Die Inlandsnachrichtendienste in Frankreich und Deutschland - Björn Krumrey - E-Book

Die Inlandsnachrichtendienste in Frankreich und Deutschland E-Book

Björn Krumrey

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Beschreibung

Als Folge der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ist der französische Inlandsnachrichtendienst institutionell reformiert worden. Diese Reform gibt - im Zusammenhang mit weitreichenden Veränderungen im französischen Nachrichtendienstrecht - Anlass zu einer Gegenüberstellung mit dem deutschen Verfassungsschutz. Vor dem Hintergrund vergleichbarer Anforderungen an die Inlandsnachrichtendienste im europäischen Kontext arbeitet der Autor rechtsvergleichend Besonderheiten, unter anderem in den Bereichen der Rechtsgrundlagen, der Aufgaben und Befugnisse sowie der parlamentarischen Kontrolle, systematisch heraus und bewertet sie anhand von Vorgaben und Empfehlungen des Europarates.

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Schriften zum Recht der Inneren Sicherheit

Band 23

Herausgegeben von

Prof. Dr. Dirk Heckmann

und

Prof. Dr. Thomas Würtenberger

Die Inlandsnachrichtendienste in Frankreich und Deutschland

Eine rechtsvergleichende Untersuchung

Dr. Björn Krumrey

D6Zugl.: Münster (Westf.), Univ., Diss. der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, 2014

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek | Die DeutscheNationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überwww.dnb.de abrufbar.

epub-ISBN 978-3-415-05365-6Print ISBN 978-3-415-05356-4

© 2014 Richard Boorberg Verlag

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Titelfoto: © Serp – Fotolia

Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG | Scharrstraße 2 | 70563 Stuttgart Stuttgart | München | Hannover | Berlin | Weimar | Dresdenwww.boorberg.de

Meiner Familie

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2013/2014 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung sind im Wesentlichen auf dem Stand von Oktober 2013. Für die Veröffentlichung konnte im Nachtrag die Neustrukturierung des französischen Inlandsnachrichtendienstes im Mai 2014 Berücksichtigung finden.

Bedanken möchte ich mich bei meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Bodo Pieroth, der mich bei der Auswahl des Themas beraten, bei der weiteren Bearbeitung in meinem Vorhaben bestärkt und mir bei auftretenden Fragen immer weitergeholfen hat. Ebenfalls danke ich Herrn Prof. Dr. Hans-Michael Wolffgang für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens.

Für die Aufnahme der Dissertation in diese Schriftenreihe danke ich ferner Herrn Prof. Dr. Heckmann und Herrn Prof. Dr. Würtenberger. Mein Dank gilt zudem dem DAAD für die Förderung mit einem Doktorandenstipendium. Dieses hat mir ermöglicht, die Literatur für den französischen Teil der Arbeit an der Bibliothèque nationale de France und der Université Panthéon-Assas in Paris zusammenzustellen.

Schließlich danke ich meinen Eltern, die meine Ausbildung unterstützt, gefördert und sie mit Interesse begleitet haben. Besonderer Dank gilt meiner Frau Ute. Sie hat mir in dieser Zeit viel Verständnis entgegengebracht und die Arbeit durch intensive Gespräche und Anregungen vorangebracht. Für wertvolle Hinweise und weiterführende Diskussionen danke ich Simon Hentrei. Außerdem bin ich meiner Schwester Birgitta für die gründliche Lektüre und ihre Unterstützung dankbar sowie Björn Arndt, der mit seinem Rat ebenfalls zum Gelingen der Arbeit beigetragen hat.

Münster, im Juni 2014

Björn Krumrey

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

A.   Einführung

B.   Gegenstand und Methode der Untersuchung

C.   Gang der Untersuchung

Erster Teil:Die Organisation des Schutzes der Verfassung durch die Inlandsnachrichtendienste in Frankreich und Deutschland

A.   Die Nachrichtendienste Frankreichs und Deutschlands

  I.   Begriffe

1.   Die französischen „services de renseignement“

2.   Die deutschen Begriffe: Nachrichten- und Geheimdienst, Verfassungsschutz

3.   Das der Untersuchung zugrundeliegende Begriffsverständnis

  II.  Die nachrichtendienstliche Struktur

1.   Die Nachrichtendienste in Frankreich

2.   Die Nachrichtendienste in Deutschland

3.   Rechtsvergleich

B.   Die Organisation der Inlandsnachrichtendienste

  I.   Der französische Inlandsnachrichtendienst: die Direction centrale du renseignement intérieur (DCRI)

1.   Die Wahrnehmung der französischen Nachrichtendienste in der Öffentlichkeit

2.   Die Inlandsnachrichtendienste vor der Reform 2008: DCRG und DST

a)   Direction centrale des renseignements généraux (DCRG)

aa)   Entstehung der DCRG

bb)   Überblick über die Aufgaben der DCRG

cc)   Die Organisationsstruktur der DCRG

b)   Direction de la surveillance du territoire (DST)

aa)   Entstehung der DST

bb)   Überblick über die Aufgaben der DST

cc)   Die Organisationsstruktur der DST

3.   Die Reform der französischen Sicherheitspolitik in Folge des Livre blanc sur la défense et la sécurité nationale 2008

a)   Hintergrund der Reform

b)   Délégation parlementaire au renseignement

c)   Der neue Inlandsnachrichtendienst DCRI

d)   Das Livre blanc sur la défense et la sécurité nationale

e)   Veränderte Koordinationsgremien

4.   Der Inlandsnachrichtendienst DCRI

a)   Die Organisationsstruktur der DCRI

b)   Zusammenarbeit innerhalb der DCRI

c)   Personelle und finanzielle Ausgestaltung der DCRI

  II.  Der deutsche Inlandsnachrichtendienst

1.   Entwicklungslinien des Verfassungsschutzes nach 1945

2.   Das Verständnis des Verfassungsschutzes in Deutschland

a)   Das Konzept der streitbaren Demokratie

b)   Das Trennungsgebot von Polizei und Nachrichtendiensten

3.   Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die Landesämter für Verfassungsschutz

a)   Die innerdeutsche Kompetenzverteilung des Verfassungsschutzes

b)   Die Organisationsstruktur des BfV

c)   Zusammenarbeit zwischen BfV und den Landesämtern für Verfassungsschutz

d)   Personelle und finanzielle Ausgestaltung

  III. Rechtsvergleich

C.   Die Rechtsgrundlagen der Inlandsnachrichtendienste

  I.   Die Rechtsgrundlagen der DCRI

1.   Das Dekret Nr. 2008–609 und weitere Regelungen

2.   Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Rechtsgrundlagen der DCRI

a)   Der verfassungsrechtliche Rahmen in Frankreich

aa)   Die Abgrenzung zwischen loi und règlement in der Constitution von 1958

bb)   Rechtsformen der von der Regierung erlassenen Verordnungen (règlements)

b)   Einordnung der Rechtsgrundlagen der DCRI

aa)   Das Dekret Nr. 2008–609

bb)   Die Rechtsgrundlagen zu den Befugnissen der DCRI

cc)   Zusammenfassung

  II.  Die Rechtsgrundlagen des BfV

1.   Der verfassungsrechtliche Rahmen im Grundgesetz

2.   Das Bundesverfassungsschutzgesetz

3.   Zusammenfassung

  III. Rechtsvergleich

Zweiter Teil:Die Aufgaben und Befugnisse der Inlandsnachrichtendienste sowie die jeweilige nationale Zusammenarbeit

A.   Die Schutzgüter und Aufgaben der Inlandsnachrichtendienste

  I.   Die Schutzgüter der Inlandsnachrichtendienste

1.   Die „intérêts fondamentaux de la nation“ als Schutzgut der DCRI

a)   Die Schutzgüter der DCRG und DST

b)   Systematische Auslegung

aa)   Art. 410–1 Code pénal

bb)   Code de la sécurité intérieure

cc)   Rechtsprechung des Conseil constitutionnel

c)   Schlussfolgerung

2.   Die Schutzgüter des Verfassungsschutzes

a)   Die freiheitliche demokratische Grundordnung

b)   Der Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes

3.   Rechtsvergleich

  II.  Die Aufgaben der Inlandsnachrichtendienste

1.   Die Aufgaben der DCRI

a)   Die Aufgabenbereiche

aa)   Spionageabwehr

bb)   Terrorismusbekämpfung

cc)   Schutz der wirtschaftlichen Sicherheit und des „secret de la défense nationale“

dd)   Überwachung und Bekämpfung der Cyber-Kriminalität

ee)   Überwachung von Personen und Organisationen

b)   Nachrichtendienstliche und polizeiliche Aufgaben der DCRI

aa)   Die DCRI als service de renseignement

(1)   Information der Regierung

(2)   Verhinderung von Gefährdungen der intérêts fondamentaux de la nation

bb)   Die DCRI als service de police judiciaire spécialisé

c)   Abgrenzung zu anderen Sicherheitsbehörden

2.   Die Aufgaben des BfV

a)   Sammlung und Auswertung von Informationen

b)   Die Aufgabenbereiche

aa)   Extremismusbeobachtung

bb)   Spionageabwehr

cc)   Tatsächliche Anhaltspunkte als Aufgabenbegrenzung

dd)   Personenzusammenschlüsse und Einzelpersonen

c)   Mitwirkungsaufgaben des BfV beim Geheimschutz

d)   Abgrenzung der Aufgaben des Verfassungsschutzes zur Polizei

3.   Rechtsvergleich

a)   Zu den Aufgaben

b)   Zu den Aufgabenbereichen

c)   Zur konkreten Ausgestaltung

B.   Die Befugnisse der Inlandsnachrichtendienste

  I.   Die Befugnisse der DCRI

1.   Nachrichtendienstliche Befugnisse

a)   Die Informationserhebung

aa)   Offene Informationserhebung

bb)   Auskunftsverlangen

(1)   Auskunftsverlangen bezüglich Telekommunikationsdaten

(2)   Auskunftsverlangen bezüglich Daten aus der Videoüberwachung

cc)   Zugriff auf Dateien

(1)   Grundzüge der französischen Rechtslage zu Dateien

(2)   Zugriff auf allgemeine Verwaltungsdateien

(3)   Zugriff auf Dateien mit Daten von Beförderungsunternehmen

dd)   Verdeckte Informationserhebung

(1)   Telekommunikationsüberwachung

(2)   Einsatz von Scheinidentitäten

b)   Informationsverarbeitung

aa)   Die Dateien der DCRG und DST

bb)   Die Datei CRISTINA

2.   Repressiv-polizeiliche Befugnisse

  II.  Nachrichtendienstliche Befugnisse des BfV

1.   Informationserhebung

a)   Offene Informationserhebung

b)   Auskunftsverlangen und Ersuchen der Datenübermittlung

c)   Heimliche Informationsbeschaffung

2.   Informationsverarbeitung und -nutzung

3.   Keine polizeilichen Befugnisse des BfV

  III. Rechtsvergleich

1.   Zu den polizeilichen Befugnissen der DCRI

2.   Zu den nachrichtendienstlichen Befugnissen

C.   Die Zusammenarbeit der Inlandsnachrichtendienste mit nationalen Sicherheitsbehörden und die Koordination der Nachrichtendienste

