Die Inkarnation - Andrea Thiel - E-Book

Die Inkarnation E-Book

Andrea Thiel

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Beschreibung

Ein Künstler, dessen Kunst ruchbar wird, ein kleiner Hund, der nach einer Zeit der Abwesenheit wieder nach Hause zurückkehrt, der ungewollt späte Besuch in einem Pflegeheim und dessen Folgen. Diese Beispiele aus einer Sammlung von seltsamen Kurzgeschichten beschreiben mit schwarzem Humor, welche sonderbare Wendungen das Leben mitunter bereithält.

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Seitenzahl: 57

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Ich bin ein Künstler. Ich arbeite unter einem Fantasienamen. Mein bürgerlicher Name ist nur für diejenigen von Belang, die mich als Künstler nicht kennen oder nicht schätzen. Mein Beruf füllt mich aus. Er ist wie eine Geliebte, eine Mutter, eine Ehefrau, ja, er ist der Inbegriff aller männlicher Wunschträume zwischen James Bond, dem Jesuskind und dem Heiligen Vater. Meine Kunstwerke sind ähnlich den helldunklen Menschendarstellungen eines Rembrandt, dem wolkenverbrämten Weltengericht eines Michelangelo und der pastellierten Aufrichtigkeit eines Tizian.

Dieser Umstand hindert mich auch daran, eine bürgerliche Tugend wie die Ehe zu pflegen. Plärrende Kinder und eine allmählich dick werdende Ehefrau würde meine Psyche dauerhaft nicht verkraften. Meine Kunst würde darunter leiden.

Dabei war meine Karriere alles andere als vorgezeichnet. Mein Vater war ein gescheiterter Rechtsanwalt, der sich mit der Zeit zu einem alkoholabhängigen Querulanten entwickelte, meine Mutter war eine duldsame und willensschwache Hausfrau und ich war das einzige Kind. Ich sollte es einmal besser haben. So überlegten sich meine Eltern, was aus mir werden sollte und wankten unentschlossen zwischen Justiziar, Bibliothekar und Finanzbeamter, alles Berufe, die Sicherheit und ein dreizehntes Monatsgehalt garantierten. Dennoch, ich hatte andere Pläne. Ich wollte Künstler werden. Mein Vater war dagegen, meine Mutter gab nach, ich setzte mich durch. Bei der Bank nahm ich einen Kredit auf, zu siebeneinhalb Prozent Zinsen pro Jahr. Die Eignungsprüfung bei der Kunsthochschule war ein Leichtes. Ich lieferte eine Mappe mit mehren Werken ab, darunter eine in Acryl gemalte Medusa, eine Radierung des Hauptes des Holofernes auf einem silbernen Tablett und zu guter Letzt ein Tryptichon der Höllenqualen des jüngsten Gerichtes, gegen das Hyronimus Bosch sich wie ein Messdiener ausnahm. Die Professoren schüttelten die Köpfe und dennoch schienen sie insgeheim begeistert zu sein. Mein Talent wurde anerkannt, meine Themenwahl wurde bemängelt, ich jedoch bestand darauf, eine Koryphäe auf dem Gebiet der schwarzen Malerei zu sein, etwas, das es bisher noch nicht gegeben hatte. Jawohl! Die Kunstkoryphäen indessen bedachten einander mit sonderbaren Blicken, wiegten ihre wichtigen und weisen Köpfe skeptisch hin und her. Schließlich nahmen sie mich in die Akademie der schönen Künste auf, für mich der Beweis, dass sie meine künstlerischen Fähigkeiten höher schätzten als die Wahl meiner Motive. Fortan widmete ich mich der künstlerischen Abbildung von Ungeheuern, Wechselbälgern und skurrilen Gestalten, die alle zusammen genommen jedes Schreckenskabinett, jede forensische Asservatenkammer und jede krankhafte Fantasie übertrafen. Ja, ich war der Primus des Schrecklichen. Meine Mitstudenten mieden mich als hätte ich Lepra.

Dennoch, es focht mich nicht an. Es macht mich sogar stolz. Mein Talent wuchs, ebenso meine Motivation, noch Größeres als bisher zu schaffen.

