch aktuellere Studien zeigen, dass sich das Ernährungsmuster in Deutschland trotz aller Trends zum Veganismus und Vegetarismus nicht maßgeblich geändert hat9. Als Nährstoffe mit potenzieller Mangelversorgung werden im Ernährungsbericht der DGE dennoch genannt: Folsäure, Kalzium, Jod und bei Frauen Eisen.
Und an dieser Stelle gerät auch das tatsächliche oder angebliche Mangelrisiko pflanzenbasierter Ernährung in den Blick, wenn wir uns nämlich ansehen, durch welche Lebensmittel in der deutschen Ernährung wir am meisten von genau diesen Nährstoffen aufnehmen10: Hauptquellen für Folsäure in der deutschen Ernährung sind Gemüse, Brot, Obst- und Gemüsesäfte, Milch und Milcherzeugnisse sowie ganzes Obst. Mit mehr pflanzlichen Lebensmitteln ließe sich die Zufuhr also gut steigern, sodass die Versorgung im Durchschnitt der Bevölkerung verbessert würde. Bei den anderen Nährstoffen sieht es dagegen umgekehrt aus. Milch und Milchprodukte liefern 43 Prozent des Kalziums in unserer Ernährung, gefolgt von alkoholfreien Getränken, die Kalzium enthalten, und, wer hätte das gedacht: Süßwaren. Kalzium ist in manchen Zutaten und Zusatzstoffen enthalten, sodass verarbeitete Lebensmittel tatsächlich eine Kalziumquelle sein können. Unser Jod stammt zu 23 Prozent aus Milch und Milchprodukten, zu 18 Prozent aus alkoholfreien Getränken, zu 16 Prozent aus Fisch und Fischprodukten und zu immerhin zehn Prozent aus alkoholischen Getränken. Das Eisen in unserer Ernährung stammt mit 22 Prozent hauptsächlich aus Fleisch und Fleischprodukten. Brot liefert noch mal 21 Prozent, alkoholfreie Getränke 13 Prozent. Alle anderen Lebensmittelgruppen liegen bei sämtlichen hier betrachteten Nährstoffen nur im einstelligen Prozentbereich.
Eines ist damit klar: Wenn bereits bei unserem derzeitigen Ernährungsmuster manche Menschen ein Mangelrisiko für diese Nährstoffe haben und wenn gleichzeitig zu den Hauptquellen für diese Nährstoffe Milch und Fleisch gehören, dann erhöht sich das Risiko für einen Mangel weiter, sobald diese Lebensmittel teilweise oder gänzlich vom Speiseplan verschwinden.
Nehmen wir zum Beispiel bei vegetarischer Ernährung Fleisch und Fleischwaren aus der Liste der verfügbaren Lebensmittel heraus, dann müssen dafür andere Lebensmittel pflanzlicher oder auch tierischer Art einen Ausgleich schaffen. Das gilt neben Eisen auch für Vitamin A, Vitamin B1, Vitamin B2, Vitamin B3, Vitamin B6, Vitamin B12, Pantothensäure, Zink und generell Protein. Alle diese Nährstoffe werden zwischen zehn und 25 Prozent durch den Verzehr von Fleisch und Fleischwaren aufgenommen. Vegetarische Ernährung bietet mit Milch und Milchprodukten, Eiern und Fisch Alternativen zum Fleisch an, die zusammen mit Vollkorngetreide und Hülsenfrüchten einen Ausgleich schaffen können. Die Ernährung muss dazu allerdings bewusst geplant werden, und es sollte ein Basiswissen über die Nährstoffzusammensetzung von Lebensmitteln vorhanden sein. Einfach nach Lust und Laune zu essen, ist dann nur noch eingeschränkt möglich.