  I.   Die Zusammenarbeit der Inlandsnachrichtendienste mit nationalen Sicherheitsbehörden

1.   Die Zusammenarbeit der DCRI mit den französischen Sicherheitsbehörden

a)   Übermittlung von Informationen

b)   UCLAT als institutionelle Zusammenarbeitsform

2.   Die Zusammenarbeit des BfV mit anderen deutschen Sicherheitsbehörden

a)   Übermittlung von Informationen durch und an das BfV

b)   Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden durch gemeinsame Dateien

c)   Institutionelle Formen der Zusammenarbeit

  II.  Die Koordination der Nachrichtendienste

1.   Die Koordination der französischen Nachrichtendienste

a)   Der Conseil national du renseignement

b)   Der Coordonnateur national du renseignement

c)   Das Secrétariat général de la défense et de la sécurité nationale

d)   Zusammenfassung und Stellungnahme

2.   Die Koordination der deutschen Nachrichtendienste

a)   Der Bundessicherheitsrat und das Sicherheitskabinett

b)   Der Beauftragte der Bundesregierung für die Nachrichtendienste und der Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt

c)   Der Staatssekretärsausschuss für das geheime Nachrichtenwesen und Sicherheit

  III. Rechtsvergleich

Dritter Teil:Die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste

A.   Die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste in Frankreich

  I.   Die nachrichtendienstliche Kontrolle bis 2007

  II.  Die Délégation parlementaire au renseignement (DPR)

1.   Die Rechtsgrundlage der DPR

2.   Die Besetzung der DPR

3.   Geheimschutz

4.   Die Aufgabe der DPR

5.   Die Befugnisse der DPR

B.   Das deutsche parlamentarische Kontrollgremium (PKGr)

  I.   Entwicklungslinien der parlamentarischen Kontrolle in Deutschland

  II.  Die Rechtsgrundlagen des PKGr

  III. Die Besetzung des PKGr

  IV. Geheimschutz

  V.  Die Aufgaben des PKGr

  VI. Die Befugnisse des PKGr

C.   Rechtsvergleich

Vierter Teil:Weitere Diskussionen um die Inlandsnachrichtendienste

A.   Neue Entwicklungen

  I.   Entwicklungen in Frankreich

1.   Die Berichte von Ausschüssen der Nationalversammlung

2.   Die Ankündigung einer Reform des Inlandsnachrichtendienstes im Juni 2013

3.   Das Livre blanc sur la défense et la sécurité nationale 2013

  II.  Entwicklungen in Deutschland

B.   Zur Frage einer gesetzlichen Rechtsgrundlage für den französischen Inlandsnachrichtendienst

  I.   Verfassungsrechtliche Zulässigkeit und Ausgestaltung einer gesetzlichen Rechtsgrundlage

  II.  Vorteile einer gesetzlichen Rechtsgrundlage

  III. Ergebnis

Zusammenfassung und Schlussbetrachtungen

Nachtrag: Die Direction générale de la sécurité intérieure (DGSI)

Literaturverzeichnis

Verzeichnis französischer Gesetzgebungsberichte und sonstiger Dokumente

Anhang

A.   Das Dekret Nr. 2008–609 vom 27. Juni 2008

B.   Das Gesetz Nr. 2007–1443 vom 9. Oktober 2007

C.   Die Internetseite der DCRG

D.   Die Internetseite der DST

E.   Die Internetseite der DCRI

F.   Das Dekret Nr. 2014–445 vom 30. April 2014

Abkürzungsverzeichnis

A

Arrêté

a. E.

am Ende

Abs.

Absatz

AFRI

Annuaire Français de Relations Internationales

AJDA

L’actualité juridique – Droit administratif

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

Art.

Artikel

Ass. nat.

Assemblée nationale

ATDG

Antiterrordateigesetz

Aufl.

Auflage

BayVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter

BDSG

Bundesdatenschutzgesetz

BfV

Bundesamt für Verfassungsschutz

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BKA

Bundeskriminalamt

BND

Bundesnachrichtendienst

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache

Bulletin criminel

Bulletin des arrêts de la Cour de cassation, Chambre criminelle

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfSchG

Bundesverfassungsschutzgesetz

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

CCSDN

Commission consultative du secret de la défense nationale

D

Décret

DCPJ

Direction centrale de la police judiciaire

DCRG

Direction centrale des renseignements généraux

DCRI

Direction centrale du renseignement intérieur

DCSP

Direction centrale de la sécurité publique

DGSE

Direction générale de la sécurité extérieure

DGSI

Direction générale de la sécurité intérieure

Diss.

Dissertation

Doc.

Document

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DPR

Délégation parlementaire au renseignement

DRM

Direction du renseignement militaire

DST

Direction de la surveillance du territoire

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

f./ff.

folgende Seite(n)

Fn.

Fußnote

G 10

Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses

GG

Grundgesetz

GTAZ

Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum

Habil.

Habilitation

Hrsg.

Herausgeber

i. V. m.

in Verbindung mit

JORF

Journal officiel de la République française (Amtsblatt der französischen Republik)

JZ

Juristenzeitung

L

Loi

LfV

Landesämter für Verfassungsschutz

lit.

litera

m. w. N.

mit weiterem/weiteren Nachweis(en)

MAD

Militärischer Abschirmdienst

numéro

NJW

Neue juristische Wochenschrift

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

PKGr

Parlamentarisches Kontrollgremium

PKGrG

Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz)

R

Règlement

RDP

Revue de droit public

Rec.

Recueil des décisions du Conseil constitutionnel (Entscheidungssammlung des Conseil constitutionnel)

Rec. Lebon

Recueil Lebon (Entscheidungssammlung des Conseil d’Etat)

RFDA

Revue française de droit administratif

RFDC

Revue française de droit constitutionnel

Rn.

Randnummer

RSC

Revue de science criminelle et de droit pénal comparé

S.

Seite

Série A

Série A des publications de la Cour européenne des droits de l’Homme: Arrêts et décisions (bis 1995)

SÜG

Sicherheitsüberprüfungsgesetz

u. a.

und andere

VBlBW

Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg

VerwArch

Verwaltungs-Archiv

vgl.

vergleiche

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

ZD

Zeitschrift für Datenschutz

ZG

Zeitschrift für Gesetzgebung

Ziff.

Ziffer

zit.

zitiert als

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

Einleitung

A.    Einführung

Die zunehmende Bedrohung durch extremistische und terroristische Angriffe geht in Frankreich und in Deutschland einher mit einer Verstärkung staatlicher Mechanismen zur Abwehr dieser Gefahren. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts richten sich terroristische Straftaten „gegen die Grundpfeiler der verfassungsrechtlichen Ordnung und das Gemeinwesen als Ganzes“.1 Das Gericht bekräftigte daher, dass „der Terrorismusbekämpfung im rechtsstaatlichen Rahmen der Verhältnismäßigkeitsabwägung ein erhebliches Gewicht beizumessen ist“.2 Die Notwendigkeit eines effektiven Schutzes des Staates und der Bevölkerung ist dabei mit rechtsstaatlichen Vorgaben an staatliches Handeln in Einklang zu bringen. Inlandsnachrichtendiensten3 kommt in diesem Rahmen eine zentrale Bedeutung zu. Sie stehen allerdings vor der Herausforderung, dass sich ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit oftmals auf die Fälle reduziert, in denen sie Anschläge nicht verhindern konnten. Die Reaktionen auf derartige vermeintliche Fehlleistungen reichen von Forderungen nach Reformen bis hin zu ihrer Abschaffung.4

Eine Diskussion über den Bestand und die Ausgestaltung der Inlandsnachrichtendienste findet seit 2011 sowohl in Frankreich als auch in Deutschland statt. Das veranschaulicht die sogenannte „Affäre Merah“, in die der französische Inlandsnachrichtendienst, die Direction centrale du renseignement intérieur (zentrale Abteilung für Inlandsnachrichten, DCRI), verwickelt ist. Obwohl die DCRI Mohamed Merah wegen seines islamistischen Hintergrundes mehrere Jahre überwachte und ihn anlässlich seiner Aufenthalte in Afghanistan und Pakistan sogar befragte, wurde seine Observierung aus bisher nicht geklärten Gründen eingestellt.5Merah ermordete im März 2012 in Montauban und Toulouse sieben Menschen aus antisemitischen und islamistischen Motiven. Anschließend hielt er dem französischen Inlandsnachrichtendienst sogar dessen Untätigkeit vor.6 Die genauen Hintergründe der Taten und der Versäumnisse der verantwortlichen Sicherheitsbehörden sind vielschichtig und beschäftigten seitdem unter anderem eine interne Ermittlungskommission der Polizei sowie einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Nationalversammlung.7

Auch der deutsche Inlandsnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), steht seit 2011 im Rahmen der „NSU-Affäre“ in der Kritik. Jahrelang hatte eine rechtsextremistische Gruppe, die sich „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) nannte, Anschläge, Überfälle und zehn Morde an Personen mit Migrationshintergrund sowie an einer Polizistin verübt, ohne dass der rechtsextremistische Hintergrund und vor allem der Zusammenhang der Taten vom Verfassungsschutz oder der Polizei entdeckt wurden.8 Seitdem haben sich insbesondere ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages sowie weitere Kommissionen mit der Aufklärung dieser Versäumnisse befasst.9 Während dieser Aufarbeitung wurden von den Verfassungsschutzbehörden Akten vernichtet, was zu weiterem Unverständnis in der Öffentlichkeit und zum Rücktritt des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz führte.10

Diese beiden aktuellen Ereignisse aus den Jahren 2011 und 2012 lassen trotz ihrer Unterschiede hinsichtlich der Art der Gefährdung im Einzelnen vergleichbare Herausforderungen und daraus resultierende Anforderungen an die jeweiligen Inlandsnachrichtendienste erkennen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sollen die Organisation und die Funktionsweise der Inlandsnachrichtendienste in Frankreich und Deutschland untersucht und miteinander verglichen werden. Anlass der Untersuchung ist dabei die institutionelle Reform des französischen Inlandsnachrichtendienstes im Juli 2008. Diese ist eingebettet in weitere institutionelle Veränderungen des französischen Nachrichtendienstrechts von 2007 bis Ende 2009. Unter anderem ist erstmals ein allgemeines parlamentarisches Kontrollgremium der Nachrichtendienste eingerichtet worden. Den Diskussionsbedarf über die Nachrichtendienste illustriert eine Aussage vom damaligen französischen Innenminister Nicolas Sarkozy, der noch 2007 in einem informellen Gespräch mit früheren Innenministern zum Ausdruck gebracht haben soll, dass die Arbeit der Nachrichtendienste ein „Mysterium“ darstelle und nicht genau bekannt sei, was sie machten.11 Durch die angesprochenen Veränderungen besteht eine gleiche Ausgangslage zum deutschen Verfassungsschutz, der seit 1978 durch ein parlamentarisches Kontrollgremium der Nachrichtendienste kontrolliert wird und im Hinblick auf seine Organisationsstruktur seit seiner Gründung im Jahr 1950 im Grundsatz unverändert besteht. In diesem Zusammenhang ist zu untersuchen, vor welchen Hintergründen die jüngeren Reformentwicklungen in Frankreich durchgeführt wurden und wie sie zu bewerten sind. Vor den eingangs geschilderten ähnlichen Herausforderungen und der unterschiedlichen Entwicklung gilt es zu analysieren, wie Frankreich und Deutschland den Ausgleich zwischen Effektivitätsinteressen einerseits und der Wahrung rechtsstaatlicher Vorgaben in der Organisation der Inlandsnachrichtendienste andererseits bewältigen.

