Die hypnotisierte Gesellschaft - Miryam Muhm - E-Book

Die hypnotisierte Gesellschaft E-Book

Miryam Muhm

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Beschreibung

Seit Jahrzehnten leben wir in einer Täuschungsblase. Eine globale Industrie der Irreführung produziert absichtlich Unwissenheit, zieht die Menschen mit Mitteln der Hypnose in ihren Bann und manipuliert ihr Denken und Urteilsvermögen durch gezielte Verbreitung von Falschinformationen, die als unumstößliche Wahrheiten dargestellt − und geglaubt werden. Miryam Muhm zeigt die biologischen Voraussetzungen für die Hypnotisierbarkeit von Menschen. Eindrucksvoll schildert sie, wie Politiker von Barak Obama bis Donald Trump Wähler beeinflussen, wie stark die Werbung unser Leben bestimmt und wie selbst Leitmedien uns in dieser Realitätsblase halten, indem sie Fakten unterdrücken oder Halbwahrheiten ständig wiederholen. Die User von Facebook und anderen globalen Technikgiganten werden ohne ihr Wissen in eine bestimmte Verhaltensrichtung gelenkt, und sogar elitäre Institutionen wie Universitäten werden zu Akteuren, die dem Turbokapitalismus zuarbeiten. Eine mögliche Erklärung für diese Entwicklung besteht im Verlust von Spiritualität und in der Gier nach Geld und Macht, die uns alsbald wie Lemminge in einen tiefen Abgrund stürzen lassen –sofern wir nicht rechtzeitig erwachen.

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MIRYAM MUHM

Die hypnotisierteGesellschaft

Wie unser Denken vonPolitik, Medienund Werbung gelenkt wird

1. eBook-Ausgabe 2021

© 2021 Europa Verlag in der Europa Verlage GmbH, München

Umschlaggestaltung und Motiv:

Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Redaktion: Franz Leipold

Layout & Satz: Robert Gigler

Gesetzt aus der Minion Pro

Konvertierung: Bookwire

ePub-ISBN: 978-3-95890-441-5

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

Alle Rechte vorbehalten.

www.europa-verlag.com

Inhalt

Vorwort

KAPITEL 1

Am Anfang war das Wort

KAPITEL 2

Medizinfakultäten – Absage an die Ethik?

KAPITEL 3

Gibt es noch Meinungsfreiheit an den Universitäten?

KAPITEL 4

Gesellschaftliche Folgen der Fehlauslegung von Darwins Evolutionstheorie

KAPITEL 5

Politik und Hypnose

KAPITEL 6

Wie die Medien uns manipulieren

KAPITEL 7

Hypnosetechniken der Werbung

KAPITEL 8

Künstliche Intelligenz − wie sieht unsere Zukunft aus?

KAPITEL 9

Kann Spiritualität die Antwort sein?

Anmerkungen

»Einst durfte man nicht wagen, frei zu denken; jetzt darf man es, aber man kann es nicht mehr. Man will nur noch denken, was man wollen soll, und eben das empfindet man als seine Freiheit.«

Oswald Spengler

Vorwort

Um zu begreifen, warum unsere Gesellschaft eine hypnotisierte Gesellschaft ist, muss man zuerst verstehen, dass Hypnose alles andere ist als lediglich ein Bühnentrick oder eine unterhaltsame Showveranstaltung – diese uralte, bereits in der Antike angewandte Manipulationstechnik ist ein reelles Phänomen. So reell, dass sie in den letzten Jahren offiziell Einzug in die Schulmedizin gehalten hat. »Ob beim Zahnarzt, in der Psychotherapie oder im Operationssaal: Der Einsatz von Hypnose im medizinischen Bereich ist auf dem Vormarsch.«1

Der Punkt aber ist: Hypnose kann nur funktionieren, weil wir Menschen manipulierbar und hypnotisierbar sind – die einen mehr, die anderen weniger. Unsere Hypnotisierbarkeit hat sehr wahrscheinlich biologische Ursachen, wie im ersten Kapitel »Am Anfang war das Wort« dargelegt.

Wissenschaftlich nachgewiesen wurde u. a., dass Vertrauen sowie das Hormon Oxytocin eine wesentliche Rolle bei der Hypnose spielen. Dass wir hypnotisierbar sind, ist somit biologisch gegeben, und die angewandten Hypnosetechniken (z. B. Wiederholung von Worten, Gesten und Bildern oder Verwirrung stiften), indem man die Aufmerksamkeit auf verschiedene Objekte lenkt können unser Denken und Handeln auf subtile Art massivst beeinflussen.

Es sei darauf hingewiesen, dass Manipulation, Suggestion und Persuasion im Grunde genommen Synonyme für Hypnose sind – nicht nur weil all diese Techniken in der Hypnose verwendet werden, sondern auch weil es Möglichkeiten sind, unsere Kontrollinstanzen außer Kraft zu setzen.

Wenn in diesem Buch also von suggestiven Worten, manipulativen Gesten oder persuasiver Sprache die Rede ist, sind diese als hypnotische Techniken zu verstehen, denn auch Manipulation, Suggestion und Persuasion ermöglichen anderen Menschen Zugriff auf unser Gehirn.

Wenn wir diese Zusammenhänge verstehen, können wir den Schleier entfernen, der uns davon abhält, scharf und klar zu denken, was in diesen Zeiten unbedingt vonnöten wäre. Das erfordert nicht nur Individualität und Selbstbewusstsein, sondern auch Wissen, Mut und einen starken Willen, sonst verzerrt dieser Schleier weiterhin unser Weltbild und verleitet uns dazu, den Hypnotiseuren der Gesellschaft blind zu folgen, wie Lemminge, die in ihr Verderben laufen. Solange wir nämlich nicht wissen, dass wir nicht nur manipulierbar, sondern de facto hypnotisierbar sind und welche Methoden die Akteure anwenden, werden wir niemals erkennen, wer die Hypnotiseure sind und mit welchen hypnotischen Mitteln sie arbeiten.

Viele von uns sind sich inzwischen gewahr, dass Werbung, Politik und Medien uns manipulieren, sei es durch suggestive Wortwahl, durch Weglassen von Informationen oder durch ständige Wiederholung in den Nachrichten – »an manchen Tagen drehten sich bis zu 70 Prozent der Berichte um Corona«.2 Es fällt allerdings schwer zu verstehen, dass diese bewusste oder unbewusste Manipulation, insbesondere das Eintrichtern gewisser Konzepte durch ständige Wiederholung, ganz klar eine Form der Hypnose ist.

Zu den Manipulatoren, also den Hypnotiseuren, zählen Politiker (Barak Obama griff beispielsweise in seinen mitreißenden Reden sehr gezielt auf hypnotische Wortkonstruktionen zurück), große Unternehmer, Werbefachleute, einige Wissenschaftler sowie Journalisten, insbesondere jene, die für die Leitmedien tätig sind (das betrifft natürlich nicht alle, aber sehr viele).

Ob alle Akteure selbst bemerken, dass sie oft die Funktion eines Manipulators bzw. Hypnotiseurs erfüllen, ist fraglich; einige aber werden sich dessen sicherlich bewusst sein. Sie laufen dabei natürlich nicht mit einem Pendel herum, sondern wiederholen einfach bewusst oder unbewusst Halbwahrheiten, manchmal sogar glatte Lügen, während sie wichtige Informationen totschweigen oder Verwirrung stiften (das gilt insbesondere in der medizinischen Wissenschaft), um auf diese Weise ein Bild von der Realität zu malen, die so, wie sie uns vorgespiegelt wird, gar nicht existiert. Die Frage, die hier natürlich aufkommt, ist: Aus welchen Gründen werden z. B. Informationen zurückgehalten oder Halbwahrheiten veröffentlicht?

