Die Inka - Ulrike, Dr. Peters - E-Book

Die Inka E-Book

Ulrike, Dr. Peters

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Beschreibung

Von der Kultur der Inka geht nach wie vor eine große Faszination aus. Ganz und gar nicht zu Unrecht, denn die Kultur der Inka würde heute nicht nur mit einem, sondern gleich mit mehreren Superlativen ins "Guinness-Buch der Rekorde" eingehen: das größte Reich, die größte Armee, das größte Straßennetz und der größte Goldschatz des Alten Amerika. In knapp hundert Jahren (1438–1534 n. Chr.) hatten Die Inka ein Imperium errichtet, das sich auf einer Länge von fast 5000 km von Kolumbien bis nach Chile erstreckte. Auf den vorangehenden Kulturen wie Chavín, Moche oder Tiahuanaco aufbauend, übertrafen Die Inka diese in vielerlei Hinsicht. Die Inka-Herrscher verstanden sich, ähnlich wie die Pharaonen des Alten Ägypten, als Söhne des Sonnengottes. Sie führten einen aufwendigen Hofstaat und ihr Reichtum war legendär. Der vorliegende Band stellt die Geschichte und Kultur der Inka sowie die Eroberung des Inka-Reiches durch die Spanier dar und geht auch auf die Kulturen vor der Inka-Zeit ein und auf das, was von den Inka blieb. So ist das Quechua, die Sprache der Inka, bis heute die Amtssprache in Peru, Bolivien und Ecuador und nicht das einzige Erbe der Inka.

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Ulrike Peters

Die Inka

INHALT

VORWORT

EINFÜHRUNG:

DIE GRUNDLAGEN DER ALTPERUANISCHEN KULTUREN

WIE ALLES BEGANN –

DIE HOCHKULTUREN VOR DEN INKA

DIE INKA-HERRSCHER UND IHRE GESCHICHTE

TAHUANTINSUYU – DAS WELTREICH DER INKA:

GESELLSCHAFT, WIRTSCHAFT VERWALTUNG, RECHT UND ALLTAGSLEBEN

»DER NABEL DER WELT« UND »DAS WELTWUNDER DER MODERNE«

KUNST UND ARCHITEKTUR DER INKA

RELIGION UND WELTBILD DER INKA

UNTERGANG EINES WELTREICHES:

DIE SPANISCHE EROBERUNG DES INKA-REICHES

INKARRÍ –

DER INKA KOMMT WIEDER ODER DAS ERBE DER INKA

ZEITTAFEL

GLOSSAR

BIBLIOGRAPHIE

VORWORT

»Und als der Sonnengott in Gestalt eines strahlenden Mannes erschien, sprach er zu den Inka und ihrem Führer Manco Capac: ›Du und deine Nachfahren werdet Herrscher sein und über viele Völker regieren. Betrachtet mich als Vater und euch als meine Kinder und so werdet ihr mich als Vater verehren.‹«1

So berichtet der Mythos vom Ursprung der Inka, von deren Kultur bis in unsere Tage eine besondere Faszination ausgeht. Und nicht zu Unrecht, denn die Inka würden heute nicht nur mit einem, sondern gleich mit mehreren Superlativen ins Guinness-Buch der Rekorde eingehen: das größte Reich, die größte Armee, das größte Straßennetz und der größte Goldschatz des alten Amerika. Das dem Inka-Reich folgende Vizekönigreich Peru war während der Kolonialzeit das reichste Kronland Spaniens in Amerika und mit dem dort erbeuteten Gold der Inka finanzierte die spanische Krone zum Beispiel die Türkenkriege. Bis in die Gegenwart kann man von einem Mythos der Inka sprechen, denn längst sind noch nicht alle Geheimnisse ihrer Kultur entschlüsselt. So ist bspw. nach wie vor unklar, zu welchem konkreten Zweck die Anlage Machu Picchu erbaut wurde, ob als Landsitz der Herrscher, als Stadt oder Festung.

Das Wort Inka bezeichnet zum einen die Hochkultur der Inka, deren Anfänge um 1200 anzusetzen sind und die ihre Blütezeit von 1450 bis 1533 erlebte. Inka wird auch das Volk dieser Hochkultur genannt; und Inka nannten sich schließlich der Herrscher des Imperiums sowie die Angehörigen des Herrschers bzw. die Oberschicht. Das Imperium, das die Inka in einer Zeit von nicht mehr als hundert Jahren erschufen, erstreckte sich auf einer Länge von 4000 km von Kolumbien im Norden bis nach Chile im Süden.

Die Inka-Kultur ist zwar die bekannteste, aber nicht die einzige Kultur des Alten Peru. Sie baute auf den Errungenschaften ihrer Vorgängerkulturen auf, wie denen von Chavín, Moche, Huari oder Tiahuanaco – um nur die wichtigsten zu nennen. Von diesen Kulturen übernahmen die Inka vieles und entwickelten es weiter bis zur Perfektion. Berühmt wurden die Inka auch für ihren durchorganisierten Staatsapparat: Nicht Geld und Handel, sondern der Arbeitsdienst aufgrund einer genauen Bestandsaufnahme der Bevölkerung und des Landes war die Basis der Wirtschaft und die Voraussetzung für das Funktionieren eines so großen Reiches.

Die Inka-Herrscher verstanden sich, ähnlich wie die Pharaonen des alten Ägypten, als Söhne des Sonnengottes. Sie führten einen aufwendigen Hofstaat und ihr Reichtum war legendär. So zahlte der von den Spaniern gefangen gesetzte Inkaherrscher Atahualpa für seine Freilassung das wohl höchste Lösegeld, das je in der Weltgeschichte gefordert wurde: Ein Zimmer bis an die Decke mit Gold- und Silbersachen gefüllt. Von all den Kunstwerken aus Gold und Silber sind allerdings nur einzelne Stücke erhalten geblieben. Das Meiste wurde von den Spaniern eingeschmolzen und dann buchstäblich zu Geld gemacht.

Von den Inka selbst existieren zwar etliche archäologische Funde, besonders die geheimnisvolle Residenz oder Festung Machu Picchu, aber keine schriftlichen Zeugnisse. Wir sind daher auf die Berichte der spanischen Chronisten angewiesen, die die Inka-Kultur zwar als Augenzeugen, aber immer auch durch die europäisch-christliche Brille beschreiben. Sie erwähnen vor allem das Exotische, wie die Macht und Pracht des Inka-Herrschers, den perfekt organisierten Staat oder die Teilnahme verstorbener Herrscher als Mumien an Festivitäten.

Die Inka-Herrschaft endete 1533 mit der spanischen Eroberung, wobei zwei ganz verschiedene Welten aufeinander trafen. Die darauf folgende Kolonialzeit bedeutete für die Indios Ausbeutung, Leid und Elend, woran auch die von Bartolomé de las Casas initiierten »Indianerschutzgesetze« nicht viel änderten.

Ziel des vorliegenden Bandes ist keine umfassende, wissenschaftliche Arbeit, sondern eine allgemeinverständliche Einführung zur Kultur der Inka, ihrer Geschichte, Gesellschaft, Wirtschaft und Religion. In diesem Zusammenhang möchte ich meinen Dank auch Herrn Stefan Gücklhorn und vor allem Herrn Dr. Timo Gimbel, den Lektoren des Verlagshaus Römerweg aussprechen. Zum Zweck der besseren Verständlichkeit und Lesbarkeit wurden die von der Autorin ins Deutsche übersetzten Quellentexte nicht wortwörtlich, sondern frei übersetzt. Die übernommenen wörtlichen Übersetzungen wie die Texte von Guaman Poma de Ayala mögen manchen Leser befremdlich erscheinen, ergeben sich aber aus Sprache und Stil des Quellentextes. Ebenfalls zur besseren Lesbarkeit wurde bei den verwendeten Quechua-Wörtern die spanische Schreibweise benutzt, da diese, von den je nach Ideologie der Sprecher und Wissenschaftler sehr unterschiedlichen verwendeten Schreibweisen, am gebräuchlichsten ist. So wird der Name des letzten Inka-Herrschers hier Atahualpa geschrieben (andere Schreibweisen sind: Atawalpa, Ata Wallpa, Atawallpa, Ataghualpa oder Ataw Wallpa). Diese Unterschiede ergeben sich aus der Tatsache, dass das Quechua zum einen keine Schriftsprache ist und zum anderen die diversen Dialekte des Quechua stark variieren.