B.    Gegenstand und Methode der Untersuchung

Gegenstand der Untersuchung ist der Vergleich der Inlandsnachrichtendienste in Frankreich und Deutschland. Bei den Inlandsnachrichtendiensten handelt es sich in beiden Ländern um diejenigen Behörden, die einen Beitrag zum Schutz des Staates leisten, indem sie Informationen mit einem Inlandsbezug über extremistische Angriffe sammeln und auswerten. Die Erkenntnisse dienen der Information der Regierung und können sodann für weitere Zwecke wie die Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten eingesetzt werden.12 Der französische Inlandsnachrichtendienst wird insbesondere in der deutschen wissenschaftlichen Aufarbeitung pauschal und allenfalls im Überblick behandelt, wobei sich die bisherigen Darstellungen im Wesentlichen auf die Vorgängerbehörden der DCRI beziehen.13 So wird zumeist ohne eine nähere Auseinandersetzung angeführt, dass weitreichende Aufgaben und kaum kontrollierte Befugnisse bestehen.14 Eine systematische Darstellung und Bewertung des reformierten Inlandsnachrichtendienstes und der Auswirkungen der Reformen im Nachrichtendienstbereich der vergangenen Jahre fehlt hingegen, ebenso ein hier ansetzender Vergleich des französischen mit dem deutschen Inlandsnachrichtendienst.15

Methodisch soll rechtsvergleichend vorgegangen werden. Danach können einzelne Rechtsinstitute miteinander verglichen werden, sofern sie dieselbe Funktion in den ausgewählten Rechtsordnungen erfüllen.16 Nach der Auswahl der Vergleichsgegenstände ist die jeweilige Rechtslage einzeln in sogenannten Länderberichten darzustellen, wobei auch eine Gliederung in Teilfragen zweckmäßig sein kann.17 Hierbei sind insbesondere die begrifflichen Besonderheiten der jeweiligen Rechtsregime zu beachten.18 Eine Gegenüberstellung der Inlandsnachrichtendienste Frankreichs und Deutschlands resultiert daraus, dass beide Länder einer vergleichbaren Bedrohungslage in Europa ausgesetzt sind und daher besonders interessant ist, wie mit diesen Herausforderungen umgegangen wird. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, durch den Vergleich der Organisation, der Aufgaben und Befugnisse sowie der parlamentarischen Kontrolle der Inlandsnachrichtendienste in beiden Ländern die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, Unterschiede aufzudecken und diese zu bewerten.19 Die Erkenntnisse des Vergleichs dienen dazu, die jeweils in Frankreich und in Deutschland im Nachrichtendienstrecht bestehende Rechtslage zu überdenken und Defizite aufzuzeigen, die in künftigen Reformprozessen berücksichtigt werden könnten.20 Die Bedeutung dieser Vorgehensweise zeigt beispielsweise das Gesetzgebungsverfahren zur Schaffung des parlamentarischen Kontrollgremiums in Frankreich, bei dem auch rechtsvergleichende Überlegungen zum deutschen Nachrichtendienstsystem Beachtung fanden.21 Die Herausarbeitung nachrichtendienstlicher Besonderheiten zweier zentraler Akteure in der Europäischen Union erleichtert überdies den Zugang zu der zunehmend an Bedeutung gewinnenden europäischen Zusammenarbeit der nationalen Nachrichtendienste und trägt dazu bei, künftige europaweite Entwicklungen an den Erkenntnissen auszurichten.

Insgesamt soll es sich nicht um einen umfassenden Rechtsvergleich der Inlandsnachrichtendienste in allen Aspekten handeln. Vielmehr stehen in erster Linie die neuen Entwicklungen in Frankreich im Vordergrund und sollen erläutert und bewertet werden. Hierbei konzentriert sich die Untersuchung auf die französische Rechtslage, die durch die Reformen seit 2007 entstanden ist. Diese Reformen sind das Ergebnis einer längeren Entwicklung und führen zu zentralen institutionellen Veränderungen und Anpassungen des französischen Inlandsnachrichtendienstes und des Nachrichtendienstsystems insgesamt. Der deutsche Verfassungsschutz soll im Rahmen dieses Rechtsvergleichs als Bezugspunkt und europäisches Referenzmodell fungieren, mit dem der französische Inlandsnachrichtendienst verglichen wird. Die Darstellung des deutschen Inlandsnachrichtendienstes beschränkt sich deshalb auf das Vorstellen der jeweiligen Grundzüge, um eine Vergleichsgrundlage herzustellen. In einem ersten Schritt werden die jeweiligen Einzelaspekte der Inlandsnachrichtendienste gegenübergestellt und sodann in einem zweiten Schritt die Ergebnisse zusammengeführt und miteinander verglichen.22 Innerhalb dieses Rechtsvergleichs soll zudem auf Vorgaben und Empfehlungen des Europarates Bezug genommen werden, die in einzelnen Bereichen eine übergreifende Bewertung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Inlandsnachrichtendienste ermöglichen.

Die „Affäre Merah“ Anfang 2012 und der französische Regierungswechsel im Frühjahr 2012 haben dazu geführt, auf Seiten der Regierung die eingeleiteten Reformen um den französischen Inlandsnachrichtendienst zu evaluieren und weitere Veränderungen vorzuschlagen. Die Darstellung der DCRI in dieser Arbeit basiert auf der gegenwärtigen Rechtslage und umfasst solche Änderungen, die bis Oktober 2013 umgesetzt wurden. Gleiches gilt für den deutschen Verfassungsschutz. Zur besseren Einordnung einer möglichen weiteren Entwicklung soll abschließend auf einige aktuelle Vorschläge im Überblick eingegangen werden.

C.    Gang der Untersuchung

Der erste Teil der Untersuchung stellt die Organisation der Inlandsnachrichtendienste in den Vordergrund. Nach einem Überblick über die in Frankreich und Deutschland vorhandenen Nachrichtendienste und Begrifflichkeiten wird die Reformentwicklung des französischen Inlandsnachrichtendienstes näher skizziert und seine Organisationsstruktur erläutert. Dem werden die Entwicklungslinien und die Struktur des deutschen Verfassungsschutzes gegenübergestellt. Hauptgesichtspunkt der weiteren Darstellung ist die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Rechtsgrundlagen der Inlandsnachrichtendienste. Dabei soll der verfassungsrechtliche Rahmen aufgezeigt und in die jeweilige Normenhierarchie eingeordnet werden.

Im zweiten Teil werden die Schutzgüter und Aufgaben sowie die Befugnisse des französischen und deutschen Inlandsnachrichtendienstes miteinander verglichen und deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet. Zudem ist auf die Zusammenarbeit der Inlandsnachrichtendienste mit anderen Sicherheitsbehörden auf nationaler Ebene einzugehen, die die Stellung der Inlandsnachrichtendienste im französischen und deutschen Nachrichtendienstsystem verdeutlicht. Vor diesem Hintergrund wird auch die nationale Koordination der Nachrichtendienste behandelt.

Der dritte Teil befasst sich mit der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste in Frankreich und Deutschland, die für die Arbeit und das Verständnis beider Inlandsnachrichtendienste von Bedeutung ist. In diesem Bereich soll gegenübergestellt werden, dass in Frankreich erst 2007 ein allgemeines parlamentarisches Kontrollgremium geschaffen wurde, während die deutschen Nachrichtendienste bereits seit 1978 durch ein solches Gremium parlamentarisch kontrolliert werden. Hierbei ist die Entwicklung darzustellen und die Rechtslage der parlamentarischen Kontrollgremien zu vergleichen.

Abschließend ist im vierten Teil ein Überblick zu weiteren Entwicklungen und Diskussionen um die Inlandsnachrichtendienste zu geben. Hierzu zählen insbesondere Reformvorschläge in Frankreich, die seit der Präsidentschaftswahl im Mai 2012 und dem damit einhergehenden Regierungswechsel im Raum stehen und ausgearbeitet werden. Kern der Diskussion ist die Frage nach einer gesetzlichen Rechtsgrundlage des französischen Inlandsnachrichtendienstes. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse des Rechtsvergleichs und weiteren Schlussbetrachtungen.

 

1 BVerfGE 133, 277, 333 f., Rn. 133 (Antiterrordateigesetz).

2 BVerfGE 133, 277, 333 f., Rn. 133 unter Verweis auf BVerfGE 115, 320, 357 f.

3 Die im Rahmen der Arbeit gebrauchten Begriffe, unter anderem des Nachrichtendienstes, werden aus Gründen der Übersichtlichkeit zusammenhängend im Ersten Teil, A. I. erläutert.

4 Siehe z. B. Leggewie/Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2012, S. 63, 63 ff.

5 Vgl. im Einzelnen z. B. den Untersuchungsbericht der internen Polizeiinspektion Desprats/Léonnet, Affaire Merah, Rapport 2012, S. 1 ff.; Décugis/Labbé/Recasens, Le Point, 29. März 2012, S. 48, 48 ff.

6 Vgl. Hollande, Déclaration à Toulouse, 17. März 2013, S. 1 f., 4 f.; Borredon/Cazi, Le Monde, 20. Oktober 2012, S. 1 f.

7 Siehe den Untersuchungsbericht der Polizeiinspektion Desprats/Léonnet, Affaire Merah, Rapport 2012 und den Bericht des Untersuchungsausschusses Cavard/Urvoas, Rapport, Doc. Ass. nat., n° 1056, 24. Mai 2013.

8 Vgl. den Überblick der Taten in BMI/IMK, Abschlussbericht der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus, 2013, S. 123 ff.

9 Siehe z. B. BMI/IMK, Abschlussbericht der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus, 2013, sowie den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses „Terrorgruppe nationalsozialistischer Untergrund“, BT-Drs. 17/14600 vom 22. August 2013.

10Kutscha, NVwZ 2013, S. 324, 324 sieht die Vorfälle um den NSU als „schwerste Legitimationskrise“ in der Geschichte des deutschen Verfassungsschutzes an. Vgl. Sattar, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Juli 2012, S. 2.