Sean Aday, außerordentlicher Professor an der Washington University, hat auch anhand diesbezüglicher Studien seiner Kollegen eine eindeutige Antwort gefunden, und zwar dass »[…] die Medien dazu neigen, den Rahmen und die Agenda der Eliten (insbesondere der gewählten Vertreter) zu übernehmen.«3

Das behaupten also nicht nur Aluhütler (welch erniedrigender Begriff für infantile Geister) oder Verschwörungstheoretiker (welch diffamierende Wortwahl für Andersdenkende), sondern angesehene Wissenschaftler, die an Universitäten tätig sind. Und es sind wiederum Wissenschaftler, hier aus Princeton und der Northwestern University, die anhand einer detailreichen Studie bereits 2014 dargelegt haben, dass die USA keine Demokratie, sondern eine Oligarchie sind4 − also ein Land, in der eine kleine Gruppe von Menschen die politische Herrschaft ausübt und die Geschicke dieses Landes (und die anderer Länder) lenkt.

Es gibt sie also doch, die so oft geleugnete »Elite«! Und wie setzt diese kleine herrschende transnationale Gruppe in Zeiten eines rücksichtslosen Kapitalismus ihre Agenda, also ihre Partikularinteressen, durch? Indem sie, wie Wissenschaftler feststellen, uns so lenkt und so denken lässt, wie sie will, denn nur so kann sie ihre Ziele verwirklichen.5

Insofern war es der Elite ganz recht, dass der Kapitalismus, getragen von unserem Konsumverhalten, so wichtig wurde, dass er sogar die Religionen substituierte und sich an ihrer Stelle in unseren Köpfen Platz schuf, wie der Philosoph Walter Benjamin schon vor einem Jahrhundert erkannt hatte.6

Es brauchte ein enzyklopädisches Werk, um zu verstehen, wie wir seit Jahrzehnten in unserem Denken und Handeln regelrecht gelenkt worden sind und weiterhin gelenkt werden. Dieses Buch kann somit nur ein Versuch sein, einige der wesentlichsten Aspekte der hypnotisierbaren und hypnotisierten Gesellschaft aufzuzeigen, »indem es zahlreiche Fakten aufführt. Nur so können wir erkennen, dass wir in einer ›geglaubten Einbildung‹ oder in einem Wirklichkeitsentwurf leben. Es geht darum, zu wissen, was insbesondere an den Universitäten alles gelehrt und verbreitet wird (denn dort wird die Generation von morgen geformt und »gelenkt«), aber auch, dass die Cancel Culture, also die Marginalisierung von Wissenschaftlern bzw. Erkenntnissen an diesen »Horten der Wahrheit«, bereits seit Jahrzehnten existiert – mit der Folge, dass den Studenten oftmals nur Teilwahrheiten und manchmal sogar glatte Lügen vermittelt werden (hierzu werden einige dokumentierte Fälle angeführt, z. B. an der Medizinfakultät in Toronto, Kanada).

Auch gilt es zu verstehen – und dies ist fundamental, um zu begreifen, wie die Elite uns manipuliert und hypnotisiert –, dass uns allen eine »fehlinterpretierte« Evolutionstheorie beigebracht worden ist, um unser Denken auf die Merkmale der »natürlichen« Konkurrenz zu lenken, und nicht auf die der Kooperation – eine evolutionäre Kooperation, wie Darwin sie in seinen Werken selbst darlegte und propagierte und die wissenschaftlich in den letzten Jahrzehnten nachgewiesen wurde. Durch das Lehren einer fehlinterpretierten Evolutionstheorie und die mantramäßige Wiederholung (eine typische Hypnosetechnik!) nur einiger von Darwins Kernsätzen (z. B. »Survival of the Fittest«) wurden die Menschen dazu gebracht, die räuberischen Charakteristika des Kapitalismus in Bezug auf die Menschheit und den Planeten als naturgegeben zu akzeptieren und in ihrem eigenen Alltag zu praktizieren. Somit durfte ein Kapitel über die Fehlinterpretation von Darwins Theorie in diesem Buch nicht fehlen, denn gerade die ständige Wiederholung bestimmter ausgewählter Aspekte seiner Theorie konnte uns dahingehend manipulieren und hypnotisieren, dass wir es einigen wenigen Menschen erlaubt haben, im Namen eines radikalen Wirtschaftssystems, wie es der Turbokapitalismus darstellt, unsere Erde auszubeuten, zu vermüllen und an den Rand des Kollapses zu bringen.

Natürlich wird in diesem Buch auch auf Politik, Medien und Werbung eingegangen, wobei dokumentierte Fakten und Fälle aufzeigen, in welchem Maße Politiker, Medienmitarbeiter und Werbeleute unser Gehirn »hacken« und uns durch Wiederholung suggestiver Teilwahrheiten und Lügen so weit bringen, dass wir das denken, was wir denken sollen – wie es während einer Hypnose geschieht.

Der Inseraten-Skandal in Österreich, der auch zum Sturz von Premierminister Kurz beigetragen hat, ist wohl ein eindeutiger Beweis dafür. Die Medienlandschaft, wie seit Langem von Wissenschaftlern und Experten nachgewiesen, ist korrumpierbar. Seien es Inserate von Unternehmen oder von Parteien (wie in Österreich) oder Geldzuwendungen gewisser Stiftungen (wie zum Beispiel die von Bill und Melinda Gates) – das geflossene Geld führt zu einer gefälligen Berichterstattung und nicht zu einer, die der Realität entspricht.

Zu einer lenkenden Manipulation kommt es insbesondere, indem wesentliche Informationen schlicht gar nicht oder nur am Rande veröffentlicht werden, sodass sie kaum jemand mitbekommt. »Die Diskussion geht von der Prämisse aus, dass die dominierenden Mainstream-Medien in der heutigen Zeit nach wie vor die Hauptakteure der Massenüberzeugung sind, die die Bürger zur gehorsamen Selbstaufopferung für die herrschende neoliberale Ordnung bewegen«7− so Professor Daniel Broudy (2020) von der Okinawa Christian University in Nishihara, Japan.

Die sozialen Medien tragen ebenfalls zur Hypnotisierung bei, indem sie (wie im Buch dokumentiert) wahre Informationen als Fakes abstempeln oder den Nachrichtenstrom manipulieren, um gezielt bei den Nutzern (z. B. von Facebook) bestimmte Emotionen zu erzeugen.8

Auch die Künstliche Intelligenz (KI) wird dazu eingesetzt, wichtige Informationen abzublocken, denn selbstlernende Algorithmen können in Suchmaschinen bestimmte Nachrichten in der Trefferliste nach hinten verlegen, sodass sie kaum angeklickt werden.9

Das Abbild der Realität, und zwar der echten Realität, kann unser Gehirn nur anhand der »Wahrheit« erstellen. Und die »Wahrheit«, sosehr sich viele Menschen gegen die Existenz einer solchen sträuben, weil sie dem bequemen Relativismus huldigen, existiert nun einmal – insbesondere, wenn es um Tatsachen geht. Wer schon einmal mit einem Messer verletzt wurde, weiß, wovon ich spreche; eine solche Tat ist eine faktische Wahrheit. Die Interpretation dieser Wahrheit, also z. B. wie oder warum es dazu kam, ist eine andere Sache; auch in diesem Fall gibt es zwar nur eine einzige Wahrheit, allerdings ist diese komplexer und schwieriger zu ermitteln. Vereinfacht gesagt, existiert in Bezug auf Geschehnisse, Fakten, Daten, etc. eine tatsächliche, reale Wahrheit – und gerade solche Wahrheiten kann man leicht manipulieren. Jedenfalls bezeichnen mehrere Wissenschaftler die Medienberichterstattung in der Pandemie als zu regierungsnah.10

Aus teilweise rein biologischen Gründen wird die Realität bereits von unserem eigenen Gehirn manipuliert; wenn aber unserem komplexen biologischen Abbild der Realität auch noch falsche Fakten, Teilwahrheiten und Lügen hinzugefügt werden oder man uns wesentliche Informationen absichtlich vorenthält, dann werden wir nur so denken, wie uns die erhaltenen Informationen zu denken erlauben: Wir glauben somit an eine entworfene Wirklichkeit, was einer kleinen Gruppe von Menschen zweckdienlich ist. Denken wir beispielsweise an den Diesel-Skandal: Vor Jahren kauften viele einen Diesel-Pkw, weil man ihnen weismachte, er sei hinsichtlich der gesetzlichen Abgaswerte umweltfreundlich – was sich später bekanntlich als Lüge herausstellte. Wäre man bereits damals über die echten Autoabgaswerte informiert worden, hätten sich viele womöglich für ein anderes Auto entschieden. Dies ist nur ein Beispiel für die vielen tagtäglichen hypnotisierenden Manipulationen unseres Denkens.