Die Erben des Inka-Reiches, die Quechua-Indianer, leben heute noch: Quechua, die Sprache der Inka, wird gegenwärtig von ca. 14 Mio. Indios von Kolumbien bis Chile gesprochen und ist die Amtssprache in Peru, Bolivien und Ecuador. Aber zum Erbe der Inka zählen auch wirtschaftliche Güter, die wir in Europa übernommen haben, die Kartoffel, die Koka-Pflanze oder das Meerschweinchen. Diese und andere Beispiele machen deutlich, wie bis heute das Erbe des Alten Peru weit über die Grenzen Südamerikas nachwirkt. Die Kenntnis vergangener Kulturen dient immer auch einem besseren Verständnis der eigenen Gegenwart. Für die Indios, die direkten Erben des Inka-Reiches, trifft nach wie vor das Zitat von Inca Garcilaso de la Vega zu: »Von vergangener Größe und Blüte kamen sie zu den Dingen der Gegenwart, sie weinten um ihre toten Inka-Herrscher, ihr verlorenes Reich und ihren vernichteten Staat.«2

1Cristóbal de Molina, 52 (dt. U. P.).

2Garcilaso de la Vega 21986, 15.

EINFÜHRUNG:

DIE GRUNDLAGEN DER ALTPERUANISCHEN KULTUREN

Das Alte Peru – geographisch gesehen

»Wir fanden uns noch ausreichend bei Kräften, obwohl wir vor Kälte kaum mehr die Füße spürten […]. Wir litten rasend unter Atemnot und noch schlimmer quälte uns der Brechreiz. […] Außerdem bluteten wir aus dem Zahnfleisch, aus den Lippen, das Weiß unserer Augäpfel war blutunterlaufen.«3

So lautet die Tagebucheintragung des bekannten deutschen Naturforschers Alexander von Humboldt (1769–1859) zu seiner berühmt gewordenen Besteigung des Chimborazo in Ecuador im Jahre 1802, den man damals für den höchsten Berg der Erde hielt. Den Gipfel erreichte Humboldt wegen eines Schneesturmes nicht, aber er kam immerhin auf eine Höhe von fast 6000 m. Die oben zitierten Erfahrungen Humboldts sind die typischen körperlichen Symptome in solchen Höhen, zumal Humboldt damals diese Bergbesteigung ohne eine besondere Ausrüstung unternahm. Humboldt bereiste in den Jahren zwischen 1799 und 1804 Südamerika zusammen mit dem französischen Botaniker Aimé Jacques Alexandre Bonpland (1773–1858). Die Ergebnisse seiner geographischen Vermessungen des Andenhochlandes wurden in die damaligen Atlanten aufgenommen. Er lieferte zusammen mit Bonpland die erste geographische Unterteilung der verschiedenen Höhenregionen von der Küste bis zum Andenhochland.

Die Costa, die trockene, heiße Küstenregion am Meer, die Sierra, die fast 7000 m hohe Bergregion der Anden und die Selva, der tropische Regenwald östlich der Anden: diese landschaftlichen Extreme sind die Heimat der vorspanischen Hochkulturen des Alten Peru. Jene unmittelbar benachbarten Naturräume, die sich vor allem durch ihr Klima unterscheiden, sind weltweit einmalig; besonders hinsichtlich ihrer außergewöhnlich hohen Biodiversität, d. h. der Vielfalt an verschiedenen Tier- und Pflanzenarten und Ökosystemen. Viele Arten kommen nur hier vor, sind also endemisch, so der biologische Fachbegriff. Zu erwähnen ist auch, dass die Jahreszeiten auf der südlichen Halbkugel, der Peru zuzurechnen ist, im Vergleich zur Nordhalbkugel vertauscht und zudem in den Tropen, anders als in gemäßigten Breiten, durch eine Trocken- und Regenzeit gekennzeichnet sind. Der Winter, von April bis November, ist die Trockenzeit und Zeit der Aussaat. Der Sommer, von Dezember bis März, ist die Regenzeit und die Zeit der Ernte.

Das Alte Peru entwickelte sich im Laufe seiner Geschichte zu einem bedeutenden Gebiet der Domestikation von Pflanzen. Circa 40 Pflanzenarten wurden hier kultiviert; die bekanntesten von Europa übernommenen Pflanzen sind die bereits genannte Kartoffel, aber auch Koka, Mais, Tomate, Bohne und Avocado. Der Anbau dieser Pflanzen unterscheidet sich dabei je nach Höhenlage der Täler. Prinzipiell gilt: je höher die Lage, desto weniger Pflanzen können angebaut werden. Die höchsten Täler sind daher das Anbaugebiet von nur wenigen Pflanzen wie Kartoffel und Quinoa. In der mittleren Höhenlage kann Mais angebaut werden, aber ebenso die Pflanzen der höchsten Täler. Die meisten Pflanzenarten wachsen im Tiefland, wie z. B. Koka, Chili, Avocado, Baumwolle, Yuca (Maniok), Tomate oder Süßkartoffel.

Eine erste geographische Einteilung dieser Höhenzonen basiert auf Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland:

1.Tierra Caliente (heiße Zone), die unterste Zone mit tropischem Klima,

2.Tierra Templada (gemäßigte Zone) in 1000 bis 2000 m Höhe, das Anbaugebiet des Maises,

3.Tierra Fria (kühle Zone) in 2000 bis 3500 m Höhe, das Anbaugebiet der Kartoffel,

4.Tierra Helada (kalte Zone) in 3500 bis 4800 m Höhe, wo Viehzucht betrieben wird und

5.Tierra Nevada (Schneeland), die Region der Schneegrenze und der Gletscher.

Von dem peruanischen Geographen Javier Pulgar Vidal gibt es eine noch detailliertere, heute gebräuchliche Einteilung, die die West- und Ostseite der Anden berücksichtigt und die einzelnen Zonen mit Quechua-Bezeichnungen benennt:

1.Chala (Küstenzone auf der Westseite der Anden), bis 500 m,

2.Omagua (tropischer Regenwald auf der Ostseite der Anden), 80 bis 400 m,

3.Rupa-Rupa (Waldzone), 450 bis 600 m westlich und 1000 bis 2300 m östlich der Anden,

4.Yunga (subtropischer Nebelwald), 450 bis 2300 m,

5.Quechua (Hochtäler mit gemäßigten Klima), 2300 bis 3500 m,

6.Jalca oder Suni (Hochebenen), 3500 bis 4100 m,

7.Puna (kalte Zone), 4100 bis 4800 m und

8.Janca (Zone der Schneegrenze), ab 4800 m.

Die Costa erstreckt sich über eine Länge von ungefähr 2300 km und variiert in der Breite zwischen 10 und 80 km. Am breitesten ist dieser Küstenstreifen im Norden bei Piura, am schmalsten etwa in der Mitte Perus, wo die Anden bis an das Meer reichen. Die Küste ist weitgehend von Wüstenlandschaft geprägt, der Atacama. Sie ist die trockenste Wüste der Welt und erstreckt sich von Südperu bis nach Chile. Im Sommer beträgt die Durchschnittstemperatur 35 °C, im Winter sinkt sie bis auf 12 °C. Durch viele Flüsse, die von den Anden kommend in den Pazifik münden, entstanden Flussoasen – an die vierzig im heutigen Peru. In diesen Oasen boten die Flüsse die Möglichkeit, Felder künstlich zu bewässern, sodass sich eine ertragreiche Landwirtschaft entwickeln konnte, die die Basis für die präkolumbianischen Kulturen bildete. Angebaut wurden hier Mais, Bohnen, Kürbisse, Erdnüsse und Baumwolle. Auch der Pazifik bietet mit seinem Fischreichtum seit jeher eine Nahrungsgrundlage für die Küstenbewohner. Sardellenarten (Anchovis) und Thunfischarten (Bonitos) sind die am häufigsten vorkommenden Fische, die wiederum der Grund sind für den reichen Bestand an Seevögeln und Meeressäugern, darunter Perutölpel, Pelikane, Kormorane, Robben und Wale.

Die Sierra wird von drei großen Gebirgszügen gebildet, die von Kolumbien im Norden bis zur Südspitze Südamerikas in Chile auf einer Länge von ungefähr 7500 km verlaufen: die West-, die Zentral- und die Ostkordillere. Das nördliche und mittlere Gebiet der Anden ist durch lange, schmale und tiefe Täler geprägt, der südliche Teil durch eine fast 170 000 km2 große Hochebene (Altiplano) mit dem Titicacasee in einer Höhe von fast 4000 m.