11 Vgl. das Zitat bei Denécé, in: Denécé (Hrsg.), Renseignement, médias et démocratie, S. 231, 231 m. w. N.

12 Zu den Aufgaben der Inlandsnachrichtendienste im Einzelnen Zweiter Teil, A. II.

13 Zur DCRI s. z. B. Segell, in: Jäger/Daun (Hrsg.), Geheimdienste in Europa, S. 35, 43 ff. Zu den Vorgängerbehörden der DCRI: Morisse-Schilbach, in: Morisse-Schilbach/Peine (Hrsg.), Demokratische Außenpolitik, S. 299, 310 ff.; Hirsch, Die Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 229 ff.; Borgs-Maciejewski, in: BfV (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, S. 165, 165 f. stellt in den 1990er Jahren fest, dass die Vorgängerbehörden „ohne spezielle Rechtsgrundlage“ geführt wurden.

14 Vgl. etwa Morisse-Schilbach, in: Morisse-Schilbach/Peine (Hrsg.), Demokratische Außenpolitik, S. 299, 310; Smidt, in: Morisse-Schilbach/Peine (Hrsg.), Demokratische Außenpolitik, S. 143, 159; Borgs-Maciejewski, ZRP 2006, S. 41, 43.

15Würtenberger, in: Würtenberger/Gusy/Lange (Hrsg.), Innere Sicherheit, S. 231, 232 legt im Rahmen eines allgemeinen Vergleichs des französischen und deutschen Sicherheitsrechts dar, dass eine Rechtsvergleichung im Sicherheitsrecht „noch weitestgehend“ fehlt. Der politikwissenschaftliche Vergleich von Canu, Der Schutz der Demokratie in Deutschland und Frankreich, 1997, hat einen weitergehenden Ansatz, bei dem die Inlandsnachrichtendienste Frankreichs und Deutschlands nur einen Teil der Untersuchung darstellen. Die Arbeit von Ferro, L’image des services de renseignement, 2012, vergleicht im Überblick das gesamte französische und deutsche Nachrichtendienstrecht, konzentriert sich dabei aber auf das Bild und die Wirkung der Nachrichtendienste in der Öffentlichkeit aus dem Blickwinkel der Politikwissenschaften.

16 Zur Methode der Rechtsvergleichung Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 4 f., 31 ff.; zum öffentlichen Recht Starck, JZ 1997, S. 1021, 1026 ff.; Sommermann, in: Handbuch der Grundrechte, Band I, § 16 Rn. 50 ff.

17Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 42.

18Starck, JZ 1997, S. 1021, 1026 ff.

19 Zu den Zielen der Rechtsvergleichung Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 13 ff., 43 ff.; Starck, JZ 1997, S. 1021, 1023 ff.; nach Schmidt-Aßmann/Dragon, ZaöRV 2007, S. 395, 397, 467 f. ist der Rechtsvergleich im öffentlichen Recht „ganz vorrangig als gegenseitiger Lernprozess“ zu verstehen.

20 Zum rechtspolitischen Element der Rechtsvergleichung Sommermann, DÖV 1999, S. 1017, 1020 f.

21 Siehe Garrec, Rapport, Doc. Sénat, 2006–2007, n° 337, 20. Juni 2007, S. 12 ff.; Vinçon, Avis, Doc. Sénat, 2006–2007, n° 339, 20. Juni 2007, S. 10 ff. Vgl. auch Dritter Teil, C.

22 Zu dieser Vorgehensweise Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 42.

Erster Teil:Die Organisation des Schutzes der Verfassung durch die Inlandsnachrichtendienste in Frankreich und Deutschland

 

Bevor die Inlandsnachrichtendienste Frankreichs und Deutschlands im Detail untersucht werden, soll zunächst ein Überblick über die jeweilige nachrichtendienstliche Struktur in beiden Ländern gegeben werden (A.). Hieran anschließend soll die nähere Organisation der Inlandsnachrichtendienste untersucht werden, wobei auch der geschichtlichen Entwicklung insbesondere der französischen Behörde Bedeutung zukommt (B.). In einem letzten Abschnitt werden die Rechtsgrundlagen der Inlandsnachrichtendienste behandelt und miteinander verglichen (C.).

A.    Die Nachrichtendienste Frankreichs und Deutschlands

Zur Einordnung der in dieser Arbeit zu behandelnden Inlandsnachrichtendienste soll zunächst ein kurzer Überblick über die zugrundeliegenden Begriffe (I.) und die jeweiligen nationalen Dienste (II.), die sicherheitsrelevante Informationen sammeln, gegeben werden.

I.     Begriffe

Als notwendige Grundlage der Arbeit gilt es in einem ersten Schritt die verwendeten Begriffe, wie etwa die des Nachrichten- und Geheimdienstes sowie des Staats- und Verfassungsschutzes, zu erläutern.

1.     Die französischen „services de renseignement“

Die im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch als Nachrichten- oder Geheimdienste bezeichneten Behörden werden in Frankreich als services de renseignement bezeichnet.23 Weitere nicht einheitlich gebrauchte Begriffe für die handelnden Behörden sind services de sécurité, services intérieures, services secrets, services spécialisés oder police politique. Da eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Begriffe nicht oder nur zum Teil besteht, soll daher eine Auseinandersetzung in sprachlicher und institutioneller Hinsicht erfolgen, um daran anschließend das dieser Arbeit zugrunde gelegte Verständnis festzulegen. Unter einem service de renseignement kann Staats- und Verfassungsschutz bzw. Nachrichten- oder Geheimdienst verstanden werden.24 Zentraler Oberbegriff ist das Wort renseignement, welches mit Auskunft, Nachricht, Mitteilung oder Information übersetzt werden kann.25 Eine wörtliche Übersetzung der handelnden Behörden legt daher den Begriff des Nachrichtendienstes nahe. In Abgrenzung hierzu kann service secret als Geheimdienst übersetzt werden.26

Der Begriff renseignement durchzieht das französische Sicherheitsrecht und findet sich insbesondere in den Namen der maßgeblichen Behörden wie der vorliegend zu untersuchenden Direction centrale du renseignement intérieur oder der Vorgängerbehörde Direction générale des renseignements généraux (allgemeine Abteilung für allgemeine Nachrichten) wieder.27 Gleiches gilt für übergreifende Institutionen im Nachrichtendienstrecht, wie das parlamentarische Kontrollgremium (Délégation parlementaire au renseignement) oder den nationalen Koordinator (Coordonnateur national du renseignement). Weiterhin hat der Begriff seine Grundlage in Gesetzen und im wissenschaftlichen Diskurs.28 Die sonstigen einleitend genannten Bezeichnungen beziehen sich offenbar auf Teilbereiche des Sicherheitsrechts, auch wenn ein einheitlicher Gebrauch nicht konsequent zu beobachten ist. So wird service de sécurité (Sicherheitsbehörde) oder service de sécurité intérieure (Behörde für die innere Sicherheit) speziell für die Inlandsüberwachung, services secrets hingegen für die Auslandsüberwachung herangezogen.29Police politique (politische Polizei), police d’information (Informations-/Nachrichtenpolizei) oder renseignement politique (politische Nachricht) machen zum einen die später zu untersuchende Beziehung zur Polizei deutlich, unterstreichen zum anderen den Einfluss der Politik bzw. der Regierung auf die Dienste.30

Insgesamt ist festzustellen, dass der Begriff renseignement bzw. service de renseignement für die handelnden Behörden von zentraler Bedeutung im französischen Sicherheitsrecht ist.31 Die Behörden können anknüpfend an die obige Übersetzung sprachlich als Nachrichtendienste benannt werden, ohne damit eine systematische Einordnung oder Bewertung aus juristischer Sicht vorzunehmen.

2.     Die deutschen Begriffe: Nachrichten- und Geheimdienst, Verfassungsschutz

Auch in Deutschland ist im Zusammenhang mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und anderen Diensten im allgemeinen Sprachgebrauch scheinbar undifferenziert von Nachrichtendiensten, Geheimdiensten, Sicherheitsbehörden oder dem „Verfassungsschutz“ die Rede. Diese Begriffe sind ebenfalls keine eindeutig festgelegten Fachbegriffe, jedoch sind sie größtenteils wissenschaftlich aufgearbeitet und voneinander abgrenzbar. Als Nachrichtendienste werden solche Behörden bezeichnet, die Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln sammeln und auswerten, ohne darauf aufbauend weitere Maßnahmen vorzunehmen.32 Dies stellt begrifflich gerade den Unterschied zur Bezeichnung der Geheimdienste dar, die neben dem Sammeln und Auswerten von Informationen „aktive Maßnahmen“ wie Agitation, Desinformation, Diversion, Konspiration, Sabotage, Subversion, Unterwanderung, politische Morde etc. ergreifen, um den Gegner im In- und Ausland zu stören oder zu beeinflussen.33 Der Geheimdienstbegriff ist demnach weiter gefasst, der des Nachrichtendienstes hingegen spezieller. Wie die anderen deutschen Dienste ist auch das BfV ausschließlich auf das Sammeln und Auswerten von Informationen beschränkt, ohne nach seinem gesetzlichen Auftrag weitere aktive Handlungen vornehmen zu dürfen. Demzufolge ist das BfV als Nachrichtendienst im oben genannten Sinn zu qualifizieren und soll im Folgenden auch so bezeichnet werden.34

Der Begriff des Staatsschutzes ist älter und zugleich weitgehender als der des Verfassungsschutzes und meint den Schutz eines Staates vor sämtlichen Gefahren gegen seinen Bestand.35 Der im allgemeinen Sprachgebrauch oft nur institutionell als Bezeichnung für das BfV oder die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) genutzte Begriff des Verfassungsschutzes hat darüber hinaus aber eine konzeptuelle Bedeutung und betrifft nicht nur die Nachrichtendienste. Insgesamt fallen unter diesen erst mit der Entstehung von Verfassungen auftretenden Begriff alle Regelungen, die die besondere Grundordnung des Staates sichern sollen.36 Diese Regelungen können inhaltlich strafrechtlicher (sog. strafrechtlicher Verfassungsschutz) oder staatsrechtlicher Natur (sog. staatsrechtlicher Verfassungsschutz) sein und werden von den Nachrichtendiensten (sog. nachrichtendienstlicher Verfassungsschutz) und von weiteren Sicherheitsbehörden (exekutiver Verfassungsschutz) ausgeübt.37 Die in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10, 1. Alt. lit. b Grundgesetz (GG) enthaltene Legaldefinition des Verfassungsschutzes umschreibt daher nur einen Bereich der Aufgaben des Schutzes der Verfassung.38 Danach wird der Verfassungsschutz definiert als Schutz „der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes“. Folglich ist das BfV damit materiell für den nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz zuständig.