Um eine Hypnose zu erkennen, braucht es wahre, handfeste Informationen, aber Nachrichten, Talkshows und Social Media berieseln uns oft nur mit banalen und lückenhaften Berichten. Wir unterliegen einer regelrechten Flut sich dauernd wiederholender Informationen, die eine bestimmte Wirklichkeit vermitteln, aber nicht die Realität.

In diesem Buch geht es hauptsächlich darum, zu zeigen, wie diese Wirklichkeitsentwürfe zustande kommen, um dann die tatsächliche Realität dahinter durch dokumentierte Fakten und wissenschaftlich belegte Studien aufzuzeigen.

Last, but not least wird auf unsere Pseudorationalität eingegangen. Wir frönen dem Kapitalismus-Kult11 (kaufen uns z. B. sündhaft teure Sneakers, oder SUVs, die in der Stadt kein Mensch braucht) und merken dabei nicht, wie wir hinters Licht geführt werden. Auch machen wir uns nicht bewusst, dass durch unsere (zunehmenden) Amazon-Käufe nur ein einziger Mensch auf dieser Welt überreich wird, während die Einzelhandelsbranche zugrunde geht.

In dieser Pseudorationalität erkennen nur die wenigsten, dass uns eine andere, eine wesentliche Dimension des Lebens abhandengekommen ist – eine, in der wir nicht (als Ratio getarnt) dem Materialismus huldigen, sondern dem Leben. Mit dieser Dimension der verlorenen spirituellen Vernunft befasse ich mich im letzten Kapitel, denn vermutlich ist es gerade diese, die uns dabei helfen könnte, aus der Hypnose aufzuwachen und eine neue, menschlichere Gesellschaft zu gestalten. Diese spirituelle Dimension ist dringend notwendig, denn die Vision der technokratischen Elite läuft auf eine vollständige Hypnotisierung der Gesellschaft hinaus, und die Leser könnten darüber nachdenken, »wie in dieser Zeit des Informationszeitalters die Medientechnologien den ›geistigen Handschellen‹ […] Gestalt geben, die das Verhalten […] und die Wahrnehmung der Degradierung der menschlichen Souveränität, Handlungsfähigkeit und Privatsphäre beeinflussen. Angesichts dieser mächtigen Werkzeuge der Informationsverarbeitung und -verbreitung ist es unser zentrales Anliegen, kritisch zu untersuchen, wie bestimmte Medienwerkzeuge und -inhalte die Enteignung grundlegender Menschen- und Bürgerrechte zu etwas Normalem machen und die Menschen geistig auf die bedingungslose Funktion als Rädchen im Getriebe der globalen kapitalistischen Maschinerie vorbereiten.«12

Dieses Buch soll ansatzweise dazu beitragen, dies zu erkennen. Willkommen also in der Welt der Hypnotisierbaren und der Hypnotisierten!

KAPITEL 1

Am Anfang war das Wort

Hypnose in der Medizin

Hypnose ist beileibe nicht nur ein Bühnentrick – diese bewusstseinsverändernde Technik kommt nämlich seit mehreren Jahren in der modernen Schulmedizin sowie in der Psychologie zunehmend zum Einsatz. Diese Tatsache ist der beste wissenschaftliche Beweis dafür, wie stark Worte und Bilder unser Gehirn und unsere Wahrnehmung manipulieren können.

Doch wie ist es möglich, dass allein die geflüsterten Worte eines Anästhesiearztes einen Menschen in einen solchen Hypnosezustand (Trance) versetzen können, dass er während einer chirurgischen Operation keinerlei Schmerzen verspürt und sein Körper auf diese Worte so stark reagiert, dass er sogar die Blutzufuhr zum Operationsgebiet drosselt?13

War am Anfang tatsächlich das Wort − das heißt, sind wir genetisch so programmiert, dass Worte unser Gehirn auf extreme Art beeinflussen können? Welche Kraft steckt in Worten, dass sie uns einerseits zutiefst verletzen, andererseits aber auch ein Gefühl der Wärme und Geborgenheit vermitteln können? Warum sind wir überhaupt hypnotisierbar, und warum werden wir so leicht Opfer von suggestiven bzw. persuasiven Manipulationen?

Diese Fragen sind von weitreichender Bedeutung, haben sie doch mit unserem Selbstbild − ja, mit unserem Realitätsverständnis und mit unserer Psyche zu tun, und nicht zuletzt hängt unser aller Zukunft davon ab.

Kurze Geschichte der Hypnose

Auf die lange Geschichte der Hypnose und deren weitverzweigte Anwendung im Verlauf der Jahrhunderte detailliert einzugehen würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Deshalb erfolgt hier nur ein kurzer Abriss: Seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte setzen Schamanen suggestive Techniken ein, oft gepaart mit rhythmischen Klängen, um Menschen in Trance zu versetzen und Heilungen zu bewirken.14

Wie Forscher der Chicago School of Professional Psychology darlegen, war seit den frühesten Anfängen sogar Yoga eine Methode, sich selbst oder andere in eine Quasi-Hypnose zu versetzen: »Trancezustände werden in Indien seit Langem in einem heilenden Kontext angewandt. Die Verwendung von Gesängen, die Hervorrufung eines Trancezustandes durch Rituale und durch Meditation erreichte veränderte Bewusstseinszustände waren Mittel zur Selbstverwirklichung, zum psychischen Wohlbefinden und zur Steigerung der Gesundheit. […] Yoga Nidra (das Yoga des Schlafes) ist eine dieser Praktiken. Sie ähnelt der Hypnose und anderen Techniken von Geist-Körper-Heilmethoden, wie sie in der Psychotherapie angewendet werden.«15

Yoga Nidra (Nidra bedeutet Schlaf oder Nicht-Bewusstheit) wurde schon Jahrhunderte vor Christus praktiziert und ist bereits in den Texten der Upanischaden erwähnt. Heutzutage greift die US-Armee auf diese uralte Technik zurück, um posttraumatische Störungen von Soldaten zu heilen.16

Schon vor der Anwendung dieser hinduistischen Praktiken errichteten die Ägypter (später gefolgt von den Griechen) die bekannten Schlaf- oder Traumtempel, wo Menschen in Trance versetzt und dann in einen besonderen Raum begleitet wurden. Ihre Träume konnten anschließend interpretiert und als Wegweiser zur Gesundung miteinbezogen werden.17 Denn während des Schlafs, so Hippokrates, »ordnet die Psyche ihr Haus« − übrigens eine hochmoderne These, über die der Spiegel im März 2021 in seinem Artikel »Warum träumt der Mensch?« berichtete.18

Nach Hippokrates deuten Träume übrigens manchmal auch auf körperliche Leiden hin.19 Diese Erkenntnis wurde vor einigen Jahrzehnten in den USA wieder aufgegriffen, und man konnte die Existenz von prodromalen, also von warnenden Träumen über bevorstehende Krankheiten durch Studien nachweisen.20

Die Hypnose geriet lange Zeit in Vergessenheit, bis sie im 18. Jahrhundert von Anton Mesmer wiederbelebt wurde. Im 19. Jahrhundert entfachte die Hypnose dann eine Welle wissenschaftlicher Neugier, die Freud und später C. G. Jung dazu brachte, eine starke Faszination für diese Methode zu entwickeln.21 Beide hörten aber irgendwann wieder auf, ihre Patienten zu hypnotisieren, weil ihnen die Funktionsweise dieser Technik zu obskur wurde. Heute kommen Trance und Hypnose in Psychologie und Psychiatrie erneut erfolgreich zum Einsatz.22