Der 8288 km2 große und bis zu 282 m tiefe Titicacasee ist der größte Hochgebirgssee und das höchstgelegene kommerziell schiffbare Gewässer der Erde, fünfzehnmal größer als der Bodensee. Der westliche Teil gehört heute zu Peru, der östliche zu Bolivien. Viele große und kleine Inseln liegen im See, unter anderem die Isla del Sol, wo einem Mythos zufolge die Urheimat der Inka lag. Über 25 Flüsse fließen in den See, aber nur durch einen, den Río Desaguadero, fließt das Wasser ab. Heute haben die Anwohner des Titicacasees mit den Problemen der Wasserverschmutzung und einem ständig abnehmendem Wasserstand zu kämpfen. Es gibt einige endemische, nur hier am Titicacasee vorkommende Tierarten: der Titicaca-Taucher, ein flugunfähiger Vogel aus der Familie der Lappentaucher, der Titicaca-Riesenfrosch, der Andenkärpfling und der Schmerlenwels.

Die Anden sind bis heute durch Erdbeben und Vulkantätigkeit geprägt. Das Klima ist nicht so sehr durch jahreszeitliche Unterschiede als vielmehr durch die Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht gekennzeichnet: So betragen die Tagestemperaturen in der höchsten noch besiedelbaren Zone von 3700 bis 4800 m, der sogenannten Puna (Quechua für »sehr kalt«), bis zu 20 °C, in der Nacht kann die Temperatur aber bis auf -25 °C sinken. Hier ist der Sauerstoffgehalt der Luft nur halb so hoch wie an der Küste; aber die Bewohner dieser Region sind genetisch durch einen vergleichsweise hohen Anteil an roten Blutkörperchen an das Leben auf dieser Höhe angepasst. Jenseits der Puna beginnt die Janca, die höchste Region der Anden mit ihren Gletschern und Berggipfeln, die eine Höhe bis fast 7000 m erreichen können. So ist der höchste Berg der Anden, der Aconcagua in Argentinien, 6962 m hoch. Als höchste Berge von Peru sind der Nevado Huascarán mit 6768 m und der Yerupaja mit 6634 m zu nennen.

Obwohl die Täler der Anden schmal sind, wurden sie schon von den Kulturen vor den Inka für den Feldanbau genutzt, indem man sie durch Terrassen an den Berghängen erweitert hat. Angebaut wurde hauptsächlich die Kartoffel. Mais gedeiht hingegen nur in einigen klimatisch günstigen Gebieten des Titicacasees. Typisch für das Andenhochland ist die Zucht von Lamas und Alpakas. Diese sind, ebenso wie Vicuña, Guanako, Meerschweinchen und der riesige Kondor die typischen Tiere der Anden. Daneben gibt es noch etliche andere endemische Tiere wie den Andenhirsch, den Andenfuchs, das Viscacha (eine Chinchilla-Art) und die Andengans. Ferner ist der Weißwedelhirsch zu nennen, die Flamingos an den Seen und der Brillenbär, die einzige Bärenart Südamerikas.

Die Selva bzw. der Amazonasregenwald im Osten der Anden ist noch heute größtenteils ein fast undurchdringlicher Dschungel, ein Biotop mit einer vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt, das aber immer mehr durch Zerstörung bedroht ist. Von den für die Kulturen Altperus bedeutenden Tierarten der Selva ist an erster Stelle der Jaguar zu nennen, der vor allem in der Chavín-Kultur religiös verehrt wurde. Ferner gibt es verschiedene Arten von Affen, Schlangen und Fröschen sowie die wegen ihrer Federn geschätzten Papageien und Kolibris. Selbst in unserer heutigen modernen Zeit ist es fast unmöglich, den dichten Dschungel zu durchqueren. Der Amazonas und seine Nebenflüsse waren und sind die Hauptverkehrswege durch dieses Gebiet. Die Selva umfasst 60 % der gesamten Landesfläche des heutigen Staates Peru, ist aber kaum besiedelt. Die jährliche Regenniederschlagshöhe beträgt 3800 mm, die durchschnittliche Temperatur 26 °C. Im Vergleich dazu hat eine deutsche Stadt wie Köln eine Durchschnittstemperatur von 9,6 °C und einen Jahresniederschlag von 804 mm.

Zwei klimatische Besonderheiten Südamerikas sind der Humboldtstrom und die El Niño genannte Klimaanomalie. Der Humboldtstrom ist eine Meeresströmung, die von der Antarktis ausgehend an der südamerikanischen Pazifikküste bis zum Süden Ecuadors mit ihrem kalten Wasser das Klima entscheidend prägt. Durch die vorherrschenden Passatwinde wird in Küstennähe das wärmere Oberflächenwasser des Pazifiks verdrängt und die kalte Meeresströmung gelangt an die Oberfläche. In der Folge kühlt sich entsprechend auch die Luft ab. Die dadurch bedingten klimatischen Auswirkungen reichen bis an die Küsten von Neuguinea und Australien. Hinzukommt, dass durch den Humboldtstrom die peruanischen Küste eine antarktische Meeresfauna aufweist, obwohl Peru selbst der tropischen Klimazone zugerechnet wird.

Gefürchtet ist El Niño (Spanisch für »das Kind«, gemeint ist das Christuskind), wissenschaftlich El Niño-Southern Oscillation (= ENSO) genannt, eine Veränderung der Meeresströmung, die im Abstand von ca. zwei bis sieben Jahren und, wie der Name schon andeutet, vor allem zur Weihnachtszeit auftritt. Dabei werden die Passatwinde schwächer, der kalte Humboldtstrom wird nicht mehr an die obere Wasserschicht getrieben, das Wasser erwärmt sich und das Plankton, die Nahrungsgrundlage der Fische, stirbt ab. Als Folge bleiben die sonst zahlreichen Fischschwärme aus. Eine weitere Folge ist die Entstehung von Ostwinden und eine dementsprechend veränderte Luftzirkulation. An der südamerikanischen Küste kommt es zu starken Regenfällen und Überschwemmungen, in Mexiko zu starken Wirbelstürmen, während die Amazonasregion, aber auch Südostasien und Australien durch El Niño von Trockenheit betroffen sind. 1726 wurde ein El Niño erstmals aufgezeichnet. Man vermutet aber, dass schon die vorkolumbianischen Kulturen vom Auftreten des El Niño betroffen und beeinflusst wurden. Als Ursache des plötzlichen Endes der vorkolumbianischen Kulturen werden heute vielfach durch El Niño verursachte Katastrophen angenommen. Selbst in unserer technisch fortschrittlichen Zeit haben solche Unwetterkatastrophen durch El Niño bekanntlich verheerende Auswirkungen.

Pflanzen und Tiere der Landwirtschaft und was wir von den Inka geerbt haben

Als »Gold der Inka« bezeichnet man nicht nur die metallenen Reichtümer, sondern auch einen viel existenzielleren Schatz: die Kartoffel (Solanum tuberosum). Sie war eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel des Alten Peru, auch wenn sie zur Zeit der Inka zunehmend Konkurrenz durch den Maisanbau erhielt, und sollte später eine ähnlich zentrale Rolle in Europa einnehmen.

Die Kartoffel gehört wie die Tomate oder Paprika zu den Nachtschattengewächsen. Sie ist ein krautartiges Gewächs mit lila, rosa oder weißen Blüten und giftigen Beeren als Früchte. Essbar sind lediglich die Knollen, die sich an der Wurzel bilden (bei der Wildform der Kartoffel nur etwa so groß wie eine Erdnuss). Als Nahrungsmittel ist die Kartoffel sehr reichhaltig an den Vitaminen C, A und B sowie an Spurenelementen und Mineralstoffen. An die 4000 Kartoffelarten gibt es im peruanischen Andengebiet, wovon die meisten auch nur dort gedeihen, während die in der übrigen Welt verbreiteten Arten an andere Lichtverhältnisse angepasst sind. Die ersten Funde von domestizierten Kartoffeln datieren auf die Zeit um 2000 v. Chr.

Den Inka diente die Kartoffel

»[…] als Brot; sie essen sie gekocht und gebraten, und gleichermaßen geben sie sie den Fleischgerichten bei […]. [Die Kartoffel] gibt es in vier oder fünf Farben, manche sind rot, andere weiß, andere gelb und andere violett, jedoch unterscheiden sie sich nur geringfügig im Geschmack.«4

So berichtet es Garcilaso de la Vega. Die Inka pflegten auch eine spezielle Art der Konservierung der Kartoffeln: Zunächst entzogen sie ihnen das Wasser, indem sie – ähnlich wie früher bei der Traubenernte – auf ihnen herumtrampelten. Anschließend wurden sie mehrmals tagsüber an der Sonne getrocknet und während der Nacht wieder gefroren. Die auf diese Weise konservierte Kartoffel heißt Chuño. Man kann sie sehr lange lagern und sie eignet sich daher bestens als Nahrungsmittelreserve für schlechte Zeiten. Demgegenüber ist die bei uns übliche Kartoffelart ungeeignet für die Konservierung als Chuño.