Noch schwieriger, wenn auch nicht unmöglich, wird es bei einer rein pflanzlichen Ernährung, also der veganen Ernährung. Hier fallen neben Fleisch auch noch Milch, Eier und Fisch weg. Damit ist die für die vegetarische Ernährung gut besetzte Ersatzbank nährstoffreicher tierischer Lebensmittel leer, und sämtliche Nährstoffe müssten nun über pflanzliche Lebensmittel zugeführt werden. Außer den schon genannten Nährstoffen betrifft dies zusätzlich Kalzium, Jod und Biotin sowie Vitamin D. Letzteres wird zwar vor allem vom Körper selbst gebildet, dafür muss aber die Sonne scheinen und ein ausreichender Aufenthalt im Freien zur Lebensweise gehören. Und vor allem: Die Ernährung muss genau geplant werden, denn ohne Weiteres lassen sich nicht alle Nährstoffe in ausreichender Menge durch pflanzliche Lebensmittel aufnehmen. Vitamin B12 muss sogar durch Nahrungsergänzungsmittel eingenommen werden, da es in pflanzlichen Lebensmitteln bis auf sehr geringe Mengen in fermentierten Gemüsen gänzlich fehlt. Zwar lassen sich durch die Hinzunahme spezieller Lebensmittel wie mancher Algen oder angereicherter Öle und die Steigerung des Verzehrs an Getreide, Nüssen, Samen und Hülsenfrüchten einige Nährstoffe wie Eisen, Jod oder einige B-Vitamine bis zu einem gewissen Grad in ihrer Zufuhr steigern, allerdings verlangt das auch eine sehr gezielte Auswahl von Lebensmitteln und Zutaten. Zudem enthalten pflanzliche Lebensmittel Nährstoffe wie Eisen oder Kalzium nicht in der gleichen bioverwertbaren Form, die in tierischen Lebensmitteln enthalten ist. Die Aufnahme der Nährstoffe über den Darm in den Körper findet daher nicht mit der gleichen Ausbeute statt. Zusätzlich sind in pflanzlichen Lebensmitteln noch sogenannte Antinutritiva (Antinährstoffe) vorhanden, womit Substanzen gemeint sind, die eine Hemmung der Nährstoffaufnahme im Darm bewirken. Durch diese zwei Faktoren ist die Verfügbarkeit von Nährstoffen aus pflanzlichen Lebensmitteln also insgesamt geringer als aus tierischen Lebensmitteln. Im Umkehrschluss muss mehr davon gegessen werden, um auf die gleiche Ausbeute an Nährstoffen zu kommen, was zur Herausforderung werden kann, sowohl bei der Planung und Umsetzung der Mahlzeiten als auch in Bezug auf die individuelle Verdauung.
Und als wäre das noch nicht genug, kommt noch eine weitere Einschränkung hinzu: Das pflanzliche Protein enthält zwar sämtliche für den menschlichen Körper notwendigen essenziellen Aminosäuren (die Bausteine der Proteine), jedoch wiederum nicht in den Mengen, die in tierischem Protein vorkommen. Auch hier muss also durch die richtige Kombination pflanzlicher Proteine und die entsprechende Menge ein Ausgleich geschaffen werden (mehr dazu im nächsten Kapitel). Neben der Proteinqualität sind auch mehrfach ungesättigte Fettsäuren (Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure) ein möglicher Mangelfaktor, da diese nur in Fischöl beziehungsweise -fett vorkommen. Der komplette Verzicht auf tierische Lebensmittel begründet also zwangsweise eine sehr gute Planung der Ernährung und setzt ein hohes Maß an Ernährungswissen sowie die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln voraus.
Nachdem wir uns die drei großen Ernährungsmuster angesehen haben, können wir folgendes Fazit ziehen: Wir ernähren uns in Deutschland bereits weitestgehend pflanzenbasiert, und im Durchschnitt ist die Bevölkerung mit wenigen Ausnahmen gut mit Nährstoffen versorgt. Das Risiko für einen Mangel ist gering bis nicht vorhanden. Eine rein pflanzenbasierte Ernährung wie die vegane Ernährung birgt hingegen ein großes Risiko für einen Nährstoffmangel, wenn sie nicht bewusst geplant wird und keine Nahrungsergänzung zum Einsatz kommt. Für manche Bevölkerungsgruppen, z.B. Kinder, Jugendliche, Schwangere, ältere Menschen oder Sportler, ist diese Ernährungsweise daher mit einem erhöhten gesundheitlichen Risiko verbunden. Dazwischen liegen die vegetarische und die flexitarische Ernährung; beide sind in höherem Maße pflanzenbasierter als unsere derzeitige Standard-Ernährungsweise und lassen sich ohne großes Risiko für einen Nährstoffmangel umsetzen (ob für alle Menschen inklusive Kindern, Jugendlichen, Schwangeren und älteren Menschen wird in weiteren Kapiteln besprochen). Eine pflanzenbasierte Ernährung liefert also nicht zu wenig Nährstoffe, solange tierische Lebensmittel nicht vollständig vom Speiseplan verschwinden und die Ernährung bewusst geplant wird.