Die Hypnose in der modernen Schulmedizin

Die Hypnotisierbarkeit unseres Gehirns ist eine unumstößliche Tatsache. Worte und Bilder in unserem Kopf können sogar Schmerzen beseitigen, die sich nicht einmal mit Morphium oder starken Opioiden bekämpfen lassen – wie im Fall von Louis Derungs. Der 19-jährige Franzose hatte 2013 einen schweren Stromunfall mit 15 000 Volt überlebt; leider mussten ihm aber beide Arme amputiert werden.23 Danach litt er an schier unerträglichen Phantomschmerzen, denen trotz Morphiumgaben nicht beizukommen war – bis ihm sein Arzt eine Hypnose vorschlug. Die Hypnotiseurin sagte ihm, er solle sich bildlich vorstellen, seine Phantomarme in zwei Kübel voller Eis zu tauchen. Louis war skeptisch und empfand den Vorschlag als lächerlich. Doch die Hypnotiseurin insistierte, denn nur so könne er die in seinem Gehirn immer wieder aufflammenden brennenden Schmerzen ausschalten, die er in der Nacht seines Unfalls erfahren hatte. Die Hypnose war erfolgreich, und Louis lernte es, diese bildhafte Vorstellung jedes Mal anzuwenden, wenn die höllischen Schmerzen wieder auftauchten. Auf diese Weise konnte er die Erinnerungen daran in den Griff bekommen und abblocken.24 (Die Videos, in denen er seine Geschichte erzählt, sind ein Paradebeispiel für die menschliche Resilienz und absolut sehenswert.)

Louis Derungs ist leider kein Einzelfall: 80 Prozent der Menschen, die eine Amputation erleiden, verspüren danach Phantomschmerzen. Inzwischen ist bekannt, dass bei vielen dieser Patienten Medikamente kaum wirken, weswegen die Hypnose unbedingt in die Behandlung miteinbezogen werden sollte – wie Forscher vom Universitätsklinikum Oslo nachdrücklich betonen.25

Wie gut die Hypnose in der Medizin funktioniert, ist auch schon daraus ersichtlich, dass in staatlichen wie privaten Kliniken Narkose und Sedierung seit einigen Jahren vermehrt durch Hypnose ersetzt werden, und zwar selbst bei invasiven Operationen wie z. B. der Entfernung einer Schilddrüse26 oder eines Hautkrebses.27

In Europa wurden bereits über 9000 chirurgische Eingriffe mithilfe von Hypnose durchgeführt (Stand 2017).28 Insbesondere in Belgien, Frankreich und Italien greift man in Krankenhäusern auf diese Methode zurück, also auf die gezielte Beeinflussung unseres Gehirns durch Worte. Auch viele Zahnarztpraxen in der BRD verwenden vermehrt Hypnosetechniken bei ihren Patienten – so berichtet z. B. die Deutsche Zeitschrift für zahnärztliche Hypnose bereits seit Jahren über deren erfolgreichen Einsatz.29

Angesichts der Fülle von Nachweisen über die Wirkung von Hypnose in der Medizin lässt sich wissenschaftlich nicht mehr abstreiten, dass sie unsere Wahrnehmung eindeutig beeinflusst. Diverse Beispiele aus dem medizinischen Bereich sollen dies veranschaulichen.

Wie Marie-Elisabeth Faymonville, Medizinprofessorin und Leiterin der Schmerzklinik des Universitätskrankenhauses im belgischen Lüttich, berichtet, wurden in ihrem Krankenhaus bereits über 6000 Patienten erfolgreich mit Hypnose (und leichten lokalen Anästhetika) operiert, sogar bei invasiven chirurgischen Interventionen (z. B. Schilddrüsenoperationen).30

Die Resultate sind erstaunlich: Der Patient verspürt unter Hypnose keine oder kaum Schmerzen und blutet weniger, sodass der Chirurg den Eingriff besser und rascher ausführen kann. Schwedische Wissenschaftler verzeichneten ähnliche Erfahrungen bereits vor über 25 Jahren.31

Während und unmittelbar nach einer chirurgischen Operation oder einem zahnärztlichen Eingriff ist der hypnotisierte Patient wohlauf, und selbst die Genesung verläuft schneller als üblich, wie Studien aus dem Jahr 2000 bestätigt haben. Zudem verspüren diese Patienten weniger Angst.32

In Frankreich wird die Hypnose sogar bei Hirntumoroperationen eingesetzt, um den Patienten Angst und Unbehagen während des Eingriffs zu nehmen. Sie müssen dabei nämlich wach bleiben, damit der Chirurg mittels gezielter Fragen die wichtigen, sogenannten »eloquenten« Zonen (z. B. die Sprachareale) von »weniger bedeutsamen« Gehirnarealen unterscheiden kann, um spätere Ausfallserscheinungen zu vermeiden. Einige Wochen vor einer Wachkraniotomie (vorübergehendes Aufwecken während einer Gehirnoperation) bereitet man die Patienten auf die Hypnose vor. Im OP-Saal werden sie von einem Spezialisten in Trance versetzt, wobei ihnen wortreich bestimmte Bilder vermittelt werden, die innere Ruhe suggerieren. Wie die Studien beweisen, sind die meisten Patienten, die auf diese Weise behandelt wurden, mit der Hypnosedierung sehr zufrieden.33

In Belgien wendet man Hypnose seit Jahren bei Brustkrebsoperationen an. Eine Studie des Krebszentrums der Universität Saint-Luc in Brüssel (2017) berichtet über 300 Operationen – die Hälfte davon mit der üblichen Narkose, die andere Hälfte mit Hypnosedierung.

Resultat: Bei den hypnotisierten Patientinnen war dank des Nichteinsatzes von Narkosemitteln u. a. eine sofortige Erholung möglich.34 In Aix-en-Provence (Frankreich) wurde die gleiche Hypnosetechnik ab 2018 bei Brustkrebspatientinnen angewandt, und die von den beteiligten Ärzten gesammelten Erfahrungen bestätigten die Resultate der belgischen Studie.35

Auch bei Brustkrebs-Chemo- und Radiotherapien wirkt sich Hypnose offenbar positiv aus, da sie nicht nur die Heilung beschleunigt, sondern auch einen kürzeren Krankenhausaufenthalt erlaubt; zudem scheinen die Patientinnen die Chemo- und Radiotherapie unter Hypnose insgesamt besser zu verkraften.36

Wie der New Scientist 2019 berichtete, weist die Hypnosedierung noch weitere Vorteile auf: »Guy Montgomery von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, fand heraus, dass Frauen, die vor einer Brustkrebsoperation eine Hypnose erhielten, danach über geringere Schmerzen, Angst, Übelkeit und Müdigkeit berichteten. Und die Vorteile waren nicht nur physischer Natur. Sein Team rechnete vor, dass das Land [USA] mehr als 135 Millionen Dollar pro Jahr einsparen würde, wenn 90 Prozent der Menschen, die eine Brustkrebsbiopsie benötigen, eine Hypnosedierung erhielten.«37

Das Ergebnis dieser vielversprechenden Erfahrungen ist eine Veränderung der Art und Weise, wie die Schulmedizin »Hypnose« definiert; außerdem nimmt ihre Anwendung zu – wie im New Scientist weiter dargelegt ist: »Das Royal College of Midwives in Großbritannien akkreditiert jetztHypnobirthing-Kurse [Kurse zur Anwendung der Hypnose während der Geburt] und finanziert die Ausbildung in dieser Technik. Einige Anästhesisten bieten die Hypnosetechnik inzwischen an, und sie wird sogar als Lösung für die Opioid-Suchtkrise angepriesen. Hypnose ist sicherlich kein Allheilmittel; aber zu lernen, was funktioniert, warum es funktioniert und wie wir es selbst anwenden können, kann uns dabei helfen, die Kraft des Mentalen zur Bewältigung einiger der härtesten Kämpfe des Lebens zu nutzen.«38

Dass man mit nur wenigen hypnotischen Worten die Abhängigkeit von opioidhaltigen Schmerzmitteln erfolgreich verringern kann, bestätigte 2019 eine Metaanalyse im US-amerikanischen Ärzteblatt JAMA.39

Die vielen Studien und die Erfahrungen mit klinischer Hypnose haben also in den letzten Jahren immer mehr Ärzte und medizinische Institutionen dazu bewegt, auf die manipulative Kraft suggestiver Worte zu setzen.