In den Jahren zwischen 1564 und 1570 gelangte die Kartoffel nach Spanien, erstmals belegt ist sie dort 1573. Von Spanien aus nahm die Kartoffel ihren Weg zum einen nach England, zum anderen nach Italien und von dort aus dann in die anderen europäischen Länder. Sie war zunächst wegen ihrer rosa, lila und weißen Blüten als Ziergewächs beliebt und es dauerte fast zweihundert Jahre, ehe sie sich in Europa als Lebensmittel etablierte. »Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht« – die Redensart kommt nicht von ungefähr, und so musste der preußische König Friedrich II. der Große im 18. Jh. die Bauern per Gesetz regelrecht dazu zwingen, Kartoffeln anzubauen, um so Hungersnöten vorzubeugen. Der Erfolg der Kartoffel als eines der wichtigsten Lebensmittel nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, war damals angesichts der Ablehnung durch die Bevölkerung sicher nicht vorauszusehen.

Der Mais (Zea mays) gehört zur Familie der Süßgräser. Kolumbus brachte von seinen Entdeckungsfahrten die ersten Maispflanzen nach Spanien, sodass es dort bereits 1525 Maisfelder gab. Heute ist der aus einer wärmeren Klimazone stammende Mais in klimaresistenten Formen weltweit verbreitet. Der größte Ertrag davon findet als Tierfutter Verwendung, während in Peru und Mittelamerika der Mais bis heute die wichtigste Nahrungsgrundlage für die Menschen ist.

Der in Zentralmexiko kultivierte Mais stammt von dem Wildgras Teosinte ab, das zweireihige Ähren mit Körnern etwa so groß wie ein Weizenkorn besitzt. Die heutige Maispflanze dagegen hat große Kolben mit mehreren Körnerreihen und ist ohne menschiche Hilfe nicht mehr fortpflanzungsfähig. Trotz dieser Unterschiede haben Teosinte und der heutige Mais dieselbe Chromosomenzahl, sie können also miteinander gekreuzt werden und ihre Blüten gleichen sich. Daher ist man sich heute sicher: Teosinte ist die Urform des Maises. Die Kultivierung des Maises um 5000 v. Chr. war eine der frühesten und bedeutendsten Domestikationen in der Menschheitsgeschichte und kam einer kulturellen Revolution gleich. Man vermutet, dass die domestizierte Maispflanze nach und nach durch Handelsbeziehungen von Zentralmexiko bis nach Südamerika gelangte.

Nicht nur für den alltäglichen Verzehr, sondern auch als Opfergabe gewann der Mais zur Zeit der Inka immer mehr an Bedeutung. Garcilaso de la Vega bemerkt dazu:

»Sie verzehren es an Stelle von Brot, geröstet oder in blankem Wasser gekocht. […] Das Mehl wurde von den Frauen auf großen Steinplatten gemahlen, auf welche das Korn geschüttet wurde, auf diese stellten sie eine andere halbmondförmige Steinplatte, nicht rund, sondern etwas länglich, drei Finger dick an den Kanten. An den Enden des halbmondförmigen Steins wurde angefasst, und sie wiegten ihn hochkant auf dem Mais hin und her […].«5

Die getreideähnlichen Früchte der Quinoa (Chenopodium quinoa) und des Amarants (Amaranthus caudatus), die beide zur Familie der Fuchsschwanzgewächse gehören, waren sowohl in Mesoamerika als auch im Andengebiet wichtige Nahrungsgrundlagen. Beide Pflanzen wachsen noch in Höhen von bis zu 4000 m, wo kein Mais mehr angebaut werden kann.

Koka (Erythroxylum coca) ist eine weitere Pflanze der Inka, die ihren Weg nach Europa fand:

»In ganz Peru verwendet man und kaut man dieses Koka im Mund. Von morgens bis sie schlafen gehen, haben sie es ständig im Mund. Als ich einige Indios fragte, warum sie immer dieses Kraut im Mund haben (das sie nicht essen, sondern nur zwischen den Zähnen kauen), sagten sie, dass sie damit wenig Hunger spüren und sie eine große Kraft und Stärke fühlen.«6

So schreibt der Chronist und einer der ersten europäischen Augenzeugen Pedro de Cieza de León über den Gebrauch der Kokapflanze. Er erwähnt auch die Verwendung der Pflanze als Opfergabe.

Koka ist eine strauchartige, bis zu 3 m hohe Nutzpflanze, die im Anbau aber niedrig gehalten wird. Sie hat kleine, gelbe Blüten und rote Steinfrüchte. Geerntet werden aber nur die Blätter, die die Indios bis heute als Genussmittel verwenden. Vermischt mit einer Prise Kalk und anderen Substanzen wie Pflanzenasche werden sie gekaut und seit jeher gehört auch ein kleiner Beutel mit Kokablättern zur Alltagsbekleidung der Indios. Bei der Inka-Oberschicht waren die Kokabeutel mit Goldblechfolie verziert. Für die Vermischung von Kalk und Koka verwendete man kleine Löffel, auch diese waren bei der Inka-Elite vergoldet. Durch die Zugabe von Kalk wird das Alkaloid Kokain so umgewandelt, dass zwar eine sanfte Rauschwirkung erzeugt wird, es aber nicht abhängig macht wie das reine Kokain. Koka als Tee, Mate de Coca, ist in Peru und anderen Andenländern heute sehr beliebt. Ein Teebeutel enthält ein Gramm getrocknete Kokablätter. Mate de Coca wird in Südamerika so konsumiert wie bei uns schwarzer Tee oder Kaffee, auch die Wirkung ist ähnlich. Eine besondere Abhängigkeit ist bislang nicht festgestellt worden.

Schon im 18. Jh. war die Wirkung von Koka in der Medizin in Europa nicht unbekannt und in den USA wurde Koka zur Behandlung von Alkohol- oder Morphiumsucht eingesetzt. Davon erfuhr Sigmund Freud, der Begründer Psychoanalyse, der seine berufliche Laufbahn als Neurologe begann. Er beschäftigte sich daraufhin intensiv mit Kokain und testete im Selbstversuch dessen Wirkung. Er hoffte, damit ein Mittel gegen Morphiumsucht und Herzkrankheiten zu finden, allerdings ohne Erfolg. 1884 publizierte er seine Arbeit »Über Coca« und machte damit Kokain nicht nur in der Medizin, sondern auch in der breiteren Öffentlichkeit Europas bekannt. Freuds Kollege Carl Koller war es schließlich, der als erster Kokain in der Medizin verwendete, und zwar als lokales Betäubungsmittel bei einer Augenoperation. Fast gleichzeitig begann in den USA die Karriere des Coca-Cola-Getränks, das der Apotheker John Pemberton (1831–1888) erfunden und 1887 als Patent angemeldet hatte. Dieser war dabei inspiriert worden von einem Bordeaux-Wein mit Koka-Extrakt, der in der High Society Europas reißenden Absatz fand. Zwar werden dem Getränk bis heute Extrakte von Kokablättern zugesetzt, Kokain enthält es aber seit einem Verbot von 1914 nicht mehr. Vor allem Ende des 19. Jh. und in den 1920er-Jahren, dann wieder verstärkt in den 1970er-Jahren war das Schnupfen von Koks nicht nur in der Schickeria-Szene beliebt und verbreitet. Verbote konnten dies nicht verhindern. Heute ist Kokain zwar auch als Medikament, vor allem aber als Rauschdroge in Gebrauch. Nach Cannabis stellt sie die am zweithäufigsten konsumierte Droge in Europa dar; eine Droge, die schnell und sehr stark abhängig macht, vor allem psychisch. Der weltweiten Nachfrage entsprechend entwickelten sich auch ein Schwarzmarkthandel und Drogenkartelle. Dem Koka als »Erbe der Inka« trug man staatlicherseits in Peru und Bolivien Rechnung, indem man der Indio-Bevölkerung seinen Anbau zum traditionellen Gebrauch erlaubte. Verboten sind allerdings Herstellung, Verkauf und Konsum von Kokain.