Mythos 2
Proteine sind die Baustoffe des Lebens. Das ist keine Übertreibung, denn jedes Lebewesen im Tierreich besteht zu einem großen Teil aus Protein, und selbst Pflanzen, Bakterien und Pilze kommen nicht ohne diesen Baustoff aus. Jeder Organismus hat einen Stoffwechsel, der auf der Arbeit und der spezifischen Funktionsweise vieler Proteine basiert, der Enzyme. Außerdem bestehen Strukturen wie Muskeln und Bindegewebe aus Proteinen. Das Gleiche gilt für unser Immunsystem sowie Haut, Haare und Nägel. Proteine sind also unentbehrlich, nur können wir Menschen sie nicht einfach so selbst bilden, denn für Proteine braucht es Stickstoff. Nun kommt Stickstoff natürlicherweise und in großen Mengen in unserer Atemluft vor; diese besteht zu 80 Prozent aus Stickstoff. Allerdings atmen wir Stickstoff nur ein und aus, unser Körper kann ihn nicht festhalten. Pflanzen haben hingegen in Kombination mit bestimmten Bodenbakterien die Fähigkeit entwickelt, Stickstoff aus der Luft zu holen, und somit steht die Grundzutat für die Bildung von Proteinen bereit. Ein weiterer Weg ist die Nutzung von Stickstoffdünger, der den Pflanzen auch ohne die Zuarbeit von Bakterien ausreichend Stickstoff direkt im Boden zur Verfügung stellt.
Auf welchem Weg auch immer, der Mensch und letztlich auch sämtliche anderen Tiere können den Stickstoff nur über pflanzliche Nahrung aufnehmen, deren Proteine dann während der Verdauung in ihre Bestandteile, die Aminosäuren, zerlegt werden und dem Körper anschließend für Aufbau eigener Proteine zur Verfügung stehen. So sieht es zumindest für reine Pflanzenfresser aus. Reine Fleischfresser profitieren von pflanzlichen Proteinen indirekt, denn das Fleisch, das sie essen, stammt zwangsläufig von anderen Tieren oder Organismen, die sich entweder von Pflanzen ernähren oder aber wiederum von anderen Tieren … und so weiter. Irgendwo in dieser Nahrungskette kommen unweigerlich Pflanzen ins Spiel.
Mischköstler wie der Mensch können pflanzliche und tierische Proteinquellen aller Art nutzen, bei anderen Tieren vollzieht sich die Nutzung auf dem eben beschriebenen Umweg. Letztlich ist aber das gesamte Ernährungssystem per se pflanzenbasiert.
Wenn das so ist, so die Logik mancher Verfechter der veganen Ernährung, dann können wir Menschen die Pflanzen ja auch direkt essen und die Zwischenstation Tier einsparen. Auf diese Weise ließen sich schließlich unzählige Tierleben schonen genauso wie Ressourcen, denn ohne Futtermittelanbau stünden mehr landwirtschaftliche Flächen für den Anbau von Nahrungspflanzen zur Verfügung. Auf der anderen Seite wird entgegnet, dass die Rechnung nicht so einfach aufgeht, denn schließlich könnten wir auf diese Weise zwar genügend Energie in Form von Kalorien bekommen, aber nicht ausreichend hochwertiges Protein; schließlich sei das pflanzliche Protein dem tierischen Protein in seiner Qualität nicht ebenbürtig.
Was stimmt nun? Und gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma?
Zunächst ist generell festzuhalten: Da unser Körper Stickstoff benötigt, ist die Zufuhr von Proteinen für uns überlebenswichtig, und damit ist jede Proteinquelle eine gute Proteinquelle, unabhängig davon, ob sie pflanzlicher oder tierischer Natur ist. Nun gibt es aber ein paar Feinheiten zu beachten. Aufgrund der Tatsache, dass auch der Mensch ein Tier ist, liegt die Zusammensetzung der Aminosäuren tierischer Proteine näher an unseren körperlichen Bedürfnissen als die von pflanzlichen Proteinen. Man spricht hierbei auch von der Wertigkeit von Proteinen. Darin ist im Sinne des Nährstoffkreislaufs auch begründet, dass auf der Stufe der Nahrungskette, die vor dem Menschen liegt, Tiere existieren, die durch den Verzehr von Pflanzen eigene tierische Proteine bilden können. Nur so entstehen in der Nahrungskette Proteine, die für den Menschen nahezu gleichwertig sind und somit sämtliche Aminosäuren auf einen Schlag und in ausreichender Menge enthalten, die unser Körper benötigt. Pflanzliche Lebensmittel enthalten zwar generell auch sämtliche Aminosäuren, allerdings in unterschiedlichen Mengen. Während man sich also ohne Probleme mit einem tierischen Lebensmittel sämtliche Aminosäuren in der passenden Menge zuführen kann, brauchen wir mehrere unterschiedliche pflanzliche Proteinquellen, um zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen.