So empfiehlt u. a. das britische National Institute for Health and Care Excellence Hypnose bei Reizdarmsyndrom – einer Krankheit, die durch Krämpfe, Blähungen, Durchfall und Verstopfung gekennzeichnet ist: »[…] für das behandlungsresistente Reizdarmsyndrom gibt es überwältigende Beweise, dass Hypnose die Symptome und die Lebensqualität verbessern kann. […] In den USA fördern sowohl die American Psychological Association als auch die National Institutes of Health inzwischen dieHypnose als Teil der Standardbehandlung von Schmerzen.Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass sie eine Vielzahlchronischer Problemeverbessern kann, wie z. B. Schmerzen im unteren Rückenbereich und Nebenwirkungen von Krebsbehandlungen − oft bietet sie mehr Linderung als Physiotherapie und kognitive Verhaltenstherapien allein.«40

Wie sehr suggestive Worte uns in einen Zustand versetzen, der medizinisch von größter Bedeutung sein kann (weil weniger Medikamente verabreicht werden müssen und eine schnellere Heilung erzielt wird), zeigen auch einige in Italien durchgeführte Operationen. Im Mailänder Niguarda-Krankenhaus musste einer 82-Jährigen eine Aortenklappe substituiert werden. Da die Frau an mehreren schweren Vorerkrankungen litt, verzichteten die Ärzte auf die übliche Sedierung und nahmen nur eine kleine örtliche Betäubung am Bein vor, um den Katheter einzuführen. Allerdings musste die absolute Bewegungslosigkeit der Patientin während des Eingriffs gewährleistet werden – und dies ließ sich mithilfe der Hypnose erzielen.41

Im Krankenhaus San Paolo in Savona wurde 2020 sogar eine Pulmonalvenenisolation mittels Hypnose durchgeführt. Hierbei handelt es sich um einen minimalinvasiven elektrochirurgischen Herzkathetereingriff zur Behandlung von Vorhofflimmern, der bis zu drei Stunden dauern kann und eine systemische Sedierung unter Verwendung mehrerer Mittel erfordert. Dank der Hypnose, so der Arzt Luca Bacino, konnte der Einsatz dieser Medikamente drastisch verringert werden.42

Im Krankenhaus Cardinal Massaia in Asti (der Stadt der Piemonteser Weine und der Trüffel) wurden bereits über 80 Eingriffe am Herzen mithilfe von Hypnose durchgeführt. »Mit dieser Methode ist es auch möglich, eine Analgesie zu erreichen, die in 20 % der Fälle so hoch sein kann, dass der Verzicht auf Anästhetika oder in jedem Fall eine wahrgenommene Schmerzreduktion gewährleistet ist.«43 Das Alter der hypnotisierten Patienten lag zwischen 12 und 76 Jahren, und die Palette der Eingriffe umfasste u. a. die Einpflanzung permanenter Herzschrittmacher bis hin zu Pulmonalvenenisolationen.44

In Deutschland setzt sich die Hypnose in der Anästhesie allerdings nur sehr zögernd durch. Als einen der Gründe dafür nennt der Hypnotherapeut Olf Stoiber Zeitmangel: »Eine Narkose kann der Anästhesist relativ leicht und geübt durchführen. Bei einer Hypnose hingegen ist sehr schlecht prognostizierbar, wo der Zeitrahmen liegt, bis eine Wirkung da ist.«45 Um den erwünschten Hypnosezustand zu erreichen, kann eine halbe bis zu einer Stunde vergehen.

Doch Zeit dürfte eigentlich keine Rolle spielen, wenn es um das Wohl der Patienten geht – denn medikamentös induzierte Narkosen können zuweilen mit Nebenwirkungen (bis hin zum Tod) verbunden sein, insbesondere bei über 65-Jährigen.

Die Ärztin Simone Gurlit vom Kompetenzzentrum Demenzsensibles Krankenhaus am Universitätsklinikum Münster hat auf der Website des MDR erklärt, dass zu den häufigsten dieser Nebenwirkungen Gedächtnisprobleme zählen, vor allem bei älteren Patienten: »Wenn die Beweglichkeit mit einem neuen Gelenk wiederhergestellt ist, der Patient aber nicht mehr weiß, wo er wohnt, und sich nicht mehr allein versorgen kann, dann muss man sich kritisch fragen: Ist das eine erfolgreiche Operation, ja oder nein?«46 Dr. Gurlit setzt daher auf Teilnarkose und Gespräche im Vorfeld.

Viele ihrer Kollegen am Kompetenzzentrum wenden zusätzlich Hypnosetechniken an. So bekommen in Münster zahlreiche Frauen, die sich einer Brustkrebsoperation unterziehen müssen, nur eine Lokalnarkose. Um ihnen Angst und Schmerzen gänzlich zu nehmen, werden sie während des Eingriffs hypnotisiert, denn damit habe man »sehr gute Erfahrungen gemacht«, so Dr. Gurlit.47 Und das gilt nicht nur für Brust-OPs – in Jena wurde einem Patienten mit Parkinson 2017 ein Hirnschrittmacher unter Hypnose implantiert.48

Zu den deutschen Pionieren auf dem Gebiet »Hypnose in der Medizin« zählt der Internist Prof. Dr. Winfried Häuser, der die chronischen Schmerzen seiner Darmpatienten am Klinikum Saarbrücken seit Jahrzehnten (!) mittels Hypnose lindert.49

Obwohl die Mehrheit der deutschen Ärzte Hypnosetechniken eher skeptisch gegenübersteht, ist bei den Chirurgen und Anästhesisten eine gewisse wissenschaftliche Neugier entstanden, die allmählich Früchte trägt. So wollten Ärzte der Universitätskrankenhäuser in Bochum, Kassel, Regensburg, München und Köln u. a. prüfen, ob hypnotische Suggestionen während klassischer chirurgischer Narkoseeingriffe helfen könnten, die Menge der Schmerzmittel nach der Operation zu reduzieren (da diese bekanntlich Nebenwirkungen verursachen können).

Hierzu wurde eine Tonaufnahme mit hypnotischen Wörtern und Musik erstellt. Die ca. 400 Patienten dieser Studie wurden in zwei Gruppen aufgeteilt (eine Interventionsgruppe und eine Kontrollgruppe). Alle erhielten einen Kopfhörer, wobei weder Ärzte noch Anästhesisten wussten, welche Patienten während der Narkose die hypnotische Aufnahme und welche ein Leerband zu hören bekamen. Die Studienergebnisse zeigten, dass sich nach der OP bei Ersteren das Verlangen nach starken Schmerzmitteln eindeutig reduziert hatte. Aus dieser deutschen Forschungsarbeit wird einmal mehr ersichtlich, dass Hypnose in der Medizin auf mehrfache Weise von Vorteil ist: Den Patienten erspart sie am Tag nach der OP die üblichen starken Schmerzen, und die dadurch geringeren Aufwendungen für Schmerzmittel senken die Gesundheitskosten – also eigentlich eine Win-win-Situation für alle.50

Worte können unser Gehirn also stark beeinflussen, was sich wie dargelegt besonders deutlich in der Medizin zeigt. Hier gilt die Hypnose inzwischen als eine weithin anerkannte Methode, um ganz oder teilweise auf die üblichen Narkose- bzw. Sedierungsmittel zu verzichten.

Hypnose und Placebo-Effekt

Eine besondere Form der Hypnose könnte auch der bekannte Placebo-Effekt sein.51 Bis vor Kurzem herrschte in der Wissenschaft die Sichtweise vor, dass der Placebo-Effekt auf einer schlichten Täuschung beruht und »Hypnose beschrieben werden könne als eine Art Placebo ohne Täuschung«.52 Diese Einschätzungen trafen bislang nicht zu, denn während die Placebo-Wirkung allein aufgrund von Täuschung funktioniert (der Patient weiß nicht, dass er z. B. eine Zuckerpille anstatt eines tatsächlichen Schmerzmittels bekommt), ist sich der Patient bei einer Hypnose sehr wohl bewusst, dass er sich einer solchen unterzieht.