Lama und Alpaka kennt jeder. Weniger bekannt ist, dass es sich hierbei um Kamele handelt. Vier Kamelarten, die alle zur Gattung der Lamas gehören, gibt es in der Neuen Welt und zwar nur im Andengebiet: die Wildformen Guanako und Vicuña und die vom Guanako abstammenden, domestizierten Formen bzw. Haustiere Lama und Alpaka. Man nimmt an, dass das Lama in der Zeit um 4000 v. Chr. domestiziert wurde. Die ältesten bisher gefundenen Knochen stammen aus dem Virú-Tal in Peru. Die Domestizierung dürfte sicher dadurch erleichtert worden sein, dass vom Menschen aufgezogene Guanako-Fohlen sehr zahm werden und Guanakos prinzipiell sehr neugierig sind. Die Kamele der Neuen Welt unterscheiden sich von denen der Alten Welt, dem Dromedar und dem Trampeltier, vor allem dadurch, dass sie generell kleiner sind und keine Höcker als Fettspeicher haben. Die Sohlenpolster ihrer Füße sind auch kleiner und damit nicht nur an das Leben im Flachland, sondern auch im Gebirge angepasst. Der Lebensraum der Kamele der Neuen Welt sind die Hochebenen der Anden und vor allem die Puna (4100–4800 m), wo sie sich von den dort wachsenden Gräsern ernähren.

Das Guanako (Lama guanocoë) hat eine Körperhöhe von 90–130 cm und kann bis zu 75 kg wiegen. Die Fellfarbe des Rückens ist braun und scharf von der weißlichen Farbe des Bauches, der Flanken, der Innenseiten der Beine und der Vorderseite des Halses abgegrenzt. Das Vicuña (Lama vicugna) ist mit 70–110 cm Körperhöhe und 50 kg Körpergewicht kleiner und zierlicher als das Guanako, die hell- bis rötlich braunen und weißlichen Fellfarben sind nicht so scharf voneinander abgegrenzt.

Lamas haben eine Körpergröße bis zu 130 cm und können bis zu 150 kg wiegen. Schon die Inka hielten Lamas in verschiedenen Farben: braun, weiß, schwarz oder gefleckt. Das Lama war und ist bis heute in vielerlei Hinsicht von großem Nutzen: Es liefert Wolle und Fleisch, der Dung wird als Dünger bzw. Brennstoff genutzt und dient bis heute als Transporttier. Bei den Inka war es außerdem als Opfertier von großer Bedeutung und aus den Knochen wurden Werkzeuge hergestellt.

Für den Transport werden die Lamahengste eingesetzt. Sie können Lasten bis 50 kg und Tagesmärsche bis zu 25 km bewältigen. Der Chronist Garcilaso de la Vega beschreibt Leben und Umgang der Inka mit den Lamas, wie es auch heute noch gültig ist:

»Man darf es nicht aus seinem Schritt bringen, weil es sonst ermüdet, und dann legt es sich nieder und nichts vermag es dann zum Aufstehen zu bewegen […]. Wenn man hartnäckig versucht, sie auf die Beine zu bringen, und man tritt zu ihnen, um sie aufzuheben, dann setzen sie sich mit dem Mist zur Wehr, den sie im Magen haben; diesen speien sie gegen denjenigen, der ihnen zunächst steht, und dabei trachten sie, das Gesicht zu treffen. […] Damit die Tiere nicht ermüden, führt man in den Herden vierzig oder fünfzig unbeladene Lamas mit, und wenn man gewahr wird, dass ein Tier unter der Last ermüdet, wird diese ihm sogleich abgenommen und einem anderen aufgebürdet, ehe sich ersteres legt; denn wenn es sich erst legt, bleibt nichts anderes übrig, als es zu töten. Das Fleisch von diesem Großvieh ist das Beste, das heute auf der Welt verzehrt wird, es ist zart, bekömmlich und schmackhaft […].« 7

Die Hengste werden nicht geschoren, denn das dicke Fell dient als eine Art Schutzdecke für das Tragen der Lasten.

»Sie brauchen keinerlei Packsattel oder andere Vorrichtung, weil ihre Wolle dick genug ist, die Last zu tragen, die man ihnen aufbürdet, und die Treiber haben darauf zu achten, dass die Packen zu beiden Seiten angebracht und verbunden werden, sodass die Last nicht auf das Rückgrat drückt, was das Tier töten könnte.«8

Bis heute ist das Lama in den hochgelegenen Andenregionen, die nicht mit den modernen Verkehrsmitteln erreichbar sind (es sei denn mit Flugzeugen), das einzige Transporttier für die ansässige indianische Bevölkerung.

Alpakas (Vicugna pacos) sind kleiner als Lamas und wiegen ca. 60 kg. Die Fellfarbe variiert zwischen weiß, beige, braun, grau und schwarz. Während das kräftigere Lama vor allem als Lasttier verwendet wird, dient das Alpaka nur als Wolllieferant. Diese unterschiedlichen Funktionen waren sehr wahrscheinlich entscheidend bei der Züchtung, sodass es zur Entwicklung zweier Haustierformen des Guanakos kam.

Noch kleiner und schlanker als die Lamas und Alpakas sind die Vicuñas. Die Inka fingen die Vicuña-Herden ein, um sie zu scheren und sie dann wieder freizulassen. Geschlachtet wurden meist nur überzählige Hengste. In der Kolonialzeit aber sorgten die Spanier für eine starke Dezimierung des Vicuña-Bestandes, denn nicht nur die Wolle, sondern auch das zarte Fleisch war sehr begehrt. Simón Bolívar, der Held der Unabhängigkeit nicht nur Perus, erließ schon 1825 ein Gesetz zum Schutz der Vicuñas. Das ändert allerdings nichts daran, dass sie bis heute illegal gejagt werden. Grund dafür ist vor allem die Wolle der Tiere, die zu den feinsten tierischen Wollarten überhaupt zählt. Sie ist, wie die spanischen Eroberer schon feststellten, vergleichbar mit der Qualität von Seide und gehört daher auch zu den teuersten Wollen der Welt. So kann ein Schal schon mal 1000 Euro, ein Pullover 3000 Euro kosten.

Alle vier Kamelarten sind gesellige Herdentiere und lassen sich miteinander kreuzen. Den Lama- und Alpaka-Herden, die frei auf den Hochebenen der Anden grasen, schließen sich oft Guanakos oder Vicuñas an. Alle Neuweltkamele sind zudem Tiere der Puna in der südlichen Andenregion, der kalten Zone in einer Höhe von 4100 bis 4800 m. Nur hier ist ihre Haltung in größerem Ausmaß möglich. Das war sehr wahrscheinlich der Grund dafür, dass sich gerade im zentralen Andenraum, und nicht etwa in Ecuador mit seinen fruchtbareren Hochtälern, die präkolumbianischen Hochkulturen entwickelten.

Ob der Hund den ersten Einwanderern aus Asien folgte, also aus der Alten Welt »mitgebracht« oder unabhängig in Amerika domestiziert wurde, ist ungeklärt. Allerdings züchtete man den Hund in Amerika weiter. In der Neuen wie in der Alten Welt war der Hund der Begleiter des Menschen nicht nur im Diesseits, sondern auch im Jenseits. Hunde wurden den Verstorbenen als »Grabbeigabe« mitgegeben, wie zum Beispiel dem Fürsten von Sipán in der Moche-Kultur. Sie dienten auch als Opfergaben bei bestimmten Zeremonien und in manchen Fällen als Fleischlieferant. Die ältesten Hundeknochen in Südamerika datieren aus der Zeit um 1750 v. Chr. Die spanischen Chronisten ihrerseits berichten von einer mittelgroßen Hunderasse bei den Inka.

Last but not least ist als »Erbe der Inka« das bei uns beliebt gewordene Hausmeerschweinchen (Cavia porcellus) zu nennen. Es gehört zur Familie der Meerschweinchen (Caviidae), wird bis zu 1,4 kg schwer und ernährt sich von Pflanzen. Die Fellfarben sind braun, weiß, schwarz oder gescheckt; der Lebensraum ist das Hochland der Anden. Schon sehr früh wurde das Meerschweinchen domestiziert bzw. zum Haustier. Ab 1800 v. Chr. ist das Meerschweinchen erstmals als Haustier in Huaca Prieta im Tal des Río Supe belegt. Als Hauptlieferant fleischlicher Nahrung und als Opfertier ist das Meerschweinchen bis heute im Andenraum weit verbreitet. Wie auch die Kartoffel wurde das Meerschweinchen schon früh von den Spaniern nach Europa gebracht – »übers Meer«, daher der Name »Meerschweinchen«. Bereits 1554 wird es von dem Schweizer Gelehrten Conrad Gesner beschrieben. In Europa hält man Meerschweinchen aus verschiedenen Gründen: heute vorwiegend als Liebhabertier, aber auch als Versuchstier in der Forschung; bis zum Zweiten Weltkrieg auch als Fleischlieferant, wenn auch nie in dem Ausmaß wie in seinem Herkunftsland.