3.     Das der Untersuchung zugrundeliegende Begriffsverständnis

Nach den vorangegangen Erläuterungen können sowohl die DCRI als auch das BfV als Nachrichtendienste bezeichnet werden. Dabei ist anzumerken, dass die deutsche Abgrenzung und Einordnung nicht allein sprachlicher Natur ist, sondern die genannte wissenschaftliche Differenzierung unter Einbeziehung der gesetzlichen Aufgaben und Befugnisse erfolgt ist. Demgegenüber handelt es sich bei den französischen Nachrichtendiensten in erster Linie um eine Übersetzung des Begriffes der services de renseignement, ohne damit eine weitergehende inhaltliche Einstufung vorzunehmen. Um eine einheitliche sprachliche Grundlage zu gewährleisten, soll in Kenntnis dieses Unterschiedes im folgenden Rechtsvergleich begrifflich für beide Dienste von Nachrichtendiensten ausgegangen werden. Die Beurteilung der Aufgaben und Befugnisse der DCRI bleibt der weiteren Darstellung dieser Arbeit vorbehalten und soll durch eine allein sprachliche Unterscheidung nicht vorweggenommen werden.39 Insbesondere eine Übertragung des deutschen Begriffsverständnisses von Geheim- und Nachrichtendiensten auf die französischen Dienste ist nicht möglich, aber auch nicht erforderlich.40 Die Abgrenzung und die Einordnung sind zugeschnitten auf das deutsche Nachrichtendienstrecht und vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung in Deutschland zu sehen.41

Im Folgenden soll dementsprechend in sprachlicher Hinsicht der Begriff der „Nachrichtendienste“ für alle deutschen und französischen Dienste gebraucht werden und „Inlandsnachrichtendienste“ bzw. „Dienste“ allein den hier zu untersuchenden speziellen Teil der Nachrichtendienste für das Inland bezeichnen. Der Begriff „Verfassungsschutz“ in seinem institutionellen Sinn hingegen soll nur für den deutschen Inlandsnachrichtendienst herangezogen werden.

II.    Die nachrichtendienstliche Struktur

Zur weiteren Abgrenzung ist es angezeigt, überblicksartig die jeweilige Struktur der Nachrichtendienste in beiden Ländern vorzustellen.

1.     Die Nachrichtendienste in Frankreich

Die nachrichtendienstliche Struktur in Frankreich besteht aus sechs Nachrichtendiensten mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen.42 Hierzu zählen zunächst die Direction centrale du renseignement intérieur (DCRI) und die Direction générale de la sécurité extérieure (allgemeine Abteilung für die äußere Sicherheit, DGSE), die als Behörden mit allgemeiner Zuständigkeit („services à compétence générale“) bezeichnet werden.43 Während die dem Innenministerium unterstehende DCRI, die Gegenstand dieser Arbeit ist, für die Inlandsüberwachung zuständig ist, ist die Direction générale de la sécurité extérieure (DGSE) der französische Auslandsnachrichtendienst. Dieser ist dem Verteidigungsministerium zugeordnet und befasst sich mit dem Sammeln und Auswerten von Informationen, die die Sicherheit Frankreichs betreffen, sowie der Spionageabwehr44 außerhalb des französischen Staatsgebietes.45 Neben diesen beiden zentralen Behörden gibt es vier weitere im Hinblick auf ihre Aufgaben spezialisierte Nachrichtendienste („services spécialisés“46): die dem Verteidigungsministerium zugeordnete Direction du renseignement militaire (DRM), die für das Sammeln militärisch relevanter Informationen zuständig ist,47 die Direction de la protection et de la sécurité de la défense als weiterer interner Dienst des Verteidigungsministeriums für Sicherheitsfragen,48 die Direction nationale du renseignement et des enquêtes douanières49 für Zollfragen und die dem Finanzministerium unterstehende Abteilung Traitement du renseignement et action contre les circuits financiers clandestins50 für den Kampf vornehmlich gegen Geldwäsche.51 Auch wenn weitere Behörden Informationen mit nachrichtendienstlichem Bezug sammeln, beziehen sich die zentralen Regelungen im Nachrichtendienstrecht allein auf diese sechs Nachrichtendienste.52

2.     Die Nachrichtendienste in Deutschland

Wie in Frankreich gibt es auch in Deutschland keinen einheitlichen Nachrichtendienst. Die als „nachrichtendienstliche Trias“ bezeichneten Behörden sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Militärische Abschirmdienst (MAD) und der Bundesnachrichtendienst (BND).53 Die Struktur des deutschen Inlandsnachrichtendienstes folgt dem föderalen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland und wird institutionell durch das BfV und die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) gewährleistet. Diese sind zusammen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG)54 unter anderem dafür zuständig, Informationen über solche Bestrebungen zu sammeln und auszuwerten, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind. Neben weiteren Aufgaben fällt auch die Spionageabwehr im Inland in den Aufgabenbereich des BfV und der LfV.55 Der BND hingegen ist der deutsche Auslandsnachrichtendienst. Er ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes und sammelt Informationen „zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind“.56 Der MAD als dritter Nachrichtendienst untersteht dem Bundesministerium für Verteidigung und dient der Extremismusabwehr speziell im Bereich der Bundeswehr. So kommt ihm insbesondere die Aufgabe zu, Informationen über Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung zu sammeln, wenn sich diese gegen Personen oder Einrichtungen aus dem Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums richten oder von diesen ausgehen.57 Allen deutschen Nachrichtendiensten ist gemeinsam, dass sie organisatorisch von Polizeibehörden zu trennen sind und ihnen auch keine polizeilichen Befugnisse zustehen. Auf diesen für das deutsche Sicherheitsrecht zentralen Grundsatz wird später gesondert eingegangen.58

3.     Rechtsvergleich

Die hier nur im Überblick aufgezeigte Struktur der Nachrichtendienste zeigt Parallelen. Sowohl Frankreich als auch Deutschland besitzen mehrere voneinander nach Aufgaben und dem Beobachtungsfeld zu trennende Nachrichtendienste und unterscheiden sich insofern von Staaten, deren Nachrichtendienste zu einem einzigen für alle Bereiche zuständigen Nachrichtendienst fusioniert sind.59 Das BfV und die LfV als Inlandsnachrichtendienst finden ihr Äquivalent in der DCRI, der BND als Auslandsnachrichtendienst der generellen Aufgabenstruktur nach in der Direction générale de la sécurité extérieure (DGSE). Für den speziellen Bereich des Militärs bestehen Ähnlichkeiten zwischen dem MAD und der Direction du renseignement militaire (DRM). Diese strukturellen Übereinstimmungen sind der Ausgangspunkt für einen Vergleich im Detail. Hierbei beschränkt sich die nachfolgende Untersuchung auf den Bereich der Inlandsüberwachung und analysiert, inwiefern die jeweilige organisatorische Ausgestaltung der DCRI und des BfV einander gleichen und in welchen Aspekten sie voneinander abweichen.

B.    Die Organisation der Inlandsnachrichtendienste

I.     Der französische Inlandsnachrichtendienst: die Direction centrale du renseignement intérieur (DCRI)

Während die zivile Auslandsaufklärung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges allein von einer Behörde, der Direction générale de la sécurité extérieure (DGSE),60 ausgeübt wird, existierten bis 2008 zwei Nachrichtendienste, die mit der Inlandsaufklärung beauftragt waren. Dies war zum einen die Direction centrale des renseignements généraux (DCRG), zum anderen die Direction de la surveillance du territoire (DST). Beide Inlandsnachrichtendienste fusionierten im Jahr 2008 im Zusammenhang mit weiteren Veränderungen des gesamten französischen Nachrichtendienstrechts zur DCRI.

In einem ersten Abschnitt ist vor dem Hintergrund dieser Entwicklung zunächst auf die Wahrnehmung der französischen Nachrichtendienste (1.) einzugehen. Hiervon ausgehend sollen die Vorgängerbehörden des jetzigen Inlandsnachrichtendienstes erläutert (2.) sowie die Reformen des französischen Nachrichtendienstrechts der Jahre 2007 bis 2009 skizziert werden, die zur Einordnung der Gesamtentwicklung erforderlich sind (3.). Zuletzt wird die Organisation des Inlandsnachrichtendienstes DCRI dargelegt (4.).

1.     Die Wahrnehmung der französischen Nachrichtendienste in der Öffentlichkeit

Nähert man sich dem französischen Verständnis zu den Nachrichten- bzw. dem Inlandsnachrichtendienst, so ist zunächst kennzeichnend, dass nach der Aussage von Verantwortlichen der Nachrichtendienste lange Zeit keine „culture du renseignement“ (nachrichtendienstliche Kultur) vorherrschte.61 Hiermit wird ausgedrückt, dass die französischen Nachrichtendienste relativ unbeachtet und für die politische Entscheidungsfindung nicht maßgeblich waren und es teilweise noch sind. Hintergrund dieser Einschätzung war zum einen das negative Ansehen der Nachrichtendienste in der Öffentlichkeit, zum anderen war ihr Nutzen vielen Entscheidungsträgern unbekannt und sie wurden allenfalls als „notwendiges Übel“ angesehen.62 Zudem stützten sich die Nachrichtendienste zumindest in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf weite, nicht immer geregelte Handlungsmöglichkeiten, was diesen Eindruck zusätzlich verstärkte.63

Zwar führten immer wieder sogenannte Affären, in die die Nachrichtendienste verwickelt waren, zu einer Berichterstattung in den Medien und damit zu einer Befassung in der Öffentlichkeit.64 Eine hiervon unabhängige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Nachrichtendiensten erfolgte aber allenfalls im historischen Rahmen oder durch ehemalige Mitglieder der Nachrichtendienste oder des Militärs, nur vereinzelt jedoch aus einer fundierten juristischen oder politikwissenschaftlichen Sichtweise.65 Hierbei ist zu betonen, dass die Thematik der Nachrichtendienste selten im Rahmen des Polizeirechts untersucht wird, das in Frankreich als eigenständiger Bereich erst in den letzten Jahren vermehrt wahrgenommen wird.66 Vielmehr wird das Nachrichtendienstrecht als Teil der Verteidigungs- bzw. Sicherheitspolitik geführt und in diesem Zusammenhang auch in Gesetzen behandelt.67

Seit Mitte der 1990er Jahre und spätestens mit der vermehrten Bedrohung durch den internationalen Terrorismus setzte ein Umdenken ein. Die Tätigkeit der Nachrichtendienste wurde zunehmend als notwendiger Teil der Informationsbeschaffung für den Staat eingestuft und hat zu einer Auseinandersetzung über die Notwendigkeit und Arbeit der Nachrichtendienste geführt.68 Entscheidende Reformen im Bereich der Nachrichtendienste erfolgten allerdings erst in den letzten Jahren. Sie wurden maßgeblich vom ehemaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy initiiert und führten zu weitreichenden Veränderungen und damit einhergehend zu einer neuen Wahrnehmung und Aufwertung der Nachrichtendienste insgesamt, insbesondere aber auch des Inlandsnachrichtendienstes.69 Zugleich fand eine deutliche Zunahme der Auseinandersetzung sowohl in wissenschaftlichen Veröffentlichungen als auch im Rahmen des politischen Diskurses statt, was sich nicht zuletzt im Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2012 zeigte.70 Auch die Nachrichtendienste selbst veränderten und öffneten sich und gaben erstmalig öffentliche Stellungnahmen ab.71