Seit einigen Jahren ist man allerdings richtigerweise von der eingangs genannten Sichtweise abgerückt, denn chronische Schmerzen werden inzwischen auch im Rahmen sogenannter offener Placebo-Therapien behandelt. Bei diesem innovativen Behandlungsansatz wird der Patient offen darüber informiert, dass man ihn mit Placebos behandelt; er wird also nicht getäuscht.

Erstaunlicherweise kann selbst eine solche offene Placebo-Therapie Schmerzen verringern oder verschwinden lassen. Auch in diesem Fall entsteht der positive Effekt durch den gezielten Einsatz von Worten, die – genau wie bei einer Hypnose – eine besondere suggestive Wirkung entfalten.

Wie in einer Studie der Universitäten Basel und Harvard beschrieben,53funktioniert die offene Placebo-Therapie nur, wenn der Arzt dem Patienten die positiven und schmerzlindernden Effekte des Placebos zuvor wiederholt eindringlich dargelegt hat.

Dass auch bei dieser neuen Behandlungsform Worte von fundamentaler Bedeutung sind, hat eine Forschungsarbeit der Universität Essen unter der Leitung von Prof. Ulrike Bingel erst vor Kurzem erneut bestätigt. Ihre im Fachblatt Pain publizierte Studie beschreibt, dass die offene Placebo-Therapie nur dann gelingt, wenn sich die Betreffenden vorher ein Video anschauen, in dem nacheinander mehrere Patienten die Vorzüge dieser Therapie (also die Placebos, die sie bekommen hatten) in ihren eigenen Worten wiederholt anpreisen – so auch gezeigt in der Sendung ARD Buffet am 9. März 2021.54

Diese neuesten Forschungsergebnisse lassen erkennen, dass Worte eine fast magische Wirkung auf unsere Neuronen ausüben können, die in der Tat verblüffend ist. Robert Jütte, Leiter des Stuttgarter Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung GmbH, äußerte sich in der ÄrzteZeitung zur Wirkung der offenen Placebo-Therapie. Er betonte, dass hierbei die Erwartungshaltung der Patienten ausschlaggebend sei, und fügte hinzu: »Die Bedeutung des Wortes in der Medizinist ein ganz altes Thema, das fängt schon bei heilenden Sprüchen an, die in der Antike verwendet wurden […].«55 (Hervorhebung durch die Autorin)

Wie funktioniert Hypnose?

Die Techniken der Hypnose basieren hauptsächlich darauf, Worte zu wiederholen, positive mentale Bilder zu erstellen und/oder Verwirrung zu stiften. So wird in einigen Dentalpraxen in Deutschland Kleinkindern die »Angst vorm Zahnarzt« genommen, indem man in den Praxisräumen mehrere bewegliche Spielzeuge und puppenartige Wesen aufhängt und die Aufmerksamkeit des Kindes während der Zahnbehandlung auf diese unterschiedlichen Gebilde lenkt.

Weiterhin können auch bestimmte Pendelbewegungen mit einem Finger oder einem Objekt sowie spezifische Berührungen (die Hand des Kindes halten oder berühren) eine Hypnose einleiten.

Bei Erwachsenen kommen ähnliche Hypnoseverfahren zum Einsatz. Oft wird mit Tiefenentspannungstechniken anhand von Worten gearbeitet oder sogar Blitzhypnose angewandt. Hierzu braucht der Hypnotiseur z. B. nur »Sleep« (»Schlaf!«) zu sagen – und die Person verfällt in Schlaf.56

Aber wie kann ein einziges Wort wie ein Kommando wirken und das Gehirn eines Menschen derart »hacken«?

Diese Frage muss noch unbeantwortet bleiben – trotz der vielen Studien mit bildgebenden Verfahren, die in den angesehensten Universitäten zur Frage der Hypnotisierbarkeit unseres Gehirns weltweit durchgeführt wurden und werden.57

In den 1970er-Jahren verstand Julian Jaynes (Psychologieforscher und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Princeton) die Hypnose als eine Spur, die in eine andere Bewusstseinsepoche des Menschen führt. Wie er in seinem Hauptwerk Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche darlegte, ist die Hypnose ein kulturelles Überbleibsel aus jener primitiven Zeit, in der wir noch eine bikamerale Psyche besaßen, kaum oder kein Bewusstsein entwickelt hatten und auf (Götter-) Stimmen hörten.58 Deshalb würde Hypnose (in Form einer äußeren Autorität, die einem sagt, was zu tun ist) auch heute noch funktionieren.59 (Ich hoffe, mit dieser verkürzten Darstellung der komplexen Theorie von Jaynes ansatzweise gerecht geworden zu sein oder zumindest das Interesse des Lesers geweckt zu haben.) Auch wenn Jaynes seine visionäre Theorie anhand historischer Fakten belegte, können diese nur als Indizien gewertet werden; sie liefern keinen abschließenden Nachweis über die Natur der Hypnose.

Dank neuer technologischer Entwicklungen – vor allem der bildgebenden Verfahren – konnten sich seit einigen Jahren die Neurowissenschaften des Themas Hypnose annehmen und bereits etliche Nachweise erbringen.

Was man bisher weiß, ist, dass bestimmte Bereiche der Großhirnrinde, also des jüngsten bzw. »modernsten« Teils unseres Gehirns, unter Hypnose teilweise »ausgeschaltet« werden. An der Stanford University stellten der Psychiater David Spiegel und seine Kollegen in einer wichtigen Studie fest, dass ein Hypnosezustand im Gehirn tatsächlich sichtbar gemacht werden kann: Aus Aufnahmen der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) war zu ersehen, dass hypnotisierte Probanden im Vergleich zu einer Kontrollgruppe eindeutig einen anderen Gehirnzustand aufwiesen.

Bei hoch hypnotisierbaren Probanden zeigte sich, dass während der Hypnose die sogenannte Gürtelwindung im Inneren des Kortex sichtbar weniger aktiv ist. In Studien fand man heraus, dass diese Hirnregion Menschen hilft, ihre äußere Umgebung wachsam zu beobachten, also eine Art Kontrolle zu behalten über das, was ringsum geschieht. Während einer Hypnose ist diese Aktivität – und entsprechend der damit verbundene Kontrollmechanismus – reduziert. Das deutlich erkennbare Muster fehlender Hirnaktivität (also fehlender Wachsamkeit) in diesem Areal wurde von den Wissenschaftlern der Universität Stanford weder bei der Kontrollgruppe noch bei hoch hypnotisierbaren Personen festgestellt, solange diese sich im Ruhezustand befanden oder ihr Gedächtnis in Aktion war: »Was dieHoch-Hypnotisierbaren in der Hypnose machten, ist anders«, betonte Dr. Spiegel. »Das ist ein starker Beweis dafür, dass es ein anderer Gehirnzustand ist.«60 (Hervorhebung durch die Autorin)

Es gibt etliche weitere wissenschaftliche Erkenntnisse, aber noch versteht man nicht, warum die Worte eines Hypnotiseurs eine solche Macht haben und die in unserem Kopf entstehenden Bilder den Körper dazu bringen können, so erstaunliche Dinge zu tun, wie beispielsweise Blutungen zu drosseln oder Schmerzen auszuschalten. Und man fragt sich natürlich auch: Wie weit kann die persuasive Kraft von Wörtern gehen – im Guten wie im Schlechten?

Die positiven Wirkungen der Hypnose im Bereich der Medizin wurden nun dargelegt – aber könnte die Hypnose womöglich auch bei unseren Erinnerungen Positives bewirken?