Die altperuanischen Hochkulturen: ein Überblick über Wesen und Besonderheiten

Die erste »Eroberung« Südamerikas begann schon ungefähr ab 10 000 v. Chr., nicht durch die spanischen, sondern durch indianische Einwanderer. Um 3000 v. Chr. entstand Caral in Südperu am Río Supe, die als bisher älteste bekannte Stadt Amerikas gilt. In der folgenden Zeit entwickelte sich im Alten Peru eine Vielzahl von Kulturen, die nebeneinander bestanden oder aufeinander folgten und die Grundlage für die Inka-Kultur bildeten. Im Folgenden werden die wichtigsten dieser präinkaischen Kulturen in einem kurzen Überblick dargestellt. Dabei soll verdeutlicht werden, worauf die Kultur der Inka aufbaute und was sie von den Vorgänger- und Nachbarkulturen übernahm. Denn ein wesentliches Kennzeichen der Inka-Kultur ist es, dass sie zwar vieles aus den Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft, Kunst und Religion von den Vorgängerkulturen übernahm, aber durchaus eigenständig weiterentwickelte und in vielen Fällen perfektionierte. Zunächst seien aber einige grundsätzlichen Kennzeichen der Kulturen des Alten Peru zusammengefasst.

Mit dem Begriff »Altes Peru« bezeichnet man einen kulturellen Großraum, der über die Grenzen des heutigen Staates Peru hinausreicht. Zwar lässt sich das Kerngebiet auf die Küste Perus und das peruanisch-bolivianische Andenhochland begrenzen, darüber hinaus aber bezeichnet das »Alte Peru« keineswegs ein geographisch genau bestimmtes Gebiet. Vielmehr veränderten sich im Laufe der Zeit und mit dem Auftreten verschiedener Kulturen die Grenzen, ähnlich wie die Ausbreitung und damit die Grenzen des Römischen Reiches sich mit den Zeiten veränderten. Zur Zeit der Inka entsprach das Gebiet des Alten Peru daher der Ausdehnung des Inka-Reiches von Kolumbien bis nach Chile.

Die Kulturen vor den Inka hat man in verschiedene Zeitphasen eingeteilt. Man unterscheidet dabei den archäologischen Funden entsprechend einen Frühen Horizont (700 v. Chr. bis zur Zeitenwende), der durch die überregionale Chavín-Kultur geprägt war; eine Frühe Zwischenperiode (von der Zeitenwende bis 650 n. Chr.), die vor allem durch die Moche-Kultur bekannt ist; einen Mittleren Horizont (650–1000 geprägt durch die überregionale Huari-Kultur; eine Späte Zwischenperiode (1000–1450), die Blütezeit der Chimú- und Chancay-Kultur und schließlich den Späten Horizont (1450–1534), die Zeit der Inka. Die hier angegebenen Zeiträume dieser Epochen sind ungefähre Angaben und nicht als auf das Jahr festgelegte Einteilungen zu verstehen9. Sie variieren je nach Forschungsstand und Wissenschaftler.

Karte 1 Bedeutende archäologische Fundstätten altperuanischer Kulturen.

Mit der Zuordnung einer Kultur zu einer bestimmten Epoche wie Früher Horizont oder Späte Zwischenperiode ist die Blütezeit gemeint. Entsprechend wird zum Beispiel die Blütezeit der Moche-Kultur wie erwähnt der Frühen Zwischenperiode zugeordnet. Ihre erste Phase begann aber schon in der Endzeit des Frühen Horizonts und ihre letzte Phase erfolgte in der Anfangszeit des Mittleren Horizonts. Es handelt sich also weniger um eine strikte Ab- bzw. Reihenfolge, sondern eher um ein Nebeneinander zum Teil sehr unterschiedlicher Kulturen, wobei die einen als Staat und die anderen als Häuptlingstum anzusehen sind.

Da wir von keiner dieser Kulturen Schriftzeugnisse besitzen, sind wir auf die archäologischen Funde angewiesen, wie zum Beispiel Tempel bzw. andere Gebäude, aber auch Keramik oder Textilien. In den meisten Fällen erhalten wir so zwar nur äußerst wenige Informationen, jedoch gibt es auch hier Ausnahmen, die durchaus informativ sind. So ist zum Beispiel die Moche-Keramik eine Art Bilderbuch, das uns viel über Leben und Alltag in dieser Kultur erzählt. Auch aus der Zeit der spanischen Eroberung und Kolonialzeit erhalten wir von den Chronisten gewisse, wenn auch wenige Informationen über die Kulturen vor den Inka. Zum einen hielten die Chronisten die indianischen Berichte und Mythen fest, zum anderen beschrieben sie als erste europäische Augenzeugen Orte wie zum Beispiel Tiahuanaco, Pachacamac oder Cusco.

War die Kultur der Inka eine Hochkultur? Diese Frage ist mit einem klaren »Ja« zu beantworten. Allerdings muss zugleich auf die Problematik des Begriffes »Hochkultur« hingewiesen werden. Denn zum einen werden dadurch andere Kulturen, die sogenannten Randkulturen abgewertet und zum anderen gibt es keine allgemein akzeptierte Definition dessen, was eine Hochkultur ist. Nach wie vor wird der Begriff aber auch in der Wissenschaft verwendet und mit bestimmten Eigenschaften gekennzeichnet. Im Sinne der Kumulation einer Reihe von Merkmalen soll daher der Begriff auch hier Anwendung finden, da er so zum besseren Verständnis der Kultur der Inka und den Vorgängerkulturen beiträgt. Die Voraussetzung einer Hochkultur ist demnach die landwirtschaftliche Überproduktion, sodass bestimmte Berufsgruppen wie zum Beispiel Handwerker von der landwirtschaftlichen Tätigkeit und Selbstversorgung für andere Aufgaben freigestellt werden können. Dadurch ergibt sich eine komplexe Sozialorganisation und soziale Differenzierung. Die Gesellschaft ist dann in der Regel hierarchisch gegliedert. Ferner sind technologischer Fortschritt, monumentale Bauten wie Tempel oder Paläste, hochentwickelte Kunstwerke, Speicherung von Informationen bzw. Schrift und eine territoriale Ausdehnung bzw. Ausstrahlung für eine Hochkultur charakteristisch. Wie noch ausgeführt werden wird, treffen alle diese Merkmale auf die Inka zu, sodass ihre Kultur eindeutig als Hochkultur zu bezeichnen ist: Die Inka erzielten in der Landwirtschaft eine Überproduktion, sodass sie einen Teil der Bevölkerung der eroberten Gebiete für andere Aufgaben wie den Bau von Tempeln, Palästen oder Straßen einsetzen konnten. Auch wenn es keine alphabetische Schrift in dem Sinne wie wir sie kennen bei den Inka gab, so existiert doch eine Art der Speicherung und Weitergabe von Informationen. So dienten Knotenschnüre (Quipu) dazu, statistische Information festzuhalten wie zum Beispiel die Bevölkerungsanzahl der eroberten Provinzen. Auch die Tocapus, bestimmte Motive und Muster in quadratischer Form auf Kleidung und Trinkbechern, könnten eine Art Schrift gewesen sein.

Das Kriterium der entsprechend großen Ausdehnung des Herrschaftsgebiets erfüllten die Inka ebenfalls, denn ihr Reich war das größte territoriale Reich des präkolumbianischen Amerika. So gesehen sind auch Kulturen vor den Inka wie Chavín, Moche, Huari oder Tiahuanaco als Hochkulturen zu bezeichnen.

In diesem Zusammenhang müssen ebenfalls die Begriffe »Häuptlingstum« und »Staat« Erwähnung finden. Auch hier gibt es keine allgemeingültige Definition und die Grenzen zwischen Häuptlingstum und Staat sind fließend. Von Häuptlingstum spricht man im Allgemeinen dann, wenn mehrere lokale Gruppen bzw. Stämme von einem Häuptling geleitet werden. Der Häuptling übt keine zentrale Gewalt aus, sondern seine Macht wird vor allem durch verwandtschaftliche Gruppen und Beziehungen sowie durch religiöse Traditionen und Riten gestützt. Er kann zwar Tribute einfordern, aber insgesamt ist seine Macht nicht sehr stabil. Für das Häuptlingstum spielt die Redistribution, die Neu- oder Umverteilung von Produkten, Gütern und Privilegien eine wichtige Rolle. Besonders in den Kulturen des Alten Peru war dies eine wichtige Strategie mit der sich ein Häuptling oder Herrscher die Loyalität seiner Untergegebenen sicherte und seine Regierungsmacht stärkte. Schon im Häuptlingstum ist die Gesellschaft hierarchisiert und gliedert sich in Priester, Handwerker, Bauern und Viehzüchter.