Den bedeutenden Unterschied machen dabei vor allem die sogenannten essenziellen Aminosäuren aus: Diese neun Aminosäuren kann der menschliche Körper nicht aus anderen Aminosäuren herstellen, sie müssen daher immer ausreichend und direkt über die Nahrung aufgenommen werden, was durch tierische Proteine leichter gelingt.
Hinzu kommt noch ein weiterer Unterschied: Pflanzliche Proteine weisen eine schlechtere Verdaulichkeit auf als tierische Proteine. Sie enthalten also nicht nur geringere Mengen essenzieller Aminosäuren, sondern es kommt auch weniger davon im Körper an. Rechnet man beide Faktoren zusammen, so ergibt sich ein klares Gesamtbild11: Kasein, ein Milchprotein, hat die höchste Proteinqualität, gefolgt von Fleisch und Eiern. Dann erst folgen die ersten pflanzlichen Lebensmittel: Kartoffeln, Soja, Erbsen, Lupine, Hafer, Fava-Bohnen, Hanf, Weizen, Reis und Mais. Pflanzlichen Proteinen fehlt es dabei meist an den essenziellen schwefelhaltigen Aminosäuren Methionin und Cystein, wenn es sich um Hülsenfrüchte handelt, und Lysin, wenn es sich um Getreide handelt.
Doch ist pflanzliches Protein deshalb minderwertig?
Nein, denn durch die Kombination mehrerer pflanzlicher Proteinquellen lässt sich die gleiche Wertigkeit wie von tierischem Protein herstellen. Zum Beispiel können Mais oder Weizen mit Kartoffeln oder Hülsenfrüchten kombiniert werden, sodass eine hochwertige Mischung entsteht. Das muss nicht unbedingt innerhalb einer einzigen Mahlzeit erfolgen, sondern kann auch über den Tag verteilt sein. Pflanzliches Protein ist also an sich nicht minderwertig, allerdings kann eine einseitige Auswahl proteinhaltiger pflanzlicher Lebensmittel zu einer Unterversorgung mit essenziellen Aminosäuren führen. Ursache dafür kann mangelndes Wissen oder die mangelnde Verfügbarkeit ausreichend unterschiedlicher pflanzlicher Proteinquellen sein wie auch, dass insgesamt zu geringe Mengen an pflanzlichem Protein verzehrt werden. Menschen, die sich bewusst vegan oder vegetarisch ernähren, achten daher meist gut darauf, unterschiedliche pflanzliche Proteinquellen zu kombinieren und in ausreichenden Mengen zu konsumieren. Selbst im Leistungssport ist eine vegane oder vegetarische Ernährung realisierbar12.
Dabei muss man allerdings eine wichtige Unterscheidung vornehmen: Menschen in Ländern mit einer insgesamt schlechten Lebensmittelversorgung haben oftmals nicht die Möglichkeit, sich aus mehreren pflanzlichen Proteinquellen zu bedienen. Sieht man sich die Muster in der Lebensmittelversorgung der unterschiedlichen Weltregionen an13, so ergibt sich folgendes Bild: In Europa stammen 21 Prozent der Proteinversorgung aus Weizen, aber insgesamt 56 Prozent liefern tierische Lebensmittel. Auch in Ozeanien stammen 21 Prozent des Proteins aus Weizen und sogar 64 Prozent des gesamten Proteins aus tierischen Lebensmitteln. In Nordamerika ist es mit 17 Prozent etwas weniger Weizenprotein, aber auch dort stammen 65 Prozent des gesamten Proteins aus tierischen Lebensmitteln. Die Proteinqualität erreicht in Europa 95 von 100 Punkten und in Ozeanien und Nordamerika 97 beziehungsweise 100 Punkte14. In Afrika erreicht die Proteinqualität nur 45 Punkte, in Asien 60 Punkte und in Lateinamerika 67 Punkte. Die Proteinversorgung in Afrika stammt zu 37 Prozent aus den Getreiden Weizen, Mais und Reis, tierische Lebensmittel machen insgesamt nur 21 Prozent aus. Es fehlt also an ausreichend Protein aus Hülsenfrüchten oder tierischen Quellen. In Asien liefern Weizen und Reis 38 Prozent des Proteins, tierische Lebensmittel nur 35 Prozent. Und selbst in Lateinamerika, wo der Anteil tierischen Proteins schon bei 44 Prozent liegt, ist die Proteinqualität noch nicht auf dem Niveau westlicher Gesellschaften. Der Grund ist einfach: Die Verfügbarkeit und Vielfalt pflanzlicher Proteinquellen reicht nicht aus, um den Bedarf an essenziellen Aminosäuren bevölkerungsweit zu decken. In Asien und Afrika nicht einmal ansatzweise.