Hypnose in der Psychotherapie

Zunächst ein kurzer Exkurs über die REM-Phase – jene Schlafphase, in der wir die intensivsten Träume erleben und unser Gehirn die tagtäglichen Informationen verarbeitet und das ein oder andere Problem löst.61

»Schlaf setzt sich aus zwei deutlich zu unterscheidenden Zustandsformen zusammen: dem Non-REM-Schlaf (non rapid eye movement-Schlaf), also einer Schlafphase ohne schnelle Augenbewegungen, und dem REM-Schlaf (rapid eye movement-Schlaf), jener Phase, die durch schnelle Augenbewegungen gekennzeichnet ist. Träume finden hauptsächlich im REM-Schlaf statt […]«62

Beim Non-REM-Schlaf handelt es sich um drei Schlafphasen (N1, N2 und N3, auch als I, II oder III bezeichnet), die dem leichten Schlaf bis hin zum Tiefschlaf entsprechen. »Der Ablauf der Schlafphasen wiederholt sich bei gesunden Menschen mit gutem Schlaf mehrfach pro Nacht. Ein vollständiger Zyklus dauert etwa anderthalb Stunden – plus oder minus 10 Minuten. Davon entfallen etwa 50 Minuten auf die Einschlaf- beziehungsweise Leichtschlafphase. Tiefschlaf und REM-Phase machen etwa 40 Minuten dieses Schlafzyklus aus. Am Anfang der Nacht dominiert der Tiefschlaf, gegen Ende der Schlafenszeit verweilen wir vermehrt in den REM-Phasen und bereiten uns aufs Aufwachen vor.«63

Diese REM-Phasen, die bereits ein Fötus erlebt, begleiten uns bis ins hohe Alter. Je älter wir werden, desto kürzer dauern diese Phasen.64

Ab dem siebten Monat durchläuft der Fötus im Mutterleib einen kontinuierlichen REM-Schlaf. Einen Monat später verbringt das werdende Kind damit 20 Stunden pro Tag. Wir erinnern uns – in den REM-Phasen werden Informationen verarbeitet und Traumbilder erzeugt.65 Laut einer Studie des University College London durchläuft der Fötus solche superlangen REM-Phasen vermutlich deswegen, weil sich sein Gehirn in einer rasanten Entwicklung befindet und eine Unmenge an sensorischen Informationen abspeichern und einordnen muss.66

Man geht davon aus, dass sich unser Gehirn in diesen REM-Phasen in einem besonderen Zustand befindet. Es sind Phasen zwischen dem N3-Tiefschlafzustand ohne Bewusstsein und dem Wachzustand bei vollem Bewusstsein. Während einer solchen REM-Phase befinden wir uns demnach in einer Art Trance67, in der das Gehirn Bilder kreiert, Erlebtes verarbeitet, die neuronalen Verbindungen umorganisiert, Probleme löst68 und sich auf einen neuen bewussten Wachzustand vorbereitet.69 Dabei, so vermutet man, wird wieder die Verbindung hergestellt zwischen den primitiven Gehirnarealen (wichtig für die lebenserhaltenden Funktionen während des fast komatösen Tiefschlafs) und den modernen Gehirnstrukturen, in denen unsere Kontrollinstanzen ihren Sitz haben.70 So die These.

REM, Hypnose und gezieltes »Löschen« von Erinnerungen

Seit einigen Jahrzehnten wird die Hypnose auch in der Psychotherapie mit großem Erfolg angewandt.71

Uneinig sind sich die Experten noch, ob die bekannte EMDR-Technik72 als Hypnose angesehen werden kann.73»EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing, was auf Deutsch Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung bedeutet.«74 Sie wird in Studien als sehr wirksam eingestuft, um bei Patienten die Erinnerung an schwere Traumata zu behandeln, und von eigens geschulten Psychiatern und Psychologen als Therapie der ersten Wahl empfohlen. Forscher konnten nachweisen, dass sie bei Phantomschmerzen genauso gut funktioniert wie die Hypnose.75

Die pendelartigen Bewegungen, mit denen die EMDR-Technik arbeitet, lösen Augenbewegungen aus, wie sie während des REM-Schlafs auftreten, also in einer Traumphase, in der das Gehirn oft Theta-Wellen erzeugt76 – bei EMDR zeigen sich diese allerdings im Wachzustand.77

Zum besseren Verständnis: Während einer EMDR-Sitzung leitet der Psychologe die Verarbeitung eines traumatischen Erlebnisses ein, indem er einen Finger oder ein Objekt hin- und herbewegt und der Patient diesen Bewegungen mit den Augen folgt. Der Psychologe wendet dieses Verfahren wiederholt an, bis die traumatische Erinnerung vom Gehirn des Patienten anders verarbeitet wird und dieser dann selbst schildert, ob sich die Erinnerung verändert hat oder völlig entschwunden ist.78 Nach mehrmaliger Wiederholung dieser quasi-hypnotischen Methode erscheint in der Erinnerung beispielsweise ein Vergewaltiger ganz klein und weit weg, sodass die traumatische Situation nicht mehr so verheerend und belastend ist.

Auch diese Therapieform funktioniert besonders dann gut, wenn der Betreffende entspannt ist und dem Psychologen vertraut, also gehirnmäßig nicht im Kontrollmodus oder in Habachtstellung ist.

Die biologischen Voraussetzungen der Hypnose und warum Vertrauen so wichtig ist

Gehirnwellen unter Hypnose

Um verständlich zu machen, warum Vertrauen eine unerlässliche Voraussetzung für die Wirkung von Hypnose ist, muss etwas ausgeholt werden.

In Medizin und Forschung wird zur Messung der Gehirnströme die Elektroenzephalografie eingesetzt. Damit werden die Wellen gemessen, die aufgrund neuronaler Aktivitäten entstehen. Diese Wellen unterscheiden sich in ihren verschiedenen Frequenzbereichen und weisen Muster auf, anhand derer man auch Krankheiten feststellen kann.

Man unterscheidet Alpha-, Beta-, Delta-, Gamma- und Theta-Wellen. Letztere treten bei Ruheaktivität im Säuglings- und Kleinkindalter auf. Bei Erwachsenen zeigen die Theta-Wellen eine verminderte Wachsamkeit an; zudem charakterisieren sie die leichteren Schlafstadien I und II.79

Wie man in etlichen Studien nachweisen konnte, werden unter Hypnose im Gehirn größtenteils diese Theta-Wellen aktiviert80 – ein Zustand, der wie erwähnt dem von Kleinkindern oder dem von Erwachsenen mit verminderter Wachsamkeit entspricht.

Verminderte Wachsamkeit bedeutet aber de facto, dass man seinem Gegenüber mit quasi blindem Vertrauen begegnet und Worte, Bilder und Bewegungsmuster bereitwillig »aufsaugt« bzw. »hereinlässt«.

Dieses Phänomen ist von fundamentaler Bedeutung, denn von Kindesbeinen an werden wir mit Worten überhäuft; ständig wird uns gesagt, was wir tun oder lassen sollen, was wir zu lernen haben oder was wir aus unserem Leben machen können. Ist unsere Identität somit von Worten und Lebensanschauungen anderer geprägt, die wir, wie hypnotisiert, als unsere ureigenen erachten?

Schon in den 1960er-Jahren erkannte Alan Watts, dass wir alle Opfer einer Massenhypnose sind81 und ein Weltbild in uns tragen, das uns auf »hypnotische« Art und Weise vermittelt worden sei. »Soziale Hypnose« nannte er das (ein gesellschaftsrelevanter Begriff) und sagte bereits damals: »Wir sind hypnotisiert worden, buchstäblich von gesellschaftlichen Konventionen hypnotisiert worden […]«82

Wie stark suggestive Bilder und Worte unser ganzes Leben beeinflussen, zeigt sich auch an unserem Kaufverhalten (siehe Kapitel 7 »Hypnosetechniken der Werbung«) und an der bedenkenlosen Bereitschaft, uns einer Gruppe anzugleichen. Letzteres ist ein biologisches Bedürfnis, denn ohne Gruppe könnten wir nicht – oder nur sehr schlecht – überleben. Dies hatte bereits Charles Darwin festgestellt83 – und nach ihm auch viele andere Wissenschaftler, u. a. Professor Richard F. Taflinger von der Washington State University (1996).84

Zu Beginn der Menschheitsgeschichte lohnte es sich, den Worten des Anführers einer Gruppe Folge zu leisten, z. B. wenn dieser anordnete, vor einem gefährlichen Tier die Flucht zu ergreifen. Solchen Worten Glauben zu schenken bzw. sich daran zu halten war also damals fundamental, da biologisch wichtig für das Überleben. Diese Erfahrungen sind in unseren Genen und Gehirnwindungen fest eingeprägt, sodass viele von uns bis heute den Versprechungen eines Anführers (Politikers) glauben, der uns eine bessere Zukunft verheißt (siehe Kapitel 5 »Politik und Hypnose«).