Ein Staat hingegen ist gekennzeichnet durch eine Zentralisierung der Macht in einer Instanz, d. h. einem Herrscher oder einer Institution (Partei etc.). Diese Macht wird gezielt ausgeübt, ist mehr oder weniger stabil und wird auch wirtschaftlich genutzt. Charakteristisch für den Staat ist eine komplexe soziale Organisation der Gesellschaft. Der Macht- bzw. Herrschaftsbereich eines Staates ist in der Regel größer als der eines Häuptlingstums, sowohl in politisch-sozialer als auch in territorialer Hinsicht. Die Geschichte der Inka begann als Häuptlingstum, mit Beginn der Herrschaft Pachacutecs 1438 kann man dann vom »Staat« der Inka sprechen. Bei den vorinkaischen Kulturen ist es schon schwieriger, sie als Häuptlingstum oder Staat einzuordnen.

Die andinen Kulturen vor den Inka weisen eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf. Grundlage all dieser Kulturen war ein mehr oder weniger hochentwickeltes Bewässerungssystem, das beim Feldanbau (wie oben erwähnt) eine Überproduktion ermöglichte. Auf extra angelegten Bergterrassen wurden vor allem Mais, Bohnen, Kürbisse, Kartoffeln, Chili, und Quinoa angebaut. An der Küste gab es bedingt durch den Humboldtstrom eine Vielfalt an Meerestieren wie Fische, Robben, Wale und Seevögel. Als Haustiere hielt man Lamas, Meerschweinchen, Hund und eine Entenart. Alle anderen Tiere wie Pferd, Esel, Schwein, Huhn etc. gelangten erst mit den Spaniern in die Neue Welt. Lama, Alpaka und Vicuña lieferten Wolle. Das Lama war darüber hinaus Fleischlieferant, Tragtier und diente auch als Opfertier. Das Meerschweinchen ist bis heute der Fleischlieferant der einfachen Bevölkerung sowie Opfertier. Die Jagd war eher eine zusätzliche Bereicherung des Speiseplans und, wie in anderen Kulturen Europas und Asiens auch, Privileg der Oberschicht, weniger eine Grundlage der Existenzsicherung.

Die meisten Kulturen hatten ein Zeremonialzentrum mit Tempeln, Versammlungsplätzen, Palästen des Herrschers bzw. der Oberschicht sowie Verwaltungsgebäuden. Die einfache Bevölkerung wohnte in Siedlungen im Umkreis dieser Kultzentren, die zu bestimmen Festen von Pilgern aus dem ganzen Land aufgesucht wurden. Die Tempel standen auf mehr oder weniger großen Pyramiden, die diesen als Basis dienten und präzise nach astronomischen Gegebenheiten und Berechnungen ausgerichtet waren. Einige Pyramiden nutzte man auch als Grabstätten. Dies war jedoch eher die Ausnahme als die Regel wie im alten Ägypten. Während die Pyramiden als Basis die Zeiten überdauert haben, existieren die meisten Tempel heute nicht mehr. Es ist davon auszugehen, dass die Fassaden der Pyramiden und Tempel einstmals in den verschiedensten Farben leuchteten. Die Tempelanlagen selbst wurden oft in mehreren Bauphasen »überbaut«.

Hochentwickelt waren das Weben und Färben von Textilien. Alle heute erhaltenen Textilien, die wir in den Museen bewundern, sind Grabfunde, also die Bekleidung von Toten. Für die Herstellung nutzte man die Wolle von Lama, Alpaka oder Vicuña, aber auch Baumwolle. Zum Weben wurde der horizontale, seltener den vertikale Webstuhl verwendet. Am häufigsten jedoch war und ist bis heute das sogenannte Rückenbandwebgerät in Gebrauch. Aus den Grundfarben Rot, Blau und Gelb konnte man ein vielfältiges Spektrum an Färbungen erzielen. Vor allem in Paracas hat man beeindruckende Beispiele für Webtechnik und Farben gefunden, die so frisch erscheinen wie am ersten Tag.

Die Keramiken wurden ohne Töpferscheibe hergestellt: Schalen, Becher (Keru), Gefäße, oft mit einem steigbügelartigen Ausguss, und Krüge verschiedenster Art sowie unterschiedlicher Größe, dazu plastische Darstellungen von Menschen, Tieren und mythischen Wesen. Berühmt sind vor allem die Figurengefäße von Moche und die vielfarbigen Keramiken von Nasca.

Die andinen Kulturen, besonders die von Moche und Chimú, sind aber auch für ihre Meisterleistungen in der Gold- und Silberschmiedekunst bekannt, die am augenscheinlichsten in den Goldblecharbeiten zutage tritt. Trotz der Verwendung und Bearbeitung von Gold, Silber oder Kupfer kann man das Alte Peru wie das Alte Mexiko als Hochkulturen auf Steinzeitniveau bezeichnen. Denn Häuser, Pyramiden und Tempel stellte man mit Werkzeugen aus Stein und nicht aus Eisen her. Die Kulturen des Alten Peru kannten zudem weder die Töpferscheibe noch den Pflug. Auch Zug- und Reittiere wie Pferd oder Esel gab es nicht, sodass Hanns J. Prem von »Fußgängerkulturen« spricht. Entsprechend verwendete man auch keine Wagen mit Rädern10, da im Andenhochland ein Vorwärtskommen mit solchen Gefährten schwierig, wenn nicht sogar unmöglich gewesen wäre. Man nutzte daher die der Bergwelt optimal angepassten Lamas als Tragtiere zum Transport von Lasten. Ein komplexes Straßensystem im ganzen Inka-Reich ermöglichte es zudem durch Läufer Nachrichten wesentlich schneller zu übermitteln, als es bspw. die Spanier mit ihren Pferden konnten.

Ein wesentlicher Faktor der altperuanischen Kulturen war die Religion und zwar in dem Sinne, dass Gesellschaft, Herrschaft und Alltagsleben in einem religiösen Kontext standen. Man kannte keine so deutliche Abgrenzung des religiösen Bereiches vom profanen bzw. nichtreligiösen wie in unserem modernen Weltbild. Entsprechend wurde die politische Macht der Herrscher wie in vielen Kulturen der Weltgeschichte religiös legitimiert: Darüber hinaus waren die Herrscher nicht selten zugleich auch Priester oder beriefen sich – wie im Falle der Inka – auf ihre göttliche Abstammung.

Auffallend ist das mehr oder weniger plötzliche Ende vieler altperuanischer Kulturen. In den meisten Fällen erklärt man dies mit durch El Niño verursachten Katastrophen wie Starkregen und Überschwemmungen. Welche verheerenden Folgen diese trotz aller technischen Fortschritte haben können, erlebt man in den südamerikanischen Ländern auch heute noch regelmäßig. Wenn es infolge dieser Unwetterkatastrophen zu Ernteausfällen kam und dies wiederum soziale Unruhen und eine Schwächung der Herrschaft zur Folge hatte, bedeutete das den Nieder- und Untergang der betreffenden Kultur.

Waren die Hochkulturen der Neuen Welt ein »Ableger« der Alten Welt?

Die Entstehung der verschiedenen Hochkulturen der Neuen Welt gibt immer wieder Anlass zu der Frage, ob es sich dabei um eigene, autochthone Leistungen handelt oder ob die Kulturen der Neuen Welt ihren Ursprung den Kulturen der Alten Welt verdanken bzw. zumindest von ihnen beeinflusst wurden. Schon im 17. Jh. kursierten nichtwissenschaftliche, aber bis heute beliebte Spekulationen wie z. B., dass die Indianer die Nachkommen Sems oder der zehn verlorenen Stämme Israels (d. h. der Stämme, die das von den Assyrern 721 v. Chr. zerstörte Nordreich Israel bildeten) seien. Nach anderen, heute in der Esoterik verbreiteten Theorien verdanken die amerikanischen Kulturen z. B. ihren Ursprung den verschwundenen, sagenhaften Kontinenten Atlantis oder Mu.