Die Gründe für eine teilweise immer noch anhaltende zögerliche Wahrnehmung der Nachrichtendienste und ihrem Nutzen sind vielfältig. Die starke Stellung der französischen Exekutive, insbesondere des Staatspräsidenten, führen zu einer Politik der Nachrichtendienste, die die parlamentarische Mitwirkung fast unmöglich macht. Eine Beteiligung des Parlaments wurde lange sogar als zu gefährlich für die nationale Sicherheit erachtet.72 Hinzu kommt, dass sich nur wenige Abgeordnete für diesen speziellen Bereich interessieren, da er sich gegenüber den Wählern kaum öffentlichkeitswirksam darstellen lässt und allenfalls durch etwaige Skandale auffällt.73 Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Aspekt für das Verständnis der Nachrichtendienste ist das französische Geheimnisrecht, das weitreichend zugunsten der im Geheimen arbeitenden Nachrichtendienste ausgestaltet ist.74 Auf der Grundlage des secret de la défense nationale (Geheimnis der nationalen Verteidigung; auch secret-défense genannt) können Dokumente, Objekte, Informationen oder Dateien unter anderem von den Nachrichtendiensten als Verschlusssachen eingestuft werden und sind der Öffentlichkeit in diesem Fall nicht zugänglich.75 Obwohl die Bezeichnung dies nahelegt, betrifft das secret de la défense nationale inhaltlich nicht allein den militärischen Bereich der Verteidigung, sondern auch die die Nachrichtendienste umfassende innere Sicherheit.76 Das secret de la défense nationale bietet den Nachrichtendiensten einen weiten Handlungsspielraum, da die Freigabe von eingestuften Dokumenten ihnen letztlich selbst obliegt und eine gerichtliche Kontrolle erheblich eingeschränkt ist. Betroffenen wie auch Entscheidungsträgern erschwert das secret de la défense nationale die Bewertung des Handelns der Nachrichtendienste erheblich, insbesondere im Rahmen von Rechtsschutzfragen.77

2.     Die Inlandsnachrichtendienste vor der Reform 2008: DCRG und DST

Da die Organisation und die Aufgaben des neuen Inlandsnachrichtendienstes DCRI in wesentlichen Teilen von den Vorgängerbehörden übernommen wurden und nur vor diesem Hintergrund zu erklären sind, sollen zunächst die Grundstrukturen der DCRG und der DST im Überblick dargestellt werden. Während die DCRG den Auftrag hatte, die grundlegenden Interesses des Staates zu verteidigen und die Regierung über Gefährdungen in diesem Bereich zu informieren, war die DST maßgeblich für die Spionageabwehr zuständig.

a)     Direction centrale des renseignements généraux (DCRG)

aa)   Entstehung der DCRG

Staatliche Überwachung in Frankreich entwickelte sich maßgeblich nach der Französischen Revolution im Laufe des 19. Jahrhunderts.78 Im Jahr 1855 wurde per Dekret ein Service spécial de surveillance des chemins de fer geschaffen, dessen Aufgabe zunächst die Wahrung der Sicherheit in Bahnhöfen betraf.79 Im Folgenden jedoch entwickelte sich diese Behörde zu einer Art Spezialpolizei (commissaires spéciaux de police), die vom Staat gelenkt für die politische Überwachung zuständig war und als politische Polizei (police politique) bezeichnet werden kann.80 Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Begriff renseignement général im Zusammenhang mit verschiedenen Behörden oder Teilen davon gebraucht, die mit der Überwachung von Parteien, Gewerkschaften und anderen Gruppen, die für das Regime eine Bedrohung darstellten, beauftragt waren.81 Durch das Gesetz vom 23. April 1941 wurde die französische Polizei im Vichy-Regime während des Zweiten Weltkrieges neu geordnet und ein Service des renseignements généraux geschaffen.82 Letztlich prägte ein Dekret von 1951 die Aufgaben und Struktur der bis 2008 bestehenden Direction centrale des renseignements généraux (DCRG).83 Danach war die DCRG dafür zuständig, politische, soziale und wirtschaftliche Informationen, die für die Regierung notwendig waren, zu suchen und zusammenzufassen.84

bb)   Überblick über die Aufgaben der DCRG

Die zuletzt bestehenden Hauptaufgaben der DCRG, die mit einer zentralisierten Struktur für das gesamte Staatsgebiet zuständig war, waren der Kampf gegen Terrorismus und Gewalt in den Städten sowie die Bewältigung von Krisen für die öffentliche Ordnung.85

Das Dekret Nr. 95–44 vom 16. Januar 1995 beschreibt die bis 2008 geltenden Aufgaben der DCRG.86 Nach Artikel 3 Dekret Nr. 95–44 war die DCRG mit der Sammlung und Zusammenfassung solcher Nachrichten („renseignements“) beauftragt, die geeignet sind, die Regierung zu informieren.87 Weiterhin war sie an der Verteidigung grundlegender Interessen des Staates („défense des intérêts fondamentaux de l’Etat“) beteiligt und leistete einen Beitrag zur allgemeinen Aufgabe der inneren Sicherheit („sécurité intérieure“). Darüber hinaus bestand die Zuständigkeit für die Überwachung von Spielhallen („établissements de jeux“) und Rennbahnen.88 Eine Präzisierung der Aufgaben der DCRG enthält das Arrêté (Erlass) vom 6. November 1995, das zudem den Aufbau der Behörde beschreibt.89 Danach setzte sich die zentrale Ebene der DCRG aus vier Unterabteilungen (sous-directions) mit weiteren Divisionen und Sektionen zusammen.90 Die sous-direction de la recherche beschäftigte sich mit der Sammlung und Zusammenfassung von Nachrichten, die zur Verhinderung und zum Kampf gegen den Terrorismus sowie zur Überwachung von „Risikogruppen“ („des groupes à risques“) auf französischem Boden notwendig waren.91 Die sous-direction de l’analyse, de la prospective et des faits de société war verantwortlich für die Analyse von Nachrichten in den Bereichen Soziales, Finanzielles und der Gesellschaftsphänomene („faits des sociétés“).92 Die dritte Unterabteilung courses et jeux beaufsichtigte die Spielhallen und Rennbahnen. Die Unterabteilung sous-direction des ressources et méthodes schließlich war für die Verwaltung zuständig.93

Konkret überwachte die DCRG, die auch „RG“ (Renseignements généraux) genannt wurden, Gruppierungen im Bereich militanter Ausländer, politischer Extremisten oder anderer Terroristen, die sich gegen demokratische Prinzipien wandten. Weiterhin beschäftigte sie sich seit 1991 mit der Überwachung der Gewalt in den Städten sowie mit der Überwachung von Sekten und öffentlichen Versammlungen.94 Eine Spezialisierung erfolgte vor allem mit dem aufkommenden islamistischen Terrorismus, der seit 2004 als erste Priorität („première priorité“) unter den Aufgaben bestand.95 Die DCRG beschränkte sich dabei grundsätzlich auf den Bereich des so bezeichneten internen Terrorismus (terrorisme interne) und überwachte terroristische Formen im Inland wie etwa Gefährdungen durch Links- oder Rechtsextremisten oder separatistische Bewegungen aus dem Baskenland, Korsika sowie zum Teil internationale terroristische Gefährdungen, die nicht von Staaten ausgingen.96 Sie grenzte sich durch diese Zuordnung zumindest anfangs von dem von der DST übernommenen internationalen bzw. externen von Staaten unterstützen Terrorismus (terrorisme externe) ab.97 Hinsichtlich der Befugnisse wurde der DCRG das sogenannte milieu ouvert zugeschrieben, womit zum Ausdruck gebracht wurde, dass sie vornehmlich mit offen zugänglichen Mitteln agierte, während die DST überwiegend nachrichtendienstliche Mittel (milieu fermé) einsetzte.98 Allerdings konnte letztlich auch die DCRG mit nachrichtendienstlichen Mitteln tätig werden, so dass diese Aufteilung keineswegs stringent bestand.99

Die DCRG hatte in ihrem Aufgabenbereich als Inlandsnachrichtendienst das Ziel, die Regierung über mögliche Gefährdungen zu informieren.100 Die DCRG stand zudem in direktem Kontakt zu den Strafverfolgungsbehörden, wenn Anhaltspunkte für Straftaten vorlagen.101 Eine repressive polizeiliche Aufgabe kam der DCRG allein in dem speziellen Bereich der Überwachung von Rennbahnen und Spielhallen (courses et jeux) zu.102

cc)   Die Organisationsstruktur der DCRG

Organisationsrechtlich war die DCRG eine Abteilung der Police nationale, die dem Innenministerium unterstellt war.103 Die Aufsicht übte der Generaldirektor der Police nationale (directeur général de la police nationale) aus, der die Arbeit der verschiedenen Abteilungen der Police nationale koordinierte.104 Die DCRG bestand aus einer Zentralbehörde und einer dezentralen Ebene (services déconcentrés) mit Behörden in den Regionen und Départements.105 Der Zentralbehörde mit den oben genannten vier Unterabteilungen und einer Führungsetage kam hierbei eine Koordinierungsfunktion zu, indem sie die Aktivitäten der dezentralen Abteilungen geleitet, bewertet und auch kontrolliert hat.106 Die DCRG beschäftigte zuletzt ca. 4.100 Polizeibeamte (fonctionnaires de police).107

b)     Direction de la surveillance du territoire (DST)

Die Direction de la surveillance du territoire (DST; Abteilung der Überwachung des Staatsgebiets) war der für die Spionageabwehr im Inland zuständige Nachrichtendienst.

aa)   Entstehung der DST

Die Spionageabwehr in Frankreich geht auf das späte 19. Jahrhundert zurück und war zumeist dem militärischen, zeitweilig aber auch dem zivilen Bereich zugeordnet. Die Dreyfus-Affäre im Jahr 1899 führte erstmalig dazu, dass dem Innenministerium die Aufgabe der Spionageabwehr übertragen wurde.108 Als eigenständige Abteilung der Polizei entstand 1934 die „Surveillance du territoire“ (ST).109 Die noch heute geltende Verteilung der Organisation der mit der Spionageabwehr befassten Nachrichtendienste wurde in einem Dekret von 1939 festgehalten. Danach war in Friedenszeiten die Polizei im Inland zuständig, während im Ausland die Zuständigkeit des Verteidigungs- bzw. Kriegsministeriums begründet war. Im Falle eines Krieges sollte allein die militärische Zuständigkeit gegeben sein.110 Nach der Libération 1944 wurde die Spionageabwehr neu geordnet und die DST als Abteilung des Innenministeriums gegründet.111 Die Aufgaben wurden in einem nicht veröffentlichten Arrêté niedergelegt.112

bb)   Überblick über die Aufgaben der DST

Die zentralen Aufgaben der DST umfassten die Spionageabwehr auf französischem Staatsboden, den damit zusammenhängenden Schutz des wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Erbes sowie den Kampf gegen den internationalen Terrorismus.113 Für das Verständnis der DST ist wesentlich, dass sie in diesem Bereich Aufgaben eines Inlandsnachrichtendienstes mit repressiven polizeilichen Aufgaben verband.