Von welch fundamentaler Bedeutung die Wahl der Wörter in diesem hypnotischen Lebensverführungsspiel ist, zeigt folgende Erfahrung:

Wer als Arzt mit Hypnose arbeitet, hat zuweilen Bedenken, dieses Wort gegenüber seinen Patienten zu verwenden, und greift daher auf Begriffe wie »Suggestion« oder »Tiefenentspannung« zurück. Studien haben jedoch erwiesen, dass der Erfolg von Therapien oder chirurgischen Eingriffen eindeutig auch von den verwendeten Begriffen abhängt und dass es vorteilhafter ist, gegenüber den Betreffenden klar von »Hypnose« zu sprechen.85

Tatsache ist, dass es keiner Tiefenhypnose bedarf, um uns mit suggestiven Worten zu verführen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn unser Gehirn visuelle oder akustische Informationen und Wahrnehmungen aufnimmt und wir dabei Vertrauen86 empfinden – und nicht merken, dass gerade deswegen bestimmte Kontrollinstanzen teilweise ausgeschaltet sind.87

Oxytocin, Hypnose und das Spiel mit den Neuronen

Über die Sprache der Politik und der Massenmedien und deren Wirkung ist schon viel geschrieben worden. Wie suggestiv – und somit hypnotisch – bestimmte Begriffe und Sätze wirken, müssten wir eigentlich inzwischen alle wissen. Aber dem ist nicht so: Irgendwie scheinen wir der persuasiven Wirkung von Sprache, Rhetorik und Worten mehr oder weniger ausgeliefert zu sein.

Worte beeinflussen unser Verhalten von Kindheit an. Womöglich ist das von der genetischen Evolution so eingerichtet, denn wie sonst wäre die beruhigende Wirkung der Worte einer Mutter auf ihr schreiendes Baby zu erklären? Sie funktionieren, weil es die Worte der Person sind, der dieses schutzbedürftige Wesen voll vertraut. Es hört die mütterliche Stimme – und schläft selig ein.

Mit acht Monaten, wenn ein Kind vermag, Fremde als solche zu erkennen, beginnt es zu weinen und zu schreien, sobald es mit unbekannten Menschen in Kontakt kommt.88 Zumeist genügen dann aber ein paar Worte der Mutter oder eines anderen vertrauten Familienmitglieds, um das Kind zu beruhigen, sodass es fremden Menschen mit der Zeit nicht mehr mit Furcht und Angst begegnet. An diese guten, also nicht irreführenden Seiten von Worten und Stimmen sind wir seit Anfang unseres Lebens gewohnt.

Wie bereits erwähnt, hat jene einlullende Kraft der Worte sehr viel mit Vertrauen zu tun – und Vertrauen wiederum hängt mit dem Liebeshormon Oxytocin zusammen: »Bislang war wenig darüber bekannt, welche physiologischen Mechanismen hinter der Ausbildung von menschlichem Vertrauen stecken. Drei Schweizer Wissenschaftler konnten [2005] jedoch zeigen, dass Oxytocin wesentlich zur Vertrauensbildung beiträgt. In einer Studie verabreichten sie das Hormon nasal einer Reihe freiwilliger Probanden. Verglichen mit den Studienteilnehmern, denen auf nasalem Weg nur ein Plazebo verabreicht worden war, zeigten die Teilnehmer der Verumgruppe [die das Hormon tatsächlich bekamen] deutlich mehr Vertrauen.«89

Dieses hormonbedingte Vertrauen ist wiederum eng mit Hypnose verbunden, wie eine 2011 durchgeführte Studie der University of South Wales in Sidney (Australien) aufzeigte. Hier wurden Männer, die nicht besonders leicht zu hypnotisieren waren, in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine bekam ein Placebo, die andere nasal das Hormon Oxytocin (das unsere Vertrauensseligkeit erhöht). Danach wurde versucht, die Probanden zu hypnotisieren. Jene, denen Oxytocin in die Nase gesprüht worden war (und die somit mehr Vertrauen zu den Menschen in ihrer Umgebung entwickelt hatten), ließen sich signifikant leichter hypnotisieren.90

Man könnte also somit die These aufstellen, dass Vertrauen (verbunden mit Oxytocin) die unerlässliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Hypnose ist oder die Hypnotisierbarkeit erleichtert. Damit ließe sich auch die Reaktion eines Kleinkindes auf die Stimme und die Worte der Mutter erklären, denn die Mutter-Kind-Bindung ist besonders durch Oxytocin gekennzeichnet: Bei jeder Hautberührung schießt dieses »Kuschelhormon« in die Höhe.91

Vertrauen ist uns somit in die Wiege gelegt, wobei aus genetischen Gründen einige Menschen von vornherein mehr Vertrauen in ihre Mitmenschen haben, andere weniger und manche überhaupt nicht. Aber warum ist das so? Vertrauen scheint in Korrelation mit denjenigen Genen zu stehen, die für die Bildung der Oxytocin-Rezeptoren verantwortlich sind – und damit auch die Hypnotisierbarkeit von Individuen bestimmen. In einer weiteren australischen Studie wurde nämlich festgestellt, dass Menschen mit der GG-Variante des für die Oxytocin-Rezeptoren zuständigen Gens weniger hypnotisierbar waren als die Träger eines A-Allels. Dies deutet einmal mehr darauf hin, dass die unterschiedliche Suggestibilität oder Hypnotisierbarkeit von Menschen genetisch bedingt ist und mit dem Oxytocin-Rezeptor-Gen zu tun hat, das für unsere Vertrauensfähigkeit verantwortlich ist.92

Die wissenschaftlichen Studien zeigen somit, dass die menschliche Hypnotisierbarkeit eine genetische Basis besitzt, die eindeutig mit Oxytocin und Vertrauen zu tun hat.

Wie sehr Worte aber auch irreführend sein können und wie stark sie unseren bewussten Willen außer Kraft zu setzen vermögen, erfährt man erst später, wenn man beispielsweise als Kind von Freunden hintergangen oder Opfer von Mobbing wird. Tiefgreifende Enttäuschungen widerfahren insbesondere Jugendlichen in der Schulzeit, wenn sie ihren ersten Liebeskummer erleiden.

So können zärtliche Worte selbst die strengsten Kontrollinstanzen der Großhirnrinde umgehen und rasch ihr Ziel erreichen. Wie oft dies passiert, davon zeugen die Liebesenttäuschungen vieler Mädchen und Jungen, aber auch die erwachsener Frauen und Männer, die Opfer von sogenannten Love-Scammern geworden sind – Betrügern, die andere Menschen mit vorgegaukelten Liebeserklärungen hypnotisch umgarnen, um ihnen Unsummen an Geld abzuluchsen oder sie zu erpressen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist Susanne Klatten (eine Dame, vor deren Courage man übrigens den Hut ziehen muss).93

Liegt dieser Manipulierbarkeit der Gefühle vielleicht ein biologisches Diktat zugrunde? Nehmen wir an, eine junge Frau lernt einen attraktiven Mann kennen, dem sie aber nicht so recht vertraut, weil ihre Großhirnrinde sie bereits auf einige eher zweifelhafte Eigenschaften aufmerksam gemacht hat. Eines Tages, als sich ihr Gehirn gerade nicht in Habachtstellung, sondern eher in einem entspannten und hormonbedingt besonders rezeptiven Zustand befindet (weil die junge Frau kurz vor dem Eisprung steht94), lauscht sie seinen mit tiefer, schmeichelnder Stimme gesprochenen Liebesschwüren. In diesem Moment glaubt sie seinen Worten trotz besseren Wissens und lässt sich von ihnen einlullen. Nehmen wir weiter an, dass sie Wochen später schwanger ist. Dies würde zeigen, dass sich die Evolution und eines ihrer Grundprinzipien, die »Erhaltung der Spezies«, erneut erfolgreich durchgesetzt haben – wie seit jeher.