Und in der Tat, ich übertraf mich selbst. Ich schuf Novitäten von äußerster Präzision und - nun ja, in den Augen meiner Mitwelt -äußerster Geschmacklosigkeit. Da waren ein in Formalin haltbar gemachtes Totgeborenes, das ich mit Blattgold aufgefüllt hatte. In einem durchsichtigen Kübel mit Exkrementen befand sich als Mittelpunkt eingeschlossenes Behältnis mit Münzen und Geldscheinen. Jeder, der vorbei kam ekelte sich, bekam angesichts des Geldes dennoch begehrliche Augen. Ja, ich forderte meine Mitwelt heraus. Stets war ich nahe am Rauswurf aus der Akademie. Doch eine geniale Leistung nach der anderen bewahrte mich davor. Jawohl, offensichtlich waren die Lehrkräfte unausgesprochen derselben Ansicht wie ich, nämlich dass meine Werke von unschätzbaren Wert seien. So verging mein Studium wie im Fluge. Endlich war es an der Zeit, dieses mit einem neuartigen Werk zu beenden. Es war in den Augen deiner Mitwelt das bisher abstruseste Abschlusswerk eines Studenten der Akademie. Ein hyperrealistischer Schoßhund aus Gips in Kreuzigungspose bemalt mit roter Farbe und hinter Glas wurde von mir vor dem Kollegium eingereicht und erntete allenthalben Kopfschütteln. Mein Lehrkörper Professor Thaddäus von Tutenhahn bescheinigte mir ein außerordentliches Talent und eine exzentrische Einbildungskraft.

Das Zeugnis liest sich selbst heute noch wie der Krankenbericht für einen Geisteskranken. Fehlen nur noch die Bescheinigung einer Persönlichkeitsspaltung und ausgiebiges Stimmenhören.

Wie auch immer, seither bearbeite ich andere Materialien, sozusagen fleischliche Objekte. Da es immer noch schwierig ist, ein bezahltes Betätigungsfeld für mein Genie zu ergattern, habe ich mich mit der Wirklichkeit arrangiert. Ich widme mich nun der künstlerischen Bearbeitung von Inkarnaten. Ich arbeite als Leichenschminker in einem Bestattungsinstitut.

Lilli

Es war ein goldiges Hündchen, das da zusammengerollt in seinem Körbchen lag und schlief. Die anderen Mitglieder der Familie hatten sich voll Entzücken versammelt und bestaunten dies niedliche Geschöpf. Lilli sollte es heißen. Lilli sollte ihnen Freude bereiten und Lilli sollte ungebetene Gäste fernhalten, Katzen, Marder, Raben, Einbrecher, Schwiegermütter. Lilli war ein Mischling aus Yorkshire-Terrier und Pekinese, eine Kombination, ausgestattet ist mit einem großen Kämpferherz in einem kleinen Hundekörper.

Lilli wuchs schnell und gedieh prächtig. Ihr rotblondschwarzgraues Fell glänzte im Sommer in der Sonne wie Melasse, ihre messerscharfen, Zähnchen konkurrierten im Winter mit der Farbe des Schnees. Sie war kerngesund, lebendig, voller Tatendrang. Sie tollte durch den Garten, holte Bällchen und Stöckchen in einem erstaunlichen Tempo, sie rollte sich übermütig auf dem Teppich hin und her, gab Pfötchen, nahm regen Anteil am Familienleben. Auch war sie verfressen und lernte schnell, wo etwas Fressbares zu holen war. So saß sie lange Zeit geduldig vor dem Kühlschrank und starrte ihn an, als würde er sich durch dieses Anstarren von alleine öffnen und all seine Schätze an sie preisgeben.

Alle liebten sie. Alle bis auf den ältesten Sohn, der sie manchmal, wenn es niemand sah, zu kujonieren pflegte. Es begann verhalten. Erst knuffte er sie ein bisschen, biss ihr leicht, wie zum Jux ins Ohr und wickelte sie in Handtücher, aus denen sie sich nicht von alleine befreien konnte. Eine Zeit lang hielt Lilli dies für Spielerei und machte fröhlich mit. Doch dann wurden ihr die Spiele des Jungen zu grob. Sie reagierte darauf, indem sie nicht reagierte, wenn er sie rief oder nach ihr pfiff. Sie wich ihm aus, wenn er ihr über den Weg lief. Dies verleitete den jungen Burschen erst recht dazu, dem Hund nachzustellen, ihn einzufangen, zu kneifen, bis der jappte oder ihm mittelschwere Fußtritte zu versetzen, bis der jaulte. All dies blieb von den anderen Familienmitgliedern unbemerkt. Der Bursche verstand es, seine Schindereien distanziert von den anderen passieren zu lassen. Die kleine Lilli wehrte sich so gut sie konnte, bevor sie von ihm eingefangen wurde. Sie fletschte ihr makelloses Gebiss, biss ihn in die Hand, so dass er eine blutende Wunde behandeln lassen musste.

“Wohl ein bisschen zu heftig gespielt, nicht wahr”, meinte der Arzt dazu.