Die bis 2008 gültigen Aufgaben der DST waren im Dekret Nr. 82–1100 vom 22. Dezember 1982 niedergelegt.114 Nach Art. 1 dieses Dekretes war die DST auf dem Gebiet der Französischen Republik dafür verantwortlich, veranlasste oder durchgeführte Aktivitäten ausländischer Mächte, die die Sicherheit des Landes bedrohten, zu bekämpfen bzw. Informationen darüber zu sammeln und diese Aktivitäten zu verhindern.115 Um diese Aufgaben auszuführen, war die DST nach Art. 2 des Dekretes damit betraut, alle Informationen aus den in Art. 1 des Dekretes genannten Aktivitäten zusammenzufassen und auszuwerten.116 Die DST wurde aufgrund dieser Aufgaben als service de renseignement und service de police judiciaire spécialisée bezeichnet.117 Hiermit wird zum Ausdruck gebracht, dass ihr neben nachrichtendienstlichen auch präventive und repressive Aufgaben zukommen.118

Als erster Aufgabenbereich ist in Art. 1 Dekret Nr. 82–1100 die Spionageabwehr angesprochen, die in Frankreich mit dem Begriff contre-espionnage119 umschrieben wird und in einen präventiven, repressiven und offensiven Bereich unterteilt werden kann. Die präventive Spionageabwehr befasst sich dabei mit dem vorbeugenden Schutz von Geheimnissen, die repressive hingegen mit strafrechtlichen Ermittlungen in Bezug auf Spionagedelikte. Zusätzlich meint die offensive Spionageabwehr die Sammlung von Informationen über gegnerische Nachrichtendienste.120 Die DST war für alle diese Bereiche im Inland zuständig. Sie sammelte damit nicht nur die erforderlichen Nachrichten (Art. 2 Dekret Nr. 82–1100), sondern war ebenfalls für die Strafverfolgung von Spionagetätigkeiten zuständig.121 Zusätzlich hatte sie präventiv die Sicherheit an sensiblen Punkten und Schlüsselstellen für die activité nationale zu gewährleisten und wirkte am Schutz der „secrets de défense“ mit.122 Dieser Aspekt betraf den nichtmilitärischen Bereich und diente der Vorbeugung fremder Spionage etwa durch Beratungen von Unternehmen.123 In welchem Umfang die sogenannte offensive Spionageabwehr betrieben wurde, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden.124

Neben dieser Aufgabe der Spionageabwehr entwickelte sich nach 1990 der Kampf gegen den Terrorismus zu einer weiteren Hauptaufgabe der DST.125 Die Ausrichtung sowohl der DST als auch der DCRG auf die Terrorismusbekämpfung wurde durch die Anschläge vom 11. September 2001 und die hieraus folgende Bedrohung durch den internationalen Terrorismus verstärkt und führte zu Aufgabenüberschneidungen.126 Insbesondere die ursprüngliche Abgrenzung nach der Herkunft der terroristischen Bedrohung war nicht geeignet, diese Überschneidungen auszuräumen.127 Aufgrund der so bestehenden Ausrichtung beider Inlandsnachrichtendienste wurde deren Zusammenlegung vorgeschlagen, die letztlich erst 2008 realisiert wurde.

cc)   Die Organisationsstruktur der DST

Art. 3 Dekret Nr. 82–1100 vom 22. Dezember 1982 enthielt die Ermächtigung, die Organisation und Funktionsweise („l’organisation et le fonctionnement“) der DST durch ein Arrêté (Erlass) des zuständigen Innenministers auszugestalten. Hiervon wurde durch das nicht veröffentlichte Arrêté vom 17. November 2000 Gebrauch gemacht.128 Aufgrund von Geheimhaltungsinteressen unterlag die Organisation der DST dem secret de la défense nationale und war damit nicht öffentlich.129 Wie auch die DCRG war die DST eine Abteilung der Police nationale und damit dem Innenministerium unterstellt.130 Die Organisation bestand aus einer zentralen Abteilung in Paris und weiteren regionalen und lokalen Abteilungen. Die zentrale Ebene der DST untergliederte sich in die Unterabteilungen contre-espionnage, sécurité et protection du patrimoine, terrorisme international und services techniques und administration générale.131 Weiterhin hatte die DST regionale Abteilungen unter anderem in den Städten Lille, Rennes, Bordeaux, Toulouse, Marseille, Lyon, Metz sowie vier weitere Posten in den Überseedépartements.132 Ein wesentliches Kennzeichen der Organisation war die zentralisierte Struktur der DST, die sie von anderen Abteilungen der Police nationale unterschied. Dem Direktor der zentralen Abteilung kam die Entscheidungsbefugnis bei allen wesentlichen Fragen zu. Zudem wurde die Gesamtauswertung von Informationen, auch die der regionalen Ebene, von der Zentralabteilung vorgenommen.133

3.     Die Reform der französischen Sicherheitspolitik in Folge des Livre blanc sur la défense et la sécurité nationale 2008

Das französische Nachrichtendienstrecht ist in den Jahren 2007 bis 2009 maßgeblich reformiert worden. Hierbei kann zwischen Änderungen institutioneller Art und solchen Änderungen unterschieden werden, die strategische Bedeutung für alle Nachrichtendienste bzw. die Nachrichtendienststruktur haben. Zu Ersteren zählen das erstmals entstandene parlamentarische Kontrollgremium Délégation parlementaire au renseignement (b) und der neu geschaffene Inlandsnachrichtendienst DCRI (c). Strategische Bedeutung kommt dem Weißbuch zur nationalen Sicherheit und Verteidigung von 2008 (Livre blanc sur la défense et la sécurité nationale, Livre blanc 2008) zu, welches ein neues, einheitliches Gesamtkonzept für die Nachrichtendienste entwickelt (d) und weitere institutionelle Veränderungen im Hinblick auf die Koordination der Nachrichtendienste nach sich gezogen hat (e). Zunächst soll auf die Hintergründe der Reform eingegangen werden (a).

a)     Hintergrund der Reform

Die Reform der Nachrichtendienste geht auf eine Entwicklung seit den 1990er Jahren zurück.134 Das französische Nachrichtendienstsystem wurde seinerzeit sowohl institutionell als auch juristisch als veraltet erachtet; zudem wurde auf die fehlende Koordination zwischen den einzelnen Nachrichtendiensten hingewiesen.135 Zugleich wurden Vorschläge institutioneller Reformierungen des Systems unterbreitet.136 Die Reformbestrebungen verdichteten sich allerdings erst mit dem Aufkommen des internationalen Terrorismus und den neuen hieraus resultierenden Herausforderungen. Vor dem Hintergrund der terroristischen Anschläge auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 sowie der Anschläge 2004 in Madrid und 2005 in London wurde das Gesetz Nr. 2006–64 vom 23. Januar 2006137 über den Kampf gegen den Terrorismus beschlossen.138 Das Terrorismusgesetz von 2006 erweiterte materiell-rechtlich die Befugnisse der französischen Sicherheitsbehörden, zu denen auch die Nachrichtendienste zählen, und verschärfte die in Bezug zur Terrorismusbekämpfung stehenden straf- und strafprozessrechtlichen Vorschriften.139 Vor dem gleichen Hintergrund der terroristischen Bedrohung veröffentlichte die französische Regierung im März 2006 das Weißbuch Livre blanc du Gouvernement sur la sécurité intérieure face au terrorisme (Livre blanc 2006).140 Dieses hatte zum Ziel, zum einen die von terroristischen Gruppierungen ausgehende Bedrohungslage zu erklären und damit zusammenhängend eine Gegenstrategie zu entwickeln, zum anderen die Bürger über die Bedrohung durch den Terrorismus zu informieren.141 Das Livre blanc 2006 hob dabei die Bedeutung der Nachrichtendienste zur Terrorismusbekämpfung sowie die Notwendigkeit der Zusammenarbeit der Nachrichtendienste auf nationaler und auf internationaler Ebene hervor und rechtfertigte in diesem Zusammenhang die Erweiterung der Befugnisse der Sicherheitsbehörden durch das Terrorismusgesetz 2006.142 Ferner wurde die Bedeutung des bestehenden strafrechtliche Regimes zum Kampf gegen den Terrorismus betont.143 Weder das Terrorismusgesetz 2006 noch das Livre blanc 2006 sahen allerdings institutionelle Veränderungen vor. Derartige institutionelle Reformen der Nachrichtendienste waren hingegen während des Wahlkampfes um das Amt des Staatspräsidenten im Jahr 2007 Teil der Debatte.144 So stellte auch der damalige Innenminister (2005–2007) und Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy Pläne vor, die neben einer neuen strategischen Ausrichtung der Sicherheitspolitik eine bessere Koordinierung und die Einführung einer parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste vorsahen.145

Die Reform zum Inlandsnachrichtendienst DCRI ist damit Teil einer Gesamtentwicklung im französischen Nachrichtendienstrecht, deren vorläufiger Abschluss das Livre blanc 2008 mit einem einheitlichen Konzept für die Nachrichtendienste und die Sicherheitspolitik darstellt. Auch wenn die sogleich anzusprechenden Veränderungen jeweils als eigene Teilreformen bezeichnet werden können, sprechen schon der zeitliche und inhaltliche Zusammenhang dafür, von nur einer übergreifenden Reform auszugehen, die durch den Staatspräsidenten Sarkozy vom Beginn seines Mandates im Mai 2007 initiiert wurde.146

b)     Délégation parlementaire au renseignement

Eine wesentliche Neuerung für das gesamte französische Nachrichtendienstsystem stellt die Gründung einer allgemeinen parlamentarischen Kontrollinstanz der Nachrichtendienste, der Délégation parlementaire au renseignement (DPR), dar, die durch das Gesetz Nr. 2007–1443 vom 9. Oktober 2007 geschaffen wurde.147 Im Gegensatz zu den meisten westlichen Demokratien gab es in Frankreich bis 2007 keine Mitwirkung des Parlaments bei der Kontrolle der Nachrichtendienste hinsichtlich ihrer allgemeinen Tätigkeit.148 Dieser Umstand wurde vielfach kritisiert und die Sonderstellung Frankreichs in diesem Aspekt betont.149 Zwar sieht das französische System verschiedene sogenannte autorités administratives indépendantes (unabhängige Verwaltungsorgane) vor, die in einzelnen Teilbereichen unter Beteiligung von Parlamentariern Kontrolle ausüben, eine regelmäßige Mitwirkung bezogen auf die allgemeine Tätigkeit der Nachrichtendienste bestand jedoch nicht.150