Wie lässt sich die Frage, ob pflanzliches Protein minderwertig ist, also abschließend beantworten? Bei einem breiten und abwechslungsreichen Angebot pflanzlicher Proteinquellen kann die Proteinqualität einzelner pflanzlicher Lebensmittel durch gute Planung und Kombination auf das Niveau tierischer Lebensmittel angehoben werden. Ob dies nur für einzelne Individuen oder die gesamte Bevölkerung möglich ist, hängt allerdings von der Lebensmittelversorgung eines Landes oder einer Region ab. Selbst in den westlichen Gesellschaften wäre bei Wegfall tierischer Proteine fraglich, ob dies gelingen könnte, denn die zum Anbau von Hülsenfrüchten geeigneten landwirtschaftlichen Ackerflächen sind begrenzt. In den Gesellschaften des globalen Südens ist es gegenwärtig so, dass das vorhandene Lebensmittelangebot nicht ausreicht, um eine gute bis sehr gute Proteinqualität bevölkerungsweit zu garantieren – egal, ob pflanzlich oder tierisch.
Mythos 3
Mit der Frage, wie es bei einer pflanzenbasierten Ernährung gelingt, ausreichend Protein aufzunehmen, kommt auch automatisch Sojaprotein ins Spiel. Es ist verhältnismäßig hochwertig und lässt sich vielfältig verarbeiten. Sollte Sojaprotein in den 1970er-Jahren noch unter dem Namen »TVP« (TVP steht für »textured vegetal protein«) die große Proteinrevolution einläuten und landete dann nach einem kurzen Hype als Nischenprodukt in Reformhäusern, sind heutige Produkte auf Basis von Sojaprotein um Lichtjahre weiterentwickelt. Tofu gibt es in allen Ausführungen und Konsistenzen; Sojadrinks, -joghurts, -geschnetzeltes und -mehle für eigene Kreationen gibt es in jedem Supermarkt.
In Asien gehören die Sojabohne und ihre Verarbeitungsprodukte zur Ernährungskultur wie in Deutschland das Sauerkraut. Doch trotz dieser weltweiten Beliebtheit gibt es immer wieder »Ernährungsexperten«, die in Ratgebern, Social Media oder im Bekanntenkreis einen gut gepflegten Mythos heraufbeschwören: Soja enthält hormonähnliche Substanzen, sogenannte Phytoöstrogene, in der Sojabohne werden sie auch als Isoflavone bezeichnet. Von diesen Phytoöstrogenen wird behauptet, sie könnten Krebs auslösen und bei Männern zu einer Verweiblichung führen, da es sich ja um Substanzen handelt, die dem weiblichen Geschlechtshormon Östrogen ähnlich sind.
Noch mehr Verwirrung kommt allerdings ins Spiel, wenn auf der anderen Seite sogar eine schützende Wirkung der hormonähnlichen Substanzen in Bezug auf Brustkrebs unterstellt wird. Schließlich sei, so heißt es, die Häufigkeit von Brustkrebs in Ländern mit einem hohen Konsum von Sojaprodukten vergleichsweise gering, z.B. in Japan. Größere Übersichtsstudien deuten ebenfalls in diese Richtung15.
Um der Sache auf den Grund zu gehen, ist ein kurzer Exkurs in die Mechanismen der Krebsentstehung hilfreich. Krebs entsteht in drei Phasen. In der ersten Phase, der sogenannten Initiation, wird die Erbinformation unserer Gene durch krebserregende Stoffe oder Fehler während der Zellteilung verändert. Es kommt zu einer Genmutation. Bekannte krebsauslösende Stoffe sind sowohl natürlich vorkommende Substanzen wie Pilzgifte, die auch in Lebensmitteln vorkommen können, als auch bewusst oder unbewusst aufgenommene Substanzen aus unserer selbst geschaffenen Umgebung, wie Tabakrauch oder Asbest. Zu Genmutationen kommt es sprichwörtlich rund um die Uhr, und zwar in einer Größenordnung von Milliarden bis Billionen16