In der Wissenschaft stehen sich hingegen als Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der neuweltlichen Kulturen zwei Theorien gegenüber: die Diffusions- und die Konvergenztheorie. Die Diffusionstheorie besagt, dass gleiche bzw. ähnliche Kulturleistungen und -merkmale auf einen einzigen, gemeinsamen Ursprung zurückzuführen sind, von dem aus sie sich weltweit verbreitet haben. Indirekt wird damit zugleich die Annahme vertreten, dass die Leistungen der neuweltlichen Kulturen in der Alten Welt ihren Ursprung haben. Nach der Diffusionstheorie hätten die Kulturen Amerikas somit auch dort ihre Wurzeln. Nach der Konvergenztheorie dagegen beruhen ähnliche Kulturphänomene nicht auf einem gemeinsamen Ursprung, sondern sind an verschiedenen Orten unabhängig voneinander mehrmals entstanden. Danach haben sich auch die Kulturen der Neuen Welt ohne Einfluss der Alten Welt entwickelt. Zudem gibt es auch Theorien, die die Besiedlung zum Beispiel Polynesiens von Südamerika aus postulieren, so etwa Thor Heyerdahl (1916–2002).

Berühmt wurde der norwegische Ethnologe, als er 1947 auf einem von Indios am Titicacasee gebauten Balsafloß namens Kon-Tiki von der peruanischen Küste nach Polynesien segelte. Ziel der Fahrt war es zu beweisen, dass es für die altperuanischen Indios möglich war, den Pazifik mit Balsaflößen bis nach Polynesien zu überqueren und dass die Inselregion somit eher von Südamerika als – wie man allgemein annimmt – von Asien her besiedelt wurde. Die Fahrt Heyerdahls mit der Kon-Tiki, benannt nach einem Beinamen des inkaischen Schöpfergottes Viracocha, war erfolgreich. Eine Fahrt auf Balsaflößen von Südamerika nach Polynesien war also möglich. Allerdings ließ sich damit nicht bewiesen, ob solche Fahrten von den altperuanischen Indios auch tatsächlich unternommen worden waren.

23 Jahre später, 1970, gelang Thor Heyerdahl schließlich sogar mit einem Schilfboot nach altägyptischem Vorbild die Fahrt von Safi (Marokko) über den Atlantik bis zur Karibikinsel Barbados. Ziel dieser Fahrt war es, nachzuweisen, dass den alten Ägyptern eine solche Atlantiküberquerung möglich war und dass es auf diese Weise Kontakte zwischen Alter und Neuer Welt gegeben haben könnte. Gerne wird auch der Bau der altägyptischen und vor allem der altmexikanischen Pyramiden als Argument herangezogen. Was diese These anbelangt ist jedoch der zeitliche Unterschied zu beachten: Die Zeit des Alten Reiches (Ägypten) war zwischen 2686 und 2181 v. Chr., die der ersten Hochkultur (Olmeken) in Mexiko bzw. der Bau der ersten Pyramiden allerdings begann erst um 1450 v. Chr. Die großen Pyramiden von Teotihuacán, Cholula etc. entstanden sogar erst um oder nach der Zeitenwende!

Auch für die Osterinsel stellte Heyerdahl die These auf, dass diese eher von Südamerika als von Südasien aus besiedelt wurden. Er argumentierte, dass auf der Osterinsel das gleiche Schilf zum Bootsbau verwendet wurde wie am Titicacasee und verwies außerdem auf das Vorkommen der aus Südamerika stammenden Pflanzen wie zum Beispiel Flaschenkürbis, Paprika oder Süßkartoffel. Inzwischen ist die These, die Osterinsel sei von Südamerika aus erstmals besiedelt worden, durch genetische und linguistische Nachweise widerlegt; die Möglichkeit eines Kontaktes zwischen Südamerika und der Osterinsel wird aber immer noch diskutiert.

Neuerdings treten die Chachapoya11, ein Volk, mit dem sich die Inka erbitterte Kämpfe lieferten, ins Blickfeld bei der Frage nach vorspanischen Beziehungen zwischen Alter und Neuer Welt. Die Chachapoya und ihre Kultur sind bislang wenig erforscht, nicht zuletzt, weil eher prestigeträchtige archäologische Projekte wie zum Beispiel »Machu Picchu« unterstützt werden. Diese Forschungslücken geben Anlass zu Spekulationen. Ein Beispiel ist die These von Hans Giffhorn12, wonach die Chachapoya ihren Ursprung in der Alten Welt, konkret in dem »antiken keltisch-karthagischen Kulturraum« gehabt hätten. Ihm zufolge haben keltische Seefahrer den Atlantik überquert und sich mit der einheimischen Andenbevölkerung vermischt. Als Beleg verweist er vor allem auf die materielle Kultur der Chachapoya, die der der Alten Welt ähnlich gewesen sei: Rundhäuser, Steinschleudern oder Schädeltrepanationen. Zum anderen führt er biologische Aspekte an: Der Chronist Cieza de León habe die Chachapoya im Unterschied zu anderen Indios als hellhäutiger beschrieben. Das heißt aber nicht, dass die Chachapoya weiß und blond gewesen sind, sondern eben nur eine vielleicht etwas hellere Hautfarbe gehabt haben. Auch der genetische Nachweis europäischer DNS bei den heutigen Nachkommen der Chachapoya ist natürlich kein stichhaltiges Argument für eine keltische oder karthagische Herkunft. Denn die indianische Bevölkerung in den Anden und in ganz Lateinamerika hat sich seit der Eroberung durch die Spanier mit diesen vermischt, sodass natürlich auch bei den heutigen Nachkommen der Chachapoya europäisches Erbgut nachweisbar ist. Zudem ist zu berücksichtigen, dass bis heute in der Wissenschaft kontrovers die genaue Definition der Begriffe »keltisch« oder »germanisch« diskutiert wird. Von daher ist es erst recht schwierig bzw. unmöglich, Keltern oder auch Germanen als Volk im biologischen Sinne zu kennzeichnen, sodass sich dementsprechend auch keine keltische DNS-Spuren nachweisen lassen.

Abschließend ist noch zu bemerken, was gleichfalls auch für Thor Heyerdahls These gilt: Auch wenn den Kelten, Karthagern oder alten Ägyptern eine Überquerung des Atlantiks möglich gewesen war, so muss das nicht bedeuten, dass sie solche Fahrten auch tatsächlich unternommen haben. Ein dahingehender Beweis steht noch aus und entsprechend wird Giffhorns These auch von den Altamerikanisten abgelehnt.

Generell ist von einem autochthonen Ursprung der Kulturen der Neuen Welt auszugehen. Spätere Einflüsse durch die Alte Welt sind zwar nicht unmöglich, aber äußerst unwahrscheinlich. Falls es solche Einflüsse gegeben hat, dann waren sie nicht von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der Kulturen der Neuen Welt. Bisher – und das ist ausschlaggebend – liegt kein einziger archäologischer Fund vor, der zweifelsfrei aus der Alten Welt stammt. »Handfeste« Beweise für einen Einfluss der Alten auf die Neue Welt fehlen also.

3Humboldt, Alexander 1992, 300.

4Garcilaso de la Vega 21986, 304 f.

5Ebd., 301 f.

6Cieza de León 1962, 249 (dt. U. P.).

7Garcilaso de la Vega 21986, 314 f.

8Ebd., 316.

9Die hier angeführten Zeitangaben basieren auf Quilter, Jeffrey 2008. Bei Prem, Hanns J. 22008, 350 finden sich andere Angaben: Früher Horizont: 1400–400 v. Chr. / Frühe Zwischenperiode: 400 v. Chr. bis 550 n. Chr. / Mittlerer Horizont: 550–900 n. Chr. / Späte Zwischenperiode: 900–1476 / Später Horizont: 1476–1534. Ungeachtet dieser Differenzen geht es hier nicht um die wissenschaftliche Diskussion dieser Zeitepochen, sondern darum, dem Leser eine Vorstellung von dem ungefähren Zeitrahmen der Kulturen zu vermitteln.

10Allerdings kannte man in Mexiko sehr wohl das Rad, wie Funde von Spielzeugtieren auf Rädern beweisen.

11S. S. 68 f.

12Giffhorn, Hans: Wurde Amerika in der Antike entdeckt? Karthager, Kelten und das Rätsel der Chachapoya, München 22014.

WIE ALLES BEGANN –

DIE HOCHKULTUREN VOR DEN INKA

Das Archaikum:erste Schritte auf dem Weg zur Hochkultur