c)     Der neue Inlandsnachrichtendienst DCRI

Aufgrund der Aufgabenüberschneidungen der DST und DCRG gab es seit den 1990er Jahren Vorschläge, die Inlandsnachrichtendienste zu einer mit umfassenden Aufgaben und Befugnissen ausgestatteten Behörde zusammenzulegen.151 Die Versuche scheiterten letztlich daran, dass jeder Inlandsnachrichtendienst versuchte, seine Autonomie zu wahren, eine einzige Behörde lange als zu mächtig erschien und politische Auseinandersetzungen vornehmlich während der Periode der Cohabitation152 Reformen verhinderten.153 Die 2008 vollzogene Fusion geht auf Nicolas Sarkozy zurück, der nach der Wahl zum Staatspräsidenten im Mai 2007 die Initiative hierzu ergriff und bisherige Vorschläge berücksichtigte. Hintergrund des Zusammenschlusses der Inlandsnachrichtendienste war die Erkenntnis, dass teilweise vorhandene Doppelungen zu unnötigen Reibungsverlusten führten.154 Der Ministerrat (Conseil des ministres) verabschiedete politisch am 20. Juni 2007 die „fusion des services de renseignement“ (Fusion der Nachrichtendienste).155 Mit der konkreten Ausarbeitung war die damalige Innenministerin, Michèle Alliot-Marie, beauftragt. Ziel der Fusion sollte sein, die Aufgaben der DST und der DCRG neu zu organisieren und die neue Behörde mit den erforderlichen Mitteln und Befugnissen auszustatten, die für die Gewährleistung der Sicherheit der Bürger notwendig waren.156 Die Vorstellung der wesentlichen Züge des neuen Inlandsnachrichtendienstes erfolgte am 13. September 2007. Danach sollte die DCRI aufgrund des Erfordernisses der Effektivität die zentralen Aufgaben der DST und der DCRG übernehmen und hierbei im Wesentlichen vom secret de la défense nationale geschützt werden. Teilaufgaben der Vorgängerbehörden, die nicht mehr als nachrichtendienstlich eingestuft wurden, sollten auf andere Polizeibehörden übertragen werden.157 Der damalige Direktor der DST stellte ein „pôle d’excellence dévolu au contre-terrorisme“ (eine herausragende Stelle, die der Terrorismusabwehr gewidmet ist) in Aussicht.158 Nach der Vorstellung der ausgearbeiteten Dekrete am 25. Juni 2008 im Ministerrat wurde der neue Inlandsnachrichtendienst durch das Dekret Nr. 2008–609 vom 27. Juni 2008 „relatif aux missions et à l’organisation de la direction centrale du renseignement intérieur“ geschaffen.159 Das Dekret trat zum 1. Juli 2008 in Kraft.160

d)     Das Livre blanc sur la défense et la sécurité nationale

Nach der Wahl zum Staatspräsidenten setzte Nicolas Sarkozy im Juli 2007 eine Kommission ein, die das angesprochene Weißbuch, Livre blanc 2008, ausarbeiten sollte.161 Bezweckt war die Erstellung eines Konzeptes für die kommenden 15 Jahre in den Bereichen der Verteidigung und der Sicherheit (défense et sécurité) vor dem Hintergrund neuer Entwicklungen.162 Das Weißbuch sollte folgende Ziele berücksichtigen: Eine zukunftsorientierte Analyse der Sicherheitslage, eine Aktualisierung der Aufgaben der Behörden, die Ausarbeitung einer globalen Strategie der Verteidigung und der nationalen Sicherheit sowie die Erarbeitung notwendiger Reformen, um diese Ziele zu erreichen.163 Das Livre blanc 2008 wurde erstmals auf Wunsch des Staatspräsidenten in großem Maße unter Beteiligung der Öffentlichkeit ausgearbeitet.164 Die Kommission veranstalte öffentliche Anhörungen, befragte französische und auch ausländische Experten und alle französischen Parteien.165

Das am 17. Juni 2008 präsentierte Livre blanc 2008 enthält neben tiefgreifenden Reformvorschlägen eine neue Strategie der nationalen Sicherheit („stratégie de sécurité nationale“), die die Bereiche der Verteidigung, der inneren Sicherheit, der Außen- und der Wirtschaftspolitik miteinander verbindet.166 Die Verknüpfung der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik wird dabei als zentrale Neuerung eingestuft, die aufgrund der zusammenhängenden Bedrohungen erforderlich ist, „de parer aux risques et aux menaces susceptibles de porter atteinte à la vie de la nation“.167 Die Strategie des Livre blanc 2008 basiert auf drei Prinzipien, die für das weitere Handeln in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik maßgeblich sind und jeweils auf weitere Funktionen gestützt werden.168 Den französischen Nachrichtendiensten („le renseignement“) kommt im Rahmen des Prinzips „Anticipation-Réactivité“ (Antizipation und Reaktionsfähigkeit) die Funktion „Connaître et anticiper“ (erkennen und antizipieren) als „première ligne de défense d’un pays“ (erste Verteidigungslinie des Landes) zu.169 Die Aufgabe der Nachrichtendienste besteht darin, Bedrohungslagen zu antizipieren, um damit den Entscheidungsträgern zu ermöglichen, die Sachlage einzuschätzen und darauf aufbauend Entscheidungen zu treffen.170 Das Livre blanc 2008 schlägt für die Nachrichtendienste folgende Veränderungen vor: Ein erster Bereich betrifft die personale Ausgestaltung der Nachrichtendienste, die erhöht werden soll. Zudem soll die Ausbildung und Beförderung der Mitarbeiter verbessert werden, wozu eine zu schaffende Ausbildungsstelle, die Académie du renseignement, beitragen soll.171 Zweitens wurde empfohlen, die technischen Fähigkeiten der Nachrichtendienste qualitativ und quantitativ auszuweiten.172 Ein dritter Aspekt sieht vor, die Koordination aller Nachrichtendienste zu verbessern. Die bisherigen Nachrichtendienste und auch der neu geschaffene Inlandsnachrichtendienst DCRI sollen zwar beibehalten werden, aber zusätzliche oder veränderte Koordinationsgremien geschaffen werden.173 Zuletzt enthält das Livre blanc 2008 die Vorgabe, den juristischen Rahmen im Bereich der Nachrichtendienste zu verbessern, der als nicht „clair et suffisant“ (eindeutig und ausreichend) beschrieben wird. Konkret ist beabsichtigt, die Aufgaben der Nachrichtendienste gesetzlich zu regeln, den Schutz des secret de la défense nationale zu überarbeiten und bestimmte Befugnisse zu erweitern.174

e)     Veränderte Koordinationsgremien

In Übereinstimmung mit den Vorgaben des Livre blanc 2008 wurde im Juli 2008 ein Coordonnateur national du renseignement (nationaler Koordinator für die Nachrichtendienste) als neue Koordinationsform für die Nachrichtendienste eingesetzt.175 Zudem wurden große Teile der Strategie der nationalen Sicherheit durch das loi de programmation militaire für die Jahre 2009 bis 2014 vom 29. Juli 2009 umgesetzt.176 Hierbei handelt es sich um ein Gesetz, das neben inhaltlichen und institutionellen Fragen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch das Budget für diesen Bereich bestimmt.177 Neben einer Definition der Strategie der nationalen Sicherheit178 wurde als weiteres neues Koordinationsgremium der Conseil national du renseignement (nationaler Rat für die Nachrichtendienste) als Untergremium des Conseil de défense et de sécurité nationale (Rat für Verteidigung und nationale Sicherheit) geschaffen.179 Die konkrete Ausgestaltung der Aufgaben dieser Koordinationsgremien erfolgte durch ein weiteres Dekret Nr. 2009–1657 vom 24. Dezember 2009.180 Zudem enthielt dieses erstmals den Begriff der „communauté française du renseignement“, womit die Zusammengehörigkeit der französischen Nachrichtendienste und Koordinationsgremien zum Ausdruck gebracht wurde.181 Die jeweiligen Aufgaben der genannten Gremien werden im Zusammenhang mit der Koordination der französischen Nachrichtendienste behandelt.182

4.     Der Inlandsnachrichtendienst DCRI

Durch die neu geschaffene DCRI wurden die Aufgaben der soeben behandelten Vorgängerbehörden DST und DCRG gebündelt, der Inlandsnachrichtendienst insgesamt aber auch neu ausgerichtet.183 Aufgrund dieser Zusammenlegung der Aufgaben wurde die DCRI im Rahmen der Fusion als „FBI à la française“ oder „superagence“ bezeichnet.184 Die DCRI ist dafür zuständig, auf dem Staatsgebiet gegen alle Aktivitäten zu kämpfen, die geeignet sind, eine Gefährdung grundlegender Interessen der Nation darzustellen. Sie sammelt Nachrichten, fasst diese zusammen und wertet sie aus.185 Ihre Kernaufgaben liegen im Kampf gegen den Terrorismus, in der Spionageabwehr, im Schutz der wirtschaftlichen Sicherheit sowie in der Überwachung staatsgefährdender Bewegungen.186 Die DCRI besitzt zudem nicht nur nachrichtendienstliche Aufgaben, sondern trägt – wie schon die DST – zur Strafverfolgung bei.187

a)     Die Organisationsstruktur der DCRI

Die DCRI ist wie ihre Vorgängerbehörden Teil der Police nationale und damit dem Innenministerium zugeordnet. Sie untersteht als eine von mehreren Abteilungen (directions) direkt der Direction générale de la Police nationale (Hauptabteilung für das Polizeiwesen)188, die für die Koordination der ihr unterstehenden Abteilungen zuständig ist.189 Weitere Abteilungen neben der DCRI sind unter anderem die Direction centrale de la police judiciaire (DCPJ) als Kriminalpolizei und die Direction centrale de la sécurité publique190 für den Aufgabenbereich der öffentlichen Sicherheit.191 Die Direction générale de la Police nationale selbst ist Teil der zentralen Verwaltung des französischen Innenministeriums.192 Die so ausgestaltete Zugehörigkeit der DCRI zur Police nationale hängt damit zusammen, dass das französische Recht eine organisatorische Trennung von Polizeibehörden und dem Inlandsnachrichtendienst nicht kennt.

Die DCRI hat ihren Sitz in Levallois-Perret bei Paris und ist für das gesamte französische Staatsgebiet zuständig. Die Organisation der DCRI im Einzelnen unterliegt aus Sicherheitsgründen dem genannten secret de la défense nationale. Durch das Arrêté des Innenministers vom 27. Juni 2008 ist festgelegt, dass sämtliche Nachrichten, Dokumente und Datenträger, die die Aufgaben, Ziele, die Organisation und die Funktionsweise der DCRI zum Gegenstand haben, als geheim eingestuft werden. Gleiches gilt hinsichtlich der Gebäude der DCRI („zones protégés“), wobei die genauen Kriterien der Einstufung vom Direktor der DCRI bestimmt werden und ebenfalls nicht öffentlich sind.193 Der Innenminister stützt sich diesbezüglich als Rechtsgrundlage auf die in Art. R 2311–1 ff. Code de la défense genannten Bestimmungen zum secret de la défense nationale, die später näher erläutert werden.194